Gourmetkatz - Kaspar Panizza - E-Book

Gourmetkatz E-Book

Kaspar Panizza

0,0

  • Herausgeber: GMEINER
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Kommissar Steinböck ist gerade mit dem mysteriösen Tod eines Münchner Sternekochs auf dem Jakobsweg beschäftigt, als sein Freund, der Obdachlose Sokrates, bei seiner Morgentoilette eine Leiche am Isarufer entdeckt. Deren Obduktion gibt dem Team ein makabres Rätsel auf. Zwei Morde, die nichts miteinander zu tun haben - oder vielleicht doch? Wieder ist das Team gefordert. Währenddessen wendet sich die Katze Frau Merkel der neuen Nachbarin zu und entdeckt nebenbei die Vorzüge exzellenter Sterneküche.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 283

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Kaspar Panizza

Gourmetkatz

Frau Merkel und der tote Sternekoch

Zum Buch

Filetiert Den Beginn dieses Tages hat sich der Obdachlose Harti Kleverlä, alias Sokrates, anders vorgestellt. Die Leiche, die da nahe dem Isarufer auf ihn zutreibt, verdirbt ihm seine tägliche Morgentoilette gründlich. Zu allem Übel hat man dem Toten, bevor er erschlagen wurde, einige Organe entnommen. Ein klarer Fall für Kommissar Steinböck und sein Team. Doch der ist mit dem mysteriösen Tod eines bekannten Münchner Sternekochs auf dem spanischen Jakobsweg beschäftigt. Bald fällt der Verdacht in diesem Fall auf dessen Kompagnon Dago Pfalzer, der durch seine skurrilen Kochshows bekannt ist. Pfalzer kann Steinböck zwar nicht von seiner Unschuld überzeugen, dafür bringt er Katze Frau Merkel mit exquisiten Thunfischröllchen auf seine Seite. Weil Steinböcks Kollegin Ilona Hasleitner auf Recherche in Spanien ist und Emil Mayer an einem Basketballturnier teilnimmt, steht der Chef ganz alleine da. Als dann auch noch eine Reporterin spurlos verschwindet, wird ein Zusammenhang zwischen den beiden Morden immer wahrscheinlicher.

Kaspar Panizza wurde 1953 in München geboren. Den Autor, der aus einer Künstlerfamilie stammt, prägten Arbeiten seines Vaters, eines bekannten Kunstmalers, sowie die Bücher seines Urgroßonkels Oskar Panizza. Nach dem Pädagogik-Studium machte Panizza eine Ausbildung zum Fischwirt, erst später entdeckte er seine Liebe zur Keramik. Nach abgeschlossener Ausbildung mit Meisterprüfung arbeitete er zunächst als Geschirr-Keramiker und später als Keramik-Künstler im Allgäu. 2004 übersiedelte er nach Mallorca, wo er eine Galerie mit Werkstatt betrieb und zu schreiben begann. Seit 2009 lebt Kaspar Panizza in Ribnitz-Damgarten an der Ostsee, wo er zusammen mit seiner Ehefrau bis 2018 ein Keramik-Atelier führte. Seither widmet er sich ganz dem Schreiben.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Immer informiert

Spannung pur – mit unserem Newsletter informieren wir Sie

regelmäßig über Wissenswertes aus unserer Bücherwelt.

Gefällt mir!

     

Facebook: @Gmeiner.Verlag

Instagram: @gmeinerverlag

Twitter: @GmeinerVerlag

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2021 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Christine Braun

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart unter Verwendung eines Fotos von: © mim / stock.adobe.com und hvoenok / stock.adobe.com

ISBN 978-3-8392-6914-5

Stammprotagonisten in nahezu jedem Band:

Steinböck (SB): sehr eigenwilliger Hauptkommissar; Leiter des Ermittlungsteams.

Frau Merkel: die Katze, die SB mit ihren nervigen Kommentaren oft zur Verzweiflung bringt

Emil Mayer junior: Kommissar; mittelmäßig pigmentierter Afro-Bayer und Rollstuhlfahrer

Ilona Hasleitner: Kommissarin; Recherche-Genie und Herrin der Butterbrezen

Dr. Thomas Klessel: Leiter der Gerichtsmedizin; zelebriert gerne den Inhalt seines silbernen Flachmanns

Dr. Horst Schmalzl: Psychotherapeut und Gerichtsgutachter, der von Frau Merkels Genialität überzeugt ist (Katze!!)

Dr. Nepomuk Sanghäusel: Staatsanwalt

Peter Obstler: Informant; SBs Freund und direkter Draht zur Münchner Unterwelt

Bernulf Valentin Schwäble: Polizeibeamter in der Mord kommission

Ferdel Bruchmayer: schleimiger Staatssekretär und SBs Intimfeind

Sabine Husup: nervige und neugierige Lokalreporterin

Lotta Nilson: neue Leiterin der Mordkommission

Schneehofer: Kommissar; Pforte und Information

Tamara: Kantinenchefin und heimliche Herrscherin des Kommissariats

Der Berliner: Besitzer eines Imbisswagens vor dem Revier

Veronika: Steinböcks neue Nachbarin

Harti Kleverlä: alias Sokrates; Isarphilosoph

Phan Lan Huong: IT-Genie und illegale Reinigungskraft im Dezernat

Wichtige Personen in diesem Band:

Candida Hinksel, Putzi: Reporterin und Freundin von Sabine Husup

Dago Pfalzer: durchgeknallter Fernsehkoch und Besitzer des Sternerestaurants Safran

Johann Kerbel: sein Kompagnon

Marcel Zamsa und Dr. Mabuse: zwielichtige Gestalten aus der Organmafia

Elena Mocanu: junge Moldawierin

Prolog

Eigentlich hatte er den Jakobsweg zusammen mit seiner Schwester gehen wollen. Seit Jahren hatten sie darüber gesprochen, genau genommen seit dem Tod ihrer Eltern. Aber jetzt war alles ganz anders gekommen.

Traurig und doch von einer ungeheuren inneren Ruhe erfüllt blickte er auf den Atlantik. Für Lissy und ihn hatte von Anfang kein Zweifel daran bestanden, dass sie den Camino del Norte nehmen würden. Der Küstenweg entlang des Atlantischen Ozeans war längst nicht so stark frequentiert wie der Camino Francés. Nur hatte er nicht damit gerechnet, dass er ohne sie gehen würde. Egal, er hatte an Lissys Sterbebett versprochen, das gemeinsame Vorhaben auch ohne sie umzusetzen, und er hatte es noch keinen Tag bereut, alleine unterwegs zu sein. Wirklich alleine war man auf diesem Pilgerweg ohnehin nie. Schmunzelnd dachte er an die beiden verrückten Münchnerinnen, die gestern Abend in der Herberge die Gäste unterhalten hatten.

Das glitzernde Meer schmerzte in seinen Augen. Er kniff sie zusammen und ein paar Tränen rollten an seinen Wangen hinunter. Tränen, deren Ursprung nicht unbedingt die gleißende Sonne war.

Er erinnerte sich an den sonnigen Augusttag, an dem seine Schwester gestorben war. Bis zum letzten Moment hatten sie gehofft. Das Schreckliche war, dass er ihr nicht hatte helfen können.

»Geh den Jakobsweg für uns zwei«, hatte sie geflüstert, und dann war sie mit einem Lächeln gestorben.

Er wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht. Bevor er sich mit den Füßen näher an den Abgrund tastete, streifte er den Rucksack von seinen Schultern, stellte ihn hinter sich in eine Felsnische und blickte auf die unter ihm vorbeiziehende Küstenstraße hinab. Mehrere Hundert Meter weiter westlich, auf einem Felsvorsprung, entdeckte er die beiden Münchnerinnen, die vermutlich wegen ihres ausgiebigen Rotweingenusses am Vorabend auch noch nicht weiter gekommen waren. Er selbst hatte die Etappe erst gegen 11 Uhr begonnen. Der Wind nahm, wie immer um diese Tageszeit, an Stärke zu. Sicherheitshalber zog er mit beiden Händen den Hut fester in die Stirn.

»Ein schöner Tag«, sagte ein Mann in dunklem Anorak und Basecap, der unbemerkt neben ihn getreten war.

»Ein wunderschöner Tag«, antwortete er und versuchte vergeblich, dessen Gesicht zu erkennen. Die Stimme kam ihm bekannt vor.

Der Fremde zog sein Smartphone aus der Tasche und machte ein Foto von Strand und Meer. Er blickte aufmerksam auf das Display und fuhr mit dem Finger geschickt darüber hinweg. »Schönes Foto«, stellte er fest und steckte das Handy in die Jackentasche zurück.

Dann trat der Mann einen Schritt zurück und stieß ihn mit beiden Händen den Abhang hinunter.

»Du hättest dabeibleiben sollen«, hörte er noch. In diesem Moment erkannte er seinen Mörder. Mein Gott, warum macht er das, war sein letzter Gedanke, bevor er unten aufschlug.

Dienstag

Kommissar Steinböck hatte seine beiden Kollegen Ilona Hasleitner und Emil Mayer junior vorzeitig nach Hause geschickt. Die Berichte zum letzten Fall hatten sie abgeschlossen und übers Wochenende war kein neuer Mord dazugekommen.

»Man könnte fast glauben, du fühlst dich nicht wohl, wenn Klessel keine Leiche auf dem Seziertisch hat«, lästerte Frau Merkel und formte einen ausgiebigen Buckel, um sich anschließend wieder zusammenzurollen.

Der Kommissar musterte die Katze und versuchte sich an die Zeit zurückzuerinnern, bevor sie in sein Leben getreten war. »Getreten« war natürlich der falsche Ausdruck. Sie hatte sich in sein Leben geschlichen und dann peu à peu in allen Bereichen breitgemacht. Kaum ein Abend, an dem sie sich nicht ums Fernsehprogramm stritten. Ihre ständigen Nörgeleien über seinen Bauch und seine extravaganten Boxershorts prallten zwar an ihm ab, aber trotzdem hatte es die Katze geschafft, dass sein Liebesleben momentan gegen null driftete. Selbst im Büro war sie dabei, und am liebsten streunte sie durch die Gerichtsmedizin, um Dr. Thomas Klessel bei der Arbeit zuzusehen.

»Maul nicht rum, dann kommen wir heut früher heim. Ich kann’s mir im Wintergarten bequem machen und du kannst auf deinem blöden Youtube-Kanal rumzappen.«

»Ich hör immer ›früher‹? Es ist schon nach 18 Uhr. Okay, lass uns verschwinden«, antwortete Frau Merkel und sprang von der Fensterbank.

»Mei, hast du’s aber eilig«, brummte Steinböck und klappte die Akte vor sich zu.

Im selben Moment läutete das Telefon.

Mit einem Satz war die Katze auf dem Schreibtisch. »Lass es, ich rieche Unheil«, orakelte sie.

Steinböck blickte auf seine Uhr und griff seufzend nach dem Hörer. Er lauschte kurz, anschließend hielt er mit der Hand die Sprechmuschel zu. »Es ist die Husup«, flüsterte er.

»Du hättest auf mich hören sollen.«

Steinböck winkte ab und wandte sich wieder an seine Anruferin. Sein Gesicht wurde immer missmutiger.

»Gut, in einer Viertelstund. Danach bin ich weg«, beendete er gereizt das Gespräch.

»Und aus dem Nichts sprach das Unheil: ›Lächle und sei froh, ich bin’s nur.‹ Und ich lächelte und war froh, doch dann kam Husup!«, unkte die Katze.

»Jetzt hab dich nicht so, es klang ernst.«

»Wollte sie nicht auf den Jakobsweg gehen?«, fragte Frau Merkel nach.

»Scheinbar ist sie wieder zurück.«

»Schade, das Leben könnt so schön sein.«

»Muss aber nicht«, vollendete der Kommissar grinsend.

Es dauerte tatsächlich nur zehn Minuten, da polterte die kleine Reporterin durch die Tür. Wie jedes Mal ohne anzuklopfen. Den Versuch, die im Vergleich zu ihrer geringen Körpergröße überdimensionierte Handtasche auf Steinböcks Schreibtisch zu wuchten, unterließ sie, als sie seinen strengen Blick bemerkte, und stellte sie auf den Boden.

»Na, Herr Kommissar, haben Sie diese schreckliche Katze immer noch?«, begrüßte sie ihn.

Steinböck musterte die kleine Frau. Wie üblich: Bubikopf-Haarschnitt mit gegelten Haarspitzen und ein viel zu großer Pullover, der ihr fast bis zu den Knien reichte.

»Die Leut im Tierheim nehmen sie nicht mehr zurück, und die Lkws bremsen rechtzeitig.«

Während Sabine Husup hämisch grinste, entschied sich Frau Merkel, die beiden mit Missachtung zu strafen, und rollte sich auf der Fensterbank zusammen. Jetzt wurde das Gesicht der kleinen Reporterin ernst und sie wühlte in ihrer Tasche. Schließlich zog sie eine Mischung aus Tablet und Laptop heraus und deutete mit fragendem Blick in Richtung Steinböcks Schreibtisch.

»Schon gut, solang Sie Ihre Taschen unten lassen«, stimmte er zu.

»Diesen Laptop habe ich heute Morgen mit der Post bekommen.«

Der Kommissar musterte sie fragend.

»Von meiner Freundin.«

»Schreiben Sie Ihre Artikel genauso, wie sie sprechen? Wie wär’s mit ein paar zusammenhängenden Sätzen? Ansonsten überlegen Sie sich, was Sie mir sagen wollen, und kommen morgen wieder«, erwiderte er ungehalten.

»Sorry, also ganz von vorne. Meine Freundin Putzi und ich waren zusammen drei Wochen auf dem Jakobsweg unterwegs. Sie entsinnen sich? Ich hatte Ihnen vor meiner Abreise davon erzählt.«

Steinböck erinnerte sich schwach an das Gespräch und nickte.

»Also, wir sind vor acht Tagen zurückgekommen und haben beschlossen, vorerst Funkstille zu halten.«

»Davon merke ich nichts. Ich frage mich, wie Putzi die drei Wochen mit ihr ausgehalten hat. Vermutlich hat sie sich schon nach zwei Tagen im Gewölbe irgendeiner Herberge erhängt.«

Der Kommissar bedachte die Katze mit einem bösen Blick.

»Umso überraschter war ich, als heute Morgen der Laptop ankam. Von ihr an mich adressiert, aber ansonsten keine Nachricht. Ich hoffte, auf dem PC eine Erklärung zu finden. Leider ist es passwortgeschützt, und bevor ich etwas eingeben konnte, war der Akku leer. Also entschloss ich mich, Putzi anzurufen. Aber ihr Handy ist abgeschaltet. Ich bin zu ihrer Wohnung gefahren. Nichts. Ich wusste, dass ihre Nachbarin einen Schlüssel hat. Es dauerte zwei Stunden, bis ich sie endlich am Telefon hatte.«

»Ich kann nicht erkennen, warum dies ein Fall für die Polizei sein sollte«, unterbrach Steinböck sie ungeduldig.

»Jetzt warten Sie doch ab. Putzis Nachbarin hat mir den Laptop geschickt. Meine Freundin gab ihn ihr letzten Samstag als Päckchen verpackt mit der Bitte, es zur Post zu bringen, wenn sie es bis Montagmorgen nicht wieder abgeholt habe. Ich konnte die Nachbarin davon überzeugen, mit mir zusammen in Putzis Wohnung zu gehen. Alles sah normal aus, aber offensichtlich war sie seit Samstag nicht mehr da gewesen.«

»Und was, denken sie, soll die Polizei unternehmen?«, wollte Steinböck wissen.

»Sie könnten das Handy orten. Ich mach mir wirklich Sorgen. Sie ist eine sehr gewissenhafte Journalistin.«

»Wie bitte? Sie ist auch Reporterin?«

»Sie tun gerade so, als wenn wir Verbrecher wären«, schimpfte Sabine Husup.

»Nahe dran, sehr nahe dran«, meldete sich Frau Merkel.

»Geh, sei doch staad«, brummelte der Kommissar.

»Sprechen Sie etwa mit der Katze?«, mokierte Husup grinsend.

»Soll ich Ihnen jetzt helfen oder wollen Sie mich endgültig vergraulen?«, fragte er genervt. »Was ist mit dem Laptop, ham S’ ihn wieder aufgeladen?«

»Das schon, aber ich kann das Passwort nicht rausfinden. Haben Sie bei der Polizei nicht Spezialisten für so etwas?«, fragte sie kleinlaut.

Steinböck zögerte einen Moment, dann griff er nach seinem Handy, scrollte durch die Kontakte und wählte eine Nummer.

»Servus, Huong, bist du im Haus?« Ein breites Grinsen huschte über sein Gesicht. »Ja, ich bräuchte dich mal. Wenn’s geht, gleich.«

Schmunzelnd legte er das Smartphone beiseite.

»Das mit der Handyortung wird vor morgen früh nichts werden, aber der Spezialist fürs Passwörterknacken ist noch im Revier.«

»Das ist doch nicht möglich, dass ihr für die Handyortung einen halben Tag braucht. Was ist, wenn Gefahr im Verzug ist?«, maulte die kleine Reporterin.

»Von Gefahr im Verzug kann wohl keine Rede sein, nur weil Putzi Ihnen einen Laptop geschickt und seit ein paar Tagen nicht mehr in ihrem Bett geschlafen hat«, konterte Steinböck. Er musterte sie kurz, und wieder fiel ihm ihre ungewöhnliche Ähnlichkeit mit Harry Potter auf.

In diesem Moment klopfte es zaghaft an der Tür, dann betrat Phan Lan Huong den Raum. Ihres Zeichens geniale vietnamesische IT-Spezialistin und zugleich illegale Putzkraft, die nirgendwo sicherer vor Entdeckung durch die Behörden war als inmitten der Münchner Mordkommission. Misstrauisch beäugte die zierliche Asiatin Sabine Husup und stellte zufrieden fest, dass diese nicht größer als sie selbst war.

Huongs Alter war schwer zu schätzen. Die hübsche junge Frau glich nach Steinböcks Einschätzung eher einem 15-jährigen Mädchen, obwohl er wusste, dass sie ein abgeschlossenes Studium als IT-Ingenieurin vorzuweisen hatte.

»Das ist eure IT-Spezialistin?«, fragte Husup zweifelnd. »Ich hab sie hier im Präsidium noch nie gesehen.«

»Sie ist eher meine persönliche Hilfskraft«, antwortete Steinböck verschmitzt. »Huong, ich bräuchte den Zugang zu diesem Laptop.«

»Gerät von Aldi«, bemerkte sie etwas abfällig. »Aber nicht schlecht für diese Preis.«

»Genauso wie das Katzenfutter«, schmunzelte der Kommissar.

»Du hast Katze noch nicht gegessen?« Huong tat überrascht, während sie einen mit bunten Abziehbildern übersäten Laptop aus ihrem Rucksack zog und ihn in Husups Gerät einstöpselte.

»Die Situation beweist eindeutig, dass kleine Frauen, unabhängig von ihrer Herkunft, eine Gefahr für Mensch und Tier darstellen können«, wagte sich Frau Merkel mit einem blöden Spruch aus der Deckung, wohl wissend, dass die junge Vietnamesin sie verstehen konnte.

»Ich habe lecker Rezept von meiner Großmutter. Katze mit viele Knoblauch und Kokosmilch.«

Husup, die das Gespräch zwischen Steinböck und Huong irritiert verfolgte, überlegte für einen Moment, ob sie sich ihren Laptop greifen und das Büro verlassen sollte, entschied sich aber dagegen, als Huong erklärte: »Haben fertig! Neues Passwort: 1,2,3,4.«

»Ist das Programm legal? Völlig wurscht, jedenfalls ist es genial«, stellte die Reporterin bewundernd fest und eilte zum Laptop ihrer Freundin. Nur eine einzige Datei, die mit »Schau genau hin« untertitelt war, thronte in der Mitte des Desktops. Ansonsten schien nichts anderes auf dem Computer gespeichert zu sein. In der Datei fand sie zwei kurze Videosequenzen.

Sabine Husup und ihre Freundin saßen auf einer Holzbank und drehten vor einer gigantischen Kulisse mithilfe eines Handysticks ein kleines Filmchen von sich. Der erste Versuch, mit einem Schwenk das Panorama hinter ihnen aufzunehmen, war erst ziemlich verwackelt. Danach wurde es besser. Schließlich endete die Aufnahme mit fröhlichem Winken der beiden.

Die zweite Sequenz war offenbar eine Vergrößerung aus der ersten. Die Bildqualität war schlecht. Trotzdem waren zwei Personen zu erkennen. Die eine stand an der Klippe und schaute aufs Meer hinaus. Die zweite Person mit einem auffälligen orangefarbenen Basecap näherte sich. Die beiden schienen miteinander zu sprechen. Plötzlich schubste die mit der Mütze die andere. Mit wild rudernden Armen stürzte diese nach unten. In diesem Moment schob sich die überdimensionierte Frisur von Harry Potter vor die Szene und die Aufnahme endete.

»Haben Sie das gesehen, Kommissar Steinböck?«, rief die Reporterin aufgeregt.

»Hab ich«, brummte er und kratzte sich über seinen spärlichen Haarkranz.

»Das ist illegal«, bemerkte Huong trocken, wobei sie das Wort »das« besonders in die Länge zog.

Husup ließ das Filmchen noch einmal abspielen. Zwar war der Ablauf deutlich zu erkennen, aber alles andere war unscharf. Deshalb klickte die Reporterin das Original ein weiteres Mal an. Weil sie jetzt wussten, worauf sie achten mussten, entdeckten sie auch dort den Vorgang.

»Sag mal, Huong, kannst du eine bessere Vergrößerung machen? Bis ich von unseren Experten ein Ergebnis krieg, vergehen bestimmt drei Tag.«

Das Gesicht der hübschen Vietnamesin verzog sich zu einer komischen Grimasse. »Programm hab ich zu Hause.«

»Wo wohnen Sie? Ich bring Sie hin«, drängte Husup aufgekratzt.

»Huong ist illegal. Adresse geheim. Ich mache Kopie und morgen Vormittag bring ich Vergrößerung.«

»Warum erst so spät?«, fragte die Reporterin enttäuscht.

»Huong muss putzen bis 2 Uhr. Dann schlafen. Dann bring ich Vergrößerung.«

Harry Potter seufzte frustriert.

Die Vietnamesin zog die Datei auf ihren Computer und verließ anschließend eilig das Büro. »Viel Arbeit. Polizei machen großen Dreck«, erklärte sie grinsend.

Perplex starrte Husup auf die Bürotür, die Huong hinter sich geschlossen hatte. »Puh, was für eine Frau«, stellte sie fest. »Es muss doch möglich sein, einen Job für sie zu finden.«

»Kein Wunder, dass wir keine Corona-App zustande bringen, wenn die IT-Spezialisten den Dreck von alternden Kommissaren wegräumen müssen«, nörgelte Frau Merkel.

»Ob es für einen Hobbykoch schwierig ist, ›Katze mit viele Knoblauch und Kokosmilch‹ zuzubereiten?«, sinnierte Steinböck.

Husup schüttelte verwirrt den Kopf und ignorierte seine letzte Frage. »Warum putzt sie hier im Polizeirevier?«, wollte sie ihrerseits wissen.

»Weil hier keiner nach ihr sucht. Sie hat in Kürze einen Termin für ein Gespräch in der deutschen Botschaft in Hanoi.«

»Warum ist sie dann schon hier?«

»Der Gesprächstermin in der Botschaft steht seit über einem Jahr fest.«

»Das glaub ich nicht! Zwölf Monate, nur um vorzusprechen?«

»Es sind sogar 13. Aber jetzt zu Ihrer Aufnahme, Sie kennen das Gebiet dort. Wie tief ist die Person gefallen? Könnte sie den Sturz überlebt haben?«

Die Reporterin überlegte kurz. »Kaum, das sind mindestens 30 Meter bis zum Strand runter, und der ist mit Felsen übersät.«

»Glauben Sie, dass Ihre Freundin zurück nach Spanien gereist ist?«

»Das ist sehr gut möglich.«

»Warum hat sie Sie nicht informiert?«

»Warum?« Husup lachte schrill auf. »Sie wittert bestimmt eine Story. Ich hätte sie auch nicht informiert.«

»So wie es aussieht, handelt es sich hier um Mord. Könnte es sein, dass Ihre Kollegin eine oder vielleicht sogar beide Personen kennt?« Steinböck bemerkte, dass Sabine Husup unsicher wurde.

»Nein, aber die Aufnahme ist auch sehr unscharf. Hier ist übrigens ein aktuelles Foto von Putzi. Sie heißt Candida Hinksel.«

»Okay, da ist ›Putzi‹ die bessere Variante«, frotzelte die Katze.

Steinböck hatte das Gefühl, dass Sabine Husup ihm etwas verschwieg.

»Wann haben Sie diese Aufnahme gemacht?«

»Am vorletzten Samstag, einen Tag vor unserer Abreise.«

»Gut. Wir sehen uns morgen Vormittag wieder. Bis dahin werden wir auch eine Handyortung haben«, beendete er unerwartet das Gespräch.

Es schien, als wolle Husup noch etwas sagen. Sie entschied sich aber anders und griff nach ihrer Tasche.

Steinböck legte seine Hand auf den Laptop und schüttelte den Kopf, als sie danach greifen wollte.

»Das ist ein Beweisstück eines möglichen Verbrechens und bleibt vorerst bei uns.«

»Von mir aus«, murrte sie. »Aber morgen um 11 Uhr bin ich wieder hier.«

»Ich freu mich schon«, sagte der Kommissar spöttisch.

Nachdem Husup das Büro verlassen hatte, setzte er sich zurück vor den Laptop und ließ die beiden Videoaufnahmen mehrmals ablaufen.

»Schöne Landschaft«, bemerkte die Katze, die sich inzwischen auf dem Schreibtisch neben dem Laptop niedergelassen hatte.

»So viel Meer.«

»Mmhh«, brummte Steinböck.

»Ich glaube, ich sollte den Jakobsweg auch einmal gehen.«

Jetzt hatte sie es doch geschafft, ihn aus der Reserve zu locken.

»Du, den Jakobsweg?«, fragte er verdattert.

»Warum nicht? Ein bisschen Abwechslung täte mir gut. Und ein interessantes Studienobjekt wäre es obendrein.«

»Wieso?«

»Na, all die Pilger. Das ist so ähnlich wie der Zug der Lemminge. Wie sie sich von allen Richtungen auf Santiago de Compostela zubewegen. Nur mit dem Unterschied, dass sie sich nicht ins Meer stürzen.«

»Bis auf unser Opfer hier.«

»Na ja, freiwillig ist der nicht gesprungen«, bemerkte Frau Merkel lapidar.

»Und wann möchtest du den Jakobsweg gehen?«, fragte Steinböck süffisant, während er Putzis Laptop zuklappte.

»Wann hast du Zeit?«

»Du willst mich mitnehmen?«

»Aber hör mal, nur wegen dir würde ich das auf mich nehmen. Ein bisschen Meditation wird dir sicher guttun. Und denk an deinen Bauch. Er scheint langsam außer Kontrolle zu geraten.«

Mittwoch

Als Steinböck am Morgen aus dem Bett stieg, fühlte er sich endlich mal wieder ausgeschlafen. Im Gegensatz zu Frau Merkel, die noch zusammengerollt am Fußende lag, war er früh zu Bett gegangen. Die Katze war besessen von der Idee, mit ihm zusammen den Jakobsweg zu gehen. Er hatte sich vehement dagegen gewehrt, Hape Kerkelings »Ich bin dann mal weg« als E-Book zu bestellen. Dafür hatte sie sich den ganzen Abend Youtube-Filmchen über das Thema reingezogen. Genervt hatte er sich ins Bett verkrochen und lobte sich jetzt selbst für diesen weisen Entschluss.

Als er aus dem Bad zurückkam, schlief Frau Merkel immer noch. Er warf seinen Schlafanzug nach ihr.

»Auf geht’s, Saukatz, geh den Emil wecken und frag ihn, ob er einen Kaffee will. Ab morgen ist er für fünf Tage weg.«

Frau Merkel schlüpfte missmutig und überraschenderweise schweigend durch die Katzenklappe nach draußen. Seitdem Mayer vorübergehend in der Nachbarwohnung wohnte, war es üblich, dass die Katze ihn am Morgen zum ersten Kaffee abholte. Steinböck verschwand in der Küche und bereitete zwei Tassen vor. Da der Kühlschrank wieder mal leer war, blieben nur ein paar Scheiben Knäckebrot. Die hatte er dummerweise in einer Plastiktüte aufbewahrt. Dadurch waren sie alles anders als »knäcke«, und so entschloss er sich, sie gleich zu entsorgen, bevor er sich wieder den blöden Kommentaren der Katze aussetzen musste. Zudem war er sich sicher, dass seine junge Kollegin Ilona Hasleitner im Büro frische Butterbrezen vorbereitet hatte.

Er brachte den Kaffee in den Wintergarten und stellte ihn dort auf dem Korbtisch ab. Während er sich eine Zigarette drehte, gönnte er der Marihuanapflanze einen Blick. Er war stolz darauf, dass er es immer wieder schaffte, aus ein paar Samen ein solch imposantes Gewächs zu ziehen. Natürlich tat er dies nicht zum Eigengebrauch, sondern aus Reminiszenz an seine Vormieterin Maxi Müller, die er unglücklicherweise des Mordes überführt hatte und die nun für mehrere Jahre in der JVA wohnte.

»Morgen, Chef«, begrüßte ihn sein Kollege Emil Mayer junior und steuerte den Rollstuhl geschickt durch die Wintergartentür. Auf seinen Oberschenkeln hatte er einen Basketball liegen. Mayer, Mitte 30, war Nachfahre eines sogenannten Besatzerkindes. Sein Großvater, ein dunkelhäutiger amerikanischer GI, der in Landsberg stationiert gewesen war, hatte Emils Großmutter Ende der 50er-Jahre seinen Vater Mayer senior hinterlassen und war dann unauffindbar über den Großen Teich verschwunden. Zumindest nicht die schlechtesten Gene. Emil war ein hervorragender Ermittler und Rollstuhlbasketballer. Seitdem ihm ein Unbekannter bei einem Einsatz in den Rücken geschossen hatte, saß er im Rollstuhl.

»Emil Mayer junior, mittelmäßig pigmentierter Afrobayer, der aufgrund einer körperlichen Verletzung auf ein Fahrzeug angewiesen und 60er-Fan ist, meldet sich für eine Woche ab.«

»Wie du dich früher vorg’stellt hast, hat mir besser g’fallen«, brummte Steinböck.

»Mir auch, aber du weißt ja: politisch völlig unkorrekt.« Emil verzog sein Gesicht zu einem spöttischen Grinsen. Er griff nach seinem Kaffee, nahm einen Schluck und sagte: »Was ist mit der Katz? Die ist a bisserl komisch. Sie wollt heut nicht mit mir Rolli fahren.«

»Seit gestern spinnt sie. Ich glaub, sie will den Jakobsweg gehen.«

Mayer junior sah seinen Chef mitleidig an. »Du redst also tatsächlich mit der Katz?«

»Ach Schmarrn, ich hab dir schon oft genug g’sagt, dass ich ned mit dem Viech reden kann. Des ist bloß a Spaß mit dem Jakobsweg, weil mir gestern die Husup mit so einer mysteriösen Geschichte gekommen ist.«

»Der Harry Potter war gestern da?«

Steinböck nickte, nahm einen Schluck Kaffee und erzählte Emil, was am Tag zuvor passiert war.

»Und was willst du jetzt machen? Wirst du dich mit den spanischen Kollegen in Verbindung setzen? Des ist ja eigentlich nicht unser Fall«, resümierte Mayer junior.

»Ich wart noch auf die Vergrößerung von der Huong, und dann nehm ich mir die Husup noch mal zur Brust. Die weiß mehr, als sie gesagt hat«, erklärte Steinböck. »Aber nun zu dir. Was ist des für ein Turnier, wegen dem du dir die nächsten fünf Tage freig’nommen hast?«

»Olympia-Vorbereitung. Ein Sechsländerturnier.«

»Wann habts ihr euer erstes Spiel?«

»Heut um 17.30 Uhr. Hier sind fünf Eintrittskarten. Ich erwarte dich und vier Kollegen zum Anfeuern. Da ist die Katz nicht mitgerechnet.«

»Ehrensache, wir sind da. Hab ich alles schon organisiert«, beteuerte Steinböck.

Emil blickte ihn skeptisch an und murmelte: »Da bin ich aber g’spannt.«

*

»Guten Morgen, Frau Kommissarin«, begrüßte Steinböck Ilona Hasleitner schmunzelnd, als er das gemeinsame Büro betrat.

»Geh, Chef, sei ned so a Kindskopf, sonst musst dir in Zukunft deine Butterbrezen selber machen«, schimpfte sie.

»Na, lieber ned, dann bleiben wir bei Frau Sklavin.«

»Mei, bist du heut deppert.« Ilona versuchte ernst zu sein, konnte sich aber ein Lächeln nicht verkneifen. Vor zwei Wochen hatte Ilona Hasleitner ihre Ausbildung mit Auszeichnung abgeschlossen und war jetzt Kommissarin. Steinböck und Mayer junior waren mächtig stolz auf sie, und den Abwerbungsversuch von der Sitte haben sich beide entschieden verbeten.

»Apropos Butterbrezen – mein Kühlschrank ist schmutzleer, und der Emil hat auch nichts g’habt.«

»Steht schon auf deinem Schreibtisch. Übrigens, was ist des für ein Laptop?«, fragte Hasleitner neugierig.

»Schau’s dir mal an«, forderte er sie auf. »Passwort: 1,2,3,4.«

»Aha, war die Huong wieder da.« Ilona lächelte verschmitzt und klappte das Gerät auf.

Nach kurzer Zeit rief sie erstaunt: »Des ist doch die Husup! Und die andere hab ich auch schon mal gesehen. Da passiert irgendetwas im Hintergrund.«

»Du bist halt die G’scheidste von uns. Auf dem zweiten Film ist der Hintergrund vergrößert.«

»Sappralott, der springt aber nicht von selbst.«

Während Steinböck sich einen Latte macchiato machte, erklärte er ihr kurz, was gestern Abend vorgefallen war.

»Dann können wir nur hoffen, dass Huong vor der Husup kommt, sonst geht uns Harry Potter gehörig auf den Senkel«, kommentierte Hasleitner die Ausführungen ihres Chefs.

»Können wir nicht beide aussperren?«

»Du, Ilona, auf meinem Tisch liegt die Handynummer von Husups Freundin. Lass eine Ortung durchführen. Gefahr im Verzug. Die Kollegen sollen Gas geben.«

»Jawohl, mein General«, antwortete sie zackig.

»Passt schon, Eure Hoheit hätt auch gereicht. Du denkst dran, heut Nachmittag spielt unser Kollege. Ich hab hier vier Karten übrig, die verteilt werden müssen.«

»Da musst dich selbst drum kümmern, der Emil hat die Karten schließlich dir gegeben«, stellte sie fest und verschwand mit der Handynummer aus dem Büro.

»Von wegen ›mein General‹. Wenn man sie braucht, dann desertieren sie«, schimpfte er.

»Wie wär’s mit Peter Obstler?«, überlegte die Katze.

»An den hab ich auch schon gedacht«, erwiderte Steinböck und kramte sein Handy heraus. »Mist, er geht nicht hin«, stellte er nach einer Weile fest.

»Versuch’s bei Horsti. Wenn er seinen Köter mitbringt, wären’s schon zwei.«

»Tiere zählen nicht, hat der Emil gesagt. Und außerdem, wie sollen wir den Dackel in die Halle kriegen?«

»So wie immer, Drogenhund et cetera.«

»Sag mal, wieso kümmert dich des überhaupt?«

»Na, entschuldige mal. Es geht um meinen schwarzen Bruder. Das bin ich ihm schuldig«, schnurrte Frau Merkel entrüstet.

In diesem Moment klopfte es leise an die Tür.

»Guten Morgen, Kommissar Steinböck«, grüßte Phan Lan Huong in perfektem Deutsch.

»Mensch, Huong, schön, dass du schon da bist.« Er stand auf und führte sie zum Schreibtisch. »Und, hat’s geklappt?«

Die junge Frau sah ihn abschätzig an und erwiderte: »Huong Spezialistin.«

»Wie kommt’s, dass du so früh hier bist?«

»Huong hat kein Frühstück und wenig schlafen.«

»Mensch, Madel, ich kann dir eine Butterbrezen und einen Kaffee anbieten.«

Erst schaute sie skeptisch, dann nickte sie. »Buttelblezel ist gut. Cappuccino mit viel Zucker.«

»Hier die Buttelblezel, und der Cappuccino kommt sofort.«

»Kommissar Schelzkeksel. Aber Buttelblezel verdammt schweres Wort«, feixte sie und biss hungrig in die Brezen.

Steinböck beobachtete sie aus den Augenwinkeln und wagte es nicht, sie zu unterbrechen. Die Katze hatte sich sicherheitshalber auf die Fensterbank zurückgezogen und musterte sie misstrauisch. Huong genoss ihr kleines Frühstück. Schließlich wischte sie sich mit einem weißen Taschentuch den Mund und die Finger ab. Dann öffnete sie ihren Laptop und spielte einen Film ab. Ins Original hatte sie an passender Stelle die Vergrößerungen eingeschnitten.

Ganz eindeutig stieß die eine Person die andere, offensichtlich einen Mann, nach unten. Das Gesicht der Person, die den Stoß gab, war nicht zu erkennen. Sie trug eine blaue Windjacke und hatte ein Basecap dicht in die Stirn gezogen. Die Gesichtszüge des Mannes hingegen sah man deutlich. Er kam Steinböck bekannt vor. Beide sprachen kurz miteinander, bevor die Person mit der Kappe zustieß.

»Schade, dass man das Gesicht des Mörders nicht sieht«, brummte Steinböck.

»Warum Mörder? Vielleicht auch Mörderin. Viele große Frauen in Europa«, warf Huong ein.

»Du hast recht. Es könnte genauso gut eine Frau sein. Mal schauen, was die Husup dazu sagt. Kannst du mir alles auf diesen USB-Stick ziehen?«

Die Vietnamesin nickte, fertigte eine Kopie an und reichte den Stick dem Kommissar zurück.

»So, Huong muss weiter. Bisschen kochen, bisschen schlafen, dann wieder Arbeit.«

»Was gibt’s denn heut?«

»Katze«, sagte sie mit breitem Grinsen.

»Gibt’s die beim Aldi?«, stieg Steinböck sofort ein.

»Nix Aldi, selbst fangen«, konterte sie und blickte zu Frau Merkel.

»Ich dank dir vielmals. Wenn du Hilfe brauchst, kommst du zu mir.«

»Du mir schon geholfen mit schnellem Termin in Botschaft. Nächstes Mal bringt Huong Rezept von Großmutter«, feixte sie, verstaute ihren Laptop und verschwand durch die Tür.

»Ich finde diesen Running Gag mit dem Rezept ihrer Großmutter äußerst peinlich«, lästerte Frau Merkel und sprang vom sicheren Fensterbrett auf Steinböcks Schreibtisch.

»Beschwer dich doch beim Autor.«

»Dem würde ich zutrauen, dass er Katzen isst.«

»Dann sei froh, dass du immer noch dabei bist«, erwiderte der Kommissar trocken.

Ein weiterer Disput wurde durch Hasleitners Rückkehr beendet.

»Hier geht’s zu wie im Taubenschlag«, stellte sie fest. »An der Pforte hab ich die Husup gesehen, und eben auf dem Gang ist mir Huong begegnet.«

»Da handelt es sich wohl eher um Zwergtauben.« Die Katze zeigte schon wieder Oberwasser.

»Hast du was über das Handy rausgefunden?«, wollte Steinböck wissen.

Hasleitner reichte ihm ein Blatt. »Und ob. Ist das die Bearbeitung von Huong?«, fragte sie und deutete auf Steinböcks Bildschirm.

Der Kommissar nickte und studierte währenddessen den Inhalt der Telefonliste.

»Den kenn ich«, rief Ilona, als sie den Streifen ablaufen ließ. »Des ist doch einer von diesen Sterneköchen.«

»Woher kennst du den?«

»Frau liest halt Zeitung«, grinste Ilona und deutete auf die Tür.

Wie immer stürmte Husup das Büro, als gehöre es ihr.

»Tag, Frau Hasleitner, hab gehört, Sie sind jetzt Kommissarin? Meinen Glückwunsch. Und, Steinböck, was hat Ihre IT-Spezialistin herausgefunden?«

»Trotz allem ein herzliches Grüß Gott. Bevor ich Ihnen des Filmchen zeige, unterhalten wir uns erst einmal.«

»Was soll das?« Die Reporterin war sichtlich aufgebracht. »Sie haben’s versprochen.«

»Nix hab ich versprochen. Sie haben doch einen Verdacht, wer der Mann ist, der die Klippe hinuntergestoßen wird!«

»Warum sollte ich? Ich hab den Film nur zweimal gesehen.«

»Lügen S’ mich nicht an«, knurrte Steinböck erbost. »Ich hab eine Nasen dafür, wenn mich jemand anschwindelt. Also, wen glauben Sie erkannt zu haben?«

»Es könnte der Johann Kerbel sein, aber ich bin mir nicht sicher.« Jetzt war Harry Potter bereits bedeutend kleinlauter.

»Und wer ist Johann Kerbel?«, hakte der Kommissar nach.

»Ein bekannter Münchner Sternekoch.«

Steinböcks Blick schweifte zu seiner Kollegin hinüber, die bestätigend nickte.

»Wie kommen Sie darauf? Auf Putzis Vergrößerung konnte man niemanden erkennen.«

»Na ja, wir haben den Kerbel am Abend vorher in unserer Herberge getroffen. Er war auf demselben Weg unterwegs wie Putzi und ich. Am nächsten Tag haben wir ihn von einem Aussichtspunkt aus gesehen. Er war etwa einen halben Kilometer hinter uns.«

»Hatten Sie mit ihm an jenem Abend gesprochen?«

»Wir haben nur ein paar Worte gewechselt. Er machte den Eindruck, als wenn er allein gelassen werden wollte.«

»Nichts, was darauf hindeutete, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte?«, bohrte er weiter.

»Nein, ich sagte ja, er war sehr kurz angebunden«, antwortete Husup genervt.

»Okay, schauen Sie sich die Vergrößerung an.«

Husup drückte ihre Harry-Potter-Brille mit dem Zeigefinger gegen den Nasenrücken und sah gespannt auf den Bildschirm.

»Ja, definitiv, das ist er. Johann Kerbel. Konnten Sie Putzis Telefon orten?«

»Sie geben wohl nie auf!« Steinböck schüttelte den Kopf und griff sich die Telefonliste. »Offenbar ist ihre Freundin Putzi letzte Woche noch mal nach Spanien geflogen. Wo sie sich dort aufgehalten hat, können wir nicht sagen. Dazu fehlen uns die Daten der spanischen Telefongesellschaft. Sicher ist, dass sie vor zwei Tagen wieder in München gelandet ist. Sie war am Flughafen eingeloggt und ebenso für mehrere Stunden in der Nähe ihrer Wohnung. Also war sie zu Hause. Anschließend hat sie eine Nummer angerufen. Eine Prepaid-Nummer, die auf einen Münchner Arzt angemeldet ist. Sie hat viermal versucht, ihn zu erreichen. Dessen Handy war zu diesem Zeitpunkt auf Mallorca eingeloggt. Eine Stunde später wurde sie von einem nicht registrierten Prepaid-Handy angerufen. Seitdem sind diese und ihre Nummer vom Netz genommen.«

»Wir müssen was unternehmen, Herr Kommissar«, jammerte die kleine Reporterin. Dabei wurde ihr Hals immer länger, um einen Blick auf Steinböcks Liste werfen zu können.

»Sie müssen gar nichts. Sie halten schön die Füße still. Wir werden uns bei den Kollegen in Spanien erkundigen und in Kerbels Umfeld in München. Machen Sie bloß nichts auf eigene Faust. Noch weiß hier keiner, dass Kerbel vermutlich tot ist.«

»Außer seinem Mörder«, warf Husup ein.

»Außer seinem Mörder«, bestätigte Steinböck. »Und der oder die ist höchstwahrscheinlich in Spanien.«

»Und wenn er hier in München ist?«

»Dann werden wir das hoffentlich rauskriegen. Und jetzt: Hasta la vista bis in frühestens zwei Tagen. Putzis Laptop bleibt hier. Ich möchte das Filmchen morgen nicht auf Facebook oder einer anderen Internet-Plattform sehen.«

»Wofür halten Sie mich?«, brauste Harry Potter entrüstet auf.

Steinböck grinste und schob sie freundlich, aber bestimmt zur Tür. »Bis übermorgen, Frau Husup.« Als er die Tür hinter ihr geschlossen hatte, wandte er sich seiner Kollegin zu. »Was weißt du über den Kerbel?«

*