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Leonard Zacharias Samuel Schmidtke, kurz Leo, bildhübsche, knackige aber noch unschuldige 21 Jahre alt, trifft bei seinem ersten Ausflug in das schwule Nachtleben auf Gabriel – dem Teufel in Engelskostüm.Es trifft ihn wie ein Blitz aus Heiterem Himmel und er verliebt sich augenblicklich in ihn.Als Leo bei seinem zweiten Besuch im „Fake“ seiner Freundin Nettie den Blonden zeigen will, lernen sie Tim und Tom kennen. Und trotz der eindringlichen Warnung des Pärchens kann Leo die Augen nicht von seinem auserkorenen Engel lassen.Es kommt, wie es kommen muss. Leo wird von Gabriel verletzt.Schmerzhaft muss er feststellen, dass nicht alles mit einem Engelsnamen und einer Engelsgestalt auch ein himmlisches Wesen ist.Und so versucht er, ihn zu vergessen.Doch auch ein Kurzurlaub mit Torben schafft es nicht, ihn aus seinem Kopf zu vertreiben.Und aus seinem Herzen schon gar nicht.Irgendwann kommt es bei den beiden zu einer Aussprache und sie beschließen, Freunde zu werden.Es fällt Leo jedoch schwer, einfach nur so mit Gabriel befreundet zu sein.Ein Essen beim Chinesen mit Glückskeksen zum Nachtisch geht Leo nicht mehr aus dem Kopf. Was soll er von dem Keksspruch denken und vor allen Dingen von Gabriels Verhalten?Als sein ganzes Gefühlschaos seinen Höhepunkt erreicht, setzt Leo sich in den nächsten Zug und nimmt Reißaus. Auch bei seinen Großeltern findet er nicht den nötigen Abstand und stürzt sich ins Kölner Nachtleben.Was fatale Folgen haben soll!Unverhofft erhält Leo jedoch Hilfe von einer Person, von der er es nie im Leben erwartet hätte!
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Seitenzahl: 368
Veröffentlichungsjahr: 2012
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Originalausgabe, Frühjahr 2012
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages
Rechtschreibung nach Duden, 24. Auflage
Das Modell auf dem Coverfoto steht in keinen Zusammenhang mit dem Inhalt des Buches und der Inhalt des Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Modells aus.
Coverfoto: http://www.jupiterimages.com/
Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik-Designer AGD, Hamburg
www.olafwelling.de
E-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH
Printed in Scandinavia
Printausgabe: ISBN 978-3-8636-092-0
e-pub: ISBN 978-3-8636-093-7
PDF: ISBN 978-3-8636-094-4
PRC: ISBN 978-3-8636-095-1
A. Bauer
Glückskekse
Nebel umhüllt die in der Dunkelheit tanzenden Leiber. Und auch die grellen Lichtblitze, die immer wieder im Takt des schnellen und harten Beats der Musik aufzucken, lassen kaum jemanden erkennen. Vorsichtig, aber zielsicher bahnt sich der junge Mann, der an seiner Hand seine Freundin hält, den Weg zum Tresen. Lässt dabei immer wieder seinen Blick durch die Menge schweifen, wenn er denn was sehen kann. Allerdings weiß er ganz genau, wo sich der Mensch, der sich am letzten Wochenende sein Herz gestohlen hat, befindet.
Flashback
Das erste Mal befindet er sich in solch einem Club. Ängstlich und dennoch aufmerksam sieht er sich um. Bis sein Blick auf diese eine Person fällt, die ihm wie ein Engel vorkommt. Und seit dem ist es um ihn geschehen.
Flashback Ende
„Nun zieh doch nicht so, Leo“, schnauzt Nettie ihren Freund an.
„Dann bleib doch nicht immer stehen und guck dir die Kerle an“, rufe ich fröhlich gegen die laute Musik an. „Als wenn du nicht an einem genug hast“, griene ich meine Freundin frech an, bleibe dann allerdings am Tresen stehen. „Was möchtest du trinken?“
„Erst mal nur ein Wasser. Denn so wie es hier aussieht, brauch ich mir die Männer nicht wirklich schön saufen“, lacht sie und lässt ihren Blick anerkennend schweifen.
„Ne meine Süße, schön sicher nicht, aber vielleicht Hetero. Du weißt schon, dass wir in einem Schwulenclub sind, oder?“, feixe ich und kann mir gerade noch ein Lachen verkneifen, als ich das bedröppelte Gesicht meiner besten Freundin sieht.
„Das hab ich fast vergessen“, seufzt sie schwer leidend auf. „Die sehen alle so normal aus.“ Als sie allerdings zur Seite sieht, steht ein hemmungslos knutschendes Paar neben ihr. Zwei Männer wohlgemerkt. „Upsi!“
„Ich weiß nicht, ob ich jetzt beleidigt sein soll, aber wir Schwulen sind normal“, stelle ich ernst fest.
„Weiß ich doch, Schatz. Aber ich muss mich erst einmal daran gewöhnen, dass mein bester Freund auf einmal zum anderen Ufer übergelaufen ist. Es ist noch nicht ganz so lange her, da waren wir beide noch ein Pärchen. Wenn du dich daran überhaupt noch erinnern kannst.“
„Sicher kann ich das, Nettie. Wenn ich so zurück denke“, überlege ich laut, „dann ist das doch schon über drei Jahre her. Und auch wenn die Zeit mit dir sehr schön war, so hat mir doch immer irgendetwas gefehlt. Trotzdem bin ich jetzt sehr froh, dass wir beide immer noch die besten Freunde sind. Und ich hoffe, daran wird sich nie etwas ändern“, meine ich ganz ehrlich und ziehe meine allerbeste Freundin, die ich schon aus dem Kindergarten kenne, in eine feste Umarmung, was unsere Tresennachbarn zu dem Kommentar, dass wir hier in einem Schwulenclub sind, ablässt.
Die Bemerkung lässt mich ein wenig übermütig werden. Kurzerhand verwickle ich Nettie in einen heftigen Zungenkuss, nur um dann die beiden anzusehen und provozierend zu sagen: „Ich dachte, wir Schwulen sind so tolerant? Da wird ich doch wohl mal meine beste Freundin küssen dürfen, oder?“
Verwundert sehen die beiden erst Nettie und dann mich an. „Ehm, ja sicher“, antwortet der Kleinere der beiden. „Du sagst, wir Schwulen. Soll das heißen, dass du auch eher dem männlichen Geschlecht zusagst?“, will jetzt der Größere wissen.
„Genau“, antworte ich kurz und knapp, füge allerdings ein, „jeder braucht doch einen besten Freund oder eine beste Freundin. Mit wem soll man sich sonst über die süßen Jungs hier unterhalten?“, grinsend hinzu.
„Eigentlich hast du ja recht. Also, wenn du mal jemand anderen zum reden brauchst, ich heiße Tim“, sagt der Kleine lächelnd und hält mir seine Hand hin, „ und das hier ist meine bessere Hälfte Tom.“
„Danke, Schatz, für die bessere Hälfte“, flüstert er seinem Freund zu, um mir kurz darauf ebenfalls die Hand hinzuhalten. „Tom, freut mich. Und mit wem haben wir das vergnügen?“
„Das hier ist meine Nettie“, zeige ich lächelnd auf sie, während ich in die mir dargebotene Hand einschlage, „und mein Name ist Leonard Zacharias Samuel Schmidtke. Ihr könnt mich aber Leo nennen. Machen alle so. Außer …“ Weiter komme ich jedoch nicht, weil Nettie mir ins Wort fällt.
„Außer er verzapft irgendwelchen Mist. Denn dann wird er von seinen Eltern und auch von mir mit vollständigem Namen gerufen“, grinst sie und begrüßt Tim und Tom ebenfalls.
„Na, dann wissen wir ja Bescheid“, lachen die beiden. „Und? Hast du dir schon einen ausgesucht?“, will Tim wissen.
„Hat er“, kann Nettie schneller als ich antworten, „deshalb bin ich heute nämlich hier. Er hat letzte Woche hier seinen Engel, wie er die vergangenen sieben Tage immer wieder erwähnte, gesehen und den will er mir heute zeigen.“
„Uh, einen Engel? Und … ist er heute hier? Hast du ihn schon gesehen?“, fragt Tim wieder und mir fällt auf, dass er wohl derjenige ist, der in der Beziehung das Sagen hat. Auf jeden Fall verbal.
„Noch nicht. Aber ich hab ja auch noch nicht wirklich Zeit dazu gehabt.“ Und während ich mich weiter mit den anderen unterhalte, lasse ich meinen Blick über die tanzende Menge schweifen. Es dauert einen Augenblick, doch dann kann ich ihn endlich ausmachen.
Auf einem Podest bewegt er sich anmutig zur Musik und die knappe weiße Shorts und das ebenfalls weiße, bauchfreie Muskelshirt lassen mehr von seiner leicht gebräunten Haut sehen, als sie verbergen können. Sein fast schulterlanges blondes Haar hat er zu einem lockeren Zopf zusammen gebunden. Einzelne Strähnen, die er fast verzweifelt wieder und wieder hinter seine Ohren streicht, fallen ihm ins Gesicht. Ich kann meinen Blick nicht von ihm lassen, bis meine Freundin mir unsanft ihren Ellenbogen in die Seite rammt.
„Hey, sag mal, spinnst du?“, fauche ich sie an und streiche mir beleidigt über die schmerzenden Rippen.
„Du sabberst“, keift sie zurück. „Und das da oben ist dein Engel?“, will sie wissen und als ich ihr zunicke, ruft sie allen ernstes, „der ist doch viel zu alt für dich!“
„Nettie!“ Entrüstet sehe ich meine Freundin an. „Er ist vielleicht ein bisschen älter als ich ….“
Weiter komme ich nicht, weil mir heute anscheinend alle ins Wort fallen wollen. Diesmal ist es wieder Tim.
„Wie alt bist du?“
„Einundzwanzig.“
„So hatte ich dich auch eingeschätzt. Dein „Engel“ ist achtundzwanzig, tanzt seit drei Jahren hier und hört auf den Namen Gabriel. Außerdem ist er des Besitzers Lieblingspferdchen. Wenn er dir nicht das Herz brechen soll, dann schlag ihn dir aus dem Kopf.“
Es dauert einen Moment, bis ich die Worte, die der Kleine grad an mich gerichtet hat, verinnerlicht habe.
„Was meinst du mit Lieblingspferdchen? Du willst mir doch nicht sagen, dass Gabriel hier anschaffen geht, oder?“
„Nein, dass hat Tim doch gar nicht gesagt“, versucht diesmal Tom mich mit seiner sanften Art zu beruhigen, „er meint damit, dass der Blonde der Toptänzer hier ist und viele der, vor allen Dingen älteren, Kerle nur wegen ihm hierher kommen. Sie sitzen in der Nähe seines Podiums, konsumieren eine Menge und lassen für ihn ein ziemliches Trinkgeld springen. Besonders dann, wenn er auf ihren Tischen tanzt. Aber anfassen lässt er sich nicht oder gar mit einem verschwinden. Für seine Spielchen sucht er sich jeden Abend einen anderen hier. Und du glaubst gar nicht, wie viel williges Frischfleisch hier immer rumläuft. Manchmal habe ich das Gefühl, sie kommen nur hierher, um einmal von ihm genommen zu werden. Um sich hinterher brüsten zu können, sie hätten ihn geknackt. Aber bisher hat es noch niemand ein zweites Mal bei ihm geschafft. Also, kleiner Leo“, fürsorglich streicht Tom mir durch mein rabenschwarzes Haar, „wenn du schlau bist, und das bezweifele ich nicht, dann lass die Finger von ihm.“
Mein Kopf brummt und mit fällt es schwer, das eben Gehörte zu glauben. Während mein Blick wieder auf dem Blonden ruht, der noch immer mit geschlossenen Augen seinem Tanz nachgeht, denke ich über Toms Worte nach. Wie kann ein Mann, der so schön und rein aussieht, so ein berechnender Arsch sein? Als ich mich wieder zu den anderen drehen will, öffnet Gabriel seine Augen und schaut mir mit einem stählernen Blick tief in meine rehbraunen Augen. Mir kommt es vor, als wenn er tief in meine Seele sehen kann. Fassungslos stehe ich da, während er nur arrogant die Augenbrauen hebt. Weiß er eigentlich, was er damit in mir anrichtet? Sicherlich nicht. Woher auch.
„Leo, alles okay bei dir?“, fragt Nettie mich besorgt.
Erschrocken drehe ich mich zu ihr. Ich hab sie total vergessen. Eigentlich alles und alle um mich herum.
„Alles klar, Süße, ich war nur ein wenig in Gedanken“, lüge ich sie an. Denn seit diesem Blick ist nichts mehr klar. Ich habe das Gefühl, als wenn alles in mir zerreißt, wenn ich wieder an die Worte von Tom denke. Und ich weiß, dass ich mich ihm genauso hingeben würde, wenn er es wollte. Trotz alledem.
„Eine Frage hab ich an euch beiden“, wende ich mich an Tim und Tom, „hat er euch auch gehabt?“
„Nein“, lächelt Tim mich an und legt seinen Arm um seinen Freund, „Tom und ich sind schon seit fast fünf Jahren zusammen. Und sind uns bis jetzt immer treu geblieben. Und ich hoffe, es bleibt auch so. Ich kann mir keinen anderen an meiner Seite vorstellen außer meinen Süßen hier.“
„Ich mir auch nicht, Schatz, ich liebe dich“, haucht Tom verliebt und zieht seinen Tim in eine liebevolle Umarmung.
„Ach ist das schön“, seufzt Nettie ganz verzückt und kann die Augen nicht von dem Paar lassen. „Und was sagst du nun zu deinem Engel?“, richtet sie ihre Frage an mich.
Überfragt zucke ich nur mit den Schultern. „Nettie, ich verschwinde mal kurz … Pipi machen. Bin gleich wieder da.“
Den teils schon betrunkenen Männern ausweichend, strebe ich die Toiletten an. Überall stehen knutschende Paare, einige sind allerdings schon etwas weiter. Haben ihre Hände schon in den Hosen ihrer jeweiligen Partner. Den Gang weiter befindet sich der Darkroom, den ich bei meinem ersten Besuch hier in dem Club „gefunden“ hatte. Nur weil ich zu doof war, die richtige Tür zu nehmen. Über mich selbst lächelnd, stehe ich jetzt an dem Urinal und verrichte erleichtert mein Geschäft, als ich auf einmal von der Seite angesprochen werde.
„Na, hat dir vorhin gefallen, was du gesehen hast?“ fragt mich eine dunkle Stimme und mir läuft augenblicklich ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Als ich meine Augen öffne und zur Seite blicke, schaue direkt in die blauen Augen meines Nebenmannes. Und wäre schon im nächsten Moment froh gewesen, hätte ich auf die Frage überhaupt nicht reagiert. Denn neben mir steht kein geringerer als der Engel Gabriel und sieht mich belustigt an.
Eine leichte Röte, über die ich mich maßlos ärgere, steigt in mir auf. Dennoch versuche ich möglichst cool rüber zu kommen.
„War ganz okay. Nein wirklich, kannst dich für dein Alter echt noch sehen lassen“, kann ich einen kleinen Seitenhieb auf die uns trennenden sieben Jahre nicht verkneifen.
Mit leicht zusammen gekniffenen Augen sieht er mich an. Dann lächelt er kalt. „So so, Tim und Tom haben also aus dem Nähkästchen geplaudert. Na dann kannst du dich ja in Acht vor mir nehmen.“
„Ach weißt du, eigentlich bin ich schon in dem Alter, wo ich alleine entscheiden kann, was gut für mich ist und was nicht“, antworte ich selbstsicherer als ich mich in Wirklichkeit fühle.
„Aha, du musst Mami und Papi also nicht mehr um Erlaubnis fragen, wenn du länger als bis Mitternacht wegbleiben willst?“
„Nein, brauch ich nicht.“ So langsam geht er mir mit seiner Art auf den Keks. Deshalb lasse ich ihn auch einfach stehen und gehe zum Waschbecken, um mir die Hände zu waschen. Nachdem ich ein paar Blatt Papier aus dem Spender gezogen hab, um mir die Hände zu trocknen, dreh ich mich noch einmal zu Gabriel um.
„Ich wünsch dir noch einen schönen Abend … und viel Spaß weiterhin.“
Als ich leise seufzend die Tür öffnen will, werde ich allerdings daran gehindert.
„Wo willst du denn jetzt hin? Ich dachte, wir beide … na ja, haben noch ein bisschen Spaß miteinander?“, hält Gabriel mich fest und drück mich nicht gerade sanft in die nächstbeste Kabine. Und bevor ich auch nur Piep sagen kann, hat er die Tür auch schon geschlossen und mich gegen dieselbe gedrückt. Seine Hände liegen auf meinen Oberarmen und pinnen mich fest.
Langsam erhole ich mich von der Dreistigkeit und befreie mich aus seinem Griff.
„Was denkst du eigentlich, hm? Das ich mich jetzt so Holter die Polter von dir ficken lasse? Wie heißt es doch so schön bei dir? Einmal ficken, weiter schicken. Glaubst du wirklich, dass ich das mitmache?“, fauche ich ihn an und als er mich mit seinen blauen Augen anschaut, weiß ich, dass er die Antwort auf meine Fragen schon kennt.
Ergeben lasse ich den Blick und auch den Kopf senken. „Tu mir bitte nicht weh ja“, flüstere ich ängstlich und warte, leicht zitternd, auf das, was gleich kommen wird.
Doch nichts geschieht. Noch immer ruhen seine Hände auf meinen Armen, allerdings nicht mehr mit dem festen Druck. Als ich nach gefühlten Stunden den Kopf wieder langsam hebe, schaut er mich immer noch an. Jedoch ist sein Blick fragend geworden.
„Wie alt bist du?“, will er wissen und als ich ihm mein Alter verrate, fragt er weiter. „Du hast noch nie etwas mit einem Jungen gehabt, oder? Du bist noch Jungfrau, richtig?“
Ohne ihn anzusehen, nicke ich.
Urplötzlich verstärkt sich der Druck auf meinen Armen wieder. Fast schmerzhaft krallt er seine Finger darin fest. „Glaubst du wirklich, ich ficke eine Jungfrau hier auf diesem dreckigen Klo? Für wie blöd hältst du mich eigentlich?“, schreit Gabriel mich an.
„Ich, ich … ich weiß nicht. Die anderen alle … was soll ich denn von dir denken?“, schreie ich zurück, wobei mir die ersten Tränen kommen, die ich versuche, krampfhaft am laufen zu hindern. Doch als seine Antwort kommt, sind alle Versuche umsonst. Lautlos finden sie ihren Weg, als er mich wie verbrannt loslässt und die Tür hinter mir öffnet.
„Du glaubst also, was die anderen dir erzählen, ohne dir ein eigenes Bild zu machen? Dann geh zu den anderen. Und lass mich in Ruhe“, faucht er mich an, stößt mich vom Eingang weg und stürmt aus der Toilette.
Leise vor mich hinschniefend setze ich mich auf den Toilettendeckel und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Ich habe das Gefühl, als würde sich mein Magen umdrehen und mein Kopf ist kurz vor dem Zerspringen. Von meinem Herzen mal ganz zu schweigen. Ich weiß nicht, wie lange ich hier sitze, als ich auf einmal lachende Stimmen vernehme.
„Hast du Gabriel gesehen? Der kam hier ja raus geschossen. Scheint ja wohl keine so tolle Nummer gewesen zu sein. Auf jeden Fall sah er nicht wirklich befriedigt aus. Dann hat der kleine Schwarze es wohl nicht gebracht“, lachen die beiden laut.
Völlig entsetzt und verspannt sitze ich auf meinem „Thron“. Jetzt werden alle denken, ich bin eine Lusche. Erneut treten mir Tränen in die Augen und ich bin froh, als ich die Tür hinter den beiden wieder zuschlagen höre. Entschlossen verlasse ich meinen Zufluchtsort, gehe zu den Waschbecken und sehe im Spiegel mein verheultes Gesicht. Ein paar Hände kaltes Wasser lassen jedoch die meisten Spuren wieder verschwinden.
Noch einmal tief durchatmen und dann begebe ich mich wieder in die Höhle des Löwen. Ich hab das Gefühl, als wenn alle mich anstarren und über mich flüstern. Doch lasse ich sie links liegen und begebe mich schnellen Schrittes zu Nettie, Tom und Tim, die schon besorgt nach mir Ausschau halten. Schnell mache ich ein fröhliches Gesicht, was wohl die beiden Jungs überzeugt, aber meine Freundin nicht.
„Da bist du ja wieder“, grinst Tim. „Weißt du, was hier passiert ist? Ne, kannst du ja gar nicht. Also, du warst grad auf Klo, da kam Gabriel wie ein Wahnsinniger hier vorbeigerannt. Scheint entweder kein Glück gehabt zu haben, oder der Fick war so schlecht, dass er das Weite gesucht hat.“ Lachend schlägt sich Tim auf die Oberschenkel. Sieht nicht, wie ich mit jedem Wort blasser geworden bin. Ich hab das Gefühl, als wenn ich gleich zusammenbrechen würde.
Plötzlich werde ich in eine halsbrecherische Umarmung gezogen. Nettie drückt mich fest an sich.
„Du bist mit ihm dort gewesen, hab ich recht?“, flüstert sie mir ins Ohr.
Wortlos nicke ich an ihre Schulter und beruhigend streicht sie mir immer wieder über den Rücken.
„Was ist passiert, Schatz?“
„Ich kann nicht. Ich will nach Hause. Ich muss hier raus“, stammele ich leise vor mich hin und versuche verzweifelt, die Tränen aufzuhalten.
Auf einmal spüre ich eine andere Hand auf meiner Schulter. Sofort verspanne ich mich, habe Angst, dass es Gabriel sein könnte. Doch die Stimme, die sanft zu hören ist, verrät mir, dass es sich um Tom handelt.
„Was ist los, Leo?“, fragt er leise. Doch auch er kriegt nicht mehr als ein Kopfschütteln von mir und die Antwort, dass ich nach Hause will.
„Okay. Aber wenn du möchtest, dann kannst du dich bei mir melden. Ich kann gut zuhören. Und ich bin auch in der Lage, dich nicht zu verurteilen, für das, was du gemacht oder auch nicht gemacht hast. Also, wenn du magst, dann schreibe mir deine Handynummer auf. Oder besser, ich gebe dir meine. Dann liegt es ganz bei dir, dich bei mir zu melden.“ Tom lässt sich von dem Barkeeper einen Zettel und Schreiber geben.
„Steck du ihn lieber ein“, höre ich ihn sagen und sehe, wie er Nettie die Notiz reicht. „Und dann würde ich mal sagen, solltet ihr beiden wirklich lieber von hier verschwinden.“ Aufmunternd drückt er uns beide noch einmal und schiebt uns Richtung Ausgang.
Das Einzige, was ich noch von dem Club sehe, sind dreckige Fliesen und Füße in verschiedensten Schuhen, die an uns vorbeihuschen. Als wir endlich draußen sind, hebe ich den Kopf und lasse die frische Luft durch meine Lungen strömen. Langsam löst sich auch meine Verspannung und erleichtert lege ich den Arm um Netti. Ohne sie hätte ich es sicherlich nicht bis hierher geschafft.
„Danke“, sage ich auch deshalb und gebe ihr einen Kuss auf den Mund.
Ganz leicht legt sie ihre Hand auf meine Wange. „Jederzeit wieder, Schatz.“
„Das ist ja ekelhaft. Gibt sich da drinnen als Schwuler aus und knutscht hier draußen mit einem Mädchen rum“, kommt es mit einem würgenden Geräusch ganz aus unserer Nähe aus einer Seitenstrasse. Erschrocken drehe ich mich um und sehe, wie ein Rothaariger uns angewidert ansieht, während er auf den Knien vor jemanden hockt und anscheinend grad dabei ist, dieser Person einen zu blasen. Als mein Blick weiter hoch wandert, erfasse ich blaue Augen, die durch mich hindurch blicken. Gabriel. Erneut merke ich, wie ein Stück aus meinem Herzen bricht und der Boden unter meinen Füßen zu schwanken beginnt.
Mit mir wollte er nicht und jetzt steht er hier an dieser schmutzige Wand und …, ist alles was ich noch denken kann. Dann wird alles schwarz und ich kann nur noch hören, wie Nettie verzweifelt aufschreit.
Als ich wieder zu mir komme, höre ich leise, besorgte Stimmen um mich herum.
„Hallo, mein Süßer, bist du wieder da? Jag mir nie wieder solch einen Schrecken ein, hast du mich verstanden?“, lächelt mich Nettie erleichtert an und haucht einen Kuss auf meine Stirn.
„Versprochen“, krächze ich und versuche mich ein wenig aufzurichten. „Was ist passiert?“
„Wir sind aus dem Club raus und dann hast du diesen Gabriel gesehen, wie er sich an der Mauer einen … Na ja, egal. Du bist auf einmal zusammengebrochen. Ich wusste mir nicht zu helfen und hab dann die Nummer von Tom gewählt. Er ist sofort mit Tim rausgekommen und da die beiden mit dem Wagen dort waren und auch am dichtesten wohnen, haben sie uns zu sich nach Hause gebracht. Und jetzt liegst du auf der Couch von Tom und Tim. Ich bin auf jeden Fall froh, dass Tom uns oder besser dir vorhin noch seine Nummer gegeben hat“, berichtet Nettie fast ohne Punkt und Komma.
„Danke, Jungs, dass ihr mir geholfen habt. Und ich euer Sofa in Beschlag nehmen durfte. Aber jetzt geht es mir wieder gut und ich kann nach Hause. Ich werde für die Rettung bei Gelegenheit mal einen ausgeben.“ Als ich allerdings versuche aufzustehen, gelingt mir das nicht wirklich. Mein Kopf brummt und meine Beine fühlen sich an wie Wackelpudding. Seufzend lasse ich mich wieder in die Kissen sinken.
„Scheiße“, fluche ich leise vor mich hin. Eigentlich ist es hier ja ganz schön und ich mag die beiden auch gerne. Aber ich weiß auch ganz genau, dass alle drei nicht locker lassen, bevor ich ihnen erzähle, was vorhin passiert ist. Und ich weiß nicht, ob ich dazu schon in der Lage bin. Also schließe ich einfach meine Augen und tue so, als wenn ich wieder schlafen würde. Doch Nettie kennt mich zu genau.
„Du brauchst gar nicht so tun, als würdest du wieder schlafen, mein Lieber. Ich weiß ganz genau, dass du wach bist. Also, was war vorhin los mit dir?“, fragt meine liebste Freundin und schon sitzen die drei vor mir und ich komme mir vor, wie in einem Gerichtssaal. Ich bin der Angeklagte und Nettie, Tom und Tim die Richter, die mich gleich in ein Kreuzverhör nehmen.
Nachdem ich noch ein paar Mal Luft geholt habe, richte ich mich auf. „Okay. Da ihr ja doch nicht locker lasst, bombardiert mich schon mit Fragen. Ich werde versuchen, sie euch alle zu beantworten.“
„Ach Schatz, eigentlich will ich gar nicht viel wissen, außer … was ist auf dem Klo passiert?“, fragt Nettie und auch die Jungs nicken zustimmend.
„Ich hab so etwas in der Art gewusst. Warum könnt ihr nicht fragen, was ich heute zu Mittag gegessen hab“, seufze ich.
„Weil uns das nicht wirklich interessiert“, lächelt Tom mich aufmunternd an und setzt sich neben mich aufs Sofa. Tim nimmt mir gegenüber Platz und bekommt somit Nettie als Sitznachbarn. Erwartungsvoll sehen mich die drei an.
„Also gut. Aber eigentlich gibt es da gar nicht viel zu erzählen. Als ich auf Toilette war, stand er auf einmal neben mir. Wir haben uns kurz unterhalten und auf einmal waren wir schon in einer der Kabinen. Und als ich ihm mehr oder weniger gestanden habe, dass ich noch nie etwas mit einem Mann gehabt habe, ist er ziemlich wütend rausgerannt. Ich war so erschrocken und auch enttäuscht ... na ja, als ich mich wieder gesammelt hatte, wollte ich wieder zu euch kommen. Aber als ich die Kabinentür öffnen wollte, sind zwei andere reingekommen und haben ein paar ziemlich abfällige Bemerkungen gemacht. Von wegen, schlechter Fick und so. Und als ich ihn dann noch draußen vor der Tür mit dem anderen Kerl gesehen habe … den Rest kennt ihr ja selber“, ende ich immer leiser werdend. Angespannt warte ich auf die Kommentare. Nervös knete ich meine Hände und kaue auf meiner Unterlippe.
„Hey“, legt sich vorsichtig der Arm von Tom um mich, „lass mal deine Lippen in Ruhe. Die können doch nichts dafür. Du willst also sagen, dass rein gar nichts passiert ist zwischen euch?“
„Nichts, Nada, Njente. Er will nichts mit einer Jungfrau zu tun haben. Und das schlimmste an der ganzen Sache ist, dass ich es sofort mit ihm gemacht hätte. Scheiße … ich hab mich einfach in diesen eiskalten Engel verliebt … Noch mal Scheiße. Was soll ich denn jetzt bloß machen?“, frage ich verzweifelt und schniefe auf, weil mir schon wieder die Tränen kommen.
Beruhigend streicht mir Tom immer wieder über den Rücken. Und Nettie kniet auf einmal vor mir und hält meine Hände, während Tim mir ein Glas Saft entgegen hält. Über soviel Fürsorge muss ich schon beinahe lachen.
„Ihr seid echt die Besten. Was sollte ich bloß ohne euch machen? Und das, obwohl ich euch erst seit ein paar Stunden kenne. Na ja, dich nicht, Süße, da kommen wir wohl mit den Stunden nicht wirklich hin, oder?“
„Nein, ganz bestimmt nicht“, grinst Nettie mich an.
„Also, ich denke, du solltest heute Nacht hier bleiben“, meint Tom und als ich grad protestieren will, redet er weiter, „du kannst auf dem Sofa schlafen. Ich hätte nämlich ein ungutes Gefühl, wenn du in deinem Zustand nach Hause gehen würdest.“
Über den Ausdruck „Zustand“ muss ich trotz allem Lächeln. „Ich bin doch nicht schwanger!“
„Na, wenn du schwanger wärst, dann hätten wir ja auch eine Sensation bei uns im Wohnzimmer sitzen“, lacht Tim und auch Nettie und Tom stimmen mit ein. „Dennoch solltest du auf meinen Süßen hören, Leo. Er arbeitet nämlich als Rettungssanitäter und in Fragen Gesundheit versteht er keinen Spaß.“
„Okay, bevor ihr mich hier festkettet, bleib ich halt. Was ist denn mit dir, Nettie?“, frag ich meine Freundin. Die winkt jedoch gleich ab.
„Ich ruf mir ein Taxi. Ist ja nicht mehr weit von hier. Und du bist bitte so gut und meldest dich morgen bei mir.“ Mit einer liebevollen Umarmung, soweit es bei mir im Liegen geht, und einem Kuss verabschiedet sie sich von mir.
Tim und Tom bringen sie noch zur Tür. Ich kann die Drei leise im Flur reden hören. Worüber sie sich jedoch unterhalten, kann ich nicht verstehen. Allerdings denke ich mal, dass Nettie die beiden impft, auf mich aufzupassen. Ich kenn doch meine Freundin. Lächelnd drifte ich ins Land der Träume, werde durch das Zuschlagen der Eingangstür aber wieder geweckt. Und Sekunden später stehen auch die beiden „T's“ vor mir.
„Geht es dir soweit gut?“, fragt mich Tim, während Tom mir einen besorgten Blick schenkt.
„Ja, danke. Ich bin nur ziemlich müde.“
„Dann schlaf gut. Und wenn irgendetwas sein sollte, dann ruf einfach. Wir sind im Zimmer nebenan.“ Und dann verabschieden sie sich von mir. Nachdem ich noch einmal die sanitäre Einrichtung besucht habe, kuschele ich mich wieder aufs Sofa und schlafe auch sogleich ein.
Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen habe. Auf jeden Fall werde ich durch ziemlich eindeutige Geräusche aus dem Schlafzimmer von Tim und Tom geweckt. Und der Gedanke daran, was die beiden dort im wahrsten Sinne des Wortes treiben, erinnert mich wieder an Gabriel und daran, was ich nicht habe. Auch wenn ich es meinen neuen Freunden von Herzen gönne, kann ich hier nicht nebenan liegen und mir ihr Gestöhne anhören. Deshalb steh ich auch mit wackeligen Beinen auf, schreibe ihnen noch einen Brief, in dem ich mich für die Rettung bedanke und mache mich dann auf leisen Sohlen aus dem Staub.
Auch wenn es richtiger gewesen wäre, wenn ich mir ein Taxi gerufen hätte, entscheide ich mich doch für den Fußmarsch. Die frische Luft tut mir gut und macht meinen Kopf klarer.
Zu Hause angekommen, hole ich mir noch eine Cola. Soll ja gut für den Kreislauf sein.
Zum Glück ist Wochenende und ich kann ausschlafen. Und das werde ich auch ausnutzen.
Als ich das nächste Mal aufwache, zeigt der Wecker schon 14.21. Uhr und ich fühl mich wirklich gut. Etwas erstaunt bin ich allerdings, dass Nettie noch nicht angerufen hat. Obwohl … sie vermutet mich ja noch bei Tim und Tom.
Okay, ich werde jetzt aufstehen, denn der Tag ist viel zu schön um ihn einfach im Bett zu verbringen. Auf jeden Fall alleine.
Nach einer wohltuenden Dusche gehe ich langsam die Treppe runter. Wundere mich über die Stille. Denn normalerweise macht wenigstens Hans, unser Schäferhund, einen Heidenlärm, wenn er mich hört. Seltsam.
Doch in der Küche klärt sich dann alles auf. Auf dem Tresen liegt ein Zettel für mich.
„Hallo Leo,
wir nutzen das schöne Wetter und unseren, seit langem mal wieder, freien Tag und sind raus zum Boot. Wenn du willst, kannst du ja nachkommen. Wir werden nachmittags wieder am Platz sein. Wenn du keine Lust haben solltest, dann wünschen wir dir einen schönen Tag.
Haben dich lieb,
Ma, Pa und Hans
Lächelnd lese ich den kleinen Brief. Ich gönne meinen Eltern ihren freien Tag. Arbeiten sie doch eigentlich, für meinen Geschmack auf jeden Fall, viel zu viel. Aber als Besitzer eines kleinen aber feinen Modelabels ist das eben so. Und die beiden lieben ihren Job, gehen voll darin auf. Außerdem sollte ich nicht meckern. Schließlich lebe ich ganz gut damit und brauch mir um Geld keine Sorgen zu machen. Und … eines Tages werde ich die Firma übernehmen.
Nach einem gemütlichen „Frühstück“, man bedenke, dass es mittlerweile schon fast halb vier ist, schnappe ich mir, nach einer kurzen Überlegung, meinen Autoschlüssel. Das Wetter ist einfach zu gut, um nicht draußen zu sein. Fröhlich vor mich hin pfeifend gehe ich zu meinem Wägelchen. Einem schwarzen Jeep Wrangler.
Eigentlich lege ich keinen Wert auf irgendwelche Luxusgüter. Aber als ich den Wagen das erste Mal gesehen hatte, da wusste ich, den muss ich haben.
So in etwa ist es mir auch mit Gabriel ergangen. Da war es auch so was wie Liebe auf den ersten Blick.
Sofort verfinstern sich meine Gedanken. Was bei meinem Jeep geklappt hat, scheint an anderer Stelle leider nicht zu funktionieren.
Na ja, was soll’s. Dann muss ich ihn eben vergessen. Was allerdings leichter gesagt ist als getan.
Aufseufzend starte ich den Motor und fahre los.
Am Hafen angekommen, sehe ich sofort den schnittigen Sportwagen meiner Eltern.
Auf dem Weg zum Boot treffe ich einige Bekannte. Wenn man Jahre lang den gleichen Liegeplatz hat, dann kennen einen die Leute. Nach ein Paar kleinen Schwätzchen und einem kurzen Pfiff kommt unser Familienhund wie ein Wahnsinniger auf mich zugelaufen und kann noch rechtzeitig vor mir abbremsen. Was gar nicht so einfach ist, auf den teilweise feuchten und rutschigen Bohlen.
„Na du verrückte Nuss“, begrüße ich Hans, der freudig an mir rumschnüffelt. Ich knie mich vor ihm hin und strubbele sein Fell ordentlich durch. „Na komm, Alter, lass uns wieder aufs Schiff.“
Dort werden wir auch schon erwartet.
Ma gießt mir einen Kaffee ein, während Pa nach einer freundschaftlichen Umarmung Teller und Gabel aus der Kombüse holt.
„Hallo, Ma“, beuge ich mich runter, hauche einen Kuss auf die Stirn und nehme ihr dankbar lächelnd die Tasse ab.
„Hallo, Leo, wie geht es dir? Ist spät geworden gestern, oder?“
„Mir geht es gut. Ich war mit Nettie gestern im „Fake“. Und danach waren wir noch bei Freunden“, erzähle ich ihr, verschweige aber, mit einem unguten Gefühl, die ganze Wahrheit.
„Und?“, lächelt Ma mich an, „was dabei gewesen?“
„Ma!“, verdrehe ich genervt die Augen. Wenn mir ihre direkte Art auch manchmal auf den Keks geht, so bin ich doch froh, dass sie mit meinem Schwulsein so gut klarkommt. Und ich bin ihr auch dankbar, dass sie Pa beiseite genommen hat, als er nicht sicher war, wie er darauf reagieren sollte. Doch nach ein paar Gläsern Wein und einem klärenden Gespräch hat er begriffen, dass die Frauenwelt für mich nur hübsches Beiwerk ist.
Und als Ma dann daran erinnerte, wie viele Homosexuelle es in der Modebranche gibt und was für einen ausgesprochenen Geschmack sie für Farben und Formen haben, war auch für ihn das Eis gebrochen.
Lachend haben wir drei auf dem Sofa gesessen. Als ich jetzt daran zurück denke, schleicht sich ein kleines Lächeln auf mein Gesicht, was von meiner Mutter jedoch falsch interpretiert wird.
„Also hast du jemanden getroffen?“
„Hab ich. Tim und Tom. Die beiden sind echt nett und schon seit fast fünf Jahren ein Paar“, gebe ich bereitwillig Auskunft, was ihr ein etwas Enttäuschtes „Oh, ach so“, entlockt.
Pa, der mit meinem Kuchen wiederkommt, hat ihre letzten Worte noch so eben mitgekriegt und schüttelt nun den Kopf.
„Klara, kannst du es nicht lassen? Wenn der Junge jemanden findet, der ihm mehr als gefällt, dann wird er es uns schon sagen. Habe ich recht, Leo?“
„Hast du, Pa. Und um ganz ehrlich zu sein, gibt es da jemanden, der mir, wie hast du dich so schön ausgedrückt … mehr als gefällt. Aber der ist nicht an mir interessiert“, seufze ich leise.
„Wie kann jemand kein Interesse an dir haben?“, regt sich meine Mutter entrüstet auf. „Du siehst fabelhaft aus, bist gebildet und kommst aus gutem Hause. Was will „Mann“ denn noch mehr?“
„Danke, Ma“, flüstere ich leise, „aber nicht immer kommt es darauf an. Gabriel steht eben nicht auf mich und damit Basta.“
„Gabriel?“, fragt mein Vater nach, „ wie der Engel?“
„Ja“, bestätige ich seine Vermutung, „und genauso sieht er auch aus. Auf jeden Fall stelle ich mir so einen Engel vor. Längere blonde Haare, blaue Augen und einen Traumkörper. Leider einfach nur eiskalt vom Wesen. Und ich dachte immer, Engel wären liebreizende Geschöpfe.“
„Dann scheinst du dir ja einen eiskalten Engel geengelt … ups, ich meine natürlich geangelt zu haben“, grinst mein Pa und bekommt sofort einen giftigen Blick von seiner Frau zugeschossen.
„Theodor“, faucht sie ihn mehr oder weniger an, „kannst du nicht etwas einfühlsamer sein? Dein Sohn hat Herzschmerzen und du machst hier Witze.“
„Ich mach keine Witze. Ich seh die ganze Sache halt nur so, wie sie ist. Im Moment aussichtslos für Leo. Allerdings werde ich ihm den Rat geben, nicht gleich die Flinte ins Korn zu werfen und stur und hartnäckig zu sein. So wie ich es war damals!“
„Danke, Dad. Ich weiß zwar noch nicht wie, aber ich werde auf deinen väterlichen Rat hören“, lächele ich ihm zu und muss an die Geschichte denken, die er mir immer wieder erzählt, wenn es mal nicht so richtig klappt bei mir.
Als mein Vater meine Mutter kennen gelernt hat, da hatte sie einen Freund. Und eigentlich ist Pa niemand, der sich in eine Beziehung drängt. Aber bei dieser Frau, so sagte er immer, da musste er es einfach machen. Denn sie war für ihn wie ein göttliches Wesen. Er hat sie damals so lange bezierst, bis sie mit ihrem Freund Schluss gemacht hat und zwei Monate später waren sie dann ein Paar. Und nicht einmal ein halbes Jahr danach hat mein Pa ihr einen Heiratsantrag gemacht. Alle haben sie für verrückt gehalten, nach so kurzer Zeit schon zu heiraten. Aber allen Unkenrufen zum Trotz haben sie sich kurz vor Weihnachten das Ja-Wort gegeben. Und das ist jetzt schon fast fünfundzwanzig Jahre her. Denn dieses Jahr feiern die beiden ihre Silberne Hochzeit.
Wie es aussieht, denke nicht nur ich an diese Story, sondern auch meine Eltern. Denn meine Mutter liegt mit geschlossenen Augen und geröteten Wangen im Arm meines Vaters und die beiden versuchen, einen neuen Kussrekord aufzustellen.
Glücklich steh ich leise auf, um die beiden nicht zu stören. Mit meinem Kaffee und dem Kuchen schleiche ich aufs Oberdeck, ziehe mir Hose und Hemd aus und lasse mich dort von der Sonne verwöhnen. Eigentlich geht es mir doch ziemlich gut.
Nach gut einer Stunde intensiven Sonnenbadens, ziehe ich mich wieder an und gehe runter zu meinen Eltern, die immer noch ziemlich kuschelig an der Reling sitzen.
„Ich fahr wieder nach Hause, okay? Vielleicht mach ich noch einen Abstecher zu Nettie oder schau bei Tim und Tom rein. Mal schaun. Habt noch viel Spaß“, verabschiede ich mich Augen zwinkernd von den beiden.
Unterwegs überlege ich, ob ich wirklich noch einen meiner Freunde besuchen soll oder nicht. Aber irgendwie habe ich keine rechte Lust und so beschränke ich mich auf zwei kurze Telefonanrufe, als ich wieder zu Hause bin.
Die ganze nächste und auch die übernächste Woche plätschern so vor sich hin. Das letzte Wochenende habe ich alleine zu Hause verbracht mit DVD gucken und Pizza essen und jetzt bin ich soweit, dass mir langweilig wird. Kurz entschlossen rufe ich bei Nettie an und frage, ob sie schon was vorhat.
„Ach Mensch, Leo. Hättest du doch vor zwei Stunden angerufen. Jetzt hab ich mich mit Lisa verabredet. Wir wollen ins Kino. Aber sie hat sicherlich nichts dagegen, wenn du auch mitkommen würdest.“
„Ne lass mal. Macht euch mal einen schönen Mädchenabend. Ich werd mich schon anderweitig beschäftigen. Vielleicht treffe ich mich auch mit „T+T“ und wir gehen ins „Fake“. Ich wünsch dir viel Spaß und grüß Lisa von mir“, beende ich das Gespräch und überlege, ob ich meine Freunde anrufe oder einfach auf blauen Dunst in den Club fahren soll.
Letztendlich fahre ich so hin.
Nachdem ich heute extrem lange gebraucht habe, um mich ausgehfertig zu machen, bin ich nun allerdings mehr als zufrieden mit meinem Aussehen. Die neue, schwarze Lederhose, die meine Eltern mir von ihrem letzten Aufenthalt in Mailand mitgebracht haben, sitzt mehr als eng an meinem Hintern. Dazu das weiße Seidenhemd aus ihrer Kollektion … natürlich nicht bis oben hin zugeknöpft … und mehr braucht es nicht, damit ich mir zufrieden im Spiegel zulächele.
Als ich den Jeep auf dem Parkplatz hinter dem Club abgestellt habe und nun am Eingang stehe, überkommt mich doch ein komisches Gefühl. Ob es daran liegt, weil mich die meisten der Männer unbekümmert begutachten oder eher daran, dass ich in wenigen Minuten auf Gabriel treffen könnte. Ich weiß es nicht. Und deshalb betrete ich auch, nach einem wohlwollenden Blick des Türstehers, die Bar. Laute Musik schlägt mir entgegen und geht mir sofort ins Blut. Und obwohl ich am Liebsten gleich auf die Tanzfläche stürzen würde, schau ich erst einmal nach, ob meine Freunde hier sind.
Und tatsächlich, Tim und Tom stehen fast an derselben Stelle, an der sie beim letzten Mal standen. Freudig gehe ich auf sie zu.
„Hey, ihr beiden. Alles klar?“
„Aber sicher doch. Und bei dir? Alles fit im Schritt?“, grinst Tim mich an, zieht mich in eine Umarmung und reicht mich dann einfach an Tom weiter.
„Hallo, schön, dass du da bist. Geht es dir wirklich gut?“, fragt er ein wenig besorgt.
„Aber sicher doch. Warum auch nicht?“ Und während ich mit den beiden rede, schweift mein Blick durch die Menge. Auch wenn ich es nicht will, so sehe ich mich doch unbewusst nach Gabriel um.
„Wenn du einen ganz bestimmten Blonden suchst … der hat die ganze Woche noch nicht getanzt“, flüstert Tom mir zu, der meinen suchenden Blick richtig zu deuten scheint.
„Ich hab doch gar nicht … okay, hast ja recht, ich hab nach ihm gesucht. Aber jetzt … na ja, jetzt kann ich ganz befreit … ach man, du weißt schon, was ich meine“, stammele ich vor mich hin. Als Tom jedoch nickt, weiß ich, dass ich in ihm wirklich einen guten Freund gefunden habe.
„So, jetzt werde ich mich mit meinem Traumkörper erst mal auf die Tanzfläche begeben, um etwas von meiner überschüssigen Energie loszuwerden. Kommt ihr mit?“, frag ich die beiden, die jedoch verneinend den Kopf schütteln.
„Vielleicht später.“
Auf dem Weg zum Tanzparkett legt sich nicht nur einmal eine Hand auf meinen Hintern und von einigen werde ich mit Blicken ausgezogen.
Mit geschlossenen Augen gebe ich mich dem Rhythmus der Musik hin. Recke meine Arme immer wieder Richtung Decke, drehe mich im Kreis. Plötzlich legen sich Hände auf meine Hüften und ein fremdes Becken drückt gegen meine Kehrseite. Erstaunt und erschrocken drehe ich meinen Kopf und sehe in blaue Augen, die mich begierig ansehen.
„Hallo, Schönheit. Ich hab dich hier noch nie gesehen. Wo hast du dich denn bisher versteckt?“, will der Fremde von mir wissen und dreht mich zu sich um.
„Em … Hallo. Ich bin recht neu hier. Mein Name ist Leo. Und wie heißt du?“, frage ich neugierig den fremden Mann, der mich anscheinend nicht mehr loslassen will. Aber wenn ich ihn so recht betrachte, sieht er ja gar nicht schlecht aus. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich ihn schon einmal gesehen hab.
„Ich heiße Michael.“ Während er das sagt, schleicht sich ein Finger seiner Hand an meinen Hemdkragen und streicht behutsam über meine nackte Haut, versucht einen weiteren Kopf zu öffnen. Seine andere Hand zieht mich dichter an ihn ran und sein Mund kommt meinem immer näher. Doch bevor sich unsere Lippen treffen, wird er ziemlich unsanft von mir weggerissen. Verwirrt blinzele ich auf.
„Ich hab dir doch gesagt, du sollst deine Finger von ihm lassen“, wird Michael angefaucht und als ich aufblicke, sehe ich, wie Gabriel sich ziemlich bedrohlich vor ihm aufbaut.
Der stemmt entrüstet die Arme in die Hüften und beginnt seinerseits, erbost auf meinen blonden Engel einzureden. Aber wegen der lauten Musik kann ich nichts verstehen. Nur dass die beiden wild gestikulieren. Und dann höre ich Gabriel, wie er Michael anschreit.
„Wenn du ihn nicht in Ruhe lässt, dann habe ich die längste Zeit hier getanzt. Haben wir uns verstanden?“
Mit einem letzten, bedauernden Blick auf mich, nickt Michael und lässt mich einfach auf der Tanzfläche stehen. Ich weiß im Augenblick nicht so genau, wie mir geschieht. Doch als ich endlich realisiere, dass mir Gabriel in die Quere gekommen ist, beginnen meine Augen wütend zu funkeln.
„Was. Fällt. Dir. Eigentlich. Ein?“, zische ich ihn gefährlich an und mein Zeigefinger bohrt sich bei jedem Wort ziemlich schmerzhaft in seine Brust.
Genervt greift er nach der Hand mit dem stechenden Finger und zieht mich, gegen meinen Willen, aus dem Schuppen. Auch als wir an der frischen Luft angekommen sind, verringert er sein Tempo nicht. Erst in dem nahe gelegenen Park bleibt er endlich stehen. Mit gesenktem Blick steht er vor mir, sagt allerdings kein Wort.
Wo ist der selbstsichere, eiskalte Typ von vor zwei Wochen geblieben? Der, der mich nicht wollte. Okay, er wird mich jetzt ebenso wenig wollen. Aber irgendwie kommt er mir so … verwundbar … vor. Als die Stille immer erdrückender wird, räuspere ich mich.
„So, da du deine Stimme anscheinend verloren hast, werde ich reden. Was ist eigentlich dein Problem? Du hast mir doch beim letzten Mal ziemlich deutlich gesagt, was du von mir hältst. Und jetzt darf ich nicht mal mit einem anderen tanzen?“
„Du verstehst das nicht“, murmelt Gabriel leise.
„Dann erklär es mir“, fordere ich ihn auf.
Schweigend zieht er mich erneut hinter sich her. An einer Parkbank angekommen, drückt er mich auf diese und setzt sich neben mich. Knetet seine Finger. Dann aber hebt er seinen Kopf und sieht mich an.
„Gut, du hast eine Erklärung verdient. Vor vier Jahren habe ich von meinen Eltern erfahren, dass ich noch einen älteren Bruder habe. Ein kleiner, außerhäuslicher Fehltritt meines Vaters … passiert, als er auf Montage war. Ich hatte vorher nie etwas von ihm gehört und weil ich neugierig war, machte ich mich auf die Suche nach ihm. Was gar nicht so einfach war. Denn von meinem Vater hatte ich nicht viel mehr als den Namen der Mutter und die Stadt, in der es passiert ist, erfahren. Nach einem halben Jahr hatte ich ihn endlich gefunden. Er ist der Besitzer des „Fake“ und sein Name ist Michael.“
Erstaunt sehe ich ihn an. „Michael ist dein Bruder?“
„Halbbruder. Und ein Trophäensammler. Wenn ich ihn vorhin nicht gestoppt hätte …“, seufzt der Blonde und wischt sich mit den Händen durchs Gesicht.
„Was dann?“
Verneinend schüttelt Gabriel den Kopf.
„Nun sag schon!“, fordere ich ihn auf und erneut seufzt er auf.
„Du weißt, dass ich in seinem Club tanze. Und, na ja … ich bin ja nicht ganz hässlich. Auf jeden Fall kommen ziemlich viele Leute, um mich tanzen zu sehen. Alte, die eine Menge Kohle für ihn einbringen, und Junge, mit denen er tanzt, ihnen einen nach dem anderen ausgibt, sie umschmeichelt und dann flachlegt. Und wenn er der Erste sein darf, dann ist er ganz besonders stolz. Von jedem der Ficks hat er ein Foto in seinem privaten Teil des Büros.“
„Und was hat das Ganze mit mir zu tun?“, frage ich leise.
„Ich wollte nicht, dass du ein weiteres Bild in der langen Reihe wirst“, flüstert er. „So“, strafft er seine Schultern und erhebt sich. „Jetzt weißt du alles. Ich bin dann mal wieder weg.“
Und schneller als ich überhaupt reagieren kann, ist er auch schon wieder verschwunden.
Erstaunt und verwirrt bleibe ich noch einen Moment sitzen, bevor ich wieder in den Club gehe. Wo sich Tom und Tim schon suchend nach mir umsehen.
„Da bist du ja. Wir haben uns schon Sorgen gemacht. Hier brodelt es. Sie erzählen, dass du nach Gabriel jetzt auch Michael enttäuscht hast. Was ist los?“, fragt Tim und von Tom erhalte ich mal wieder einen besorgten Blick.