Glühender Verrat - Linea Harris - E-Book

Glühender Verrat E-Book

Linea Harris

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Beschreibung

Die Halbdämonin Jill hat ihre magischen Kräfte nicht mehr unter Kontrolle. Daher verordnet der Dämonenfürst Baal, dass sein Leibwächter Kisin Jill beibringen soll, mit ihrer dämonischen Macht umzugehen. Doch Jill und Kisin haben kaum Zeit, sich mit Jills unbändiger Dämonenmagie auseinanderzusetzen, als ihre Heimat London von dämonischen Wesen aus der Unterwelt heimgesucht wird. Jill versucht auf eigene Faust, herauszufinden, wer hinter den Angriffen steckt. Dabei entgeht ihr beinahe, dass sie immer weniger Zeit mit ihren Freunden verbringt. Doch auch Jills beste Freundin Alissa hat ein Geheimnis, das Jills Leben gehörig umkrempeln wird ...

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Lesen was ich will!www.lesen-was-ich-will.de

ISBN 978-3-492-99222-0

© ivi, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2018

Covergestaltung: zero-media.net, München

Covermotiv: FinePic®, München

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Inhalt

Cover & Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Epilog

Prolog

Der Dämonenfürst Baal stützte die Hände auf den Schreibtisch und beugte sich tief über die Dokumente, die darauf ausgebreitet waren. Er studierte sie eingehend, mit immer größerer Verstimmtheit.

»Das Phänomen setzt sich fort?«, fragte er beiläufig, obwohl er die Antwort bereits kannte.

»Ja, Herr«, antwortete einer seiner Berater.

Sie hatten sich diskret mit verschränkten Händen an der Wand aufgestellt. Wie Lämmer standen sie da und warteten auf seine Reaktion, seinen bevorstehenden Ausbruch.

Er entließ sie mit einem flüchtigen Handwedeln. »Ihr dürft euch entfernen.«

Sie verbargen die Erleichterung gut. Nur die Eile, mit der sie den Beratungssaal verließen, zeugte von ihrem Unbehagen.

Baal ließ sich in den Sessel fallen, den Blick finster auf die ausgebreiteten Landkarten der Unterwelt gerichtet. Wie viel Zeit blieb ihm noch?

Gedankenverloren spielte er mit einem Stift und ließ ihn zwischen den Fingern kreisen. Dann sprang er auf und ging entschlossenen Schrittes in sein Büro.

Nein, er würde nicht so einfach das Handtuch werfen. Nicht, bevor er nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft hatte. Es gab einen Weg, wie er die bevorstehende Katastrophe abmildern konnte, doch nur mit Hilfe aus der Realität.

Er kreiste kurz mit den Schultern, um sich zu lockern, zog dann sein Jackett gerade und ließ sich auf die Knie nieder. Mit einem Finger berührte er eine Linie des Bannkreises, der mit weißer Farbe auf dem dunklen Holzboden gemalt worden war und verschlungene Runen zeigte.

Ein kleiner Magieschub genügte und die Linien begannen zu glimmen, erst ganz leicht, dann glühten sie in einem faszinierenden Mitternachtsblau.

Dieser Derek Watson, ein Freund seiner Tochter Jill, hatte gute Arbeit geleistet. Er war ein kleiner, besserwisserischer Professor, aber immerhin mit kreativen Ideen. Bisher waren die Portale zwischen Unterwelt und Realität in Form von Beschwörungskreisen nur Einbahnstraßen gewesen, die Dämonen den Beschwörungen der Sterblichen ausgeliefert, ohne selbst Kontakt aufnehmen zu können. Nun, die Unterwelt ohne Weiteres verlassen konnte Baal immer noch nicht, aber immerhin konnte er sich durch die verschlungenen Runen, die er auf Anraten Dereks in den Bannkreis eingefügt hatte, bemerkbar machen. In diesem Augenblick sollte der Zwillingskreis im Büro des Verborgenenorganisationsleiters aufleuchten.

Baal strich sich noch einmal über den Anzug und betrat den Kreis. Von hier aus war es leichter, beschworen zu werden. Wenn er innerhalb des Kreises stand, fühlte sich die Beschwörung wenigstens nicht an, als würde er durch ein zentimeterkleines Loch gepresst werden, um die Welten zu wechseln. Hoffentlich war Henry Cole in seinem Büro.

Nach wenigen Sekunden spürte Baal einen Zug, als greife jemand nach seiner Seele, um sie aus seinem Körper zu ziehen. Er brummte genervt. Lieber wäre es ihm gewesen, die Welten komplett zu wechseln, anstatt nur sein Abbild in die Realität projizieren zu lassen, aber natürlich ging der Leiter der VO auf Nummer sicher. Baal würde den Schutzkreis nicht verlassen können.

Schon begann sich sein Büro zu drehen und er schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, befand er sich in einem anderen Arbeitszimmer, mit Henry Cole vor sich. Er sah den stämmigen Mann mit dem feinen blonden Haar wie durch einen Schleier – eine Nebenwirkung der unvollständigen Beschwörung.

»Du wolltest mich sprechen?«, kam Henry gleich zur Sache und ließ sich wieder hinter seinem Schreibtisch nieder. Baal setzte ein Lächeln auf.

»Ich wollte mich nach der Testperson erkundigen«, sagte er höflich und neigte den Kopf.

Henry nickte geistesabwesend. »Er macht sich gut und ist eine große Bereicherung für uns, besonders für Jill. Sie respektiert ihn und folgt seinen Anweisungen. Es könnte funktionieren.«

Baal versuchte, ein siegessicheres Lächeln zu verbergen. Es war die richtige Entscheidung gewesen, seinen besten Mann zu schicken.

»Das freut mich«, erwiderte er. »Denn ich würde das Projekt gerne auf fünf Testpersonen erweitern. Als Unterstützung für die Jäger, als Lehrer in Magie, was auch immer du dir vorstellst.«

Henry lehnte sich zurück und strich sich über die Bartstoppeln.

»Es könnte noch etwas zu früh sein«, sagte der VO-Leiter vorsichtig. »Aber ich werde darüber nachdenken.«

Baal konnte nur mit Mühe seine Ungeduld verbergen.

»Vielen Dank«, antwortete er dennoch und bat Henry darum, ihn wieder zurückzuschicken. Er durfte nicht den Eindruck machen, dass die Integration der Dämonen in die Realität eilte.

Aber die Zeit drängte.

Kapitel 1

Ich zog den Kopf ein und klappte den Kragen meines Mantels hoch. Nasskalter Nebel bahnte sich durch die Straßen Londons. Er ließ die Kleider klamm werden und verursachte eine bedrückende Stille. Ich konnte kaum weiter als zwanzig Meter blicken. Der verhangene Himmel hinter dem weißen Dunst versprach Regen und ließ kaum erahnen, dass in einer Stunde die Sonne aufgehen würde. Das triste Grau der Wolken war in diesen frühen Morgenstunden kaum heller geworden und würde es im Laufe des Tages auch nicht werden.

Ich beschleunigte meine Schritte und warf einen Blick zurück, während ich das Gähnen unterdrückte und mir die Haare, die auf meiner Stirn klebten, aus dem Gesicht wischte. Neidisch streiften meine Augen die Fenster unserer Wohnung, hinter denen Alissa, Cox und Chaz noch tief und fest schliefen. Es hatte mich viel Überwindung gekostet, den Wecker nicht einfach auszustellen und liegen zu bleiben.

Aber wer wollte schon den Zorn eines Dämons heraufbeschwören? Ich war schon spät dran, was mir vermutlich wieder eine Bestrafung einbringen würde. In der Ferne läuteten Glocken. Ein Taxi fuhr vorbei und ich sprang gerade noch rechtzeitig zur Seite, um dem Schwall an Pfützenwasser zu entgehen.

»Pass doch auf«, grummelte ich den Rücklichtern des Wagens hinterher, als er um die nächste Ecke bog und verschwand. Ich blieb allein auf dem Gehweg zurück. Wäre ich nicht total übermüdet gewesen, hätte ich mich über die Ruhe freuen können. Es war die Zeit des Tages, zu der am wenigsten los war: Die Nachtschwärmer hatten sich endlich in die Betten begeben und der Berufsverkehr würde erst in einer Stunde zu lärmen beginnen. Keine schnatternden Fußgänger waren unterwegs, nicht einmal der Wind wagte es, die Magie der kalten Morgendämmerung mit seinem Sausen zu stören.

Umso lauter hörten sich meine Schritte an, wenn meine Stiefel auf den nassen Boden platschten und der Klang an den Mauern der Wohnblöcke widerhallte. In der Ferne hörte man das Brummen eines Motors, dann verstummte das Geräusch. Ich wurde langsamer. Kam es mir nur so vor, oder wurde der Nebel dichter? Die Umrisse der Verborgenenorganisation waren schwach erkennbar, doch noch trennte uns eine dicke Wand aus weißem Rauch. Ich war gleich da. Diesen Weg ging ich beinahe jeden Morgen.

Wieso also stellten sich meine Nackenhärchen auf?

Ich riss mich zusammen und schlang die Arme um den Körper. Es war wichtig, dass ich einen klaren Kopf behielt. Es fiel mir in letzter Zeit viel zu schwer. Jeder Tag der letzten Monate begann mit hartem Konzentrationstraining. Das sollte dazu dienen, die immense Kraft in mir zu bändigen.

Ich war halb Dämon, halb Hexe. Bisher hatte ich es nie besonders schwer gehabt, mit der dämonischen Energie, die mir gegeben war, umzugehen. Allerdings war mir bis dahin nicht klar gewesen, dass das, was ich bisher an Magie zur Verfügung gehabt hatte, längst nicht alles war.

Bis vor ein paar Monaten jedenfalls. Denn da hatte ich Magie entfaltet, die zu kontrollieren eigentlich unmöglich war.

Mein Vater hatte meine Dämonenmagie kurz nach meiner Geburt in eine Kapsel geschlossen, tief in meinem Inneren. Dort hatte sie geschlummert und ich war durchaus zufrieden gewesen mit dem normalen Kontingent an Macht, das ich hatte.

Doch dann reichte die Magie meines Vaters nicht mehr aus und mit jedem Tag, der verging, bekam die Kapsel in meiner Brust mehr und mehr Risse. Die Magie, die er eingeschlossen hatte, um mich vor so viel Macht zu schützen, tropfte hinaus und vermischte sich mit meinen Hexenkräften. Ununterbrochen. Unaufhaltsam. Unkontrollierbar.

Die Folge war, dass sich meine Lebensenergie, die Prana, verstärkte und mich unberechenbar werden ließ. Sollte ich es nicht schaffen, die Magie zu kontrollieren, würde ich nicht nur den Verstand verlieren, sondern mit ziemlicher Sicherheit eine Katastrophe heraufbeschwören und daran sterben. Diese grandiosen Aussichten brachten mich dazu, jeden Morgen zu dieser ungnädigen Uhrzeit aufzustehen und mich von dem Dämon quälen zu lassen, den mein Vater mir für das Training zur Kontrolle meiner Magie zur Verfügung gestellt hatte.

Ein Schauder stahl sich über meinen Rücken und automatisch wanderte mein Blick in die Seitengasse, die ich gerade passierte. Undurchdringlicher, nasskalter Nebel, schlimmer als in jedem Horrorfilm, den ich kannte. Er nahm der Welt die Farben. Über London hing ein Dunst, der einer Waschküche glich. Ich fröstelte. Nur noch ein paar Meter, dann konnte ich die Straße überqueren und in das riesige Gebäude der Verborgenenorganisation flüchten.

Ein lauter Flügelschlag ließ mich erstarren. Instinktiv presste ich mich an die nächste Hauswand und hielt den Atem an. Stille. Hatte ich mir das Geräusch nur eingebildet? Ich suchte den dunstigen Himmel mit meinen Augen ab und meinte, einen riesigen Schatten durch die Lüfte huschen zu sehen. Ich blinzelte, während mein Herz unangenehm pochte, doch der Schatten tauchte nicht wieder auf.

War es Einbildung gewesen? Vielleicht hatte ich einfach schon zu viel Zeit in der Unterwelt verbracht, denn das erste Bild, was sich in meiner Fantasie bildete, war das eines großen Dämonenvogels mit ledernen Schwingen.

Wir sind in der Realität, rief ich mir in Erinnerung. Es konnte genauso gut eine zu groß geratene Krähe gewesen sein. Kein gewaltiger Vogel mit messerscharfen Klauen würde sich aus dem Nebel auf mich stürzen. Kein Monster mit Tentakeln hielt sich in dem Dunst versteckt, wie in Stephen Kings Romanen. Das hier war London, Nebel gehörte eben dazu.

Ich war viel zu schreckhaft geworden, seit ich meine Magie nur noch begrenzt einsetzen durfte, um keinen Schaden anzurichten. Ich fühlte mich schutzlos und das brachte mich dazu, mir die schlimmsten Szenarien auszumalen. Vermutlich spielte mir meine Fantasie einen üblen Streich, so wie bei dem verdächtig aussehenden Mann aus der Würstchenbude, dem ich einen Elektroschock verpasst hatte, weil ich fest davon überzeugt gewesen war, dass sich seine Augenfarbe innerhalb von Sekunden von Eisblau auf Grün geändert hatte. Wie sich herausgestellt hatte, hatte ich falschgelegen. Der Mann war kein Dämon gewesen, was mir eine Strafarbeit und der Verborgenenorganisation die Zahlung von einem Batzen Schmerzensgeld eingebrockt hatte. Merlin, der Würstchenverkäufer, fuhr nun einen schicken kleinen Mercedes.

Trotz dessen, dass ich mich so weit abgelenkt hatte, dass sich mein Herzschlag beruhigte, blieb ich noch ein paar Sekunden länger stehen und lauschte. Kein Flügelschlagen mehr.

Ein Fahrradfahrer rauschte an mir vorbei und zuckte zusammen, als ich aus dem Schatten des Hauses trat. Das Rad schlenkerte bedrohlich und ich winkte ihm entschuldigend hinterher, nachdem er sich wieder gefangen und mir einen vorwurfsvollen Blick zugeworfen hatte. Ich beschloss, nicht noch mehr Zeit zu vergeuden, und überquerte die Straße. Je näher die Verborgenenorganisation kam, umso absurder kamen mir meine vorangegangenen Ängste vor. Ich überquerte den großen Platz und grüßte murmelnd die beiden Wachen, die sich am Torbogen der VO aufhielten.

Mir entgingen nicht die fragenden Blicke, die sie mir hinterherwarfen, so wie jeden Morgen. Es war nur in kleinen Kreisen bekannt, was für Probleme mir meine Selbstbeherrschung machte und dass ich seit Monaten dafür trainierte, nicht eines Tages den Verstand zu verlieren. Allerdings blieb auch nicht verborgen, dass ich vom Dienst ausgeschlossen war, und die verschiedensten Gerüchte machten bereits die Runde, allen voran jenes, dass ich eine potenzielle Irre war und Henry Cole nur zu viel Mitleid hatte, um mich einsperren zu lassen.

»Guten Morgen, Rüdiger«, sagte ich daher extra laut und klopfte dem gewaltigen Dinosaurierskelett in der Eingangshalle auf den Fußknochen. Die beiden Wachen am Eingang sahen sich wissend an und ich überlegte, ob ich noch einen draufsetzen und mich eine Weile mit Rüdiger, dem Skelett, unterhalten sollte. Sollten sie mich doch für eine harmlose Verrückte halten. Die Wahrheit war viel schlimmer.

Ich atmete laut aus, als ich durch einen der Torbogen an den Seiten ging und die Treppe hinaufhastete. Auf halbem Weg kam mir Jeremy White entgegen, der Werwolf, der immer wieder versuchte, mir das Leben schwer und mich bei Cole schlechtzumachen. Der hatte mir gerade noch gefehlt.

Wie alle Werwölfe konnte Jeremy schnell aufbrausend werden, doch während die meisten Mondkinder zumindest außerhalb der Vollmondzeit sehr gesellig waren, war er einfach ein eifersüchtiger Idiot, der mich hasste, weil ich besser war als er. Die Betonung lag dabei auf war.

In den letzten Wochen hatte er sich allerdings sehr zurückgezogen und begegnete mir fast schon mit Höflichkeit. Seit er durch das Gift der Sidé, einem uralten Elfenvolk, dem Wahnsinn verfallen war und ich ihn gerettet hatte, um genau zu sein.

Seine gelben Augen weiteten sich etwas, als er mich erblickte. Nervös vergrub er die Hände in den Taschen.

Meine Güte, ich hatte nicht vor, ihn zu einer Entschuldigung für seine miese Masche zu zwingen, hatte er das immer noch nicht kapiert? Ich hatte die Sidé ganz sicher nicht für ihn aufgespürt und bekämpft. Da gab es noch etwa tausend Leute, die vor ihm auf der Sympathisch-und-sollte-gerettet-werden-Liste standen.

»Hey, Lassie«, begrüßte ich ihn und entlockte Jeremy damit immerhin ein verächtliches Schnauben.

Na also, es ging doch. Es war wenigstens im Ansatz wieder etwas von seiner arroganten Art zu erkennen. Damit war er einer der wenigen, die sich nicht von mir fernhielten, weil sie Angst hatten oder mich für verrückt hielten.

»Was willst du, Benett?« Er blieb stehen und zog eine buschige Augenbraue in die Höhe, doch auch damit konnte er nicht das unruhige Umherhuschen seiner Augen überspielen.

»Siehst müde aus«, stellte ich fest und verspürte tatsächlich einen Anflug von Sorge um den Werwolf. Schnell schüttelte ich dieses Gefühl wieder ab, bevor ich mich noch daran gewöhnte. Trotzdem zeugten die tief liegenden Augen und der zottelige Bart davon, dass Jeremy die Tatsache, dass das Gift der Sidé ihn dazu gebracht hatte, sich am helllichten Tag in einen Wolf zu verwandeln und seiner Tante die Kehle durchzubeißen, selbst nach Monaten noch immer nicht ganz verkraftet hatte.

»Viel zu tun«, knurrte er und wollte weitergehen, blieb aber abrupt neben mir stehen. »Nicht, dass du im Moment allzu viel davon verstehen würdest.«

Er hob das Kinn und stolzierte weiter. Der kleine Funken Sorge um ihn erlosch vollends. Ich schluckte die Bemerkung, die mir auf der Zunge lag, und gönnte ihm den Augenblick des Triumphs, weil mir die Geschichte mit seiner Tante wieder in den Sinn gekommen war. Der Werwolf war über Wochen am Boden zerstört gewesen. Sollte er sich doch daran hochziehen, dass seine stärkste Konkurrentin in den Zwangsurlaub geschickt worden war und das seine Aufstiegschancen erheblich verbessert hatte.

»Gibt es etwas Neues?«, rief ich ihm dennoch hinterher und ignorierte das Aufwallen der Kränkung.

»Das Übliche«, rief der Werwolf über die Schulter hinweg. »Diebstähle. Einbrüche. Seit Freitag drei Vermisste. Wir schicken Taucher in die Themse, sobald der Nebel sich verzogen hat.«

Ich sah ihm seufzend hinterher. An diesen Nebeltagen waren solche Nachrichten tatsächlich nichts Neues. Zusammen mit dem weißen Dunst wagten sich vermehrt die Handtaschendiebe und Halunken aus ihren Verstecken und in betrunkenem Zustand konnte man auch schon mal in der Themse landen, auf der sich besonders gerne der Nebel sammelte.

Keine Dämonenangriffe, das war immerhin etwas. Erschrocken blickte ich auf die Uhr und sprintete los. Am Ende des Flurs erwartete mich eine Doppelflügeltür, hinter der sich die Trainingshalle befand. Ohne zu zögern, stürmte ich hinein.

»Entschuldige die Verspätung«, keuchte ich und stutzte einen Moment, als ich Kisin nirgends sehen konnte. Nur dämmriges Licht drang von außen durch die deckenhohen Fenster. Ich ließ meinen Blick über die Wände mit den Übungswaffen gleiten und entdeckte den Dämon mit verschränkten Armen neben einem Mattenstapel. Sein bärtiges Gesicht war finster verzogen.

»Schon gut, erspar mir die Strafpredigt«, beeilte ich mich zu sagen und hob abwehrend die Hände. »Ich weiß Bescheid, eine extra Trainingsstunde zur Strafe.«

»Zwei, für deine Dreistigkeit«, knurrte Kisin zurück. »Und jetzt fang an, ich bin gleich zurück.«

Charmant wie immer. Ich öffnete protestierend den Mund, doch der Dämon war schon aus der Tür geschlüpft. Also machte ich eine unflätige Geste und begab mich zur Matte in der Mitte des Raums.

Als Kisin nur das Amt von Baals Leibwächter erfüllt hatte, war er bedeutend netter zu mir gewesen. Doch seit man ihn mir als Mentor und Aufpasser an die Seite gestellt hatte, war aus ihm ein herrschsüchtiger, brummiger Esel geworden, der seine Aufgabe für meinen Geschmack viel zu ernst nahm. Vermutlich ging er gerade in den Keller, um zu lachen.

Ich entschied mich für ein paar Dehnübungen, solange Kisin noch weg war. Schließlich würde ich die nächste Stunde damit verbringen, reglos vor mich hin zu starren und einzurosten.

Dann ließ ich mich im Schneidersitz nieder und versuchte, die höchste Stufe der Konzentration zu erreichen, wie Kisin es nannte.

»Begib dich in den Zustand der Schwerelosigkeit«, witzelte ich leise und äffte perfekt Kisins brummige und belehrende Stimme nach. Eine Weile wippte ich lautlos vor und zurück, in dem Versuch, mich nicht von dem unablässigen, nervtötenden Ticken der großen Uhr an der Wand ablenken zu lassen. Doch ohne die Anwesenheit meines Trainers fehlte es mir etwas an Antrieb und ich musste mir Mühe geben, nicht im Sitzen einzuschlafen. Ob ich Kisin überreden konnte, die Strafe auf nur eine Zusatzstunde zu verkürzen? Ich hatte mich von Alissa zu einem Wellnesstag nach dem Training überreden lassen. Mit zwei Überstunden würde der wohl ins Wasser fallen.

Maniküre, Pediküre, Gesichtsmasken und Styling im Gegenzug zu Kisins Drangsalierung während des Trainings ... Ich überlegte, was das größere Übel war, und entschied mich, Ally zuliebe das Prozedere über mich ergehen zu lassen. Wir hatten lange nichts mehr gemeinsam gemacht.

Immer wieder wanderten meine Blicke zu den hohen Fenstern, hinter denen kaum mehr als weißer Dunst zu erkennen war. Dieser Nebel war wirklich extrem, selbst für Londons Verhältnisse. Ich ertappte mich dabei, wie ich nach schwarzen Schwingen Ausschau hielt und auf das Kreischen eines Dämonenvogels lauschte, bevor ich mich wieder zusammenriss. Was war nur los mit mir? Wieso bekam ich plötzlich Paranoia? Weil immer noch nicht geklärt war, wie einige Höllenhunde vor Monaten in die Realität gekommen waren und weil es in letzter Zeit verdächtig still war? Der Nebel schien wie die Ruhe vor dem Sturm zu sein.

Unruhig rutschte ich auf der Matte zurück und beschloss, noch ein paar Dehnübungen zu machen, bevor Kisin zurückkehrte und mich zum Stillhalten verdonnerte.

»Hab ich gesagt, dass du aufhören darfst?«, bellte eine laute Stimme und ich plumpste erschrocken zurück auf die Matte. Ich hatte den Dämon nicht einmal eintreten hören. Wie lange war er schon da und hatte mich beobachtet? War das ein Test gewesen?

Wenn ja, dann hatte ich ihn gehörig vermasselt. Kisin schien heute besonders schlechte Laune zu haben. Vermutlich war es kein besonders guter Zeitpunkt, ihn um die Milderung meiner Strafe zu bitten. Vielleicht hatte ich eine Chance, wenn ich mich heute anstrengte und seine Erwartungen erfüllte.

»Kaum bin ich nicht in der Nähe, vernachlässigst du deine Pflichten«, knurrte er in seinem bestimmten Ton, der keine Lautstärke brauchte, um sich herrisch anzuhören. »Du bist unkonzentriert, faul und hast kein Verantwortungsbewusstsein.«

Außerdem lasse ich mich zu leicht ablenken, bin zu impulsiv und zu emotional, zählte ich in Gedanken auf und verkniff es mir gerade noch, Kisin zu sagen, dass ich diese Worte schon tausend Mal gehört hatte.

Stumm ließ ich seine Schimpftiraden über mich ergehen, weil ich genau wusste, dass er sich nur Sorgen um mich machte. Außerhalb unserer Trainingszeit war Kisin ein netter Dämon, der für seinen trockenen Humor bekannt und ziemlich umgänglich war. Er gehörte sozusagen zur Familie und war seit vielen Jahren einer der engsten Vertrauten meines Vaters – weshalb er ganz besonders an meinem Schicksal interessiert war und alles daransetzte, mich zu retten. Auf Befehl meines Vaters war er deshalb nicht nur mein Mentor, sondern mein persönlicher Leibwächter geworden, ein Umstand, der ziemlich nervig sein konnte.

Kisin schlief bei uns in der Wohnung, aß mit uns zu Abend und folgte mir auf Schritt und Tritt, ständig wachsam und bereit, sich für mich einzusetzen. Ich gab es mittlerweile auf, die Leute davon zu überzeugen, dass wir kein Paar waren. Ich konnte ihnen schlecht erklären, wieso plötzlich Tag und Nacht ein attraktiver Mann an meiner Seite war. In Wahrheit war Kisin zwar ein Freund der Familie und ich mochte ihn, hatte aber keinerlei Interesse an einer innigeren Beziehung.

Ich zuckte zusammen, als ich mitbekam, dass ich mit meinen Gedanken schon wieder ganz woanders war. Und tatsächlich hatte Kisin seine Predigt schon vor einer Weile beendet und sah mich stumm und mit verschränkten Armen an. Er hatte meinen kleinen Gedankenausflug also mitbekommen.

Ich verzog den Mund zu einem schuldbewussten Lächeln, was ihm ein entnervtes Seufzen abrang.

»Es tut mir leid«, jammerte ich. »Wenn wir dieses Training zu menschlicheren Uhrzeiten abhalten würden, könnte ich mich besser konzentrieren.«

Kisins eisblaue Augen verengten sich. »Du musst lernen, zu jeder Tageszeit die Kontrolle zu behalten. Wenn du das nicht kannst, ist meine Arbeit hier umsonst.«

Mit einem Nicken gab ich ihm recht und überlegte kurz, ob ich ihm von meiner Befürchtung heute Morgen erzählen sollte. Aber heute schien er besonders gereizt zu sein. Eine Sorgenfalte hatte sich auf seiner Stirn gebildet und vielleicht war es nicht die beste Idee, gerade jetzt mit meiner Paranoia herauszurücken.

»Was ist los, Kisin?«, fragte ich ihn freiheraus und bemerkte das winzige Zögern in seinen sonst so geschmeidigen Bewegungen. »Irgendetwas belastet dich, ich sehe es dir an.«

Er winkte ab, doch so einfach ließ ich mich nicht abspeisen.

»Im Ernst, du bist bei unserem Training noch nie besonders rücksichtsvoll mit mir umgegangen. Aber ich sehe dir an, dass dich etwas oder jemand ziemlich sauer macht, und es wäre sehr nett, wenn du das nicht an mir auslässt.«

Sein schlechtes Gewissen ließ sich nur ansatzweise an seiner Haltung erkennen.

»Es ist Baal, habe ich recht?«, hakte ich weiter nach. »Hat er Ärger in der Unterwelt?«

Kisin presste die Lippen zusammen und ich wusste, dass ich ins Schwarze getroffen hatte. Es gab nur einen, dem Kisin mehr ergeben war als mir, seinem Schützling. Und das war jener, dem er die Treue geschworen hatte, mein Vater.

»Es gibt Aufstände«, erwiderte Kisin knapp.

Ich stand auf und vergrub die Hände in der Jeans, als ich zu ihm schlenderte. Die Nachricht, dass mein Vater wieder einmal seinen Herrscherposten verteidigen musste, war nichts Neues. Ein ganzes Land mit Dämonen im Zaum zu halten war eben nicht einfach, zumal die Dämonen von Natur aus dazu neigten, die ihnen gegebene Macht dazu zu nutzen, ihre eigene Welt zu zerstören. Über die Jahre hinweg hatte es immer wieder Krieg in der Unterwelt gegeben.

»Nimm dir einen Abend frei«, schlug ich ihm vor. »Unterstütze Baal, wenn du es für nötig hältst. Ich komme schon zurecht.«

In meiner Stimme lag mehr Zuversicht, als ich verspürte. Aber ein Abend ohne Babysitter klang einfach zu verlockend, zumal ich mit Alissa Mädelsgespräche führen wollte, ohne dass ein Aufpasser mit Supergehör lauschte.

»Ich habe deinem Vater versprochen ...«

»… auf mich aufzupassen, schon klar«, beendete ich den Satz des Dämons. »Aber Ally und ich haben heute unseren Wellnesstag, schon vergessen? Ich werde umgeben sein von einer Traube schnatternder Frauen inmitten von Stylisten, Nageldesignerinnen und Masseurinnen. Ich bin also nicht allein. Und dir wird nichts anderes übrig bleiben, als uns zu begleiten und den ganzen Abend unserem Weibertratsch zu lauschen.«

Kisin zog unbehaglich die Schultern hoch, doch so ganz hatte ich ihn noch nicht überzeugt. Er schien hin- und hergerissen. Einerseits kannte er meinen Vater gut genug, um zu wissen, wann dieser Hilfe benötigte, andererseits hatte er den Befehl, mich nicht aus den Augen zu lassen.

Ich musste schwerere Geschütze auffahren.

»Andererseits«, überlegte ich laut und strich mir gedankenverloren mit der Hand über das Kinn, »würde dir ein neuer Look auch nicht schaden. Dein Bart muss geschnitten werden und deine Haut könnte mal eine Feuchtigkeitsmaske vertragen ...«

»Schon gut, schon gut«, stieß Kisin hervor und die Panik in seinem Blick machte es mir schwer, mein Lachen zu unterdrücken. »Ich werde sehen, wie ich deinem Vater helfen kann, und bin zurück, wenn ihr mit euerem Wellnessdingsda fertig seid. Zufrieden?«

»Zufrieden«, stimmte ich zu, obwohl ich beinahe geneigt war, ihn darum zu bitten, mich mitzunehmen. Kämpfen hörte sich beinahe verlockender an als Maniküre und Gesichtsmasken.

Kapitel 2

»Konzentration, Jill!«, raunte Kisin und ich presste die Augen fester zusammen. Wie oft hatte ich dieses Wort in den letzten Wochen schon gehört? Ich konzentrierte mich doch schon mit jeder Faser meines Körpers. Aber langsam ging mir die Puste aus, mein Rücken schmerzte von der Haltung im Schneidersitz und ich hatte mich heute so oft und lang konzentriert, dass sich mein Kopf anfühlte, als hätte jemand Watte hineingepackt.

»Wir machen jetzt einen abschließenden Versuch, dann kannst du gehen. Erschaffe eine Lichtkugel.«

Nun öffnete ich doch die Augen und sah meinen Mentor skeptisch an. Er hatte eine Sonnenbrille aufgesetzt.

»Du erinnerst dich scheinbar, was beim letzten Mal passiert ist«, murmelte ich missmutig. Kisin grinste hinter seinem Bart.

»Komm schon, das Training heute lief gar nicht so mies wie sonst. Ich bin guter Dinge.«

»Wenigstens einer von uns«, gab ich zurück, zog die Beine aber wieder in den Schneidersitz. Wusste er eigentlich, was er da von mir verlangte? Kisin kniete sich vor mich und durchbohrte mich mit seinen dämonenblauen Augen.

»Du hast großes Potenzial und ich werde dir beibringen, es einzusetzen. Es wäre sonst eine Verschwendung.«

»Wieso? Ich kann auch ohne Magie bei der VO arbeiten und Bösewichte festnehmen ... Vielleicht sollten wir einfach ...«

»Kommt nicht infrage«, unterbrach er mich. »Deine Magie ist ein Teil von dir und mal abgesehen davon, dass du eine tickende Zeitbombe bist, solltest du die Macht nutzen, die dir in die Wiege gelegt wurde. Andere würden töten dafür.«

Ich antwortete nicht darauf, dieses Gespräch hatten wir schon zu oft geführt. Und in einem hatte er recht, ich musste lernen, mit der Macht umzugehen, andernfalls würde sie mich töten. Und mit jedem Tag, der verging, wurde es schwerer und schwerer. Unwillkürlich fragte ich mich, wie viel Zeit mir noch blieb.

Ich gab Kisin ein Zeichen, sich ein Stück von mir zu entfernen, und schloss die Lider. Vor meinem inneren Auge erschien fast augenblicklich das Gewirr blauer Pranafäden, die wie flüssiger Strom glitzerten und unkontrolliert in meiner Brust tobten. Es waren so viele, viel mehr als vor einigen Tagen. Und da war auch die weiße Murmel, die inmitten meiner Energiestränge schwebte und wie der Vollmond schimmerte. Ich begutachtete ihre Oberfläche. War der Riss, aus dem weitere Energie tropfte, größer geworden? Wie viel meiner Energie hatte mein Vater darin weggeschlossen, als ich noch ein Baby gewesen war? Und wie viel Magie würde ich noch kontrollieren müssen?

Ich widmete mich wieder den Pranasträngen, die ein wildes Knäuel bildeten. Ein einziger Gedankenstoß genügte und sie schossen alle zu dem Kern, der weißen Murmel, sammelten sich wie eine Schutzhülle darum und bildeten damit meine Energiequelle.

Augenblicklich wuchs der Druck in meiner Brust und verstärkte sich zu einem brennenden und pulsierenden Herzschlag. Ich keuchte und presste die Augen aufeinander. Bis hierhin hatte ich nichts anders gemacht als jede andere Hexe auch, wenn sie Magie benutzen wollte. Hexen konnten die Magiequelle in ihrer Brust anzapfen, um damit ihre Gedanken zu verstärken und die Magie ihres Spezialgebiets wirken.

Ich als Halbdämon hatte eine etwas schwierigere Aufgabe, denn ich konnte die Magie direkt nutzen und nicht nur meine Gedanken wie an einer Steckdose an meiner inneren Magiequelle aufladen. Mir stand, symbolisch gesehen, der pure Strom zur Verfügung.

Zunächst brachte ich die pulsierende Quelle in meinem Inneren dazu, sich auszubreiten und jede einzelne Faser meines Körpers mit Macht zu füllen. Der Druck in der Brust ließ augenblicklich nach und zurück blieb ein unangenehmes Kribbeln, das über meine Haut fuhr, sowie ein dissonantes Klingeln in meinen Ohren.

Früher war es mir leichtgefallen, diesen Zustand hervorzurufen. Ich hatte stundenlang unter Spannung gestanden und es hatte mich nicht im Geringsten gestört. Nach einiger Zeit hatte ich es nicht einmal mehr wahrgenommen, dass die Magie meinen Körper erfüllte. Heute allerdings kostete es mich unglaubliche Anstrengung, Herr über die Prana in meinem Inneren zu werden. Sie war wild und unbezähmbar. Sie machte mir Angst und dabei hatte ich noch nicht einmal damit angefangen, Magie zu wirken.

Meine Haare kitzelten mich im Nacken, sie schwebten lautlos um meinen Kopf, als sich die Luft mit knisternder Magie auflud. Ich spürte kleine Funken über meine Hände tanzen und konzentrierte mich darauf, die Prana zurückzuhalten. Das Funkeln erlosch.

»Sehr gut«, lobte mich Kisin, doch ich konnte die Anspannung in seiner Stimme hören. Er wusste, in was für eine Gefahr er sich begab. »Beim letzten Mal hast du bedeutend länger gebraucht, um dich zu fangen. Jetzt bündel die Energie, ganz vorsichtig, und materialisiere die Lichtkugel in deiner Hand. Konzentration!«

Ich biss auf die Unterlippe und tat, was er verlangte. Die Prana in meinen Adern floss in meine Hand und überwand die Barriere der Haut. Eine winzige, blau glühende Kugel erschien auf der Handfläche. Sie wuchs langsam und stetig an.

»Weiter so«, brummte Kisin, doch ich war viel zu sehr damit beschäftigt, nicht zu viel Magie in den Energieball fließen zu lassen, der scheinbar harmlos vor mir schwebte und uns in sanft blaues Licht tauchte. Mittlerweile sammelte sich der Schweiß auf meiner Stirn und meine Finger begannen zu zittern, so sehr strengte mich das Zurückhalten der Energie an.

»Du hast es geschafft«, lobte mich der Dämon und ich erlaubte mir ein erleichtertes Lächeln. Vielleicht war doch noch nicht alles verloren.

»Halte die Kugel noch einen Moment«, sagte Kisin plötzlich und mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Panisch schüttelte ich den Kopf. Ich sah aus den Augenwinkeln, dass Kisin beruhigend die Hand hob.

»Du machst das sehr gut Jill, aber wir müssen Fortschritte machen. Früher konntest du einen Lichtball erschaffen und nebenbei ein Nickerchen halten, ohne dass er nur ein Quäntchen an Energie verloren hat. Du hast es geschafft, den Ball zu erschaffen, jetzt halte ihn auf einem konstanten Level. Unterhalte dich mit mir.«

Ich schluckte hörbar, doch Kisins Worte enthielten zu viel Wahrheit. Was war ich für ein Dämon, wenn ich schon beim Erschaffen einer Magiekugel so viel Konzentration benötigte, dass eine Horde Höllenhunde unbemerkt an mir vorbeitrampeln konnte?

»Was ...«, sagte ich langsam, ohne die Kugel aus den Augen zu lassen. »Was willst du denn gerne wissen?«

Es funktionierte tatsächlich, die Kugel glühte schwach, aber konstant. Ich unterdrückte das Gefühl der Freude, weil es mich zu sehr abgelenkt hätte.

»Ich weiß nicht, erzähl mir irgendetwas. Wie geht es Alissa und Chaz?«

»Gut«, war das Einzige, was mir momentan dazu einfiel. Dafür wagte ich es, meinen Blick für eine Sekunde von der Kugel zu heben und Kisins Gesicht zu streifen. Ich sah das stolze Lächeln darin. Die Kugel schwebte weiterhin lautlos und ungefährlich auf meiner Handfläche.

»Und Cox?«, fragte der Dämon weiter. Trotz der Sonnenbrille sah ich, dass er es nicht wagte, die Kugel aus den Augen zu lassen.

»Auch gut. Er ist viel im Auftrag der VO für Henry unterwegs. Es macht ihn wahnsinnig stolz, dass er der erste Kobold ist, den sie eingestellt haben.«

Immerhin, das waren drei Sätze und das blaue Leuchten hatte sich kaum verändert.

»Der Erste? Ich dachte immer, er ist der einzige Kobold in London.«

»Ist er auch«, antwortete ich und ärgerte mich über das Zittern in meiner Stimme. Mittlerweile war ich schweißgebadet.

»Und wie steht es um Ryan?«

Die Frage traf mich so unvorbereitet, dass ich scharf einatmete und zusammenzuckte. Ein grellblauer Lichtblitz explodierte und ich schloss gerade noch rechtzeitig die Augen, um nicht geblendet zu werden. Hinter den geschlossenen Lidern sah ich das glühende Licht, das jeden Schatten aus dem Raum vertrieb und eine immense Wärme ausstrahlte. Sofort zog ich die Energie wieder zurück in meinen Körper, wohl wissend, dass sie sich durch meine Adern bis in meine Brust brennen würde.

Wimmernd fiel ich zur Seite und krümmte mich, bis der Schmerz nachließ. Als ich die Augen öffnete, dauerte es eine Weile, bis ich wieder etwas erkennen konnte.

Kisin knetete sich schuldbewusst die Hände.

»Zu früh?«, fragte er kleinlaut. Ich funkelte ihn an.

»Du meinst, ob es zu früh war, mir unvorbereitet Fragen über meinen Ex-Freund zu stellen, während ich krampfhaft versuche, nicht die ganze Trainingshalle in die Luft zu jagen?« Ich deute auf den zwei Meter großen, rußschwarzen Brandfleck auf dem Hallenboden. »Ich weiß nicht, sag du es mir!«

Kisin setzte die Sonnenbrille ab und räusperte sich unangenehm berührt. »Ist ja nichts Schlimmes passiert«, murmelte er. »Ich wusste nicht, dass du noch so sehr daran zu knabbern hast.«

»Hab ich auch nicht«, blaffte ich zurück und sprang auf. »Ich war nur überrascht.«

»Wieso bist du dann so sauer?«, fragte der Dämon. In seiner Stimme lagen weder Vorwurf noch Missbilligung, er fragte aus reiner Neugier und Sorge um mich.

»Weil ... weil ich ...« Ja, warum eigentlich? »Weil ich verdammt noch mal gedacht habe, ich hätte den Dreh endlich raus, und nun sieh dir den Boden an. Ich kann nicht einmal mehr eine simple Lichtkugel erschaffen, ohne allen Menschen im Umkreis von dreißig Metern das Augenlicht zu rauben.«

Frustriert trat ich nach dem Mattenstapel. Kisins Hand legte sich beruhigend auf meine Schulter.

»Jill, sei nicht so hart zu dir selbst. Du hast heute enorme Fortschritte gemacht. Den Rest bekommen wir auch noch hin, aber für heute hast du genug geleistet. Geh zu Alissa und genieße euren Wellnesstag. Morgen sieht die Sache schon wieder anders aus.«

Mein Kiefer schmerzte bereits, weil ich die Zähne zusammenbiss, um einen Wutschrei zu unterdrücken. So war es in letzter Zeit immer: Ständig war ich im Nullkommanichts auf hundertachtzig. Ich stellte mich mit verschränkten Armen ans Fenster und sah in den dichten Nebel hinaus.

»Ja, vielleicht. Ich hoffe, du hast recht.«

Als ich den Trainingsraum endlich verließ, war die Frustration maßloser Enttäuschung gewichen. Ich zog meine Jacke enger um mich und hastete die Treppe hinunter in die Vorhalle.

»Na, hast du Feierabend?«, rief mir eine männliche Stimme plötzlich hinterher. Ich bremste ab und blieb stehen.

Auf der anderen Seite des Skeletts stand Zed und hob die Hand zum Gruß.

»Ja, ich, ähm ... hi«, stammelte ich, während mir die Hitze ins Gesicht schoss. Herrgott, was war denn nur los mit mir?

Der Vampir lächelte verschmitzt und zeigte seine Grübchen. Ich trat von einem Fuß auf den anderen und wusste nicht, wo ich zuerst hinsehen sollte. Zed war einer der Jäger der VO, kräftig gebaut und mit kurzen, braunen Haaren. Durchaus ein bisschen zu attraktiv für meinen Geschmack, gerade weil genau das auch ausschlaggebend für meine kindische Reaktion war. Das und die Tatsache, dass er mich im Winter zu einem Date eingeladen hatte, was noch immer unausgesprochen zwischen uns in der Luft hing. Ich hatte ihn mehr oder weniger auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet, weil die Trennung von Ryan noch zu frisch gewesen war.

»Ähm, ich geh dann mal«, sagte ich, als die Stille zwischen uns begann, peinlich zu werden. »Ich treffe mich mit Alissa.«

Zed zwinkerte mir zu und wünschte mir viel Spaß. Ich sah ihm hinterher und kam nicht umhin, die eleganten Bewegungen der Vampire zu bewundern, während ich mir selbst wie ein Trottel vorkam.

»Das war ja wieder mehr als peinlich«, grummelte ich frustriert vor mich hin, doch als Alissa mir draußen freudestrahlend aus dem Taxi heraus zuwinkte, konnte ich einfach nicht anders, als die Gedanken an den kleinen Magieunfall und mein Gestottere vor Zed zu verdrängen. Allys rostrote Ringellocken wippten fröhlich, als sie vor Aufregung auf dem Rücksitz zappelte. Ihre quirligen und aufgedrehten Momente wurden seit unserem Umzug nach London weniger, doch heute strahlten ihre grünen Augen vor Freude.

»Nun beeil dich schon, sonst kommen wir zu spät«, rief sie durch das heruntergelassene Fenster und ich ließ mich auf den Sitz neben ihr fallen. Sie umarmte mich innig und ihr angenehmer Blumenduft umhüllte mich. Etwas skeptisch betrachtete sie meine ausgewaschene Jeans und die mittlerweile ziemlich abgetragene Lederjacke, von der ich mich nur schwer trennen konnte.

»Was ist? Ich komme gerade vom Training«, verteidigte ich mich und Ally beschränkte sich auf einen theatralischen Seufzer. Sie selbst war adrett gekleidet in einem weißen Kostüm, das ihre Sommersprossen zur Geltung brachte und sich perfekt an den zierlichen, elfengleichen Körper anschmiegte. Sie versuchte seit Jahren vergeblich, mich für Mode zu begeistern, hatte sich aber mittlerweile auf stillschweigende Missbilligung meines eher lockeren und sportlichen Stils beschränkt.

»Heute kommst du mir nicht davon«, sagte sie stattdessen und strahlte über das ganze Gesicht, während sie nach meiner Hand griff. »Mal sehen, deine Nägel sind ganz schön kurz und eine Verlängerung würde sich bei dir nicht lohnen, du brichst sie ja im Kampf doch nur wieder ab. Aber ein bisschen Farbe kann nicht schaden. Und wenn wir gerade dabei sind, wie lange trägst du nun schon dieses langweilige Braun in den Haaren? Meinst du nicht, es ist mal an der Zeit, etwas Neues zu probieren?«

Sie blickte mich hoffnungsvoll an und klimperte mit den Wimpern.

»Was hast du gegen meine Haare?«, fragte ich entsetzt und griff nach einer der langen Locken, die mir bis weit über die Schultern reichten.

»Nichts«, versicherte sie mir schnell. »Ich dachte nur, so eine kleine Veränderung ...«

»Ally«, unterbrach ich sie sanft, um ihren Enthusiasmus nicht zu stark zu dämpfen. »Wenn ich eine andere Farbe wollte, würde ich einfach die Biokinese einsetzen und meine Haarfarbe ändern.«

»Das ist nicht dasselbe«, verteidigte sie sich und zog einen Schmollmund, der nicht lange ihrem unterdrückten Lächeln standhielt. »Wir werden schon was aus dir machen.«

Ich verzog gequält das Gesicht.

»Fahrer, kann ich bitte hier aussteigen?«, rief ich nach vorne, musste allerdings kichern, als Ally mir empört auf den Arm schlug.

»Na schön, na schön«, gab ich nach. »Ich verspreche dir, ich werde den Nachmittag in vollen Zügen genießen. Die ganze Prozedur!«

»Sehr schön«, antwortete Alissa zufrieden und lehnte sich zurück, während der Taxifahrer uns durch die halbe Stadt manövrierte. Wir wurden direkt vor dem riesigen Wellnesscenter herausgelassen, in das Alissa mich mindestens einmal im Jahr schleifte. Schon in der gläsernen Drehtür schlug mir der Geruch von ätherischen Ölen und duftenden Cremes entgegen. Augenblicklich begann meine Nase zu jucken, trotzdem freute ich mich auf den Whirlpool und die anschließende Massage, die meinen steifen Muskeln sicher guttun würde.

Als ich allerdings in einem dicken, flauschigen Bademantel und Badelatschen aus der Umkleidekabine gewatschelt kam, musste ich zu meinem Leidwesen feststellen, dass Alissa bereits vor der Pediküreabteilung auf mich wartete.

»Ally, meine Füße haben den ganzen Tag in Stiefeln gesteckt. Hab Erbarmen mit den Mitarbeitern hier, der Geruch wird sie ins tiefste Koma versetzen.«

»Papperlapapp, du bekommst vorher ein Fußbad«, winkte die zierliche Hexe ab. »Außerdem habe ich eine Überraschung«, fügte sie hinzu und deutete in den großen, weiß gefliesten Raum mit mehreren Liegen, von denen einige schon besetzt waren. Und zwar von niemand Geringerem als Derek und Don, unseren beiden besten Freunden, die bereits eine Fußmassage bekamen.

»Ich hätte es mir ja denken können«, lachte ich auf und die beiden winkten uns fröhlich zu. Eine halbe Stunde später fand auch ich nichts mehr zu meckern, dafür waren Fußbad und Fußmassage viel zu angenehm gewesen. Wir lümmelten auf den Liegen in einer Reihe und gaben abwechselnd entspannte und glückliche Seufzer von uns, während der Springbrunnen neben uns plätscherte und leise Musik ertönte, die eine hypnotisierende Wirkung hatte.

Durch die große Glaswand auf der anderen Seite hatte man einen guten Blick auf die Terrasse, die mit hohen Palmen zugestellt war und auf der sich einige Mütter in Korbsesseln unterhielten, während sie ihren Kindern beim Planschen im angrenzenden Schwimmbecken zusahen.

Zufrieden schlürfte ich an meinem Fruchtcocktail und fischte mit dem Strohhalm die Orangenscheibe heraus. Ab und zu musste ich kichern, wenn die Fußpflegerin, eine hübsche brünette Hexe, meine empfindlichen Stellen unter den Füßen berührte. Sie war gerade dabei, meine Nägel zu feilen.

Ally beugte sich vor, um über mich hinweg mit Derek und Don zu reden, die von ihrer Arbeit erzählten. Die beiden Wissenschaftler berichteten von dem letzten Kongress der Verborgenen, an dem sie ihre neuesten Forschungsergebnisse darlegen durften. Sie waren dabei, die Entstehung der Unterwelt zu erforschen, und konnten mittlerweile belegen, dass die Unterwelt eine Art zweite Dimension war, die der unseren ähnelte. Beide Dimensionen bestanden aus Prana, der Lebensenergie, nur dass die der Unterwelt bedeutend ausgeprägter war als die der Realität. In der Unterwelt sprach man von der blauen Dämonenprana, die selbst den Himmel durchzog und in jedem Lebewesen steckte, ob Pflanze oder Tier. Sie sorgte dafür, dass die Dämonen kaum alterten und Kräfte besaßen, von denen die Hexen der Realität nur träumen konnten.

In der Realität war die reine, weiße Hexenprana nur schwach ausgeprägt. Bei den Normalsterblichen war sie beispielsweise kaum nachweisbar. Daher überschritt die Lebensspanne der Normalsterblichen kaum die hundert Jahre. Bei den Hexen, Werwölfen und Vampiren, die mehr Prana in sich hatten, waren es ein paar Jahrzehnte mehr, aber dennoch nichts im Vergleich zu den Dämonen, denen nahezu die Unsterblichkeit gegeben war.

Dafür herrschte in der Realität ein Gleichgewicht, was wiederum den Dämonen fehlte. In der Unterwelt gab es eine Quelle, die die Dimension mit Prana versorgte und gleichzeitig die Energie aus den Pflanzen entnahm. Durch Krieg und Zerstörung vonseiten der Dämonen war das Gleichgewicht der Unterwelt über die Jahre gestört worden. Mittlerweile war die Quelle nahezu verkümmert, sie saugte das letzte bisschen Leben aus den Pflanzen und hinterließ Felder abgestorbenen Grases, verdorrte Bäume und schwarze, verkohlte Landschaft.

Mein Vater versuchte seit Jahren, dem entgegenzuwirken, und mit der Freilassung der Elfen in der Unterwelt, die sich um die Natur kümmerten und dafür sorgten, dass sie sich erholte, hatte ich ihm einen großen Gefallen getan.

Derek und Don hatten sich diesem Phänomen ebenfalls gewidmet und waren vor Kurzem sogar unter Aufsicht meines Vaters in die Unterwelt gereist, um neue Forschungsergebnisse zu sammeln. Noch vor ein paar Jahren wäre so eine Exkursion undenkbar gewesen und auch wenn es viele Kritiker gab, die eine Kooperation zwischen den beiden Welten als gefährlich und unverantwortlich einstuften, konnte man die wertvollen Informationen, die in der Unterwelt gesammelt worden waren, nicht von der Hand weisen. Derek und Don hatten einen Meilenstein gesetzt und ihre Namen waren in jedermanns Munde.

Natürlich blieben die Veränderungen der letzten Jahre nicht verborgen. Es kristallisierte sich immer mehr heraus, dass die Verborgenenorganisation bereit war, mit Dämonen zusammenzuarbeiten. Mittlerweile wurde davon gesprochen, einige Dämonen in die Realität zu integrieren und von ihrer Macht zu profitieren.

Mit mir als Halbdämon hatte man das erste Zeichen gesetzt, als man mich bei der VO einstellte. Auch durch die Zusammenarbeit von Baal und Henry bei dem großen Angriff auf London vor mehreren Jahren war klar geworden, dass Veränderungen anstanden. London teilte sich seitdem in drei Lager. Es gab jene, die diese Weiterentwicklung befürworteten und jene, die dagegen waren. Und dann gab es noch die Normalsterblichen, die keine Ahnung hatten, was vor sich ging, und nicht einmal von den Hexen, Werwölfen und Vampiren wussten. Ich war gespannt, was sich in den nächsten Jahren entwickeln würde, sofern ich sie noch erlebte.

Meine Sorge musste sich auf meinem Gesicht widergespiegelt haben, aber selbst wenn ich sie hätte verbergen wollen, vor Alissa konnte ich nichts geheim halten. Sie spürte meine Gefühle und die aller in ihrer Umgebung, als wären es ihre eigenen. In einem Wellnesscenter, wo im Großen und Ganzen wohlige Entspannung herrschte, musste meine Sorge wie eine feuerrote Werbetafel vor ihren Augen blinken.

Fragend neigte sie den Kopf und richtete ihre Aufmerksamkeit auf mich.

»Wie war dein Training heute?«, fragte sie so unverfänglich wie möglich, aber es bedeutete so viel wie: Was belastet dich?

Ich zögerte einen Moment, doch dann entschied ich, dass sie sowieso nicht lockerlassen würde. Glücklicherweise war es Don, der mich vor einer Antwort bewahrte.

»Ja, wie läuft es so zwischen Kisin und dir?« Er wackelte mit den Augenbrauen und grinste bis hinter beide Ohren. Ich blickte ihn stirnrunzelnd an und verspürte kurzzeitig die Lust, ihm mit den Händen durch die perfekt gestylte Rockabillyfrisur zu wuscheln, um ihn damit wahnsinnig zu machen.

»Kisin ist mein Mentor, nichts weiter.«

Don schien enttäuscht zu sein. Sollte ich ihm von Zed erzählen, um seine Laune zu heben? Aber dann würden mir meine Freunde ständig damit in den Ohren liegen und mich drängen, mich mit dem Vampir zu treffen. Dabei hatte ich genug um die Ohren. Männergeschichten konnte ich in meinem Zustand absolut nicht gebrauchen.

»Ach komm schon, Jill, Kisin ist nicht viel älter als du, sieht gut aus und als Dämon kann er sogar dich zähmen. Da muss doch was laufen.« Don klang fast hoffnungsvoll.

»Da muss ich dich enttäuschen«, sagte ich schmunzelnd. »Kisin ist nett, aber er ist für mich eher so etwas wie ein freundlicher Onkel. Er gehört zur Familie.« Tatsächlich verspürte ich nichts als freundschaftliche Gefühle für den Dämon und ich glaubte auch nicht, dass Kisin sich mehr ausmalte. »Und dass er mich zähmen kann, wage ich zu bezweifeln. Ich habe ihn heute fast erblinden lassen«, fügte ich kleinlaut hinzu.

Ein Seitenblick auf Alissa sagte mir, dass sie langsam begann zu verstehen, was mich belastete.

»Was ist passiert? Hast du die Kontrolle verloren?«, fragte sie sanft.

»Erst lief es ganz gut, aber dann habe ich dem Fußboden ein Brandloch verpasst, und das nur durch eine einfache Lichtkugel.«

Derek, der links von mir saß, tätschelte mitfühlend meine Hand. Ich begann zu erzählen, wie stolz ich war und welche Fortschritte ich gemacht hatte, dass ich mich mit Kisin sogar hatte unterhalten können, ohne dass meine Konzentration darunter litt.

»Und dann hat er mich aus heiterem Himmel nach Ryan gefragt und ich habe die Kontrolle verloren«, schloss ich seufzend. Derek zog die Augenbrauen in die Höhe.

»Ryan? Ich dachte, das wäre endlich vorbei?«

»Ist es auch«, erwiderte ich. »Wir haben uns seit Monaten kaum gesehen und ich komme ganz gut damit zurecht.«

»Und wieso sprengst du dann den Hallenboden, wenn er dir nichts mehr bedeutet?«, fragte Alissa unschuldig.