Goethes Briefe und Aufsätze - Johann Wolfgang Goethe - E-Book

Goethes Briefe und Aufsätze E-Book

Johann Wolfgang Goethe

0,0
0,91 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Breife aus der Schweiz (Zweite Abteilung), Italienische Reise, und Kampagne in Frankreich. Wikipedia: "Johann Wolfgang von Goethe (* 28. August 1749 in Frankfurt am Main; † 22. März 1832 in Weimar), geadelt 1782, war ein deutscher Dichter. Er forschte und publizierte außerdem auf verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebieten. Ab 1776 bekleidete er am Hof von Weimar unterschiedliche politische und administrative Ämter. Goethes literarische Produktion umfasst Gedichte, Dramen, erzählende Werke (in Vers und Prosa), autobiografische, ästhetische, kunst- und literaturtheoretische sowie naturwissenschaftliche Schriften. Auch sein umfangreicher Briefwechsel ist von großer literarischer Bedeutung. Goethe war ein Vorreiter und der wichtigste Vertreter des Sturm und Drang. Sein Roman Die Leiden des jungen Werthers machte ihn 1774 in ganz Europa berühmt. Später wandte er sich inhaltlich und formal den Idealen der Antike zu und wurde ab den 1790er Jahren, gemeinsam mit Friedrich Schiller und im Austausch mit diesem, zum wichtigsten Vertreter der Weimarer Klassik. Im Alter galt Goethe auch im Ausland als Repräsentant des geistigen Deutschland."

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 1219

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



GOETHES BRIEFE UND AUFSÄTZE

_______________

Published by Seltzer Books. seltzerbooks.com

established in 1974, as B&R Samizdat Express

offering over 14,000 books

feedback welcome: [email protected]

________________

BRIEFE AUS DER SCHWEIZ--ZWEITE ABTEILUNG

ITALIENISCHE REISE

BRIEFE AUS DER SCHWEIZ--ZWEITE ABTEILUNG VON JOHANN WOLFGANG VON GOETHE

Münster, den 3. October.

Genf, den 27. October.

Cluse in Savoyen den 3. November.

Salenche den 4. Nov. Mittags.

Chamouni, den 4. Nov.

Den 5. Nov. Abends.

Chamouni, den 6. Nov. früh.

Martinach im Wallis, den 6. Nov. Abends.

Martinach, den 6. Nov. 1779.

Den 7ten.  St. Maurice,

Martinach, gegen Neun.

Sion, den 8. Nov. nach drei Uhr.

Seyters, den 8. Nov. Nachts.

Seyters, den 9ten.

Leukerbad, den 9ten, am Fuß des Gemmiberges.

Leukerbad, den 10. Nov.

Leuk, gegen 10 Uhr.

Brieg, den 10. Abends.

Münster, den 11. Abends 6 Uhr.

Münster, den 12. Nov. früh 6 Uhr.

Realp, den 12. Nov. Abends.

Den 13. Nov., oben auf dem Gipfel des Gotthards bei den Kapuzinern.

Münster, den 3. October.

Sonntag Abends.

Von Basel erhalten Sie ein Paket, das die Geschichte unsrer bisherigen Reise enthält, indessen wir unsern Zug durch die Schweiz nun ernstlich fortsetzen.

Auf dem Wege nach Biel ritten wir das schöne Birsch-Thal herauf und kamen endlich an den engen Paß der hierher führt.

Durch den Rücken einer hohen und breiten Gebirgkette hat die Birsch, ein mäßiger Fluß, sich einen Weg von Uralters gesucht.  Das Bedürfniß mag nachher durch ihre Schluchten ängstlich nachgeklettert sein.  Die Römer erweiterten schon den Weg, und nun ist er sehr bequem durchgeführt.  Das über Felsstücke rauschende Wasser und der Weg gehen neben einander hin und machen an den meisten Orten die ganze Breite des Passes, der auf beiden Seiten von Felsen beschlossen ist, die ein gemächlich aufgehobenes Auge fassen kann.  Hinterwärts heben Gebirge sanft ihre Rücken, deren Gipfel uns vom Nebel bedeckt waren.  Bald steigen an einander hängende Wände senkrecht auf, bald streichen gewaltige Lagen schief nach dem Fluß und dem Weg ein, breite Massen sind auf einander gelegt, und gleich daneben stehen scharfe Klippen abgesetzt.  Große Klüfte spalten sich aufwärts, und Platten von Mauerstärke haben sich von dem übrigen Gesteine losgetrennt.  Einzelne Felsstücke sind herunter gestürzt, andere hängen noch über und lassen nach ihrer Lage fürchten, daß sie dereinst gleichfalls herein kommen werden.  Bald rund, bald spitz, bald bewachsen, bald nackt, sind die Firsten der Felsen, wo oft noch oben drüber ein einzelner Kopf kahl und kühn herüber sieht, und an Wänden und in der Tiefe schmiegen sich ausgewitterte Klüfte hinein.

Mir machte der Zug durch diese Enge eine große ruhige Empfindung.  Das Erhabene gibt der Seele die schöne Ruhe, sie wird ganz dadurch ausgefüllt, fühlt sich so groß als sie sein kann.  Wie herrlich ist ein solches reines Gefühl, wenn es bis gegen den Rand steigt ohne überzulaufen.  Mein Auge und meine Seele konnten die Gegenstände fassen, und da ich rein war, diese Empfindung nirgends falsch widerstieß, so wirkten sie was sie sollten.  Vergleicht man solch ein Gefühl mit jenem, wenn wir uns mühselig im Kleinen umtreiben, alles aufbieten, diesem so viel als möglich zu borgen und aufzuflicken, und unserm Geist durch seine eigne Creatur Freude und Futter zu bereiten; so sieht man erst, wie ein armseliger Behelf es ist.

Ein junger Mann, den wir von Basel mitnahmen, sagte: es sei ihm lange nicht wie das erstemal, und gab der Neuheit die Ehre.  Ich möchte aber sagen: wenn wir einen solchen Gegenstand zum erstenmal erblicken, so weitet sich die ungewohnte Seele erst aus, und es macht dieß ein schmerzlich Vergnügen, eine Überfülle, die die Seele bewegt und uns wollüstige Thränen ablockt.  Durch diese Operation wird die Seele in sich größer, ohne es zu wissen, und ist jener ersten Empfindung nicht mehr fähig.  Der Mensch glaubt verloren zu haben, er hat aber gewonnen. Was er an Wollust verliert, gewinnt er an innerm Wachsthum.  Hätte mich nur das Schicksal in irgend einer großen Gegend heißen wohnen, ich wollte mit jedem Morgen Nahrung der Großheit aus ihr saugen, wie aus einem lieblichen Thal Geduld und Stille.  Am Ende der Schlucht stieg ich ab und kehrte einen Theil allein zurück.  Ich entwickelte mir noch ein tiefes Gefühl, durch welches das Vergnügen auf einen hohen Grad für den aufmerksamen Geist vermehrt wird.  Man ahnet im Dunkeln die Entstehung und das Leben dieser seltsamen Gestalten.  Es mag geschehen sein wie und wann es wolle, so haben sich diese Massen, nach der Schwere und Ähnlichkeit ihrer Theile, groß und einfach zusammen gesetzt.  Was für Revolutionen sie nachher bewegt, getrennt, gespalten haben, so sind auch diese doch nur einzelne Erschütterungen gewesen, und selbst der Gedanke einer so ungeheuren Bewegung gibt ein hohes Gefühl von ewiger Festigkeit.  Die Zeit hat auch, gebunden an die ewigen Gesetze, bald mehr bald weniger auf sie gewirkt.

Sie scheinen innerlich von gelblicher Farbe zu sein; allein das Wetter und die Luft verändern die Oberfläche in Graublau, daß nur hier und da in Streifen und in frischen Spalten die erste Farbe sichtbar ist.

Langsam verwittert der Stein selbst und rundet sich an den Ecken ab, weichere Flecken werden weggezehrt, und so gibt's gar zierlich ausgeschweifte Höhlen und Löcher, die, wann sie mit scharfen Kanten und Spitzen zusammen treffen, sich seltsam zeichnen.  Die Vegetation behauptet ihr Recht; auf jedem Vorsprung, Fläche und Spalt fassen Fichten Wurzel, Moos und Kräuter säumen die Felsen.  Man fühlt tief, hier ist nichts Willkürliches, hier wirkt ein alles langsam bewegendes ewiges Gesetz, und nur von Menschenhand ist der bequeme Weg, über den man durch diese seltsamen Gegenden durchschleicht.

 Genf, den 27. October.

Die große Bergkette, die von Basel bis Genf Schweiz und Frankreich scheidet, wird, wie Ihnen bekannt ist, der Jura genannt.  Die größten Höhen davon ziehen sich über Lausanne bis ungefähr über Rolle und Nyon. Auf diesem höchsten Rücken ist ein merkwürdiges Thal von der Natur eingegraben — ich möchte sagen eingeschwemmt, da auf allen diesen Kalkhöhen die Wirkungen der uralten Gewässer sichtbar sind — das la Vallée de Joux genannt wird, welcher Name, da Joux in der Landsprache einen Felsen oder Berg bedeutet, deutsch das Bergthal hieße.  Eh' ich zur Beschreibung unsrer Reise fortgehe, will ich mit wenigem die Lage desselben geographisch angeben.  Seine Länge streicht, wie das Gebirg selbst, ziemlich von Mittag gegen Mitternacht, und wird an jener Seite von den Septmoncels, an dieser von der Dent de Vaulion, welche nach der Dole der höchste Gipfel des Jura ist, begränzt und hat, nach der Sage des Landes, neun kleine, nach unsrer ungefähren Reiserechnung aber sechs starke Stunden.  Der Berg, der es die Länge hin an der Morgenseite begränzt und auch von dem flachen Land herauf sichtbar ist, heißt Le noir Mont.  Gegen Abend streicht der Risou hin und verliert sich allmählich gegen die Franche-Comté.

Frankreich und Bern theilen sich ziemlich gleich in dieses Thal, so daß jenes die obere schlechte Hälfte und dieses die untere bessere besitzt, welche letztere eigentlich La Vallée du Lac de Joux genannt wird.  Ganz oben in dem Thal, gegen den Fuß der Septmoncels, liegt der Lac des Rousses, der keinen sichtlichen einzelnen Ursprung hat, sondern sich aus quelligem Boden und den überall auslaufenden Brunnen sammelt.  Aus demselben fließt die Orbe, durchstreicht das ganze französische und einen großen Theil des Berner Gebiets, bis sie wieder unten gegen die Dent de Vaulion sich zum Lac de Joux bildet, der seitwärts in einen kleinen See abfällt, woraus das Wasser endlich sich unter der Erde verlieret.  Die Breite des Thals ist verschieden, oben bei'm Lac des Rousses etwa eine halbe Stunde, alsdann verengert sich's und läuft wieder unten aus einander, wo etwa zum bessern Verständniß des Folgenden, wobei ich Sie einen Blick auf die Karte zu thun bitte, ob ich sie gleich alle, was diese Gegend betrifft, unrichtig gefunden habe.

Den 24. Oct. ritten wir, in Begleitung eines Hauptmanns und Oberforstmeisters dieser Gegenden, erstlich Mont hinan, einen kleinen zerstreuten Ort, der eigentlicher eine Kette von Reb- und Landhäusern genennt werden könnte.  Das Wetter war sehr hell; wir hatten, wenn wir uns umkehrten, die Aussicht auf den Genfersee, die Savoyer und Walliser Gebirge, konnten Lausanne erkennen und durch einen leichten Nebel auch die Gegend von Genf.  Der Montblanc, der über alle Gebirge des Faucigni ragt, kam immer mehr hervor.  Die Sonne ging klar unter, es war so ein großer Anblick, daß ein menschlich Auge nicht dazu hinreicht.  Der fast volle Mond kam herauf und wir immer höher.  Durch Fichtenwälder stiegen wir weiter den Jura hinan, und sahen den See in Duft und den Widerschein des Mondes darin.  Es wurde immer heller. Der Weg ist eine wohlgemachte Chaussee, nur angelegt um das Holz aus dem Gebirg bequemer in das Land herunter zu bringen.  Wir waren wohl drei Stunden gestiegen, als es hinterwärts sachte wieder hinabzugehen anfing.  Wir glaubten unter uns einen großen See zu erblicken, indem ein tiefer Nebel das ganze Thal, was wir übersehen konnten, ausfüllte. Wir kamen ihm endlich näher, sahen einen weißen Bogen, den der Mond darin bildete, und wurden bald ganz vom Nebel eingewickelt.

Die Begleitung des Hauptmanns verschaffte uns Quartier in einem Hause, wo man sonst nicht Fremde aufzunehmen pflegt.  Es unterschied sich in der innern Bauart von gewöhnlichen Gebäuden in nichts, als daß der große Raum mitten inne zugleich Küche, Versammlungsplatz, Vorsaal ist, und man von da in die Zimmer gleicher Erde und auch die Treppe hinauf geht.  Auf der einen Seite war an dem Boden auf steinernen Platten das Feuer angezündet, davon ein weiter Schornstein, mit Bretern dauerhaft und sauber ausgeschlagen, den Rauch aufnahm.  In der Ecke waren die Thüren zu den Backöfen, der ganze Fußboden übrigens gedielet, bis auf ein kleines Eckchen am Fenster um den Spülstein, das gepflastert war, übrigens rings herum, auch in der Höhe über den Balken, eine Menge Hausrath und Geräthschaften in schöner Ordnung angebracht, alles nicht unreinlich gehalten.

Den 25. Morgens war helles kaltes Wetter, die Wiesen bereift, hier und da zogen leichte Nebel: wir konnten den untern Theil des Thals ziemlich übersehen, unser Haus lag am Fuß des östlichen noir Mont. Gegen Achte ritten wir ab, und um der Sonne gleich zu genießen, an der Abendseite hin.  Der Theil des Thals, an dem wir hinritten, besteht in abgetheilten Wiesen, die gegen den See zu etwas sumpfichter werden. Die Orbe fließt in der Mitte durch.  Die Einwohner haben sich theils in einzelnen Häusern an der Seite angebaut, theils sind sie in Dörfern näher zusammengerückt, die einfache Namen von ihrer Lage führen.  Das erste, wodurch wir kamen, war le Sentier.  Wir sahen von weitem die Dent de Vaulion über einem Nebel, der auf dem See stand, hervorblicken. Das Thal ward breiter, wir kamen hinter einem Felsgrat, der uns den See verdeckte, durch ein ander Dorf, le Lieu genannt, die Nebel stiegen und fielen wechselsweise vor der Sonne.

Hier nahebei ist ein kleiner See, der keinen Zu- und Abfluß zu haben scheint.  Das Wetter klärte sich völlig auf und wir kamen gegen den Fuß der Dent de Vaulion und trafen hier an's nördliche Ende des großen Sees, der, indem er sich westwärts wendet, in den kleinen durch einen Damm unter einer Brücke weg seinen Ausfluß hat.  Das Dorf drüben heißt le Pont.  Die Lage des kleinen Sees ist wie in einem eigenen kleinen Thal, was man niedlich sagen kann.

An dem westlichen Ende ist eine merkwürdige Mühle in einer Felskluft angebracht, die ehemals der kleine See ausfüllte.  Nunmehr ist er abgedämmt und die Mühle in die Tiefe gebaut.  Das Wasser läuft durch Schleusen auf die Räder, es stürzt sich von da in Felsritzen, wo es eingeschluckt wird und erst eine Stunde von da im Valorbe hervor kommt, wo es wieder den Namen des Orbeflusses führet.  Diese Abzüge (entonnoirs) müssen rein gehalten werden, sonst würde das Wasser steigen, die Kluft wieder ausfüllen und über die Mühle weg gehen, wie es schon mehr geschehen ist.  Sie waren stark in der Arbeit begriffen, den morschen Kalkfelsen theils wegzuschaffen, theils zu befestigen. Wir ritten zurück über die Brücke nach Pont, nahmen einen Wegweiser auf la Dent.

Im Aufsteigen sahen wir nunmehr den großen See völlig hinter uns. Ostwärts ist der noir Mont seine Gränze, hinter dem der kahle Gipfel der Dole hervorkommt, westwärts hält ihn der Felsrücken, der gegen den See ganz nackt ist, zusammen.  Die Sonne schien heiß, es war zwischen Eilf und Mittag.  Nach und nach übersahen wir das ganze Thal, konnten in der Ferne den Lac des Rousses erkennen, und weiter her bis zu unsern Füßen die Gegend durch die wir gekommen waren, und den Weg der uns rückwärts noch überblieb.  Im Aufsteigen wurde von der großen Strecke Landes und den Herrschaften, die man oben unterscheiden könnte, gesprochen, und in solchen Gedanken betraten wir den Gipfel; allein uns war ein ander Schauspiel zubereitet.  Nur die hohen Gebirgketten waren unter einem klaren und heitern Himmel sichtbar, alle niederen Gegenden mit einem weißen wolkigen Nebelmeer überdeckt, das sich von Genf bis nordwärts an den Horizont erstreckte und in der Sonne glänzte. Daraus stieg ostwärts die ganze reine Reihe aller Schnee- und Eisgebirge, ohne Unterschied von Namen der Völker und Fürsten, die sie zu besitzen glauben, nur Einem großen Herrn und dem Blick der Sonne unterworfen, der sie schön röthete.

Der Montblanc gegen uns über schien der höchste, die Eisgebirge des Wallis und des Oberlandes folgten, zuletzt schlossen niedere Berge des Cantons Bern.  Gegen Abend war an einem Platze das Nebelmeer unbegränzt, zur Linken in der weitsten Ferne zeigten sich sodann die Gebirge von Solothurn, näher die von Neufchâtel, gleich vor uns einige niedere Gipfel des Jura, unter uns lagen einige Häuser von Vaulion, dahin die Dent gehört und daher sie den Namen hat.

Gegen Abend schließt die Franche-Comté mit flachstreichenden waldigen Bergen den ganzen Horizont, wovon ein einziger ganz in der Ferne gegen Nordwest sich unterschied.  Grad ab war ein schöner Anblick.  Hier ist die Spitze, die diesem Gipfel den Namen eines Zahns gibt.  Er geht steil und eher etwas einwärts hinunter, in der Tiefe schließt ein kleines Fichtenthal an mit schönen Grasplätzen, gleich drüber liegt das Thal Valorbe genannt, wo man die Orbe aus dem Felsen kommen sieht und rückwärts zum kleinen See ihren unterirdischen Lauf in Gedanken verfolgen kann.  Das Städtchen Valorbe liegt auch in diesem Thal. Ungern schieden wir.  Einige Stunden längeren Aufenthalts, indem der Nebel um diese Zeit sich zu zerstreuen pflegt, hätten uns das tiefere Land mit dem See entdecken lassen; so aber mußte, damit der Genuß vollkommen werde, noch etwas zu wünschen übrig bleiben.  Abwärts hatten wir unser ganzes Thal in aller Klarheit vor uns, stiegen bei Pont zu Pferde, ritten an der Ostseite den See hinauf, kamen durch l'Abbaye de Joux, welches jetzt ein Dorf ist, ehemals aber ein Sitz der Geistlichen war, denen das ganze Thal zugehörte.  Gegen Viere langten wir in unserm Wirthshaus an, und fanden ein Essen, wovon uns die Wirthin versicherte, daß es um Mittag gut gewesen sei, aber auch übergar trefflich schmeckte.

Daß ich noch einiges, wie man mir es erzählt, Canton Bern, und sind die Gebirge umher die Holzkammer von dem Pays de Vaud.  Die meisten Hölzer sind Privatbesitzungen, werden unter Aufsicht geschlagen und so in's Land gefahren.  Auch werden hier die Dauben zu fichtenen Fässern geschnitten, Eimer, Bottiche und allerlei hölzerne Gefäße verfertiget. Die Leute sind gut gebildet und gesittet.  Neben dem Holzverkauf treiben sie die Viehzucht; sie haben kleines Vieh und machen gute Käse. Sie sind geschäftig, und ein Erdschollen ist ihnen viel werth.  Wir fanden einen, der die wenige aus einem Gräbchen aufgeworfene Erde mit Pferd und Karren in einige Vertiefungen eben der Wiese führte.  Die Steine legen sie sorgfältig zusammen und bringen sie auf kleine Haufen.

Es sind viele Steinschleifer hier, die für Genfer und andere Kaufleute arbeiten, mit welchem Erwerb sich auch die Frauen und Kinder beschäftigen.  Die Häuser sind dauerhaft und sauber gebaut, die Form und Einrichtung nach dem Bedürfniß der Gegend und der Bewohner; vor jedem Hause läuft ein Brunnen, und durchaus spürt man Fleiß, Rührigkeit und Wohlstand.  Über alles aber muß man die schönen Wege preisen, für die, in diesen entfernten Gegenden, der Stand Bern wie durch den ganzen übrigen Canton sorgt.  Es geht eine Chaussee um das ganze Thal herum, nicht übermäßig breit, aber wohl unterhalten, so daß die Einwohner mit der größten Bequemlichkeit ihr Gewerbe treiben, mit kleinen Pferden und leichten Wagen fortkommen können.  Die Luft ist sehr rein und gesund.

Den 26. ward bei'm Frühstück überlegt, welchen Weg man zurück nehmen wolle.  Da wir hörten daß die Dole, der höchste Gipfel des Jura, nicht weit von dem obern Ende des Thals liege, da das Wetter sich auf das herrlichste anließ und wir hoffen konnten, was uns gestern noch gefehlt, heute vom Glück alles zu erlangen; so wurde dahin zu gehen beschlossen.  Wir packten einem Boten Käse, Butter, Brot und Wein auf, und ritten gegen Achte ab.  Unser Weg ging nun durch den obern Theil des Thals in dem Schatten des noir Mont hin.  Es war sehr kalt, hatte gereift und gefroren; wir hatten noch eine Stunde im Bernischen zu reiten, wo sich die Chaussee, die man eben zu Ende bringt, abschneiden wird.  Durch einen kleinen Fichtenwald rückten wir in's französische Gebiet ein.  Hier verändert sich der Schauplatz sehr.  Was wir zuerst bemerkten, waren die schlechten Wege.

Der Boden ist sehr steinicht, überall liegen sehr große Haufen zusammen gelesen; wieder ist er eines Theils sehr morastig und quellig; die Waldungen umher sind sehr ruiniret; den Häusern und Einwohnern sieht man ich will nicht sagen Mangel, aber doch bald ein sehr enges Bedürfniß an.  Sie gehören fast als Leibeigne an die Canonici von St. Claude, sie sind an die Erde gebunden, viele Abgaben liegen auf ihnen (sujets à la main morte et au droit de la suite), wovon mündlich ein mehreres, wie auch von dem neusten Edict des Königs, wodurch das droit de la suite aufgehoben wird, die Eigenthümer und Besitzer aber eingeladen werden, gegen ein gewisses Geld der main morte zu entsagen. Doch ist auch dieser Theil des Thals sehr angebaut.  Sie nähren sich mühsam und lieben doch ihr Vaterland sehr, stehlen gelegentlich den Bernern Holz und verkaufen's wieder in's Land.  Der erste Sprengel heißt le Bois d'Amont, durch den wir in das Kirchspiel les Rousses kamen, wo wir den kleinen Lac des Rousses und les sept Moncels, sieben kleine, verschieden gestaltete und verbundene Hügel, die mittägige Gränze des Thals, vor uns sahen.  Wir kamen bald auf die neue Straße, die aus dem Pays de Vaud nach Paris führt; wir folgten ihr eine Weile abwärts, und waren nunmehr von unserm Thale geschieden; der kahle Gipfel der Dole lag vor uns, wir stiegen ab, unsre Pferde zogen auf der Straße voraus nach St. Sergues, und wir stiegen die Dole hinan. Es war gegen Mittag, die Sonne schien heiß, aber es wechselte ein kühler Mittagswind.  Wenn wir, auszuruhen, uns umsahen, hatten wir les sept Moncels hinter uns, wir sahen noch einen Theil des Lac des Rousses und um ihn die zerstreuten Häuser des Kirchspiels, der noir Mont deckte uns das übrige ganze Thal, höher sahen wir wieder ungefähr die gestrige Aussicht in die Franche-Comté und näher bei uns, gegen Mittag, die letzten Berge und Thäler des Jura.  Sorgfältig hüteten wir uns, nicht durch einen Bug der Hügel uns nach der Gegend umzusehen, um derentwillen wir eigentlich herauf stiegen.  Ich war in einiger Sorge wegen des Nebels, doch zog ich aus der Gestalt des obern Himmels einige gute Vorbedeutungen.  Wir betraten endlich den obern Gipfel und sahen mit größtem Vergnügen uns heute gegönnt, was uns gestern versagt war.  Das ganze Pays de Vaud und de Gex lag wie eine Flurkarte unter uns, alle Besitzungen mit grünen Zäunen abgeschnitten, wie die Beete eines Parterres.  Wir waren so hoch, daß die Höhen und Vertiefungen des vordern Landes gar nicht erschienen.

Dörfer, Städtchen, Landhäuser, Weinberge, und höher herauf, wo Wald und Alpen angehen, Sennhütten, meistens weiß und hell angestrichen, leuchteten gegen die Sonne.  Vom Lemaner-See hatte sich der Nebel schon zurück gezogen, wir sahen den nächsten Theil an der diesseitigen Küste deutlich; den sogenannten kleinen See, wo sich der große verenget und gegen Genf zugeht, dem wir gegenüber waren, überblickten wir ganz, und gegenüber klärte sich das Land auf, das ihn einschließt. Vor allem aber behauptete der Anblick über die Eis- und Schneeberge seine Rechte.  Wir setzten uns vor der kühlen Luft in Schutz hinter Felsen, ließen uns von der Sonne bescheinen, das Essen und Trinken schmeckte trefflich.  Wir sahen dem Nebel zu, der sich nach und nach verzog, jeder entdeckte etwas, oder glaubte etwas zu entdecken.  Wir sahen nach und nach Lausanne mit allen Gartenhäusern umher, Vevey und das Schloß von Chillon ganz deutlich, das Gebirg das uns den Eingang vom Wallis verdeckte, bis in den See, von da, an der Savoyer Küste, Evian, Ripaille, Tonon, Dörfchen und Häuschen zwischen inne; Genf kam endlich rechts auch aus dem Nebel, aber weiter gegen Mittag, gegen den Montcrédo und Mont-vauche, wo das Fort l'Ecluse inne liegt, zog er sich gar nicht weg. Wendeten wir uns wieder links, so lag das ganze Land von Lausanne bis Solothurn in leichtem Duft.  Die nähern Berge und Höhen, auch alles, was weiße Häuser hatte, konnten wir erkennen; man zeigte uns das Schloß Chanvan blinken, das vom Neuburgersee links liegt, woraus wir seine Lage muthmaßen, ihn aber in dem blauen Duft nicht erkennen konnten.  Es sind keine Worte für die Größe und Schöne dieses Anblicks, man ist sich im Augenblick selbst kaum bewußt, daß man sieht, man ruft sich nur gern die Namen und alten Gestalten der bekannten Städte und Orte zurück, und freut sich in einer taumelnden Erkenntniß, daß das eben die weißen Puncte sind, die man vor sich hat.

Und immer wieder zog die Reihe der glänzenden Eisgebirge das Aug' und die Seele an sich.  Die Sonne wendete sich mehr gegen Abend und erleuchtete ihre größern Flächen gegen uns zu.  Schon was vom See auf für schwarze Felsrücken, Zähne, Thürme und Mauern in vielfachen Reihen vor ihnen aufsteigen! wilde, ungeheure, undurchdringliche Vorhöfe bilden! wenn sie dann erst selbst in der Reinheit und Klarheit in der freien Luft mannichfaltig da liegen; man gibt da gern jede Prätension an's Unendliche auf, da man nicht einmal mit dem Endlichen im Anschauen und Gedanken fertig werden kann.

Vor uns sahen wir ein fruchtbares bewohntes Land; der Boden worauf wir stunden, ein hohes kahles Gebirge, trägt noch Gras, Futter für Thiere, von denen der Mensch Nutzen zieht.  Das kann sich der einbildische Herr der Welt noch zueignen; aber jene sind wie eine heilige Reihe von Jungfrauen, die der Geist des Himmels in unzugänglichen Gegenden, vor unsern Augen, für sich allein in ewiger Reinheit aufbewahrt.  Wir blieben und reizten einander wechselsweise, Städte, Berge und Gegenden, bald mit bloßem Auge, bald mit dem Teleskop, zu entdecken, und gingen nicht eher abwärts, als bis die Sonne, im Weichen, den Nebel seinen Abendhauch über den See breiten ließ.  Wir kamen mit Sonnenuntergang auf die Ruinen des Fort de St. Sergues.  Auch näher am Thal, waren unsre Augen nur auf die Eisgebirge gegenüber gerichtet.  Die letzten, links im Oberland, schienen in einen leichten Feuerdampf aufzuschmelzen; die nächsten standen noch mit wohl bestimmten rothen Seiten gegen uns, nach und nach wurden jene weiß, grün, graulich.  Es sah fast ängstlich aus.  Wie ein gewaltiger Körper von außen gegen das Herz zu abstirbt, so erblaßten alle langsam gegen den Montblanc zu, dessen weiter Busen noch immer roth herüber glänzte und auch zuletzt uns noch einen röthlichen Schein zu behalten schien, wie man den Tod des Geliebten nicht gleich bekennen, und den Augenblick, wo der Puls zu schlagen aufhört, nicht abschneiden will.  Auch nun gingen wir ungern weg. Die Pferde fanden wir in St. Sergues, und daß nichts fehle, stieg der Mond auf und leuchtete uns nach Nyon, indeß unterweges unsere gespannten Sinnen sich wieder lieblich falten konnten, wieder freundlich wurden, um mit frischer Lust aus den Fenstern des Wirthshauses den breitschwimmenden Widerglanz des Mondes im ganz reinen See genießen zu können.

Hier und da auf der ganzen Reise ward soviel von der Merkwürdigkeit der Savoyer Eisgebirge gesprochen, und wie wir nach Genf kamen, hörten wir, es werde immer mehr Mode dieselben zu sehen, daß der Graf eine sonderliche Lust kriegte, unsern Weg dahin zu leiten, von Genf aus über Cluse und Salenche in's Thal Chamouni zu gehen, die Wunder zu betrachten, dann über Valorsine und Trient nach Martinach in's Wallis zu fallen.  Dieser Weg, den die meisten Reisenden nehmen, schien wegen der Jahrszeit etwas bedenklich.  Der Herr de Saussure wurde deßwegen auf seinem Landgute besucht und um Rath gefragt.  Er versicherte, daß man ohne Bedenken den Weg machen könne: es liege auf den mittlern Bergen noch kein Schnee, und wenn wir in der Folge auf's Wetter und auf den guten Rath der Landleute achten wollten, der niemals fehl schlage, so könnten wir mit aller Sicherheit diese Reise unternehmen. Hier ist die Abschrift eines sehr eiligen Tageregisters.

Cluse in Savoyen den 3. November.

Heute bei'm Abscheiden von Genf theilte sich die Gesellschaft; der Graf, mit mir und einem Jäger, zog nach Savoyen zu; Freund W. mit den Pferden durch's Pays de Vaud in's Wallis.  Wir in einem leichten Cabriolett mit vier Rädern, fuhren erst, Hubern auf seinem Landgute zu besuchen, den Mann, dem Geist, Imagination, Nachahmungsbegierde zu allen Gliedern heraus will, einen der wenigen ganzen Menschen, die wir angetroffen haben.  Er setzte uns auf den Weg, und wir fuhren sodann, die hohen Schneegebirge, an die wir wollten, vor Augen, weiter.  Vom Genfersee laufen die vordern Bergketten gegen einander, bis da, wo Bonneville, zwischen der Mole, einem ansehnlichen Berge, und der Arve inne liegt.  Da aßen wir zu Mittag.  Hinter der Stadt schließt sich das Thal an, obgleich noch sehr breit, die Arve fließt sachte durch, die Mittagseite ist sehr angebaut und durchaus der Boden benutzt.  Wir hatten seit früh etwas Regen, wenigstens auf die Nacht, befürchtet, aber die Wolken verließen nach und nach die Berge und theilten sich in Schäfchen, die uns schon mehr ein gutes Zeichen gewesen.  Die Luft war so warm, wie Anfang Septembers und die Gegend sehr schön, noch viele Bäume grün, die meisten braungelb, wenige ganz kahl, die Saat hochgrün, die Berge im Abendroth rosenfarb in's Violette, und diese Farben auf großen, schönen, gefälligen Formen der Landschaft.  Wir schwatzten viel Gutes.  Gegen Fünfe kamen wir nach Cluse, wo das Thal sich schließet und nur Einen Ausgang läßt, wo die Arve aus dem Gebirge kommt und wir morgen hineingehen.  Wir stiegen auf einen Berg und sahen unter uns die Stadt an einen Fels gegenüber mit der einen Seite angelehnt, die andere mehr in die Fläche des Thals hingebaut, das wir mit vergnügten Blicken durchliefen, und auf abgestürzten Granitstücken sitzend, die Ankunft der Nacht, mit ruhigen und mannichfaltigen Gesprächen, erwarteten.  Gegen Sieben, als wir hinabstiegen, war es noch nicht kühler, als es im Sommer um neun Uhr zu sein pflegt.  In einem schlechten Wirthshaus, bei muntern und willigen Leuten, an deren Patois man sich erlustigt, erschlafen wir nun den morgenden Tag, vor dessen Anbruch wir schon unsern Stab weiter setzen wollen.

Abends gegen Zehn.

 Salenche den 4. Nov. Mittags.

Bis ein schlechtes Mittagessen von sehr willigen Händen wird bereitet sein, versuche ich das Merkwürdigste von heute früh aufzuschreiben. Mit Tages Anbruch gingen wir zu Fuße von Cluse ab, den Weg nach Balme. Angenehm frisch war's im Thal, das letzte Mondviertel ging vor der Sonne hell auf und erfreute uns, weil man es selten so zu sehen gewohnt ist.  Leichte, einzelne Nebel stiegen aus den Felsritzen aufwärts, als wenn die Morgenluft junge Geister aufweckte, die Lust fühlten, ihre Brust der Sonne entgegen zu tragen und sie an ihren Blicken zu vergülden.  Der obere Himmel war ganz rein, nur wenige durchleuchtete Wolkenstreifen zogen quer darüber hin.  Balme ist ein elendes Dorf, unfern vom Weg, wo sich eine Felsschlucht wendet.  Wir verlangten von den Leuten, daß sie uns zur Höhle führen sollten, von der der Ort seinen Ruf hat.  Da sahen sich die Leute unter einander an und sagten einer zum andern: Nimm du die Leiter, ich will den Strick nehmen, kommt ihr Herrn nur mit!  Diese wunderbare Einladung schreckte uns nicht ab, ihnen zu folgen.  Zuerst ging der Stieg durch abgestürzte Kalkfelsenstücke hinauf, die durch die Zeit vor die steile Felswand aufgestufet worden und mit Hasel- und Buchenbüschen durchwachsen sind.  Auf ihnen kommt man endlich an die Schicht der Felswand, wo man mühselig und leidig, auf der Leiter und Felsstufen, mit Hülfe übergebogener Nußbaum-Äste und daran befestigter Stricke, hinauf klettern muß dann steht man fröhlich in einem Portal das in den Felsen eingewittert ist, übersieht das Thal und das Dorf unter sich. Wir bereiteten uns zum Eingang in die Höhle, zündeten Lichter an und luden eine Pistole, die wir losschießen wollten.  Die Höhle ist ein langer Gang, meist ebenen Bodens, auf Einer Schicht, bald zu einem bald zu zwei Menschen breit, bald über Mannshöhe, dann wieder zum Bücken und auch zum Durchkriechen.  Gegen die Mitte steigt eine Kluft aufwärts und bildet einen spitzigen Dom.  In einer Ecke schiebt eine Kluft abwärts, wo wir immer gelassen Siebzehn bis Neunzehn gezählt haben, eh' ein Stein, mit verschiedentlich widerschallenden Sprüngen, endlich in die Tiefe kam.  An den Wänden sintert ein Tropfstein, doch ist sie an den wenigsten Orten feucht, auch bilden sich lange nicht die reichen wunderbaren Figuren, wie in der Baumanns-Höhle.  Wir drangen so weit vor, als es die Wasser zuließen, schossen im Herausgehen die Pistole los, davon die Höhle mit einem starken dumpfen Klang erschüttert wurde und um uns wie eine Glocke summte.  Wir brauchten eine starke Viertelstunde wieder heraus zu gehen, machten uns die Felsen wieder hinunter, fanden unsern Wagen und fuhren weiter. Wir sahen einen schönen Wasserfall auf Staubbachs Art; er war weder sehr hoch noch sehr reich, doch sehr interessant, weil die Felsen um ihn wie eine runde Nische bilden, in der er herabstürzt, und weil die Kalkschichten an ihm, in sich selbst umgeschlagen, neue und ungewohnte Formen bilden.  Bei hohem Sonnenschein kamen wir hier an, nicht hungrig genug, das Mittagessen, das aus einem aufgewärmten Fisch, Kuhfleisch und hartem Brot bestehet, gut zu finden.  Von hier geht weiter in's Gebirg kein Fuhrweg für eine so stattliche Reisekutsche, wie wir haben; diese geht nach Genf zurück und ich nehme Abschied von Ihnen, um den Weg weiter fortzusetzen.  Ein Maulesel mit dem Gepäck wird uns auf dem Fuße folgen.

 Chamouni, den 4. Nov.

Abends gegen Neun.

Nur daß ich mit diesem Blatt Ihnen um so viel näher rücken kann, nehme ich die Feder; sonst wäre es besser meine Geister ruhen zu lassen. Wir ließen Salenche in einem schönen offnen Thale hinter uns, der Himmel hatte sich während unsrer Mittagrast mit weißen Schäfchen überzogen, von denen ich hier eine besondere Anmerkung machen muß. Wir haben sie so schön und noch schöner an einem heitern Tag von den Berner Eisbergen aufsteigen sehen.  Auch hier schien es uns wieder so, als wenn die Sonne die leisesten Ausdünstungen von den höchsten Schneegebirgen gegen sich aufzöge, und diese ganz feinen Dünste von einer leichten Luft, wie eine Schaumwolle, durch die Atmosphäre gekämmt würden.  Ich erinnere mich nie in den höchsten Sommertagen, bei uns, wo dergleichen Lufterscheinungen auch vorkommen, etwas so Durchsichtiges, Leichtgewobenes gesehen zu haben.  Schon sahen wir die Schneegebirge, von denen sie aufsteigen, vor uns, das Thal fing an zu stocken, die Arve schoß aus einer Felskluft hervor, wir mußten einen Berg hinan und wanden uns, die Schneegebirge rechts vor uns, immer höher.  Abwechselnde Berge, alte Fichtenwälder zeigten sich uns rechts, theils in der Tiefe, theils in gleicher Höhe mit uns.  Links über uns waren die Gipfel des Bergs kahl und spitzig.

Wir fühlten, daß wir einem stärkern und mächtigern Satz von Bergen immer näher rückten.  Wir kamen über ein breites trocknes Bett von Kieseln und Steinen, das die Wasserfluthen die Länge des Berges hinab zerreißen und wieder füllen; von da in ein sehr angenehmes, rundgeschlossenes, flaches Thal, worin das Dörfchen Serves liegt.  Von da geht der Weg um einige sehr bunte Felsen, wieder gegen die Arve.

Wenn man über sie weg ist, steigt man einen Berg hinan, die Massen werden hier immer größer, die Natur hat hier mit sachter Hand das Ungeheure zu bereiten angefangen.

Es wurde dunkler, wir kamen dem Thale Chamouni näher und endlich darein.  Nur die großen Massen waren uns sichtbar.  Die Sterne gingen nach einander auf und wir bemerkten über den Gipfeln der Berge, rechts vor uns, ein Licht, das wir nicht erklären konnten.  Hell, ohne Glanz wie die Milchstraße, doch dichter, fast wie die Plejaden, nur größer, unterhielt es lange unsere Aufmerksamkeit, bis es endlich, da wir unsern Standpunct änderten, wie eine Pyramide, von einem innern geheimnißvollen Lichte durchzogen, das dem Schein eines Johanniswurms am besten verglichen werden kann, über den Gipfeln aller Berge hervorragte und uns gewiß machte, daß es der Gipfel des Montblanc war. Es war die Schönheit dieses Anblicks ganz außerordentlich; denn, da er mit den Sternen, die um ihn herumstunden, zwar nicht in gleich raschem Licht, doch in einer breitern zusammenhängendern Masse leuchtete, so schien er den Augen zu einer höhern Sphäre zu gehören und man hatte Müh', in Gedanken seine Wurzeln wieder an die Erde zu befestigen.  Vor ihm sahen wir eine Reihe von Schneegebirgen dämmernder auf den Rücken von schwarzen Fichtenbergen liegen und ungeheure Gletscher zwischen den schwarzen Wäldern herunter in's Thal steigen.  Meine Beschreibung fängt an unordentlich und ängstlich zu werden; auch brauchte es eigentlich immer zwei Menschen, einen der's sähe und einen der's beschriebe.  Wir sind hier in dem mittelsten Dorfe des Thals, le Prieuré genannt, wohl logirt, in einem Hause, das eine Witwe, den vielen Fremden zu Ehren, vor einigen Jahren erbauen ließ.  Wir sitzen am Kamin und lassen uns den Muskatellerwein, aus der Vallée d'Aost, besser schmecken, als die Fastenspeisen, die uns aufgetischt werden.

 Den 5. Nov. Abends.

Es ist immer eine Resolution, als wie wenn man in's kalte Wasser soll, ehe ich die Feder nehmen mag, zu schreiben.  Hier hätt' ich nun gerade Lust, Sie auf die Beschreibung der Savoyschen Eisgebirge, die Bourit, ein passionirter Kletterer, herausgegeben hat, zu verweisen.

Erfrischt durch einige Gläser guten Weins und den Gedanken, daß diese Blätter eher als die Reisenden und Bourits Buch bei Ihnen ankommen werden, will ich mein Möglichstes thun.  Das Thal Chamouni, in dem wir uns befinden, liegt sehr hoch in den Gebirgen, ist etwa sechs bis sieben Stunden lang und gehet ziemlich von Mittag gegen Mitternacht. Der Charakter, der mir es vor andern auszeichnet, ist, daß es in seiner Mitte fast gar keine Fläche hat, sondern das Erdreich, wie eine Mulde, sich gleich von der Arve aus gegen die höchsten Gebirge anschmiegt.

Der Montblanc und die Gebirge die von ihm herabsteigen, die Eismassen, die diese ungeheuren Klüfte ausfüllen, machen die östliche Wand aus, an der die ganze Länge des Thals hin sieben Gletscher, einer größer als der andere, herunter kommen.  Unsere Führer, die wir gedingt hatten, das Eismeer zu sehen, kamen bei Zeiten.  Der eine ist ein rüstiger junger Bursche, der andre ein schon älterer und sich klugdünkender, der mit allen gelehrten Fremden Verkehr gehabt hat, von der Beschaffenheit der Eisberge sehr wohl unterrichtet und ein sehr tüchtiger Mann.  Er versicherte uns, daß seit acht und zwanzig Jahren — so lange führ' er Fremde auf die Gebirge — er zum erstenmal so spät im Jahr, nach Allerheiligen, jemand hinauf bringe; und doch sollten wir alles eben so gut wie im August sehen.  Wir stiegen, mit Speise und Wein gerüstet, den Mont-Anvert hinan, wo uns der Anblick des Eismeers überraschen sollte.  Ich würde es, um die Backen nicht so voll zu nehmen, eigentlich das Eisthal oder den Eisstrom nennen: denn die ungeheuren Massen von Eis dringen aus einem tiefen Thal, von oben anzusehen, in ziemlicher Ebne hervor.  Gerad hinten endigt ein spitzer Berg, von dessen beiden Seiten Eiswogen in den Hauptstrom hereinstarren.  Es lag noch nicht der mindeste Schnee auf der zackigen Fläche und die blauen Spalten glänzten gar schön hervor.  Das Wetter fing nach und nach an sich zu überziehen, und ich sah wogige graue Wolken, die Schnee anzudeuten schienen, wie ich sie niemals gesehn.

In der Gegend wo wir stunden, ist die kleine von Steinen zusammen gelegte Hütte für das Bedürfniß der Reisenden, zum Scherz das Schloß von Mont-Anvert genannt.  Monsieur Blaire, ein Engländer, der sich zu Genf aufhält, hat eine geräumigere an einem schicklichern Ort, etwas weiter hinauf, erbauen lassen, wo man am Feuer sitzend, zu einem Fenster hinaus, das ganze Eisthal übersehen kann.  Die Gipfel der Felsen gegenüber und auch in die Tiefe des Thals hin sind sehr spitzig ausgezackt.  Es kommt daher, weil sie aus einer Gesteinart zusammen gesetzt sind, deren Wände fast ganz perpendikular in die Erde einschießen.  Wittert eine leichter aus, so bleibt die andere spitz in die Luft stehen.  Solche Zacken werden Nadeln genennet und die Aiguille du Dru ist eine solche hohe merkwürdige Spitze, gerade dem Mont-Anvert gegenüber.  Wir wollten nunmehr auch das Eismeer betreten und diese ungeheuren Massen auf ihnen selbst beschauen.  Wir stiegen den Berg hinunter und machten einige hundert Schritte auf den wogigen Krystallklippen herum.  Es ist ein ganz trefflicher Anblick, wenn man, auf dem Eise selbst stehend, den oberwärts sich herabdrängenden und durch seltsame Spalten geschiedenen Massen entgegen sieht.  Doch wollt' es uns nicht länger auf diesem schlüpfrigen Boden gefallen, wir waren weder mit Fußeisen, noch mit beschlagenen Schuhen gerüstet; vielmehr hatten sich unsere Absätze durch den langen Marsch abgerundet und geglättet.  Wir machten uns also wieder zu den Hütten hinauf und nach einigem Ausruhen zur Abreise fertig.  Wir stiegen den Berg hinab und kamen an den Ort, wo der Eisstrom stufenweis bis hinunter in's Thal dringt, und traten in die Höhle in der er sein Wasser ausgießt. Sie ist weit, tief, von dem schönsten Blau, und es steht sich sicherer im Grund als vorn an der Mündung, weil an ihr sich immer große Stücke Eis schmelzend ablösen.  Wir nahmen unsern Weg nach dem Wirthshause zu, bei der Wohnung zweier Blondins vorbei: Kinder von zwölf bis vierzehn Jahren, die sehr weiße Haut, weiße, doch schroffe Haare, rothe und bewegliche Augen wie die Kaninchen haben.  Die tiefe Nacht, die im Thale liegt, lädt mich zeitig zu Bette, und ich habe kaum noch so viel Munterkeit Ihnen zu sagen, daß wir einen jungen zahmen Steinbock gesehen haben, der sich unter den Ziegen ausnimmt, wie der natürliche Sohn eines großen Herrn, dessen Erziehung in der Stille einer bürgerlichen Familie aufgetragen ist.

Von unsern Discursen geht's nicht an, daß ich etwas außer der Reihe mittheile.  An Graniten, Gneißen, Lerchenund Zirbelbäumen finden Sie auch keine große Erbauung; doch sollen Sie ehestens merkwürdige Früchte von unserm Botanisiren zu sehen kriegen.  Ich bilde mir ein, sehr schlaftrunken zu sein und kann nicht eine Zeile weiter schreiben.

 Chamouni, den 6. Nov. früh.

Zufrieden mit dem, was uns die Jahrszeit hier zu sehen erlaubte, sind wir reisefertig, noch heute in's Wallis durchzudringen.  Das ganze Thal ist über und über bis an die Hälfte der Berge mit Nebel bedeckt, und wir müssen erwarten, was Sonne und Wind zu unserm Vortheil thun werden.  Unser Führer schlägt uns einen Weg über den Col de Balme vor: Ein hoher Berg, der an der nördlichen Seite des Thals gegen Wallis zu liegt, auf dem wir, wenn wir glücklich sind, das Thal Chamouni, mit seinen meisten Merkwürdigkeiten, noch auf einmal von der Höhe übersehen können.  Indem ich dieses schreibe, geschieht an dem Himmel eine herrliche Erscheinung: Die Nebel, die sich bewegen und sich an einigen Orten brechen, lassen wie durch Tagelöcher den blauen Himmel sehen und zugleich die Gipfel der Berge, die oben, über unsrer Dunstdecke, von der Morgensonne beschienen werden.  Auch ohne die Hoffnung eines schönen Tags ist dieser Anblick dem Aug' eine rechte Weide.  Erst jetzo hat man einiges Maß für die Höhe der Berge.  Erst in einer ziemlichen Höhe vom Thal auf streichen die Nebel an dem Berg hin, hohe Wolken steigen von da auf, und alsdann sieht man noch über ihnen die Gipfel der Berge in der Verklärung schimmern.  Es wird Zeit! Ich nehme zugleich von diesem geliebten Thal und von Ihnen Abschied.

 Martinach im Wallis, den 6. Nov. Abends.

Glücklich sind wir herüber gekommen und so wäre auch dieses Abenteuer bestanden.  Die Freude über unser gutes Schicksal wird mir noch eine halbe Stunde die Feder lebendig erhalten.

Unser Gepäck auf ein Maulthier geladen, zogen wir heute früh gegen Neune von Prieuré aus.  Die Wolken wechselten, daß die Gipfel der Berge bald erschienen, bald verschwanden, bald die Sonne streifweis in's Thal dringen konnte, bald die Gegend wieder verdeckt wurde.  Wir gingen das Thal hinauf, den Ausguß des Eisthals vorbei, ferner den Glacier d'Argentiere hin, den höchsten von allen, dessen oberster Gipfel uns aber von Wolken bedeckt war.  In der Gegend wurde Rath gehalten, ob wir den Stieg über den Col de Balme unternehmen und den Weg über Valorsine verlassen wollten.  Der Anschein war nicht der vortheilhafteste; doch da hier nichts zu verlieren und viel zu gewinnen war, traten wir unsern Weg keck gegen die dunkle Nebel- und Wolkenregion an.  Als wir gegen den Glacier du Tour kamen, rissen sich die Wolken auseinander, und wir sahen auch diesen schönen Gletscher in völligem Lichte.  Wir setzten uns nieder, tranken eine Flasche Wein aus und aßen etwas Weniges.  Wir stiegen nunmehr immer den Quellen der Arve auf rauhern Matten und schlecht beras'ten Flecken entgegen und kamen dem Nebelkreis immer näher, bis er uns endlich völlig aufnahm. Wir stiegen eine Weile geduldig fort, als es auf einmal, indem wir aufschritten, wieder über unsern Häuptern helle zu werden anfing. Kurze Zeit dauerte es, so traten wir aus den Wolken heraus, sahen sie in ihrer ganzen Last unter uns auf dem Thale liegen, und konnten die Berge, die es rechts und links einschließen, außer dem Gipfel des Montblanc, der mit Wolken bedeckt war, sehen, deuten und mit Namen nennen.  Wir sahen einige Gletscher von ihren Höhen bis zu der Wolkentiefe herabsteigen, von andern sahen wir nur die Plätze, indem uns die Eismassen durch die Bergschrunden verdeckt wurden.  Über die ganze Wolkenfläche sahen wir, außerhalb dem mittägigen Ende des Thales, ferne Berge im Sonnenschein.  Was soll ich Ihnen die Namen von den Gipfeln, Spitzen, Nadeln, Eis- und Schneemassen vorerzählen, die Ihnen doch kein Bild, weder vom Ganzen noch vom Einzelnen, in die Seele bringen.  Merkwürdiger ist's, wie die Geister der Luft sich unter uns zu streiten schienen.  Kaum hatten wir eine Weile gestanden und uns an der großen Aussicht ergetzt, so schien eine feindselige Gährung in dem Nebel zu entstehen, der auf einmal aufwärts strich, und uns auf's neue einzuwickeln drohte.  Wir stiegen stärker den Berg hinan, ihm nochmals zu entgehn, allein er überflügelte uns und hüllte uns ein.  Wir stiegen immer frisch aufwärts, und bald kam uns ein Gegenwind vom Berge selbst zu Hülfe, der durch den Sattel, der zwei Gipfel verbindet, hereinstrich und den Nebel wieder in's Thal zurücktrieb.  Dieser wundersame Streit wiederholte sich öfter, und wir langten endlich glücklich auf dem Col de Balme an.  Es war ein seltsamer, eigener Anblick.  Der höchste Himmel über den Gipfeln der Berge war überzogen, unter uns sahen wir durch den manchmal zerrissenen Nebel in's ganze Thal Chamouni, und zwischen diesen beiden Wolkenschichten waren die Gipfel der Berge alle sichtbar.  Auf der Ostseite waren wir von schroffen Gebirgen eingeschlossen, auf der Abendseite sahen wir in ungeheure Thäler, wo doch auf einigen Matten sich menschliche Wohnungen zeigten.  Vorwärts lag uns das Wallisthal, wo man mit einem Blick bis Martinach und weiter hinein mannichfaltig über einander geschlungene Berge sehen konnte.  Auf allen Seiten von Gebirgen umschlossen, die sich weiter gegen den Horizont immer zu vermehren und aufzuthürmen schienen, so standen wir auf der Gränze von Savoyen und Wallis.  Einige Contrebandiers kamen mit Mauleseln den Berg herauf und erschraken vor uns, da sie an dem Platz jetzo niemand vermutheten. Sie thaten einen Schuß, als ob sie sagen wollten: damit ihr seht, daß sie geladen sind, und einer ging voraus, um uns zu recognosciren.  Da er unsern Führer erkannte und unsere harmlosen Figuren sah, rückten die andern auch näher, und wir zogen mit wechselseitigen Glückwünschen an einander vorbei.  Der Wind ging scharf und es fing ein wenig an zu schneien.  Nunmehr ging es einen sehr rauhen und wilden Stieg abwärts, durch einen alten Fichtenwald, der sich auf Fels-Platten von Gneiß eingewurzelt hatte.  Vom Wind über einander gerissen verfaulten hier die Stämme mit ihren Wurzeln, und die zugleich losgebrochenen Felsen lagen schroff durch einander.  Endlich kamen wir in's Thal, wo der Trientfluß aus einem Gletscher entspringt, ließen das Dörfchen Trient ganz nahe rechts liegen und folgten dem Thale durch einen ziemlich unbequemen Weg, bis wir endlich gegen Sechse hier in Martinach auf flachem Wallisboden angekommen sind, wo wir uns zu weitern Unternehmungen ausruhen wollen.

 Martinach, den 6. Nov. 1779.

Abends.

Wie unsre Reise ununterbrochen fortgeht, knüpft sich auch ein Blatt meiner Unterhaltung mit Ihnen an's andre, und kaum hab' ich das Ende unserer Savoyer Wanderungen gefaltet und bei Seite gelegt, nehm' ich schon wieder ein andres Papier, um Sie mit dem bekannt zu machen, was wir zunächst vorhaben.  Zu Nacht sind wir in ein Land getreten, nach welchem unsre Neugier schon lange gespannt ist.  Noch haben wir nichts als die Gipfel der Berge, die das Thal von beiden Seiten einschließen, in der Abenddämmerung gesehen.  Wir sind im Wirthshause untergekrochen, sehen zum Fenster hinaus die Wolken wechseln, es ist uns so heimlich und so wohl, daß wir ein Dach haben, als Kindern, die sich aus Stühlen, Tischblättern und Teppichen eine Hütte am Ofen machen und sich darin bereden, es regne und schneie draußen, um angenehme eingebildete Schauer in ihren wir in der Herbstnacht in einem fremden unbekannten Lande.  Aus der Karte wissen wir, daß wir in dem Winkel eines Ellenbogens sitzen, von wo aus der kleinere Theil des Wallis, ungefähr von Mittag gegen Mitternacht, die Rhone hinunter sich an den Genfersee anschließt, der andere aber und längste, von Abend gegen Morgen, die Rhone hinauf bis an ihren Ursprung, die Furka, streicht.  Das Wallis selbst zu durchreisen macht uns eine angenehme Aussicht; nur wie wir oben hinaus kommen werden, erregt einige Sorge.  Zuvörderst ist festgesetzt, daß wir, um den untern Theil zu sehen, morgen bis St. Maurice gehen, wo der Freund, der mit den Pferden durch das Pays de Vaud gegangen, eingetroffen sein wird.  Morgen Abend gedenken wir wieder hier zu sein, und übermorgen soll es das Land hinauf.  Wenn es nach dem Rath des Herrn de Saussure geht, so machen wir den Weg bis an die Furka zu Pferde, sodann wieder bis Brieg zurück über den Simpelberg, wo bei jeder Witterung eine gute Passage ist, über Domo d'ossola, den Lago maggiore, über Bellinzona, und dann den Gotthard hinauf.  Der Weg soll gut und durchaus für Pferde practicabel sein. Am liebsten gingen wir über die Furka auf den Gotthard, der Kürze wegen und weil der Schwanz durch die italiänischen Provinzen von Anfang an nicht in unserm Plane war; allein wo mit den Pferden hin? die sich nicht über die Furka schleppen lassen, wo vielleicht gar schon Fußgängern der Weg durch Schnee versperrt ist.  Wir sind darüber ganz ruhig und hoffen von Augenblick zu Augenblick wie bisher von den Umständen selbst guten Rath zu nehmen.  Merkwürdig ist in diesem Wirthshause eine Magd, die bei einer großen Dummheit alle Manieren einer sich empfindsam zierenden deutschen Fräulein hat.  Es gab ein großes Gelächter, als wir uns die müden Füße mit rothem Wein und Kleien, auf Anrathen unsers Führers, badeten und sie von dieser annehmlichen Dirne abtrocknen ließen.

 Nach Tische.

Am Essen haben wir uns nicht sehr erholt und hoffen daß der Schlaf besser schmecken soll.

 Den 7ten.  St. Maurice,

gegen Mittag.

Unter Weges ist es meine Art die schönen Gegenden zu genießen, daß ich mir meine abwesenden Freunde wechselsweise herbeirufe, und mich mit ihnen über die herrlichen Gegenstände unterhalte.  Komm' ich in ein Wirthshaus, so ist ausruhen, mich rückerinnern und an Sie schreiben Eins, wenn schon manchmal die allzusehr ausgespannte Seele lieber in sich selbst zusammenfiele und mit einem halben Schlaf sich erholte.

Heute früh gingen wir in der Dämmerung von Martinach weg; ein frischer Nordwind ward mit dem Tage lebendig, wir kamen an einem alten Schlosse vorbei, das auf der Ecke steht, wo die beiden Arme des Wallis ein Y machen.  Das Thal ist eng und wird auf beiden Seiten von mannichfaltigen Bergen beschlossen, die wieder zusammen von eigenem, erhaben lieblichem Charakter sind.  Wir kamen dahin wo der Trientstrom um enge und gerade Felsenwände herum in das Thal dringt, daß man zweifelhaft ist, ob er nicht unter den Felsen hervor komme.  Gleich dabei steht die alte, vor'm Jahr durch den Fluß beschädigte Brücke, unweit welcher ungeheure Felsstücke vor kurzer Zeit vom Gebirge herab die Landstraße verschüttet haben.  Diese Gruppe zusammen würde ein außerordentlich schönes Bild machen.  Nicht weit davon hat man eine neue hölzerne Brücke gebaut und ein ander Stück Landstraße eingeleitet. Wir wußten, daß wir uns dem berühmten Wasserfall der Pisse vache näherten, und wünschten einen Sonnenblick, wozu uns die wechselnden Wolken einige Hoffnung machten.  An dem Wege betrachteten wir die vielen Granit- und Gneißstücke, die bei ihrer Verschiedenheit doch alle Eines Ursprungs zu sein schienen.  Endlich traten wir vor den Wasserfall, der seinen Ruhm vor vielen andern verdient.  In ziemlicher Höhe schießt aus einer engen Felskluft ein starker Bach flammend herunter in ein Becken, wo er in Staub und Schaum sich weit und breit im Wind herumtreibt.  Die Sonne trat hervor und machte den Anblick doppelt lebendig.  Unten im Wasserstaube hat man einen Regenbogen hin und wieder, wie man geht, ganz nahe vor sich.  Tritt man weiter hinauf, so sieht man noch eine schönere Erscheinung.  Die luftigen schäumenden Wellen des obern Strahls, wenn sie gischend und flüchtig die Linien berühren, wo in unsern Augen der Regenbogen entstehet, färben sich flammend, ohne daß die aneinanderhängende Gestalt eines Bogens erschiene; und so ist an dem Platze immer eine wechselnde feurige Bewegung.  Wir kletterten dran herum, setzten uns dabei nieder und wünschten ganze Tage und gute Stunden des Lebens dabei zubringen zu können.  Auch hier wieder, wie so oft auf dieser Reise, fühlten wir, daß große Gegenstände im Vorübergehen gar nicht empfunden und genossen werden können.  Wir kamen in ein Dorf wo lustige Soldaten waren, und tranken daselbst neuen Wein, den man uns gestern auch schon vorgesetzt hatte.  Er sieht aus wie Seifenwasser, doch mag ich ihn lieber trinken als ihren sauren jährigen und zweijährigen.  Wenn man durstig ist, bekommt alles wohl.  Wir sahen St. Maurice von weitem, wie es just an einem Platze liegt, wo das Thal sich zu einem Passe zusammendrückt.  Links über der Stadt sahen wir an einer Felsenwand eine kleine Kirche mit einer Einsiedelei angeflickt, wo wir noch hinaufzusteigen denken.  Hier im Wirthshaus fanden wir ein Billet vom Freunde, der zu Bex, drei viertel Stunden von hier, geblieben ist. Wir haben ihm einen Boten geschickt.  Der Graf ist spazieren gegangen, vorwärts die Gegend noch zu sehen; ich will einen Bissen essen und alsdann auch nach der berühmten Brücke und dem Paß zu gehn.

Nach Eins.

Ich bin wieder zurück von dem Fleckchen, wo man Tage lang sitzen, zeichnen, herumschleichen, und ohne müde zu werden sich mit sich selbst unterhalten könnte.  Wenn ich jemanden einen Weg in's Wallis rathen sollte, so wär' es dieser vom Genfersee die Rhone herauf.  Ich bin auf dem Weg nach Bex zu über die große Brücke gegangen, wo man gleich in's Berner Gebiet eintritt.  Die Rhone fließt dort hinunter und das Thal wird nach dem See zu etwas weiter.  Wie ich mich umkehrte, sah ich die Felsen sich bei St. Maurice zusammen drücken, und über die Rhone, die unten durchrauscht, in einem hohen Bogen eine schmale leichte Brücke kühn hinüber gesprengt.  Die mannichfaltigen Erker und Thürme einer Burg schließen drüben gleich an, und mit einem einzigen Thore ist der Eingang in's Wallis gesperrt.  Ich ging über die Brücke nach St. Maurice zurück, suchte noch vorher einen Gesichtspunct, den ich bei Hubern gezeichnet gesehn habe und auch ungefähr fand.

Der Graf ist wieder gekommen, er war den Pferden entgegen gegangen und hat sich auf seinem Braunen voraus gemacht.  Er sagt, die Brücke sei so schön und leicht gebaut, daß es aussehe als wenn ein Pferd flüchtig über einen Graben setzt.  Der Freund kommt auch an, zufrieden von seiner Reise.  Er hat den Weg am Genfersee her bis Bex in wenigen Tagen zurück gelegt, und es ist eine allgemeine Freude sich wieder zu sehen.

 Martinach, gegen Neun.

Wir sind tief in die Nacht geritten, und der Herweg hat uns länger geschienen als der Hinweg, wo wir von einem Gegenstand zu dem andern gelockt worden sind.  Auch habe ich aller Beschreibungen und Reflexionen für heute herzlich satt, doch will ich zwei schöne noch geschwind in der Erinnerung festsetzen.  An der Pisse vache kamen wir in tiefer Dämmerung wieder vorbei.  Die Berge, das Thal und selbst der Himmel waren dunkel und dämmernd.  Graulich und mit stillem Rauschen sah man den herabschießenden Strom von allen andern Gegenständen sich unterscheiden, man bemerkte fast gar keine Bewegung.  Es war immer dunkler geworden.  Auf einmal sahen wir den Gipfel einer sehr hohen Klippe, völlig wie geschmolzen Erz im Ofen, glühen und rothen Dampf davon aufsteigen.  Dieses sonderbare Phänomen wirkte die Abendsonne, die den Schnee und den davon aufsteigenden Nebel erleuchtete.

 Sion, den 8. Nov. nach drei Uhr.

Wir haben heute früh einen Fehlritt gethan und uns wenigstens um drei Stunden versäumet.  Wir ritten vor Tag von Martinach weg, um bei Zeiten in Sion zu sein.  Das Wetter war außerordentlich schön, nur daß die Sonne, wegen ihres niedern Standes, von den Bergen gehindert war, den Weg den wir ritten zu bescheinen; und der Anblick des wunderschönen Wallisthals machte manchen guten und muntern Gedanken rege.  Wir waren schon drei Stunden die Landstraße hinan, die Rhone uns linker Hand, geritten; wir sahen Sion vor uns liegen und freuten uns auf das bald zu veranstaltende Mittagessen, als wir die Brücke, die wir zu passiren hatten, abgetragen fanden.  Es blieb uns, nach Angabe der Leute, die dabei beschäftigt waren, nichts übrig, als entweder einen kleinen Fußpfad, der an den Felsen hinging, zu wählen, oder eine Stunde wieder zurück zu reiten und alsdann über einige andere Brücken der Rhone zu gehen.  Wir wählten das letzte und ließen uns von keinem üblen Humor anfechten, sondern schrieben diesen Unfall wieder auf Rechnung eines guten Geistes, der uns bei der schönsten Tagszeit durch ein so interessantes Land spazieren führen wollte.  Die Rhone macht überhaupt in diesem engen Lande böse Händel.

Wir mußten, um zu den andern Brücken zu kommen, über anderthalb Stunden durch die sandigen Flecke reiten, die sie durch Überschwemmungen sehr oft zu verändern pflegt, und die nur zu Erlen und Weidengebüschen zu benutzen sind.  Endlich kamen wir an die Brücken, die sehr bös, schwankend, lang und von falschen Klüppeln zusammen gesetzt sind.  Wir mußten einzeln unsere Pferde, nicht ohne Sorge, darüber führen.  Nun ging es an der linken Seite des Wallis wieder nach Sion zu.  Der Weg an sich war meistentheils schlecht und steinig, doch zeigte uns jeder Schritt eine Landschaft die eines Gemähldes werth gewesen wäre.  Besonders führte er uns auf ein Schloß hinauf, wo herunter sich eine der schönsten Aussichten zeigte, die ich auf dem ganzen Wege gesehen habe.  Die nächsten Berge schossen auf beiden Seiten mit ihren Lagen in die Erde ein, und verjüngten durch ihre Gestalt die Gegend gleichsam perspectivisch.  Die ganze Breite des Wallis von Berg zu Berg lag bequem anzusehen unter uns; die Rhone kam, mit ihren mannichfaltigen Krümmen und Buschwerken, bei Dörfern, Wiesen und angebauten Hügeln vorbeigeflossen; in der Entfernung sah man die Burg von Sion und die verschiedenen Hügel die sich dahinter zu erheben anfingen; die letzte Gegend ward wie mit einem Amphitheaterbogen durch eine Reihe von Schneegebirgen geschlossen, die wie das übrige Ganze von der hohen steinig der Weg war, den wir zu reiten hatten, so erfreulich fanden wir die noch ziemlich grünen Reblauben die ihn bedeckten.  Die Einwohner, denen jedes Fleckchen Erdreich kostbar ist, pflanzen ihre Weinstöcke gleich an ihre Mauern die ihre Güter von dem Wege scheiden; sie wachsen zu außerordentlicher Dicke und werden vermittelst Pfählen und Latten über den Weg gezogen, so daß er fast eine aneinanderhangende Laube bildet.  In dem untern Theil war meistens Wiesewachs, doch fanden wir auch, da wir uns Sion näherten, einigen Feldbau.  Gegen diese Stadt zu wird die Gegend durch wechselnde Hügel außerordentlich mannichfaltig, und man wünschte eine längere Zeit des Aufenthalts genießen zu können.  Doch unterbricht die Häßlichkeit der Städte und der Menschen die angenehmen Empfindungen, welche die Landschaft erregt, gar sehr.  Die scheußlichen Kröpfe haben mich ganz und gar üblen Humors gemacht.  Unsern Pferden dürfen wir wohl heute nichts mehr zumuthen, und denken deßwegen zu Fuße nach Seyters zu gehen.  Hier in Sion ist das Wirthshaus abscheulich, und die Stadt hat ein widriges schwarzes Ansehn.

 Seyters, den 8. Nov. Nachts.

Da wir bei einbrechendem Abend erst von Sion weggegangen, sind wir bei Nacht unter einem hellen Sternhimmel hier angekommen.  Wir haben einige schöne Aussichten darüber verloren, merk' ich wohl.  Besonders wünschten wir das Schloß Tourbillion, das bei Sion liegt, erstiegen zu haben; es muß von da aus eine ganz ungemein schöne Aussicht sein.  Ein Bote, den wir mitnahmen, brachte uns glücklich durch einige böse Flecke, wo das Wasser ausgetreten war.  Bald erreichten wir die Höhe und hatten die Rhone immer rechts unter uns.  Mit verschiedenen astronomischen Gesprächen verkürzten wir den Weg, und sind bei guten Leuten, die ihr Bestes thun werden uns zu bewirthen, eingekehret. Wenn man zurück denkt, kommt einem so ein durchlebter Tag, wegen der mancherlei Gegenstände, fast wie eine Woche vor.  Es fängt mir an recht leid zu thun, daß ich nicht Zeit und Geschick habe, die merkwürdigsten Gegenden auch nur linienweise zu zeichnen; es ist immer besser als alle Beschreibungen für einen Abwesenden.

 Seyters, den 9ten.

Noch ehe wir aufbrechen, kann ich Ihnen einen guten Morgen bieten. Der Graf wird mit mir links in's Gebirg nach dem Leukerbad zu gehen, der Freund indessen die Pferde hier erwarten und uns morgen in Leuk wieder antreffen.

 Leukerbad, den 9ten, am Fuß des Gemmiberges.

In einem kleinen breternen Haus, wo wir von sehr braven Leuten gar freundlich aufgenommen worden, sitzen wir in einer schmalen und niedrigen Stube, und ich will sehen, wie viel von unserer heutigen sehr interessanten Tour durch Worte mitzutheilen ist.  Von Seyters stiegen wir heute früh drei Stunden lang einen Berg herauf, nachdem wir vorherSteinen und Kies Felder, Wiesen und Gärten, die denn nach und nach kümmerlich, wenn es allenfalls noch möglich ist, von den Leuten wieder hergestellt und nach ein paar Generationen vielleicht wieder verschüttet werden.  Wir hatten einen grauen Tag mit abwechselnden Sonnenblicken.  Es ist nicht zu beschreiben, wie mannichfaltig auch hier das Wallis wieder wird; mit jedem Augenblick biegt und verändert sich die Landschaft.  Es scheint alles sehr nah beisammen zu liegen, und man ist doch durch große Schluchten und Berge getrennt.  Wir hatten bisher noch meist das offene Wallisthal rechts neben uns gehabt, als sich auf einmal ein schöner Anblick in's Gebirg vor uns aufthat.

Ich muß, um anschaulicher zu machen was ich beschreiben will, etwas von der geographischen Lage der Gegend, wo wir uns befinden, sagen. Wir waren nun schon drei Stunden aufwärts in das ungeheure Gebirg gestiegen, das Wallis von Bern trennet.  Es ist eben der Stock von Bergen, der in Einemfort vom Genfersee bis auf den Gotthard läuft, und auf dem sich in dem Berner Gebiet die großen Eis- und Schnee-Massen eingenistet haben.  Hier sind oben und unten relative Worte des Augenblicks.  Ich sage, unter mir auf einer Fläche liegt ein Dorf, und eben diese Fläche liegt vielleicht wieder an einem Abgrund, der viel höher ist als mein Verhältniß zu ihr.  Wir sahen, als wir um eine Ecke herumkamen und bei einem Heiligenstock ausruhten, unter uns am Ende einer schönen grünen Matte, die an einem ungeheuren Felsschlund herging, das Dorf Inden mit