Golden Boy - Adiga Aravind - E-Book

Golden Boy E-Book

Adiga Aravind

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Beschreibung

Aravind Adigas dritter Roman erzählt von zwei jungen Brüdern auf der Suche nach sich selbst, vom Sport als Aufstiegschance und gnadenlosem Wettbewerb, von jungen Talenten und alten Talentsuchern, von Liebe und Ausbeutung, von Leidenschaft und Gewalt. Manjunath Kumar ist vierzehn. Er weiß, dass er ein guter Kricketspieler ist, vielleicht sogar so gut wie sein älterer Bruder Radha. Er weiß, warum er seinen dominanten und sportbesessenen Vater fürchtet, seinen brillanten Bruder bewundert und von der Welt amerikanischer Serien sowie interessanter wissenschaftlicher Fakten fasziniert ist. Aber es gibt vieles, das er noch nicht weiß - über sich selbst und die Welt um ihn herum …
Als er Radhas großen Rivalen kennenlernt, einen privilegierten Jungen voller Selbstvertrauen, beginnt sich für Manju alles auf den Kopf zu stellen und er muss Entscheidungen treffen, die seine Welt verändern. Suggestiv und sensibel, bissig und schwungvoll – ein neuer, eindrucksvoller Roman des indischen Bestsellerautors und Booker-Prize-Gewinners.

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Aravind Adiga

Golden Boy

Roman

Aus dem Englischen von Claudia Wenner

C.H.Beck

Zum Buch

Aravind Adigas dritter Roman erzählt von zwei jungen Brüdern auf der Suche nach sich selbst, vom Sport als Aufstiegschance und gnadenlosem Wettbewerb, von jungen Talenten und alten Talentsuchern, von Liebe und Ausbeutung, von Leidenschaft und Gewalt. Manjunath Kumar ist vierzehn. Er weiß, dass er ein guter Kricketspieler ist, vielleicht sogar so gut wie sein älterer Bruder Radha. Er weiß, warum er seinen dominanten und sportbesessenen Vater fürchtet, seinen brillanten Bruder bewundert und von der Welt amerikanischer Serien sowie interessanter wissenschaftlicher Fakten fasziniert ist. Aber es gibt vieles, das er noch nicht weiß – über sich selbst und die Welt um ihn herum …

Als er Radhas großen Rivalen kennenlernt, einen privilegierten Jungen voller Selbstvertrauen, beginnt sich für Manju alles auf den Kopf zu stellen und er muss Entscheidungen treffen, die seine Welt verändern. Suggestiv und sensibel, bissig und schwungvoll – ein neuer, eindrucksvoller Roman des indischen Bestsellerautors und Booker-Prize-Gewinners.

Über den Autor

Aravind Adiga, geboren 1974 in Madras, wuchs zeitweise in Sydney, Australien, auf, studierte Englische Literatur an der Columbia University und am Magdalen College in Oxford. Er arbeitete als Korrespondent für die Zeitschrift Time und für die Financial Times. Er lebt in Mumbai, Indien. Sein erster Roman «Der weiße Tiger» (C.H.Beck 2008) gewann den Booker Prize und erschien in fast 40 Ländern. Bei C.H.Beck erschienen außerdem der Erzählzyklus «Zwischen den Attentaten» (2009) und der Roman «Letzter Mann im Turm» (2011).

Über die Übersetzerin

Claudia Wenner lebt als Schriftstellerin, Publizistin und Übersetzerin in Frankfurt und Pondicherry. Sie übersetzte u.a. Werke von Virginia Woolf und gab eine Anthologie indischer Literatur heraus, «Die Geister Indiens» (2006). Für C.H.Beck übersetzte sie den Roman «Das verbotene Glück der anderen» von Manu Joseph (2012) und «Aron und der König der Kinder» von Jim Shepard (2016).

Inhalt

ERSTER TEIL

DREI JAHRE VOR DEM AUSWAHLTAG

Achte Klasse

ZWEI JAHRE VOR DEM AUSWAHLTAG

Beginn der neunten Klasse

Neunte Klasse, später: Cricket-Saison

Das Harris-Shield-Turnier beginnt

Erster Tag0–131 Läufe:

Zweiter Tag132–150 Läufe:

Zweiter Tag: Nach dem Lunch151–256 Läufe:

Dritter Tag: Vormittags257–350 Läufe

Dritter Tag: Teatime351–450 Läufe

Ende des dritten TagesEndgültiger Punktestand: 497

EIN JAHR VOR DEM AUSWAHLTAG

Beginn der zehnten Klasse

Die zehnte Klasse geht weiter: Die Kanga-Liga beginnt

DREI MONATE VOR DEM AUSWAHLTAG

Das erste Jahr am Junior College

SPIELERAUSWAHLTAG

KURZ NACH DEM AUSWAHLTAG

TEIL ZWEI

ELF JAHRE NACH DEM AUSWAHLTAG

ARAVIND ADIGAS CRICKET-GLOSSAR

Danksagung

Meiner Mutter, Usha Mohan Rau

Mein Erbe ist mir geworden

wie ein Löwe im Walde

und brüllt wider mich.

Jeremiah 12:8

Auch ich habe ein Geheimnis.

Kiesel und Stiftkappen; goldene Schokoladenpapierchen; ramponierte Münzen und lederne Cricketschlägergriffe; gesprungene grüne Knöpfe und rostige Fünf-Zentimeter-Nadeln: Ich verstehe sie alle.

Ihr Stiftkappen seid eigentlich Zitronen. Kiesel sind süßer. Nadelrost ist essigartig. Zimmerfußböden sind buttrig. Gutes Papier ist milchig, und billiges wird bitter. Orangenschalen sind schmackhafter als Orangen. Nur eine Sache auf Erden ist geschmacklos.

Plastik!

Er war vier Jahre alt. Jeden Abend um halb sechs ging sein Vater mit Radha Krishna zum Crickettraining, und dann war er allein in dem Zimmer, in dem sie zu dritt wohnten; er war in der Kattale.

Kattale heißt auf Kannada «Finsternis»: eine Finsternis, die tiefer ist, als sich auf Englisch sagen lässt.

In der Kattale drückte er seine Nase fest gegen den Spiegel und hauchte ihn an. Seine Zunge wuchs, und er fing an, alle Dinge zu verstehen, manche zum ersten Mal, andere von Neuem.

Du, Spiegel, schmeckst wie Salz. Die Bindis, die sich die Frauen auf die Stirn kleben, schmecken wie Kissan-Mehrfruchtmarmelade. Wolle ist verbrannte Stärke. Baumwolle ist kühler als Wolle und bewahrt Düfte länger.

Dann waren die Menschen an der Reihe. Wenn er sich Radha Krishnas weißes Cricket-T-Shirt an die Nase hielt, roch es, noch bevor er daran geleckt hatte, nach einer der sieben Schweißarten. Nach der, die ein Junge absondert, wenn er Angst hat. Dann weiß er, dass Radha mit ihrem Vater Cricket geübt hat.

Dies war seine geheime Welt. Seine Zunge war ein weißes Segel, und wenn sie groß genug geworden war, konnte er bis ans Ende der Welt fahren. Wie Sindbad erforschte er seine geheime Welt, wenn er allein in der Kattale war. Bis eines Abends, als er sieben oder acht Jahre alt war, das Licht anging und sein Vater ihn beim Ablecken des Spiegels erwischte. Ein Schlag landete auf dem Rücken des Jungen, und es folgten weitere Schläge, bis sein Magen alles von sich gab, was er probiert hatte, und er wieder wurde wie Radha Krishna und alle anderen.

Keine Geheimnisse mehr.

Weil abends normalerweise niemand mehr im Schulkorridor ist, gehe ich nach dem Training mit der Crickettasche über der Schulter dorthin und wasche mir Gesicht und Hände mit antiseptischer Seife. An diesem Abend aber sah ich einen Jungen allein im Korridor stehen: Seine Nase war wie ein Schnabel, und er betrachtete sich in einem runden Spiegelchen, das er in der linken Hand hielt. Plötzlich fiel mir etwas ein, woran ich jahrelang nicht mehr gedacht hatte. Ich musste an den Abend denken, als ich noch klein war, aus Versehen die Tür zur Damentoilette geöffnet hatte und meine Mutter erblickte, die ihren Kajalstrich im Spiegel musterte. Ich fing an zu schwitzen und bekam immer mehr Herzklopfen. In dem Moment blickte er von seinem Spiegel auf und bemerkte mich.

Sechs Jahre später hatte Manjunath soeben die Tür zu einer anderen versteckten Welt geöffnet.

ERSTER TEIL

DREI JAHRE VOR DEM AUSWAHLTAG

Achte Klasse

«Ich habe Neuigkeiten, Tommy Sir.»

«Ich auch, Pramod. Wissen Sie, als ich einundzwanzig war und Sie noch nicht mal auf der Welt waren, begann ich ein geschichtliches Werk über den Feldzug der Marathen in der dritten Schlacht von Panipat zu schreiben. Es hatte sogar einen Titel: ‹1761: Die Seele bricht aus der Umzingelung aus›. Weil ich das Gefühl hatte, dass es keine wahrheitsgetreue Schilderung dieser Schlacht gab. In allen Geschichtsbüchern steht, wir Marathen hätten am 14. Januar 1761 in Panipat gegen die Afghanen verloren. Das ist falsch. Ich meine, es mag stimmen, dass wir verloren haben, aber das ist nicht die wahre Geschichte.»

«Tommy Sir, es gibt auch noch einen jüngeren Bruder. Er spielt ebenfalls Cricket. Das wollte ich Ihnen sagen.»

«Pramod. Cricket hängt mir zum Halse raus. Reden Sie meinetwegen über Schlachten, Zwiebeln oder Narendra Modi mit mir, irgendetwas anderes. Begreifen Sie das denn nicht?»

«Tommy Sir, Sie hätten sehen sollen, wie der kleine Bruder heute im Oval Maidan den Ball geschlagen hat. Allen Ernstes. Er ist fast so gut wie sein großer Bruder.»

Mumbai, bei Dunkelheit. Die Verhandlungen nehmen kein Ende.

«Und Sie wissen ja, wie gut der ältere Bruder ist, Tommy Sir. Sie haben gesagt, Radha Krishna Kumar sei der beste Schlagmann, den Sie in den letzten fünfzig Jahren erlebt haben.»

«Fünfzig? Pramod: In den letzten fünfzig Jahren hat es keinen besten Schlagmann der letzten fünfzig Jahre gegeben. Ich habe allerhöchstens fünfzehn Jahre gesagt. Stehen Sie nicht bloß herum, helfen Sie mir beim Abfallsammeln. Ein bisschen Bücken tut Ihnen gut, Pramod. Sie werden allmählich dick.»

Hinter Glas und Stahl, hinter Banken und Bürohäusern und dem monströsen blauen Gebäude, in dem die Diamantenbörse untergebracht ist, versteckt sich ein Flecken echten Grüns: der Mumbai Cricket Association (MCA) Verein im Herzen des Bandra-Kurla-Finanzzentrums. Flutlicht leuchtet das Spielfeld aus, auf dem zwei Männer Abfälle auflesen.

«Sagen Sie mir, Pramod, da Sie ja unbedingt über Cricket reden wollen: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Brüder aus derselben Familie beide berühmte Cricketspieler werden? Das ist von der Natur nicht vorgesehen.»

«Sie trauen Sportlerbrüdern nicht, Tommy Sir. Wieso?»

«Ich misstraue ihnen, Pramod. Bitte heben Sie das Stück Plastik da auf.»

«Ein Meister sowohl im englischen Cricket als auch in der englischen Sprache, Tommy Sir. Sie sollten für die Times of Great Britain schreiben.»

«Of London.»

«Verzeihung, Tommy Sir.»

Pramod Sawant bückte sich mit eingezogenem Bauch und hob eine Plastikverpackung auf, die er an der abgerissenen Ecke anfasste.

«Der jüngere Bruder heißt Manjunath Kumar. Ich sage Ihnen, er ist momentan der größte Geheimtipp im Mumbai-Cricket. Er ist der einzig Wahre.»

Sawant, pummelig, mit Schnauzbart und Anfang vierzig, war für das Bombay-Cricket ein durchaus bedeutender Mann – er war der Cheftrainer der Ali-Weinberg-International-School, die im letzten Jahr den zweiten Platz im Harris-Shield-Turnier belegt hatte. Cheftrainer Sawant war mit anderen Worten ein dickes Rohr des Filtersystems, das starke Handgelenke, schnelle Reflexe und gelenkige Glieder aus allen Teilen der Stadt einsaugt, sie jahrelang durch Schulmannschaften, Vereinsmeisterschaften und Freundschaftsspiele schleust und sie dann eines Morgens plötzlich auf ein offenes Feld schüttet, wo zwei oder auch drei neue Spieler für die Mumbai-Ranji-Trophy-Mannschaft ausgewählt werden.

Doch wenn er heute Abend nicht Tommy Sirs Interesse zu wecken vermag, ist er ein Nichts.

«Keiner weiß, wie der einzig Wahre aussieht, Pramod. Ich habe noch keinen gesehen. Woran wollen Sie ihn denn erkennen?»

«Dieser Manju ist ein Superhit, das sage ich Ihnen. Er hat so eine Art, die Bälle auf die Leg Side abprallen zu lassen, und heimst damit einen Lauf nach dem anderen ein. Ein bisschen Sandeep Patil, ein bisschen Sachin, ein bisschen Sobers, vor allem jedoch ist er khadoos. Ich meine, wenn Sie ihn jetzt fördern, dann machen Sie aus der sowieso schon brillanten Idee der Cricketförderung etwas noch nie Dagewesenes.»

Der grauhaarige Tommy Sir, größer und weiser als Coach Sawant, heftete die Augen auf den Rasen.

«Nach neununddreißig Jahren Dienst am Bombay-Cricket lässt man mich hier wie einen Dienstboten sauber machen. Pramod. Nach neununddreißig Jahren.»

«Sie müssen nicht sauber machen, Tommy Sir, das wissen Sie doch. Das kann der Peon morgen früh machen. Also, ich weiß, dass Manju, der kleine Bruder, ein echtes Talent ist. Was denn sonst? Eine Fälschung? Dieser Junge ist der einzig Wahre, das verspreche ich Ihnen.»

Nach einer Runde Abfallsammeln hatte Tommy Sir eine weitere Runde begonnen.

«Pramod, der Gedanke, dass der Junge…», er bückte sich, untersuchte einen Stein und ließ ihn wieder fallen, «… entweder authentisch oder eine Fälschung ist, ist ganz und gar westliche Logik.» Er ging weiter. «Wissen Sie, was die Jains sagen, Pramod? Dass es sieben verschiedene Arten der Wahrheit gibt. Sieben. Nummer eins: Der kleine Bruder ist tatsächlich der einzig Wahre. Nummer zwei: Er ist eine Fälschung. Nummer drei: Er ist der einzig Wahre und gleichzeitig eine Fälschung. Vier: Er existiert in einer Dimension jenseits von wahr und falsch, die für uns Menschen nicht zu begreifen ist. Fünf: Er ist tatsächlich der einzig Wahre und existiert trotzdem in einer Dimension, die unser dürftiges, menschliches Begriffsvermögen übersteigt. Sechs –»

«Ich bitte Sie, Tommy Sir. Ich weiß, was ich im Grunde meines Herzens gefühlt habe, als dieser Junge den Ball schlug. Ich weiß es einfach.»

«Mein lieber Pramod. Hockey ist Indiens Nationalsport, Schach passt am besten zu unserem Körperbau und Fußball ist die Zukunft.»

Zwei alte Torstäbe lagen vor ihnen auf dem Pfad. Tommy Sir hob einen auf, und Sawant tat so, als würde er den anderen aufheben.

«Fußball ist schon seit fünfzig Jahren die Zukunft, Tommy Sir. Nichts wird Cricket je ersetzen.»

Schweigend beendeten die beiden Männer die Runde, und Tommy Sir begann eine dritte, wobei er den Torstab vor sich hertrug.

Schließlich sagte er: «Pramod, der berühmte George Bernard Shaw hat einmal gesagt, in Amerika sei seit Jahrzehnten kein Englisch mehr gesprochen worden. Und ich sage, dass wir Inder seit Jahrzehnten kein Cricket mehr gespielt haben. Mindestens seit 1978 nicht mehr. Gehen Sie jetzt nach Hause – ich bin sehr müde. Ich will dieses Wochenende bei Mahabaleshwar wandern gehen. Ich träume vom Gebirge, Pramod.»

Sawant, der nach Luft rang, sah nur ein einziges Stück «Abfall», das noch nicht aufgesammelt war: einen weißen Handschuh genau in der Mitte des Spielfelds. Mit geballten Fäusten jagte er Tommy Sir zu dem Handschuh und hob ihn als Erster auf.

«Etwas von Sandeep Patil trifft auf etwas von Ricky Ponting. Sie hätten den Jungen heute erleben sollen.»

«Sind Sie taub?» Auf Tommy Sirs hoher Stirn traten die Muskeln hervor. «1978 hat Sunny Gavaskar die Fähigkeit verloren, den Ball außerhalb der Off-Stump-Linie zu ignorieren, und seitdem spielen wir Baseball und nennen es Cricket. Gehen Sie nach Hause.»

Er schnappte Sawant den Handschuh weg. Dann ging er in eine Ecke des Spielfelds und ließ den Abfall, den er in den Händen hielt, dort fallen: Der Peon würde am nächsten Morgen alles in die Abstellkammer schaffen.

Sawant sah zu, wie Tommy Sir in eine Autorikscha stieg, die sofort losfuhr. Und wie in einem Stummfilm hielt die Autorikscha plötzlich an, und eine Hand schoss heraus und winkte ihn zu sich.

Die Autorikscha, in der jetzt beide Männer saßen, fuhr den weiten Weg vom Bandra-Kurla-Komplex über die Schnellstraße nach Kalanagar und hielt dort vor einem mit Schimmelflecken übersäten Wohnblock.

Tommy Sir überließ es Sawant, den Fahrer zu bezahlen, und stieg aus; er sah zum vierten Stock hinauf, um zu prüfen, ob seine Tochter Lata das Licht in der Küche angelassen hatte, obwohl er ihr seit zweiundzwanzig Jahren erklärte, dass sie damit gegen alle Prinzipien der Hauswirtschaftslehre verstieß, einem wunderbaren Fach, in dem einst alle jungen Frauen in diesem Land, die aufs College gingen, Unterricht erteilt bekommen hatten.

Tommy Sir zeigte auf den Himmel über seinem Wohnblock: Der Vollmond balancierte auf einem Wassertank.

«Pramod, weißt du, in einer Nacht wie dieser drehen die jungen Leute in Bandra einfach durch. An der Bandstand-Promenade klettern die Jugendlichen auf die Felsen, setzen sich weit draußen hin und fangen an, sich zu küssen. Sie vergessen das Meer um sich herum, und dann kommt langsam die Flut. Und steigt und steigt.» Der alte Mann hob die Finger ans Schlüsselbein. «Also hören die jungen Leute mit dem Küssen auf, weil sie merken, dass sie mitten im Meer sitzen, und schreien um ihr Leben.»

Er wartete.

«Pramod – wie heißt der Jüngere? Manju?»

«Ich wusste, dass Sie ja sagen, Tommy Sir. Sie glauben an die Zukunft dieses Landes. Ich sag dem Seher Bescheid. Ich meine, dem anderen Seher.»

«Pramod Sawant: Hören Sie mir zu. Erstens ist Ihr Seher wahrscheinlich nur ein Alkohol-Schwarzhändler. Zweitens mag ich zwar Radha Kumar, aber seinen Vater kann ich nicht leiden. Der Chutney-Radscha ist völlig verrückt. Und jetzt soll ich mich doppelt mit ihm befassen?»

«Das ist der einzige Minuspunkt, das gebe ich zu. Der Vater ist verrückt.»

Tommy Sir gab dem Mond über dem Wassertank die Schuld für das, was er als Nächstes sagte.

«Wie viel von Sandeep Patil hat er?»

***

Seit fast vierzig Jahren sah man auf den Maidans, Schulgeländen, Gymkhanas, Members-Only-Clubs und überall, wo sich Jungen in weißen Uniformen versammelten, einen grauhaarigen Mann mit kleinen Augen. Im Bombay-Gymkhana oder im Shivaji-Park oder im Oval-Maidan schaute Tommy Sir während der gesamten Cricket-Saison zu und schrie (die Arme in die Hüften gestemmt, die Stirn gerunzelt): «Toller Schlag!», «Klasse Wurf!», «Trottel!» Wenn er wütend war, schob er den Unterkiefer vor. Ein Junge mochte in der Sonne einhundert Läufe erzielen und zurück im Spielerzelt ein Gut gemacht, Junge! erwarten, doch stattdessen konnte er einen Prankenschlag auf dem Hinterkopf spüren und den großen Tommy Sir sagen hören: ‹Warum nicht zweihundert Läufe?› Mit ein, zwei Sätzen hatte er schon manches Cricketspielerherz gebrochen: «Du bist nicht gut genug für diesen Sport, mein Sohn. Versuch’s lieber mit Hockey.» Er war schonungslos. Tommy Sir sprach der Wahrheit zu wie manche dem Alkohol. Ein-, zweimal pro Saison nahm er einen Schlagmann nach einem langen, produktiven Durchgang mit zum Zuckerrohrsaftstand; dann standen die Jungen beieinander und sahen mit offenen Mündern zu: Mogambo Khush Hua. Tommy Sir ist zufrieden.

Natürlich hieß er gar nicht so. Aber weil Narayanrao Sadashivrao Kulkarni zu lang war, nannten seine Freunde ihn Tommy; und weil das zu kurz war, nannten seine Schützlinge ihn Tommy Sir. Wie ein Labrador, den Ihre Majestät die Königin von England in den Adelsstand erhoben hatte. Lächerlich.

Er hasste den Namen.

Natürlich blieb er an ihm kleben.

Am Abend vor seiner Hochzeit, im Juli 1974, erklärte er seiner zukünftigen Frau, die mit dem Nachtzug aus einem Dorf in der Nähe von Nashik gekommen war, sechs wichtige Dinge über sich selbst. Erstens: Hier ist meine Verdienstbescheinigung. Sieh sie dir an und begreife, dass ich kein Mann bin, der es im Leben zu Reichtum bringen kann. Zweitens: Ich glaube nicht an Gott. Drittens: Ich sehe mir keine Filme an, weder Hindi-Filme noch Hollywood-Filme noch Marathi-Filme. Viertens: Dasselbe gilt für Theatervorstellungen. Fünftens: An Sonntagen, an denen Ranji, Harris, Giles, Vijay Merchant, Kanga oder irgendeine andere Art Cricket in Bombay gespielt wird, werde ich das Haus nach dem Frühstück verlassen und erst zum Abendessen wiederkommen. Sechstens: Einmal im Jahr fahre ich übers Wochenende in die Nähe von Pune, in die Westghats, und zwar allein. Und sechstens, zweiter Teil, weil sieben Dinge das Erinnerungsvermögen einer Frau übersteigen: Vor meinem Tod will ich einen neuen Vivian Richards, Hanif Mohammed oder Don Bradman entdecken. Denk über diese sechs Dinge nach, und wenn du willst, heirate mich morgen. Bereue es aber hinterher nicht: Eine Scheidung kommt für mich nämlich nicht infrage.

Er war ein gebildeter Mann, ein Literaturkenner, jemand, auf den man hörte: Seine Kolumne über die Traditionen des Mumbai-Cricket wurde in sechzehn Zeitungen in ganz Indien veröffentlicht. Er war außerdem ein künstlerisch veranlagter und kultivierter Mann, ein autodidaktischer Maler: Vor ein paar Jahren hatte er in der Jehangir-Art-Gallery allseits bejubelt seine Aquarelle nach Schwarz-Weiß-Fotos klassischer Testmatches ausgestellt, und man munkelte, dass er jetzt insgeheim an einer Geschichte des Marathenheers im achtzehnten Jahrhundert arbeitete. Er war der vielleicht beste Talentsucher, den Indien je gehabt hatte. Dreizehn seiner Entdeckungen hatten es ins Ranji-Trophy-Team geschafft, darunter «Tempodämon» T. O. Shenoy, der den schnellsten Ball in der Geschichte der Stadt geworfen hatte; außerdem hatte er, als er in den 1990er-Jahren sechs Monate in Chennai war, zwei echte Rubine im südindischen Schlamm entdeckt, die daraufhin für das Cricketspiel in Tamil Nadu funkelten. Auf seinem Computer waren Referenzen von neun gegenwärtigen, sechs früheren und zwei noch manchmal spielenden Ranji-Trophy-Spielern; außerdem Anerkennungsschreiben von Cricketverbänden aus siebzehn Ländern.

Und all diese Leute aus Mumbai, Tamil Nadu oder von andernorts wissen, was der Cheftrainer Pramod Sawant weiß: dass irgendwo dort draußen der neue Sachin Tendulkar wartet, der neue Don Bradman, der eine Junge, den er seit neununddreißig Jahren sucht – und Tommy Sir will diesen Jungen unbedingt haben, dringender als ein Glas Wasser an einem heißen Tag.

***

Dort – gegenüber vom Victoria-Terminus. Er verschwand bereits.

Manjunath Kumar rannte die Stufen zu einem Tunnel hinunter, wobei der schwarze Griff eines Cricketschlägers wie ein gekürzter Kendo-Stock aus der Tasche ragte, die er über der linken Schulter trug. Noch drei Schritte bis zum Tunnel. Die Wirklichkeit überholt die Fantasie: Man stelle ein Glas kochendes Wasser ins Gefrierfach und daneben ein Glas lauwarmes Wasser. Das Glas mit kochendem Wasser gefriert früher als das mit lauwarmem Wasser. Wie lässt sich dieses Paradoxon erklären? Die hervortretenden Augen in seinem dunklen Gesicht deuteten auf Unabhängigkeit und Aufsässigkeit hin, doch sein kleines spitzes Kinn schien dafür geschaffen, dem Betrachter zu gefallen; auf seiner Wange hatte sich ein erster Pickel gebildet; und auf seiner roten Crickettasche stand auf der Seite mit auffälligen Stickstichen: «Eigentum von M. K., Sohn von Mr Mohan Kumar, Dahisar». Er hatte fünfzehn Rupien in der Hosentasche, genau der Betrag, um Erdnüsse und eine Flasche Trinkwasser nach dem Training zu kaufen, außerdem steckte dort eine gefaltete Zeitungsseite. Die Wirklichkeit überholt die Fantasie: Man stelle ein Glas kochendes Wasser ins Gefrierfach… Der übel riechende, kakophonische Tunnel war selbst an einem Sonntagmorgen voller Menschen, die in dem kruden Neonlicht Sportschuhe, bunte Hemden und Spielsachen für Kinder suchten. Die Wirklichkeit überholt die… Manju bahnte sich einen Weg durch die Menge. Aufziehbare Spielsachen versuchten, Salto über seine Schuhe zu springen. Um auf sich aufmerksam zu machen, schlugen zwei nebeneinanderstehende Männer grüne Tennisschläger gegen Stanniolpapier und erzeugten Funken. Elektronische Moskitovertilger. Für dich, mein Sohn, nur fünfzig Rupien. Wie lässt sich dieses Paradoxon erklären… Für dich, mein Sohn, nur vierzig Rupien. In der Ferne sah Manju die Treppe, die zum Victoria-Terminus führte. Die eine Hälfte lag im Dämmerlicht. Über dem Tunneleingang musste sich ein Halbmondfenster befinden, das mit einer hundertjährigen Bombay-Schmutzschicht überzogen war. Unter dreißig Rupien kann ich nicht gehen, mein Sohn, nicht mal für dich.

In der oberen Hälfte glitzerten die Stufen wie Weihnachtslametta.

Als er wieder aus dem Tunnel hinaustrat und gerade über die Straße zum Azad Maidan hinübergehen wollte, hielt er inne. Manju hatte ihn gesehen – den Jungen, den er jeden Sonntag sah, der jedoch jedes Mal eine andere Miene zur Schau trug.

Den Durchschnitts-Cricketspieler.

Heute war es der Junge, der auf den Fußweg blickte und seine Tasche hinter sich herschleifte. Er hatte eine grüne Kappe auf und trug weiße, verfleckte Kleider. Ungefähr vierzehn Jahre. Führte Selbstgespräche.

«… daneben. Knapp daneben. Aber der Schiedsrichter…so was von blind. Und außerdem verrückt…»

Manjunath stand grinsend auf der anderen Straßenseite.

Tag, du Durchschnittsspieler.

Dies waren die Trümmer des ersten Spiels auf dem Azad Maidan – der Bursche, der jetzt fünfzehn Zentimeter kleiner war als um 7 Uhr früh, der blinzelte und sich mit der Luft stritt, der den Schiedsrichter verwünschte und den Bowler und dessen Mannschaftskapitän und seinen eigenen Mannschaftskapitän und der jede Minute weiter schrumpfte, weil er tief im Innern wusste, dass er nicht dafür bestimmt war, ein bedeutender Cricketspieler zu werden.

Manju hievte seine Tasche von den Schultern und stellte sie auf den Asphalt. Dann machte er den Reißverschluss auf und zog seinen neuen Schläger hervor: Er umfasste den schwarzen Griff mit beiden Händen und hielt ihn fest.

Dann wartete er.

Der durchschnittliche Cricketspieler zog die grüne Kappe ab und hob den Kopf. Dann trafen sich die Blicke der beiden Jungen.

Manjunath Kumar zeigte ihm, wie man den Ball mit einem Treibschlag durch die Covers spielte. Er zeigte ihm, wie man den roten Cricketball angriff, verteidigte und beherrschte.

Woraufhin er wie W. G. Grace auf den Schläger gestützt dastand, die Zunge herausstreckte und mit den Augen rollte.

Auf der anderen Straßenseite fiel die grüne Kappe aufs Pflaster.

Zum Abschied winkte Prinz Manju dem Durchschnitts-Cricketspieler zu und verabschiedete sich – mit einer Drehung nach links und einer Drehung nach rechts – von allen durchschnittlichen Dingen.

Ich bin der zweitbeste Schlagmann der Welt.

***

«Bleib sofort stehen. Wir haben gestern Abend über dich gesprochen. Bleib stehen, hab ich gesagt.»

Die Silhouette des Municipal-Building und die stachelige Kuppel des Victoria-Terminus kämpften sich durch den Morgensmog, und dazwischen hingen massenweise Fernsehkabel. In einer Ecke brannte Abfall, von dem blauer Rauch aufstieg.

Zwischen den Gebäuden und dem brennenden Abfall stand ein dicker Mann und versuchte wie ein Torwart, Manjunath zu erwischen.

«Komm zurück, Junge. Komm sofort zurück.»

Grinsend gab Manjunath nach und ging an die Stelle zurück, wo Cheftrainer Sawant stand.

«Hast du gehört, was ich gesagt habe? Ich hab gesagt, wir haben gestern Abend über dich gesprochen. ‹Wir› bedeutet zwei Leute. Wer war wohl der Zweite, der über deine Zukunft gesprochen hat? Frag mich das.»

Manju zog stattdessen die Hand aus seiner Hosentasche und zeigte dem Coach etwas.

«Was ist das?», fragte Sawant, als ihm der Junge eine verstörend große Seite aus der Sonntagszeitung überreichte.

«Sir, bitte sagen Sie mir die Antwort.»

Sawant nahm das Paradoxon in beide Hände. Sein Hirn kämpfte mit der Oberstufenphysik und seine Lippen mit dem Zeitungsenglisch.

Man stelle ein Glas kochendes Wasser ins Gefrierfach…

«Ich hab keine Ahnung, Manju. Nicht die geringste Ahnung. Nimm es wieder an dich. Manju», sagte der Trainer dann, «warum hast du das zum Cricket mitgebracht? Kann dir das zu Hause niemand erklären? Was ist mit deiner –»

«Meine Mutter ist auf einer langen Urlaubsreise, Sir.»

Während Manju sein kostbares Stück Zeitung in der Crickettasche verstaute, musterte Sawant ihn von Kopf bis Fuß, wie jemand, der sich fragte, ob er eine schlechte Entscheidung getroffen hatte.

«Der andere Mann, der über dich gesprochen hat, war Tommy Sir. Du weißt ja, was es bedeutet, wenn er sich für einen Jungen interessiert.»

Doch Manju war schon geflüchtet.

«Hey, Manjuboy! Komm hierher!»

Zwanzig andere junge Cricketspieler standen um eine rote Steinwalze, auf der zweimal «Tiger» geschrieben stand. Sie hatten auf ihn gewartet.

«Chutneyboy! Seht mal, da kommt der Chutneyboy angerannt.»

«Chutneyboy, der ein Young Lion sein will. Komm her!»

Es war ein Kriegsgericht: Einer der Jungen hielt eines von den neuen Telefonen hoch, die gleichzeitig winzige Fernseher waren, und Manju musste sich auf die Steinwalze stellen, während der Kreis um ihn herum enger wurde.

Als Manju sich über den weißen Kreis erhob, ging Sawant, damit er mehr sah, mit den Händen in den Hüften um die Steinwalze herum.

Die Jungen zwangen Manju, sich anzusehen, wie eine Reporterin einem großen Teenager ein Mikro hinhielt. Er war in jeder Hinsicht gut aussehend und hatte noch dazu kühle graue Wolkenaugen wie die eines Schneeleoparden.

«Chutney-Radscha! So nennen sie deinen Vater, Manju. Chutney-Radscha!»

«Du hast sie ja im Fernsehen gehört. Mein großer Bruder ist ein Young Lion.»

«Chutney-Radscha-SubJunior! Du kennst doch sowieso nur deine Naturwissenschaftsbücher. Was weißt du schon vom Ballschlagen?»

«Thomas, heute schlag ich dich dreimal hintereinander mit vier Läufen. Und dann schlag ich dich dreimal mit sechs Läufen. Was hast du über meinen Vater gesagt?»

«Dass er ein Chutney-Radscha ist.»

«Und was ist dein Vater?»

«Dein Bruder ist der Chutney-Radscha-Junior. Damit bist du –»

YOUNG LIONS

Helft uns bei der Suche nach der nächsten Generation legendärer Sportler!

Diese Bilder zeigen, dass Radha Krishna Kumar am Stadtrand von Mumbai in Verhältnissen aufgewachsen ist, die man kaum als ideal erachten kann. Sein Vater ist Chutney-Vertreter und sein Hauptgeschäft sind seine Söhne. Im Originalton:

«Wir haben ein Familiengeheimnis, das uns über alle anderen Cricketspielerfamilien der Stadt Mumbai hinaushebt. Mein Sohn Radha hat den geheimen Segen von Lord Subramanya, der Gottheit, der unsere Familie huldigt…»

(Geheimer Segen von Gott? So ein Scheiß, dein Vater ist wirklich verrückt.)

(Ashwin. Ich hab’s gehört. Zwei Vierer!)

«Mr Mohan: Stimmt es tatsächlich, dass Ihr Sohn so gut geworfen hat, dass Sachin Tendulkar während eines Übungsspiels ausscheiden musste – oder ist das bloß ein Gerücht?»

«In unserer Sprache gibt es das Sprichwort: Wer eine Erdnuss stiehlt, ist ein Dieb, und wer einen Elefanten stiehlt, ist auch ein Dieb. Das bedeutet, dass wir weder im Großen noch im Kleinen lügen. Radha Krishna hat seinen vierten Ball direkt auf das Wicket geworfen, und Sachin Tendulkar musste ausscheiden.»

(Das stimmt! Es war wirklich so!)

(Halt den Mund, Chutney-Radscha-SubJunior! Und warum heißt dein Bruder Radha? Ist das nicht ein Mädchenname?)

Radha Kumar ist in seinem Viertel ein Superstar. Wir haben mit seinem Nachbarn Mr Ramnath gesprochen, der hier vor seinem Bügelstand zu sehen ist.

«Dahisar war einmal berühmt, bevor der Fluss so schmutzig geworden ist, wurden hier Filme gedreht. Als ich Radha zum ersten Mal sah, das war vor über zehn Jahren, sein Vater brachte ihn her, da hab ich zu meiner Frau gesagt, dieser Junge macht Dahisar wieder berühmt.»

YOUNG LIONS

MONTAG 18:30 UHR – WIEDERHOLUNG AM MITTWOCH

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Es reicht! Manju fuchtelte wild mit den Armen und vertrieb seine Peiniger von der Steinwalze: Es war an der Zeit für richtiges Cricket.

«SubJunior! Mach dich zum Schlag bereit!»

«Oh, Champion aller Champions!»

Aus der Ferne, vom anderen Ende des Maidan, hörte man Trommelschläge. Mit Beinschützern und Helm versehen ging Manju zur Spielfeldlinie und ließ dabei seinen Schläger schwungvoll über dem Kopf kreisen.

Mittags schlug er immer noch den Ball. Manju Kumar hatte Wort gehalten und alle Bowler für das, was sie über seinen Vater gesagt hatten (und über seinen Bruder und dessen angeblichen Mädchenvornamen), unterschiedlich bestraft: Thomas’ Ball schlug er über Mid-Wicket hinaus, Ashwins Ball schlug er zweimal durch die Covers, und die Bälle der anderen schnitt er oder begegnete ihnen, indem er sie besonders gekonnt von einer Seite zur anderen schlug oder sie mit einer schnellen Drehung des Handgelenks wegschlug.

Pramod Sawant stand mit verschränkten Armen da und beobachtete Manju: Er ließ den Blick über das dunkelhäutige Gesicht mit den Glupschaugen, dem spitzen Kinn und dem einsamen Pickel gleiten, über Schultern und Oberarmmuskeln und konzentrierte sich dann auf das, was am Körper eines Schlagmanns wichtig war. In Australien schlägt man den Ball mit Fußarbeit, in Indien mit den Handgelenken. Wenn Manjunath Kumars Unterarme in Bewegung waren, lief seinem Trainer das Wasser im Mund zusammen. Dunkel und geradezu reizend waren diese Unterarme, ausgeprägter und kräftiger als seine Bizepse, wie diejenigen eines Fünfundzwanzigjährigen, die man einem 1,45 Meter großen Kinderkörper aufgepfropft hatte – Unterarme, die Cheftrainer Sawant beim sanften Schlagen und gelegentlichen Gegen-die-Spielfeldgrenze-Knüppeln des harten roten Balls mit Schaudern an den muskulösen Mann in schwarzen Shorts denken ließen, der vor drei Jahrzehnten mit einem Wanderzirkus in sein Dorf gekommen war.

***

Manjunath saß auf dem Boden einer 30 m2-Backsteinbox, seinem Zuhause. Er war wieder in dem Einzimmerhäuschen mit dem grünen Trennvorhang, wo er seit neun Jahren wohnte – seit sein Vater mit ihm und seinem Bruder nach Mumbai gezogen war. Der Junge drückte die Handteller an die Wangen und ging die Zeitung noch einmal durch:

Eine Theorie stützt sich auf den See-Effekt, wie er in den kalten Ländern Nordamerikas auftritt…

Seine Cricketausrüstung lag verstreut um ihn herum, und sein Oberkörper war nackt.

In dem schmalen Lichtstrahl unter der Metalltür der Hütte sah Manju Schatten vorbeigehen. Sein Vater war draußen und beantwortete die Fragen der Nachbarn. Wann kommt Radha Krishna wieder? Glaubt er jetzt, mit seinen Nachbarn zu reden, sei unter seiner Würde?

Auf dem Tisch stand das Abendessen, das seine Tante (oder vielleicht auch Großtante) Sharadha gekocht hatte. Die Welt war in Ordnung, abgesehen von einem naturwissenschaftlichen Paradoxon.

… schnell bildet sich auf dem See eine Eisschicht, die das Wasser während des gesamten Winters unter dem Gefrierpunkt hält. Analog dazu bildet sich, wenn lauwarmes Wasser gefriert, eine dünne Eisschicht. In einem Glas mit kochendem Wasser stoppt dagegen der verdunstende Dampf das …

Ein Poltern ließ ihn aufblicken: Über das Wellblechdach galoppierte eine Schädlingskavallerie. Ratten auf dem Weg in die Mahlmühle, die sich mitten im Slum befand. Manju machte den Fernseher an und stellte ihn laut.

Er griff hinter das Gerät und holte einen Instantnudelbecher mit dunkler Erde hervor, in dem zwei Pferdebohnen gekeimt waren, die er vor achtundvierzig Stunden gepflanzt hatte. Neues Leben, gezeugt von Meister Manjunath. Mit väterlichem Blick betrachtete er die zarten Keime, beträufelte sie mit dicken Wassertropfen aus einem Glas und stellte den Becher Leben wieder in sein Versteck hinter dem Fernseher.

Das letzte Bild der täglichen Fernsehserie tauchte kurz auf: die Leiche eines Amerikaners, die nackt auf einem grünen Seziertisch unter einem Kegel aus hartem weißem Licht lag. Dann wurde der Bildschirm schwarz, und der Nachspann erschien.

Manju blickte an sich herab: Da war es schon wieder – er hatte eine Erektion. Das passierte ihm in letzter Zeit dauernd, manchmal sogar, wenn sein Vater oder sein Bruder im Zimmer waren. So fest er konnte, drückte er sich bäuchlings auf den Boden.

Er fragte sich, welche Farbe sein Pimmel jetzt wohl haben mochte: Und dann spürte er, dass unter dem Gewicht seines Körpers Flüssigkeit austrat und sich eine eisige Lache um ihn herum bildete. Er befand sich jetzt auf dem gefrorenen See. Er war nicht allein. Die Leiche des Ausländers hatte man vom CSI-Vegas-Untersuchungs- tisch mitten auf den See gebeamt…Agent Manjunath Kumar-Grissom, der befördert worden ist und nun zur Eliteeinheit des CSI-Vegas gehört, kriecht, zentimeterweise und mit dem rechten Zehennagel über das Eis kratzend, immer näher an den nackten Leichnam heran, den er bergen muss; doch als er fast angelangt ist, bricht krachend und knackend die Eisdecke unter ihm ein.

Überall ringsum wird plötzlich gepfiffen und gejubelt – Ra-dha! Ra-dha! –, ein Young Lion ist in den Slum zurückgekehrt. Manju jedoch, der jetzt nach draußen gehen und die Nachbarn anlächeln muss, liegt immer noch auf dem Boden und versucht, seinen Ständer loszuwerden.

***

Ein Seidenreiher war vom Fluss herbeigeflogen und beäugte den Jungen, der über einem Brunnen lag und eine Wasserschildkröte beobachtete.

Es war ein offener Brunnen, wie man ihn in Vororten wie Dahisar noch findet, siebeneinhalb Zentimeter aus dem Boden ragend und mit einem rostigen Gitter darüber: Manju lag mit dem Gesicht darauf und beobachtete etwas unter der Wasseroberfläche.

Seine Beine formten ein V auf dem Eisengitter, das knarrte, als er sein Gewicht verlagerte. Er leuchtete mit seiner dünnen Stabtaschenlampe durch die Zwischenräume in das schwarze Wasser hinunter und ließ den Lichtstrahl über den Brunnen wandern. Na also! Neugierig kam das dunkle Geschöpf mit der Kuppel auf dem Rücken platschend und heftig strampelnd aus dem schwarzen Wasser ins Licht.

Manju knipste seine dünne Taschenlampe aus und legte das Gesicht auf das kalte Gitter. Sein Herz pochte laut gegen seinen Brustkorb, der wiederum gegen den Metallgitterrost pochte. In ein paar Stunden würde er Chemieunterricht haben. Er wusste, dass ihm eine unangekündigte Klassenarbeit bevorstand.

Was wird zur Herstellung von Bleichmittel benutzt?

A. Wasserstoff

B. Salzsäure

C. Natriumphosphat

D. Chlor

Bitte, bitte, hilf mir. O Gott des Crickets und der Chemie.

Von tief unten aus dem Brunnen wehte ein kühler Luftzug herauf und kitzelte ihn an der Wange; in der Fantasie des Jungen wurde er zu einem Lüftchen aus den blauen Bergen. Er spürte sein Haar im Wind wehen, in der Bergluft der Westghats.

Jeden Sommer kehrte die Familie in ihr Dorf zurück. Sie fuhren mit dem Zug von Mumbai nach Mangalore, dann mit dem Bus über die Berge bis zum Heiligtum des Cricketgottes, ihrer Familiengottheit Kukke Subramanya; an Bäumen mit rotem Laub vorbei und an kleinen Bächen, denen das Herz stehen blieb, wenn ein Schuljunge hineinsprang, vorbei an Wasserfällen, die sich in noch mehr Wasserfälle hüllten, bis sie an einen Tempel gelangten, der tief im Inneren der Westghats lag, dort aus dem Bus stiegen und dann stundenlang in einer langen Reihe standen und vorbei an brennendem Kampfer, schrillen Tempelglocken und einer neunköpfigen, bemalten Schlange, dem Beschützer Vasuki, langsam vorwärtsrückten, bis sie schließlich an die silbernen Türrahmen kamen, hinter denen von Öllampen beleuchtet der tausendjährige Cricketgott Subramanya wartete.

«Erinnert Ihn daran, meine Söhne. Wir können Ihm nicht viel Geld bieten. Also erinnert Ihn daran, ihr Bengel.»

«Einer von uns beiden soll der beste Schlagmann der Welt werden und der andere der zweitbeste.»

Mohan Kumar erinnerte Gott auf seine eigene Art. Wie jedes Jahr rollte er mit nackter Brust über den harten Tempelgranitboden, rollte von einer Seite der Mauer zur anderen und wieder zurück, bis sein Rücken aufgerissen und der geheime Vertrag in seinem Blut erneuert war.

«Leckst du dich wieder?»

«Nein», sagte Manju, «ich schaue nur.»

«Steh auf.»

Manju rührte sich nicht.

Radha ließ sich neben ihm nieder, und jetzt lagen zwei Leiber auf dem alten Gitter über dem Brunnen.

«Lass uns reingehen. Er muss schon wach sein», sagte Radha.

Manju zeigte mit der Taschenlampe auf eine Stelle unter ihnen.

«Da ist die Wasserschildkröte wieder. Es ist die Mutter.»

«Vielleicht. Gehen wir nach Hause, Manju. Sonst schlägt er dich wieder, wenn er schlechte Laune hat.»

«Das ist die Mutter. Ich gehe erst, wenn du auch sagst, dass es die Mutter ist.»

«Das kann ich von hier aus schlecht sehen, Manju.»

«Ich zeig’s dir, ich zeig’s dir.»

Radha, der Young Lion, hatte ein kantiges Kinn und war groß und muskulös. Obwohl der Altersunterschied zwischen den beiden nur ein Jahr und einen Monat betrug, wurde er manchmal für Manjus Onkel gehalten. Angestrengt versuchte er, durch das Gitter die Stelle in Augenschein zu nehmen, auf die sein Bruder den Taschenlampenstrahl hielt.

«Siehst du, die Mutter. Stimmst du mir zu? Dann können wir gehen.»

«Warte, Manju. Leuchte mal da drüben hin. Ich glaube, da ist noch eine.»

Die Taschenlampe bewegte sich: Eine weitere Wasserschildkröte wurde gesichtet. Sie hob den Kopf zu ihren beiden menschlichen Beobachtern empor. Wie faszinierend, schien sie zu sagen, Schildkröten zu sehen, die dort oben in noch größerer Finsternis leben. Danach verlor sie das Interesse an den Jungen und sank zurück ins Wasser.

«Das ist die Mutter, stimmt’s? Wenn du mir zustimmst, können wir gehen.»

Manjunath drückte sich eng an seinen Bruder; die Körperwärme schärfte seine Sinne.

Auf einmal sah man noch eine Wasserschildkröte: Mit weit aufgerissenem Maul und einem Panzer, dessen Rand golden glitzerte, drehte sie sich nach dem Licht.

«Manju, du irrst dich. Das hier ist die Mutter. Sie ist größer.»

«Ich hab es hinter dem Fernseher versteckt», flüsterte Manju.

«Was?»

«Mein Biologie-Experiment. Diesmal möchte ich die volle Punktzahl bekommen.»

Vor zwei Monaten war sein Modell-Düsenflugzeug, das er in vier Tagen Schwerstarbeit für den Physikunterricht gebaut und auf dem Esstisch hatte stehen lassen, unter mysteriösen Umständen verschwunden.

«Er findet es sowieso und wirft es weg, Manju. Komm, wir müssen gehen. Er muss jetzt wach sein.»

«Ich will die Schildkröte beobachten.»

«Manju, heute ist kein solcher Morgen.»

«Ich will die Schildkröte beobachten.»

«Manju, heute gibt es keine Untersuchung. Hab keine Angst.» Radha gab seinem Bruder einen Rippenstoß. «Wenn du jetzt nicht kommst, zeig ich ihm, wo du dein Experiment versteckt hast.»

Die Brüder sahen sich kurz an, dann sprangen beide Körper vom Gitterrost auf und rannten los.

Ihr Vater hatte ihre Liegen bereits zusammengeklappt und an die Wand gestellt, wo sie zwei gleichschenklige Dreiecke bildeten; sein eigenes Klappbett stand auf der anderen Seite des Vorhangs. Direkt neben den Betten stand ein Almirah aus Metall, der sich mit einem Ausschlag rostiger Flecken und aschgrauer Narben über die jahrelange Misshandlung beklagte; an den drei Almirah-Seiten lehnten sieben Cricketschläger.

Die alte Sharadha, die irgendwie mit ihnen verwandt war und eine Tante oder Großtante war, putzte den Kerosinkocher und das schmutzige Geschirr vom Vorabend – eine polyglotte Beschwerdeführerin, die Kannada, Hindi und Englisch sprach, die einzige Frau, die seit einem Jahrzehnt oder länger bei ihnen verkehrte (keiner von den beiden Jungen kann sich erinnern, wann genau sie ging).

Vor dem Spiegel hinter dem grünen Vorhang färbte Mohan Kumar seinen Schnurrbart, eine Prozedur, die eine Dreiviertelstunde dauern konnte. Den Farbpinsel in der Hand drehte er sich um und betrachtete seine Söhne.

«Habt ihr schon wieder Mädchen angeguckt? Nackte Mädchen beim Morgenbad?»

«Nein, Appa. Wir haben uns Wasserschildkröten angesehen.»

«Jungens», sagte Mohan Kumar mit geschlossenen Augen und unterdrückte seinen Zorn. «Wenn ihr nackte Mädchen anseht, halb nackte Mädchen, die baden, dann sagt es mir. Ich bestrafe euch nicht. Aber lügt mich nicht an. Was habt ihr beiden euch angesehen?»

Mohan tauchte mit pechschwarzem Schnurrbart hinter dem Vorhang auf, rief seinen jüngeren Sohn zu sich, fasste ihn am Kinn und drehte sein Gesicht hin und her.

«Du hast ganz rote Backen, Manju. Das sind die Hormone. Du hast dir Mädchen angesehen, stimmt’s?»

«Nein, Appa.»

Mohan Kumar hob die Hand, drehte den Handteller neunzig Grad nach links und zitterte wie jemand, der beim Salutieren einen Anfall bekommt. Manju duckte sich und machte sich bereit; der Schlag traf ihn rechts ins Gesicht.

Zehn Minuten später trugen die Jungen ihre Schuluniformen und hatten ihre Crickettaschen gepackt. Sie standen still, während Mohan die Hand in die Taschen steckte und nachprüfte, ob sie nichts vergessen hatten.

Dann schloss die Familie Kumar die Haustür hinter sich und ging zum Crickettraining.

Als sie an der Reifenreparaturbude vorbeikamen, einem «Puncher Shop», wie auf einem Schild zu lesen war, blieb Manju stehen und schrie: «Falsch! Völlig falsch!»

«Sei still», sagte Radha.

Doch als Manu seinen Vater ansah, war ihm klar, dass er noch mehr hören wollte: Er war nämlich stolz auf seinen Sohn, der klüger war als alle seine Altersgenossen im Slum.

«Wollen Sie Pan Card?», ratterte Manju mit lauter Stimme in Straßenverkäufermanier herunter. «Kürbis-, Karotten-, Bananen-Form-Obst und Gemüse-Salat-Dekorateure! Pandal-, Hochzeits-, Geburtstags-Experten! Alles auf Englisch ist falsch geschrieben, und mein Name ist Manjunath Kumar!»

Doch Manjunath Kumar, der zweitbeste Schlagmann der Welt, hatte etwas noch viel Wichtigeres vorzuweisen als korrekte englische Orthographie: Manju konnte nämlich Gedanken lesen. Es war ihm zugeflogen, er konnte es so, wie andere Kinder zum Beispiel mit den Ohren wackeln können, ohne sie zu berühren, oder die Zunge wie ein vertrocknetes Blatt einrollen oder den Daumen nach hinten durchbiegen. Wenn Manju still dasaß und sich konzentrierte, konnte er sagen, was die anderen von ihm wollten. Und er konnte Sätze zu Ende sprechen, die sie begonnen hatten.

Er wusste, dass er diese geheime Begabung, das Vermögen, Gedanken zu lesen, von seiner Mutter hatte. Ihre lange, elegante Nase; ihr hinreißendes Lächeln; ihre Art, ihm Seitenblicke zuzuwerfen – an all das erinnerte er sich noch. Und auch daran, wie seine Mutter auf einem Sofa saß, ihr wunderbares Lächeln auf ihre Gäste richtete und dauernd die Silbermünze mit der Prägung von Lord Subramanya rieb, die von ihrer Ehehalskette hing, so als sei sie ein Amulett, mit dem sie Gedanken lesen konnte. Sie konnte immer sagen, was ihre Gäste hören wollten, und verwöhnte sie endlos mit Schmeicheleien, sodass diese sich später mit erfrischten, strahlenden Egos von ihr verabschiedeten, als kämen sie gerade aus einem Hamam. Und eines Tages las sie dann die Gedanken seines Vaters und verschwand. Das war ihre Rettung, denn sonst hätte Mohan Kumar sie umgebracht, da war Manju sich sicher. Deshalb hatte ihre Mutter Radha und ihn nie besucht, obwohl sie gehört haben musste, dass sie beide berühmt waren. Sie hatte so große Angst vor ihrem Mann, dass sie ihre Söhne vergaß.

Weil Manjunath die Gedanken seines Vaters gelesen hatte, wusste er, wie er ihn zufriedenstellen und ihm eine Freude bereiten konnte, und deshalb schrie er auf Englisch, während Radha (dem die geheime Begabung seines Bruders fehlte) protestierte:

«Hast du nicht gehört? Halt die Klappe, Manju.»

Das tat Manju auch: doch nur wegen des Knirschens und einer Wolke Mehlfeinstaub aus der Mahlmühle. Es handelte sich um ein tyrannisches Monster aus blauen Schläuchen und Trichtern, das berühmteste Objekt im Slum, das selbst Leute aus guten Gegenden jeden Morgen nach Shastrinagar zog. Das Knirschen und der erstickende, weiße Staub beruhigten den jüngsten Kumar vorübergehend, doch dann fing er wieder an:

«Internet-Gaming-Cyber-Mahesh-Café!»

«Manju, halt die Klappe, hab ich dir gesagt. Ich kann auch Englisch, aber ich gebe nicht damit an.»

Die Jungen waren hinter ihrem Vater an den Geschäften mit den heruntergelassenen Fensterläden durch ihren Slum gegangen und dann durch einen blau angemalten, von einer politischen Partei gespendeten Papptorbogen WILLKOMMEN BEI UNS ZUHAUSE, der übersät war mit den strahlenden, körperlosen Gesichtern lokaler, bundesstaatlicher und überregionaler Parteiführer, von denen mindestens zwei derzeit Gefängnisstrafen abbüßten – wodurch sich der Eindruck verstärkte, dass es sich um lauter Verbrecher aus dem Mittelalter handelte, deren grinsende Köpfe man über dem Stadttor aufgehängt hatte. Jemand, der den blauen Torbogen von weitem sah, konnte jedoch auch den Eindruck gewinnen, dass die Gesichter Dschinns waren, die sich dort versammelt hatten, um weiße Magie anzuwenden. Die Familie Kumar schien nämlich jetzt auf Wasser zu wandeln.