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Verliebt in die Feindin Magalie hasst Veronika. Veronika, die Klassenprinzessin mit der Modelfigur. Veronika mit dem arroganten Blick, dem neuen Wagen, den bösartigen Freundinnen, die jeden quälen, der ihnen in die Quere kommt. Bis das Schicksal zuschlägt. Nach einem Zwischenfall im Basketballtraining ist auf einmal alles anders. Die beiden müssen mit eifersüchtigen besten Freunden, Dorfdisco-Türstehern und vor allem ihren Gefühlen füreinander klarkommen. Schaffen sie es? Oder werden sie für immer Feinde bleiben? Diese Kurzgeschichte ist eine Ergänzung zu den Romanen »Funkenflut« und »Zu ihm«, in denen Veronika bereits kurze Auftritte hatte. »Goldsplitter« ist aber eine eigenständige Geschichte, für die kein Vorwissen notwendig ist.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Impressum
Goldsplitter
Text Copyright © 2016 Regina Mars
Alle Rechte am Werk liegen beim Autor.
Regina Mars
c/o Block Services
Stuttgarter Str. 106
70736 Fellbach
www.reginamars.de
Umschlagbild und Umschlaggestaltung: Regina Haselhorst
Copyright © Regina Haselhorst
www.reginahaselhorst.com
Goldsplitter
»Magalie, du Flittchen! Wie war dein Date?«, ruft Cora und steht von dem bekritzelten Betonpoller auf, auf dem sie gesessen hat. Hinter ihr kommt ein Bus an und eine Horde Fünftklässler drängelt sich brüllend und schubsend heraus. Noch weiter hinten steht das graubraune Schulgebäude vor dem bleigrauen Himmel herum und wartet darauf, dass jemand es von seinem Elend erlöst. Immer noch riecht die Luft nach Winter, dabei ist bald Ostern.
»Ha, Date! Von wegen.« Ich schüttele den Kopf. Sofort habe ich eine blassrosa Strähne im Auge. Super. »Er hat nicht mal mein Bier gezahlt. Hat sich wohl rumgesprochen, dass ich leicht zu haben bin. Dabei waren wir in der Kanone, da kann sich echt jeder ein Bier leisten.«
»Und lief da was?« Coras Zähnchen blitzen.
»Natürlich.« Ich lache. Seite an Seite überqueren wir den Parkplatz. Neben Cora komme ich mir immer wie eine überzüchtete Kuh vor. Ich bin fast zwei Köpfe größer als sie. Meine Trainerin hat sich schon über meine Haltung beschwert. Aber was soll ich denn machen, wenn ich immer nach unten schauen muss? Coras Rücken ist perfekt gerade. Klar, sie muss ja ständig zu mir hochschauen. Nicht, dass Cora je zu jemandem aufschauen würde. Die Jungs nennen sie den Pitbull. Wenn sie nicht dabei ist, natürlich.
»Erzähl schon, wie war's?«
»Ach …« Das Thema frustriert mich, also versuche ich, abzulenken. »Guck mal, hat Veronika ein neues Auto? Was ist das denn für eine Bonzenschleuder?«
»Die hatte sie letzten Freitag schon. Hat ihr Vater ihr geschenkt.« Cora rollt die Augen.
»War ja klar.« Ich beobachte, wie Veronika ihre perfekten Beine aus dem weißen Geländewagen schiebt. Das dauert ewig, lang, wie die sind. Wie aus so einer Ladyshaver-Werbung, glatt und mit einem Goldschimmer. Glatt …
Verdammt, ich hab vergessen, meine Beine zu rasieren! Geht es vielleicht noch? Geht nicht, stelle ich mit einem Blick auf meine löchrige Strumpfhose fest. Stoppeln ohne Ende. Mist. Ist aber auch zu spät, irgendetwas dagegen zu tun.
»Magalihiie …«
»Hm?«
»Jetzt erzähl endlich von deinem Nicht-Date.« Cora pikst mich in den Oberarm. Ganz schön fest. Ihr Mini-Finger bohrt sich fast bis auf meinen Knochen.
»War nicht so spannend.« Ich seufze. Ich komme ja eh nicht drum herum. »Wir haben ein bisschen gequatscht, aber hatten uns nicht wirklich was zu sagen. Er fand meine Tattoos super. Dann hat er die ganze Zeit gedrängelt, dass wir zu ihm gehen sollen. Ich bin eigentlich nur mit, weil er seine eigene Wohnung hat. So ein Mini-Appartment über dem von seinen Eltern. Mit eigener Haustür.«
»Hui.«
»Davon kann ich nur träumen … Na ja, es war ganz gut. Er hat gut geküsst.«
»Und … sonst so?
»Najaaa …« Ich grinse, obwohl ich mich nicht danach fühle. »Doch, war gut.« War es nicht. »Und lang.«
Immerhin das stimmt. Ich bin immer noch wund. Einen Moment lang überlege ich, Cora die Wahrheit zu beichten. Es war ganz nett, aber ich bin nicht gekommen. Ich bin noch nie gekommen. Aber ich halte die Klappe. Und bemerke mit Entsetzen, dass wir auf die Kas zugehen. Veronika, Jessika und Monika.
Sie stehen dekorativ vor dem Eingang, werfen die glänzenden Haare in den Nacken und lachen perlend. Ich weiß nicht, was das heißen soll: perlend lachen. Aber diese Mädels können es. Die können alles. Verdammt.
Noch fünf Meter. Ich hebe den Kopf und versuche, selbstbewusst zu schauen. Klappt es? Nehmen sie mir das ab? Vielleicht bemerken sie mich gar nicht. Noch drei Meter. Jessika dreht den Kopf. Ihre Augen werden schmal, als sie mich sieht. Kacke. Ich gehe schneller. Cora kommt kaum noch mit. Und dann sind wir auf der gleichen Höhe.
»Schlampe«, zischt Jessika.
»Fall nicht hin, du billiges Stück«, flüstert Monika.
Ich habe das Gefühl, ein glühend heißer Pfeil bohrt sich in meinen Bauch. Mir ist kalt. Ich muss etwas sagen, aber mein Mund ist wie ausgetrocknet. Immerhin hüpfe ich elegant über Monikas ausgestreckten Fuß. Kunststück, sie versucht seit der fünften Klasse, mich zu Fall zu bringen. Ein schlauer Spruch fällt mir nicht ein. Aber dann mustert Jessika Cora und die macht sich noch kleiner. So eine Macht haben diese drei fiesen Weiber. Vor ihrer geballten Perfektion kuscht selbst Cora.
»Hey, Zwerg? Was willst du eigentlich mit der?« Jessika deutet auf mich. Auf ihrem Fingernagel glänzt perlmuttfarbener Nagellack, der zu ihren Perlenohrringen und ihrem perlenden Lachen passt. Die Kas sehen alle aus wie die perfekten Schwiegertöchter. »Ist dir das nicht peinlich, mit der Klassenhure gesehen zu werden?«
»Lass sie in Ruhe«, murmelt Cora. Die Gute. Mein Mund ist immer noch papiertrocken.
Jessikas Augen werden schmaler. Die Drei starren uns an wie Haie, die sich noch nicht entschieden haben, ob es sich lohnt, die kleinen Fischlein vor sich zu verputzen.
»Was hast du gesagt, Zwerg?« Monikas Stimme ist schneidend.
»Du hast ihr gar nichts zu befehlen!« Jessika kommt einen Schritt auf uns zu.
Die Morgensonne lässt ihre Haare wie Platin schimmern. Ich sehe mich um. Ein paar Achtklässler laufen an uns vorbei, aber kein Lehrer ist in Sicht. Und selbst wenn, würde er wahrscheinlich den Kas helfen, nicht den beiden tätowierten Mädels mit den schwarzen Klamotten.
»Zwerg! Schlampe!« Die anderen beiden halten inne, als Veronikas Stimme erklingt. Ihr frostiger Blick durchbohrt mich. Die Eiskönigin entfaltet ihre schlanken Arme und deutet mit ihrem Daumen auf das Schulgebäude. »Verpisst euch.«
Beinahe dankbar marschieren wir an ihnen vorbei und werfen den drei Miststücken böse Blicke zu. Ich habe es immer noch nicht geschafft, ein Wort zu sagen. Sonst bin ich nicht schüchtern, ehrlich. Aber mit Jessika und Monika legt man sich einfach nicht an.
In der sechsten Klasse hatten sie Gerald im Visier. Keine Ahnung, was er ihnen getan hat. Jessika meinte, er wäre selbst schuld, weil er so scheiße sei. Er hatte eine große Klappe, klar. Hat sich gerne mal aufgespielt, obwohl jeder gemerkt hat, dass es mit seinem Selbstbewusstsein nicht weit her war. Er musste wohl etwas kompensieren. Schließlich war er kaum größer als Cora und für einen Jungen ist das viel schlimmer.
Na ja. Sie haben ihn rausgepickt. Angefangen haben sie damit, in jeder Stunde zu kichern, sobald er etwas gesagt hat. Haben Milch in seine Schultasche gekippt, ihm beim Essen das Tablett aus der Hand gehauen. Da wurde er schon ruhiger. Beim Sport haben sie die Jungs schließlich angestiftet, ihm vor uns allen die Hose runterzuziehen.
Der Arme. Und das Schlimmste war, dass er geweint hat. Danach war er Freiwild. Sogar die Fünftklässler haben ihn gejagt. In einer Pause war er plötzlich verschwunden. Unsere Klassenlehrerin hat ihn im Mädchenklo gefunden, an die Heizung gefesselt, mit nassem Klopapier umwickelt. Er hat nicht ausgepackt, aber alle wussten, dass es Jessika und Monika gewesen waren.
Gerald hat die Schule verlassen. Die beiden sind geblieben. Und vor zwei Monaten haben sie Zuwachs bekommen.
Als Veronika in die Klasse kam, haben alle den Atem angehalten. Wie soll ich das erklären? Sie sieht nicht aus wie ein richtiger Mensch, sondern wie eine Filmfigur. Ein Model oder so. Wie ein Charakter aus diesen Disney-Serien, in denen Schulen immer so bunte, fröhliche Orte sind, in denen alle lustige Abenteuer erleben. In unserem graubraunen Kasten von einem Schulgebäude hat eine wie Veronika nichts verloren.
Sie hat nicht mal Akne. Ihre Haare liegen immer perfekt und sie hat bestimmt noch nie vergessen, sich die Beine zu rasieren. Sie sieht aus wie eine Elfe, mit den dunklen, glatten Haaren und der hellen Haut. Außer, dass Elfen keinen blassrosa Cardigan mit passenden Ballerinas tragen. Und keine dezenten Perlenohrringe.
Schon ab der ersten Pause waren Monika, Jessika und sie ein Team, so, als hätte sie schon immer dazugehört. Leute wie die finden sich sofort. So Perlenohrring-Cardigan-Musterschülerinnen, die ihren Leistungsdruck an anderen auslassen, solange kein Lehrer zuschaut. Alle drei sind so gut wie verlobt. Jessikas und Monikas Kerle studieren BWL in München und Veronikas sitzt in irgendeinem Eliteinternat an der Nordsee und will Jura studieren.
Auf eine wie mich, die sich ungehemmt auslebt, sehen die Mädels natürlich herab. Vielleicht sind sie sogar ein bisschen neidisch. Aber das werde ich bestimmt nie laut sagen. Ich bin ja nicht lebensmüde.
In der zweiten Stunde bekommen wir die Deutschklausur zurück. Sie ist schlecht ausgefallen. Trotzdem haben die Kas jeweils 89 Punkte von 100. Ich habe 99 von 100. Ein mulmiges Gefühl überkommt mich, als unser alter Deutschlehrer ein Loblied auf meine messerscharfe Analyse von Goethes »Prometheus« singt. Links von mir, auf der anderen Seite des Raums, sitzen die Kas. Ich werfe einen Blick hinüber, nur einen ganz kurzen.
Sie sehen mich an. Kacke.
Und die nächste Stunde ist eine Freistunde, weil die Geschichtslehrerin unerwartet krank geworden ist. Wir sollen leise arbeiten, tun es aber natürlich nicht. Kaum hat der Deutschlehrer den Raum verlassen, steigt der Lärmpegel. Grüppchen bilden sich, sitzen auf den Tischen herum und quatschen. Cora und ich basteln Papierflieger. Die Kas kommen auf unseren Tisch zu.
Ich bemerke sie erst, als Jessikas Schatten auf meinen akkurat gefalteten Flieger fällt. Ein Zucken geht durch meinen Körper. Ich kann nichts dagegen tun.
»Na, hast du Angst?« Jessikas Stimme vibriert vor Schadenfreude. Oder Macht, keine Ahnung. Ich sehe auf. Wieder ist mein Mund die reinste Wüste.
»Wovor denn?«, krächze ich. »Vor dir etwa?«
Ich lache, wenig überzeugend. Verdammt, was wird das? Ich sitze wie auf einer Anklagebank und die drei Musterschülerinnen schauen auf mich herunter wie Geier. Ihre Haare sind glänzende Schlangenhäute: blond, dunkelblond, schwarz.
»Davor, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Stell dir vor, jemand erzählt der Direktorin, warum du die Klausur so gut geschrieben hast.