Good bye, Fassbinder - Pierre Gras - E-Book

Good bye, Fassbinder E-Book

Pierre Gras

4,8

Beschreibung

Deutsche Erstausgabe eines umfassenden Standardwerks über die aktuelle deutsche Kinolandschaft. Nach der großen Ära des Autorenfilms in den siebziger Jahren überrascht heute ein neues deutsches Kino, dem man auch international mit Interesse begegnet. Pierre Gras stellt das deutsche Kino der letzten fünfundzwanzig Jahre in einem gut lesbaren Gesamtbild dar, indem er einzelne Regisseure vorstellt und die unterschiedlichen künstlerischen Strömungen und Schulen beschreibt. Es werden Arthouse-Filme genauso gewürdigt wie der deutsche Dokumentarfilm und das kommerzielle Kino. Außerdem liefert Gras Informationen zur Förder- und Finanzierungslandschaft und über Filmhochschulen und Festivals. 'Eine vergleichbare Publikation gibt es nicht.' Christoph Hochhäusler

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 394

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,8 (18 Bewertungen)
15
3
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Pierre Gras

Good Bye, Fassbinder!

Der deutsche Kinofilm seit 1990

Aus dem Französischen übersetzt und herausgegeben von Marcus Seibert

Mit einem Vorwort von Christoph Terhechte

Gefördert von der Stiftung Kulturwerk der VG Bild-Kunst.

 Dieses Buch erscheint im Rahmen des Förderprogramms des französischen Außenministeriums, vertreten durch die Kulturabteilung der französischen Botschaft in Berlin.

Cet ouvrage, publié dans le cadre du programme d’aide à la publication, bénéficie du soutien du Ministère des Affaires étrangères, représenté par le service culturel de l’Ambassade de France à Berlin.

Unterstützt von

Aktualisierte deutsche Erstausgabe (Stand November 2014)

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel Good Bye Fassbinder! Le cinéma allemand depuis la réunificationin den Éditions Jacqueline Chambon © Actes Sud, 2011

© by Alexander Verlag Berlin 2014

Alexander Wewerka, Fredericiastr. 8, 14050 Berlin

www.alexander-verlag.com, info@alexander-verlag.com

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Florian Marker Satz, Layout: Antje Wewerka Umschlaggestaltung: Antje Wewerka

ISBN 978-3-89581-367-2 (eBook)

Der Autor: Pierre Gras, Jahrgang 1960, hat lange für die Cinémathèque française gearbeitet. Er hat zahlreiche Texte über das deutsche Gegenwartskino geschrieben und ist als Spezialist regelmäßiger Gast auf Veranstaltungen zum aktuellen deutschen Film. Gras ist Dozent für Filmökonomie an der Sorbonne, Paris.

Der Herausgeber: Marcus Seibert ist freier Drehbuchautor, Schriftsteller, Übersetzer und Mitherausgeber der Filmzeitschrift Revolver. Für den Alexander Verlag übersetzte er Haneke über Haneke.

Für Isabelle

Inhalt

 

Vorwort

von Christoph Terhechte

I. 2003: Neuanfang oder Wiederentdeckung?

II. Das Abenteuer X Filme: Lola, Lenin und der Führer

Tom Tykwer

Wolfgang Becker

Dani Levy

III. Die erste Generation: Christian Petzold, Angela Schanelec, Thomas Arslan

Christian Petzold

Angela Schanelec

Thomas Arslan

IV. Die junge Garde

Christoph Hochhäusler

Benjamin Heisenberg

Henner Winckler

Ulrich Köhler

Valeska Grisebach

Maren Ade

»Berliner Schule« und »Nouvelle vague allemande«

V. Drei Filmemacher jenseits aller Gruppenzugehörigkeit und ein Meteorit

Fatih Akın

Andreas Dresen

Hans-Christian Schmid

Das Leben der Anderen

VI. Besessene und Maîtres fous: Romuald Karmakar

VII. Das kommerzielle Kino

Bernd Eichinger

Sönke Wortmann, Detlev Buck, Oskar Roehler

Krimis

Doku-Dramen

Komödien

Til Schweiger

VIII. Die Kunst des Dokumentarfilms

Thomas Heise

Volker Koepp

Heinz Emigholz

Gerhard Friedl

Aysun Bademsoy

Bettina Blümner

Philip Scheffner

Peter Nestler

IX. Wachstumsfaktoren

Auswertung, Verleih, Produktion

Öffentliche Förderungen

Filmhochschulen

Die Berlinale

Schauspielerinnen und Schauspieler

X. Farocki und Kluge, zwei Mentoren

Harun Farocki

Alexander Kluge

XI. Ausblick

Dank

Anhang

Literaturverzeichnis

Titelverzeichnis

Personenverzeichnis

Vorwort

Es dauerte einige Jahre, ehe der Neue Deutsche Film, als dessen Geburtsstunde das Oberhausener Manifest von 1962 gelten darf, im Bewusstsein unserer französischen Nachbarn ankam. Zieht man als Gradmesser den Wettbewerb von Cannes heran, so war in den fünfziger Jahren der bedeutendste deutsche Regisseur ein gewisser Harald Braun (Der fallende Stern, Herz der Welt, Solange du da bist).

Die frühen Sechziger sahen Altmeister Wolfgang Staudte mit dem längst vergessenen Kriminalfilm Der letzte Zeuge und den damals 44-jährigen Bernhard Wicki mit der zahmen Dürrenmatt-Verfilmung Der Besuch an der Croisette. Den ersten Vorstoß einer neuen Generation machte 1964 der spätere Klimbim-Fernsehproduzent Michael Pfleghar, damals 31 Jahre jung, mit der Kriminalsatire Die Tote von Beverly Hills. Am Drehbuch hatte Hansjürgen Pohland mitgewirkt, einer der Unterzeichner von Oberhausen.

Der Durchbruch gelang 1966, als gleich zwei deutsche Spielfilmdebüts in den Wettbewerb eingeladen wurden, Ulrich Schamonis Es und Volker Schlöndorffs Der junge Törless. Der perfekt Französisch sprechende Schlöndorff wurde bald Dauergast in Cannes. Auch sein zweiter und dritter Film, Mord und Totschlag und Michael Kohlhaas – Der Rebell konkurrierten um die Goldene Palme.

Auf einmal waren deutsche Filme politisch geworden, zeitgenössisch, an gesellschaftlichen Veränderungen interessiert. »Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen«, hatte es in Oberhausen geheißen. Der »neue Film« definierte sich durch den Bruch mit allem, wofür das deutsche Kino gestanden hatte. Er identifizierte sich mit den Aufbruchsbewegungen anderer Länder, vor allem wohl mit der französischen Nouvelle vague.

In den siebziger Jahren wäre das Festival von Cannes ohne die junge Generation westdeutscher Filmemacher kaum vorstellbar gewesen. Peter Lilienthal nahm mit Malatesta, Johannes Schaaf mit Trotta, Rainer Werner Fassbinder mit Angst essen Seele auf und Despair – Eine Reise ins Licht, Werner Herzog mit Jeder für sich und Gott gegen alle und Woyzeck, Wim Wenders mit Im Lauf der Zeit und Der amerikanische Freund, Peter Handke mit Die linkshändige Frau am Wettbewerb teil. Die »Semaine de la critique« und die »Quinzaine des réalisateurs« sowie der 1978 eingeführte »Certain regard« zeigten weitere Filme der Genannten sowie Werke von Uwe Brandner, George Moorse, Reinhard Hauff, Werner Schroeter, Jean-Marie Straub und Danièle Huillet, Alexander Kluge, Peter Stein, Helma Sanders, Edgar Reitz, Hans-Jürgen Syberberg, Hans Noever und anderen. Die Krönung kam mit der Goldenen Palme, die sich Francis Ford Coppolas Apocalypse Now 1979 mit Volker Schlöndorffs Die Blechtrommel teilen musste. Im Jahr darauf gewann Schlöndorffs Grass-Adaption den »Oscar« als »bester fremdsprachiger Film«. Zum ersten Mal erhielt ein deutscher Film diese Auszeichnung. Und für die nächsten 23 Jahre zum letzten Mal.

Doch kurz darauf war die Euphorie über den Neuen Deutschen Film, der auf einmal gar nicht mehr so neu strahlte, nicht nur in Frankreich verflogen. Rainer Werner Fassbinders Tod mit nur 37 Jahren im Juni 1982 musste als trauriges Symbol für den Niedergang des westdeutschen Autorenkinos herhalten.

Als ich 1987 nach Paris zog, in die Welthauptstadt der Cinephilie, krähte kein Hahn mehr nach dem Kino des »Outre-Rhin«. In Paris kam Anfang der neunziger Jahre die Rede von der »Nouvelle Nouvelle vague« auf, und das junge französische Kino schien unvergleichlich interessanter als das des Nachbarlandes. Nicht dass es in dieser Zeit in Westdeutschland keine interessanten Regiedebüts gegeben hätte. Aber nur wenige dieser Filme kamen je in den Verleih, es fehlte an Kontinuität. In Frankreich sei es deutlich schwerer als in Deutschland, einen ersten Film zu realisieren, erklärte man mir. Doch wer den Durchbruch geschafft hatte, konnte darauf hoffen, weiterzuarbeiten. Die Anerkennung durch Filmkritik und Filmbranche half, selbst im kleinen Maßstab. In Deutschland hingegen (und daran hat sich leider nicht viel geändert) war ein zweiter, dritter oder vierter Film gegen eben so viele Widerstände zu erkämpfen wie jedes Debüt. Kino für Kunst zu halten war eine lächerliche Vorstellung, umso mehr, wenn es sich um das eigene Land handelte. Das verworrene bundesrepublikanische Fördersystem tat ein Übriges. Im Wettbewerb der Berlinale wurden deutsche Beiträge nicht selten verlacht oder ausgebuht.

Unvorstellbar damals, dass sich das deutsche Kino in absehbarer Zeit erholen würde, unvorstellbar, dass es so bald wieder das Interesse des cinephilen Frankreich finden könnte. Und doch kommt die erste umfassende Monographie des deutschen Nachwende-Films aus Frankreich. Pierre Gras’ kenntnisreiches Buch kann und will nicht vollständig sein. Seine Leistung besteht indes nicht nur darin, die wesentlichen Strömungen der letzten 25 Jahre mit großer Genauigkeit und kritischer Anteilnahme zu zeichnen. Er weiß vielmehr um ihre Entstehungsgeschichte, um ihre ökonomischen wie künstlerischen Ursprünge, und er widmet sich exemplarisch und treffsicher wichtigen Vorbildern, Vorläufern und Einflüssen der heute aktiven Filmregisseure in Deutschland.

Unsere Sympathie in der Zeit nach der Wende galt alten Haudegen des westdeutschen Films wie Roland Klick oder Klaus Lemke, die mehr oder weniger unstet, aber beharrlich außerhalb des subventionierten und fernsehfinanzierten Systems arbeiteten. Nicht zu vergessen der von Eric Rohmer beeinflusste und bis heute bemerkenswert aktive Rudolf Thome. Alle drei debütierten in den sechziger Jahren mit frechen Kopien amerikanischer Genrefilme. Ihr Einfluss auf die jungen Filmemacher der Nachwendezeit ist unverkennbar.

Dann gab es Christoph Schlingensief mit seinen provokanten, respektlosen, intelligenten Undergroundfilmen, die die Spießigkeit des linksalternativen Gutmenschentums entlarvten. Wenn es unter den jungen deutschen Filmemachern einen würdigen Fassbinder-Nachfolger gab, dann ihn. Doch Schlingensief ging den umgekehrten Weg und fand seine Erfüllung in den neunziger Jahren im Theater und künstlerischen Aktionismus.

Der andere Lichtblick jener Zeit hieß Romuald Karmakar. Seinem originellen, formal wie politisch klugen und unangepassten, allzu oft gründlich missverstandenen Werk widmet Pierre Gras zu Recht ein umfangreiches Kapitel. So autark Karmakar stets gearbeitet hat, so konstitutiv ist sein Werk für das Selbstverständnis der intellektuellen Filmkritik im heutigen Deutschland und der unter dem problematischen Begriff »Berliner Schule« zusammengefassten Filmregisseure.

Pierre Gras beschreibt die deutsche Filmindustrie der neunziger Jahre als »international bedeutungslos« und »unoriginell«. Und doch steht sie für ein Wiedererstarken des Interesses am heimischen Kino. Mit »platten« Komödien wie den von Bernd Eichinger produzierten Manta Manta oder Der bewegte Mann stieg der Marktanteil deutscher Filme signifikant. Ihr Erfolg schuf die wirtschaftliche Grundlage für eine neue Generation von Filmemachern; womöglich inspirierte er andere, die Gunst des Publikums mit ernsthafteren Stoffen zu finden. Pierre Gras sieht in diesen Filmen »junge Männer und Frauen auf der Suche nach neuen Rollen«. Deutschland hat sich nach dem Mauerfall neu definieren müssen. Dass das wachsende Selbstbewusstsein des wiedervereinigten Landes sich im Kino vor allem in Schwänken und Plattitüden niederschlug, die im Ausland bestenfalls Achselzucken hervorrufen konnten, forderte kritischere Geister geradezu heraus. Und nicht alles, was im Gewand der Komödie daherkam, war frei von Tiefgang. Die Filme von Detlev Buck zum Beispiel besaßen einen regionalen Humor, der Lust auf die Auseinandersetzung mit der Stimmung im eigenen Land machte. Bucks zweiter Spielfilm Wir können auch anders … schaffte es in den Wettbewerb der Berlinale und brach dort mit Klischees, in denen der deutsche Film dieser Zeit erstarrt schien.

Am Ende der neunziger Jahre dann gelang dem Filmnarren und ehemaligen Kinobetreiber Tom Tykwer der Befreiungsschlag. Lola rennt passte in keine der Schubladen, in die man das deutsche Kino gemeinhin einsortierte. Der wilde, exzessiv stilisierte Film beeindruckte schon deswegen, weil er alles über Bord warf, deswegen man sich für den typischen deutschen Film schämte: die biederen Literaturverfilmungen, die dialoglastige Dramaturgie, das verschnarchte Betroffenheitskino. Für das Image der hiesigen Filmproduktion wirkte Lola rennt enorm befreiend.

Die Regisseure der sogenannten »Berliner Schule«, der sich die vorliegende Bestandsaufnahme des deutschen Films ausführlich widmet, fanden eine völlig andere Situation vor als die Pioniere des Neuen Deutschen Films vierzig Jahre zuvor. Ihnen fehlt das Feindbild von »Papas Kino«, das im Oberhausener Manifest großspurig für tot erklärt werden musste. Sie können sich wie Christian Petzold und Thomas Arslan entspannt am Vorbild des amerikanischen Kinos bedienen, ohne zu plagiieren, ohne in die Falle des Zitatenkinos zu tappen. Sie haben sich mit einem Kino »jenseits der klassischen Codes« zu profilieren gewusst, wie Pierre Gras über Angela Schanelec schreibt. Sie widmen sich deutscher Gegenwart und Geschichte, ohne sich daran abarbeiten zu müssen wie die Vorgängergeneration, auf deren Errungenschaften sie sich gleichwohl beziehen. Der kürzlich verstorbene Harun Farocki, Mentor und Mitarbeiter Christian Petzolds, hat die eigene Filmarbeit mit den Worten kommentiert: »Mein Weg ist es, nach verschüttetem Sinn zu suchen und den Schutt, der auf den Bildern liegt, wegzuräumen.« Eine Sisyphusarbeit, gewiss. Aber sie ist begonnen, und jüngere Filmemacher wie Ulrich Köhler, Maren Ade, Valeska Grisebach setzen sie fort. Dass den meisten von ihnen das Etikett »Berliner Schule« eher unangenehm ist, während die »Oberhausener« sich über ein gemeinsames Manifest erst definierten, macht Sinn. Der filmästhetische wie auch der historisch-soziale Kontext muss heute nicht erkämpft oder herbeigeredet werden.

»Petzold liefert eine Generation später die Bilder und Geschichten, die der Photograph bei Alice in den Städten von Wim Wenders nicht miteinander in Zusammenhang zu bringen vermochte«, schreibt Pierre Gras. Die Regisseure des Neuen Deutschen Films brachen mit »Papas Kino«, mit jener Generation, die ohne Umstände vom propagandistischen Missbrauch der Bilder im Nationalsozialismus zur erschreckenden Harmlosigkeit des Nachkriegskinos übergegangen war. Die heutigen Filmemacher dürfen sich hingegen auf ihre Vorgänger beziehen, eine Möglichkeit, die diesen verwehrt war. Wenders mühte sich an der Ikonographie des amerikanischen Kinos ab, Fassbinder schuf seinen eigenen Kosmos, Herzog wandert bis heute rastlos zwischen den Welten. Sie alle mussten mit der deutschen Geschichte hadern, sich als Nachkriegsgeneration ästhetisch wie moralisch behaupten.

Die präzisen, unaufgeregten, mehr am Detail als an der dramatischen Zuspitzung interessierten Filme von Arslan, Schanelec oder Ade deswegen unpolitisch oder ausdruckslos zu finden, ist ein beliebtes Missverständnis. »Was sind das für Regisseure, die die ganze Filmgeschichte gefressen haben, sich einen prätentiösen Titel nach dem anderen ausdenken, aber nicht in der Lage sind, eine einziges echtes Gefühl auszulösen?«, fragte Dietrich Brüggemann in seiner anlässlich der Berlinale 2013 publizierten Polemik »Fahr zur Hölle, Berliner Schule«. Die Antwort gibt der Autor dieses Buchs in seiner Beschreibung der Hauptfigur von Ulrich Köhlers Debüt Bungalow: »Die scheinbare Apathie ist nur Fassade, mit der Paul nur seine eigensinnigen Winkelzüge kaschiert.« Den Charakteren von Köhlers zweitem Film Montag kommen die Fenster bescheinigt Pierre Gras dann, was das künstlerische deutsche Gegenwartskino kaum besser treffen könnte: »verkappte Vitalität«. Ein schönes Lob.

Christoph Terhechte, September 2014

Der Filmjournalist und Frankreich-Kenner Christoph Terhechte, Jahrgang 1961, leitet das Internationale Forum des Jungen Films der Berlinale. Er lebte und arbeitete als freier Journalist in Paris und schrieb u. a. für taz und tip. Seit 1997 ist Terhechte Mitglied im Auswahlkomitee des Forums der Berlinale und wurde 2001 Leiter dieser Sektion.

I.2003: Neuanfang oder Wiederentdeckung?

In einer Schlüsselszene von Good Bye, Lenin! sitzt die Hauptfigur Alex, der seiner Mutter, um sie zu schonen, das Fortbestehen der DDR vorschwindelt, in der lauen Sommernacht des 8. Juli 1990 auf dem Dach an der Seite seiner Freundin Lara. Er hat gerade die Frist verpasst, 30.000 Ostmark, die er in einem Sperrmüllmöbel gefunden hat, eins zu eins in Westmark zu tauschen. Lara ermutigt ihn, einfach mal rauszuschreien, was ihm auf dem Herzen liegt. Mit einer kleinen Verbeugung vor dem Horrorfilm inszeniert der Regisseur Wolfgang Becker diese Szene so, dass sein Darsteller sich wie ein Affenwesen vor dem Mond aufrichtet und seine Wut hinausschreit, ein durch Magie zum Leben erwecktes Monster.

Diese Szene bringt stimmig den neu erwachten Anspruch deutscher Filmschaffender dieser Zeit zum Ausdruck: Eine nationale Filmindustrie, die während der neunziger Jahre international bedeutungslos geworden ist, kehrt 2003 überzeugend zurück. Nicht ganz zufällig ist dieser Schrei von Daniel Brühl im Film Auftakt eines triumphalen Feuerwerks im Himmel. Die Filmerzählung übernimmt bewusst ein historisches Ereignis: Die deutsche Fußballnationalmannschaft gewinnt an diesem Tag zum dritten Mal die Fußballweltmeisterschaft. Und mit dem Film erklären Regisseure und Produzenten in Deutschland eindrucksvoll, wie sehr sie in der Lage sind, ein internationales Publikum zu begeistern.

Good Bye, Lenin! leitete das Comeback des deutschen Films auf internationalem Parkett ein, insgesamt kam der Film auf über vier Millionen Zuschauer außerhalb Deutschlands. 1998 hatte bereits Lola rennt einen Achtungserfolg erzielt. In Deutschland erreichte er 2,3 Millionen Zuschauer und machte damit internationale Verleiher auf sich aufmerksam. Der Film wurde schließlich in 38 Länder verkauft. In Amerika war der Film im Verleih von Sony sogar mit 1,5 Millionen Zuschauern richtig erfolgreich. In Europa außerhalb Deutschlands zählte man eine weitere Million Zuschauer.

Für die lang anhaltende Abwesenheit des deutschen Kinos auf internationalen Bühnen bis Ende der neunziger Jahre kann man, wie man sieht, nicht allein die Verleiher verantwortlich machen. Das Kinopublikum selbst war vom schlechten Ruf deutscher Filme überzeugt. Die »Deutsche Exportunion«, heute »German Films«, arbeitete schon deutlich vor Lola rennt mit sehr wechselhaftem Erfolg an der Verbreitung deutscher Produktionen und veranstaltet seit 1996 jeweils im Herbst das »Festival du cinéma allemand« in Paris. Das allgemeine Interesse für Kino made in Germany stieg erst seit dem Welterfolg von kontinuierlich an. Offensichtlich geben nur außergewöhnliche Filme dem internationalen Kinopublikum und auch den Filmschaffenden anderer Länder das Gefühl eines Neuanfangs in der Geschichte einer nationalen Filmwirtschaft.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!