Gossip Girl - Wie alles begann - Cecily Ziegesar - E-Book

Gossip Girl - Wie alles begann E-Book

Cecily Ziegesar

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Beschreibung

Sie wollen ihn beide, eine bekommt ihn

Für alle, die wissen wollen, was geschah …
… bevor Serena aufs Internat ging und ihrer Freundin-Feindin Blair die Herrschaft über die Constance Billard School überließ.
… bevor Nate sich zwischen den beiden glamourösesten Mädchen der Upper Eastside entscheiden musste.
… bevor Jenny Humphrey zum It Girl des Waverly-Internats wurde.

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Seitenzahl: 555

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Inhaltsverzeichnis
 
Widmung
 
gossipgirl.net – themen ◀ zurück weiter ▶ eure fragen antworten
die herzzerreißendste geschichte, die je erzählt wurde
 
die schönsten liebesgeschichten beginnen mit einem jungen und zwei mädchen
 
schulmädchen von der upper east side enthüllt schockierenden sexskandal!
 
selbst cowgirls aus vermont kriegen manchmal den blues
 
d findet ein ventil für seinen liebesschmerz
 
freunde fürs leben?
 
gossipgirl.net – themen ◀ zurück weiter ▶ eure fragen antworten
platz da, perez hilton – jetzt komm ich!
gesichtet
ja, ja, die liebe...
 
leibesertüchtigung im central park
 
b wird erst traumatisiert und dann gedemütigt
 
j wünscht sich, was andere längst haben
 
selbst arschlöcher sind manchmal ganz nützlich
 
v verschafft sich einlass in den 7. himmel
 
wenn man den alkohol nicht schmeckt, ist der cocktail gelungen
 
n lernt – unter anderem – zu inhalieren
 
haarlos wie ein fisch auf dem trockenen
 
zur einen tür rein und zur nächsten wieder raus
 
j allein zu haus
 
leise rieselt der schnee...
 
gossipgirl.net – themen ◀ zurück weiter ▶ eure fragen antworten
indiskrete einblicke
gesichtet
neue rubrik!
eure mails
 
v hat sich zwar die haare abrasiert, aber im herzen bleibt sie romantikerin
 
ernüchterung am morgen
 
j entdeckt das wunder des körpers und d findet keine ruhe
 
lieben heißt leben
 
gossipgirl.net – themen ◀ zurück weiter ▶ eure fragen antworten
gesichtet
eure mails
 
der kifferprinz von der u.e.s.
 
wimbledon kann warten
 
s überzeugt in der rolle ihres lebens
 
»ganz schön abgewrackter prinz«, sagte die raupe zum schmetterling
 
wörter wie bulimie oder betrübt beginnen mit b – hat das was zu bedeuten?
 
im drogenrausch lässt es sich gut zwischen den zeilen lesen
 
gossipgirl.net – themen ◀ zurück weiter ▶ eure fragen antworten
debütantinnen
gesichtet
eure mails
 
der plan geht auf. und wie...
 
eines morgens ist die kleine j gar nicht mehr so klein...
 
s punktet gleich bei zwei mädchen an einem abend!
 
d hat möglicherweise so etwas wie eine freundin
 
ein kuss ist nur ein kuss
 
man sollte nicht alles glauben, was man liest
 
obwohl er eigentlich gar nicht so auf katzen steht
 
gossipgirl.net – themen ◀ zurück weiter ▶ eure fragen antworten
der ball ist rund – aber wirklich rund ging es vor dem ball
gesichtet
kleiner tipp
eure mail
das letzte wort ist noch nicht gesprochen
 
überraschungsbesuch!
 
etwas fehlt im staate dänemark
 
v übt sich in zurückhaltung
 
n kennt das magische passwort zu bs herz
 
es ist der gedanke, der zählt
 
eisbären und einsame falken, oje!
 
j trifft die mutter, die sie nie hatte
 
gossipgirl.net – themen ◀ zurück weiter ▶ eure fragen antworten
das brautpaar des jahres
eure mails
der richtige zeitpunkt
gesichtet
die rache der verschmähten
apropos herrliches wetter
 
hochzeitssuite, oder was?
 
bald ist wieder badewetter
 
s wird so warm ums herz, dass der schnee schmilzt
 
v ziert sich
 
gossipgirl.net – themen ◀ zurück weiter ▶ eure fragen antworten
grüße aus dem paradies
eure mails
gesichtet
campari ist nicht so harmlos, wie er aussieht
 
sie schenkt ihm ihr herz und wickelt ihn um den kleinen finger
 
s wird erwachsen
 
eiskalt... äh, lauwarm erwischt
 
die bösen roten gegen die blauen
 
n wälzt sich schlaflos in den laken
 
gossipgirl.net – themen ◀ zurück weiter ▶ eure fragen antworten
aprilregen bringt segen, was aber bringt der juni?
eure mails
gesichtet
anonymus
so nah und doch so fern
 
b bekommt post
 
N gar nichts ist gut
 
d zeigt plötzlich doch herz
 
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geschafft!
eure mails
gesichtet
sommerferien: die ganze wahrheit
 
b gibt es nur einfarbig
 
s kann froh sein, dass ihr bruder keine gedanken lesen kann
 
fisch ahoi...
 
j leidet in malariahausen
 
d sät samen
 
der leichtmatrose wird streng verhört
 
rapunzel, rapunzel, lass dein Haar herunter...
 
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mittsommernachtsträume
gesichtet
eure mails
keine nachrichten sind gute nachrichten
 
s wird getauft und wiedergeboren
 
entführung am nachmittag
 
b macht den abflug
 
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fischweiber sind sexy
s steht für little miss sunshine
gesichtet
eure mails
 
j hat nicht viel verpasst
 
s findet ein sofortmittel gegen trübsal
 
d hat schon schlimmeres gerochen
 
ganz großer bahnhof für s und n
 
ein perfekter tag für eine nicht ganz so weiße hochzeit
 
am besten kühlt man sich ab, indem man sich auszieht
 
b reicht es endgültig
 
summer lovin’ happened so fast
 
ehrlichkeit ist auch nur ein wort
 
epilog
gossipgirl.net
Danksagung
Vorschau
Copyright
cbt ist der Jugendbuchverlag in der Verlagsgruppe Random House
Für meine Familie. Ich bin ein Glückskind.
For nobody else, gave me a thrill – with all your faults, I love you still. It had to be you, wonderful you, it had to be you.
- aus »New York, New York«, gesungen von FRANK SINATRA
gossipgirl.net
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erklärung: sämtliche namen und bezeichnungen von personen, orten und veranstaltungen wurden geändert bzw. abgekürzt, um unschuldige zu schützen. mit anderen worten: mich.
 
 
 
ihr lieben!
 
 
kennt ihr dieses gruselige gefühl, jemand würde eure gespräche belauschen, euch und euren freunden nachspionieren, wenn ihr latte-trinkend auf der elfenbeinweißen treppe vor dem metropolitan museum of art sitzt, und immer auf allen partys und premieren auftauchen, auf denen ihr auch seid – kurzum: jemand würde euch auf schritt und tritt verfolgen? euer gefühl trügt euch nicht, denn dieser jemand bin ich. und um es in aller deutlichkeit zu sagen: ich bin immer schon da gewesen. warum? tja, weil ich eine der auserwählten bin. also eine von euch.
 
versteht ihr nur bahnhof? habt ihr nicht den hauch einer ahnung, wovon ich spreche? habt ihr euch die haare so oft gefärbt, dass euch die chemikalien das hirn verätzt haben? gehört ihr am ende gar nicht zu »uns« und wisst nicht, wer »wir« sind? dann erlaubt mir, es euch zu erklären. wir sind ein exklusiver kreis unbeschreiblich gut aussehender junger menschen, die zufälligerweise in jenen prachtvollen, von grünen markisen beschatteten und weiß behandschuhten portiers bewachten apartmenthäusern direkt am central park residieren, zu denen ihr so oft neidvoll aufblickt. wir besuchen die noblen knaben- und mädchenschulen, die ausschließlich dem nachwuchs der elitärsten familien manhattans vorbehalten sind. unsere eltern besitzen jachten, anwesen und weingüter an den exotischsten orten der welt. wir sonnen uns an den malerischsten muschelsandstränden und wedeln die pisten der luxuriösesten skiorte hinab. wir bekommen in den erlesensten restaurants in den schicksten stadtteilen jederzeit einen tisch – ohne reservierung, versteht sich. wir ziehen die blicke aller auf uns. aber verwechselt uns um gottes willen nicht mit hollywood-schauspielern, models oder rockstars – also mit leuten, die ihr zu kennen glaubt, weil ihr täglich in der klatschpresse über sie lest, die aber im vergleich zu ihren filmen oder bühnenshows im wahren leben komplette langweiler sind. an mir und meinen freunden ist nichts langweilig, und je mehr ich euch von uns erzähle, desto mehr werdet ihr erfahren wollen. bisher habe ich geschwiegen, aber jetzt ist etwas geschehen, das ich unbedingt mit der welt teilen muss, sonst platze ich …

die herzzerreißendste geschichte, die je erzählt wurde

diese woche haben wir im kurs für kreatives schreiben gelernt, dass die meisten großen geschichten der weltliteratur mehr oder weniger nach folgendem schema beginnen: irgendjemand verschwindet auf mysteriöse weise oder ein geheimnisvoller fremder kommt in die stadt. die geschichte, die ich euch erzählen werde, gehört zu der sorte »jemand verschwindet auf mysteriöse weise«.
 
um konkret zu werden: S ist weg.
 
es ist wahr. ihre sagenhafte schönheit überstrahlt die stufen des met nicht mehr. wir werden im lateinunterricht nicht mehr davon abgelenkt, wie sie wehmütig eine ihrer fahlblonden strähnen um ihre langen, schlanken finger wickelt und von einem gewissen smaragdäugigen prinzen tagträumt. ja, ja, auf den komme ich auch noch zu sprechen, nur geduld. tatsache bleibt, S ist verschwunden. und um das geheimnis um ihr plötzliches verschwinden und ihren aktuellen aufenthaltsort zu lüften, muss ich den roten faden der geschichte bis zum letzten winter zurückverfolgen – dem winter, als wir in der zehnten klasse waren, dem winter, in dem die la-mer-creme zu dampfen begann und unsere hübsche rosenduftige schaumblase zerplatzte. alles begann mit drei unzertrennlichen, vollkommen unschuldigen und überirdisch schönen fünfzehnjährigen. tja, was soll ich sagen? jetzt sind sie sechzehn und zwei von ihnen sind nicht mehr ganz so unschuldig.
 
ein episches drama von diesen ausmaßen benötigt eine erzählerin, die glänzend beobachtet und eine skalpellspitze feder schwingt. ich wüsste keine, die besser dafür geeignet wäre als ich, denn ich war bei dem ruchlosen geschehen hautnah dabei und besitze zudem ein scharfes auge, dem nicht das kleinste skandalöseste detail entgeht. also lehnt euch bequem zurück, während ich für euch in die vergangenheit eintauche und die dunklen geheimnisse ans licht hole. denn ich weiß alles über alle – und was ich nicht weiß, das erfinde ich auf das kunstvollste.
 
gebt es ruhig zu: ihr seid mir jetzt schon verfallen.
 
ich liebe euch auch …
 
gossip girl
die schönsten liebesgeschichten beginnen mit einem jungen und zwei mädchen
»Waffenstillstand!«, kreischte Serena van der Woodsen, als Nate Archibald auf sie zurannte und mit der Breitseite in eine meterhohe Schneewehe schubste. Der weiße Pulverschnee füllte sofort kalt und nass ihre Ohren und ihre Hose. Nate warf sich mit der ganzen Pracht seines perfekt gebauten fünfzehnjährigen Jungenkörpers auf sie. Er duftete nach Weichspüler und der Sandelholzseife von L’Occitane, die ihm die Haushälterin seiner Eltern immer fürsorglich ins Bad legte. Serena lag bewegungslos unter ihm und rang nach Luft. »Mein Kopf ist schon ganz kalt!«, flehte sie dumpf, weil ihr Nates schneenasse göttliche Haarpracht in den Mund geraten war.
Nate seufzte und ließ widerwillig von ihr ab. Er hätte den ganzen Tag hier draußen in dem februarkalten Freilandgefrierschrank verbringen können, in den sich der Garten der Stadtvilla seiner Eltern auf der 82. Straße, Ecke Park Avenue verwandelt hatte. Er rollte sich auf den Rücken und wälzte sich im Schnee wie Serenas längst verblichener Golden Retriever Guppy, wenn sie ihn im Central Park von der Leine gelassen hatte. Nach einer Weile rappelte er sich auf und klopfte sich umständlich den Schnee von seiner frisch gebügelten Khakihose von Brooks Brothers. Es war Samstag, aber er hatte die gleichen Sachen an, mit denen er auch unter der Woche in die zehnte Klasse der St.-Jude-Schule auf der East End Avenue ging. Es war die inoffizielle Uniform der Prinzen der Upper East Side, die Uniform, die er und seine Klassenkameraden trugen, seit sie als kleine Jungen gemeinsam in die renommierte Presbyterian Nursery School auf der Park Avenue eingeschult worden waren.
Nate streckte Serena die Hand hin, um ihr hochzuhelfen. Hinter ihm ragten die mächtigen, elegant-ehrwürdigen Luxusapartmenthäuser in den Winterhimmel, die Manhattans »goldene Meile« markierten und von weitläufigen Penthouses mit Dachterrassen und riesigen Panoramafenstern gekrönt wurden. Aber nichts war besser, als in einer Stadtvilla mit richtigem Garten mitsamt Brunnen und Kirschbäumen ein eigenes Stockwerk zu bewohnen und nur wenige Schritte gehen zu müssen, um seine besten Freundinnen zu besuchen oder im Serendipity 3 Eis zu essen.
Serena sah misstrauisch zu Nate auf. Seine smaragdgrünen Augen glitzerten. Konnte sie ihm vertrauen oder würde er sie gleich wieder in den Schnee zurückstoßen? »Mir ist echt kalt«, jammerte sie.
Er machte eine ungeduldige Handbewegung. »Ich weiß. Los, steh auf.«
Sie tat so, als würde sie in der Nase bohren und einen Popel hervorpulen, und streckte ihm anschließend die Hand hin. »Danke, Kumpel.« Sie erhob sich schwankend. »Du bist ein echter Freund.«
Nate führte sie ins Haus. Sein Hosenboden war dunkel vor Nässe und seine Unterhose zeichnete sich durch den feuchten Stoff ab. Serena kicherte. Voll schwul! Er hielt die Terrassentür auf und trat höflich zur Seite, um sie vorgehen zu lassen. Serena stieg aus ihren himmelblauen Uggs, zog sich die Socken von den Füßen und tappte dann barfuß mit »Piggy Bank Pink«-Rosa von Urban Decay lackierten Zehennägeln den langen Flur entlang in die kaum benutzte, riesengroße hypermoderne italienische Küche. Nates Vater war ein ehemaliger Kapitän der Marine, der mittlerweile als erfolgreicher Banker tätig war, seine Mutter war eine französische Aristokratin und das, was man gemeinhin eine »Society Lady« nennt. Die beiden waren praktisch nie in New York, und wenn sie mal da waren, dann waren sie in der Oper.
»Hast du auch Hunger?«, fragte Nate, der ihr über den blank polierten weißen Marmorboden gefolgt war. »Ich kann keinen Lieferservice-Fraß mehr sehen! Meine Eltern waren zwei Wochen lang in Venezuela oder Santo Domingo oder wo sie im Februar immer hinfahren und ich hab mich die ganze Zeit nur von Burritos, Pizza und Sushi ernährt. Ich hab Regina gesagt, sie soll Kochschinken, Toastbrot, Grammy-Smith-Äpfel und Erdnussbutter besorgen. Am liebsten würde ich nur noch die Sachen futtern, die ich zu Kindergartenzeiten gegessen hab.« Er zupfte nachdenklich an seinen gewellten honigbraunen Haaren. »Trostessen. Keine Ahnung, was mit mir los ist, vielleicht mach ich gerade so eine Art Midlife-Crisis durch, oder so.«
Jetzt schon? Wo soll das hinführen?
»Die Äpfel heißen Granny Smith, du Knalltüte!«, belehrte Serena ihn liebevoll. Sie öffnete einen der weiß lackierten Schränke und nahm eine noch ungeöffnete Packung Pop-Tarts mit dicker Zimtglasur heraus. Mit einer Hand machte sie die Schachtel auf, fischte ein Tütchen heraus, riss es mit ihren perlweißen Zähnen auf und schob sich das süße, krümelige Gebäck in den Mund. Sie schwang sich auf die Küchentheke, baumelte mit den Beinen und kickte mit den Fersen gegen den Unterschrank. Pop-Tarts bei Nate. Mhmmmm. Sie hatte schon als Fünfjährige hier in der Küche gesessen und Pop-Tarts gegessen, aber bald... bald...
»Meine Eltern wollen mich aufs Internat schicken«, sagte sie, und ihre riesigen ozeanblauen Augen füllten sich plötzlich und für sie selbst unerwartet mit Tränen. Sie weit weg im Internat und Nate hier? Die Vorstellung tat so weh, dass sie gar nicht daran denken wollte.
Nate zuckte zusammen, als hätte ihm jemand eine Ohrfeige verpasst. Er zog sich ebenfalls ein Pop-Tart aus der Packung und setzte sich neben Serena auf die Arbeitsplatte. »Das geht nicht!«, sagte er entschieden. Sie durfte nicht weggehen. Das würde er nicht zulassen.
»Sie wollen wieder mehr reisen«, murmelte Serena. Der rosige, perfekt geschwungene Bogen ihrer Unterlippe zitterte gefährlich. »Wenn ich zu Hause bin, haben sie das Gefühl, auch zu Hause bleiben zu müssen. Dabei können sie von mir aus ruhig wegfahren, so lange sie wollen. Aber sie haben schon Besichtigungstermine bei ein paar Internaten ausgemacht. Es ist beschlossene Sache. Ich kann nichts mehr dagegen tun.«
Nate rückte näher an sie heran und legte ihr einen Arm um die Schulter. »Du kannst nicht weg«, sagte er ernst. »Wir langweilen uns hier zu Tode ohne dich.«
Serena holte zitternd Atem und legte ihren fahlblonden Kopf auf seine Schulter. »Ich liebe dich«, murmelte sie, ohne nachzudenken. Ihre Körper waren sich so nahe, dass die Nate zugewandte Seite förmlich prickelte. Wenn sie den Kopf jetzt ein kleines Stück drehen und das Kinn anheben würde, könnte sie mit Leichtigkeit seinen warmen, vertrauten Hals küssen. Sie wollte es. Sie sehnte sich so sehr danach. Weil sie ihn liebte.
Wie bitte? Hallo? Seit wann das denn?!
Vielleicht seit dem Tanzkurs in der vierten Klasse. Sie war groß gewesen für ihr Alter und ziemlich unbeholfen, aber Nate hatte sich als echter Kavalier erwiesen und galant darüber hinweggesehen, dass sie ihm immer wieder auf die Füße getreten war und ihm ihre knochigen Ellbogen in die Rippen gerammt hatte. Er hatte ihr mangelndes Talent ausgeglichen, indem er sie an der Hand genommen und herumgewirbelt hatte, bis der weite Rock ihres Satin-Teekleids von Bonpoint wie Meereswellen um ihren gertenschlanken Körper wogte. Ihre Tanzlehrerin Mrs Jaffe, die über ihren langen blauschwarzen Haaren immer ein feines, perlenbesticktes Haarnetz trug, hatte Nate angebetet. Genau wie Serenas beste Freundin Blair Waldorf. Genau wie... Serena. Nur hatte sie es bis jetzt nicht gewusst. Ihr lief ein Schauer über den Rücken, und auf ihrer makellosen, vom Weihnachtsurlaub in der Karibik immer noch goldbraun schimmernden Haut bildete sich eine zarte Gänsehaut. Es war, als würde sich ihr ganzer Körper dagegen wehren, dieses eine Geheimnis zu offenbaren, das sie so lange gehütet hatte – sogar vor sich selbst.
Nate schlang seine muskulösen, durch jahrelanges Lacrosse-Training gestählten Arme um ihre schlanke Taille, zog sie so dicht an sich, dass ihr goldener Haarschopf in seiner Halsbeuge lag, und strich ihr mit den Fingerspitzen tröstend über den Rücken. Das Schöne an Serena war, dass sie kein Gramm peinliches Fett zu viel auf den Rippen hatte. Sie war rank und schlank und sehnig wie die Bespannung seines Titan-Tennisschlägers von Prince.
Es bereitete ihm geradezu körperliche Qual, ein so absurd begehrenswertes Mädchen zur besten Freundin zu haben. Wieso war er nicht mit einem fetten Lahmarsch mit Pickeln und Schuppen befreundet? Nein, er musste natürlich mit Serena van der Woodsen und Blair Waldorf befreundet sein, den unbestritten heißesten Mädchen der ganzen Upper East Side, vielleicht sogar ganz Manhattans oder gar der ganzen Welt.
Serena war eine absolute Göttin – jeder Typ, den Nate kannte, schwärmte von ihr -, aber sie war auch verwirrend unberechenbar. Sie konnte sich stundenlang totlachen, wenn sie am Himmel eine Wolke in der Form einer Klobrille oder etwas ähnlich Albernes entdeckte, und in der nächsten Sekunde zog sie sich plötzlich in sich selbst zurück. Man wusste oft nicht, was ihr gerade durch den Kopf ging, und manchmal fragte Nate sich, ob sie sich vielleicht wohler fühlen würde, wenn sie nicht in diesen perfekten Körper hineingeboren worden wäre. Dann wäre sie möglicherweise mehr dazu motiviert, ihr Potenzial auszuschöpfen, um es akademisch auszudrücken. Sie schien selbst nicht zu wissen, worauf sie eigentlich hinarbeiten sollte, weil sie sowieso schon alles hatte, was ein Mädchen sich überhaupt nur wünschen konnte.
Blair war kleiner als ihre Freundin, sehr apart und zierlich, mit einem spitzen, fuchsartigen Gesicht, kobaltblauen Augen und kastanienbraunen Haaren.
Vor Jahren, als sie in der fünften Klasse gewesen waren, hatte Serena Nate einmal erzählt, dass sie ziemlich sicher glaube, dass Blair in ihn verknallt sei. Danach war ihm aufgefallen, dass Blair immer darauf achtete, ihre Brüste in sein Blickfeld zu rücken, und kokett an ihren Haaren herumzupfte. Natürlich hatte Blair ihm gegenüber nie zugegeben, dass sie in ihn verknallt war, was sie in seinen Augen nur noch begehrenswerter machte. Die meiste Zeit gab sie sich zickig und kommandierte ihn herum.
Nate seufzte. Keiner hatte Verständnis dafür, wie schwierig es für ihn war, so eng mit zwei so unmöglich schönen Mädchen befreundet zu sein.
Klar. Als wäre er mit ihnen befreundet, wenn sie grottenhässliche Trampel wären.
Er schloss die Augen und atmete den süßen Duft von Serenas Apple-Cider-Shampoo von Frédéric Fekkai ein. Er hatte schon einige Mädchen geküsst, und im Juni hatte L’Wren Knowes, eine Zwölftklässlerin aus der Seaton-Arms-Schule, ihm sogar erlaubt, ihren Körper in allen Details zu erkunden. Aber Serena zu küssen, wäre... anders. Er liebte sie. Tja, so war das. Sie war seine beste Freundin und er liebte sie.
Wo liegt das Problem? Wenn man seine beste Freundin nicht küssen kann, wen dann?
schulmädchen von der upper east side enthüllt schockierenden sexskandal!
Blair Waldorf legte Wert auf Ordnung in ihrem begehbaren Kleiderschrank, übertrieb es aber auch nicht. Weißes gehörte zu Weißem, Cremefarbenes zu Cremefarbenem, Blaues zu Blauem und Schwarzes zu Schwarzem. Das musste reichen. Jeans warf sie einfach auf einen Haufen am Boden, wo sie zu Dutzenden lagen. Es war wie ein Spiel für sie, mit geschlossenen Augen darin herumzutasten, um eine herauszufischen, die früher am Po ein bisschen zu eng gewesen war, jetzt aber wieder perfekt saß, seit sie abends auf ihr Milch-und-Chips-Ahoy-Kekse-Ritual verzichtete.
Obwohl die Jeans von Seven ihren zierlichen, straffen Körper wie eine zweite Haut umhüllte, schüttelte sie sich, als sie ihr Outfit im Spiegel begutachtete. »Urgh!« Die durchsichtige perlmuttrosa Baumwollbluse von Marc by Marc Jacobs war okay. Das Problem war der magentafarbene BH von La Perla, der unter der Bluse so deutlich zu erkennen war, dass sie aussah wie eine Stripperin aus dem Scores. Dabei wollte sie doch bloß zu Nate gehen, wo sie mit ihm und Serena verabredet war. Andererseits redete Nate gern über BHs. Es interessierte ihn brennend, warum die Körbchen mit Drahtbügeln verstärkt waren oder weshalb die meisten Büstenhalter hinten geschlossen wurden, einige aber auch vorne. Okay, wahrscheinlich törnten ihn solche Gespräche an, aber irgendwie fand sie das auch süß. Er war eben ein einsames Einzelkind und sehnte sich nach Schwestern.
Hm, klar.
Sie beschloss, Nate zuliebe den BH anzulassen und das Ensemble vorerst mit ihrer langen schwarzen Kaschmirjacke von Loro Piano zu verhüllen, die sie in derselben Sekunde abwerfen würde, in der sie die Schwelle der gut beheizten Stadtvilla der Archibalds überschritten hatte. Vielleicht, ganz vielleicht, würde der Anblick des provozierend pinken BHs Nate erkennen lassen, dass er schon immer in sie verliebt gewesen war, so wie sie immer schon in ihn verliebt gewesen war.
Ja, vielleicht.
Sie riss ihre Zimmertür auf. »Mom? Dad?«, brüllte sie den langen Flur entlang. Ihre Stimme hallte durch das großzügige, mit erlesenen Antiquitäten eingerichtete und mit Gemälden von französischen Impressionisten geschmückte Penthouse der Waldorfs auf der 72. Straße. »Ich geh zu Nate. Außerdem schlaf ich heute bei Serena. Okay?«
Als sie keine Antwort bekam, polterte sie auf den Holzsohlen ihrer Lammfell-Clogs von Kors, die sie aus einer Laune heraus bei Scoop gekauft hatte, quer durch die Wohnung zum Schlafzimmer ihrer Eltern, öffnete die Tür und ging zielstrebig in das angrenzende Ankleidezimmer ihrer Mutter. Eleanor Waldorf bewahrte für Notfälle einen Vorrat Zwanzigdollarscheine in ihrer Wäscheschublade auf, von dem Blair und ihr zehnjähriger Bruder Tyler sich bedienen durften, wenn sie Taxis, Cappuccinos oder – in Blairs Fall – das eine oder andere Paar dringend benötigter Manolo Blahniks bezahlen mussten. Zwanzig, vierzig, sechzig, achtzig, hundert, noch einmal zwanzig, vierzig, sechzig, achtzig – okay, zweihundert. Blair faltete die Geldscheine zusammen und schob sie in die hintere Tasche ihrer Jeans.
»Und wenn ich ein Cabernet wäre?«, drang plötzlich die einschmeichelnde Baritonstimme ihres Vaters aus seinem Ankleidezimmer. »Wie würdest du mein Bouquet beschreiben?«
Excusez-moi?
Blair zupfte an dem schokoladenmoussebraunen Vorhang, der den Ankleideraum ihrer Mutter von dem ihres Vaters trennte. »Mom? Dad? Ich hoffe, ihr treibt keine unzüchtigen Spielchen, wenn ich zu Hause bin, das fände ich nämlich echt extrem eklig«, sagte sie gelangweilt. »Aber ich geh jetzt sowieso zu Nate, deswegen könnt ihr...«
Ihr Vater Harold J. Waldorf III. öffnete den Samtvorhang einen Spaltbreit, hielt ihn aber fest umklammert, sodass Blair ihn nicht weiter aufziehen konnte. Soweit Blair es erkennen konnte, trug er seinen schiefergrauen Kaschmirbademantel von Paul Smith. Wenn er nicht nackt war, warum versteckte er sich dann? »Ach, du bist es, Blair-Bär. Ähem...« Er räusperte sich. »Deine Mutter ist in der Stadt und bespricht mit Misty Bass die Speisefolge für die Guggenheim-Gala. Ich wusste gar nicht, dass du zu Hause bist. Was hast du gerade gesagt... wo gehst du hin?« Sein dezent gebräuntes, gut geschnittenes Gesicht sah erhitzt aus.
Als Blair den Vorhang zur Seite riss, ertappte sie ihn dabei, wie er hastig seinen unförmigen BlackBerry in der Tasche seines Bademantels verschwinden lassen wollte. Sie schob ihren Vater zur Seite, baute sich inmitten seiner Valentino- und Dior-Anzüge vor ihm auf, stemmte die Hände in die Hüfte und sah ihn vorwurfsvoll an. Mit wem hatte er sich gerade unterhalten? Mit seiner Praktikantin? Seiner Sekretärin? Einer Verkäuferin bei Hermès?
»Blair? Was hast du denn?« Das Lächeln ihres Vaters wirkte angespannt und der Blick seiner blauen Augen sah eindeutig zu unschuldig aus. Was versuchte er ihr zu verheimlichen?
Will sie das wirklich wissen?
Blair spürte, wie es in ihrem Magen zu rumoren begann. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie drehte sich um, rannte aus dem Zimmer quer durch das Penthouse, griff in der Eingangshalle blindlings nach ihrer blutorangeroten Jimmy-Choo-Tasche und stürzte zum Aufzug.
Der Februar zeigte sich dieses Jahr ungewöhnlich grausam. Es war bitterkalt und dicke Schneeflocken schwebten vom Himmel. Normalerweise legte Blair die zwölf Blocks zu Nate zu Fuß zurück, aber heute dauerte ihr das zu lang. Sie brannte darauf, Serena und Nate zu berichten, dass ihr Vater ein betrügerischer, ehebrechender Mistkerl war, und außerdem wartete vor dem Haus ein Taxi auf sie. Okay, in Wirklichkeit wartete es auf Mrs Solomon aus Apartment 4A, aber als Alfie, der Portier in der grünen Uniformjacke, den furchterregenden Ausdruck auf Blairs sonst so hübschem Gesicht sah, erlaubte er ihr, einzusteigen.
Auf der Mauer rings um den Central Park lag eine daunenweiche Schneedecke. Eine hochgewachsene ältere Dame und ihr Yorkshire-Terrier – beide in roten Steppmänteln von Chanel und mit schwarzen Schleifchen im grauen Haar – überquerten die 72. Straße und betraten den Flagshipstore von Ralph Lauren an der Ecke. Das Taxi raste die Madison Avenue entlang, vorbei an Zitomer, Agnès B. und dem Three Guys Coffee Shop, wo sich die Schülerinnen der Constance-Billard-Schule nach dem Unterricht immer trafen, bog in östliche Richtung ab und hielt schließlich vor dem Haus der Archibalds.
»Lass mich rein!«, brüllte Blair in die Sprechanlage, als sie vor der eleganten schmiedeeisenverzierten Glastür stand, und schlug mehrmals ungeduldig mit der flachen Hand auf den Klingelknopf.
 
Serena und Nate saßen immer noch eng aneinandergeschmiegt auf der Küchentheke. Serena hob den Kopf und blinzelte, als wäre sie gerade aus einem Traum erwacht. Der Kuss, den sie in ihrer Fantasie ausgetauscht hatten, hatte nie stattgefunden, was wahrscheinlich auch besser war.
»Okay. Jetzt ist mir wieder warm«, verkündete sie und sprang von der Arbeitsplatte aus weißem Marmor. Es gelang ihr, ein völlig gelassenes und unbeteiligtes Gesicht zu machen, als hätte es diesen kurzen magischen Moment zwischen ihnen nie gegeben. Und vielleicht hatte es ihn auch nicht gegeben – sie wusste es selbst nicht. Als sie auf dem Monitor der Überwachungskamera das verzerrte Gesicht von Blair sah, die ihnen den Finger zeigte, grinste sie. »Komm rein, Süße!«, rief sie und drückte auf den Türöffner.
Nate versuchte, den beunruhigenden Gedanken zu verdrängen, dass Blair ihn und Serena gerade zusammen erwischt hatte. Sie waren nicht zusammen. Sie waren bloß gute Freunde, die nebeneinandergesessen hatten, wie gute Freunde es eben taten. Es gab keinen Grund, sich ertappt zu fühlen.
Nicht?
»Hey, ihr Ochsenfrösche.« In Blairs schulterlangen kastanienbraunen Haaren glitzerten Schneekristalle. Ihre Wangen waren rosig vor Kälte, ihre Augen wirkten leicht entzündet und ihre akkurat gezupften dunkelbraunen Brauen sahen etwas verstrubbelt aus, als hätte sie geweint und sich die Augen gerieben. »Ich muss euch was Krasses erzählen!« Sie schleuderte ihre orange Tasche auf den Boden, holte tief Luft und verdrehte die Augen. Es war offensichtlich, dass sie die filmreife Dramatik ihres Auftritts in vollen Zügen genoss. »Hört euch das an. Gerade eben hat sich herausgestellt, dass mein Vater, Harold Waldorf III., eine … Affäre hat! Vor ein paar Sekunden hab ich ihn in seinem Ankleidezimmer dabei erwischt, wie er mit irgendeiner Tusse telefoniert und sie gefragt hat: ›Wenn ich ein Wein wäre, wie würdest du mein Bouquet beschreiben?‹«
»Boah!«, entfuhr es Serena und Nate im selben Moment.
Blair ging zur Spüle und drehte den Wasserhahn auf, um ihn gleich darauf wieder zuzudrehen. Sie verzog angeekelt das Gesicht.
»Oh Gott, er hat sich so... schleimig angehört«, schluchzte sie und betrachtete gleichzeitig ihr Gesicht in dem spiegelblank polierten weißen Wandschrank. Sie hob den Kopf, schob sich die Haare hinter ihre zierlichen, spitzen Öhrchen und wartete darauf, dass ihre Freunde sie trösteten.
Als wäre das möglich.
»Na ja...«, sagte Serena schwach. »Vielleicht hatte er auch bloß Telefonsex mit deiner Mutter.«
»Kann gut sein.« Nate nickte. »Das machen meine Eltern auch die ganze Zeit«, behauptete er. Ihm wurde ein bisschen übel. Sein Vater war so verklemmt, dass er es aus lauter Angst, umgehend vors Marinegericht gezerrt zu werden, wahrscheinlich nicht einmal wagte, an Sex auch nur zu denken.
Blair verzog das Gesicht. Die Vorstellung, dass ihre trotz regelmäßiger Tennisstunden ziemlich pummelige, übergebräunte, goldschmuckbehängte Mutter mit ihrem schlanken, attraktiven, eleganten Vater irgendeine Form von Sex betreiben könnte – gar nicht zu reden von Cabernet-Telefonsex -, war so unwahrscheinlich und so absolut abstoßend, dass sie sich weigerte, diesen Gedanken auch nur in Erwägung zu ziehen.
»Nein«, sagte sie entschieden, griff nach Serenas angebissenem Pop-Tart und schlang es in einem Bissen herunter. »Das war eindeutig eine andere Frau. Ich meine, machen wir uns doch nichts vor«, sagte sie mit vollem Mund. »Mein Vater sieht total gut aus, zieht sich extrem geschmackvoll an und ist außerdem ein bekannter, erfolgreicher Anwalt. Und meine Mutter ist völlig durchgeknallt, hängt den ganzen Tag bloß untätig rum und hat Krampfadern und einen Schwabbelarsch. Hallo? Er hat eine Affäre. Ganz klar.«
Serena und Nate nickten, als wäre Blairs Analyse vollkommen überzeugend. Serena nahm ihre Freundin in die Arme und drückte sie fest. Blair war die Schwester, die sie nie gehabt hatte. Als Viertklässlerinnen hatten sie einen ganzen Monat lang so getan, als wären sie zweieiige Zwillinge. Ihre neue Sportlehrerin an der Constance-Billard-Schule, Ms Etro, die noch während des laufenden Schuljahres gefeuert worden war, weil sie die Schülerinnen beim Geräteturnen unzüchtig berührt hatte (sie hatte behauptet, sie nur zu »stützen«), hatte es ihnen sogar geglaubt. Sie waren in identischen pinken Poloshirts von Izod herumgelaufen und hatten sich die Haare exakt auf die gleiche Länge schneiden lassen. Eine Zeit lang hatten sie sogar die gleichen goldenen Kreolen von Cartier getragen, bis sie feststellten, dass sie zu geschmacklos waren, und sie gegen dezente Brillantstecker von Tiffany austauschten.
Blair schmiegte die Wange an Serenas perfekt geformtes Schlüsselbein und stieß einen erschöpften, zitternden Seufzer aus. »Das ist so krank, dass ich am liebsten kotzen würde.«
Serena streichelte ihrer Freundin über den Rücken und warf Nate über Blairs Elizabeth-Arden-Red-Door-Salonglänzende Haare einen mahnenden Blick zu. Sie konnte jetzt auf gar keinen Fall ihr Internatsproblem zur Sprache bringen – nicht wenn ihre beste Freundin so am Ende war. Und sie wollte auch nicht, dass Nate ihr etwas davon sagte. »Ich weiß, was wir machen. Wir mixen uns Martinis und schauen irgendeinen blöden Film.«
Nate ließ sich von der Küchentheke gleiten. Er war völlig durcheinander. Der Anblick der verzweifelten Blair weckte in ihm nur einen Wunsch: Er wollte sie in die Arme nehmen und ihre Tränen wegküssen. Was war bloß los mit ihm?
Tja, das ist das Dumme an männlichen besten Freunden. Die Jungs haben ihre Hormone einfach nicht im Griff.
»Wir haben leider bloß Wein und Champagner da. Ihr wisst doch, dass meine Eltern das ganze gute Zeug im Barschrank wegschließen«, entschuldigte er sich und zog sich sein taubenblaues Sweatshirt von J.Crew über den Kopf, wobei sein T-Shirt ein paar Zentimeter hochrutschte. Die beiden Mädchen erlitten prompt einen kleinen Herzinfarkt, als sie seinen gebräunten nackten Nabel sahen.
Serena ging entschlossen zum Brotkasten, der in den meisten Haushalten tatsächlich der Brotaufbewahrung dient, den Nates Mutter jedoch als Vorratsbehälter für ihre Gitanes nutzte, die ihre Schwester ihr per FedEx zweimal im Monat aus Frankreich schickte. Die in den Staaten erhältlichen Gitanes schmeckten einfach zu sehr nach Stroh.
»Kein Problem«, sagte sie und riss die Folie einer der blauen Schachteln mit dem Daumennagel auf. »Los. Kommt mit.« Sie steckte sich zwei Zigaretten wie Elefantenstoßzähne zwischen die Lippen und winkte Nate und Blair, ihr nach oben ins elterliche Schlafzimmer zu folgen. Wenn sich jemand darauf verstand, Stimmung zu machen, dann Serena. Schon allein deswegen liebten Blair und Nate sie. »Ich bring dich schon wieder zum Lachen«, kicherte sie.
Das tat sie immer.
Nates Mutter hatte das riesige Schlafzimmer ganz im Stil Ludwigs XVI. eingerichtet. Über dem Kopfteil des mit rot-goldenem Brokat bezogenen Himmelbetts hing ein gigantischer vergoldeter Barockspiegel, vor den großen Fenstern bauschten sich schwere, golddurchwirkte Vorhänge. Die Wände waren mit einer goldenen, mit roten französischen Lilien bedruckten Tapete und mehreren Gemälden dekoriert, die das Sommerschloss der Familie von Mrs Archibald in der Nähe von Nizza aus verschiedenen Blickwinkeln zeigten. Auf dem Boden lag ein weicher rot, blau und golden gemusterter Perserteppich, der aus dem Wrack der Titanic geborgen worden war und den Mrs Archibald bei Sotheby’s ersteigert hatte, um ihn ihrem Gatten zum zehnten Hochzeitstag zu schenken. Das einzige moderne Element des Raumes war ein gewölbtes, kreisrundes Fenster in der Decke. Ein Bullauge, durch das man direkt ins Sternenmeer blicken konnte.
»›Bus Stop‹? ›Manche mögen’s heiß‹? Oder lieber ›Blondinen bevorzugt‹?«, fragte Serena, während sie die eher magere DVD-Sammlung von Nates Eltern durchsah. Offenbar hatte Kapitän Archibald viel für Marilyn Monroe übrig. Sehr viel sogar. Natürlich hatte Nate eigene DVDs in seinem Zimmer – unter anderem eine ausführliche Dokumentation über die letzten zwanzig Regatten des America’s Cup. Aber das tat Serena sich und Blair dann lieber doch nicht an. Die Sammlung seiner Eltern war da schon mädchengeschmackskompatibler. »Wir könnten natürlich auch Nate mit der X-Box spielen lassen und ihm dabei zuschauen – das finde ich ja auch immer ziemlich heiß.« Sie lachte, obwohl sie es tatsächlich ziemlich heiß fand.
»Aber nur, wenn er dabei nackt ist«, scherzte Blair hoffnungsvoll. Sie setzte sich auf die Bettkante und hüpfte auf der superelastischen Matratze auf und ab.
Nate wurde rot. Blair liebte es, wenn er errötete, und das wusste er. »Okay«, sagte er kühn und ließ sich neben sie aufs Bett fallen.
Blair zupfte ein Kosmetiktuch aus der goldenen Dose, die auf dem Nachttisch von Nates Mutter stand, und schnäuzte sich geräuschvoll. Nicht dass sie sich wirklich die Nase hätte putzen müssen. Sie musste sich bloß ablenken, weil sie plötzlich das überwältigende Bedürfnis verspürte, Nate auf das Bett seiner Eltern zu drücken, sich auf ihn zu werfen und ihm die Klamotten vom Leib zu reißen. Er war so verdammt begehrenswert, dass sie das Gefühl hatte zu platzen. Gott, wie sie ihn liebte!
Es hatte in ihrem Leben keine Phase gegeben, in der sie ihn nicht geliebt hatte. Sie hatte ihn in der lächerlichen, mit kleinen Hummern bedruckten Badehose geliebt, die er immer getragen hatte, wenn ihre Väter im Sommer in Newport zusammen Tennis gespielt hatten. Wie alt waren sie damals gewesen? Fünf? Sie hatte ihn dafür geliebt, dass er selbst als Zwölfjähriger immer noch irgendwo am Körper ein Spiderman-Pflaster kleben hatte – nicht weil er sich verletzt hatte, sondern weil er es cool fand. Sie liebte es, wie sich das Sonnenlicht in seinen honigbraunen Haaren fing, sodass es aussah, als wäre sein ganzer Kopf von einem goldenen Heiligenschein umflirrt. Sie liebte seine smaragdgrün glitzernden Augen – Augen, die für einen Jungen fast schon zu hübsch waren. Sie liebte ihn dafür, dass er ganz genau wusste, wie unglaublich gut er aussah, und trotzdem nicht damit umgehen konnte. Sie liebte ihn. Oh, wie sie ihn liebte.
Oh, oh, oh!
Blair schnäuzte sich mit einem letzten elefantösen Tröten und griff dann nach einer rosa, ziemlich kitschig aussehenden DVD-Hülle, die auf dem Boden lag. Sie drehte sie um und betrachtete stirnrunzelnd das Cover. »›Frühstück bei Tiffany‹. Hey, den hab ich noch nie gesehen. Aber sie ist echt verdammt schön.« Sie hielt die DVD in die Höhe, damit Serena Audrey Hepburn in ihrem langen schwarzen Cocktailkleid und mit der schimmernden Perlen kette sehen konnte. »Findest du nicht?«
»Ja, echt schön.« Serena blickte kurz auf und suchte dann weiter nach einer geeigneten DVD.
»Sie sieht aus wie du«, sagte Nate. Er betrachtete Blair mit leicht geneigtem Kopf und sah dabei so unerträglich süß aus, dass sie die Augen schließen musste, um nicht vom Bett zu fallen.
»Echt? Findest du?« Sie warf das zerknüllte Kosmetiktuch in die ungefähre Richtung des aus hauchdünnem Porzellan geformten Papierkorbs und betrachtete das Foto auf der DVD noch einmal eingehend. In dem Film, der in diesem Moment in ihrem Kopfkino zu spielen begann, war sie Audrey Hepburn – eine atemberaubend elegant gekleidete, gertenschlanke, perfekt frisierte, wunderschöne, geheimnisvolle Leinwandgöttin. »Kann sein … ein bisschen vielleicht«, sagte sie bescheiden und zog ihre schwarze Kaschmirjacke aus, sodass unter der Bluse ihr magentaroter BH zum Vorschein kam.
Sie drehte die DVD um. Audrey Hepburn sah auf den Fotos auf der Rückseite unglaublich verführerisch und erfahren aus, gleichzeitig wirkte sie aber auch so keusch und rein, als würde sie zwar sexy Dessous tragen, diese aber erst dem Mann zeigen, der sie auch heiratete. Entschlossen griff Blair nach ihrer Jacke, zog sie sich wieder über und knöpfte sie bis oben hin zu. Von jetzt an würde sie es sich zur Lebensaufgabe machen, Audrey Hepburn in jeder nur erdenklichen Hinsicht nachzueifern. Nate durfte sie gern in Unterwäsche sehen, aber erst dann, wenn sie sich sicher war, dass sie beide eines Tages vor dem Portal der St. Patrick’s Cathedral stehen würden – und zwar mit goldenen Eheringen an den Fingern und von Konfetti umwirbelt.
Ja, das klingt vernünftig – wenn man Blair heißt.
»Ich hab mir den Film mit meiner Mutter angeschaut«, gestand Nate den beiden Mädchen leicht verlegen, worauf ihre Herzen sofort zu klebrigen Pfützen zerschmolzen. »Irgendwie ist er ziemlich abgedreht, keine Ahnung. Ich glaub, es soll ein Liebesfilm sein, aber ich weiß nicht, ob ich ihn kapiert hab.«
Mehr brauchte er nicht zu sagen. Blair schob die DVD sofort in den Player, während Serena in die angrenzende Bibliothek verschwand, wo ein kleiner antiker Barschrank stand, den Nates Vater – wie sie wusste – nicht verschloss. Sie mixte ihnen Martinis, indem sie großzügig Bombay Sapphire mit Wermut mischte und anschließend mit einem silbernen Brieföffner umrührte. So, fertig. Es war zwar erst Mittag und damit nicht gerade Cocktailstunde, aber Blair steckte in einer schweren Lebenskrise, und Nate zog sich gern das T-Shirt aus, wenn er betrunken war. Außerdem war schließlich Samstag.
Sie kam ins Schlafzimmer zurück. »Voilà!«, verkündete sie stolz, als hätte sie gerade ein extrem kompliziertes Getränkerezept ausprobiert, und reichte ihren beiden Freunden die Gläser. »Auf uns. Weil wir es wert sind!«
»Auf uns!«, stimmten Blair und Nate ihr zu und hoben die Gläser.
Na dann prost!
selbst cowgirls aus vermont kriegen manchmal den blues
»Sag mal, wer ist überhaupt auf die bescheuerte Idee gekommen, mich ausgerechnet auf der Constance-Billard-Schule anzumelden?«, fragte die fünfzehnjährige Vanessa Abrams ihre neunzehnjährige Schwester Ruby vorwurfsvoll.
»Frag mich was Leichteres.« Ruby war Bassistin der SugarDaddys, einer der derzeit meistgehypten Bands der Brooklyner Musikszene. Sie war am Abend zuvor mit ihren Jungs in Pete’s Candy Store in Williamsburg aufgetreten und hatte anschließend die ganze Nacht durchgefeiert. Jetzt saß sie verschwitzt und verdreckt in der Wanne und seifte sich ein. »Wieso? Findest du es da so schlimm?«
Vanessa, die in der Badezimmertür stand, warf ihrer im minimal mit Badeschaum angereicherten Wasser liegenden Schwester einen empörten Blick zu. Rubys ultrakurz geschnittener Pony – Erkennungsmerkmal aller wirklich hippen Williamsburgerinnen – klebte schwarz an ihrer weißen Stirn. »Schlimm?«, schnaubte sie. »Es ist die Hölle. Hätte ich nicht auf eine Schule irgendwo hier in Brooklyn gehen können, wo ich zufälligerweise auch wohne? In eine, die nicht von reichen, materialistischen Ultrazicken verpestet ist? Das wäre auch viel praktischer für mich, weil ich dann nicht immer quer durch die ganze Stadt fahren müsste!«
»Ach, jetzt fällt es mir wieder ein.« Ruby umschlang ihre bleichen Knie. »Dad hat irgendwann mal in der Atlantic Monthly einen Artikel über eine Frau gelesen, die Abfall recycelt und daraus Kunst macht. Das hat ihn total beeindruckt. In ihrer Bio stand, dass sie auf der Constance-Billard war. Deswegen hat er dich gleich dort angemeldet, als du gesagt hast, dass du zu mir nach New York ziehen willst. Dem war bestimmt nicht klar, dass du jeden Tag so weit fahren musst. Außerdem hat er gehofft, dass du an so einer Nobelschule gut aufgehoben bist. Die Lehrer dort müssen ja dauernd Ersatzeltern spielen für die ganzen Bonzenkinder, deren Eltern sich in Gstaad oder Cannes rumtreiben.« Ruby drehte sich in der Wanne auf den Bauch und reckte Vanessa ihren alabasterweißen Po entgegen. Unter dem winzigen, feinstaubverklebten Badezimmerfenster rumpelte ein Lkw vorbei, der wahrscheinlich zu der nahe gelegenen Zuckerfabrik unterwegs war. Das war einer der Gründe, weshalb Vanessa so gern im abgewrackten Williamsburg wohnte: Die Luft duftete immer nach Zuckerwatte.
»Ganz toller Einfall, echt«, murmelte sie grimmig. Sie stellte sich vors Waschbecken, griff nach Rubys grüner Haarbürste und begann wütend, ihre von Natur aus pechschwarzen, hüftlangen Haare zu striegeln. Als sie vor einem halben Jahr in die zehnte Klasse der Constance-Billard-Schule gekommen war, hatten sich ihre Mitschülerinnen sofort um sie geschart, ihr bewundernd über die langen Haare gestrichen und gefragt, ob sie ihr Zöpfe flechten dürften, als wäre Vanessa ein Barbie-Stylingkopf oder ein Pony. Inzwischen war klar, dass ihre Haare das Einzige waren, was die anderen Mädchen an ihr gut fanden. »Den Artikel hat er vor zwanzig Jahren gelesen. Die Trullas, die heute auf der Schule sind, interessieren sich einen Scheißdreck für Kunst oder Recycling. Kunst ist für die, welche Farbe sie für ihre neuen Strähnchen aussuchen, und recyceln tun sie höchstens, indem sie untereinander die Lippenstifte aus den Goodybags tauschen, die sie auf irgendwelchen Schickimickipartys geschenkt bekommen haben. Außerdem warst du auch nur auf der River Highschool und verdienst trotzdem genug Geld, um zu überleben, obwohl du nicht mal studiert hast.«
»Ich bin ja auch ein Ausnahmetalent«, erwiderte Ruby trocken und setzte sich auf, um sich Babyshampoo von Johnson’s in die Handfläche zu drücken. »Wenn ich auf der Constance-Billard gewesen wäre statt auf einer Highschool für minderbemittelte Landeier, wär ich wahrscheinlich schon längst zur ersten Präsidentin der Vereinigten Staaten gewählt worden.«
Vanessa beugte sich vor, um im Spiegel ihre Poren zu untersuchen. Die Badewanne war schmuddelig beige und das Waschbecken rühreigelb – typischer Williamsburger Ranz-Schick. Aber sie liebte das schäbige, runtergerockte Zwei-Zimmer-Apartment, das sie mit Ruby bewohnte. An der eleganten Nobelschule, in der sie ihre Tage fünfmal pro Woche bis zum Nachmittag absitzen musste, fühlte sie sich völlig fehl am Platz. Gestern hatte sie in der Cafeteria einsam vor ihrem Mittagessen aus schwarzem Tee und Crackern gesessen und mitgehört, wie sich Kati Farkas – eine ihrer glanzhaarigen, glosslippigen Mitschülerinnen – am Nebentisch mit weinerlicher Stimme darüber beklagt hatte, dass sie in den Osterferien schon wieder mit ihren Eltern zum Segeln nach Griechenland fliegen müsse.
»Dabei waren wir doch schon mal auf Korfu. Ich würde viel lieber zu einer griechischen Stadt segeln, in der man richtig gut shoppen kann – zum Beispiel nach Mailand!«, jammerte sie in seliger Unkenntnis der geo- und topografischen Beschaffenheit der Erde und so ungefähr aller anderen Dinge, die man ihr an der Constance-Billard-Schule mühsam beizubringen versuchte.
Nicht dass Vanessa in ihrer Heimatstadt Vermont so viele Freundinnen gehabt hätte. Sie hatte so viele Jahre ihrem Traum nachgehangen, endlich nach New York zu ziehen und eine avantgardistische Filmemacherin im Stile Ingmar Bergmans zu werden, dass sie gar keine Zeit gehabt hatte, irgendwelche Freundschaften zu knüpfen. Als ihre Eltern endlich nachgegeben und ihr erlaubt hatten, bei Ruby einzuziehen, war sie überglücklich gewesen. Und trotzdem verspürte sie jetzt so etwas wie leichte … Langeweile. Oder vielleicht war innere Leere der passendere Begriff. Dieses Gefühl war ihr aus Vermont zwar durchaus vertraut, aber sie hatte gehofft, es würde in New York sofort verfliegen. Leider war das nicht der Fall. Sie fühlte sich selbst dann noch leer, wenn sie einen Riesenteller Falafel gegessen hatte.
»Weißt du was? Du brauchst ein Projekt«, sagte Ruby. In diesem Moment kam ihr Wellensittich Tofu ins Bad geflattert. Er landete auf der Seifenschale, kackte ins Wasser und trank dann vorsichtig von der trüben, seifigen Brühe.
Vanessa griff nach ihrem Camcorder, den sie am Waschbeckenrand abgelegt hatte, und zoomte auf Tofu. »Der kleine süße Scheißer«, kicherte sie verzückt.
Ruby verdrehte die Augen und ließ sich tiefer ins Wasser sinken. »Im Ernst, Vanessa. Du musst dir endlich ein paar Freunde suchen, damit du auch mal was anderes zu tun hast, als perverse Nacktaufnahmen von mir in der Wanne zu machen. Ich hab die ganze Nacht gearbeitet und bin scheißmüde. Du gehst mir ziemlich auf die Titten.« Sie gähnte. »Ich hab eine Idee! Warum gehst du nicht unter die Blogger? Du könntest jeden Tag neue Fotos vom scheißenden Tofu ins Web stellen. Da draußen gibt es genug Irre, die so was cool finden. Du würdest ruckzuck lauter neue Leute kennenlernen. Hey, vielleicht verliebst du dich sogar in einen davon und hättest endlich deinen ersten Freund. Zeit wird’s!« Sie kicherte hysterisch.
Vanessa hob den Fuß und kickte die Seifenschale ins Wasser. Tofu piepste erschrocken auf und rettete sich flügelflatternd auf die Duschvorhangstange. Seine Kacke dümpelte wie ein zerkauter Kaugummi auf der Wasseroberfläche. »Ha! Ha! Sehr witzig.« Vanessa wirbelte auf den Absätzen ihrer stahlkappenverstärkten schwarzen Doc-Martens-Springerstiefel herum und stampfte aus dem Badezimmer. Die Docs trug sie als deutliches »Fuck you«-Signal an die Leitung der Constance-Billard-Schule, die den Schülerinnen ausdrücklich »zweckmäßiges schwarzes Schuhwerk« vorschrieb. Obwohl es kaum etwas Zweckmäßigeres als Springerstiefel gab, hatte die Schulleitung mit Sicherheit eher an Mokassins oder Ballerinas gedacht.
In ihrem winzigen, schmucklosen Zimmer ließ Vanessa sich bäuchlings auf das zerwühlte Futonschlafsofa fallen, um sich genüsslich in Hass und Weltschmerz zu suhlen, bis Ruby ihren nassen Arsch aus der Wanne hieven und sie zusammen eine DVD schauen würden. Nach einer Weile wurde sie nachdenklich. Vielleicht war Rubys Idee doch nicht so bescheuert. Bisher hatte sie nach der Schule meistens allein zu Hause herumgesessen, in uralten Fotound Kunstzeitschriften geblättert und dabei geistesabwesend ihre langen Haare gezwirbelt, bis sie versplisst waren. Dabei gab es an der Constance-Billard ein mit neuester Technik überausgestattetes, die meiste Zeit leer stehendes Fotolabor und Geldmittel in Millionenhöhe. Eigentlich war sie blöd, wenn sie das nicht nutzte. Wieso gründete sie nicht eine eigene Kunstzeitschrift? Sie könnte das Heft mit Beiträgen von Schülerinnen füllen und ihre eigenen genialen Schwarz-Weiß-Fotos für das Cover verwenden. Einen Freund würde sie dadurch zwar sicher nicht finden, aber den suchte sie auch gar nicht; ihr ging es vor allem darum, etwas zu tun zu haben. Außerdem würde es ihre Aussichten auf einen Studienplatz an der NYU massiv verbessern, wenn sie in ihrer Bewerbung angeben könnte, Herausgeberin einer eigenen Kunstzeitschrift zu sein.
Natürlich würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als lahme Fotos von pedikürten Mädchenfüßen und schmalzige Gedichte über verstorbene Bichon Frisés ihrer Mitschülerinnen abzudrucken, aber die konnte sie dann in der Abgeschiedenheit ihres Zuhauses mit einem fetten schwarzen Marker genüsslich verunstalten. Außerdem gab es unter ihren Mitschülerinnen bestimmt welche, deren gelangweilte Bonzenmütter auf der Upper East Side Galeristinnen spielten. Mit etwas Glück würde eine von ihnen ihr überragendes Talent als Fotografin erkennen, und dann konnte sie sich in der Kunstszene einen Namen machen, bevor sie ihr Filmstudium an der NYU überhaupt begonnen hatte.
Ja, Ruby hatte definitiv recht – sie brauchte ein Projekt. Mit dieser Kunstzeitschrift würde sie etwas ganz Eigenes auf die Beine stellen und der arroganten Jeunesse dorée Manhattans zeigen, dass in der blassen, etwas pummeligen Doc-Martens-tragenden Newcomerin aus Vermont viel mehr steckte, als sie auf den ersten Blick vermutet hatten. Und wenn sie schon mal dabei war, sich zu verändern, konnte sie bei der Gelegenheit gleich auch was mit ihren langweiligen Haaren machen – irgendwas total Radikales, komplett Unerwartetes.
Vielleicht Wellensittichkacke als Haargel?
d findet ein ventil für seinen liebesschmerz
»Du erinnerst dich aber doch noch an die von Mom, oder? Ihre waren nicht so klein«, sagte die zwölfeinhalbjährige Jennifer Humphrey zu ihrem älteren Bruder Daniel, mit dem sie am späten Samstagvormittag an dem zerkratzten Resopaltisch in der Küche saß und frühstückte. Ihr zierlicher, nur etwas über eins vierzig kleiner Körper steckte in einer Art rosa Frotteestrampelanzug, in dem sie schlief, seit sie zehn war. Jenny löffelte einen riesigen Becher Pfirsich-Sojajoghurt in sich hinein, weil sie hoffte, die in Soja enthaltenen natürlichen Östrogene würden ihr Brustdrüsenwachstum anregen. Sämtliche Siebtklässlerinnen an der Constance-Billard-Schule hatten inzwischen Busen bekommen – der von Luna Skye war seit September sogar um zwei Körbchengrößen gewachsen! -, alle... nur Jenny nicht.
»Vielleicht hat sie sich ihre ja operieren lassen«, meinte ihr Bruder. »Was wissen wir denn schon über Mom?« Dan trug eine abgewetzte, verfleckte braune Kordhose und ein schwarzes Poloshirt mit einem dünnen weißen Rollkragenpulli darunter – alles von Old Navy. Er besaß nur zwei Outfits, die er abwechselnd schon den ganzen Winter über getragen hatte. Die zweite Kombi bestand aus verwaschenen schwarzen Levi’s-Jeans und einem senfgelben Kapuzenshirt, das er sich in einem Secondhandshop im East Village gekauft hatte. Er trug die Sachen, bis sie so schmuddelig waren, dass Jenny sich endlich ihrer erbarmte und sie im Keller des Apartmenthauses, in dem sie wohnten, in die Waschmaschine stopfte. So war das eben, wenn man keine Mutter hatte: Die Wäsche blieb automatisch an der kleinen Schwester hängen.
Vierzig Jahre Feminismus für die Katz. Seufz.
Dan schaufelte sich mehrere Esslöffel Folgers Instantkaffee in den grünen Pu-der-Bär-Plastikbecher, aus dem er seinen Kaffee schon trank, seit er sechs war. Er fühlte sich immer unbehaglich, wenn das Thema auf ihre Mutter kam. Dummerweise hatte ihr Vater Rufus die ganze Nacht mit seinen alten Beatnik-Kameraden bei einem Poetry-Slam verbracht und war seitdem noch nicht wieder aufgetaucht, weshalb Jenny sogar noch ausgiebiger über ihre Mutter redete als sonst.
»Nein. Die waren garantiert nicht operiert. Sie hat uns beide gestillt, also können sie...«
»Sag mal, müssen wir unbedingt über Moms... Körperteile reden?«, unterbrach Dan sie gequält, bekam aber sofort ein schlechtes Gewissen. Jenny lebte als einziges Mädchen mit ihrem kauzigen Bruder und ihrem noch kauzigeren Vater in diesem verlotterten Männerhaushalt. Sie hatte alles Recht der Welt, so oft und so viel über ihre quasi-verschollene Mutter zu reden, wie sie wollte. Die fehlende Weiblichkeit oder auch nur Normalität in ihrem runtergewohnten Apartment auf der Upper West Side war wirklich schwer zu ertragen. Als Jeanette Humphrey ihren Mann und ihre beiden Kinder verlassen hatte, um nach Tschechien zu ziehen und sich mit einem gut aussehenden Grafen zu »verwirklichen«, war Dan acht und Jenny noch nicht ganz sechs Jahre alt gewesen. Wenn Dan an seine Mutter dachte, stellte er sie sich gern als Kindermädchen vor, das ein paar Jahre bei ihnen gearbeitet und sich dann eine neue Stelle gesucht hatte. Jedenfalls fragte er sich nie, ob er ihr ähnlich sah – im Gegensatz zu Jenny, die oft und geradezu zwanghaft über sie nachdachte. Wahrscheinlich würde das erst dann aufhören, wenn sie endlich Busen bekam und anfing, sich für andere Dinge zu interessieren. Dabei war es nicht so, als würde sie ihre Mutter vermissen. Wieso sollte sie eine Frau vermissen, die sie leichten Herzens verlassen hatte, nie anrief, nie schrieb und ihnen zweimal hintereinander bayerische Lederhosen in Kleinkindergröße zu Weihnachten geschickt hatte?
Dan dachte nur über einen einzigen Menschen zwanghaft nach und das war Serena van der Woodsen. Serena van der Woodsen. Schon wenn er nur an ihren Namen dachte, brachte ihn das so aus der Fassung, dass er sich mit schweißnassen Händen an seinem Kaffeebecher festklammern musste. Serena war so sagenhaft schön, dass ihm jedes Mal schlecht wurde, wenn er sich erlaubte, an sie zu denken; sie war so perfekt, dass es ihm fast unmöglich erschien, dass ein Mensch wie sie überhaupt existierte; sie war so absolut unerreichbar, dass sie genauso gut ein Geist, die Zahnfee oder ein ähnlich ätherisches Wesen hätte sein können. Serena van der Woodsen war das Mädchen seiner Träume, seine Inspiration, seine Muse – nicht dass er jemals etwas Kreatives getan hätte, wofür er eine Muse benötigt hätte.
Was nicht ist, kann ja noch werden.
Zu Dans dreizehntem Geburtstag vor zwei Jahren hatte Rufus auf Anregung von Jenny und in einem Anfall von Mitgefühl für seinen mutterlosen Sohn die Party aller Partys veranstaltet. Er hatte eine Diskokugel besorgt, Jelly Shots vorbereitet, ein riesiges Fass St.-Pauli-Girl-Bier in der Badewanne kühl gestellt und genug Häagen Dazs Coffee Ice Cream und Mikrowellenpopcorn besorgt, um alle Schüler aus Dans Klasse an der Riverside-Knabenschule zu verköstigen. Da Rufus für seine liberale Erziehung bekannt war und alle wussten, dass ihn ein Haufen betrunkener Dreizehnjähriger nicht schocken würde, kam gleich Dans gesamte Klassenstufe. Die Schüler der neunten und zehnten Klassen, die von der alkoholfreundlichen Party erfahren hatten, luden sich kurzerhand selbst ein. Außerdem tauchten noch ungefähr zwanzig unbekannte Kids von der Upper East Side auf, die durch Chuck Bass, den größten Widerling aus Dans Klasse, von dem Massenbesäufnis informiert worden waren. Zum Glück waren auch ein paar Mädchen dabei. Und Serena war eine von ihnen.
Sie war ziemlich schnell betrunken – genau wie Dan, genau wie alle anderen Gäste. Aber da Dan damals sogar noch schüchterner und unsicherer gewesen war als jetzt, hatte er nicht den Mut aufgebracht, sie anzusprechen. Er hatte auf dem abgewetzten braunen Ledersofa im Arbeitszimmer seines Vaters gesessen und über den Flur hinweg beobachtet, wie die unbekannte Schönheit mit ihrer Clique ein äußerst merkwürdiges Trinkspiel spielte, bei dem unter anderem ein Lateinbuch, ein Marker und eine nackte Jungenbrust zum Einsatz kamen. Jenny verriet ihm, wie sie hieß. Eigentlich hätte seine kleine Schwester längst im Bett liegen müssen, aber sie war zu ihm ins Zimmer geschlichen, hatte sich mit einem Eisbecher und zwei Löffeln neben ihn gekuschelt und ihm die magischen Worte ins Ohr geflüstert: »Das da drüben ist Serena van der Woodsen. Sie ist bei mir auf der Schule. Sieht sie nicht aus wie eine Göttin?«
Oh ja. Mindestens!
Jenny war sogar noch besessener von Serena als Dan. Sie schnitt alle Fotos von ihr aus, die in den Gesellschaftskolumnen der New Yorker Zeitungen erschienen, und zeichnete ihr Porträt auf die Ränder ihres Hello-Kitty-Tagebuchs. Sie kannte Serenas Stundenplan auswendig – er klebte außen an der Tür ihres Schließfachs – und folgte ihr in der Schule wie ein Schatten. Sie belauschte sie in den Gängen, in der Cafeteria und auf dem Klo. Die Wochenenden verbrachte sie damit, das Internet auf der Suche nach Fotos ihres Idols zu durchforsten. Heute Morgen erst hatte sie aus dem Online-Archiv einer kleinen Wochenzeitung in Ridgefield, Connecticut, ein Foto runtergeladen, das die achtjährige Serena mit einer tropfenden Eiswaffel in der Hand zeigte. Obwohl sowohl die untere als auch die oberen Zahnreihe lückenhaft war, sah sie entzückend aus.
»Sollen wir ein Album mit Collagen von ihr machen?«, schlug Jenny vor. »Wir könnten Szenen aus ihrem Leben nachstellen. Wie wir es uns vorstellen, meine ich...«
»Von wem? Von Mom?«, fragte Dan mit besorgt gerunzelter Stirn. Leider war ihr Vater ein erbitterter Gegner jeglicher Form von Psychotherapie. Schade, Dan hatte das Gefühl, dass Jenny dringend eine gebrauchen könnte.
»Bist du verrückt? Von Serena natürlich.« Jenny wedelte mit dem Eistüten-Bild.
Als wäre das weniger verrückt.
»Was?« Dan ließ sich nicht anmerken, dass das die faszinierendste Idee war, die er je gehört hatte. »Du spinnst.« Er stand auf, ging zur Spüle, füllte seinen Becher mit lauwarmem Leitungswasser und rührte das Kaffeepulver mit einem Plastiklöffel ein. Er nahm einen prüfenden Schluck und nickte zufrieden. Perfekt.
Als Brechmittel?
Jenny ließ sich durch seine Reaktion nicht beirren; sie war daran gewöhnt, dass Dan völlig verkrampfte, sobald die Sprache auf Serena kam. Ungerührt klappte sie ihr iBook auf und durchforstete das Netz nach weiterem Bildmaterial. »Wow!«, flüsterte sie ehrfürchtig, als sich auf dem Monitor ein Foto aufbaute. Sie drehte den Laptop so, dass Dan den Bildschirm sehen konnte. »Schau dir das an! Sieht sie nicht aus wie ein Model für Brautmoden?«
Dan hätte gern Desinteresse geheuchelt, aber das gelang ihm nicht. Serena besaß eines dieser seltenen Gesichter, deren Schönheit nicht einmal durch eine völlig verzerrte, pixelige Auflösung geschmälert werden kann. Jenny hätte ihr einen Schnauzbart, buschige Augenbrauen und struppige Nasenhaare malen können, und die Wirkung wäre immer noch dieselbe gewesen: Es verschlug ihm den Atem.
Serena sah in dem bodenlangen, schulterfreien Kleid aus weißem Satin mit der perlenbestickten Korsage wie eine echte Braut aus, nicht wie ein Model. Sie war viel schöner als jedes Model. Ihre Schönheit war so erlesen, so authentisch und so unvergleichlich, dass es blasphemisch wäre, sie zu benutzen, um Werbung zu machen.
»Ich hab eine voll coole Idee«, sagte Jenny mit glänzenden Augen. »Wir könnten so tun, als wäre es das Foto für eure Hochzeitsanzeige in der New York Times.« Sie öffnete ein neues Word-Dokument und hackte in die Tasten. »Und das ist der Text, der dann druntersteht: Serena Antoinette van der Woodsen und Daniel Siffkopf Humphrey werden am 12. Juli in der St. Patrick’s Cathedral auf der Fifth Avenue den Bund der Ehe schließen. Die junge Braut lernte ihren zukünftigen Ehemann während ihrer gemeinsamen Studienzeit an der Columbia University kennen. Obwohl er schon seit seiner Schulzeit unsterblich in sie verliebt war, hatte er nie den Mut, sie anzusprechen, bis sie eines Tages in der Unibibliothek über einen Band der Shakespeare-Gesamtausgabe stolperte, die er gerade las, und sich den Knöchel verstauchte. Er trug sie auf Händen in sein nach Käsefüßen stinkendes Zimmer im Studentenwohnheim, bettete ihren verletzten Knöchel auf seinen Minikühlschrank und las ihr langweilige existenzialistische Bücher vor, bis ihr die Tränen kamen. Von diesem Tag an waren sie unzertrennlich. Er fing sogar an, Deo zu benutzen. Daniels jüngere Schwester, die für ihre beeindruckende Oberweite berühmte Jennifer Humphrey, ist übrigens mit Miles van der Woodsen, dem jüngeren Bruder der Braut, verlobt und wird ihn an Thanksgiving heiraten.«
Dan war an Jennys völlig sinnfreies Geplapper gewöhnt und hätte normalerweise gar nicht zugehört, wenn das, was sie gesagt hätte, nicht genau seinem kleinen Wachtraum entsprochen hätte, dem er sich vor dem Einschlafen regelmäßig hingab. »Heißt sie mit zweitem Namen echt Antoinette?«, fragte er ungläubig.
Jenny zuckte mit den Schultern. Sie hatte keine Ahnung, wie Serena mit zweitem Namen hieß oder ob sie einen jüngeren Bruder namens Miles, Michael oder Morty hatte. Aber wenn sie nicht Antoinette hieß, war ihr zweiter Name bestimmt ähnlich vornehm, Scarlett vielleicht oder Jessamine.
»Herrgott!«, dröhnte die Stimme ihres Vaters von der Tür her. »Sag dem Mädchen doch endlich, wie sehr du sie anbetest, dann muss ich mir nicht mehr tagtäglich dein liebeskrankes Gejammer anhören.« Rufus Humphrey hatte seine drahtigen grau melierten Haare mit einem Haushaltsclip zum Pferdeschwanz gebunden und präsentierte sich im üblichen Pennerlook: Er trug ein kaffeefleckiges lila Sweatshirt mit dem Aufdruck »Gesetze sind dazu da, gebrochen zu werden«, dessen Ärmel er an den Ellbogen abgeschnitten hatte, eine knallenge rote Skihose, die seine Frau bei ihrem Auszug zurückgelassen hatte, und schwarze Birkenstock-Schlappen, die seine haarigen weißen Knöchel vortrefflich zur Geltung brachten. Unerklärlicherweise steckte nur einer seiner Füße in einem orangefarbenen Wollsocken, während der andere nackt war. Obwohl Dan und Jenny an seinen eigenwilligen Kleidungsstil gewöhnt waren, war es jeden Morgen ein kleiner Schock, ihn zu sehen. Und wenn er aus irgendeinem Grund bei ihnen an der Schule aufkreuzte, schämten sie sich jedes Mal in Grund und Boden. Keiner der anderen Väter sah auch nur annähernd so aus wie Rufus. Trotzdem liebten sie ihn abgöttisch.
»Coole Hose, Dad«, sagte Jenny. »Kann ich sie mir ausleihen, falls du mir jemals erlaubst, Snowboard zu fahren?«
Rufus freute sich sichtlich über das Kompliment. »Die ist aus absolut wasserdichter Kunstfaser!«, rief er begeistert. »In die Dinger könnte man reinpissen und es würde nichts raustropfen!«
Dan grübelte immer noch darüber nach, was sein Vater gerade gesagt hatte. Serena seine Liebe gestehen? Der Gedanke erschreckte ihn zu Tode. Unvorstellbar.
Rufus kam in die Küche geschlurft und warf ein in schwarzes Leder gebundenes Notizbuch auf den Tisch. »Hier. Schreib ihr ein Gedicht. Sag ihr, was du für sie empfindest. Dann kann Jenny es ihr ins Schließfach legen. Ich verspreche dir, sie wird begeistert sein. Und nicht nur sie! Alle! Ich hab mir vorhin schon den ersten Satz überlegt...« Seine struppigen schwarzen Augenbrauen zuckten, und er warf sich in die Brust, als wäre er ein Cyrano de Bergerac der Neuzeit – zufälligerweise der Held aus Dans Lieblingstragikomödie. »Er ist mir vorhin eingefallen, als ich meine Schuhe anziehen wollte und nur einen Socken gefunden habe.« Rufus räusperte sich: »Ich war verloren wie ein einzelner Socken, bevor ich dich gefunden habe. Wir sind ein Paar.«
Dan verdrehte die Augen. Kein Wunder, dass sein Vater es als Dichter nie zu etwas gebracht hatte. Vielleicht sollte er sich lieber als Texter pseudowitziger Grußkarten-Sprüche versuchen, dann könnten sie sich endlich auch die dringend benötigte Putzfrau leisten. Er schlug das Notizbuch auf und griff nach dem abgekauten Bleistiftstummel, der auf dem Tisch lag. Ohne nachzudenken, begann er zu schreiben.
ich kannte keinen schmerz,bis du mich gestoßen hastund ich fiel.es blutet. ich blute.und ich falle weiter. immer weiter.kannst du mich von da oben nicht sehen?das wasser ist doch klar.
Rufus spähte über seine Schulter und runzelte die Stirn. »Bisschen düster, oder?«
Jenny schob sich mit ihrem Stuhl neben ihn. »Was ist düster? Was hast du geschrieben?«
Dan klappte das Buch hastig zu. Er hatte noch nie zuvor probiert, ein Gedicht zu schreiben, die Wörter einfach aus sich herausfließen zu lassen, aber es war ein gutes Gefühl. Sehr befreiend. »Ich geb es euch zu lesen, wenn ich fertig bin. Vielleicht.«