Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Diese kurze Abhandlung mit dem provokanten Titel "Gott: Fakt oder kollektive fixe Idee?", obwohl weder religiös oder theologisch geprägt, ist ein 'Wetzstein' für religiöse wie für nichtreligiöse Leser und für Nonkonformisten: egal ob zustimmend oder ablehnend, sie werden ihre eigenen Position daran schärfen - oder revidieren. Was die meisten schamhaft als ihr 'privates Geheimnis' verbergen wie ihre Gehaltsabrechnung: Was ist die eigene Weltanschauung? Jedermann, sei er nun christgläubig oder in anderer Weise gottgläubig oder sei er natur-, materie- oder ich-gläubig oder sei er Atheist oder Unentschlossener, schuldet sich selbst zumindest darüber Rechenschaft, ob er, wenn schon nicht vernünftige, so doch wenigstens irgendwie plausibel erscheinende Gründe für seinen jeweilige Weltanschauung vorweisen kann oder ob seine Überzeugung lediglich in einer ungeprüft von seinen Vätern oder von seiner Umgebung übernommenen Weltsicht wurzelt, ob er sich also bloß an eine Tradition oder ob er sich an den Zeitgeist klammert. Die 'Frage nach Gott' ist doppelt berechtigt. Zum einen ist sie keineswegs bloß rhetorisch, denn selbst wenn es einen Gott geben sollte, dann wäre sein Dasein nicht unmittelbar einsichtig; zu sehen ist er jedenfalls nicht. Zum anderen führt deren Beantwortung absehbar zu Antworten auf die Frage nach der Identität des Menschen. Sie führt zu Antworten auf die Frage nach seiner Herkunft und nach seinem Wesen. Gibt es keinen Gott, dann ist die Spezies Mensch das Produkt einer für ihn zufällig zum Höheren und zum Besseren verlaufenen Entwicklung, deren Fort- und Ausgang allerdings ebenso dem Zufall überlassen ist. Oder gibt es einen Gott oder mehrere Götter? Falls ja, ist der Mensch, dann möglicherweise Produkt eines göttlichen Entstehungsprozesses? Bejahendenfalls: ist er Produkt eines absichtsvollen Schaffensprozesses oder ist er sozusagen ein göttliches 'Abfallprodukt', eine unabsichtlich oder unglücklich entstandene 'göttliche Hinterlassenschaft'?
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 54
Veröffentlichungsjahr: 2017
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
R. F. Schmidt:
Gott: Fakt oder kollektive fixe Idee?
1.Zugegeben: für den, der unter einer schamhaft verborgenen religiösen Veranlagung leiden mag, scheint die Frage provokant formuliert. Ich bin allerdings der Ansicht, solch grundlegende Dinge durchaus ansprechen zu dürfen:Was ist unsere Weltanschauung? Jedermann, sei er nun christgläubig oder in anderer Weise gottgläubig oder sei er natur-, materie- oder ich-gläubig oder sei er Atheist, schuldet sich zumindest selbst darüber Rechenschaft, ob er, wenn schon nicht vernünftige, so doch wenigstens irgendwie plausibel erscheinende Gründe für seinen jeweiligen Glauben vorweisen kannoderob seine Überzeugung lediglich in einer ungeprüft von seinen Vätern oder von seiner Umgebung übernommenen Weltsicht wurzelt,ob er sich also bloß an eine Tradition oder ob er sich an den Zeitgeist klammert. Die Christen jedenfalls sollten darüber hinaus auch ihrer Umgebung Rechenschaft schulden, sagt man ihnen doch nach, dass sie die 'Frohe Botschaft' verkünden sollen.
Die 'Frage nach Gott' ist eine doppelt berechtigte Frage. Zum einen ist diese Frage durchaus keine wegen schon im Voraus bekannter Antwort bloß rhetorische Frage, denn selbst wenn es einen Gott geben sollte, dann wäre sein Dasein nicht unmittelbar einsichtig; zu sehen ist er jedenfalls nicht.
Zum anderen führt deren Beantwortung absehbar zu Antworten auf die Frage nach der eigenen Identität, nach der Identität des Menschen. Sie führt zu Antworten auf die Frage nach seiner Herkunft und nach seinem Wesen.Gibt es keinen Gott, dann ist die Spezies Mensch das Produkt einer für ihn zufällig glücklichen, vorwärts zum Höheren und zum Besseren verlaufenen Entwicklung, deren Fort- und Ausgang allerdings ebenso dem Zufall überlassen ist. Oder gibt es einen Gott oder mehrere Götter? Falls ja,ist er, der Mensch, dann möglicherweise Produkt eines göttlichen Entstehungsprozesses? Bejahendenfalls: ist er Produkt eines absichtsvollen, gezielten Schaffensprozesses oder ist er sozusagen ein göttliches 'Abfallprodukt', eine unabsichtlich oder unglücklich entstandene 'göttliche Hinterlassenschaft'?
Ist 'Gott' eine Sache bloß subjektiven Dafürhaltens ohne irgendwelche Beteiligung der Erkenntnis? Gibt es lediglich 'Gott': genau so viele Götter also, wie es Menschen mit ihren durchaus unterschiedlichen Vorstellungen von Gott gibt, aber eben keinen weiteren? Etwa so wie der Übergang vom alten ins neue Jahr bloß nach der Vorstellung, nach der kollektiven Einbildung der Menschen mit Ablauf des 31.12. eines jeden Kalenderjahres stattfindet, während der Lauf der Sonne oder der Erde zu diesem Zeitpunkt weder inne hält noch springt und die Erde zu diesem Zeitpunkt eben keinen Wendepunkt ihres Laufs um die Sonne durchzieht, während also ein solcher zeitlicher Einschnitt in der Natur keine Entsprechung aufweist? Oder etwa so, wie wir alle eine Vorstellung von der Zukunft haben? Eine Vorstellung von etwas, das nicht existiert, weil es die bloße Projektion eines jeden aus dem „Vorher“, aus der Erinnerung, und dem „Jetzt“, aus dem Augenblick des Erlebens ist? In dem Moment, in dem wir scheinbar das Zukünftige erleben, ist es vergangene Zukunft, ist es Gegenwart: Was sich uns da zu präsentieren vermag, ist lediglich das Jetzt. Die Zukunft können wir nie erleben; unsere Vorstellung von der Zukunft ist und bleibt bloße Einbildung.
Handelt es sich bei dem Untersuchungsgegenstand 'Gott' ebenfalls um solch ein 'Produkt aus gemeinschaftlich gelebter religiöser Erfahrung', um ein 'Gefühl' und nichts als ein 'Gefühl', um ein 'Hirngespinst der Brauchtumspflege des menschlichen Geistes'? Schuf der Mensch seinen Gott nach seinem, des Menschen Ebenbild, nach den Konturen seiner Wünsche und Ängste? Ist und bleibt Gott eine kollektive 'fixe Idee'? Oder existiert Gott? Nicht die Gretchenfrage: „Glaubst Du an Gott?“, nicht die Frage nach dem 'Gefühl', sondern die Frage 'dahinter',die Frage nach der realen Existenz Gottes ist die mich einzig interessierende Frage: Die drei möglichen Antworten darauf sind: Ja – nein - wir wissen’s nicht.
2.Wer oder was soll das sein: Gott?
Was muss etwas seinem Wesen nach vorweisen, damit ich es als ‚Gott’ bezeichnet kann? Ich habe bisher keinen Menschen getroffen, der ernsthaft behauptet hätte, er habe Gott gesehen und wisse darum, wie er, Gott, aussehe und was sein Wesen sei. Demnach kann ein allgemein verbindlicher Kanon der Eigenschaften von Gott nicht existieren. Wenn wir Gott solche Eigenschaften wie „unsichtbar, groß, stark, mächtig, einzigartig“ zuschreiben, wird das zur Ausfüllung des Begriffs von Gott nicht ausreichen: Unsichtbar ist auch die in einer Hochspannungsleitung vorhandene elektrische Stromspannung, groß ist auch ein Gebirge, stark ist auch ein reißender Fluss, mächtig ist auch ein Sturm, einzigartig ist auch die Ostsee, ohne dass wir diese Gegenstände als Gott bezeichnen. Gott betreffend forschen wir nach einem Betrachtungsgegenstand, dessen reale Existenz zum Einen überhaupt in Frage steht, und der darüber hinaus, falls existent, keine Gestalt und kein Gesicht besitzt, weil er sein Wesen nicht sinnenfällig offenbart.
Was bleibt dann an Merkmalen übrig, um daraus einen Steckbrief verfassen zu können und an Hand dieses Steckbriefs die Suche nach diesem durchaus fraglich existierenden Gegenstand überhaupt beginnen zu können? - Meines Erachtens bleibt keine andere Möglichkeit, als Spurensuche zu betreiben:Existiert Gott, hat er möglicherweise Spuren hinterlassen, die es aufzufinden und als solche zu identifizieren gilt.
Aber welche möglichen Spuren, welche Identitätsmerkmale kann ich einem gesichts- und gestaltlosen, fraglich existierenden Betrachtungsgegenstand 'Gott' zuweisen?
Der Steckbrief wird sich auf die Merkmale beschränken müssen, die sich aus der Beziehung der möglichen Fährte zum Spurenleger ergeben, denn sie muss Eigenschaften und Merkmale aufweisen, die ihn für die Verursachung dieser Spur als tauglich erweisen; anderenfalls kommt er als Spurenleger nicht in Betracht. Mehr als eine Identitätsbeschreibung anhand etwa gegebener Beziehungen, anhand etwa gegebener Spuren werde ich also nicht zur Hand haben.
Unterstellt man die reale Existenz Gottes, dann ist nach meiner Vorstellung als Umschreibung voneinem „unsichtbaren“, „großen“, „starken“, „mächtigen“, „einzigartigen“Gott die Kennzeichnung als Oberstes, als Höchstes zutreffend.
Dieses Etwas muss allem Anderen gegenüber voraus, höher sein, um das Höchste, das Oberste sein zu können. Ob das Höchste aus einem einzelnen Betrachtungsgegenstand besteht oder aus mehreren, ob es also Gott oder ob es Götter gibt, wenn es denn Gott gibt, mag dahin stehen, solange es, der Gott oder die Götter, nur das Höchste ist. Wenn es Götter geben sollte und unter diesen eine Rangordnung bestehen sollte, dann kann allenfalls der Ranghöchste meiner Auffassung nach Gott sein, weil ich Gott als das Höchste verstanden wissen will. Denn wenn es neben dem Höchsten ein Allerhöchstes gibt, dann ist das Höchste eben nicht das Höchste, sondern allenfalls ein Höheres. Und wenn mehrere Götter gleich hoch sein sollten, dann ist meinem Verständnis nach keiner von ihnen Gott, denn keines unter gleich Hohen kann das Höchste sein.
3.Die Fragestellung: „Erscheint es vernünftig, an die reale Existenz Gottes zu glauben?“ lässt sich nach meinem Dafürhalten präzisieren:„Gibt es etwas, was das Höchste von allem Anderen außer ihm ist?“