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Adam und Eva, Noah, Abraham, Moses, Maria und die Geburt Jesu: Die meisten von uns kennen diese Geschichten aus der jüdisch-christlichen Überlieferung. Doch sie finden sich nicht nur in der Bibel, sondern auch im Koran. Vergleicht man die Versionen, werden charakteristische Unterschiede, aber auch erstaunliche Ähnlichkeiten zwischen den Gottesvorstellungen der drei monotheistischen Religionen deutlich. Jack Miles’ Buch über die Darstellung Allahs im Koran bietet, unabhängig von irgendeiner religiösen Haltung, einen unkomplizierten Zugang zur heiligen Schrift des Islam. Und es zeigt, wie eine informierte Lektüre vor einem vereinfachenden – und gefährlichen – Umgang mit heiligen Texten schützt.
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Seitenzahl: 424
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Adam und Eva, Noah, Abraham, Moses, Maria und die Geburt Jesu: Die meisten von uns kennen diese Geschichten aus der Bibel. Doch sie gehören nicht allein zur jüdischen und christlichen Überlieferung, sie finden sich auch im Koran. Vergleicht man die Versionen, werden charakteristische Unterschiede, aber auch erstaunliche Ähnlichkeiten zwischen den Gottesvorstellungen der drei monotheistischen Religionen deutlich. Jack Miles hat in zwei viel beachteten Büchern den jüdischen Gott und den christlichen Gottessohn portraitiert. Sein Buch über die Darstellung Allahs im Koran kommt genau zur rechten Zeit: denn es bietet, unabhängig von irgendeiner religiösen Haltung, einen ersten, unkomplizierten Zugang zur Heiligen Schrift des Islam. Und es zeigt zugleich, wie eine gründliche und informierte Lektüre vor einem vereinfachenden und am Ende gefährlichen Umgang mit heiligen Texten schützt.
Jack Miles
Gott im Koran
Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn
Carl Hanser Verlag
Für Catherine
Sobald die Augen eines Mannes, der lange Jahre in einer Stadt wohnt, schlafen gehen,
Sieht er eine andere Stadt voll Gut und Böse und erinnert sich nicht mehr an seine eigene Stadt.
Er sagt: »Ich habe lange dort gelebt; diese neue Stadt ist nicht die meine, hier bin ich nur auf der Durchreise.«
Nein, er denkt, dass er in Wirklichkeit schon immer in genau dieser Stadt gelebt hat und in ihr geboren wurde und aufwuchs.
Rumi, Das Mat-navī IV, 3628–3633, übersetzt von Bernhard Meyer, Kaveh Dalir Azar und Jila Sohrabi, Edition Shershir (BoD) 2012, Bd. 4, S. 239
Einleitung: Gott, Glaube und die Gewalt Heiliger Schriften
1 Adam und seine Frau
2 Adams Sohn und sein Bruder
3 Noah
4 Abraham und sein Vater
5 Abraham und seine Söhne
6 Joseph
7 Mose
8 Jesus und seine Mutter
Nachwort: Über den Koran als das Wort Gottes
Satan und das Jenseits in der Bibel und im Koran
Danksagung
Anmerkungen
Register
Von all den Büchern, die über Gott geschrieben wurden, habe ich selbst zwei verfasst: eines über Gott in der Heiligen Schrift der Juden und ein zweites über Gott in der Heiligen Schrift der Christen. Das hier vorliegende Buch – über Gott in der Heiligen Schrift der Muslime, dem Koran – ist das dritte in dieser Reihe. Ich selbst bin Christ, ein praktizierender Episkopaler, doch ich nähere mich Gott in all diesen drei Büchern nicht direkt, sondern lediglich über die Heilige Schrift der jeweiligen Tradition. Ich schreibe zudem nicht als Gläubiger, sondern als Literaturwissenschaftler, der sich bewusst an ein Publikum wendet, zu dem reichlich Nicht-Gläubige gehören.
Das bedeutet, dass ich mich den Schriften nicht über den Glauben annähere, sondern über eine Aussetzung der Ungläubigkeit (suspension of disbelief). Dieser Begriff wurde im 19. Jahrhundert von Samuel Taylor Coleridge in die englische Literaturkritik eingeführt. Durch die zeitweilige Aussetzung der Ungläubigkeit ist jeder von uns in der Lage, »loszulassen« und einen Roman, einen Film oder eine Fernsehserie wie Game of Thrones gemäß deren jeweils eigenen Kategorien zu genießen. Wenn wir abends ins Kino gehen und uns eine Liebeskomödie anschauen, haben wir, solange der Film läuft, nichts dagegen einzuwenden, dass die Liebenden auf der Leinwand keine echten Liebenden, sondern nur zwei Schauspieler sind, die so tun, als seien sie verliebt. Wir glauben natürlich nicht daran, dass sie wirklich real sind, aber für die Dauer des Films erlauben wir ihnen, real zu sein. Wir spielen mit.
Auf die gleiche Weise kann man sogar dann mitspielen, wenn eine literarische Figur göttlicher Natur ist. Vor kurzem hatte ich die Gelegenheit, für ein Seminar, das ich gab, noch einmal Homers Ilias zu lesen. Der griechische Gott Zeus spielt in diesem Epos eine wichtige Rolle – er ist der oberste der Götter im Olymp. Ich glaube nicht, dass es Zeus gibt, aber für die Dauer meiner Lektüre spielte ich bereitwillig Homers Spiel mit und erlaubte Zeus, den Gang der Ilias so nachdrücklich zu bestimmen, wie er das tut.
Als Christ kann ich, in einer Art Umkehrung, vorübergehend meinen Glauben daran aussetzen, dass der Gott der Bibel in Wirklichkeit viel mehr als nur eine literarische Figur ist, und ihn für die Dauer einer Übung in literarischer Betrachtung als genau solchen begreifen. So wie ich sonntags in den Petersdom in Rom gehen kann, um dem Gottesdienst beizuwohnen, und dann am Montag noch einmal dort hingehen kann, um die Kunst und Architektur dieser Kirche in Augenschein zu nehmen, so kann ich Jesu Bergpredigt am Sonntag als Teil meiner Gottesverehrung lauschen und sie am Montag als einschlägigen Text über Jesus Christus als literarische Figur lesen. Die beiden Übungen sind zutiefst unterschiedlich, aber sie schließen sich nicht gegenseitig aus und können sich sogar wechselseitig befruchten.
Literaturwissenschaft, die auf diese Weise mit der ästhetischen Erfahrung eines literarischen Werks beginnt, unterscheidet sich von der Literaturgeschichtsschreibung oder der historisch-kritischen Methode. Diese Methode beschäftigt sich mit Fragen wie: Wer schrieb dieses Werk? Wann schrieb er dieses Werk? Warum schrieb er es? Für welches Publikum schrieb er es? Oder war es eine Sie, die das Werk verfasste? Oder waren es gar mehrere Autoren? Wurde es ursprünglich in der Sprache verfasst, in der wir es heute lesen? Auf welche Quellen stützten sich die Verfasser, als sie es schrieben, oder handelt es sich wirklich um eine Originalschöpfung? Wurde es im Laufe der Zeit überarbeitet? Ist es in mehr als nur einer Textgestalt in Umlauf? Wenn ja, welche Textgestalt ist dann die beste? Handelt es sich vielleicht um die redaktionell bearbeitete Vermischung mehrerer verschiedener Fassungen? Wie sah die Rezeption im Laufe der Zeit aus? Wurde das Werk übersetzt? Wurde es irgendwann unterdrückt?
Und so weiter und so fort. Solche Fragen – so legitim, faszinierend und endlos sie auch sein mögen – sind nicht Gegenstand dieses Buches. Ein Wissenschaftler dürfte Dutzende derartiger Fragen über ein bestimmtes Werk der Literatur beantwortet haben, ja vielleicht hat er sein ganzes Leben damit zugebracht, sie zu beantworten, ohne je das Werk als solches zu betrachten, als ästhetische Schöpfung, die sich, wie alle großen Werke, in gewisser Weise von der Zeit und dem Ort und den Umständen, in denen sie entstanden ist, loslösen lässt. Die historisch-kritische Methode muss literarischer Wertschätzung nicht im Wege stehen, und beides kann oft eine Symbiose eingehen, doch selbst dann sind die beiden unterscheidbar.
Im Folgenden wollen wir eine Reihe symbolträchtiger Figuren in den Blick nehmen, die sowohl in der Bibel wie auch im Koran vorkommen, und sie fortlaufend miteinander vergleichen, wobei wir uns jeweils auf Gott als zentralen Protagonisten konzentrieren. Unser bescheidenes Ziel ist eine gewisse ästhetische Aneignung nicht der gesamten Bibel oder des gesamten Korans, sondern lediglich dieser miteinander verwandten Abschnitte innerhalb der beiden Schriften. Ich hoffe, dass Sie mir dabei durch eine wie auch immer geartete Aussetzung des Glaubens oder der Ungläubigkeit folgen, wenn ich mich in erster Linie mit Allah, Gott, als der überwältigend dominanten Figur in den Abschnitten aus dem Koran beschäftige.
Im Verlauf der Jahrhunderte betrachteten Juden und Christen gleichermaßen den Koran zumeist ähnlich, wie die Juden traditionellerweise das Neue Testament betrachteten – nämlich unter dem Motto: »Was wahr ist, ist nicht neu, und was neu ist, ist nicht wahr.« Nicht-Muslime haben bezweifelt und kritisiert, was Muslime mit Blick auf den Koran glauben – nämlich dass es sich um Gottes letztes Wort an die Menschheit handelt, die Krone der Offenbarung, die wiederherstellt, was Juden oder Christen in ihren Schriften durch Vergessen oder Verdorbenheit verloren oder unterdrückt haben. Ich lade Juden, Christen und die vielen anderen, die diese kühne muslimische Behauptung anzweifeln, dazu ein, als bescheidene Übung in literarischer Wertschätzung vorübergehend ihre Ungläubigkeit auszusetzen, während wir gemeinsam versuchen, uns mit Gott als dem zentralen Protagonisten des Korans und mit dem Koran als einem unglaublich eindrucksvollen literarischen Werk zu befassen. Muslime lade ich dazu ein, dass sie ähnlich, wie sie am Freitag in einer Moschee beten und am Dienstag als Architekturstudenten deren Kuppel in Augenschein nehmen, ebenfalls diese Dienstagsübung mitmachen, diese literarische Beschäftigung mit ein paar wenigen Stellen aus dem Koran, und sie zusammen mit den entsprechenden Passagen aus der Bibel lesen. Dem heiligen Koran auf diese Weise, als Literatur, die Ehre zu erweisen ist eine Möglichkeit, ihn mit Wohlwollen und Sympathie für neue Leser zu öffnen.
Im ersten meiner Bücher über Gott, nämlich Gott. Eine Biographie, schrieb ich über Gott, als er Israel wissen ließ, wie es sich an ihn erinnern sollte:
Wenn dein Sohn dich künftig fragt: Was bedeuten die Zeugnisse und die Ordnungen und die Rechtsbestimmungen, die der HERR, unser Gott, euch geboten hat?, dann sollst du deinem Sohn sagen: Sklaven waren wir beim Pharao in Ägypten. Der HERR aber hat uns mit starker Hand aus Ägypten herausgeführt, und der HERR tat vor unseren Augen große und unheilvolle Zeichen und Wunder an Ägypten, an dem Pharao und an seinem ganzen Haus. Uns aber führte er von dort heraus, um uns herzubringen, uns das Land zu geben, das er unsern Vätern zugeschworen hat. Und der HERR hat uns geboten, alle diese Ordnungen zu tun, den HERRN, unsern Gott, zu fürchten, damit es uns gut geht alle Tage und er uns am Leben erhält, so wie es heute ist. (Dtn 6,20–24)
Das war Jahwe, der – in den meisten Übersetzungen firmiert er als »Herr« oder, wie hier in der Elberfelder Bibelausgabe, als »HERR« – ursprünglich unbesiegbare Protagonist des Tanach, der jüdischen Bibel, aus der, als sie in die christliche Bibel übernommen wurde, das Alte Testament wurde.1 Doch im Tanach verfällt Jahwe nach seiner Begegnung mit Hiob in ein seltsames Schweigen: Er spricht fortan nie mehr wieder, und es hat den Anschein, als könne Israel immer weniger auf Seine »starke Hand« zählen. Man erinnert sich mit Dankbarkeit und Ehrfurcht an Ihn, aber Seine Macht ist nun ferne Zukunftshoffnung und nicht mehr zwingende gegenwärtige Realität.
In meinem zweiten Buch Jesus. Der Selbstmord des Gottessohnes schrieb ich über Gott als Jahwe, den Juden – den Gott der Juden, der wiederkehrt und selbst als Jude handelt:
Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. (Joh 1,1)
Und dann die atemberaubende Behauptung:
Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. (Joh 1,14)
Verblüffend war diese Behauptung weniger wegen ihrer geheimnisvollen metaphysischen Vernunft, sondern aufgrund der Tatsache, dass dieser göttliche Jude, als er mit dem Kaiser als dem neuen Pharao konfrontiert ist, den brutalen römischen Unterdrücker nicht, wie dereinst, mit starker Hand und ausgestrecktem Arm vernichtet, sondern sich stattdessen widerstandslos selbst von den Römern kreuzigen lässt. Sicher, Jesus ersteht aus seinem Grab auf, und seine Anhänger betrachten die Wiederauferstehung als Versprechen ewigen Lebens, und doch ist der Kaiser weiterhin Kaiser, und in ein paar Jahrzehnten wird er den Tempel in Jerusalem zerstören und das Volk Gottes in die Verbannung und in die Sklaverei schicken. Wenn das ein Sieg sein soll, dann haben sich die Kategorien so radikal verändert, dass das auf eine Krise im Leben Gottes hindeutet.
Doch wenn es im vorliegenden Buch um Gott im Koran gehen soll, warum spreche ich dann nicht von Anfang an von Allah, dem Gott im Koran? Warum muss ich unbedingt noch so viel über Gott in diesen früheren Heiligen Schriften reden?
Das hat damit zu tun, dass ich dieses Buch Anfang 2017 in Angriff nahm, nach einer amerikanischen Präsidentschaftswahl, die durch fortwährende »dschihadistische« Anschläge überall auf der Welt deutlich beeinflusst war. Während dieses Wahlkampfs spukte die Angst vor weiteren solchen Anschlägen merklich durch die Köpfe der Amerikaner. Auf dem Parteitag der Republikaner 2016 brachte einer der Hauptredner diese Angst folgendermaßen zum Ausdruck:
Am Montag griff ein afghanischer Flüchtling in Deutschland Zugreisende mit einer Axt und Messern an und verletzte sie schwer, wobei er »Allahu Akbar« rief. Letzte Woche übernahm der Islamische Staat die Verantwortung, nachdem ein Mann aus Tunesien im französischen Nizza einen Lkw in eine Menschenmenge gesteuert hatte. Er ermordete 84 Menschen, darunter zehn Kinder und drei Amerikaner, und verletzte mehr als 300 weitere. Zwei Tage zuvor ermordeten radikale Islamisten in Bangladesch zwanzig Geiseln, darunter drei amerikanische Collegestudenten. Vor zwei Wochen kamen bei Bombenanschlägen in Bagdad fast 300 Menschen ums Leben, mehr als 200 wurden verletzt.
Letzten Monat verfolgte ein radikaler Islamist in Paris einen französischen Polizeibeamten in dessen Haus, wo er den Beamten ermordete, dessen Frau vor den Augen ihres drei Jahre alten Sohnes zu Tode folterte und das Ganze live in den sozialen Medien übertrug. Er dachte gerade laut darüber nach, ob er auch den Dreijährigen umbringen sollte, als er von der Polizei erschossen wurde. Zwei Tage zuvor ermordete ein Attentäter, der sich als Kämpfer des IS bezeichnete, in einem Nachtklub in Orlando 49 Menschen und verletzte Dutzende weitere.
All das passierte allein in den letzten 37 Tagen. Wir können nicht zulassen, dass wir gegenüber diesen sich häufenden Gräueltaten abstumpfen. Schätzungen zufolge starben seit Januar 2015 rund 30.000 Menschen durch die Hand von Terroristen.
Newt Gingrich, der diese Worte sprach, glaubte leider fälschlicherweise, die Wahl von Donald J. Trump, dem republikanischen Kandidaten, zum amerikanischen Präsidenten könne derartige Gewalt unter friedliche Kontrolle bringen. Trump wurde gewählt, aber mehr als ein Jahr später, am 24. November 2017, ermordeten bewaffnete Attentäter, die die schwarze Fahne des Islamischen Staates trugen, in der al-Rawda-Moschee im ägyptischen Bir al-Abd mehr als 300 Gläubige. Gingrich hatte die Gräueltaten, die er aufzählte, nicht erfunden, und er lag auch nicht falsch mit der Behauptung, die muslimischen Terroristen, die Attentate wie das Gemetzel in der ägyptischen Moschee begehen (nebenbei bemerkt kommen durch derartige Terroristen deutlich mehr Muslime als Nicht-Muslime ums Leben), sich als Rechtfertigung und Motivation auf den Islam berufen, so abstoßend ihr Tun für andere Muslime auch immer sein mag.2 Ein Amerikaner, der über den Koran schreibt, also einen der Grundpfeiler des Islams, kann nicht wirklich die Tatsache ignorieren, dass all das in der Luft lag oder dass es Passagen im Koran gibt, die sich für eine so fürchterliche Verwendung eignen.
Bevor dieses Buch an sein Ende gelangt, werden wir ein paar dieser Passagen betrachtet haben, aber zuvor ist noch einiges zu tun. Zwar würde ich die Behauptung, der Islam sei eine »Religion des Friedens« nicht unterschreiben wollen, aber ich würde diese Behauptung auch für das Judentum und das Christentum nicht gelten lassen. Ich will gar nicht bestreiten, dass es zu bestimmten Zeiten einen religiösen Pazifismus gab und ein solcher auch heute noch mancherorts existiert, aber diese Bezeichnung verdient keine der drei Religionen. Zudem müssen wir um der Klarheit willen das Verhältnis zwischen Gewalt, wie sie von einer Glaubensgemeinschaft welcher Art auch immer unterstützt wird, und Gewalt, wie sie in den Heiligen Schriften dieser Gemeinschaft zum Ausdruck kommt, allgemein betrachten. Insbesondere geht es dabei um die Frage, welche Art von Verpflichtung Krieg, Streit oder Gewalt in der Heiligen Schrift der Juden und der Christen den Juden beziehungsweise den Christen auferlegt.
Wie kompliziert sich diese Frage für diese beiden Traditionen gestaltet, will ich mittels einiger Zitate aus den jeweiligen Heiligen Schriften deutlich machen, zunächst für das Christentum. Erst dann werden wir bereit sein, uns wieder dem Islam zuzuwenden.
Der Glaube, Jesus sei das fleischgewordene Wort – das Wort, das bei Gott war und das Gott war vor der Erschaffung der Welt –, ist seit Jahrhunderten grundlegend für das Christentum. Natürlich handelt es sich dabei um den Christus des Glaubens und weniger um den Jesus der Geschichte, aber der Glauben hat genauso seine Geschichte wie Jesus, und historisch betrachtet war diese Glaubensüberzeugung von zentraler Bedeutung. In der römisch-katholischen Kirche meiner Kindheit endete jeder Gottesdienst mit dem ersten Kapitel des Johannesevangeliums – also genau dem Kapitel, das ich oben zitiert habe und das Jesus als das fleischgewordene Wort bezeichnet. Das waren die Worte, die der gläubige Katholik, als er die Morgenmesse verließ, als letzte hörte und mit sich hinaus in die Welt nahm.
Wenden wir uns nun der Stelle im Neuen Testament zu, in der das fleischgewordene Wort Gottes zum letzten Mal auftaucht. Sie findet sich am Ende des 19. Kapitels der Offenbarung, dem letzten Buch des Neuen Testaments, wo es heißt:
Und ich sah den Himmel geöffnet, und siehe, ein weißes Pferd, und der darauf saß, heißt Treu und Wahrhaftig, und er richtet und führt Krieg in Gerechtigkeit. Seine Augen aber sind eine Feuerflamme, und auf seinem Haupt sind viele Diademe, und er trägt einen Namen geschrieben, den niemand kennt als nur er selbst; und er ist bekleidet mit einem in Blut getauchten Gewand, und sein Name heißt: Das Wort Gottes. Und die Truppen, die im Himmel sind, folgten ihm auf weißen Pferden, bekleidet mit weißer, reiner Leinwand. Und aus seinem Mund geht ein scharfes Schwert hervor, damit er mit ihm die Nationen schlage; und er wird sie hüten mit eisernem Stab, und er tritt die Kelter des Weines des Grimmes des Zornes Gottes, des Allmächtigen. Und er trägt auf seinem Gewand und an seiner Hüfte einen Namen geschrieben: König der Könige und Herr der Herren.
Und ich sah einen Engel in der Sonne stehen, und er rief mit lauter Stimme und sprach zu allen Vögeln, die hoch oben am Himmel fliegen: Kommt her, versammelt euch zum großen Mahl Gottes, damit ihr Fleisch von Königen fresst und Fleisch von Obersten und Fleisch von Mächtigen und Fleisch von Pferden und von denen, die darauf sitzen, und Fleisch von allen, sowohl von Freien als auch Sklaven, sowohl von Kleinen als auch Großen! (Off 19,11–18)
Hier, fast am Ende des Neuen Testaments, finden wir ein Bild von Christus als Krieger, der auf einem weißen Pferd thront, sein Gewand ist blutgetränkt, er steht an der Spitze einer berittenen Armee, regiert die Welt mit einem eisernen Stab, schlachtet seine Feinde, die »Heidenvölker«,3 mit einem geheimnisvollen Schwert ab und ruft die Vögel herbei, damit sie vom Fleisch der Toten zehren. Die kursiv gesetzten Stellen stammen alle aus dem Alten Testament; ihre Wiederholung soll dafür sorgen, dass diese blutrünstige Passage wie der endgültige Sieg des Guten über das Böse erscheint. Und es gibt noch weitere Anspielungen. Die »Kelter des Weines des Grimmes des Zornes Gottes« etwa spielt auf Jesaja 63,3–6 an, wo Jahwe auf die rhetorische Frage: »Warum ist Rot an deinem Gewand und sind deine Kleider wie die eines Keltertreters?« folgendermaßen antwortet:
Ich habe die Kelter allein getreten, und von den Völkern war kein Mensch bei mir. Ich zertrat sie in meinem Zorn und zerstampfte sie in meiner Erregung. Und ihr Saft spritzte auf meine Kleider, und ich besudelte mein ganzes Gewand. Denn der Tag der Rache war in meinem Herzen, und das Jahr meiner Vergeltung war gekommen. Und ich blickte umher, aber da war keiner, der half. Und ich wunderte mich, aber da war keiner, der mich unterstützte. Da hat mein Arm mir geholfen, und mein Grimm, der hat mich unterstützt. Und ich trat die Völker nieder in meinem Zorn und machte sie trunken in meiner Erregung, und ich ließ ihren Saft zur Erde rinnen. (Jes 63,3–6)
Ist das das Christentum? Eine mögliche Antwort lautet: Natürlich ist das das Christentum. Genau so steht es in der Bibel! Wenn das amerikanische Christentum gemeint ist, kommt einem zudem eine äußerst bekannte Hymne in den Sinn – nämlich die »Schlachthymne der Republik«, deren Anfangsverse darauf anspielen, dass Gott seine Feinde zertreten hat, bis ihr Blut wie der Traubensaft aus der Kelterpresse rann:
Mein Auge sah die Ankunft unseres Herrn in ihrem Ruhm.
Er stampfet aus die Kelter, wo des Zornes Früchte ruhn;
Schon blitzt Sein schrecklich schnelles Schwert, kündt Unheil bösem Tun:
Seine Wahrheit schreitet voran.
Das »schrecklich schnelle Schwert« in Julia Ward Howes Schlachtlied aus dem amerikanischen Bürgerkrieg ist »das scharfe[] Schwert (…), damit er mit ihm die Nationen schlage«, das in der oben zitierten Passage aus der Offenbarung aus dem Munde Christi kommt.
Diese Art der Rhetorik hat also eine christliche und sogar eine amerikanische Geschichte. Doch wenn Sie einen Christen kennen, können Sie sich vermutlich nicht wirklich vorstellen, dass er oder sie sagt: »Mir ist das egal, ob all das in der Bibel steht! Dieser gnadenlose Mann auf einem Pferd ist nicht der Jesus, an den ich glaube! Das ist nicht meine Religion!«
Welche Antwort ist die richtige? Theoretisch sind beide zutreffend. Ein christlicher Kreuzfahrer, der entschlossen war, sich am Jesus von Offenbarung 19,11–21 zu orientieren, konnte das tun. Vielleicht fühlte sich General William Tecumseh Sherman auf seinem Marsch von Georgia ans Meer dazu ermächtigt, das zu tun. Ein Christ mit einer absolutistischen Sicht auf die Heilige Schrift könnte sich sogar heute noch dazu verpflichtet fühlen, so zu handeln. Praktisch gesehen ist es freilich so: Selbst wenn viele Christen früher so gedacht haben, sind es heute immer weniger. Die meisten betrachten die Heilige Schrift nicht absolutistisch und fühlen sich überhaupt nicht dazu verpflichtet, Jesus, den berittenen Massenmörder, nachzuahmen. Es wäre ein bedauerlicher Fehler, Christen als gefährliche Bevölkerungsgruppe zu betrachten, weil sie eine solche Schrift als Wort Gottes verehren. Es wäre falsch, zu befürchten, dass auch nur irgendeiner von ihnen einfach durch die Heilige Schrift zum Massenmörder wird. Kurz: Es geht nicht darum, was irgendeine Schrift abstrakt sagt, sondern was diejenigen, die diese Schrift in Ehren halten, konkret aus ihr ableiten.
Hier nur ein Beispiel aus der Heiligen Schrift der Juden.
Im Buch Exodus müssen die Israeliten, nachdem sie auf wundersame Weise der Verfolgung durch die Truppen des Pharaos entkommen sind, durch die Wüste Sinai zu dem Berg marschieren, wo Gott seinen Pakt mit ihnen schließen wird. Unterwegs wehren sie einen Angriff der Amalekiter ab. Doch Gott, so erfahren wir, gibt sich nicht mit dem bloßen Sieg über die Amalekiter zufrieden:
Danach sprach der HERR zu Mose: Schreib dies zur Erinnerung in ein Buch und lege in die Ohren Josuas, dass ich die Erwähnung von Amalek vollständig unter dem Himmel auslöschen werde! (Ex 17,14)
Was heißt es, die »Erwähnung« eines Volkes »auszulöschen« beziehungsweise – so übersetzt Luther – die »Erinnerung« an ein Volk »auszutilgen«? Mit einem Wort: Es bedeutet, das Volk auszulöschen. Gott verspricht, einen Genozid an den Amalekitern zu begehen, und Gott hat ein langes Gedächtnis. Jahrhunderte später behalten die israelitischen Truppen endlich die Oberhand über Amalek, und Gott teilt König Saul seine Absichten mit:
So spricht der HERR der Heerscharen: Ich habe bedacht, was Amalek Israel angetan, wie es sich ihm in den Weg gestellt hat, als Israel aus Ägypten heraufzog. Nun zieh hin und schlage Amalek! Und vollstreckt den Bann an ihnen, an allem, was es hat, und verschone ihn nicht, sondern töte Mann und Frau, Kind und Säugling, Rind und Schaf, Kamel und Esel! (1 Sam 15,2–3)
Ist das das Judentum? Auch in diesem Fall lautet eine mögliche Antwort: Natürlich ist das das Judentum! Es steht genau so in der Bibel! Und tatsächlich war in der Rhetorik des rabbinischen Judentums wie auch, in jüngerer Zeit, in der des Staates Israel »Amalek« eine Art Kurzformel für »Todfeind Israels«, wer auch immer das im jeweiligen Augenblick sein mochte. In einer Rede ausgerechnet in Auschwitz erklärte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu 2010 Iran zum »neuen Amalek«.4 Kern dieser Rede war, dass Iran eine existenzielle Bedrohung für Israel darstelle, eine Gefahr für das Überleben des Staates Israel, und doch ruft die Anspielung unweigerlich die Erinnerung daran wach, dass Israel selbst eine existenzielle Bedrohung für die Amalekiter darstellte und das Volk bis zum letzten Kind und Säugling auslöschte.
Der hetzerische Vorwurf des Völkermords oder der völkermörderischen Absicht wird Israel regelmäßig von seinem palästinensischen Gegenspieler gemacht. Insofern ist dieser biblische Vorläufer gar nicht so rätselhaft oder fernliegend, wie es den Anschein hat. Doch wenn Sie einen Juden kennen, können Sie sich vermutlich nicht wirklich vorstellen, dass er oder sie sagt: »Mir ist das egal, ob all das in der Tora oder im Buch Samuel oder wo auch immer steht! Dieser Kindermörder ist nicht der Gott, zu dem ich bete! Das ist nicht mein Glauben!«
Welche Antwort ist die richtige? Auch in diesem Fall ist es wieder so: Ein Jude, der Gott nacheifern wollte, indem er mit seinen Feinden so völkermörderisch verfährt wie Gott mit dem Volk Amalek, ein Israeli, der sämtliche Iraner auslöschen wollte, findet in der Heiligen Schrift die Ermächtigung dazu. Es wäre jedoch ein bedauerlicher Fehler, Juden als gefährliche Bevölkerungsgruppe zu betrachten, weil sie eine solche Schrift als Wort Gottes verehren, genauso wie es falsch wäre, Angst davor zu haben, dass auch nur irgendeiner von ihnen einfach durch die Heilige Schrift zum Völkermörder wird. In der Praxis gehört die weit überwiegende Mehrheit der Juden, darunter auch die jüdischen Israelis, einer Nation an, die durch den nationalsozialistischen Völkermord so fürchterlich traumatisiert ist, dass sie vor der Aussicht zurückschreckt, einen Völkermord an irgendjemandem zu begehen, nur weil Gott im Tanach ein Völkermörder war. Auch hier gilt wieder: Es geht nicht darum, was irgendeine Schrift abstrakt sagt, sondern was diejenigen, die diese Schrift in Ehren halten, konkret aus ihr ableiten.
Da ich nun einmal auf diese Weise angefangen habe, erwarten Sie vermutlich einen ähnlichen Schocker aus dem Koran, bei dem ich dann erneut fragen könnte: Ist das der Islam? Und dann wie oben fortfahren könnte: Aber können Sie sich wirklich einen Muslim vorstellen, der …? Und so weiter. Ich könnte das machen, aber ich verzichte darauf, denn Gegenstand dieses Buches ist nicht die Gewalt des Korans, sondern Gott im Koran. Gott in der Heiligen Schrift der Muslime hat, ähnlich wie Gott in den Heiligen Schriften der Juden und der Christen, Seine gewalttätigen Momente, aber Er ist eben mehr als nur Gewalt. Ich habe das Thema der Gewalt in meinen ersten beiden Büchern nicht ausgespart. Und ich will es auch hier nicht aussparen. Aber ich werde nur insofern darauf eingehen, als dieses Thema in einem größeren, umfassenderen Kontext erscheint. Es wäre eine groteske Verzerrung – ein grober literarischer Schnitzer –, würde ich zulassen, dass ein Aspekt irgendeines Protagonisten alle anderen Aspekte in den Schatten stellt. Ich habe mich mit dem generellen Thema der Gewalt in Heiligen Schriften zunächst einmal vor allem deshalb befasst, weil – für Sie, meine Leser, wie auch für mich – der Terrorismus von Muslimen, die sich auf den Koran berufen und »Allahu Akbar« rufen, dieses unerfreuliche Thema im allgemeinen Bewusstsein in den Vordergrund gerückt hat.
Ich räume ein, dass es Stellen im Koran gibt, etwa einige Passagen in Sure 9, mit deren Hilfe ein Terrorist Mord, ja sogar Massenmord rechtfertigen könnte. Ich gestehe zu, dass es Muslime gibt, die solche Stellen auf diese Weise nutzen, und wir haben allen Grund, Angst vor ihnen zu haben und uns gegen sie zu wehren. Die Gefahr, die sie darstellen, ist real und breitet sich aus. Ich hoffe jedoch, dass ich dadurch, dass ich mit vergleichbaren Passagen aus der Bibel begonnen habe, eine Plausibilitätsstruktur für meine These geschaffen habe, wonach es ein Fehler wäre – in unserem historischen Kontext sogar ein fürchterlicher, kontraproduktiver Fehler –, jeden Muslim als eine Art Terroristen in Wartestellung zu betrachten, nur weil er oder sie den Koran als Heilige Schrift verehrt. Wenn ich mit gewaltsamen Momenten in den Heiligen Schriften der Juden und der Christen begonnen habe, so soll das kein Vorspiel sein, um in die gleiche Gewalt einzutauchen, wie man sie im Koran findet, sondern ich will damit vorab anerkennen, dass es im Koran Gewalt gibt, ich will zeigen, wie sehr sich entsprechende Stellen in den jüdischen und christlichen Schriften finden lassen, und ich will anschließend das Thema beiseiteschieben, um es später erneut als Teil einer nuancierteren und stärker kontextualisierten Begegnung mit dem fesselnden göttlichen Protagonisten aufzugreifen, der im Zentrum dieser klassischen muslimischen Schrift steht.
Wir werden dieser Figur nicht mittels einer tour de force durch den Koran vom ersten bis zum letzten Wort begegnen, sondern indem wir den Spuren einiger kluger Autoren folgen und eine Reihe von Episoden oder auffälligen Persönlichkeiten aus den Heiligen Schriften der Juden und der Christen in den Blick nehmen, wie sie im Koran erscheinen. Juden und Christen sind oft überrascht, wenn sie merken, dass zentrale Figuren aus ihren Heiligen Schriften tatsächlich auch – und sogar wiederholt – im Koran auftauchen. Diese bemerkenswerte Tatsache wird für uns im Folgenden eine Art Eingangstür zum Koran darstellen. Inwiefern erweitert, verkürzt oder verändert der Koran die biblische Darstellung einer bestimmten Figur oder Episode? Das wird die Ausgangsfrage sein.
Die Antwort auf diese Frage wird eine weitere Frage aufwerfen. Meine Vergleiche zwischen Bibel und Koran werden sich von denen, die andere unternommen haben (und von denen ich, wie ich gerne einräume, viel gelernt habe5), dahingehend unterscheiden, dass ich mich stets auf das konzentriere, was Allah mittels der verschiedenen Anspielungen, Erweiterungen, Veränderungen und so weiter des Korans direkt oder indirekt über sich selbst offenbart. Bei meinen Erkundungen möchte ich Wendungen wie »der Koran sagt« oder »aus Sicht des Korans« so weit wie möglich vermeiden. Sie haben üblicherweise den unbeabsichtigten, aber bedauerlichen Effekt, dass sie die Präsenz Allahs verbergen oder »stummschalten«; dabei ist er es, der den Koran vom ersten bis zum letzten Wort spricht. Wann immer möglich, schreibe ich deshalb lieber »Allah sagt« oder »Allah beharrt darauf« und Ähnliches.
Wenn ich von Gott im Koran spreche, nenne ich ihn üblicherweise »Allah«, auch wenn ich ihn problemlos als »Gott« bezeichnen könnte. Das arabische ilāh, »Gott«, wird durch die Zusammenziehung von al-ilāh (»der Gott«) zu allāh. Das verwandte hebräische Nomen eloah, »Gott«, wird durch den ehrenden pluralis maiestatis zum Plural elohim. Wenn ich von elohim im Alten Testament spreche, nenne ich ihn »Elohim«, auch wenn ich genauso gut »Gott« sagen könnte. Die Koranübersetzung von Hartmut Bobzin, die der deutschen Ausgabe dieses Buches zugrunde liegt, übersetzt allāh mit gutem Grund als »Gott«, mitunter auch zur Verdeutlichung als »der eine Gott«. Das tun auch andere Koranübersetzungen, während einige »Allah« verwenden. Nicht ganz so uneinheitlich verhält es sich bei den Bibel-Übersetzungen mit dem hebräischen Gottesnamen yhwh. Die Elberfelder Studienbibel, aus der im Folgenden überwiegend zitiert wird, übersetzt mit »HERR« (nach dem griechischen kyrios). Die Großschreibung aller Buchstaben soll deutlich machen, dass an dieser Stelle im Grundtext die Buchstaben JHWH stehen. Wenn ich vom Gott der Bibel spreche, werde ich im Folgenden aber »Jahwe« verwenden (diesen Namen gebraucht von den deutschen Bibelausgaben nur die Neue evangelistische Übersetzung). Die meisten Bibel-Übersetzungen übersetzen elohim als »Gott« (nach dem griechischen theos), während ich, wie schon gesagt, im Text »Elohim« verwenden werde. Wenn, was häufig der Fall ist, die beiden hebräischen Gottesnamen innerhalb eines einzigen Kontextes alternierend verwendet werden, spreche ich von »Jahwe Elohim«, wie das die Bibel schon früh im Buch Genesis (siehe Gen 2,4ff.) tut (im Deutschen ist dann von »Gott dem HERRN« die Rede). Das mag zunächst etwas verwirrend klingen, aber in der Praxis lässt sich das leicht nachvollziehen.
Als Namen beziehen sich Allah, Jahwe und Elohim alle auf das gleiche Wesen; aber wenn es darum geht, dessen Präsenz in zwei verschiedenen Heiligen Schriften vergleichend zu betrachten, dient es der Klarheit und Einfachheit, wenn man unterschiedliche Namen verwendet, statt bemüht und auf verwirrende Weise fortwährend »Gott in der Bibel«, »Gott im Koran« und so weiter zu sagen. Indem ich mehrere Namen verwende, kann ich den Ausdruck »Gott« den gelegentlichen Fällen einer allgemeineren oder gemeinsamen Bezugnahme sowie der rückblickenden Verwendung im Nachwort zu diesem Buch vorbehalten. Aus mehrerlei Gründen sorgt es auf ähnliche Weise für Klarheit, wenn ich bei Ausführungen zu Koran- und Bibelstellen die Singularpronomen, die sich auf Gott beziehen, groß schreibe – also Er, Sein und Ihm/Ihn –, auch wenn ich das für gewöhnlich nicht so handhabe. Das hat seinen Grund darin, dass das Pronomen »er«, wenn Gott sich im Koran beziehungsweise in der Bibel im Dialog mit dem einen oder anderen Menschen befindet, oftmals nicht eindeutig zuzuordnen ist. Indem ich die Verweise auf Allah beziehungsweise Jahwe großschreibe, lassen sich solche Stellen leichter lesen.
Wenn wir uns lediglich mittels ein paar ausgewählter Passagen mit Gott im Koran befassen und diese überdies mit den entsprechenden Stellen in der Bibel vergleichen, begegnen wir der Heiligen Schrift der Muslime auf informelle, dialogische Weise und nicht erschöpfend beziehungsweise formell, doch gerade daraus bezieht diese Begegnung ihre ganz eigene Faszination. Wenn Allah im Koran Mohammed darüber belehrt, was Sein Prophet über diese biblischen Themen sagen soll, spricht Er eindeutig zu jemandem, der seinen Gegenstand bereits allgemein kennt und dessen Wissen lediglich einer Auffrischung, Korrektur oder Vervollständigung bedarf. Allah ist der Lehrer; Mohammed ist der Schüler; wir, als Leser des Korans in deutscher Übersetzung, sind eingeladen, zu lauschen und zu lernen.
Allah verlangt im Koran von der Menschheit vor allem, dass sie Seine Göttlichkeit anerkennt und sich Ihm als dem einen und einzigen Gott unterwirft. Das arabische Wort islām bedeutet Unterwerfung; das arabische Wort muslim (aus der gleichen arabischen Wurzel s-l-m) bezeichnet jemanden, der sich auf diese Weise unterworfen hat. Das war, so lehrt der Koran, Allahs Forderung seit Beginn der Menschheitsgeschichte, und deshalb ist seine Botschaft ganz bewusst keine neue Botschaft. So wie der Koran die Religionsgeschichte versteht, war Adam zu seiner Zeit muslim; Abraham war ebenfalls muslim, genauso wie Joseph und so weiter über den muslim Jesus Christus bis zu Mohammed. Eine Kernbotschaft des Korans lautet jedoch, dass die unveränderliche Botschaft des islām im Verlaufe der dazwischenliegenden Zeitalter verloren ging oder verdorben wurde. Deshalb verlangt Allah als Verfasser und Sprecher des Korans von Juden und Christen, sie sollten anerkennen, dass sie das, was Gott ihnen offenbart hat, verloren oder verfälscht haben; und sie sollten entsprechend anerkennen, dass sie Mohammed benötigen als den Propheten, der ihnen wie der gesamten Menschheit endlich Allahs endgültige und definitive Botschaft überbringt.
Diesen Glaubensanspruch will ich weder verteidigen noch kritisieren. Ich will hier nur eines, nämlich beobachten. In der jüdischen wie in der christlichen Bibel offenbart sich Gott indirekt nicht nur über Worte, sondern oft auch durch Taten, die zur Charakterisierung durch einen beobachtenden Interpreten einladen. Ähnlich verhält es sich im Koran: Indem er genau darauf achtet, inwiefern der Koran Stoffe, die er mit der Bibel gemeinsam hat, abändert, kann ein beobachtender Interpret daraus erschließen, wie unterschiedlich der Koran Gott charakterisiert.
Das impliziert nicht, dass die Vergleiche im Folgenden allein Unterschiede und keine Ähnlichkeiten zutage fördern. Im Gegenteil! Insgesamt gesehen gibt es deutlich mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede, auch wenn die Unterschiede unvermeidlich am interessantesten sind. Aufgrund einer seltsamen und, in meinen Augen, bedauerlichen Symmetrie leugnen manche Muslime und manche Christen, dass ihre jeweiligen Schriften vom gleichen Gott sprechen. Ich glaube, dass sie sehr wohl vom gleichen Gott sprechen. Während die Heiligen Schriften der Juden und der Christen, die Jahrhunderte vor der Geburt Mohammeds fertiggestellt wurden, an keiner Stelle vom Koran sprechen, spricht der Koran durchaus von der Tora und dem Evangelium, die wichtige Teile der jüdischen und christlichen Schriften sind, und jede aufmerksame literarische Interpretation des Korans muss zu dem Schluss kommen, dass sein göttlicher Sprecher sich zweifellos als den Gott betrachtet, den Juden und Christen verehren, und als den Verfasser ihrer Schriften. Innerhalb dieser dreifaltigen literarischen Identität jedoch gibt es deutlich unterschiedliche Schwerpunktsetzungen, und es lohnt sich, diese unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen, die in leicht zu übersehenden Textdetails zum Ausdruck kommen, herauszuarbeiten. In diesem Fall liegt nicht der Teufel im Detail, sondern die Gottheit.
Ziel ist es nicht, eine bestimmte Darstellung Gottes in Konkurrenz zu einer anderen zu setzen, und schon gar nicht, aus Muslimen Nicht-Muslime oder aus Nicht-Muslimen Muslime zu machen. Deutsche Muslime stellen Nicht-Muslimen den Koran gerne in deutscher Übersetzung zur Verfügung und begrüßen sie als Koranleser, während Christen und Juden zumindest genauso aktiv ihre Schriften publizieren und unters Volk bringen. Gleiches lässt sich auch von anderen Glaubensrichtungen sagen. Wenn wir also – und zwar wir alle – potenziell ohnehin bereits die Schriften der jeweils anderen lesen, so möchte ich Sie einladen, mich bei einer vergleichenden Interpretation einer bescheidenen Auswahl paralleler Passagen aus dem Koran einerseits und aus der Bibel andererseits zu begleiten.
Wir werden dabei mit einem aussagekräftigen Zitat aus dem Koran beginnen und bei dessen Interpretation selektiv auf verwandte Stellen in der Bibel zurückgreifen. Unsere Interpretation beider Heiliger Schriften hat einen Schwerpunkt, den ich als theografisch bezeichnen möchte. Die Theologie bedient sich üblicherweise der schwierigen Instrumente der Philosophie. Die Theografie setzt eher auf die nutzerfreundlicheren und stärker deskriptiven Instrumente literarischer Wertschätzung und, bis zu einem gewissen Punkt, sogar auf die Instrumente der Biografie. Die Theografie versucht also nicht, die Bedeutung der göttlichen Figur philosophisch zu fassen, sondern ihr auf deutlich bescheidenere Weise zu begegnen, so wie man Figuren auf den Seiten eines literarischen Werks begegnet. Die einzige Zugangsvoraussetzung ist die Bereitschaft, sich darauf einzulassen und gelegentlich auch überraschen zu lassen. Ziel ist keine allgemeine Einführung in den Koran: Ein solches Unterfangen würde offenkundig als Mindestvoraussetzung eine Interpretation des gesamten Korans erfordern. Ich will aber auch keinen Aufsatz über kalām oder islamische Theologie schreiben, indem ich über den Sinn der traditionellen 99 »schönsten Namen« Gottes nachdenke und von dort meinen Ausgang nehme.
Mein Ziel und meine Hoffnung sind, dass am Ende eine Art erster Besuch steht. Als 14-jähriger Junge und Mitglied in der Leichtathletikmannschaft meiner Highschool fuhr ich eines Tages mit dem Bus zu einem Wettkampf im Football-Stadion Stagg Field an der University of Chicago. Das war mein erster Besuch an dieser Universität oder überhaupt an einer Universität. Als der Wettkampf vorbei war und der Bus erst drei Stunden später wieder abfuhr, spazierte ich voller Staunen über den Campus – es gab hier ganze Gebäude, die Gegenständen gewidmet waren, welche für mich bis dahin nur Wörter im Lexikon gewesen waren! Botanik, Paläontologie, Philosophie – was befand sich hinter diesen Türen? Ich hatte so gut wie keine Ahnung. Die gotische Kollegiatsarchitektur selbst der Turnhalle ließ sie in meinen Augen wie eine seltsame Kirche erscheinen. Wo war ich? In was für ein gefährliches Wunderland war ich da hineingeraten?
Wie ich erst viele Jahre später erfuhr, hatte 1942, im Jahr meiner Geburt, unter der Haupttribüne von Stagg Field die erste eigenständige Kernreaktion stattgefunden, und zwar unter der Leitung des großen Enrico Fermi. Das war in der Tat gefährlich! Ein Jahr später wurde das 1893 errichtete Stadion abgerissen und durch die großartige Regenstein Library der Universität ersetzt, wo ich zwanzig Jahre später als Postdoktorand arbeiten sollte. Wie wenig wusste ich bei diesem ersten Besuch von all dem, was das baufällige alte Stadion im Herzen dieser großen Universität umgab! Und doch vermittelte dieser Besuch einen enormen Nervenkitzel. Einen Nervenkitzel und einen Anfang. Stellen Sie sich diesen Besuch beim Koran ein wenig so vor, ganz beiläufig, aber offen für den Nervenkitzel der Entdeckung – selbst wenn Sie den Koran vielleicht zuvor schon besucht haben.
Die Bibel, fünfmal länger als der Koran, ist eine riesige Anthologie, das Werk vieler verschiedener Verfasser, die in einem Zeitraum von mehr als 1000 Jahren zwischen etwa 900 v. u. Z. und etwa 100 u. Z. schreibend tätig waren. Der Koran, wie die Historiker ihn kennen,6 entstand binnen intensiven zwanzig Jahren, spät im Leben nur eines einzigen Mannes: des Propheten Mohammed, der ihn Anfang des 7. Jahrhunderts als Offenbarung von Allah empfing. Unsere dezidiert begrenzte doppelte Beschäftigung mit diesen beiden Schriften wird über die beiden bereits erwähnten außergewöhnlichen Übersetzungen erfolgen – nämlich die Elberfelder Bibel und den Koran in der Übertragung des Islamwissenschaftlers Hartmut Bobzin.
Die Elberfelder Bibelübersetzung, die erstmals 1855 (Neues Testament) beziehungsweise 1871 (Altes Testament) erschien, fand zwar weniger Verbreitung als etwa die Lutherbibel oder die Einheitsübersetzung, gilt aber noch immer als diejenige deutsche Fassung, die dem Grundtext (Hebräisch, Aramäisch und Griechisch) am nächsten kommt. Dieser Ansatz einer strukturtreuen Übersetzung, die sich am Ausgangstext orientiert und möglichst wenig theologische Interpretation in den Übersetzungstext einbringen will, wurde auch bei den späteren Überarbeitungen beibehalten, bei denen sprachliche Härten der ersten Ausgaben zugunsten besserer Lesbarkeit revidiert wurden. Besonders nützlich ist dabei die umfassende Ausgabe der Elberfelder Studienbibel (6. Auflage, 10. Gesamtauflage, Witten/Dillenburg: SCM R. Brockhaus/Christliche Verlagsgesellschaft 2017) mit ihrem umfassenden Studienteil und ihrer ausführlichen Wortkonkordanz. Daneben wurde jedoch bedarfsweise auch immer wieder auf andere Bibelübersetzungen zurückgegriffen, namentlich auf die Lutherbibel (in der revidierten Fassung von 2017), auf die katholische Einheitsübersetzung sowie auf die Übersetzung der hebräischen Bibel, des Tanach, durch Martin Buber und Franz Rosenzweig (Die Schrift, 4 Bde., 10., verbesserte Auflage der überarbeiteten Ausgabe von 1954, Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 1992). Als ausgesprochen hilfreich für den Übersetzungsvergleich erwies sich überdies die Website www.bibelserver.com, auf der zahlreiche weitere Übersetzungen ins Deutsche und andere Sprachen zu finden sind.7
Der Islamwissenschaftler Hartmut Bobzin orientiert sich in seiner neuen Koranübersetzung an den Grundsätzen, die schon der Dichter (und Professor für Orientalische Sprachen) Friedrich Rückert (1788–1866) seiner auszugsweisen Übersetzung der Heiligen Schrift der Muslime zugrunde legte: »dem Streben nach philologischer Genauigkeit und dem Bemühen um eine angemessene sprachliche Form«.8 Viele der davor erschienenen Koranübersetzungen waren vor allem um Genauigkeit bemüht, eingedenk auch der Tatsache, dass der Koran ausdrücklich auf Arabisch (also in der Sprache des Volkes) offenbart wurde:
Dies sind die Zeichen des klaren Buchs.
Siehe, wir sandten es herab als Lesung auf Arabisch,
vielleicht begreift ihr ja. (Sure 12,2)
Eine Übertragung in eine andere Sprache galt (und gilt) vielen Muslimen und Korangelehrten deshalb als Ding der Unmöglichkeit, da dadurch die einzigartige, unvergleichliche und unnachahmliche Schönheit des offenbarten Textes verloren gehe. »Während bei der Verbreitung des Christentums die Übersetzung der Bibel in die jeweilige Volkssprache eine entscheidende Rolle spielte, waren die Koranübersetzungen nur von untergeordneter Bedeutung; sie galten lediglich als Hilfe zum Verständnis des Korans«, als »eine Erläuterung, eine Erklärung«.9 Entsprechend ging es den meisten gängigen Koranübersetzungen darum, möglichst genau den »Inhalt« dieser Schrift zu vermitteln, »ohne irgendeine Anstrengung zu unternehmen, die ästhetischen, das heißt auch literarisch-formalen Qualitäten des Originals zu erreichen«.10 Da es uns aber im vorliegenden Buch gerade um den Koran als literarischem Text geht, kann im Grunde nur die Neuübersetzung von Hartmut Bobzin als Grundlage dienen. Dennoch wurden, wenn nötig, auch andere Übersetzungen herangezogen, namentlich die erstmals 1901 erschienene von Max Henning (7. Auflage der Neuausgabe, Hamburg: Nikol, 2016) und die wissenschaftlich maßgebliche Übertragung von Rudi Paret (12. Auflage, Stuttgart: W. Kohlhammer, 2014). Daneben fand auch die weitverbreitete zweisprachige Ausgabe (arabisch/deutsch) der Ahmaadiyya Muslim Jamaat Berücksichtigung, die erstmals 1954 erschien (8. überarbeitete Taschenbuchauflage, Frankfurt/M.: Verlag Der Islam 2016).11
Die beiden hier ausgewählten Übersetzungen sollen vor allem zeigen, dass Bibel wie Koran nicht nur theologisch wirkmächtige Heilige Schriften sind, sondern auch als literarisch-ästhetische Texte zu beeindrucken wissen.
(Das Vorwort wurde vom Übersetzer an die deutsche Ausgabe angepasst.)
Wer ist Gott? Nähert man sich dieser Frage auf philosophischem oder theologischem Wege, kann die Antwort so gut wie überall ihren Ausgang nehmen. Geht man diese Frage jedoch mit Blick auf die Heiligen Schriften an, so müssen Antworten stets mit dem beginnen (und weitgehend bei dem bleiben), was die jeweilige Schrift uns über Gott berichtet. Diese Einschränkung lässt sich in etwa mit der Begrenzung eines Tennisplatzes vergleichen. So willkürlich sie sein mag, so können wir sie akzeptieren und sogar anerkennen, dass das Spiel ohne sie deutlich weniger Aufregung und Vergnügen zu bieten hätte. Natürlich verbringen Tennisspieler nicht ihr ganzes Leben auf dem Tennisplatz, und auch in diesem Buch werden wir hin und wieder eine Art »Auszeit« nehmen und zulassen, dass unsere Erörterung über einen streng begrenzten Vergleich der jeweiligen Texte von Bibel und Koran hinausgeht. Die Spielregeln verlangen einzig und allein, dass wir darauf hinweisen, wenn wir das tun.*1
Die Bibel und der Koran berichten uns viele Dinge über Gott, und in vielerlei Hinsicht stimmen sie überein, aber diese Übereinstimmung fällt nicht immer sofort ins Auge, denn in literarischer Hinsicht bedienen sich beide höchst unterschiedlicher Verfahren. Die Bibel erzählt eine epische Geschichte, beginnend mit der Erschaffung der Welt und der Zeit, und endend mit dem Ende der Welt und der Zeit. Allah, der im Koran spricht, kennt diese Geschichte gut, denn er beansprucht sie, ohne zu zögern, als Seine Geschichte. Seine Art zu sprechen impliziert, dass Mohammed, dem Er seine Offenbarung mitteilt, zumindest deren Hauptpersonen und wichtigste Episoden ebenfalls kennt. Wo der Koran mit der Bibel übereinstimmt, entfaltet er sich nicht als vollständige Neuerzählung der biblischen Geschichte, so als sei diese Geschichte nie zuvor erzählt worden, sondern eher als eine Reihe selektiver Berichtigungen und Erweiterungen einer bereits bekannten Erzählung.
Wo mehr Korrekturen erforderlich sind, hat Allah im Koran mehr zu sagen, wo weniger Korrektur erforderlich ist, hat er weniger zu sagen. Seine Korrektur ist selbstverständlich nie nur textlicher Natur, sondern immer und ausschließlich substantieller Art. Er bereitet keine überarbeitete Ausgabe des Bibeltextes vor, sondern berichtigt den Bibelinhalt, indem er die Geschichte, welche die Bibel erzählt, im Zuge der Übermittlung Seiner neuen, vollkommenen Schrift revidiert.
Die Schöpfung umfasst nicht ihren Schöpfer. Darin stimmen Bibel und Koran überein. Es gibt keine größere Wirklichkeit, die sowohl Ihn als auch sie umfassen würde. Die Zeit ist keine solche Realität; sie enthält Gott nicht. Auch der Raum enthält Ihn nicht. Er ist nicht Teil der raumzeitlichen Welt, denn Er hat die Welt geschaffen. Aber Gott hat Sein menschliches Geschöpf zu einem Teil Seiner Welt gemacht, und der menschliche Teil von Gottes Welt ging so ziemlich von Anfang an schief. Über diesen Teil der biblischen Geschichte hat Allah jede Menge zu sagen. Tatsächlich taucht das Thema im Koran immer wieder auf, und Allahs korrigierte Versionen der Geschichte dessen, was da falschlief, sind zwar in sich stimmig, fügen der Gesamtüberarbeitung aber verschiedene, mitunter ergänzende, mitunter auffällige Details hinzu.
Wer ist Gott? Sowohl die Bibel als auch der Koran erzählen uns davon in beträchtlichem Ausmaße durch das, was oder wer Er nicht ist. Die beiden Schriften stimmen zwar darin überein, dass Gott nicht die Welt ist, die Er geschaffen hat, sind jedoch unterschiedlicher Ansicht, welche Beziehung zwischen dem Schöpfer und Seinem menschlichen Geschöpf besteht. Das gilt vor allem für ihren jeweiligen Berichte »Of Man’s first disobedience«, von des Menschen erster Schuld, um die unsterblichen ersten Worte von John Miltons Paradise Lost zu zitieren. Bei der Erzählung dieser Geschichte offenbart sich Allah quasi selbst in Seiner besonderen Beziehung zur Menschheit, so wie Jahwe das im biblischen Buch Genesis tut, wenn man es traditionell interpretiert. Unterschiedliche Nuancen bei der Darstellung des ersten Akts menschlichen Ungehorsams werden somit zu unterschiedlichen Nuancen darin, wie die jeweilige Schrift Gott selbst charakterisiert.
Eine wichtige koranische Erzählung dieser grundlegenden Geschichte findet sich in Sure 7,10–27, wo es zunächst heißt:
Wir verliehen euch Macht auf der Erde
und bereiteten darauf für euch Lebensunterhalt;
wie wenig seid ihr dankbar!
Wir erschufen euch, dann gestalteten wir euch.
Dann sprachen wir zu den Engeln:
»Werft euch vor Adam nieder!«
Da warfen sie sich nieder, außer Iblis –
er gehörte nicht zu denen, die sich niederwarfen. (Sure 7,10–11)
Der biblische Bericht von der Erschaffung der Welt und vom Ungehorsam der ersten Menschen findet sich in Genesis 1–3, ganz am Anfang der Bibel. Genesis 1, wo Elohim die Welt in sechs Tagen schafft, mit dem Höhepunkt der Erschaffung des ersten Menschenpaars, entspricht im Grunde Allahs »Wir verliehen euch Macht auf der Erde und bereiteten darauf für euch Lebensunterhalt«, doch Genesis 1 wendet sich nicht an ein »Ihr« und beschreibt einen Schöpfer, der nur eines erwartet, nämlich Gehorsam gegenüber seinen (und nur seinen) Befehlen: »Seid fruchtbar und vermehrt euch, und füllt die Erde, und macht sie euch untertan«. (Gen 1,28)
Doch zu Beginn von Genesis 2 ist die Erde seltsam leer von Menschen, Tieren und sogar Pflanzen. Es wirkt, als sei die Welt aus Genesis 1 nur halb fertiggestellt, und Gott fängt noch einmal von vorne an, diesmal als Jahwe, und beginnt auf halber Strecke mit dem ersten Menschen, statt ihn als letztes zu schaffen. Nachdem Er ihn aus Staub und Wasserdunst geformt hat, pflanzt Er einen Garten, erschafft dann die Tiere, denen das noch immer namenlose menschliche Geschöpf Namen geben darf, und erteilt schließlich Seinen Befehl:
Von jedem Baum des Gartens darfst du essen; aber vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, davon darfst du nicht essen; denn an dem Tag, da du davon isst, musst du sterben! (Gen 2,16–17)
Diese Anweisung impliziert, dass der Mensch, solange er sich von diesem einen Baum fernhält, nicht stirbt, Und tatsächlich erfahren wir am Ende von Genesis 3, dass der Garten einen »Baum des Lebens« enthält, dessen Früchte dem, der sie verspeist, Unsterblichkeit verleihen. Er gehört zu den Bäumen, von deren Früchten der Mensch jederzeit gerne essen darf.
In Genesis 2 fehlt etwas, was Sure 7 des Korans von Anfang an bestimmt – nämlich die Anwesenheit und Beteiligung der Engel und insbesondere des überragend wichtigen Satans. Ihre Einbeziehung hat zur Folge (was auf subtile Weise vielfach verstärkt wird), dass sich der Handlungsschauplatz von der Erde in den Himmel verlagert, wo Allah von Seinen Engeln begleitet wird. In Sure 7 fährt Allah fort, wobei Er nun von sich selbst in der dritten Person spricht:
Er sprach: »Was hielt dich davon ab, niederzufallen, da ich es dir befahl?«
Er sprach: »Ich bin besser als er.
Mich schufst du aus Feuer, ihn schufst du aus Lehm.«
Er sprach: »Steige herab aus ihm!
Es steht dir nicht an, dich in ihm hochmütig zu zeigen.
So geh hinaus!
Siehe, du bist einer der Geringgeachteten.« (Sure 7,12–13)
Sure 7 enthält keinerlei expliziten Hinweis auf die Erschaffung Adams aus Lehm, obwohl dieses Detail (zusammen mit einem weiteren wichtigen) an anderer Stelle im Koran erwähnt wird:
Als dein Herr zu den Engeln sprach:
»Siehe, ich will aus Lehm einen Menschen schaffen.
Wenn ich ihn dann wohlgestaltet
und von meinem Geist in ihn geblasen habe –
dann fallt vor ihm anbetend nieder!« (Sure 38,71–72; Hervorhebung von mir)
Adams Körper mag aus Lehm und derjenige Satans aus Feuer gemacht sein, doch der erste Mensch atmet mit dem Atem Allahs, und vielleicht verdient er aus diesem Grund die verehrende Anbetung der Engel (vielleicht aber auch nicht; siehe unten S. 61–62 Sure 2,30–33).
Widerwillig fügt sich Satan Allah an diesem Punkt, aber er schlägt Allah einen erstaunlichen Deal vor:
Er sprach: »Gib mir Aufschub
bis zu dem Tag, an dem sie auferweckt werden!«
Er sprach: »Siehe, du sollst einer derer sein, denen Aufschub gewährt ist.«
Er sprach: »Weil du mich in die Irre führtest,
so will ich ihnen nun besetzen deinen geraden Weg!
Dann werde ich sie angreifen, von vorne und von hinten
und von rechts und links.
Du wirst finden, dass die meisten von ihnen nicht dankbar sind!«
Er sprach: »Geh hinaus aus ihm, verachtet und verjagt!
Wer dir dann von ihnen folgt –
wahrlich, die Hölle werde ich anfüllen mit euch allen!«
Und: »Adam! Wohne du mit deiner Frau im Paradiesesgarten,
und esst von allem, was ihr wollt!
Doch naht euch diesem Baum da nicht,
sonst seid ihr Frevler!« (Sure 7,14–19)
Im Buch Hiob erlaubt Jahwe dem Satan, Hiob zu quälen, um damit zu Jahwes größerer Zufriedenheit zu beweisen, dass Hiob selbst unter Folter seinen Schöpfer niemals verfluchen wird. Hier gibt Allah Satan die Erlaubnis, Adam und seine Nachkommen von allen Seiten in Versuchung zu führen, sie von »deinem geraden Weg«, also dem des Islams, wegzulocken vom Augenblick der Erschaffung des Menschen bis zum Ende aller Tage.