Gott und der Staat (Deutsche Ausgabe) - Michail Bakunin - E-Book

Gott und der Staat (Deutsche Ausgabe) E-Book

Michail Bakunin

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Beschreibung

Gott und der Staat ist eines der bekanntesten Bücher Bakunins und der anarchistischen Bewegung im Allgemeinen. Bakunin beschreibt darin die Folgen der Religion auf die Gesellschaft und versucht, die Nicht-Existenz Gottes zu beweisen. Michail Bakunin (1814-1876) war ein russischer Revolutionär und Anarchist. Er gilt als einer der einflussreichsten Denker, Aktivisten und Organisatoren der anarchistischen Bewegung. Bakunin entwickelte die Idee des kollektivistischen Anarchismus. In der Internationalen Arbeiterassoziation war Bakunin die Hauptfigur der Antiautoritären und mit Generalratsmitglied Karl Marx im Konflikt, was zur Spaltung der Internationale führte und gleichzeitig zur Trennung der anarchistischen Bewegung von der kommunistischen Bewegung und der Sozialdemokratie. Aus dem Buch: ""Wenn es dann noch Beziehungen zu den Menschen unterhält, so geschieht das nicht eines moralischen Bedürfnisses wegen, und infolgedessen auch nicht aus Liebe zu ihnen, weil man liebt, was man braucht, und wer einen braucht; der Mensch, welcher sein unendliches und unsterbliches Wesen wiedergefunden hat, bedarf, da er in sich selbst vollkommen ist, niemanden, außer Gott, der durch ein Geheimnis, das nur die Metaphysiker verstehen, eine noch unendlichere Unendlichkeit und eine noch unsterblichere Unsterblichkeit als die der Menschen zu besitzen scheint; von nun an durch die göttliche Allwissenheit und Allmacht getragen, kann das in sich gesammelte und freie Individuum kein Bedürfnis nach anderen Menschen mehr haben. Wenn es also noch fortfährt, mit ihnen Beziehungen zu unterhalten, so kann das nur aus zwei Gründen geschehen."""

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Michail Bakunin

Gott und der Staat

(Deutsche Ausgabe)

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-7583-876-6

Inhaltsverzeichnis

Cover
Titelblatt
Text

Wer hat recht, die Idealisten oder die Materialisten? Wenn die Frage einmal so gestellt wird, wird ein Zaudern unmöglich. Ohne jeden Zweifel haben die Idealisten unrecht und nur die Materialisten haben recht. Jawohl, die Tatsachen gehen den Ideen vorher, jawohl, das Ideal ist, wie Proudhon sagte, nur eine Blume, deren Wurzeln die materiellen Existenzbedingungen bilden. Jawohl, die ganze geistige und und moralische, politische und soziale Geschichte der Menschheit ist ein Reflex ihrer wirtschaftlichen Geschichte.

Alle Zweige moderner, gewissenhafter und ernster Wissenschaft wirken zusammen, diese große, diese grundlegende und entscheidende Wahrheit zu verkünden: jawohl, die soziale Welt, die menschliche Welt im eigentlichen Sinne, die Menschheit mit einem Wort ist nichts anderes als die – für uns und unseren Planeten wenigstens – letzte und oberste Entwicklung, der höchste Ausdruck der Animalität. Da aber jede Entwicklung notwendig eine Verneinung einschließt, nämlich die Verneinung ihrer Grundlage oder ihres Ausgangspunktes, ist die Menschheit zugleich und vor allem die bewußte und fortschreitende Verneinung der tierischen Natur in den Menschen, und gerade diese ebenso vernünftige als natürliche Verneinung, die nur vernünftig ist, weil sie natürlich ist, geschichtlich und logisch wie die Entwicklungen und Produkte aller Naturgesetze, gerade diese Verneinung bildet und schafft das Ideal, die Welt der geistigen und moralischen Überzeugungen, die Ideen.

Ja unsere ersten Vorfahren, unsere Adams und Evas waren, wenn nicht Gorillas, doch sehr nahe Verwandte des Gorilla, omnivore, intelligente und wilde Tiere, die in unendlich höherem Grade als alle anderen Tierarten die zwei wertvollen Fähigkeiten besaßen: die Fähigkeit zu Denken und die Fähigkeit, das Bedürfnis, sich zu empören.

Diese beiden Fähigkeiten und ihr fortschreitendes Zusammenwirken im Laufe der Geschichte bilden den bewegenden Faktor, die verneinende Kraft in der positiven Entwicklung der menschlichen Animalität und schaffen folglich alles, was das menschliche in den Menschen ausmacht.

Die Bibel, ein sehr interessantes und manchmal sehr tiefes Buch, wenn man sie als eine der ältesten erhaltenen Äußerungen der menschlichen Weisheit und Phantasie betrachtet, drückt diese Wahrheit sehr naiv in ihrem Mythos der Erbsünde aus. Jehovah, von allen Göttern, die die Menschen je angebetet, gewiß der eifersüchtigste, eitelste, roheste, ungerechteste, blutgierigste, despotischste und menschlicher Würde und Freiheit feindlichste, schuf Adam und Eva aus – man weiß nicht was für einer – Laune heraus, ohne Zweifel, um seine Langeweile zu vertreiben, die bei seiner ewigen egoistischen Einsamkeit schrecklich sein muß, oder um sich neue Sklaven zu schaffen; dann stellte er ihnen edelmütig die ganze Erde mit allen ihren Früchten und Tieren zur Verfügung, wobei er diesem vollständigen Genuß nur eine einzige Grenze setzte. Er verbot ihnen ausdrücklich, die Frucht vom Baume der Erkenntnis zu essen. Er wollte also, daß der Mensch, allen Bewußtseins seiner selbst beraubt, ewig ein Tier bleibe, dem ewigen Gott, seinem Schöpfer und Herren, untertan. Aber da kam Satan, der ewige Rebell, der erste Freidenker und Weltenbefreier. Er bewirkt, daß der Mensch sich seiner tierischen Unwissenheit und Unterwürfigkeit schämt; er befreit ihn und drückt seiner Stirn das Siеgel der Freiheit und Menschlichkeit auf, indem er ihn antreibt, ungehorsam zu sein und die Frucht vom Baume der Erkenntnis zu essen.

Man weiß, was folgte. Der Herrgott, dessen Voraussicht eine seiner göttlichen Eigenschaften, ihm hätte sagen müssen, daß dies so kommen würde, geriet in schreckliche und lächerliche Wut: er verfluchte Satan und die von ihm selbst geschaffenen Menschen und die Welt, sich gewissermaßen selbst in seiner eigenen Schöpfung schlagend, wie dies Kinder im Zorn zu tun pflegen, und sich nicht begnügend, unsere Vorfahren in der Gegenwart zu treffen, verfluchte er sie in allen künftigen Generationen, die an dem Verbrechen ihrer Vorfahren doch unschuldig sind. Unsere katholischen und protestantischen Theologen finden das sehr tief und sehr gerecht, gerade weil es ungeheuer unbillig und unsinnig ist! Dann erinnerte er sich, daß er nicht nur ein Gott der Rache und des Zornes, sondern auch ein Gott der Liebe sei, und nachdem er einige Milliarden armer menschlicher Wesen während ihres Lebens gequält und zu ewiger Höllenqual verdammt hatte, erbarmte er sich der übrigen, und um sie zu retten, um seine ewige und göttliche Liebe mit seinem ewigen und göttlichen, immer opfer- und blutgierigem Zorn zu versöhnen, schickte er als Sühneopfer seinen einzigen Sohn auf die Erde, damit er von den Menschen getötet würde. Dies nennt man das Geheimnis der Erlösung, welches die Grundlage aller christlichen Religionen bildet. Und wenn wenigstens noch der göttliche Retter die Welt der Menschen gerettet hätte! Mitnichten; in dem von Christus versprochenen Paradies wird es, wie man durch ausdrückliche Ankündigung weiß, nur sehr wenige Auserwählte geben. Die übrigen, die ungeheure Mehrheit der gegenwärtigen und künftigen Generationen, werden ewig in der Hölle braten. Inzwischen liefert der stets gerechte, stets gute Gott zu unserem Trost die Erde den Regierungen der Napoleon III. und Wilhelm I., der Ferdinand von Osterreich und der Alexander von Rußland aus.

Das sind die unsinnigen Geschichten und ungeheuerlichen Lehren, die man mitten im neunzehnten Jahrhundert in allen Volksschulen Europas, auf den ausdrücklichen Befehl der Regierungen erzählt und lehrt. Das nennt man die Völker zivilisieren! Liegt es nicht auf der Hand, daß all diese Regierungen die systematischen Vergifter, die eigennützigen Verdummer der Volksmassen sind? Ich ließ mich von meinem Gegenstand abziehen durch den Zorn, der mich stets packt, wenn ich an die elenden und verbrecherischen Mittel denke, durch die man die Völker in ewiger Knechtschaft hält, ohne Zweifel, um sie besser scheren zu können. Was sind die Verbrechen aller Tropmann der Welt, gegen- über diesem Verbrechen beleidigter Menschheit, das täglich am hellen Tag, auf der ganzen Fläche der zivilisierten Erde von denen begangen wird, die sich Schützer und Väter der Völker zu nennen wagen? – Ich kehre zum Mythos von der Erbsünde zurück.

Gott gab Satan recht und erkannte an, daß der Teufel Adam und Eva nicht betrogen hatte, als er ihnen Erkenntnis und Freiheit versprach als Belohnung des Ungehorsams, zu dem er sie verleitete; denn sobald sie von der verbotenen Frucht gegessen hatten, sagte Gott zu sich (siehe die Bibel): „Sieh‘ da, der Mensch ist wie einer von Uns geworden, er kennt das Gute und das Böse; hindern Wir ihn also die Frucht des ewigen Lebens zu essen, damit er nicht unsterblich werde wie Wir.“

Lassen wir jetzt die fabelhafte Seite dieses Mythos beiseite und betrachten wir seinen wirklichen Sinn. Dieser ist sehr klar. Der Mensch hat sich befreit, er hat sich von der tierischen Natur getrennt und sich als Mensch gebildet; er begann seine Geschichte und seine eigentlich menschliche Entwicklung mit einem Akt des Ungehorsams und der Erkenntnis, das heißt mit der Empörung und dem Denken.

*   *   *

Drei Elemente oder drei Grundprinzipien bilden die wesentlichen Bedingungen aller gemeinschaftlichen und persönlichen menschlichen Entwicklung in der Geschichte: 1. die menschliche Animalität; 2. das Denken; 3. die Empörung. Dem ersten entspricht die soziale und private Wirtschaft, dem zweiten die Wissenschaft, dem dritten die Fгeiheit.1

Die Idealisten aller Schulen, die Aristokraten und Bourgeois, Theologen und Metaphysiker, Politiker und Moralisten, Geistlichen, Philosophen und Dichter – nicht zu vergessen die liberalen Ökonomisten, diese zügellosen Anbeter des Ideals, – all diese sind sehr verletzt, wenn man ihnen sagt, daß der Mensch, mit all seiner glänzenden Intelligenz, seinen erhabenen Ideen und grenzenlosen Bestrebungen, wie alles auf der Welt, nichts als Materie, nichts als ein Produkt dieser niedrigen Materie ist.

Wir können ihnen erwidern, daß die Materie, von welcher die Materialisten sprechen, – eine spontane, ewig bewegliche, tätige produktive Materie, chemisch und organisch bestimmt und in Erscheinung tretend, entsprechend den ihr eigenen mechanischen, physischen, tierischen und intelligenten Eigenschaf- ten und Kräften, – nichts mit der niedrigen Materie der Idealisten gemeinsam hat. Letztere, ein Produkt ihrer falschen Abstraktion, ist tatsächlich ein dummes, unbelebtes, unbewegliches, zu allem unfähiges Ding, ein toter Rückstand, eine häßliche Einbildung, jener schönen Einbildung gegenübergestellt, die sie Gott, das höchste Wesen nennen, demgegenüber die Materie, die Materie der Idealisten, von ihnen selbst all dessen beraubt, was ihre wirkliche Natur ausmacht, notwendig das höchste Nichts darstellt. Sie nahmen der Materie die Intelligenz, das Leben, alle bestimmenden Eigenschaften, tätigen Beziehungen oder Kräfte, selbst die Bewegung, ohne welche die Materie nicht einmal Gewicht hätte, und ließen ihr nur die Undurchdringlichkeit und die unbedingte Bewegungslosigkeit im Raum; sie legten all diese Kräfte, Eigenschaften und natürlichen Äußerungen dem von ihrer abstrahierenden Phantasie geschaffenen eingebildeten Wesen bei; dann nannten sie, mit Vertauschen der Rollen, dieses Produkt ihrer Einbildung, dieses Phantom, diesen Gott, der das Nichts ist: „das höchste Wesen“, und erklärten mit notwendiger Konsequenz, daß das wirkliche Wesen, die Materie, die Welt, das Nichts sei. Und dann sagen sie uns mit ernster Miene, daß diese Materie unfähig sei, etwas hervorzubringen, nicht einmal sich von selbst in Bewegung zu setzen, und daß sie folglich von ihrem Gott erschaffen sein müsse.

In dem Anhang am Ende dieses Buches decke ich die wahrhaft empörenden Unsinnigkeiten auf, zu denen man unvermeidlich geführt wird durch die Einbildung eines Gottes, sei es eines persönlichen, der Welten schafft und organisiert, sei es selbst eines unpersönlichen, der als eine Art im ganzen Weltall verbreitete göttliche Seele angesehen wird, die das ewige Prinzip des Weltalls bilden würde, sei es einer unendlichen und göttlichen Idee, die immer anwesend und tätig ist und sich stets in der Gesamtheit der materiellen und endlichen Wesen äußert. Ich will mich hier auf die Hervorhebung eines einzigen Punktes beschränken.

Die allmähliche Entwicklung der materiellen Welt ist vollkommen faßbar, ebenso wie die des organischen und tierischen Lebens und die der im Laufe der Geschichte fortschreitenden, individuellen und sozialen Intelligenz des Menschen auf dieser Welt. Sie ist eine ganz natürliche Bewegung vom Einfachen zum Zusammengesetzten, von unten nach oben oder von dem Niedrigeren zu dem Höheren, eine all unseren täglichen Erfahrungen und daher auch unserer natürlichen Logik, den Gesetzen unseres Geistes entsprechende Bewegung, dieser nur auf Grund dieser selben Erfahrungen entstehenden und sich entwickelnden Logik, die sozusagen nur deren Wiedergabe oder bewußte Zusammen- fassung im Gehirn ist.

Das System der Idealisten bietet uns das gerade Gegenteil. Es stürzt alle menschlichen Erfahrungen und den allgemeinen gesunden Menschenverstand absolut um, der doch die wesentliche Bedingung allen Vеrständnisses unter den Menschen ist, der von der so einfachen und einstimmigen Wahrheit, daß zweimal zwei vier ist, sich bis zu den erhabensten und kompliziertesten wissenschaftlichen Betrachtungen erhebt, ohne je etwas durch Erfahrungen oder Betrachtungen der Dinge nicht streng Bestätigtes zuzugeben, und so die einzige ernstliche Grundlage menschlicher Kenntnisse bildet.

Statt dem natürlichen Weg von unten nach oben zu folgen, vom Niedrigen zum Höheren, vom relativ Einfachen zum Zusammengesetzten, statt klug und verständig die tatsächliche fortschreitende Bewegung von der anorganisch genannten Welt zur organischen, zur Pflanzen-, dann Tier-, dann speziell menschlichen Welt zu begleiten und die Bewegung der chemischen Materie oder des chemischen Wesens zur lebenden Materie oder dem lebenden Wesen und von lebenden zum denkenden Wesen, statt dessen schlagen die idealistischen Denker, von dem von der Theologie ererbten göttlichen Phantom besessen, verblendet und angetrieben, den ganz entgegengesetzten Weg ein. Sei gehen von oben nach unten, vom Höheren zum Niedrigeren, vom Zusammengesetzten zum Einfachen. Sie beginnen mit Gott, sei es als Person, sei es als göttliche Substanz oder Idee, und ihr erster Schritt ist ein schrecklicher Fall von den erhabenen Höhen des ewigen Ideals in den Schlamm der materiellen Welt, von der absoluten Vollkommenheit zur absoluten Unvollkommenheit, von dem Gedanken vom Wesen, oder viel mehr vom höchsten Wesen zum Nichts. Wann, wie und warum das göttliche, ewige, unendliche Wesen, das absolut Vollkommene, wahrscheinlich von sich selbst gelangweilt, sich zu diesem verzweifelten salto mortale entschloß, das hat kein Idealist, Theologe, Metaphysiker oder Dichter je selbst zu verstehen gewußt, noch es den Ungläubigen erklären können. Alle vergangenen und gegenwärtigen Religionen und alle übersinnlichen philosophischen Systeme drehen sich um dieses einzige und frevelhafte Geheimnis. 2 Heilige Männer, erleuchtete Gesetzgeber, Propheten und Erlöser suchten darin das Leben und fanden darin nur Folter und Tod. Es verzehrte sie, wie die antike Sphinx, weil sie es nicht zu erklären wußten. Große Philosophen, von Heraklit und Plato bis Descartes, Spinoza, Leibniz, Kant, Fichte, Schelling und Hegel, ohne der indischen Philosophen zu gedenken, schrieben Haufen von Büchern und schufen ebenso scharfsinnige wie erhabene Systeme, in denen sie nebenbei viele große und schöne Dinge sagten und unsterbliche Wahrheiten entdeckten, die aber dieses Geheimnis, den Hauptgegenstand ihrer übersinnlichen Forschungen, ebenso unergründet ließen, wie es vor ihnen gewesen war. Da aber die gigantischen Anstrengungen der bewunderungswürdigsten Genies, welche die Welt kennt, die seit wenigsten dreißig Jahrhunderten immer von neuem diese Sisyphusarbeit unternahmen, nur dazu führten, dieses Geheimnis noch unverständlicher zu machen, können wir da hoffen, daß es uns heute durch die handwerksmäßige Spekulation irgendeines pedantischen Schülers einer künstlich aufgewärmten Metaphysik enthüllt werde und das zu einer Zeit, in der alle lebendigen und ernsten Geister sich von dieser zweifelhaften Wissenschaft abgewendet haben, die das Ergebnis eines geschichtlich gewiß erklärlichen Vergleichs zwischen der Unvernunft des Glaubens und der gesunden wissenschaftlichen Vernunft ist?

Es ist augenscheinlich, daß dieses schreckliche Geheimnis unerklärbar ist, daß es unsinnig ist, weil das Unsinnige allein sich nicht erklären läßt. Es ist augenscheinlich, daß, wer dasselbe zu seinem Glück, zu seinem Leben braucht, auf seine Vernunft verzichten und, wenn er kann, zum naiven, dummen Glauben zurückkehrend, mit Tertullian und allen aufrichtig Gläubigen die Worte wiederholen muß, welche die wahre Quintessenz der Theologie enthalten: credo quia absurdum. 3 Dann hört jede Erörterung auf und es bleibt nur die triumphierende Dummheit des Glaubens. Aber eine andere Frage erhebt sich dann sofort: Wie kann in einem intelligenten und unterrichteten Menschen das Bedürfnis entstehen, an dieses Geheimnis zu glauben?

*   *   *

Nichts ist natürlicher, als daß der Glaube an Gott, den Schöpfer, Organisator, Richter, Herren, Verflucher, Retter und Wohltäter der Welt sich im Volk erhalten hat, und zwar vor allem bei der Landbevölkerung, viel mehr als beim städtischen Proletariat. Das Volk ist leider noch sehr unwissend und wird in seiner Unwissenheit erhalten durch die systematischen Anstrengungen aller Regierungen, welche diese Unwissenheit – sehr begründeter Weise – für eine der wichtigsten Bedingungen ihrer eigenen Macht halten. Von der täglichen Arbeit erdrückt, der Muße, des geistigen Verkehrs, der Lektüre, kurz aller Mittel und der meisten Antriebe beraubt, welche das menschliche Denken entwickelt, nimmt das Volk meist ohne Kritik und in Bausch und Bogen die religiösen Traditionen an, die es von frühester Kindheit an in allen Lebensverhältnissen umgeben und die von einer Menge offizieller Vergifter allerart, Priestern und Laien, künstlich in ihm am Leben erhalten werden, wodurch sie sich in ihm in einer Art geistiger und moralischer Gewohnheit verwandeln, die nur zu oft viel mächtiger ist, als ein natürlicher gesunder Menschenverstand.

Noch eine andere Ursache erklärt und rechtfertigt in gewissem Grade den unsinnigen Glauben des Volkes. Dies ist die elende Lage, zu der es durch die bestehende Gesellschaftsordnung in den zivilisierten Ländern Europas unabänderlich verurteilt ist. In geistiger und moralischer, wie in materieller Hinsicht auf ein Minimum menschlicher Existenz eingeschränkt, in seiner Lebensweise eingesperrt wie ein Gefangener in den Kerker, ohne Ausblick, ohne Ausweg, sogar ohne Zukunft, wenn man den Okonomisten glauben will, müßte das Volk die merkwürdig enge Seele und den niedrigen Instinkt der Bourgeois haben, wenn es nicht das Bedürfnis empfinden würde, aus diesen Verhältnissen herauszukommen; dazu gibt es nur drei Mittel, zwei phantastische und ein Wirkliches. Die beiden ersteren sind das Wirtshaus und die Kirche, körperliche und geistige Ausschweifung; das dritte ist die soziale Revolution. Ich schließe daraus, daß letztere allein, viel mehr wenigstens als alle theoretische Propaganda der Freidenker, imstande sein wird, den religiösen Glauben und die Ausschweifungsgewohnheiten im Volk bis zu ihren letzten Spuren zu zerstören, einen Glauben und Gewohnheiten, die viel enger miteinander verknüpft sind, als man gemeinhin glaubt; durch Ersatz der gleichzeitig trügerischen und niedrigen Genüsse dieser körperlichen und geistigen Zügellosigkeit durch die ebenso feinen wie wirklichen Genüsse der in jedem und in allen sich vollständig entwickelnden Menschheit, wird die soziale Revolution allein die Macht haben, gleichzeitig alle Wirtshäuser und alle Kirchen zu schließen.

Bis dahin wird die Masse des Volkes glauben und wird dabei, wenn auch nicht die Vernunft, so doch wenigstens das Recht, dies zu tun, auf seiner Seite haben.

Es gibt eine Menschenklasse, die, wenn sie auch nicht selbst glauben, sich doch wenigstens gläubig stellen müssen. Das sind Folterer, Unterdrücker und Ausbeuter der Menschheit. Geistliche, Monarchen, Staatsmänner, Krieger, öffentliche und private Finanziers, Beamte aller Art, Polizisten, Gendarmen, Kerkermeister und Henker, Monopolisten, Kapitalisten, Steuereintreiber, Unternehmer und Hausbesitzer, Advokaten, Qkonomisten, Politiker aller Farben, bis zum letzten Philister, alle wiederholen einstimmig die Worte Voltaires:

Wenn es keinen Gott gäbe, müßte man einen erfinden. Denn, ihr versteht, das Volk braucht eine Religion. Sie ist das Sicherheitsventil.

Es gibt endlich eine ziemlich zahlreiche Klasse ehrlicher, aber schwacher Seelen, die zu intelligent sind, um die christlichen Dogmen ernst zu nehmen und sie im einzelnen verwerfen, aber nicht die nötige Kraft und Entschlossenheit haben, sie als Ganzes zu verwerfen. Sie geben alle speziellen Unsinnigkeiten der Religion der Kritik preis, sie weisen alle Wunder zurück, aber sie klammern sich verzweifelt an den Hauptunsinn, der die Quelle aller anderen ist, an das Wunder, das alle anderen Wunder erklärt und rechtfertigt, an das Dasein Gottes. Ihr Gott ist nicht das starke und mächtige Wesen, der brutal positive Gott der Theologie. Er ist ein nebelhaftes durchsichtiges und trügerisches Wesen, so trügerisch, daß, wenn man ihn zu packen glaubt, er sich in das Nichts verwandelt; er ist eine Spiegelung, ein Irrlicht, das weder wärmt noch erhellt. Und doch halten sie an ihm fest und glauben, daß mit seinem Verschwinden alles mit ihm verschwinden würde. Das sind unentschlossene krankhafte Seelen, die sich in der heutigen Kultur nicht zurechtfinden, die weder der Gegenwart noch der Zukunft angehören, blasse Phantome, die ewig zwischen Himmel und Erde hängen und die sich in derselben Stellung zwischen der Bourgeoispolitik und dem Sozialismus des Proletariats befinden. Sie fühlen sich nicht stark genug, einen Gedanken bis zu Ende zu denken, zu wollen und sich zu entschließen, und sie verlieren ihre Zeit und Mühe damit, immer das Unversöhnliche versöhnen zu wollen. Im öffentlichen Leben nennt man sie Bourgeoissozialisten.

Eine Diskussion ist weder mit ihnen, noch gegen sie möglich. Sie sind zu krank.

Es gibt aber eine kleine Zahl ausgezeichneter Männer, von denen niemand ohne Achtung zu sprechen wagt und deren kräftige Gesundheit, Geistesstärke und guten Glauben niemand zu bezweifeln sich träumen läßt. Es genügt, Mazzini, Michelet, Quinet, Lohn Stuart Mill 4 zu nennen. Sie alle sind edle und starke Seelen, große Herzen , große Geister, große Schriftsteller, besonders was Mazzini, den heldenhaften und revolutionären Wiedererwecker einer großen Nation betrifft; sie alle sind Vertreter des Idealismus und Verächter, leidenschaftliche Gegner des Materialismus, folglich auch des Sozialismus, in der Philosophie wie in der Politik.

Gegen sie also muß dies Frage erörtert werden.

Stellen wir zunächst fest, daß keiner der erwähnten ausgezeichneten Männer und kein anderer halbwegs bedeutender idealistischer Denker unserer Zeit sich mit der logischen Seite dieser Frage im engeren Sinn beschäftigt hat. Keiner versuchte, philosophisch die Möglichkeit des göttlichen salto mortale von den ewigen und reinen Regionen des Geistes in den Schlamm der materiellen Welt zu lösen. Fürchteten sie, an diesen unlösbaren Widerspruch heranzugehen, verzweifelten sie an seiner Lösung, nachdem dieselbe den größten Genies der Geschichte fehlgeschlagen, oder betrachteten sie ihn schon als hinreichend gelöst? Das ist das Geheimnis. Tatsache ist, daß sie die theoretische Darlegung, der Existenz eines Gottes beiseite ließen und nur ihre praktischen Gründe und Folgerungen entwickelten. Sie alle sprachen davon wie von einer allgemein angenommenen Tatsache, die als solche keinem Zweifel mehr unterliegen kann, und beschränkten sich – an Stelle jedes Beweises – das Alter und die Allgemeinheit des Glaubens an Gott festzustellen.

Diese eindrucksvolle Einstimmigkeit gilt in den Augen vieler ausgezeichneter Männer und Autoren so, um nur die berühmtesten zu nennen, nach der beredt ausgedrückten Meinung Joseph de Maistres und der des großen italienischen Patrioten Giuseppe Mazzini, mehr als alle Nachweise der Wissenschaft. Wenn die Logik einer kleinen Zahl konsequenter und sogar sehr großer, aber alleinstehender Denker zu einem gegenteiligen Ergebnis führt, so sagen sie, dies sei umso schlimmer für diese Denker und ihre Logik, denn die allgemeine Zustimmung zu einer Idee, ihre allgemeine Annahme von altersher wurden immer als siegreichster Beweis für eine Wahrheit betrachtet. Das Gefühl der ganzen Welt, eine überall und immer auftretende und sich behauptende Überzeugung könnten nicht fehlgehen. Sie müßten ihre Wurzeln in einer im Wesen des Menschen selbst liegenden Notwendigkeit haben. Und da festgestellt wurde, daß alle Völker der Vergangenheit und Gegenwart an das Dasein Gottes glaubten und noch glauben, ist klar, daß die, die so unglücklich sind, daran zu zweifeln, trotz aller Logik, die sie zu diesem Zweifel brachte, abnormale Ausnahmen, Monströsitäten sind.

Das Alter und die Allgemeinheit eines Glaubens also soll, gegen alle Wissenschaft und Logik, ein hinreichender und unwiderleglicher Beweis für seine Richtigkeit sein. Warum dies?

Bis zum Jahrhundert von Kopernikus und Galilei glaubte alle Welt, die Sonne drehe sich um die Erde. Hat sich nicht alle Welt geirrt? Was ist älter und allgemeiner als die Sklaverei? Die Menschenfresserei vielleicht. Seit Beginn der geschichtlichen Gesellschaft bis heute gab es immer und überall Ausbeutung der erzwungenen Arbeit der Massen, von Sklaven, Leibeigenen oder Lohnarbeitern durch eine herrschende Minderheit, Unterdrückung der Völker durch Kirche und Staat. Man muß daraus schließen, daß diese Ausbeutung und Unterdrückung der menschlichen Gesellschaft absolut verbundene Notwendigkeit sind? Diese Beispiele zeigen, daß das Beweismittel der Verteidiger des Herrgotts nichts beweist.

Nichts ist tatsächlich so allgemein und so alt, als das Unrechte und Unsinnige; Wahrheit und Gerechtigkeit dagegen sind in der Entwicklung der menschlichen Gesellschaften am wenigsten allgemein verbreitet und am jüngsten. Dies erklärt auch die ständige historische Erscheinung unerhörter Verfolgungen, deren Gegenstand ihre ersten Verkünder seitens der offiziellen, patentierten und interessierten Vertreter der ‚allgemeinen‘ und ‚alten‘ Glaubensdogmen stets waren und noch sind, oft auch seitens derselben Volksmassen, die nachdem sie die ersten Verkünder gehörig gemartert, stets deren Ideen schließlich annehmen und zum Sieg führen.

Uns Materialisten und revolutionären Sozialisten erstaunt und erschreckt diese geschichtliche Erscheinung in keiner Weise. Gestützt auf unser Gewissen, auf unsere Liebe zur Wahrheit um jeden Preis, auf die Leidenschaft für die Logik, die an sich alleine eine große Macht bildet, und außerhalb welcher es kein Denken gibt; gestützt auf unsere Leidenschaft für die Gerechtigkeit und unseren unerschütterlichen Glauben an den Sieg der Menschlichkeit über alle theoretischen und praktischen Bestialitäten; gestützt endlich auf das gegenseitige Vertrauen und die Hilfe, die die kleine Zahl unserer Gleichgesinnten einander geben, nehmen wir alle Folgen dieser geschichtlichen Erscheinung auf uns, da wir in ihr die Äußerung eines sozialen Gesetzes sehen, das ebenso natürlich, notwendig und unabänderlich ist, wie alle anderen, die Welt lenkenden Gesetze. Dieses Gesetz ist eine logische und unvermeidliche Folge des tierischen Ursprungs der menschlichen Gesellschaft; es ist aber, angesichts aller wissenschaftlichen, physiologischen, psychologischen und historischen Beweise, die sich in unserer Zeit angehäuft haben und angesichts einer so glänzenden Darlegung durch die Taten der Deutschen als Eroberer Frankreichs, wirklich nicht möglich, an diesem Ursprung zu zweifeln. Wenn man aber diesen tierischen Ursprung des Menschen annimmt, erklärt sich alles. Die Geschichte erscheint uns dann als revolutionäre Verneinung der Vergangenheit, bald langsam, stumpfsinnig und verschlafen, bald leidenschaftlich und mächtig. Sie besteht in der fortschreitenden Verneinung der ursprünglichen tierischen Natur des Menschen durch die Entwicklung seiner Menschlichkeit. Der Mensch, ein wildes Tier, ein Verwandter des Gorilla, ging von der tiefen Nacht des tierischen Instinkts aus, um zum Licht des Geistes zu gelangen, was all seine vergangenen Verwirrungen ganz natürlich erklärt und uns zum Teil über seine gegenwärtigen Irrtümer tröstet. Von der tierischen Sklaverei ausgehend, durchschritt er die göttliche Sklaverei, einen Zwischenzustand zwischen seiner Tierheit und Menschlichkeit, und heute schreitet er zur Eroberung und Verwirklichung seiner menschlichen Freiheit.

Daraus folgt, daß das Alter eines Glaubens, einer Idee, weit entfernt, etwas zu deren Gunsten zu beweisen, sie uns im Gegenteil verdächtig erscheinen lassen muß. Denn hinter uns liegt unsere Tierheit, vor uns unsere Menschlichkeit, und das menschliche Licht, das einzige, das uns erwärmen und erleuchten kann, das einzige, das uns befreien, uns würdig, frei und glücklich machen und die Brüderlichkeit unter uns verwirklichen kann – dieses Licht leuchtet nie am Anfang, sondern, je nach der Zeit, in der man lebt, stets am Ende der Geschichte. Schauen wir also nie rückwärts, schauen wir immer vorwärts, denn vor uns ist unsere Sonne und unser Heil, und wenn es erlaubt, ja sogar nützlich und notwendig ist, zurückzuschauen, um unsere Vergangenheit zu studieren, dann geschieht dies nur, um festzustellen, was wir glaubten und dachten und was wir nicht mehr glauben und denken dürfen, was wir getan und was wir niemals wieder tun dürfen.

Soweit über das Alter. Was die Allgemeinheit eines Irrtums betrifft, so beweist dieselbe nur eines: die Ahnlichkeit, wenn nicht die völlige Gleichheit der menschlichen Natur in allen Zeiten und Zonen. Und da feststeht, daß alle Völker, zu allen Zeiten ihrer Geschichte an Gott glaubten und noch glauben, müssen wir daraus einfach schließen, daß die aus uns selbst hervorgegangene Gottesidee ein in der Entwicklung der Menschheit geschichtlich notwendiger Irrtum ist, und uns fragen, warum und wie sie entstand und warum die ungeheure Mehrheit der Menschheit sie noch heute als wahr annimmt.

Solange wir uns nicht erklären können, wie die Idee einer übernatürlichen oder göttlichen Welt in der geschichtlichen Entwicklung des menschlichen Bewußtseins entstand und notwendigerweise entstehen mußte, so lange mögen wir wohl wissenschaftlich von der Sinnlosigkeit dieser Idee überzeugt sein, wir werden sie aber in der Meinung der Mehrheit nie zerstören können. Denn wir wären nie imstande, sie in denselben Tiefen des menschlichen Wesens zu zerstören, in denen sie entstand und zu einem unfruchtbaren, aussichts- und endlosen Kampf verurteilt, müßten wir uns immer begnügen, sie nur an der Oberfläche zu bekämpfen, in ihren zahllosen Äußerungen, deren kaum vom gesunden Menschenverstand erkannte Sinnlosigkeit sofort in neuer und nicht weniger sinnloser Form wieder entstehen würde. Solange die Wurzel aller die Welt marternden Sinnlosigkeiten, der Glaube an Gott, unberührt bleibt, wird sie stets neue Früchte zeitigen. So beginnt in unseren Tagen, in gewissen Kreisen der höchsten Gesellschaft, der Spiritismus sich auf den Ruinen des Christentums festzusetzen.

Nicht nur im Interesse der Massen, auch im Interesse der Gesundheit unseres eigenen Geistes müssen wir uns bemühen, das geschichtliche Werden der Gottesidee, die Reihe der Ursachen, welche diese Idee im Bewußtsein der Menschen erzeugten und entwickelten, zu begreifen. Wenn wir uns auch Atheisten nennen und für solche halten, solange wir diese Ursachen nicht verstanden haben, werden wir uns stets mehr oder weniger von dem Lärm dieses allgemeinen Gewissens beherrschen lassen, dessen Geheimnis wir nicht herausgefunden ha ben, und bei der natürlichen Schwäche selbst des Stärksten gegenüber dem allmächtigen Einfluß des sozialen Milieus, das ihn umgibt, riskieren wir stets früher oder später, auf die eine oder andere Art, in den Abgrund der religiösen Sinnlosigkeit zurückzufallen. Beispiele solcher schmachvoller Bekehrungen sind in der heutigen Gesellschaft häufig.

*   *   *

Ich führte den Hauptgrund der noch heute von dem religiösem Glauben auf die Massen ausgeübten Macht an. Diese mystischen Neigungen bezeichnen bei den Massen nicht so sehr eine Verirrung des Geistes, als tiefe innere Unzufriedenheit. Sie sind der instinktive und leidenschaftliche Aufschrei des menschlichen Wesens gegen die Enge, die Flachheit, die Schmerzen und die Schande des erbärmlichen Lebens. Gegen diese Krankheit, sagte ich, gibt es nur ein einziges Mittel: die soziale Revolution.

Im Anhang suchte ich die Ursachen der Entstehung der religiösen Hirngespinste im Menschenbewußtsein auseinanderzusetzen. Hier will ich die Frage der Existenz eines Gottes oder eines göttlichen Ursprungs der Welt und des Menschen nur vom Standpunkt ihrer moralischen und sozialen Nützlichkeit behandeln und über die theoretische Ursache dieses Glaubens nur wenige Worte sagen, um meine Gedanken besser klarzumachen.

Alle Religionen, mit ihren Göttern, Halbgöttern, Propheten, Erlösern und Heiligen wurden von der leichtgläubigen Phantasie von Menschen geschaffen, die noch nicht zur vollen Entwicklung und zu Vollbesitz ihrer geistigen Fähigkeiten gelangt waren; der Himmel der Religion ist also nichts als eine Lichtspiegelung, in der der Mensch, von Unwissenheit und Glauben überspannt, sein eigenes Bild wiedersieht, aber vergrößert und verkehrt, d.h. vergöttlicht. Die Geschichte der Religionen, die des Ursprungs, der Größe und des Verfalls der Götter, wie sie im menschlichen Glauben aufeinander folgten, ist also nichts als die Entwicklung der Intelligenz und des kollektiven Bewußtseins der Menschen. Je nachdem sie auf ihrem geschichtlichen Vormarsch in sich selbst oder in der äußeren Natur eine Kraft, eine Fähigkeit oder selbst einen großen Fehler fanden, übertrugen sie dieselben durch einen Akt ihrer religiösen Phantasie auf ihre Götter, übertrieben, ins maßlose ausgedehnt, wie Kinder zu tun pflegen. Dank dieser Bescheidenheit und frommen Großmütigkeit der gläubigen und leichtgläubigen Menschen bereicherte sich der Himmel durch das, was der Erde geraubt wurde, und konsequenter Weise wurden die Menschheit, die Erde desto elender, je reicher der Himmel wurde. Sobald einmal die Gottheit eingesetzt war, wurde sie natürlich als Grund, Ursache, Schiedsrichter und absoluter Verfüger über alle Dinge proklamiert: die Welt war nichts mehr, die Gottheit alles, und der Mensch, ihr wahrer Schöpfer, der sie ohne sein Wissen aus dem Nichts herausgezogen, beugte sein Knie vor ihr, betete sie an und erklärte sich als ihr Geschöpf und ihr Sklave.

Das Christentum ist gerade die Religion par excellence, weil es in seiner Ganzheit die Natur, das eigentliche Wesen jedes religiösen Systems ausdrückt und äußert, nämlich die Verarmung, die Versklavung und die Vernichtung der Menschheit zum Vorteil der Gottheit.