Götterglaube - Kristina Licht - E-Book
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Götterglaube E-Book

Kristina Licht

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Beschreibung

Wer willst du sein, wenn deine Freunde sich zu Feinden wandeln? Was willst du tun, wenn die Rettung der Welt in deine Hände gelegt wird? Kiara Golding weiß nicht mehr, wem sie trauen kann. Nach der Nacht, in der sie die Wirklichkeit gesehen hat, flieht sie in den Wald. Flieht vor Falk, einem Mann, von dem sie gar nicht mehr weiß, wer er in Wahrheit ist. Und vor Ewan, dem Mann, den sie begehrt, für den sie jedoch nichts weiter als eine Lebensversicherung ist. Wie tief ist sie wirklich in den Kampf zwischen Verdammten und Gesandten verstrickt? Und wie verhindert man eine Apokalypse?

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Inhaltsverzeichnis

Musik

Apokalypse

Was zuletzt geschah

Götterglaube - Teil 3

gone too far

verstärkung

der schmetterling zwischen den motten

wanderhure

hinter feindlichen grenzen

neue und alte verbündete

katz und maus

wer nicht reden will, muss fühlen

plan no. 1

unwetterwarnung

falk

feinde des himmels

geständnisse am krankenbett

die briefe des gejagten

wenn alles schläft

im schweiße seines angesichts

Himmelszorn - Teil 4

pyjamaparty on the rocks

setz die playlist auf repeat

wenn zwei seelen verschmelzen

sein letztes geheimnis

das raum-zeit-kontinuum

verlorene kinder gottes

wer suchet, der findet

was vergangen ist

vernissage

eine letzte nacht mit dir

das rauschen meines blutes

das ende der welt

damit du die wahrheit kennst

ein letztes mal auf anfang

epilog

Danksagung

Die Autorin

Weitere Werke der Autorin

GedankenReich Verlag

Denise Reichow

Neumarkstraße 3144359 Dortmund

www.gedankenreich-verlag.de

Götterglaube – Jenseits des Kreises (Band 2)

1.Auflage, Mai 2020

Text © Kristina Licht

Cover & Umschlaggestaltung: Kristina Licht

Umschlagmotive © 123rf

Lektorat: Marie Weißdorn

Satz & Layout: Kristina Licht

Innengrafiken © 123rf

eBook: Grit Bomhauer

ISBN 978-3-947147-54-0

© GedankenReich Verlag, 2020

Alle Rechte vorbehalten.

Musik:

Secrets – OneRepublic

Iris – Go Go Dolls

Let me go (Rock Version) – 3 Doors Down

How to safe a life – The Fray

Speeding Cars – Walking on Cars

Rise – Katy Perry

Tomorrow We Fight – Tommee Profitt, SVRCINA

Hero – Tommee Profitt, Mike Mains

Apokalypse griechisch:ἀποκάλυψις»Enthüllung«

Verfluchte Seelen, Verdammte: Seelen, die aus dem System gefallen sind, indem sie ihren Kreis verlassen haben. Sie sind nicht länger sterblich, altern nicht und produzieren kein eigenes Blut mehr. Sie werden von den Gesandten des Himmels gejagt und vernichtet.

Kreis, Plural Kreise: Das Gefängnis der menschlichen Seelen. Gott verbannte sie in eine ewige Zeitschleife: Nach dem Tod eines Menschen lebt er sein Leben noch einmal. Immer wieder dasselbe Leben, es unterscheidet sich nur in unwichtigen Nuancen.

Blutverbündete, Blutsverbundene, umgangssprachlich Blutshure: Ein Mensch, der durch sein Blut mit einem Verfluchten verbunden ist. Diese Verbindung schützt den Verfluchten vor himmlischen Waffen. Stirbt der Blutverbündete, wird der Verfluchte sterblich.

Der Blutverbündete besitzt die Macht, den mit ihm Verbundenen auch ohne eine himmlische Klinge zu töten.

Himmlische Waffe, auch Engelsschwert: Eine Klinge, aus einem Material geschmiedet, welches in der Menschenwelt nicht existiert. Diese Waffen wurden zum alleinigen Zweck geschaffen, Verdammte zu vernichten. Sie löschen ihre Seelen aus.

Rei: Götterwelt, die Wirklichkeit.

- Auszug aus dem Glossar des

Schwarzen Buchs der Verfluchten -

Was zuletzt geschah:

»Sie bewachen mich, doch meine Träume können sie nicht kontrollieren.«

»Sag mir, was ich tun kann, um wieder bei dir zu sein«, wollte Ewan wissen. Er sah sie häufiger in seinen Träumen, doch heute stand er ihr zum ersten Mal persönlich gegenüber. Von Angesicht zu Angesicht. Es war, als wäre seine Seele wirklich hier, an diesem verlassenen Ort im Herzstück des Himmels. Er bräuchte nur die Hand auszustrecken, um Elaia zu berühren. Und doch zögerte er.

Die Göttin schüttelte den Kopf. »Du erinnerst dich also … Fühlst du es noch?«

Die Frage ließ Ewan stocken. Er wollte sie nicht anlügen. Theoretisch wussten sie es beide bereits. Die Gesandten hatten es ihnen gesagt und sie hatten Recht behalten: seit dem Moment, in dem Elaia die Erde verlassen hatte, entsprachen Ewans Gefühle für sie nur noch einer blassen Erinnerung.

Aber solange er sich erinnerte, würde er nicht aufhören, daran zu glauben.

Sie nickte wissend. Er musste es nicht aussprechen. »Hör zu, Ewan. Ich kann dir gegen die Gesandten nicht helfen. Mir sind die Hände gebunden, weil sich im Rei herumgesprochen hat, dass du himmlische Hilfe bekommst. Die Gesandten können deine Spur nicht aufnehmen, sie ist verschwommen. Du bist unsichtbar für sie.«

»Was? Aber wie kann das sein?«

»Ich bin es nicht. Du hast jemand anderen aus dem Himmel, der dir hilft.« Ihr Blick ließ ihn los und glitt stattdessen nach hinten zu Kiara, die mit verschränkten Armen vor dem Seelenteppich stand und ihn mit einer Mischung aus Skepsis und Faszination musterte. »Wieso ist sie hier?«, fragte die Göttin. Sie hatte Ewan diesen Ort einst gezeigt. Vermutlich gefiel es ihr nicht, dass er nun eine andere Seele hierherbrachte. Einen Menschen.

»Sie … sie ist mit mir verbunden. Ich wollte, dass sie versteht, was vor sich geht.«

»Du hast ihr Blut getrunken«, schlussfolgerte Elaia nüchtern.

Ewan sah in ihren Augen, dass sie diese Tatsache nicht erfreute, auch wenn sie keine Miene verzog.

»Es ist nicht so, wie du denkst. Ich wollte sie büßen lassen. Ich wollte ihr Leben zerstören, dafür, dass ich dich verloren habe …«

»Und das hast du auch getan. Ihr Leben zerstört.« Elaias Blick landete wieder auf ihm. »Das mit uns ist vorbei. Vergiss deine Rachepläne.«

»Aber –«

»Vergiss sie, Ewan!« Sie sah ihn flehend an. »Du musst überleben, das ist das Einzige, was zählt.«

Ein plötzliches »Nein!« unterbrach ihr Gespräch. Schockiert von der neuen Stimme drehte Ewan sich um und sah niemand Geringeren als Falk, der mit ihnen im Raum stand, als hätte Ewan ihn mit in die Wirklichkeit genommen. Den Milchbuben, der ein so schönes Druckmittel für Kiara abgegeben hatte.

»Was tust du hier?«, grollte er, während ihm die Antwort bereits dämmerte. Es gab schließlich nur eine einzige Erklärung für sein Erscheinen an diesem Ort. Nur eine einzige logische Schlussfolgerung:

Falk war kein Mensch. Er hatte sie die ganze Zeit hinters Licht geführt.

1. gone too far

Warum darf Gott über das Schicksal einer jeden Seele entscheiden?

Warum dürfen die Menschen nicht wissen, dass es den freien Willen nicht gibt?

- aus dem Schwarzen Buch der Verfluchten -

Jeder träumt in seinem Leben von einem Abenteuer, das er nicht vergisst. Ein Abenteuer, bei dem wir uns lebendiger fühlen als je zuvor, das die Schatten der Vergangenheit verdrängt. Eine Erinnerung an eine Zeit, die uns auch in der Zukunft, wenn es gerade mal nicht so rosig läuft, aufatmen lässt, die uns Gerüche, Gefühle und Bilder zurückschenkt, in die wir jederzeit wieder eintauchen können.

Ich war als Teenager oft vor meinem Leben geflohen, um mich in Abenteuer zu stürzen. Denn in diesen adrenalingeladenen, einzigartigen Momenten fühlte ich mich lebendiger als in meinem tristen Alltag, der von Leid geprägt war. Von Verlust. Von Leere.

Keines meiner damaligen Abenteuer ließ sich mit dem jetzigen vergleichen. An Ewans Seite hatte ich mich so lebendig gefühlt wie seit Jahren nicht mehr und das, obwohl ich dem Tod näher war als jemals zuvor. Ewan war gleichzusetzen mit Lebensgefahr. Trotzdem klammerte ich mich an seine Gegenwart, weil ich gar nicht anders konnte. Mein Herz schlug schneller, wenn ich bei ihm war. Und dann manchmal wiederum blieb es fast stehen. Doch das Wichtigste war: Ich hatte mich auf dieser Reise frei gefühlt, obwohl ich im Grunde nicht viel mehr als eine Gefangene war.

Jetzt kannte ich auch den Grund für meine widersprüchlichen Gefühle; warum ich mich früher immer eingesperrt gefühlt hatte, eingeengt von meinem eigenen Sein, unfähig, die richtigen Entscheidungen zu treffen, ständig mit dem Gefühl, an meinem Leben nichts verändern zu können. Als hätte ich es tief im Inneren schon immer gewusst: Menschliche Seelen waren in einem Kreislauf gefangen, den sie immer und immer wieder durchlebten. Dasselbe Leben hundertmal. Millionenmal. Ohne je etwas davon zu merken. Doch nun war etwas anders. Ewan hatte mich aus meinem Kreislauf gerissen. Ich war frei, traf Entscheidungen, die ich nie zuvor getroffen hatte, beschritt Wege, die meine Seele noch nie passiert hatte, fühlte Dinge, die ich nie hätte fühlen sollen.

Ich wusste, was es bedeutete, dass Ewan mich aus meinem Kreislauf gerissen hatte. Er hatte sich wie ein Fremdkörper darin eingenistet und alles zerstört. Er tat Dinge, die er nicht hätte tun dürfen. Führte mich in eine Welt, von der ich nie hätte erfahren sollen. Das bedeutete für mich, dass ich nach meinem Tod ebenfalls von den Göttern verdammt werden würde. Dazu verdammt, meinen Platz im System für immer zu verlieren, eine Ewigkeit zu existieren, für immer auf der Flucht. Auf ewig im Verborgenen.

Als mir das in dieser Nacht klar wurde, verspürte ich dennoch keinen Hass gegen meinen Befreier. Nicht einmal Angst. Ich sollte wütend auf Ewan sein, weil er mich da mit hineingezogen hatte. Doch ich war es nicht. Denn mit dem Wissen, das ich jetzt hatte, eröffneten sich mir so viele neue Möglichkeiten. Plötzlich wurde mir bewusst, worüber ich früher immer nur frustriert gewesen war. Jetzt ergab alles einen Sinn.

Die Menschen waren nur kleine, bedeutungslose Rädchen in einem Uhrwerk von etwas Größerem. Und ich war nun Teil dieses Etwas. Ich war endlich frei. Wie ein Tier, welches seinem Käfig entkommen war.

Als ich zu mir kam, dauerte es mehrere Sekunden, bis die Erinnerungen sich zusammenfügten wie verlorengegangene Puzzleteile eines Gesamtbildes. Schwerfällig hob ich die Lider und Sonnenlicht flutete meine Netzhaut. Die Bilder vergangener Nacht kamen nur stockend, wie Wellen, die das Ufer erreichten. Sie spülten Erinnerungsfetzen an Land: Das Gespräch mit Ewan in seinem Zimmer. Die Nacht, die ich erneut neben ihm in einem Bett verbracht hatte. Mein Traum. Viele silberne Kreise, die ineinander gehakt waren und sich zu einem unendlich großen, schimmernden Gebilde zusammenfügten. Die Wirklichkeit.

Plötzlich war ich hellwach und setzte mich auf. Mein Kopf fuhr in alle Richtungen und obwohl ich davon Kopfschmerzen bekam und mir schwindelig wurde, hatte es das gewünschte Resultat: Ich wusste, wo ich mich befand.

Ich war nicht mehr in dem dunklen Raum, in dem sich alles so unwirklich angefühlt hatte, der kein Ende und keinen Anfang besessen hatte. Der einfach nur da war. Ich war zurück in dem Gästezimmer, in dem Falk und ich unsere erste Nacht in der Hütte verbracht hatten.

Ich wollte gerade vom Bett aufstehen, als ich die Handschellen bemerkte. Nicht schon wieder. Fluchend sah ich mich in dem Zimmer um.

Von Ewan und Falk war keine Spur. Die Tür zum Zimmer war geschlossen. Durch das kleine Fenster schien die Mittagssonne.

Während ich versuchte, mein Handgelenk zu befreien, überrollten mich auch die restlichen Erinnerungsfetzen. Die wunderschöne Blondine, mit der Ewan gesprochen hatte. Und Falk. Diese Welle war es, die mir bereits im Traum den Boden unter den Füßen weggerissen haben musste. Im wachen Zustand war die Erkenntnis nicht weniger schmerzhaft. Falk war nicht der, für den er sich ausgegeben hatte. Die ganze Zeit über hatte er mir etwas vorgespielt.

Ich muss hier weg!

Endlich quetschte ich mein zierliches Handgelenk durch den metallischen Ring. So dünn zu sein, hatte auch seine Vorteile. Da fiel mein Blick auf etwas auf dem Bett. Ein Collegeblock lag neben dem Kopfkissen. Es war der Block, in dem ich Falk zuvor hatte zeichnen sehen. Ich griff danach und blätterten durch die Seiten. Viele davon waren lediglich mit einer unordentlichen Handschrift bekritzelt. Ich hatte nicht die Zeit, mir alles durchzulesen. Ich blätterte weiter und fand ein Bild von drei Worten, das mich stocken ließ. Sie waren kunstvoll ausgearbeitet und erstreckten sich über die gesamte Seite.

GONE TOO FAR.

Ich starrte eine gefühlte Ewigkeit darauf, während tausend bittere Gedanken meinen Geist tränkten. Ja, Falk, du bist zu weit gegangen. Definitiv. Ich wollte den Block gerade zurücklegen, als ich eine weitere Seite umblätterte und mein Blick an einem Porträt hängen blieb. Mein eigenes Gesicht, mit Kugelschreiber skizziert, starrte mir entgegen.

Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinunter. Was hatte Falk für ein Spiel gespielt? Seit wann war er ein Verfluchter? Und obwohl ich dachte, der Schock könnte nicht noch tiefer gehen, wurde ich eines Besseren belehrt, als ich dahinter eine weitere Zeichnung fand. Ein Arm, auf dessen Unterseite eine Reihe von Zahlen tätowiert war: 12.12.12.

Ich schmiss den Block zurück aufs Bett, als hätte ich mich daran verbrannt. In Rekordgeschwindigkeit ratterte mein Gehirn alle Erinnerungen der letzten Tage durch, auf der Suche nach einem Moment, in dem ich Falk die Zahlen auf meinem Arm gezeigt hatte. Mir fiel keine Situation ein, in der er sie hätte sehen können. Mein Blick glitt meinen Körper hinunter: Ich hatte nur eine Jeans und ein Top an, genauso wie ich mich gestern mit Ewan ins Bett gelegt hatte. Je nachdem, wie lange ich bewusstlos gewesen war, hätte Falk demnach in den letzten Stunden oder Minuten meinen Arm betrachten können. Doch war die Zeichnung wirklich so neu? Hatte er sie angefertigt, während ich bewusstlos gewesen war?

Hektisch sah ich mich im Zimmer um, während ich versuchte, meinen Herzschlag unter Kontrolle zu bringen. Das Wichtigste war, dass ich hier wegkam. Gestern hatte ich es noch akzeptiert, von nun an mit Ewan zu reisen, als ‚Doppelpack’ durch die Weltgeschichte zu bummeln, wie er es ausgedrückt hatte. Doch dass Falk viel tiefer in der Sache mit drinsteckte und offensichtlich ein falsches Spiel mit mir gespielt hatte, änderte für mich alles. Ich wusste nicht, ob Ewan jetzt auf Falks Seite sein würde, weil sie beide verflucht waren. Dieses Risiko konnte ich nicht eingehen. Falks Verrat saß so tief, dass ich nicht einmal daran denken wollte, ihn wiederzusehen. Es war keine harmlose Lüge gewesen, sondern eine Lüge, die ihn zum schlimmsten Bösewicht der Geschichte machte. Ich konnte ihm nicht mehr vertrauen, würde ihm nie wieder trauen können. Dabei war er der einzige Mensch, dem ich gern vertraut hätte. Wie paradox.

Ich eilte zu meiner Reisetasche und packte ein paar Sachen aus dem Koffer um. Ein paar ließ ich absichtlich zurück, um auf meiner Flucht keinen unnötigen Ballast mitzuschleppen. Schnell kontrollierte ich, ob ich Handy und Portmonee dabeihatte, dann zog ich die Lederjacke über das Top, schlüpfte in meine Turnschuhe und schlich zur Tür. Ich presste mein Ohr gegen das Holz und lauschte. Nichts. Keine Stimmen, keine Schritte. Doch das hieß nicht, dass die beiden Männer außer Haus waren.

Ich wandte mich um und eilte zum Fenster. Das war definitiv der sicherere Ausgang und die zwei, drei Meter würden mich nicht umbringen. Ich riss das Fenster auf, warf einen Blick hinunter und schmiss die Reisetausche hinaus. Mit einem dumpfen Plopp landete sie auf dem Rasen. Ich sah mich draußen um, doch außer der kleinen Grasfläche um das Haus herum erkannte ich nichts als Wald. Es schien zumindest niemand in der Nähe zu sein. Tief durchatmend nahm ich all meinen Mut zusammen und schwang ein Bein aus dem Fenster. Vorsichtig kletterte ich über den Rand und ließ die Beine in der Luft baumeln, während ich mich mit den Händen an der unteren Fensterkante festhielt.

Eins, zwei, drei.

Ich ließ los und der Wind zischte mir um die Ohren, während mein Magen einen Salto vollführte. Als meine Fußballen auf den Boden trafen, beugte ich mich vor und rollte mich über den Rücken ab, um den Aufprall abzuschwächen. Aufgrund von mangelnder Übung ging das nicht ganz schmerzlos über die Bühne, doch das kümmerte mich jetzt nicht. So schnell wie möglich stand ich wieder auf, griff nach meiner Tasche und rannte in den Wald.

Ich rannte, bis die Bäume mich verschluckten, bis das Sonnenlicht das Blätterdach nicht mehr durchdrang und bis ich mich umblicken konnte, ohne etwas anderes als Baumstämme zu sehen. Die Bäume verloren bereits langsam ihr Laub und ich lief wie auf einem gelben Teppich. Nach einer Weile drosselte ich mein Tempo und grübelte darüber, wo ich hinwollte. Denn jetzt hieß es nach vorne blicken und nicht mehr zurück. Ich durfte nicht einmal daran denken, was passieren würde, wenn ich einem der beiden Männer in die Arme lief. Oder einem von dreien, falls Ewans Bruder immer noch in der Nähe war.

Falk, der Lügner.

Ewan, dem ich noch nie über den Weg getraut hatte. Seit er in dieser komischen Traumwelt seine Geliebte wiedergetroffen hatte, wollte ich erst recht Abstand zu ihm und dieser ganzen Sache gewinnen. Ich musste mein Herz und mein Leben schützen, das hatte oberste Priorität.

Und Darian? Er hatte uns bestohlen und war ohne ein Wort verschwunden, hatte mich bei Ewan zurückgelassen, obwohl er mir angeblich hatte helfen wollen. Auch er hatte sich in Lügen gekleidet. Was er wirklich vorhatte, wusste ich nicht. Und solange ich das nicht wusste, müsste ich mich auch vor ihm in Acht nehmen.

Fuck. Meine Lage war ganz schön beschissen.

Hinzu kam, dass die Kälte mit jeder Minute schneidender wurde. Mein Atem bildete weiße Wölkchen vor meinem Gesicht und meine Beine waren ermüdet von dem Sprint, den ich zu Anfang hingelegt hatte.

Dieser Wald müsste doch irgendwann ein Ende finden? Ich würde auf einer Landstraße herauskommen und mich per Anhalter in die nächste größere Stadt fahren lassen. Oder noch weiter weg. Und dann müsste ich mir einen neuen Job suchen. Doch je tiefer ich in den Wald eindrang, desto schneller schlug mein Herz. Es war nichts zu hören außer dem Knacken der Äste oder dem Rascheln der Blätter unter meinen Sohlen. Nicht einmal Vögel zwitscherten.

Plötzlich kam mir ein neuer Gedanke. Was, wenn mich noch jemand anderes fand? Jemand, den ich bisher nicht bedacht, nein, nicht einmal gesehen hatte.

Die Gesandten.

Ein eiskalter Schauer jagte meine Wirbelsäule hinunter, doch ich schüttelte die Vorstellung ab. Bisher hatte noch kein Gesandter meinen Weg gekreuzt, ich konnte nicht einmal sicher sein, dass diese himmlischen Wesen überhaupt existierten. Was für ein Pech müsste ich haben, dass sie mich ausgerechnet jetzt fänden?

2. verstärkung

Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen,

sondern Sünder zur Buße.

- aus der Bibel, Lukas 5:32 -

Sie waren gekommen.

Vor Michael standen drei fremde menschliche Körper auf der mit Moos überwucherten Lichtung im Herzen des Waldes. Die ersten morgendlichen Sonnenstrahlen beschienen ihre regungslosen Gesichter.

»Gabriel, Raphael, Uriel. Ich bin froh, dass ihr so schnell gekommen seid«, sprach der Gesandte. Hinter ihm stand das Auto des Sünders. Dieser Wagen und das gestohlene Buch waren Köder und Druckmittel zugleich. Das Landhaus, in das Ewan sie gebracht hatte, lag so weit abseits, dass sie ohne einen Wagen Tage brauchen würden, um die nächste Stadt zu erreichen. Und ohne das Buch würden sie ohnehin nicht fliehen. Ewan verzehrte sich nach Antworten, er brauchte sie so dringend wie menschliches Blut.

»Bring uns auf den neusten Stand, Michael. Wo ist der Verdammte?«, fragte Gabriel im Körper eines jungen tätowierten Bikers. Die Gesandten hatten Körper aus der Umgebung wählen müssen, um so schnell wie möglich hier zu sein. Ihre Seelen besetzten die Hüllen der Menschen, solange sie sich auf der Erde aufhielten. Nach ihrer Mission würden sich die Menschen an nichts hiervon erinnern.

»Der Verdammte ist in einem abgeschiedenen Landhaus, etwa zwei Kilometer von hier. Seine Blutsverbundene ist bei ihm und mit ihnen noch ein ahnungsloser Mensch«, berichtete Darian.

»Warum ist die Blutsverbundene noch am Leben?«

»Ich habe sie vor zwei Wochen schon töten wollen, doch sie hat knapp überlebt. Danach ist sie mit dem Verfluchten geflohen. Ich habe ihre Spur erst vor Kurzem wieder aufgenommen. Inzwischen denke ich, es ist zu spät, um sie zu töten.«

Uriel nickte wissend. Er steckte in dem Körper eines bärtigen Mannes im mittleren Alter, trug ein Holzfällerhemd und war breit gebaut. Er strahlte die Ruhe in Person aus, wie es auch seine Seele stets tat. »Sie weiß zu viel.«

»Genau.«

»Das Risiko müssen wir eingehen. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren«, entgegnete Raphael im Körper einer schlanken schwarzhaarigen Frau. »Wir haben keine andere Wahl.« Sie blickte mit ihren großen braunen Augen von einem zum anderen, suchte nach Zustimmung, als begreife sie nicht, dass Kiaras Tod überhaupt zur Debatte stand.

Michael spitzte die Ohren, als er mit seinen geschärften Sinnen Schritte wahrnahm. Das Knacken von Zweigen, das Rascheln von Blättern. Die anderen drei müssten es ebenfalls hören. Ihre himmlische Macht war in den Körpern der Wirte zwar abgestumpft, doch ein Hauch Göttlichkeit haftete ihnen an und erleichterte ihnen die Missionen, für die gesandte Seelen auf die Erde geschickt wurden.

Die vier Erzengel drehten sich synchron um, die Blicke zwischen die Bäume gerichtet. Ein Reh? Ein Wanderer? Ewan?

Darians Hand wanderte zu der Halterung an seiner Hüfte, wo die himmlische Klinge steckte. Eine kürzere Version des Engelsschwertes – die einzige Waffe mit der Macht, Seelen zu eliminieren. Eine Seele auszulöschen, sie zu tilgen, war etwas gänzlich anderes, als einen Menschen zu töten. Es hatte eine Endgültigkeit, die mit nichts anderem auf der Welt zu vergleichen war.

Zwischen den Baumstämmen erschien eine menschliche Gestalt, die Michael mittlerweile nur allzu vertraut war – die jedoch nicht Ewan war. Wie töricht war dieser Verdammte eigentlich, sich gerade jetzt zu zeigen? Er lieferte sich selbst aus! Dachte er, die anderen Gesandten würden ihm auch nur annähernd so lange zuhören, wie er selbst es getan hatte?

Der Jüngling kam näher. Er trug eine dunkle Jeans und den gewohnten schwarzen Pullover mit der Kapuze, die seine Augen im Schatten ließ. Während er näher kam, hob er beide Hände. »Ich komme in Frieden.«

»Wer ist das, Michael?«, zischte Gabriel.

Was sollte er antworten? Darian war noch zu baff von der Tatsache, dass der Knabe in seinen eigenen Tod lief, als dass er sich eine kluge Antwort überlegen konnte. Doch das brauchte er auch nicht, denn der Verdammte kam ihm zuvor: »Ich will euch helfen. Mit euch gemeinsam arbeiten, um die Apokalypse zu verhindern.«

Resigniert schloss Darian die Augen. Der Knabe war dümmer, als er gedacht hatte. Und hatte ein viel zu loses Mundwerk.

»Was redest du da?«, fuhr Gabriel ihn an und überbrückte die Distanz zwischen ihnen. »Bist du ein Verdammter?«

Die Atmosphäre auf der Lichtung schlug augenblicklich um. Der Wind pfiff lauter, die Sonnenstrahlen versteckten sich hinter der grauen Wolkendecke. Alles war still, wartete darauf, dass der Eindringling sprach. Selbst die Vögel verstummten.

»Nein«, antwortete der Knabe ruhig. »Ich bin bloß ein Mensch. Eine Motte, die zu viel weiß. Aber ich kann euch behilflich sein, weil ich die Zukunft kenne. Ihr werdet die Apokalypse ohne mich nicht verhindern können. Ihr werdet sie herbeiführen.«

Bloß ein Mensch? Darian zuckte vor Überraschung zurück. Er musste lügen! Oder hatte er ihn an der Nase herumgeführt? Seine Gedanken überschlugen sich, er grub in seinen Erinnerungen, ob dieser Mann je zugegeben hatte, ein Verfluchter zu sein.

»Eine Motte? Als ob! Ihr habt keine Ahnung, was die Apokalypse überhaupt bedeutet!«, rief Gabriel. Sein junger, athletischer Körper passte zu seinem launischen Temperament. Er steckte die Hand in die hintere Hosentasche und zog ein Klappmesser heraus. Als die Klinge vor dem Gesicht des Fremden aufblitzte, zuckte niemand mit der Wimper.

»Gab …«, mahnte Michael.

»Ihr würdet keinen Menschen töten«, sprach der Typ unter der Kapuze. »Selbst wenn er eine nervige Motte ist und für die falsche Seite arbeitet. Eine Motte zu töten, bedeutet nämlich, einen weiteren Verfluchten zu riskieren.«

Damit hatte er Recht. Gesandte des Himmels durften keine Menschen töten, nicht in das Leben der Menschen eingreifen, auch wenn sie auf der Seite der Verfluchten standen. Nur wenn kein anderer Weg daran vorbeiführte, wie zum Beispiel bei dieser Kiara, durfte ihr Blut fließen, um die Seele eines Verdammten zu vernichten.

»Pech für dich, Kleiner. Ich glaube dir nämlich nicht«, erwiderte Gabriel unbeeindruckt – bevor er das Messer tief in den Magen des Fremden stieß.

Ein überraschtes Aufkeuchen verließ seinen Mund, er krümmte sich, doch da hatte Gabriel bereits ein weiteres Mal zugestochen. Blut spritzte über den Waldboden.

Michaels Körper sog scharf die Luft ein. Sein Herz schlug schneller.

Wenn dieser Bursche ein Mensch war … Gabriel hätte das nicht tun dürfen.

Die Gesandten beobachteten, wie der Fremde röchelte und die Hände vor dem Bauch zusammenschlug. Das Blut quoll erbarmungslos aus dem Loch in dem dunklen Pullover und färbte seine Finger rot.

Gabriel warf das Taschenmesser auf den Boden, dann riss er dem Verletzten die Kapuze vom Kopf.

Blonde Haare verbargen sich darunter. Und als der Junge den Kopf hob, schauten ihn blaue Augen an. Der Mund zu einem stillen »Oh« geöffnet.

Kiaras menschlicher Freund!

»Scheiße!«, fluchte Michael. Er wollte Gabriel das Genick dafür brechen. Dieser blonde Bursche war ein ahnungsloser Mensch! Das hatte er zumindest bisher angenommen, doch so ahnungslos konnte er nicht gewesen sein, wenn er hier auftauchte und über den Untergang der Welt sprach.

Noch bevor er Gabriels Kopf zurechtrücken konnte, knickten Falks Beine ein und er fiel zu Boden.

»Er ist also doch … nur eine Motte gewesen?«, fragte Uriel.

»Ich hätte ihm auch nicht geglaubt. So, wie er gesprochen hat. Was hat er überhaupt hier verloren?«, schaltete sich Raphael ein.

Doch Gabriel schüttelte den Kopf und die schwarzen Haare seines menschlichen Wirts peitschten durch die Luft. Er trat nach dem am Boden liegenden Körper und brach dann in schallendes Gelächter aus.

»Gabriel!«, schrie Michael aufgebracht. »Du bist des Wahnsinns! Geh zurück, Bruder! Erkläre den Göttern, was du getan hast!«

Doch sein Gelächter wurde nur lauter und lauter, hallte von den Baumwipfeln wider und hinterließ ein makabres Echo.

Gabriel bückte sich und zog den Körper des Menschen hoch. Wie eine schlaffe Marionette hielt er Falk in die Luft.

»Er ist ein guter Schauspieler. Und ein Lügner. Aber weißt du was, verdammte Seele?« Er hielt ihn am Kragen fest, sodass sich Falks Ohr neben Gabriels Lippen befand. Die Augen des Jungen waren geschlossen, als Gabriel ihm etwas ins Ohr flüsterte. Michael verstand jedes Wort: »Es war tapfer von dir, hierherzukommen, mein Freund. Die anderen haben deiner Lüge beinahe geglaubt. Aber ich stehe hier neben dir … und wärst du ein bloßer Sterblicher, so hätte dein Herz schon aufgehört zu schlagen. Doch es schlägt. Und deine Wunde verheilt.«

Mit diesen Worten hob er den mit Blut besudelten Pullover hoch, sodass die Gesandten den nackten Oberkörper des Jungen betrachten konnten. Sein Bauch war zwar blutverschmiert, doch die Wunde hatte sich bereits geschlossen.

Falks Lider flatterten, er blickte finster von einem zum anderen. »Verdammt.«

»Genau das bist du«, säuselte Gabriel mit einem schiefen Grinsen. »Michael, gib mir deine Klinge.«

Das Blut in Michaels Körper schien in den Adern zu gefrieren. Er rührte sich nicht. Von den Anwesenden war er der einzige Gesandte mit einer himmlischen Waffe. Er könnte diesen blonden Verdammten auf der Stelle auslöschen, wenn er wollte.

»Ich habe die Klinge nicht hier«, log er. Weshalb, wusste er nicht. Dieser Verdammte folgte ihm nun schon zu lange, war auf eigenen Beinen zu seiner Hinrichtung marschiert – er schien also etwas zu bezwecken, was wichtiger war als seine Existenz. »Wir sollten ihn erst mal verhören. Über das, was er zu sagen hat.«

Raphael lachte. »Und weshalb sollten wir ihm glauben? Er würde uns alles erzählen, nur um nicht sterben zu müssen.«

»Ich sage die Wahrheit, ich schwöre es«, beteuerte der Blonde. War Falk überhaupt sein richtiger Name? Michael konnte immer noch nicht fassen, dass er Kiaras menschlicher Begleiter war, der so ahnungslos getan hatte. Still und unauffällig hatte er mit ihnen im Auto gesessen und Kiaras Beschützer gespielt. Ob sie wohl ahnte, wer er in Wahrheit war?

»Ihr dürft Kiara nicht töten! Wenn sie stirbt, wird sie ebenfalls verdammt und dann gibt es einen nur noch größeren Riss im System. Das System wird zusammenbrechen«, fuhr der Blonde fort. Er schien nicht einmal Angst zu haben, obwohl Gabriel ihn immer noch fest im Griff hielt.

»Das System wird zusammenbrechen, wenn wir unsere Arbeit nicht richtig erledigen, indem wir solche Seelen wie dich und Ewan verschonen. Genau deshalb wird es keine Gnadenfrist mehr geben«, knurrte Gabriel. »Ewan wird eliminiert. Das Menschenmädchen wird sterben. Und du wirst getilgt. Ihr alle drei. Du kannst nichts daran ändern.«

Falk schloss die Augen, Qual überzog sein Gesicht, als hätte man ihm das Messer erneut in den Oberkörper gestoßen. Sein Kiefer spannte sich an, als er die Zähne zusammenbiss. Michael sah förmlich die Gedanken des Jungen. Ich habe versagt, stand ihm ins Gesicht geschrieben.

3. der schmetterling zwischen den motten

Mein Körper ist festgefroren in Zeit und Raum, als wäre es ein Fluch. Ein anderer Fluch als der der Verdammten. Denn die Verdammten hatten eine Kindheit, sie hatten ein sterbliches Leben – während ich nie eins besaß.

Ich bin das einzig tote Wesen auf diesem Planeten. Die Nadel im Heuhaufen. Der Glassplitter im Sandkasten. Der Fremdkörper in einem atmenden Organismus.

- aus dem Tagebuch eines Reisenden -

Milan stieg aus seinem weißen SUV, den er in einiger Entfernung zum Haus geparkt hatte. Seit seiner Ankunft hatte er ein paar Dinge beobachtet. Zum Beispiel, wie Ewans Bruder in der vorletzten Nacht das Haus verlassen hatte. Wie Ewan und das Mädchen vergangenen Abend auf den Treppenstufen gesessen und in den Regen gestarrt hatten. Er hatte auch gesehen, wie ein blonder Knabe in einem schwarzen Hoodie heute Morgen das Haus verlassen hatte. Und etwa eine Stunde darauf, wie Kiara aus dem Fenster gesprungen war. Eins stand fest: hier herrschte reges Treiben.

Mit großen Schritten überquerte er den Rasen, auf dem der Wind einzelne gelbe Blätter vor sich hertrieb, und sprang die wenigen Treppenstufen hinauf auf die Veranda des rustikalen Landhauses. Voller Elan klopfte er an die Tür und wartete. Und wartete.

Milan runzelte die Stirn. Ohne Schlüssel ließ sich die Tür von außen nicht öffnen, also blieb ihm nur eine andere Möglichkeit. Mit voller Kraft trat er gegen das Holz, sodass die Tür krachend ins Innere flog.

Wumm.

Immer noch kein Ewan.

War Ewan taub? Hatte Milan etwas verpasst und übersehen, dass auch sein einstiger Freund das Haus verlassen hatte?

Milan stieg über die eingetretene Tür und sah sich auf der unteren Etage um. Das Haus wirkte verlassen, doch er spürte Ewans Anwesenheit. Ob es sein Geruch war, das leise Keuchen von oben oder eine übernatürliche Anziehungskraft, die schon immer zwischen ihnen geherrscht hatte, wusste er nicht. Aber er wusste, dass er hier war.

Milan nahm zwei Treppenstufen auf einmal und oben angekommen, fiel sein Blick direkt auf Ewans nackten Oberkörper. Sein einstiger Freund hing an einer Metallstange, die oben zwischen dem Türrahmen befestigt war, und machte Klimmzüge. Anscheinend schon eine ganze Weile, denn sein durchtrainierter Körper war schweißüberströmt. Er hatte Kopfhörer in den Ohren und das blaue Kabel hing hinab bis in die Tasche seiner kurzen Sporthose, in

der sein iPod steckte. Erst als Milan direkt vor Ewans Tür stand, bemerkte er den Eindringling. Abrupt ließ er die Stange los und landete leichtfüßig auf dem Boden. Gleichzeitig riss er sich die Kopfhörer aus den Ohren. »Verdammt, Milan! Was zur Hölle –?«

»Ich freue mich auch, dich wiederzusehen, Ewan.« Milan zog die Mundwinkel übertrieben nach oben, bis er sich fühlte, als würde er die Grimasse des Jokers nachahmen.

Wenn Blicke töten könnten, hätte Milan jetzt definitiv den Kürzeren gezogen. »Warum bist du uns gefolgt?«, fauchte Ewan. Seine braunen Augen funkelten dabei so aggressiv, dass Milan vorsichtshalber einen Schritt zurücktrat. Sich mit Ewan zu prügeln – vor allem, wenn er halb nackt war –, war definitiv keine gute Idee. Nicht, dass er gegen ihn verlieren würde, aber wenn er Pech hatte, würde das Gefühle wachrütteln, die er in den letzten Monaten versucht hatte, zu untergraben.

»Wer ist uns?«, fragte Milan, ohne sein Grinsen abzulegen und ohne etwas von seinen Gedanken preiszugeben. »So wie ich es sehe, bist du mutterseelenallein.«

Ewan verschränkte schnaubend die Arme vor der Brust, als würde er sich so besser beherrschen können. Seine Nasenflügel bebten und kurz schlug Milans Herz schneller. Härter.

»Ich frage dich ein letztes Mal. Was. Tust. Du. Hier?«

Milans Grinsen verflog. Mit einem ernsten Gesicht nickte er, während er seinen Mut zusammennahm und den Schritt wieder vortrat. Er hatte sich wieder unter Kontrolle.

»Du siehst gestresst aus«, sagte er zu seinem Freund. »Weißt du, was da hilft?«

Ewan verengte die Augen. »Was?«

»Sex.«

Ewan blinzelte. »Ist das dein Ernst?« Er fühlte sich verarscht, das wusste Milan. Und das erheiterte ihn. Gab ihm ein Stück Macht zurück. Seinen einstigen Freund zu ärgern, machte immer noch Spaß.

»Ja, mein voller Ernst«, antwortete er deshalb. »Wann hast du das letzte Mal eine flachgelegt?«

»Milan, hast du überhaupt eine Ahnung, in welcher Scheiße ich hier gerade stecke?«

»Ja, habe ich. Aber du hast doch gerade eh nichts Besseres zu tun, als dich mit mir zu unterhalten. Statt deine Scheiße auszubaden, hängst du hier ja nur rum und arbeitest an deinen Muskeln.«

»Ich hänge – ach, halt die Fresse. Mit dir brauche ich nicht reden!« Ewan wandte sich von ihm ab und stampfte ins Zimmer. Von der Stuhllehne nahm er sich ein Handtuch und wischte damit den Schweiß von seinem Gesicht, dann von seinem Oberkörper.

Milan sah nicht hin. Konnte es nicht.

»Also? Hattest du was mit diesem Mädchen?«, fragte er beiläufig, während er sich in dem kleinen Zimmer umsah.

Ewan ließ das Handtuch sinken und starrte Milan fassungslos an. »Tickst du nicht mehr richtig? Du weißt, wen ich als letztes …«

Milan lachte, während Ewan sich ein T-Shirt überzog. »Gütiger Gott. Dann brauchst du es erst recht, um von ihr loszukommen. Ich hatte gedacht, dass du die Gelegenheit nutzen wirst, wenn du schon mit dem frechen Mädchen abhaust.« Er wusste selbst nicht, warum er so auf dem Thema herumritt. Ewan zu provozieren, war nur ein netter Nebeneffekt. War er nach all der Zeit tatsächlich noch eifersüchtig? Schon wieder eifersüchtig auf eine Frau?

»Du weißt, warum das nicht infrage kommt!« Ewan zog vor Milans Augen seine Sporthose aus und griff nach einer Jeans. Milan presste die Zähne zusammen. Die Unterhaltung war schön und gut, es hatte seinen Reiz, Ewan mit seinem nicht vorhandenen Sexleben aufzuziehen, aber dass er hier einen halben Striptease hinlegte, war haarscharf an der Grenze. Ob Ewan das absichtlich tat? Um ihn ebenfalls zu provozieren? Ob er überhaupt wusste, dass es Milan nach all der Zeit immer noch nicht kalt ließ? Er sah forschend in Ewans Gesicht. Nein, Ewan hatte keine Ahnung.

»Du gibst ihr also immer noch die Schuld?«, wollte Milan wissen.

»Sie war schuld. Unfall hin oder her. Sie hat mich an die Gesandten verraten und mich dann auch noch überfahren. Scheiß drauf, ob mit Absicht oder nicht. Ich hasse sie.«

Weil er jemanden hassen musste. Weil es dann leichter war, zu akzeptieren. Milan verstand dies nur allzu gut.

»Weißt du, wenn du sie wirklich hasst … gerade dann kann der Sex echt gut werden.« Er zwinkerte Ewan vielsagend zu, der seinen Gürtel schloss und sich endlich fertig

bekleidet hatte.

Mit großen Schritten kam er auf Milan zu. Als er direkt vor ihm stand, nahm er sein Gesicht in die Hand, umschloss mit den Fingern Milans Kinn und blickte ihm tief in die Augen. »Du hast eine ziemlich große Klappe, was dieses Thema anbelangt. Weißt du, was ich daraus schließe, alter Freund?«

Milan hob fragend die Augenbrauen, gab aber keinen Mucks von sich, während Ewans Finger an seinem Unterkiefer lagen. Sein ganzer Körper stand unter Spannung. Er konnte kaum atmen.

»Ich schließe daraus«, fuhr Ewan fort, »dass du niemanden mehr flachgelegt hast, seit wir uns kennengelernt haben. Also – wer hatte nun länger keinen Sex? Du oder ich?«

Touché. Ewan ließ ihn los und Milan zuckte nicht mit der Wimper, ließ sich nichts anmerken, regungslos wie die Skulptur eines griechischen Gottes. »Das wüsstest du wohl gern, was?« Ein schiefes Lächeln, ein schelmisches Funkeln aus grünen Augen und das, obwohl Ewan Recht hatte. Ewan war die Person, die er zuletzt geküsst hatte. Nach ihm hatte er niemanden mehr anziehend gefunden. Keinen Mann, keine Frau. An keinem Menschen hatte er Interesse gefunden, weder physisch noch psychisch, platonisch oder was es sonst noch gab. Doch das würde er Ewan natürlich nicht verraten. Lieber würde er sich die Zunge herausschneiden.

»Also, bist du jetzt hier, um mir zu helfen oder bist du den weiten Weg gefahren, nur um mich zu nerven?«

Eigentlich war er den weiten Weg gefahren, weil er Paige gesagt hatte, er würde sich darum kümmern. Darum kümmern, dass weder Ewan noch Kiara ihr Leben verloren. Er wollte seinen alten Freund zur Vernunft bringen und gleichzeitig noch einmal mit dem kratzbürstigen Mädchen reden. Denn irgendetwas an ihr verstand er noch nicht. Sie war wie eine verschlossene Truhe, die er aufkriegen musste, weil er wusste, dass in ihrem Inneren etwas Wertvolles zu finden war.

»Warum hast du Kiara abhauen lassen?«, fragte er, statt auf Ewans Frage zu antworten.

Der dunkelhaarige Mann ging zu seinem Bett und ließ sich mit einem Stöhnen darauf nieder. »Hätte nicht gedacht, dass sie sich aus den Handschellen befreien kann.«

Milan runzelte die Stirn. »Ich hab’ gesehen, wie sie aus dem Fenster gesprungen ist.«

Ewan sah ihn ungläubig an. »Warum hast du sie dann nicht aufgehalten?«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich schätze, ich wollte erst mal deine Version der Geschichte hören. Deinen Plan. Oder was auch immer. Du hast doch einen Plan, oder?«

»Der ist schiefgelaufen. Ich hatte Kiara schon so weit, dass sie mir geglaubt hat und mir vermutlich überallhin gefolgt wäre. Doch dann musste sich dieser blonde Bubi einmischen.«

Das musste der Junge sein, der im Morgengrauen das Haus verlassen hatte. »Wer ist er? Und warum hast du ihn überhaupt hierhin mitgenommen?«

Ewan verdrehte die Augen. »Kiara hat darauf bestanden, ihn mitzunehmen. Er war so was wie ihr bester Freund oder so. Auf jeden Fall dachten wir, dass er ein Mensch ist, der von nichts eine Ahnung hat. Er hat hervorragend geschauspielert, hat gesehen, wie ich ihr Blut getrunken hab und ist völlig ausgerastet und all das. Aber …« Ewan seufzte tief.

»Was aber?«

»Aber er ist ebenfalls einer von uns.«

»Von uns?« Das überraschte Milan nun wirklich, ihn, den eigentlich so gut wie nichts mehr überraschen konnte. »Und du hast das nicht früher bemerkt?«

»Wie hätte ich denn? Denkst du, der Bursche hat mich vorher auch nur einen Scheiß interessiert?« Er schüttelte abfällig den Kopf und lehnte sich gegen die hölzerne Wand. »Ich hab’ ihn mitkommen lassen, damit ich ein Druckmittel gegen Kiara habe. Ich dachte, sie hängt an ihm. Außerdem war er mir ein bisschen suspekt. Ich hielt es für klug, ihn im Auge zu behalten, weil er sich für meinen Geschmack zu sehr in Kiaras Entscheidungen einmischen wollte. Ich habe aber nicht damit gerechnet, dass er meine Verbindung zum Himmel ausnutzt und ebenfalls vor dem Seelenteppich steht. In meinem Traum.«

Milans Mund klappte auf. Ein Verfluchter – okay. Aber einer, dessen Seele so bewandert war, dass er sich von der Menschenwelt trennen und im Traum aus dem System klinken konnte? Sich an Ewans Seele heften konnte, um mit ihr gemeinsam im Traum die Ebene der Wirklichkeit zu besuchen?

»Hast du mit ihm geredet? Was das sollte? Was er vorhat?«

Ewan verzog unzufrieden den Mund. »Nur kurz. Er meinte, er wolle uns helfen und habe sich nur zu uns gesellt, weil er verhindern wollte, dass Kiara die Kreise berührt.«

Das ergab keinen Sinn und Ewans Tonfall nach glaubte er diesem Falk ebenfalls nicht. Milan nahm sich vor, selbst ein ernstes Wörtchen mit dem neuen Verdammten zu reden. »Wo ist er hin?«

»Keine Ahnung. Er hat heute Morgen gesagt, dass er noch etwas zu erledigen hätte. Auf jeden Fall ist Kiara vermutlich seinetwegen abgehauen. Dass er auch ein Verdammter ist, hat sie eiskalt getroffen. Jetzt vertraut sie weder ihm noch mir. Alles an Vertrauen, was ich versucht habe aufzubauen, ist wieder weg. Und sie ist bestimmt längst per Anhalter auf dem Weg in eine Stadt ganz weit weg von mir.«

»Dir zu vertrauen, wäre ja auch töricht.«

Ewan warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

Milan lachte. »Ist doch so. Paige hat mir erzählt, dass du die Kleine umbringen wolltest. Stimmt das?«

Er wich seinem Blick aus und das war Antwort genug.

»Ich hätte dich nie für einen Mörder gehalten.« Milan seufzte. Ein letztes Mal glitt sein Blick durch das kleine Zimmer, blieb einen Herzschlag zu lange an Ewans Gesicht haften – dann drehte er sich zur Tür. Es war Zeit zu gehen. Er hatte für heute genug mit diesem Mann geredet, es waren so viele Worte gefallen wie schon seit Wochen nicht mehr. Milan hatte sich geschworen, Abstand zu halten und Ewan seinen eigenen Weg gehen zu lassen. Ewan hatte damals nicht auf ihn gehört, als er ihn vor der Beziehung mit Elaia gewarnt hatte. Er und sie hätten niemals zusammen sein können, selbst wenn Ewan nicht gestorben wäre. Sie war eine Göttin, sie gehörte nicht in die Menschenwelt. Aus ihnen hätte nie etwas werden können. Es war dumm von Ewan, sich nach seinem Tod in seine Rachegefühle hineinzusteigern. Es war dumm, dass er nach seinem Tod schon wieder nicht auf Milan gehört und das Blut eines Menschen getrunken hatte. Milan hatte ihn erneut gewarnt – warum tat er das überhaupt noch? Sein alter Freund schien nicht auf seinen Rat zu hören. Er war eigensinnig, unbelehrbar.

»Viel Spaß mit deinen Fehlern«, knurrte Milan und ließ das Haus hinter sich. Ewan lernte nicht durch weise Ratschläge anderer. Ewan war ein Mensch, der am eigenen Leib lernen musste.

Blieb jetzt also noch Kiara. Milan hoffte, dass er bei ihr mehr Glück haben würde, doch zuerst müsste er sie finden. Sie war anders als Paige oder andere Menschen, die von der Existenz der Verdammten wussten. Sie war keine Motte, würde niemals eine sein. Zwischen all den blassen Flügelwesen war sie ein schillernder Schmetterling.

Er betete inständig darum, dass die Gesandten sie nicht vor ihm fanden und ihr die Flügel herausrissen.

4. wanderhure

Wen siehst du, wenn du in den Spiegel schaust?

Ich traue meinem Spiegelbild schon lange nicht mehr über den Weg.

- aus den Briefen eines Gejagten -

Es wurde dunkler, meine Schritte schwerfälliger. Mit aller Kraft versuchte ich mich selbst davon zu überzeugen, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, von Ewan und Falk Reißaus zu nehmen. Ich war schon immer gut darin gewesen, auf mich allein aufzupassen. Jedenfalls so gut, dass ich allein klarkam. Und jetzt würde ich auch klarkommen. Das sagte ich mir zumindest immer wieder, während der Tag dem Abend wich und es zunehmend kälter wurde. Meine Finger und Lippen waren schon taub, der Hunger höhlte mich langsam von innen heraus aus und mein Hals war so trocken wie die Sahara. Es schien, als würde ich immer tiefer in den Wald hineinlaufen, und vermutlich war es wahrscheinlicher, dass ich bald einem Bären oder einem Hexenhäuschen gegenüberstand, als einer Landstraße.

Meine Beine waren schwer wie Betonklötze. Resigniert blieb ich stehen, warf meine Reisetasche ins Laub und sank auf ihr nieder. In dem verzweifelten Versuch, mich zu wärmen, schlang ich die Arme so fest ich konnte um meinen Oberkörper, doch es half natürlich nichts.

Wie viele Stunden streifte ich nun schon blind durch den Wald? Ich musste zugeben, dass ich mich hoffnungslos verlaufen hatte.

Nicht aufgeben, Kiara. Du bist eine Kämpferin. Keine Heulsuse, ermahnte ich mich. Vermutlich würde ich bald anfangen, Selbstgespräche zu führen, und tatsächlich hielt mich nur die Angst davon ab, von den Gesandten oder den Verdammten gehört und gefunden zu werden.

Moment mal, wie dumm war ich eigentlich? Hastig sprang ich von meiner Tasche auf und wühlte darin nach meinem Smartphone. Wir lebten im 21. Jahrhundert, verdammt! Doch meine Euphorie sank schnell gegen Null, als ich sah, dass ich hier kein Netz hatte. Mich mithilfe von google maps hier raus zu manövrieren, fiel also genauso flach wie endlich meinen Stolz herunterzuschlucken und um Hilfe zu rufen. Auch wenn ich nicht wusste, wen ich angerufen hätte – aber nun musste ich mir darüber ohnehin nicht den Kopf zerbrechen. Ich stopfte das Handy in meine Jeanstasche, zog den Reißverschluss der Tasche wieder zu und warf sie mir über die Schulter. Ich musste weitergehen, wenn ich nicht die Nacht hier verbringen wollte. Blieb nur noch zu hoffen, dass ich nicht die ganze Zeit im Kreis lief.

Mittlerweile war es so dunkel, dass ich den nächsten Baum kaum noch erkannte, bevor ich fast dagegen lief. Mein Nicht-Aufgeben-Mantra war einem Ich-bin-so-dumm-Mantra gewichen. Doch es war schon lange zu spät, um umzukehren. Vermutlich würde ich hier in diesem Wald draufgehen. Ja, hier würde Kiara Golding sterben. Nichts da mit Engeln, die nach mir suchten. Warum hatten sie mich eigentlich nicht längst gefunden? Ich war tatsächlich sauer auf die Engel, als ich hinter mir plötzlich ein Rascheln und leises Knacken hörte.

Wie angewurzelt blieb ich stehen. Es könnte natürlich ein Kaninchen sein, oder ein Reh. Es könnte aber auch jemand anderes sein. Was, wenn es nicht Ewan oder Falk war? Wenn es nicht einmal die Gesandten waren? Was, wenn es ein Psychopath mit einer Kettensäge war, der Jugendliche in Wäldern und Ferienhütten aufsuchte und massakrierte?

Ich hielt den Atem an und lauschte in die Dunkelheit. Mein verzweifelter Herzschlag war meinen eigenen Fantasien ausgeliefert und ich verfluchte mich dafür, in meinem Leben so viele Horrorfilme gesehen zu haben. Nun holten sie mich alle ein. Ich will nicht sterben, war mein letzter Gedanke, als sich plötzlich von hinten eine Hand über meinen Mund legte.

Ich zuckte zusammen und schrie auf. Der Laut wurde von der kalten, auf meine Lippen gepressten Haut gedämpft. Ich ließ die Tasche fallen und zerrte stattdessen an dem Angreifer, in dem verzweifelten Versuch, mich aus seinem Griff zu befreien. Das jahrelange Kampftraining sollte sich eigentlich in so einer Situation bezahlt machen, doch mein Körper war steif und halb erfroren. Der lange Fußmarsch und der Durst hatten mich so geschwächt, dass ich meinen Angreifer nicht einmal über die Schulter werfen konnte.

»Pscht, hör auf«, flüsterte eine männliche Stimme an meinem Ohr. Sein Atem streifte heiß meine eiskalte Wange. Meine Glieder erschlafften und ich fühlte mich wie festgefroren in Raum und Zeit, während ich überlegte, woher ich diese Stimme kannte …

»Kann ich dich jetzt loslassen, ohne dass du schreist?«, fragte der Mann.

Ich nickte, während mein Herz noch immer raste, als würde es mir aus der Brust springen wollen. Wer zum Teufel hatte mich gefunden?

Als er mich losließ, fuhr ich augenblicklich herum und sah ihm ins Gesicht, das durch die Dunkelheit der Nacht nur wie ein bleicher Schatten vor mir schwebte.

»Milan?«

»Der Leibhaftige.«

Perplex blinzelte ich ihn an. Was tat er hier? Sollte ich erleichtert sein, dass er mich gefunden hatte, oder eher besorgt?