Götterherz (Band 1) - B. E. Pfeiffer - E-Book

Götterherz (Band 1) E-Book

B. E. Pfeiffer

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Beschreibung

Seit Beginn ihres Familienurlaubs in Griechenland durchlebt die zwanzigjährige Penelope seltsame Träume. Jedes Mal findet sie sich an einem bedrohlichen Ort voller Monster wieder. Und jedes Mal erscheint ein mysteriöser Mann und verteidigt sie gegen diese Kreaturen. Als sie diesen Fremden auch in wachem Zustand trifft, blitzen Erinnerungen an ein früheres Leben in ihr auf. An ein Versprechen von Unsterblichkeit, an eine Liebe, die Jahrtausende überdauert hat, und an eine uralte Rivalität zwischen zwei Göttern. Und einem davon gehört ihr Herz schon seit so langer Zeit. Allerdings muss sie nun um ihn kämpfen – um ihn und um ihr eigenes Leben, das von Göttervater Zeus persönlich bedroht wird.

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Dank

 

B. E. Pfeiffer

 

 

Götterherz

Band 1

 

 

Fantasy

 

Götterherz (Band 1)

Seit Beginn ihres Familienurlaubs in Griechenland durchlebt die zwanzigjährige Penelope seltsame Träume. Jedes Mal findet sie sich an einem bedrohlichen Ort voller Monster wieder. Und jedes Mal erscheint ein mysteriöser Mann und verteidigt sie gegen diese Kreaturen.

Als sie diesen Fremden auch in wachem Zustand trifft, blitzen Erinnerungen an ein früheres Leben in ihr auf. An ein Verspre-chen von Unsterblichkeit, an eine Liebe, die Jahrtausende über-dauert hat, und an eine uralte Rivalität zwischen zwei Göttern. Und einem davon gehört ihr Herz schon seit so langer Zeit. Al-lerdings muss sie nun um ihn kämpfen – um ihn und um ihr eigenes Leben, das von Göttervater Zeus persönlich bedroht wird.

 

 

Die Autorin

Bettina Pfeiffer wurde 1984 in Graz geboren und lebt heute mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Baden bei Wien.

Seit ihrer Kindheit liebt sie es, sich Geschichten auszudenken. Besonders als Ausgleich zu ihrem zahlenorientierten Hauptjob taucht sie gern in magische Welten ab und begann schließlich, diese aufzuschreiben. So entstand recht schnell die Idee für die ›Weltportale‹ und andere magische Geschichten im Genre Fan-tasy/Romantasy.

Inspiration dafür findet sie immer wieder durch ihre Kinder, mit denen sie gern auf abenteuerliche Entdeckungsreisen geht.

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, November 2018

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2018

Umschlaggestaltung: Jaqueline Kropmanns

Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Martina König

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-013-3

ISBN (epub): 978-3-03896-014-0

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Für die Suchenden, die einer Sehnsucht nachjagen.

Für alle, die noch an die wahre Liebe glauben.

Diese Geschichte ist für Euch.

 

Prolog

 

Vor rund dreitausend Jahren

 

Er war zu spät. Die Schlacht tobte bereits und er hatte ihr nicht beistehen können. Das würde er seinem Bruder niemals vergeben, denn dieser hatte ihn in seinem eigenen Heim wie einen räudigen Hund an einer Säule angekettet, damit er es nicht rechtzeitig schaffte.

Er hätte alles getan, um sie zu retten. Sein Bruder wollte ihren Tod, um ihn zu quälen, denn es würde vermutlich Tausende Jahre dauern, bis er wieder die Chance bekam, sie als seine Gefährtin zu erwählen.

Hastig ließ er seinen Blick über die Arena schweifen und keuchte auf, als er seine Liebste umringt von drei Zentauren fand. Sie überstrahlte alles mit ihren hellen Flügeln, die er ihr geschenkt hatte, und ihrer Rüstung aus hellem Gold, die sie von ihrer Mutter bekommen hatte.

Und sie bewegte sich wie eine Kriegerin, schwang ihre Klinge und blockte die Angriffe ihrer Gegner ab. Ein stolzes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, ehe er seine Waffe fester griff und auf die Zentauren zulief. Er brüllte aus Leibeskräften und hob das mehr als mannshohe Schwert mit Leichtigkeit.

Immerhin war er ein Gott und er war unsterblich. Sie nicht. Er durfte nicht zulassen, dass ihr etwas zustieß.

»So leicht mache ich es dir nicht«, ertönte die Stimme seines jüngeren Bruders, der vermutlich seelenruhig auf seiner Wolke lag und seinem Leid zusah.

»Das nennst du leicht?«, fauchte er und lief noch verbissener.

In dem Moment hörte er, wie sie aufschrie und ihre Stimme brach. Die Kampfgeräusche verstummten und eine erdrückende Gewissheit ergriff ihn. Trotzdem lief er weiter, wollte nicht wahrhaben, was gerade geschehen war.

Die Zentauren verließen zufrieden das Schlachtfeld und er erreichte seine Liebste, mit einer gewaltigen Klinge durch ihren Leib gebohrt und ihre wunderschönen hellbraunen Augen jeglichen Lebens beraubt.

Er sank neben ihr auf die Knie und hob sie mit zittrigen Händen auf. Blut lief über ihr anmutiges Gesicht, verklebte ihre hellbraunen Locken. Ihr Mund war leicht geöffnet, als wollte sie ihm noch etwas sagen, aber er würde diese Worte niemals hören.

Tränen liefen ihm über die Wangen, als er mit einer Handbewegung die Arena verblassen ließ, das Schwert in ihrer Mitte zu schwarzem Rauch verwandelte und ihr wieder ihr geliebtes grünes Kleid auf den Leib zauberte. Das Blut war verschwunden und er schloss ihre Augen.

Für ihn war sie nicht tot. Sie schlief bloß in seinen Armen. Er presste sie an sich und versprach ihr mit bebender Stimme, dass er ihre Seele beschützen und sie wiederfinden würde. Ihr kostbares Wesen hatte bereits den Abstieg in die Unterwelt antreten müssen. Er hätte sie zurückholen können, aber das war gegen die Regeln, denen er sich gebeugt hatte, um Unsterblichkeit für sie zu erlangen. Nun musste er warten und auf sie achtgeben.

Behutsam nahm er ihr die zierliche Kette ab, die sie um ihren Hals trug. Es war ein Geschenk von ihm gewesen, eine einzelne Perle, in Silber gefasst. Diese Perle war das Symbol für unsterbliche Liebe und er würde sie aufheben, bis ihre Seele wiedergeboren wurde. Bis zu jenem Tag, an dem er wieder versuchen konnte, sie vor seinem Bruder zu retten.

Kapitel 1

 

Mein Wecker klingelte eindeutig zu früh, denn die Sonne hatte es noch nicht einmal geschafft, ein dunkles Lila auf den Nachthimmel zu zaubern. Ich wusste sowieso nicht, warum wir im Urlaub so früh aufstehen sollten, nur um wieder an irgendeinen Ort zu fahren, der niemanden interessierte. Von meinem Vater abgesehen, denn er schleppte uns überall hin.

Als mein Dad meinte, er würde uns allen einen einmonatigen Familienurlaub spendieren, dachte ich an etwas Außergewöhnliches. Australien zum Beispiel oder eine Asientour. Vielleicht Südamerika, immerhin wollten wir alle die Copacabana in Brasilien sehen.

Natürlich hatten wir zugesagt! Es war eine unserer letzten Möglichkeiten für einen gemeinsamen Urlaub. Meine ältere Schwester Victoria, die wir alle Vicky nannten, war fünfundzwanzig und würde im nächsten Sommer heiraten. Ich fand ja immer noch, dass fünfundzwanzig zu jung war, aber sie ließ es sich nicht ausreden.

Zum Glück war ihr Verlobter Martin nicht mitgekommen, denn Dad wollte nur die Familie dabeihaben. Ich hatte nichts gegen Martin. Er war einfach … nun ja. Ich kannte ihn seit bald drei Jahren und hatte keine fünf Sätze mit ihm gewechselt. Außerdem fühlte es sich in seiner Nähe immer so gezwungen an. Daher war ich froh, nicht unter einem Dach mit ihm wohnen zu müssen.

Mein jüngerer Bruder, Günter, war nun achtzehn und würde demnächst in den USA studieren. Ich wusste noch immer nicht recht, wie er das geschafft hatte, aber der kleine Angeber hatte sich bei der Harvard Business School beworben und war tatsächlich angenommen worden.

Und ich? Ich war nun fast einundzwanzig und studierte Medizin. Es war immer mein Traum gewesen, aber irgendwie hatte ich meine Schwierigkeiten, mich durch den Dschungel der Vorlesungen zu schlagen. Dieser Urlaub hätte mir guttun sollen, aber …

Statt eines Traumstrandes an einem der schönsten Fleckchen Erde wurde es ein Griechenlandurlaub. An sich mochte ich Griechenland. Es gab auch hier schöne Strände und gutes Essen. Allerdings war das Meer noch nicht einmal in der Nähe, denn mein Dad hatte uns in irgendeinem abgelegenen Bauernhof einquartiert, der einem das klassische Leben der Griechen vermitteln sollte.

Ja. Wunderbar.

Selbst Mum war darüber entsetzt gewesen. Aber mein Vater hatte vor rund einem halben Jahr einen schweren Schicksalsschlag erlitten, als er mit seinem besten Freund zu einer Motorradtour unterwegs war. Es gab einen Unfall, an dem Dad wohl nicht ganz unschuldig war, und sein Freund starb. Seitdem war Papa nicht mehr derselbe Mensch und zog sich immer mehr von uns allen zurück. Es überraschte uns also, dass er einen so langen Urlaub mit uns plante. Immerhin sollten wir vier Wochen hier sein! Da wir alle hofften, er würde wieder richtig in sein Leben zurückfinden, hatten wir zähneknirschend zugestimmt.

Er hatte ab dem Moment, in dem er uns eröffnet hatte, wo die Reise hinging, von einem faszinierenden Buch geredet und schon einige Unternehmungen gebucht, die mit archäologischen Ausgrabungen zu tun hatten. Das verband meinen Vater und mich: Wir liebten die antiken Sagen und Geschichten. Aber selbst für mich war dieser Plan etwas zu viel des Guten.

Der Bauernhof wäre ja recht schön gewesen, allerdings waren es tagsüber rund vierzig Grad und es gab keinen Pool oder andere Möglichkeiten, sich abzukühlen. Immerhin mussten wir nicht im Stall oder bei der Ernte aushelfen.

Gähnend schälte ich mich aus dem Bett, das von der heißen tropischen Nacht durchgeschwitzt war. Drei Tage waren wir hier und es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Vor allem, da ich seit unserer Ankunft seltsame Träume hatte. Träume, die sich echt anfühlten und mir furchtbare Angst einjagten.

Die Stimmung in der Familie hätte außerdem kaum schlechter sein können.

Vicky war ihr Leben lang anspruchsvoll gewesen und trieb uns mit ihrem Drang, im Mittelpunkt zu stehen, immer wieder auf die Palme. Aber seitdem wir hier waren, wurde das Zusammenleben mit ihr unerträglich. Sie jammerte die ganze Zeit, dass sie hier ihren makellosen Teint an der Sonne verderben würde und keinen einzigen Cocktail oder heißen Poolboy zu Gesicht bekam. Was ich ohnehin nicht verstand, schließlich wollte sie heiraten.

Günter war schlecht gelaunt, weil er viel lieber an einem Strand gelegen hätte. Mum verkroch sich, wann immer sie konnte. Sie weinte viel und ich war mir nicht sicher, ob es an dem Urlaub lag oder daran, dass Dad und sie Probleme hatten. Sie litt natürlich am meisten unter dem Rückzug meines Vaters.

So sehr sie es auch versucht hatte, Dad wollte kaum mit ihr sprechen und stieß sie regelrecht von sich. Dabei waren die beiden ein richtiges Traumpaar gewesen.

Ob sie sich trennen würden?

Die Gedanken verdrängend, schlurfte ich über den Flur zum Badezimmer, das wir uns teilen mussten. Zum Glück hatte sich außer meiner Familie niemand hierher verirrt und jeder von uns hatte sein eigenes Zimmer. Es gab zwar noch einige freie Zimmer, aber ich hoffte, dass dieser Ort nicht der Geheimtipp für Griechenlandtouristen war und sie dementsprechend leer blieben. Außerdem war es schon mühsam genug, das Bad nur untereinander zu teilen.

Da Vicky gern Stunden darin verbrachte, stellte ich mir den Wecker deutlich früher, als es notwendig gewesen wäre. Ich wollte einfach meine Ruhe haben und vor allem nicht ewig warten müssen.

Dad hatte für heute irgendeinen Ausflug auf irgendein Feld geplant, wo angeblich herausragende archäologische Entdeckungen gemacht worden waren. Er hatte es sich nicht nehmen lassen, uns beim Essen am Vorabend ausführlich über die Geschichte des Ortes zu informieren.

Mein Vater war Arzt, hatte aber wie ich das Herz eines Hobby-Archäologen. Mum war ein hohes Tier in einer Bank. Sie kümmerte sich um Großkunden und war ein Ass mit Zahlen. Geschichte hatte sie nie interessiert und ich bewunderte sie dafür, dass sie dennoch versuchte, sich für die Ideen meines Vaters zu begeistern.

Jedenfalls freute mein Dad sich auf den Ausflug. Der Rest von uns eher weniger. Es war ja auch zu verlockend, einen ganzen Tag in der sengenden Sonne Griechenlands auf einem Feld zu verbringen, wo man selbst Grabungen machen durfte.

Ich schloss die Badezimmertür mit einem Seufzen hinter mir zu und drehte das Wasser der antiken Dusche auf. Allein dieses Ding sollte für meinen Vater genug historisches Zeug sein. Ich war bisher noch nicht dahintergekommen, wie man die Temperatur des Wassers veränderte, war aber ziemlich sicher, dass die Leitungen noch vom Trojanischen Krieg stammen mussten. Der mit Helena, Paris und Brad Pitt.

Das Wasser kam in den ersten Minuten schön kupferbraun aus dem Duschkopf. Eine Wonne. Wirklich. Luxus pur. Als es endlich eine normale Farbe hatte, stieg ich unter den eiskalten Strahl, der sich nach der tropischen Nacht, in der ich vermutlich mehr geschwitzt hatte als ein Marathonläufer, großartig anfühlte.

Im Moment wünschte ich mir, ich wäre diese sagenumwobene Strecke gelaufen. Leider hatte ich wieder in einem dieser unheimlichen Träume festgesteckt. Ich hatte nie intensiv geträumt, aber seitdem wir auf diesem Bauernhof weilten, suchten mich jede Nacht ähnliche Bilder heim. Meistens sah ich jemanden im Schatten, der mir folgte, egal, wo ich war. Und ich befand mich oft an seltsamen Orten. In der ersten Nacht dachte ich, ich träume von der Akropolis, weil ich erwartet hatte, dass wir dort Urlaub machen würden. Allerdings hatte ich ein seltsames luftiges Kleid getragen, das nur an einer Schulter mit einer Spange gehalten wurde. Obwohl ich dort allein war, kam ich mir ständig beobachtet vor.

In dieser Nacht sah ich mich auf einem Schlachtfeld – nein, es war vielmehr eine Arena! –, umringt von Zentauren. Ich mochte die alten Mythen, aber Wesen, die zur Hälfte Pferd waren und einen menschlichen Oberkörper besaßen, wirkten selbst auf Bildern furchteinflößend und in meinem Traum fühlten sie sich noch gefährlicher an. Ich hatte Angst. Furchtbare Angst. Aber noch bevor sie mir etwas tun konnten, schreckte ich aus dem Traum hoch und zitterte am ganzen Leib. Es hatte ewig gedauert, bis ich wieder einschlafen konnte, dementsprechend müde fühlte ich mich jetzt.

Das kalte Wasser erweckte aber meine Lebensgeister wieder und ich konnte fast erleichtert durchatmen. Aber nur fast. Denn nach einigen Minuten wechselte das Wasser gern die Temperatur und bis dahin wollte ich fertig sein. Es war nicht besonders angenehm, auf einmal in brühend heißem Wasser zu stehen.

Als ich mit der Dusche fertig war, versuchte ich, mein zerzaustes hellbraunes Haar zu bändigen. Diese tropischen Temperaturen ließen meine Haare plötzlich lockig springen und sie waren einfach nicht zu zähmen, außer mit einem ziemlich straff sitzenden Zopfband.

Ich hätte es mir schenken können, denn abgesehen von meiner Familie würde mich keiner zu Gesicht bekommen und denen war egal, wie ich aussah. Trotzdem trug ich ein wenig Wimperntusche und Lipgloss auf und lächelte mir aufmunternd im Spiegel zu.

Nur noch fünfundzwanzig Tage. Das würde ich irgendwie überleben. Irgendwie. Vielleicht hatte Dad ja auch nach einer Woche genug und wir würden doch noch an einen Strand fahren, wo im Juli zwar Tausende andere Touristen wären, aber Strand war besser als kein Strand. Selbst wenn man ihn mit halb Europa teilen musste.

Ich schlich in mein Zimmer zurück und zog mein Bett ab. Die Hauseigentümerin, eine Frau mittleren Alters mit strengem Gesicht und dunklen Haaren und Augen, würde mich vermutlich schelten, weil ich auch heute neue Bettwäsche wollte. Aber was sollte ich machen, wenn ich die Laken schon wieder durchgeschwitzt hatte? Immerhin half ich ihr auch, die Dinger aufzuhängen. Dabei textete sie mich in einer Mischung aus gebrochenem Englisch und sehr viel Griechisch zu und ich lächelte nur freundlich und nickte, was sie im besten Fall mit einem Nicken quittierte und im schlechtesten mit griechischen Kraftausdrücken. Wobei ich mir da nicht sicher war, immerhin konnte ich kein Griechisch.

Das Zimmer war eigentlich recht nett, wenn auch sehr spartanisch eingerichtet. Das uralte Bett stammte vermutlich noch aus der Zeit, als Griechenland eine Monarchie gewesen war. Eine antike Kommode und ein wackeliger Schrank boten genug Platz für meine Kleidungsstücke. Also garantiert keine Luxuseinrichtung, mit der meine Unterkunft hätte punkten können. Allerdings entschädigte der Ausblick für fast alles.

Mein Fenster war östlich ausgerichtet und der Sonnenaufgang hinter den malerischen Hügeln sah einfach unbeschreiblich schön aus. Jeden Morgen zu erleben, wie der neue Tag begann, die goldene Sonnenscheibe emporstieg, ließ mich fast allen Ärger vergessen. Hätte ich künstlerisches Talent besessen, wäre ich hier wohl nie weggegangen und hätte einen Sonnenaufgang nach dem anderen auf die Leinwand gebracht.

Da es noch ein wenig dauern würde, bis die Sonne aufgehen würde oder jemand anderer als ich wach war, beschloss ich, nach draußen zu gehen und diesmal von der Terrasse zuzusehen, wie der Tag anbrach. Außerdem nahm ich mir vor, meinen Wecker ab jetzt später zu stellen. Offenbar hatte ich den Zeitpunkt des Sonnenaufgangs falsch recherchiert und von meiner Familie schien auch niemand auf die Idee zu kommen, so früh aufzustehen. Also konnte ich mir einige Minuten mehr Schlaf gönnen.

Ich schnappte mir einen Becher und schüttete das Instantkaffeepulver hinein, das es hier statt echtem Kaffee gab, kochte Wasser auf, goss es auf das Pulver und rührte um. Das Zeug löste sich nicht gut auf und ich fischte leise fluchend einige Klümpchen heraus, bevor ich damit hinaus in die Dämmerung trat. Ich nahm einen Schluck von meinem Getränk und verzog das Gesicht. Egal, wie oft ich das Zeug trank, es schmeckte gewöhnungsbedürftig. Aber besser als kein Kaffee. Vor allem nach dieser Nacht.

Ich schloss für einen Moment die Augen und genoss die Stille, bis die mürrische Stimme unserer Vermieterin Angeliki mich hochschrecken ließ.

»Kalimera«, rief sie mir von ihrem Zimmer zu, bevor sie ihr Laken ausschüttelte.

Ich lächelte trotz ihres beißenden Tonfalls und rief ebenfalls »Kalimera« zurück, bevor ich mich wieder der Sonne zuwandte. Aus Purpur wurde ein dunkles Rot, das sich langsam orange färbte. Die Wolken erstrahlten golden, als das Licht der neugeborenen Sonne auf mein Gesicht schien.

Sie wird wiedergeboren, so wie auch du wiedergeboren wurdest. Er wird dich bald finden, hörte ich eine Frauenstimme und zuckte zusammen.

Ich drehte mich zu allen Seiten um, konnte aber niemanden entdecken, der mit mir gesprochen haben konnte.

Verlor ich gerade meinen Verstand?

Fast dankbar seufzte ich, als meine Mutter neben mir stand, einen Becher mit Kaffee in der Hand, das Gesicht nach ihrem ersten Schluck angewidert verzogen. »Guten Morgen, mein Schatz«, murmelte sie und stellte den Becher auf den wackeligen Gartentisch. »Grauenhaftes Zeug. Nicht mal richtigen Kaffee bekommt man hier.«

»Guten Morgen, Mum. Hast du gut geschlafen?«

Sie winkte ab. »Reden wir nicht davon. Ich hoffe, der Tag wird heute nicht so anstrengend, wie ich ihn mir vorstelle.« Sie wischte sich verstohlen über das Gesicht.

Ich wusste, sie weinte wieder.

»Mum, wenn es irgendetwas gibt, über das du mit mir reden möchtest …«, begann ich, aber meine Mutter winkte erneut ab.

»Schon gut, Pen. Ich … Ich kann nicht.« Sie schluchzte leise, nahm ihren Becher und ging an den Gartenliegen vorbei zu den Obstbäumen, wo sie aus meinem Blickfeld verschwand.

Ich sah ihr seufzend nach. Offenbar stand es um die Ehe meiner Eltern schlechter, als mir bisher bewusst gewesen war.

Angeliki trat aus dem Haus und knurrte etwas Unverständliches, bevor sie begann, das Frühstück anzurichten. Da die Sonne bereits aufgegangen war und ich Ablenkung jetzt gut gebrauchen konnte, beschloss ich, ihr zu helfen.

Nach und nach kamen meine Geschwister und mein Vater hinunter und setzten sich an den gedeckten Tisch. Mum schlurfte mit einer leeren Tasse in der Hand zu uns und ließ sich wortlos neben mir nieder.

Aus Rücksicht auf uns hatte Angeliki Müsli besorgt, sonst gab es seltsames Weißbrot, Obst und Joghurt. Die Lunchpakete, die sie für uns zubereitete, enthielten fast das gleiche Essen.

Ich stieß den Atem aus, während ich in meinem Obst herumstocherte. Zumindest das Abendessen war meistens köstlich, wenn Angeliki griechische Spezialitäten auffuhr. Sie hatte sogar zu erklären versucht, wie man ein Moussaka wirklich zubereitete, als ich ihr Essen am zweiten Abend lobte. Nicht, dass ich sie verstanden hätte. Aber sie hatte mir danach noch eine Portion gegeben und sich bei meinem Lunchpaket besondere Mühe gemacht und mir nur Dinge eingepackt, die ich wirklich gern aß.

Mum war nicht der häusliche Typ und wenn wir nicht gerade ein Au-pair hatten, das kochen konnte, gab es meistens etwas Mitgebrachtes oder Brote.

Die Stimmung am Tisch war noch bedrückender als an den Tagen zuvor. Wir alle schwiegen. Sogar Dad sagte nichts, allerdings hatte der seine Nase in ein Buch gesteckt und machte sich Notizen. Vermutlich wollte er uns etwas über unseren Ausflug erzählen, während wir mit dem viel zu kleinen Auto über viel zu holprige Straßen fuhren.

Vicky saß mit einem griesgrämigen Gesicht vor einer Schüssel Obst und betrachtete ihre perfekt manikürten Nägel. Sie hatte sich aufgebrezelt, als würde sie auf einen Ball gehen. Ihre blondierten Haare waren in einer aufwendigen Frisur aufgesteckt und ihr Make-up sah aus, als würde sie bei einem Vogue-Shooting erwartet. Natürlich trug sie völlig unpassende Kleidung für eine Grabung, aber sie hatte sich entschieden geweigert, bequeme Hosen anzuziehen.

Günter hingegen wirkte einfach nur müde. Seine fast schwarzen Haare und die dunklen Augen passten kaum zum Rest der Familie mit unseren hellbraunen Haaren und grünbraunen Augen. Er kaute auf einem Stück Brot herum und blickte in die Ferne. Überhaupt erschien er mir sehr nachdenklich, seit wir hier waren. Nachdenklich und erstaunlich schweigsam.

Mein Bruder war knapp drei Jahre jünger als ich, aber er hatte sich stets wie mein Beschützer aufgespielt. Er war immer sehr groß für sein Alter gewesen, allerdings waren seine Schultern eher schmächtig. Trotzdem drohte er jedem, der mich ärgerte. Victoria gegenüber hatte er sich nie so verhalten.

Wir hatten unsere Teller noch nicht ganz geleert, da scheuchte Dad uns bereits zum Auto. »Los jetzt, wir sollten keine Zeit verlieren!«, trällerte er und reichte jedem von uns die Lunchpakete, auf denen unsere Namen standen.

Meine Geschwister und ich quetschten uns auf die Rückbank, während Mum sich seufzend auf dem Beifahrersitz niederließ. Dass der Wagen keine Klimaanlage besaß, war das Tüpfelchen auf dem i und wir schwitzten schon allein von dieser Fahrt mehr, als gut für uns war.

Immerhin hatte Angeliki uns jede Menge Wasser eingepackt. Und: Sie hatte mir eine Extraportion von den köstlichen Oliven in meinen Rucksack gesteckt. Offenbar hatte sie bemerkt, wie gern ich sie aß.

Vicky knurrte und stieß mir den Ellbogen in die Rippen. »Mach dich nicht so breit, Penelope!«, fauchte sie und ich warf ihr einen zornigen Blick zu.

»Hör auf, mich so zu nennen! Und außerdem hast du allein mehr Platz als Günter und ich zusammen.«

»Unsinn!«, giftete meine Schwester und fuhr sich genervt über das Gesicht. »So nah wie du mir sitzt, könnte man denken, du hast Körperkontakt bitter nötig.«

»Deinen sicher nicht«, murmelte ich und verschränkte meine Arme.

»Den von einem Mann wohl auch nicht! Man könnte meinen, du wärst eine Nonne.«

Ich hasste es, wenn sie mich Penelope nannte. Jeder nannte mich Penny oder Pen. Warum mussten meine Eltern gerade bei mir einen so ausgefallenen Namen aussuchen? Und dann brachte sie jedes Gespräch auf den Punkt, dass ich schon seit gut zwei Jahren keinen Freund mehr hatte. Immer wieder zog sie mich auf und meinte, ich solle mich nicht so zieren.

Ich zierte mich nicht, aber das mit Lukas hatte einfach nicht geklappt und danach blieb mir kaum Zeit, fortzugehen. Das Studium war recht fordernd und ich wollte nicht mit fünfunddreißig noch an der Uni sein. Das Ziel meines Lebens war bestimmt nicht, wie Vicky einen reichen Mann zu heiraten und höchstens Hausfrau und Mutter zu werden.

Ich wandte mich Günter zu, der mit leidender Miene aus dem Fenster starrte und nichts von unserem Streit mitzubekommen schien. Er wirkte so verloren, dass ich ihn nicht ansprechen wollte, sondern einfach nur seufzte und mich zurücklehnte.

Vicky war bissiger als gewöhnlich und Günter viel zu still. Es kam mir so vor, als hätten sie in diesem Urlaub ihre Persönlichkeit verändert. Oder intensiviert. Meine Schwester war nie einfach gewesen, aber so zickig hatte sie sich nie verhalten. Und mein Bruder war nachdenklich, aber nicht so extrem in sich gekehrt.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen wir auf einem staubigen Parkplatz an, auf dem nur wenige Autos standen. Ein Schild mit griechischen Buchstaben prangte an einem Maschendrahtzaun und daneben befand sich eine quietschende Schwingtür, an der ein Mann stand und uns neugierig musterte. Offenbar verirrten sich nicht viele Touristen hierher. Vielleicht lag es an dem Zaun, der das Areal umgab und mich an Filme über Sträflinge in den USA erinnerte, die in ihrer schicken schwarz-weißen Kleidung auf Steine einschlugen. Ich konnte mich jetzt in ihre Lage hineinversetzen. Vermutlich würden wir auch Steine zerklopfen.

Dad versuchte erst, in seinem Touristen-Griechisch mit ihm zu sprechen, dann ging er doch zu Englisch über und erklärte, wer wir waren.

Der Mann nickte und untersuchte unsere Rucksäcke. Ich verstand die Kontrollen bei Vergnügungsparks oder Konzerten. Aber selbst wenn wir Sprengstoff mitgehabt hätten, er hätte ihn nicht gefunden, so wie er in den Taschen herumstocherte. Nachdem er zufrieden war, drückte er jedem von uns eine Werkzeugtasche in die Hand und bedeutete uns, zu warten. Schließlich kam er mit einem zweiten Mann zurück, den er als Ianis vorstellte, bevor er grußlos in einem kleinen Häuschen verschwand.

»Familie Bauer«, begrüßte Ianis uns mit einem Grinsen und einem lustigen Akzent. »Willkommen bei der Ausgrabungsstätte. Ich darf Sie heute begleiten und Ihnen Fragen beantworten.«

Während er sprach, führte er uns durch die Schwingtür und deutete über das weitläufige Areal. Es erinnerte mich mehr an eine Wüste, so kahl wie der Boden war. Nur wenige Bäume spendeten Schatten und die Erde sah aus, als hätte es seit Monaten nicht mehr geregnet. Die letzten Grasbüschel, die um ihr Überleben kämpften, hingen schlapp hinunter und erregten mein Mitleid.

Dad schien trotzdem zufrieden. Er stellte Ianis einige Fragen und dieser beantwortete sie geduldig. Wir anderen trotteten ihnen einfach hinterher, bis wir an die uns zugewiesene Stelle kamen.

»Hier werden Sie den Tag verbringen. Ich werde immer wieder vorbeisehen.« Ianis drehte sich um und zeigte auf eine Hütte, die auf einem Hügel stand. »Falls Sie etwas benötigen, ich bin da vorn in dem Häuschen.« Er nickte uns zu und verließ uns mit einem Grinsen, das ich nicht deuten konnte.

Vicky warf stöhnend ihren Rucksack und ihre Werkzeuge unter einen Baum und setzte sich in dessen Schatten. »Müssen wir das hier wirklich machen? Ich will mir die Nägel nicht ruinieren!«

»Wir machen das als Familie«, erklärte Dad mit seiner festen Stimme und warf ihr einen genervten Blick zu. Dabei war er es doch, der sich monatelang von der Familie entfernt hatte.

Meine Schwester erhob sich mit einem tiefen Atemzug und fischte eine kleine Schaufel aus ihrer Werkzeugtasche. »Ich weiß noch nicht mal, was das hier ist!«

Endlich lachte Günter und klopfte sich auf den Oberschenkel. »Hast du ein Glück, dass du hübsch bist, sonst hättest du es wirklich schwer.«

Vicky rümpfte die Nase und stellte sich neben Mum, die auf das Quadrat auf dem Boden starrte. Es war mit Schnüren umspannt und in sechzehn kleinere Quadrate unterteilt. Scheinbar diente das der besseren Orientierung.

»Ob wir hier wirklich irgendetwas finden werden?«, fragte Mum, ohne aufzusehen.

»Vielleicht sogar eine neue Sensation!«, rief Dad begeistert und teilte jedem von uns ein Areal zu, in dem wir beginnen sollten, zu graben.

Ich unterdrückte ein gequältes Seufzen, nahm eine Schaufel und einen überdimensionalen Pinsel und ging in das Feld, das Dad mir zugewiesen hatte. Die Sonne brannte schon ziemlich heftig vom Himmel und obwohl ich einen Sonnenhut trug, schwirrte mir der Kopf. Wie sollte ich das einen ganzen Tag aushalten?

Plötzlich verschwand die Sonne und es wurde dunkel. Und mir lief es eiskalt den Rücken hinunter.

Kapitel 2

 

Verschwunden waren die Schnüre, die gerade mein Quadrat von den anderen abgegrenzt hatten, ebenso wie meine ganze Familie und die Sonne. Es war bitterkalt geworden.

Ich saß mitten auf einem fast schwarzen Boden und stand schwankend auf. Seltsame Geräusche umfingen mich und aus der Dunkelheit, die mich umgab, drangen plötzlich angsteinflößende Lichter, die wie rot leuchtende Augen aussahen. Zitternd hob ich meine Schaufel und meinen Pinsel, als könnten sie mich vor Unheil bewahren.

»Wer ist da?«, rief ich, aber ich bekam keine Antwort.

Stattdessen wurden die Lichter größer und ich erkannte die Umrisse von gewaltigen Leibern, die gekrümmt zu gehen schienen.

Wollte ich wirklich wissen, was da aus der Dunkelheit auf mich zukam? Nein. Also lief ich los. Ganz egal, wohin. Hauptsache, weg von diesen durchdringend roten Augen und den Kreaturen.

Meine Flucht wurde jäh gebremst, als direkt vor mir weitere rot flammende Augen auftauchten.

Verflucht, wo war ich hier gelandet?

Ich drehte mich in alle Richtungen und stellte fest, dass ich umzingelt war. Langsam, ganz langsam, kamen die Kreaturen näher. Ich konnte sie immer noch nicht genau erkennen, aber ihre Augen wurden riesig und sie stießen fauligen Atem aus. Knurrend und schmatzend rückten sie immer enger zusammen und versperrten mir jeden Fluchtweg.

Ich hielt die Luft an und hob noch einmal Schaufel und Pinsel. Vielleicht dachten sie, es wären gefährliche Waffen, und es würde sie abhalten, mich zu zerfleischen.

Mein Herz schlug so laut, dass ich den gellenden Schrei fast nicht hörte, der von weit weg erklang. Die Kreaturen reagierten allerdings und wandten sich sofort in die Richtung, aus welcher der Laut gekommen war.

Trotz der Dunkelheit erkannte ich den Mann, der aus der Schwärze dieses Ortes hervorbrach, sehr eindeutig. Er erstrahlte förmlich in einem glimmenden grünlichen Licht, während er mit einem gewaltigen Schwert auf die Kreaturen zulief. Er war groß, schlank und ganz in Schwarz gekleidet. Ein Helm verhüllte fast sein gesamtes Gesicht und er schwang die mehr als mannshohe Klinge mit einer Leichtigkeit, als wäre sie winzig klein.

Kreatur um Kreatur fiel unter seinem Streich, bis wir vollkommen allein voreinander standen. Sein stoßweiser Atem warf graue Wölkchen in die kalte Luft und er wandte mir nur halb den Kopf zu, das Gesicht immer noch verborgen.

Fast meinte ich, er würde sich umdrehen und gehen, aber er fuhr plötzlich zu mir herum und nahm seinen Helm ab. Helle grüne Augen blickten mich prüfend an, als er sich durch sein lockiges kurz geschnittenes schwarzes Haar fuhr. Sein Gesicht wirkte jung und doch schien es schon viele, viele Jahre alt zu sein. Markante Wangenknochen und fast schon zu perfekte Lippen vervollständigten sein Äußeres.

Er sah verflucht gut aus.

Erst jetzt bemerkte ich, dass er eine schwarze Rüstung trug. Sie war genauso dunkel wie sein Umhang. Er erinnerte mich an einen dunklen Ritter und irgendwie … kam er mir bekannt vor.

Sein Schwert verpuffte zu schwarzem Rauch und er schritt langsam auf mich zu. Ich wäre gern fortgelaufen, aber meine Beine versagten mir den Dienst. Zu einer Salzsäule erstarrt, konnte ich den Blick nicht von diesen unsagbar faszinierenden Augen nehmen.

Er blieb nur wenige Zentimeter vor mir stehen und ich fühlte seinen warmen Atem auf meiner Haut, als er mich musterte. Da lag so viel Schmerz in seinem Blick, so viel Trauer und etwas, das ich nicht greifen konnte.

Ich schluckte und fragte mich, warum er mich so anstarrte und kein Wort sagte.

Zögerlich legte er mir eine Hand an die Wange. Als seine Fingerspitzen mich berührten, fühlte ich ein Knistern, das auch er zu spüren schien. Er hob eine Augenbraue und zog seine Hand hastig wieder zurück.

»Du solltest nicht hier sein. Noch nicht …«, flüsterte er, ohne den Blick von meinem Gesicht zu nehmen.

Ich schluckte erneut und wünschte mir, ich könnte etwas erwidern, aber es ging einfach nicht. Diese Stimme … Warum kribbelte mein Körper, als ich seine tiefe, sanfte Stimme hörte?

Er seufzte und wandte sein Gesicht ab. »Du weißt nicht, wer ich bin, oder?«, stellte er mit seltsamer Trauer fest, bevor er mich wieder ansah. »Es wäre auch zu einfach gewesen. Mein Bruder spielt niemals fair.«

Ich verstand kein Wort, aber als ich diesen verzweifelten Ausdruck in seinen Augen bemerkte, bewegte sich mein Körper wie von selbst und ich legte ihm meine Hand an die Wange. So etwas war nicht meine Art, ganz und gar nicht, und auch er schien überrascht zu sein, bevor er gequält lächelte.

Er ergriff meine Hand und zog mich an sich. »Ich werde dich beschützen, Persephone. Warte auf mich in deiner Welt.« Er legte seine Lippen an meine Schläfe und ein seltsam vertrautes Gefühl breitete sich in meinem Körper aus. »Ich brauche noch ein wenig, aber ich werde da sein. Vertrau mir.«

Mir war in dem Moment egal, wie er mich nannte. Oder dass ich ihn nicht kannte und er mich hielt, als wären wir ein Liebespaar. Alles in mir kribbelte und ich wollte mich an ihn schmiegen, meine Hände in seinen Haaren vergraben. Aber noch ehe ich mich bewegen konnte, schob er mich weg.

»Geh jetzt. Du bist hier nicht sicher.« Er sah mich ernst an. »Du bist noch nicht so weit und solltest dich von hier fernhalten. Warte auf mich, Persephone. Ich kann dich jetzt endlich wahrnehmen. Bald bin ich bei dir.«

Ich wollte etwas sagen, aber da verschwand er vor meinen Augen und es wurde wieder hell.

 

»Penelope!«

Warte! Du kennst meinen Namen doch …

»Liebe Güte, wo bleibt das Riechsalz?«

Ich sehe dich nicht … Wo bist du?

Etwas unangenehm Riechendes stieg meine Nase hinauf. Ich verzog angewidert das Gesicht und versuchte, vor dem Gestank zurückzuweichen. Hustend riss ich die Augen auf und blickte in das entsetzte Antlitz meiner Mutter, die sich mit einem kleinen Fläschchen über mich gebeugt hatte und erleichtert aufatmete. Mein Dad hielt meine Füße hoch und sah mindestens so elend aus, wie ich mich gerade fühlte.

»Lieber Gott, ich hatte Todesangst!«, schluchzte Mum.

»Was … Wo ist er hin?«, stammelte ich und musste einen Würgereiz unterdrücken, als meine Mutter mir dieses eklige Fläschchen wieder vor die Nase hielt.

»Wer?«, fragte mein Vater und musterte mich mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Dieser Mann … Er hat mich gerettet!«

»Schätzchen, du bist einfach ohnmächtig geworden. Vermutlich hast du geträumt«, erklärte Mum und schloss endlich das Fläschchen.

Sie reichte es Ianis, der auch ziemlich mitgenommen aussah. Vermutlich hatte er schon mit rechtlichen Konsequenzen gerechnet.

Endlich konnte ich wieder atmen, ohne zu würgen.

»Hermann, ich habe dir gesagt, diese Hitze wird uns noch umbringen!«, fuhr Mum meinen Dad an und warf ihm einen entrüsteten Blick zu.

»Dabei hat sie genug getrunken … Ich kann das nicht nachvollziehen«, stammelte er und ließ meine Beine los, als ihm bewusst wurde, dass es nicht länger nötig war, sie zu halten.

»Diese Hitze! Warum müssen wir mitten in der prallen Sonne herumgraben?«, keifte meine Mutter weiter und zog mich behutsam auf die Füße. Mir entgingen ihre Tränen nicht, die sie unbeholfen wegwischen wollte.

Schwankend lehnte ich mich an sie und hielt mir den Kopf. Günter reichte mir eine Flasche Wasser und stützte mich, als Mum mich losließ. Sie stürmte in Richtung Auto und ich warf Dad einen auffordernden Blick zu.

»Ingrid, sei vernünftig! Es ist doch nichts geschehen«, versuchte mein Vater, mit ihr zu reden, doch sie hielt nicht an und fauchte ihm etwas für mich Unverständliches zu.

Erst nach rund einer halben Stunde beruhigten sich alle. Dad überredete Mum irgendwie, den Tag hier zu verbringen. Sie stimmte zu, verlangte aber dafür, nicht wie geplant bis zum Anbruch der Nacht zu bleiben und am Abend etwas Ruhigeres zu unternehmen. Mein Vater untersuchte mich und entschied, dass es besser wäre, wenn ich den restlichen Tag nur zusehen würde. Am besten im Schatten, mit mehreren Flaschen Wasser.

Vicky war fuchsteufelswild, weil sie sich weigerte, eine Ohnmacht vorzutäuschen, und dennoch in den Schatten wollte. Irgendwie hatte ich fast Mitleid mit ihr, aber als sie zu jammern begann, grinste ich ihr schief zu und setzte mich nach einem genüsslichen Strecken unter einen Baum. So hatte ich ein wenig Ruhe. Das führte jedoch dazu, dass ich an diese intensiven, traurigen grünen Augen und den gut aussehenden Mann denken musste.

Hatte ich ihn mir wirklich nur eingebildet? Aber dieses Kribbeln, als ich ihn sah, dieses Knistern bei seiner Berührung … das hatte ich doch eindeutig gefühlt … oder nicht?

Ich knabberte an meinen Oliven, lehnte mich an den Baumstamm, der knorrig und vollkommen schief gewachsen war, und fragte mich, wie ich mir solche Augen einbilden konnte. Und wie lange mein Dad meine Familie noch quälen wollte.

Es war schon später Nachmittag und eigentlich hatte ich gehofft, wir würden langsam aufbrechen und zurückfahren. Immerhin hatte Mum eindeutig erklärt, sie wolle nicht lange blieben. Ich freute mich auf das Abendessen von Angeliki und überlegte, was sie wohl zubereiten würde.

Vicky schnaubte bereits und jammerte noch lauter, dass sie gehen wollte, um ihren Verlobten endlich anzurufen. Ich war mir sicher, sie würde wieder über den mangelnden Luxus nörgeln und ihn überreden, sie nach dem Familienurlaub in ein Luxusresort zu bringen. Sie liebte Spas und früher waren wir oft gemeinsam über das Wochenende weggefahren. Nur wir zwei Schwestern.

Wann hatten wir uns so voneinander entfernt, dass wir uns nur noch angifteten?

Je tiefer die Sonne sank, umso mehr wuchs meine Ungeduld. Ich wollte hier weg und nicht ständig an diesen mysteriösen Mann denken, der mich vor – vor was eigentlich? – gerettet hatte.

Irgendwann meinte meine Mutter genervt, dass es genug für heute war. Ianis kam bei ihren Worten zufällig aus seiner Hütte und nahm uns die Werkzeuge ab. Er bedankte sich für unser Interesse, reichte jedem von uns eine Urkunde und einen Stein als Andenken und brachte uns zum Parkplatz.

Gefunden hatten wir natürlich nichts, aber Dad war trotzdem zufrieden mit dem Tag, von meiner Ohnmacht wohl abgesehen. Wir anderen stiegen eher schlecht gelaunt ins Auto.

Zu unser aller Überraschung fuhr Dad nicht zum Bauernhof zurück, sondern in ein Dorf, nicht weit von unserer Unterkunft entfernt. Er sah meine Mum zufrieden an, als wir vor einer gemütlich aussehenden Taverne hielten.

Vicky bekam eine mittelschwere Krise, da sie keine Zeit hatte, sich neu zu stylen, und ihrer Meinung nach nicht vorzeigbar war. Günter rollte die Augen und zwinkerte mir dann zu.

Dad parkte das Auto und führte uns hinein. Ein älterer Mann wies uns einen Tisch zu und brachte uns die Speisekarte. Er sprach kein Wort Englisch und wirkte nervös.

Mich störte es nicht. Meine Lieblingsgerichte konnte ich auch auf Griechisch bestellen. Ich lächelte zufrieden, als ich die Seiten mit den drei Vor- und drei Hauptspeisen überflog, und überlegte, wie viel davon ich wohl essen konnte, bevor mir schlecht wurde. Allerdings verschwand mein Lächeln und mein Mund klappte auf, als ein junger Kellner an den Tisch trat. Er hatte hellgrüne Augen und obwohl er in einer schwarzen Jeans und weißem Hemd ganz anders aussah als der Mann, der mich gerettet hatte, wusste ich, dass er es sein musste.

»Guten Abend, ich bin Ajax und bediene Sie heute«, begrüßte er uns.

Mir fiel fast die Speisekarte aus der Hand, als ich ihn musterte. Ich war so überrascht, dass mir beinahe nicht aufgefallen wäre, wie perfekt sein Deutsch klang. Das ließ die Frage aufkommen, warum ein Kellner im Hinterland eines wirtschaftlich angeschlagenen Landes diese Sprache so gut beherrschte.

Meinen Dad schien das nicht zu beeindrucken. Er bestellte eine gemischte Vorspeisenplatte für uns alle, während jeder seinen Hauptgang selbst auswählen durfte.

Ich stammelte etwas von Gyros mit Pommes, während ich nicht aufhören konnte, Ajax anzustarren. Wie war es möglich, dass er dem Mann aus meinem Traum so ähnlich sah?

Irgendwann stieß mein Bruder mich in die Seite und schnalzte mit der Zunge. »Hör auf, den Kerl so anzusehen. Der denkt noch, du willst ihn hypnotisieren«, tadelte er mich und grinste. »Und mach es nicht so offensichtlich vor unseren Eltern, die lassen dich sonst die nächsten Tage sicher nicht aus den Augen.«

Ich nickte und zwang mich, Ajax nicht nachzustarren. Im Gegensatz zu meiner Schwester, die ihm mit klimpernden Wimpern hinterher lächelte. »Hach, endlich mal ein Grieche, der richtig gut aussieht. Rasiert und gepflegt, ganz anders als diese Bauarbeiter vorhin.«

»Das sind archäologische Facharbeiter, Kind«, korrigierte Dad sie und Vicky knurrte.

»Mir egal! Die haben seit Wochen keinen Frisör mehr gesehen oder jemals was von Handcreme gehört. Und was die anhatten …«

Ich verdrehte die Augen und ein Blick auf meinen Bruder bestätigte mir, dass wir gerade das Gleiche über unsere Schwester dachten. Victoria hatte sich nie über den Aufzug anderer Menschen beschwert. Wieso war ihr das gerade hier so wichtig?

Sie hatte sich allerdings immer viel aus Kleidung und ihrem eigenen Aussehen gemacht. Während Günter und ich im Dreck gespielt hatten, lackierte sie sich mit zehn Jahren die Nägel. Mit sechzehn sah sie aus wie ein Cover-Model. Aber sie hatte sich nie über mich und mein eher legeres Aussehen lustig gemacht. Bis vor Kurzem.

Sie hatte sich bisher auch nie für jemand anderen als Martin interessiert. Er entsprach genau ihrem Typ und außerdem las er ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Nun aber ließ sie kaum eine Gelegenheit aus, sich auf andere Männer zu stürzen, wenn sie ihr gefielen. So wie unser Kellner.

Doch Ajax schenkte ihr in etwa so viel Aufmerksamkeit wie den Flecken auf unserer Tischdecke, als er unsere Getränke brachte. Obwohl Vicky wirklich alles versuchte, um mit ihm in ein Gespräch zu kommen, schwieg er.

Er hob nur einmal kurz seinen Blick und streifte damit wie zufällig über mein Gesicht. Ich hätte schwören können, dass er dabei seine Mundwinkel ein Stück anhob, doch genauso schnell, wie er diese Regung gezeigt hatte, war sie auch verschwunden. Er stellte alle Gläser ab und verschwand wortlos in der Küche.

Danach verging einige Zeit, bis wir ihn wieder zu Gesicht bekamen. Außer uns hatte sich kein Gast eingefunden, trotzdem schien es ewig zu dauern, bis unsere Vorspeisenplatte fertig war. Mit einem entschuldigenden Lächeln servierte Ajax die köstlich duftenden Speisen. Er wünschte uns einen guten Appetit und verließ den Gastraum wieder.

Vicky schlug genervt mit der flachen Hand auf den Tisch. »Wir hätten zuerst zurückfahren sollen. Kein Wunder, dass er mich nicht beachtet, so schmuddelig, wie ich aussehe.«

»Darf ich dich daran erinnern, dass du nächstes Jahr heiraten möchtest?«, fragte Mum kopfschüttelnd.

»Na und? Anhimmeln darf mich jeder Mann«, erklärte Vicky und verschränkte ihre Arme.

»Obwohl er vermutlich nicht reich ist und dir kein Leben im Luxus bieten kann?«, warf Günter ein und ich fühlte mich noch verbundener mit ihm. Fast dieselben Worte lagen mir nämlich auf der Zunge.

»Dafür sieht er unglaublich gut aus. Wie kann man so intensive Augen haben?«, schwärmte meine Schwester und seufzte, bevor sie sich über ein gefülltes Weinblatt hermachte.

Das fragte ich mich allerdings auch.

Ajax stand mittlerweile hinter dem Tresen und putzte einige Weingläser. Als würde er meinen Blick bemerken, drehte er sich um und schmunzelte. Ich wandte mich schnell ab und widmete mich meinem Teller voller Köstlichkeiten. Es war mir peinlich, dass er mitbekommen hatte, wie ich ihn anstarrte.

Bevor die leere Vorspeisenplatte abgeräumt wurde, entschuldigte ich mich und ging nach draußen, um frische Luft zu schnappen. Irgendwie war es mir in dem Raum zu stickig, obwohl wir immer noch die einzigen Gäste waren.

Draußen war es angenehm kühl geworden und die ersten Sterne erschienen am purpurnen Himmelszelt. Ich lehnte mich an eine von Weinreben überwachsene Wand und atmete tief durch. Seufzend schloss ich die Augen und genoss die angenehme Frische des Abends.

»Langer Tag?«, hörte ich eine Stimme und fuhr herum.

Neben mir stand Ajax, mit einer Zigarette im Mund, und grinste mich verwegen an.

»Bist ganz schön leicht zu erschrecken.«

Sein Grinsen vertiefte sich, als er mir die Zigarettenschachtel hinhielt. Ich starrte darauf und schüttelte den Kopf. Irgendwie gelang es mir nicht, auch nur ein Wort zu sagen.

Wieso machte mich der Typ so nervös?

Ajax zog die Schachtel schulterzuckend zurück, zündete seine Zigarette an und lehnte sich ebenfalls an die Wand. Seine grünen Augen blickten in den Sternenhimmel und für einen kurzen Moment dachte ich, er hätte eine schwarze Rüstung statt seiner Jeans und einem Hemd an. Ich blinzelte und sie verschwand. Mein Kopf musste etwas von der heftigen griechischen Sonne abbekommen haben …

Von der Seite betrachtet wirkte Ajax traurig, während er an seiner Zigarette zog. Doch als er sich mir zuwandte, war davon nichts mehr zu erkennen.

»Hat es dir die Sprache verschlagen, meine Hübsche?« Sein rechter Mundwinkel zuckte amüsiert, als er den Zigarettenrauch ausblies und mich musterte.

»Ich… entschuldige … ähm … kennen wir uns … zufällig?«, fragte ich ihn und beobachtete jegliche Reaktion in seinem Gesicht. Nur in seinen Augen blitzte kurz etwas auf, ansonsten regte sich nichts.

Ajax schüttelte den Kopf. »Bin nicht aus der Gegend, ist meine erste Saison hier«, erwiderte er und drückte die Zigarette aus. »Bleibst du noch länger in diesem Dorf? Ist nicht gerade ein Touristenziel, wenn du mich fragst.«

»Mein Vater möchte noch länger hierbleiben«, gab ich zurück und bemerkte, wie seine Augen wieder funkelten.

»Wenn du möchtest, könnten wir uns mal treffen. Viel ist hier nicht los, aber vielleicht wird es doch interessant«, schmunzelte er. »Übrigens bringe ich gleich eure Hauptspeise, also solltest du langsam hineingehen.«

Ich nickte und sah ihm nach, als er wieder im Gebäude verschwand. Hatte er gerade wirklich mit mir gesprochen? Und mich auf ein Date eingeladen?

Als ich meine Schockstarre überwunden hatte, ging ich zurück zu meiner Familie. Ajax servierte in diesem Moment die dampfenden Teller und zwinkerte mir zu, als ich mich hinsetzte. Obwohl ich gerade noch riesigen Hunger gehabt hatte, stocherte ich in meinem Essen herum.

Warum hatte ich plötzlich ein ganz seltsames Gefühl, wenn ich an Ajax dachte? Und wieso sah er aus wie ein Mann, den ich offenbar in meinem Ohnmachtsanfall gesehen hatte?

»Wenn du nicht gleich isst, werde ich mich über deinen Teller hermachen«, verkündete Günter und starrte gierig auf mein Essen.

Ich knurrte ihn an und begann, mir Gabel um Gabel in den Mund zu schieben. Himmel, schmeckte das Essen hier gut. Nicht so gut wie das von Angeliki, aber doch einfach nur köstlich. Ein Glück, dass ich nicht auf meine Brautfigur achten musste wie meine Schwester, die lustlos auf ihrem Salat herumkaute. Das Leben mit gutem Essen war einfach viel besser.

Kapitel 3

 

Leuchtend rote Augen verfolgten mich, als ich durch einen fremdartigen Wald lief. Wurzeln knarrten unter meinen Füßen und ich stolperte immer wieder. Meine Haut wurde von den dornigen Ästen aufgerissen, während ein lautes Heulen meinen Herzschlag beschleunigte.

Dann fiel ich. So sehr ich es wollte, ich konnte nicht mehr aufstehen und die Kreaturen der Dunkelheit umringten mich.

»Persephone!«

 

Ich fuhr hoch und keuchte. Es war stockfinster in meinem Zimmer und meine Laken waren wieder durchgeschwitzt. Angeliki würde mich lynchen.

Zitternd tastete ich nach einem Glas Wasser und trank es gierig aus. Mein Herz pochte immer noch so schnell, dass es sich förmlich überschlug, während ich versuchte, meinen Atem zu beruhigen.

Dieser Traum … er fühlte sich so real an. So verflucht real.

Ich tastete mein Gesicht ab, aber da waren keine Kratzer, obwohl ich sie wirklich erwartet hatte.

Nur ein Traum. Nur ein Traum. Aber diese Stimme … das war er!

Ich stöhnte leise und hielt mir den Kopf. Was zur Hölle ging hier vor?

Ein Knacken vor meinem Fenster ließ mich mit einem erstickten Kreischen zusammenfahren. Ich zog die verschwitzte Decke über mich und verbarg mich darunter. Bis mir bewusst wurde, dass ich deswegen leider nicht unsichtbar war. Aber vielleicht konnte ich, was auch immer dieses Geräusch gemacht hatte, als Gespenst in die Flucht schlagen?

Wieder knackte es und ich stand ungelenk auf, um zu meinem geöffneten Fenster zu schleichen.

Der Hof war in silbernes Mondlicht getaucht und die Berge hoben sich dunkel von dem sternenklaren Nachthimmel ab. Ein Blick nach unten genügte und ich wusste, wer dieses Geräusch verursacht hatte.

»Ajax?«, fragte ich leise und der Kellner lächelte zufrieden.

»Na endlich, Prinzessin. Dachte schon, du erhörst mich nie«, grinste er und vollführte eine Verbeugung. Er trug noch immer die schwarzen Jeans und das weiße Hemd.

»Woher weißt du, wo ich wohne?«, flüsterte ich und ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Er kannte ja noch nicht einmal meinen Namen, woher wusste er dann, wo wir uns eingemietet hatten?