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Luis Coloma Roldán war ein spanischer Schriftsteller, Journalist und Jesuit, dessen Werk dem spanischen Realismus zugerechnet wird. Der Sammelband "Gottes Hand" bietet folgende Erzählungen: Gottes Hand. Die Maus. Der blaue Saal Der kleine Pilatus Männer von ehemals. Der Hirschjäger. Karfreitag. Die Gottesstreiter. Kain. Gottergebenheit. "Er war ein Heiliger"
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Seitenzahl: 330
Veröffentlichungsjahr: 2012
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Gottes Hand
Luis Coloma
Inhalt:
Luis Coloma – Lexikalische Biografie
Gottes Hand.
I.
II.
III.
IV.
Die Maus.
Der blaue Saal
Der kleine Pilatus
Männer von ehemals.
Der Hirschjäger.
Karfreitag.
I.
II.
III.
IV.
Die Gottesstreiter.
I.
II.
III.
IV.
Kain.
I.
II.
III.
IV.
Gottergebenheit.
I.
II.
III.
"Er war ein Heiliger"
I
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
Gottes Hand, Luis Coloma
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849607975
www.jazzybee-verlag.de
Span. Schriftsteller und Jesuit, geboren am 9. Januar 1851 in Jerez de la Frontera, verstorben am 14. April 1915 in Madrid. Erregte ungeheures Aufsehen durch den zuerst in einem religiösen Blatte (»Mensajero del Sagrado Corazon de Jesus«) erschienenen Roman »Pequeñeces« (»Lappalien«, deutsch, 5. Aufl., Berl. 1897), in dem er die frivole, nur zu oft lasterhafte Lebensführung der Madrider Aristokratie und Plutokratie mit kraftvoller Ironie geißelt. Das Werk erlebte viele Auflagen und ward in fast alle europäischen Sprachen übersetzt. Gleichfalls ein Tendenzroman ist: »Por un piojo« (4. Aufl. 1894). Vorher hatte der streitbare, beredte Priester eine größere Reihe von Erzählungen und Skizzen nach der Natur veröffentlicht (wie »Pilatillo«, 1886; »La Gorriona«, 1887; »Juan Miseria«); dazu Geschichten für Kinder: »Cuentos para niños« (2. Aufl. 1889; deutsch, »Buch der Kinder«, Berl. 1897). In den »Retratos de antaño« (Madr. 1893) bietet er biographische Studien über Denker und Dichter des 18. Jahrh. Vgl. E. Pardo-Bazan, El P. C. y su obra (1890).
Digitus Dei est hic. (Dieses ist ein Fingerzeig Gottes.)Exodo cap. VIII, v. 19.
In dem kleinen Dorfe herrschte eine gewisse Unruhe: die Männer kamen vor der Zeit und eilig von der Arbeit nach Hause, legten die Werkzeuge ab und eilten scharenweise in die Schenke des Gevatters Mal-Alma. Auch die Frauen eilten herbei, scharten sich zusammen und gingen mit hochaufgerichtetem Kopf, wie witternde Hunde, auf der Suche nach Nachrichten von der Türe der Schenke bis zu dem verfallenen Häuschen von Juan dem Gesichtslosen. Dort war an einem in die Mauer eingelassenen Ringe ein herrliches schwarzes Füllen angebunden, mit einer Trense im Maul, einem Kappzaum mit doppeltem Zügel, einem Sattel, wie ihn die Kuhhirten brauchen, hinten aufgeschnallt, Pistolen im vorderen Halfter und einer zweiläufigen Flinte an der rechten Seite. Eine Schar von Kindern umringte das hübsche Tier, das ungeduldig die Mähne schüttelte und den Fußboden stampfte, als wollte es sich gewaltsam gegen die Fesseln auflehnen, die es seiner Freiheit beraubten. Neben diesem Füllen stand ein anderes starkes Pferd, das weniger schön, knochig und von jener Art war, wie sie in Andalusien die Viehhändler und Gutsinspektoren reiten, das das Geschirr halb ländlich, halb kriegerisch mit Geduld trug und mit seiner Unbeweglichkeit seinem widerspenstigen Nachbarn als Beispiel dienen konnte.
"Lopijillo ist gekommen!" sagten die Männer halb geheimnisvoll, halb furchtsam und erwartungsvoll, und die angsterfüllten Frauen wiederholten diesen Namen und fügten wütend hinzu:
"Der Teufel hole ihn! ... Er sei verflucht! Gibt es denn keinen Blitz, der auf ihn herniederfährt?"
In dem letzten Hause des Dorfes, von den übrigen durch ein Melonenfeld getrennt, lehnte ein dicker, untersetzter Mann mit seinem derben Rücken gegen einen alten, vor die Türe gepflanzten Feigenbaum, um dessen Stamm sich üppiger Wein rankte, mit jenem spielenden Vertrauen, mit dem ein Kind die Arme um den Hals des Großvaters schlingt. Er schlug mechanisch mit einem dünnen Steckchen auf die Gamaschen aus derber Wolle, als wollte er den Staub herausklopfen, in Wirklichkeit aber, um die schlechte Laune zu verbergen, die sich auf seinen gütigen, fast einfältigen Zügen widerzuspiegeln begann. Auf der Türschwelle stand eine Frau mit heiteren Gesichtszügen und lebhaften Augen. Sie hatte einen Männerhut unter dem Arm und strickte mit einer gewissen fieberhaften Tätigkeit, die deutlich ihre Erregung verriet.
"Ich sage dir, du wirst nicht gehen, Juan Antonio!" erklärte sie gereizt. "Dieser Don Juan, zu dem der Titel "Don" so wenig paßt wie die Bischofsmütze zu dir, und dein Gevatter Mal-Alma werden dich ins Verderben bringen. Was geht dich das alles an, koche doch nicht, was du nicht zu essen brauchst."
"Was mich das angeht?" fragte Juan Antonio. "Aber sieh', wenn die Reihe an uns kommt, wirst du dich schon darüber freuen, da mir Don Juan die ganze Meierei versprochen hat, an die mein Anwesen grenzt. Und wie schön steht das Getreide! Jede Ähre so dick wie eine Eiche und jedes Korn wie meine Faust. Du wirst sehen, das bringt uns aus der Not, wenn das Messer uns an der Kehle sitzt."
"Unser Herr Jesus Christus beschütze uns," rief seine Frau aus. "Denn wenn dieser Don Juan oder Don Mengue es dir versprochen haben, dann geh und mach einen Strich in das Wasser des Brunnens, damit du nicht vergißt, ihn beim Wort zu halten. Denn wenn er auf den Baum geklettert ist, wird er der Leiter einen Fußtritt geben, und hüte dich, daß er nicht aus deiner Haut die Riemen schneidet, mit denen er dich durchhaut.
"So willst du seine göttliche Majestät, die da gesagt hat: im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, Lügen strafen? Gott, was für ein Unsinn!"
"Sieh' Juan, wenn wir Armen nach außen schwitzen, schwitzen die Reichen nach innen. Siehst du denn nicht, daß den meisten der Honig wie Gift schmeckt, und daß sie immer den Blick über die Achseln werfen, weil sie für ihr Hab und Gut fürchten. Und wozu gibt es denn Arme und Reiche, wenn nicht, damit sie sich gegenseitig dazu verhelfen, in den Himmel zu kommen. Die Reichen bezahlen den Eingang mit ihren Almosen, und die Armen mit ihrer Geduld, und wenn irgend ein großer Herr ein Herz von Stein hat, mag er das selbst verantworten, denn es gibt einen Gott, einen Tod, ein Gericht, eine Hölle und eine Seligkeit. Also, Juan, bei den Kreuzesnägeln Christi, geh' du nicht in das Haus dieses Don Juan, wo mir all meine Sünden einfallen, wo sie dir den Kopf mit Dummheiten und das Herz mit Galle füllen. Denke daran, daß du eine Taube warst, als du noch keine andern Reden hörtest als die des Herrn Pfarrei!"
"Ich habe dir ja schon gesagt, daß ich zu gehen versprochen habe, Catalina; den Stier faßt man bei seinen Hörnern und den Menschen bei seinen Worten."
"Aber wenn das Wort so ist, daß es dir selbst den Strick um den Hals dreht! Wenn dieses Wort ..."
Das übrige erstarb auf Catalinas Lippen, als sie an der Ecke des Hauses ein breiten, plattes Gesicht, dem eines Jagdhundes ähnlich, erscheinen sah, beschattet von buschigem, halb ergrautem Haar, das seine schmale Stirn bedeckte. Der Herangekommene richtete seine schielenden Augen auf die Gruppe, die die Männer und Frauen bildeten, und sagte mit schriller, scharfer Stimme wie die Trompete einer verstimmten Orgel:
"Gevatter! Laßt uns gehen, es ist Zeit."
Catalina stellte sich mit einem Sprung vor ihren Gatten und sagte entschlossen:
"Dieser kommt mir heute nicht fort, Gevatter Mal-Alma: und nun könnt Ihr wieder gehen, woher Ihr gekommen seid."
Mal-Alma machte zwei Schritte vorwärts, kreuzte die Arme auf den Rücken und sagte ganz ruhig:
"Donnerwetter, wie rasch Eure Zunge geht, Gevatterin."
Und indem er auf Juan Antonio zutrat, der unentschlossen seine Gerte in der Hand hielt, setzte er mit der Sicherheit des Schützen hinzu, der den schwachen Punkt zu treffen weiß:
"Ihr werdet Euch doch nicht von einer Frau einschüchtern lassen, Gevatter! Seid Ihr aber feig!"
"Ich?" rief Antonio stolz aus, der es wie alle schwachen Menschen nicht vertragen konnte, wenn man auf ihre Schwäche anspielt; und indem er Catalina seinen Bolero aus der Hand riß, den diese zurückzuhalten suchte, wandte er sich, ohne ein Wort zu sprechen, dem Dorfe zu.
Der arglistige Mal-Alma folgte ihm auf den Fersen und sagte mit Nachdruck zu der guten Frau:
"Wenn Ihr fürchtet, daß Euer Mann verloren geht, kann ich Euch ja eine Empfangsbestätigung ausstellen, Gevatterin."
"Ich wünschte nur, daß Ihr Euch nicht mehr hier sehen ließet mit Eurem verräterischen Judasgesicht." erklärte Catalina wütend.
Mal-Alma lächelte sarkastisch und entfernte sich singend:
Vierhundert Weiber, Sechshundert Papageien Machen ein Spektakel Wie tausend Teufel.
Dieser Refrain brachte Catalina vollends in Harnisch, so daß sie die Türe so heftig zuschlug, daß sich die Katze erschreckt auf das Dach flüchtete, und die Hühner gackernd auseinanderliefen. Der Hahn redete sie auf lateinisch mit einem langegzogenen proptera quoooor an, und indem er zwei Schritte vorwärts machte, blieb er stehen, das eine Bein hochgezogen und mit vorgestrecktem Halse, verrenktem Kopf und glänzenden Augen und sagte: "Caveant consules."
Die Nacht brach herein und eine Schar phantastischer Schatten fing an durch das Dorf zu huschen; die Pfarrkinder kamen eines nach dem andern aus der Schenke des Gevatters Mal-Alma, wie die Fledermaus aus ihren schmutzigen Nestern, und verschwanden rasch in dem schwarzen Eingang des Hauses des Don Juan des Gesichtslosen, als fürchteten sie einem Spion zu begegnen. Es waren etwa 50 Männer vereint, in einem engen niedrigen Raum, der erweitert wurde durch eine abgerissene Verkleidung, die ihn vom Pferdestall trennte, und hier, zwischen den Ausdünstungen von Nahrungsmitteln, Zigarrendampf und der Stickluft des in den Ecken faulenden Düngers, zwischen der Furcht vor großen Gefahren und der Hoffnung auf große Ereignisse, bereiteten sie sich vor, Lopijillo, den berühmten Demagogen der Stadt, zu empfangen, den ihnen Don Juan der Gesichtslose, der Hilfsdemagoge des Dorfes, vorstellen sollte.
Wichtige Gerüchte gingen um. Es hieß, die Stunde zum entscheidenden Schlag wäre gekommen, Lopijillo führe in seinem Reisesack den Befehl der sozialen Auflösung mit sich und diese Nacht wäre die letzte, in der die Reichen ruhig in ihren Palästen schlafen würden. Der Gevatter Mal-Alma, der Ganymed jener versammelten Väter, hatte inzwischen einen Krug Wein die Runde machen lassen, der die Begeisterung wach hielt, die Angst verscheuchte, die Hoffnung neu belebte und die Beredsamkeit erhöhte.
Fecundi calices quem non fecere disertum.(Wen haben volle Kelche nicht beredt gemacht?)
Darauf trat durch die Öffnung einer Krippe, die mit dem Hause verbunden war, ein Mann, der kaum den Eindruck eines Menschen machte. Ein Schlapphut mit riesenbreiter Krempe, der bis auf die Augenbrauen herunterhing, bedeckte seine Stirn: darunter eine große Brille mit grünen Gläsern und das Ganze umrahmt von einem schwarzen, struppigen, ungepflegten Bart, aus dem eine breite Stumpfnase hervorlugte, die etwa wie eine Grabschrift das Folgende besagte: "Hier ruht ein Gesicht." Das war der berühmte Demagoge, der in der Stadt der "Unbekannte" genannt wurde und im Dorfe noch bekannter war unter dem Namen "der Gesichtslose", weil von einem Gesicht nichts zu sehen war. Er kleidete sich stets bei jedem Wetter in einen übergroßen Mantel, in dessen tiefen Taschen er mechanisch die Hände vergrub, wenn ihm im Eifer jener improvisierten Reden das Wort fehlte, als habe er hier eine Sammlung guter Gedanken verborgen; er pflegte sie dann in fieberhafter Hast wieder herauszuziehen, ohne den flüchtigen Gedanken erhaschen zu können, fand dafür aber endlich jenen derben Fluch, den er ungeschminkt herausbrachte, um seine Periode abzurunden und der Phrase mehr Nachdruck zu verleihen. Hinter ihm trat Lopijillo, der Demagoge aus der Stadt, eine wichtige Persönlichkeit, mit der wir an anderer Stelle unsere Leser bekannt machen werden, in dem Glanze seines revolutionären Ruhmes ein: hinter ihnen eine dritte Persönlichkeit mit Gamaschen und einer Kutscherjoppe: Lopijillos Sekretär, der ein Banner aus feuerroter Leinwand aufpflanzte.
Diese drei betraten ein schwankendes Podium, das an der Hinterwand des Klubstalles errichtet war, und im tiefsten Schweigen, das ringsum herrschte, ergriff Lopijillo das Wort und improvisierte eine Rede, die er aus der "Guillotine" – "dem Organ der oberen Zehntausend" – auswendig gelernt hatte. "Der große Moment wäre gekommen. Die Stunde der Gerechtigkeit hätte für die Proletarier und für die Mächtigen geschlagen und die Rollen würden jetzt vertauscht werden. Mit der flammenden Fackel der Zivilisation in der Hand, wäre er (Lopijillo) durch Städte und Dörfer gezogen und hätte sich für das Wohl der Proletarier geopfert; Hunger, Kälte, schlechte Behandlung und alle die Qualen, welche Tyrannei und Inquisition sich ausdenken, um den edlen Kämpen der Volksrechte zu unterdrücken, hätte er erduldet. Aber er würde noch mehr erdulden; noch sei sein Opferdurst nicht gelöscht. Es wäre der Moment gekommen, da das ganze Spanien mit einem Schrei die Bundesrepublik verkünden werde und er bereit wäre, sich von neuem zu opfern und die Kandidatur anzunehmen, wenn es ihnen beliebte, ihn zum Deputierten zu wählen. Dort stende das rote Banner, das er ihnen mit Todesverachtung zu überliefern gekommen war. denn sobald es einmal in Spanien aufgepflanzt wäre, würde man unweigerlich zur Verteilung der Güter schreiten. Die gewalttätigen Reichen hätten jetzt genug genossen. Er hingegen verlange für sich nichts: ihm genüge ein klarer Himmel, ein sanftes, fließendes Bächlein, eine grüne Matte und das Schauspiel der Menschheit, die sich im Schatten seiner phrygischen Mütze umarme.
Ein Sturm von Zurufen, Applaus, Brüllen und Füßetrampeln erhob sich in dem Klubstall und beschwor die Schatten jener verständigen Maultierhengste, ihrer ursprünglichen Bewohner, herauf, unter deren Wiehern und Hufschlägen jene Mauern so oft erzittert waren. Jene kriegerischen Zurufe, die ein wenig an die Thermopylen erinnerten, übertönten die Stimme Lopijillos. Er wollte fortfahren und konnte nicht: der Taumel der Begeisterung verwirrte ihn, und die stummen Zornesausbrüche der römischen und griechischen Redner zogen an seinem geistigen Auge vorüber. Mark Anton, der die Toga seines Freundes zerreißt, um dem Senat die Wunden zu zeigen, die er bei der Verteidigung des Vaterlandes erhielt. Perikles, wie er Aspasia im Areopag von Athen umarmte, waren verstummt. So umarmte auch er schweigend das Banner aus roter Leinwand und blieb unbeweglich wie Klopstocks Helden stumm in dem Gedanken an seine Unsterblichkeit, in jene roten Falten gehüllt einem gerupften Huhn in einer Tomatensauce gleichend.
Darauf trat Juan der Gesichtslose vor: er wollte sprechen und schlug mit derbem Schlag auf den schwankenden Tisch. Die heilige Begeisterung leuchtete aus seinen Augen, so daß seine grünen Brillengläser zwei venetianischen Fackeln glichen, mit einer Stimme, die sowohl aus seiner Nase wie aus seinen Brillengläsern, oder seinem Busch von Borsten zu kommen schien, die seinen Mund wie Spinnweben den Eingang einer Höhle bedeckten. Er rief:
"Bürger! Gekommen ist die Stunde – die Stunde ist gekommen: – bereits ist die Stunde gekommen! – Ich sage nichts. – Nichts sage ich! Ich sage gar nichts! ... Denn es sprach jener flammende Zivilisator... jener flammende Zivilisator hat gesprochen... und mit ihm verglichen bin ich ... ich bin mit ihm vergleichen ... ein, ein –"
Und dabei vergrub Don Juan seine beiden Hände in die Taschen auf der Suche nach dem Wort, das ihm entfallen war. zog sie wieder heraus, steckte sie wieder hinein, und als er endlich einen jener energischen Ausrufe gefunden, mit denen er seine Rede ausschmückte, schleuderte er ihn laut brüllend heraus.
Das Publikum war überzeugt. Die Begeisterung überschritt alle Grenzen, und nachdem Lopijillo sich wieder erholt hatte, sah er sich gezwungen, mit einer helltönenden großen Kuhglocke Schweigen zu gebieten. Die Ruhe war wiederhergestellt, Lopijillo legte den Plan dar, der für den allgemeinen Aufstand aller guten Patrioten den nächsten Morgen festsetzte. Er erteilte den Anwesenden den Rat. sich des Rathauses zu bemächtigen, Bürgermeister und Räte abzusetzen und an ihrer Stelle durch Abstimmung andere zu ernennen. Nun wurde die Stunde festgesetzt, zu der sie alle auf dem Marktplatz zusammenkommen sollten, es wurde bestimmt, daß sie so viel Flinten mitbringen sollten, als sie auftreiben konnten, und Lopijillo hob die Sitzung auf, um, wie er sagte, in die Stadt zurückzukehren, noch bevor jener Tag des ruhmreichen und bundesgenössischen Glückes anbrechen würde. Der Demokrat wußte sehr wohl, daß der Sturm, sobald der Wind sich einmal erhoben hat, sich ganz von selbst entwickelt.
Als Lopijillo sich verabschiedete, hatte die Begeisterung den Sieg über die Klugheit davongetragen. Sie alle begleiteten den berühmten Anführer truppweise bis zum Ausgang des Dorfes. Vor dem Hause Juan Antonios bestieg Lopijillos endlich mit tausend Vorsichtsmaßregeln sein kostbar aufgezäumtes Fohlen, das er drei Tage vorher auf einem großen Gute gestohlen hatte. Er bezwang das ungebändigte Tier, versuchte mit großer Mühe des Rosses Ungestüm zu zügeln und brachte als letzten Abschiedsgruß ein Hoch auf die Freiheit aus.
Eine weibliche Stimme, scharf wie ein Messer, beantwortete diesen Ruf aus dem Hause Juan Antonius, und in der Stille der Nacht konnte man ganz deutlich alle Abstufungen der Ironie und der Wut wahrnehmen.
"Alter Schwätzer! Wenn die Freiheit leben soll, dann gib nur erst dem Fohlen die Zügel frei!"
Endlich rückte der ersehnte Tag heran und schon am frühen Morgen scharte sich die Gesellschaft vom Abend vorher rings um das Rathaus und ließ durch unruhige Blicke aus ihren besorgten Gesichtern und geflüsterten Gesprächen jene Erregung erkennen, die das Herz des Menschen befällt, sobald man ein Unternehmen wagt, bei dem man alles auf eine Karte setzt. Gevatter Mal-Alma, der Mephistopheles jener armen Tröpfe, lief, das Feuer schürend, von Hof zu Hof, machte hier glänzende Versprechungen, äußerte da prahlerische Drohungen und dort possenreißerische Gotteslästerungen.
Endlich schlug die Kirchenuhr zwölf und zum Erstaunen aller, die nicht in das Geheimnis eingeweiht waren, hörte man plötzlich an Stelle des Angelusläutens ein schrilles Geläut, das an allen Enden des Dorfes Schrecken und Verwirrung hervorrief. Zu derselben Zeit erschien auf der Höhe des Turmes, wie aus einer Schachtel, aus der bei der Berührung der Feder ein Hanswurst hervorspringt, das struppige Gesicht Don Juans des Gesichtslosen, der, eine rote Fahne schwingend, sie neben der Wetterfahne aufpflanzte und mit der ganzen Kraft seiner Lunge schrie:
"Es lebe die Bundesrepublik."
Diesen Schrei wiederholten alle Anwesenden auf dem Platze. Aber schon nicht mehr in jener grotesken Weise, wie es am Abend vorher im Klubstall Don Juans erklungen war: auf das Komische war das Tragische gefolgt und die tausend gewaltigen Leidenschaften, die in der Brust des Menschen miteinander kämpfen, bevor er sein Leben aufs Spiel setzt, spiegelten sich schon auf jenen rohen Gesichtern wider und verscheuchten alles Lächerliche, um dem Entsetzen Platz zu machen. Zorn, Wut, Schrecken, Zittern und die entsetzliche Angst, die allen Kämpfen und allen Verbrechen vorangeht, prägten sich auf den Gesichtern aus; und dann beim ersten Schrei und dem ersten Pulverdampf bricht die Raserei völlig aus, um in ihrem ganzen Schrecken jene Wut ausbrechen zu lassen, die den Menschen in einen Blutsumpf stürzt, und ihn, wenn er sich darin die Hände färbt, die düstere Wollust der Grausamkeit und Rache auskosten läßt. Denn die schwarze Hand der Reaktion, wie Lopijillo sagte, hatte auch ihrerseits Maßregeln getroffen und kaum war der aufrührerische Schrei Don Juans des Gesichtlosen von der Höhe des Turmes erklungen, als an den Fenstern des Rathauses die schrecklichen Dreispitze der verschiedenen Zivilgarden erschienen, die die drohenden Mündungen ihrer zweiläufigen Karabiner auf die Menge richteten.
"Aus dem Wege!" schrie der Anführer.
Und eine geschlossene Salve erstickte diesen Schrei des Aufruhrs zwischen Krachen der Gewehre und dem Wutgeheul der Menge. Die Zivilgarde gab darauf Feuer und jene ewige Tragödie begann, die sich in der Welt abspielt, seitdem Kain seine Hände mit Abels Blut befleckt hatte.
Hier kämpften Bruder gegen Bruder, jener nur darauf bedacht, ein Blut zu vergießen, das nur Gewissensbisse zu zeitigen vermochte, indem sie sich, gleich den Beduinen in der Wüste den dünnen Faden trüben Wassers, der durch den Sand sickert, streitig machen, ohne sich der Quelle von Lebenswasser zu erinnern, welche in dem Lustgarten des Himmels sprudelt, der einzigen, die den Durst des menschlichen Herzens zu stillen vermag! Nur einen Zuschauer hatte jenes Drama; denselben, der jenen Unglücklichen die Waffe in die Hand gedrückt hatte und dann im Augenblick verschwand, um in der Stunde des Triumphes von neuem zu erscheinen, wie ein elender Marodeur, der sich nicht früher auf dem Schlachtfelde zeigt, bis er auf den Leichenraub zu rechnen hat. Hier hatte sich Don Juan der Gesichtslose auf die höchste Spitze des Turmes geflüchtet, und trotz des Schutzes in den dicken Mauern, den Ausgang des Kampfes erwartend, noch alle Qualen der Feigheit empfunden; und bleich und zitternd in dem Winkel der kleinen Wendeltreppe zusammengekauert, betastete er bei jeder Salve den ganzen Körper, um sich zu vergewissern, daß er noch unverletzt sei, und von seinen Lippen drang stoßweise jenes Gebet, das im Grunde seines Herzens zurückgeblieben, wie einer Riechbüchse, trotzdem sie auf dem Kehrichthaufen gelegen hat, doch noch ein Rest ihres alten Duftes anhaftet.
Inzwischen nahm das Feuer auf dem Kampfplatz kein Ende und schon entfachte der Anblick des vergossenen Blutes die Wut der Raubtiere in Menschengestalt; entfesselte die grenzenlose Wildheit einen Sturm von Gotteslästerung und groben Worten, mit denen die Zungen zur selben Zeit kämpften wie die Hände mit den Waffen. Da wurden plötzlich aus einer der anstoßenden Straßen Kirchengesänge vernommen, die mit wirrem Geschrei durchsetzt waren, und zwischen dem Kampfeslärm, dem Pulverdampf und dem Entsetzen der Kämpfenden bewegte sich eine große Schar weinender und erregter Frauen, die mit brennenden Kerzen in den Händen das Standbild Jesu von Nazareth, des Schutzheiligen des Dorfes, umgaben. Sechs jener Unglücklichen trugen es auf ihren Schultern. Der Heiland stand da, die Dornenkrone auf der majestätischen Stirne, das schöne Antlitz leichenblaß, die ernsten Augen auf die brudermörderischen Kämpfer gerichtet, als wollte von seinen blutleeren Lippen die schreckliche Frage kommen:
"Kain, Kain, – was hast du mit deinem Bruder gemacht?"
Wie erstarrt blieben alle bei diesem unerwarteten Anblick stehen, und während sie mit der einen Hand die Flinten senkten, entblößten sie mit der anderen mechanisch das Haupt, und aus ihren Augen, aus denen kurz vorher noch die Kampfeswut sprühte, drangen die Tränen der Zärtlichkeit. Die weinende Gruppe, die den Herrn umgab, erinnerte lebhaft an die, welche damals die Frauen von Jerusalem bildeten, und unter denen dieser seine Mutter, jener seine Gattin oder die geliebte Tochter seines Herzens erkannte.
Es fehlte nur ein Funke, der die Begeisterung und die Reue in den irregeleiteten Männern entfachte, die als Schuldige vor dem Bilde Jesu zitterten, der ihnen als Richter erschien.
Die gotteslästerliche Bosheit des Gevatters Mal-Alma entzündete diesen Funken: man sah, wie dieser Besessene die Flinte mit dämonischem Lächeln anlegte, auf das Bild zielte, einen Schuß abgab und wie der Blitz in einer angrenzenden Gasse verschwand! Jene gotteslästerliche Kugel traf das Herz des Herrn ... traf dasselbe Herz, das unter den Qualen eines schmachvollen Todes jene Worte gesprochen hat:
"Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun."
Darauf erfolgte etwas, was nur schwer schildern läßt: ein tausendfacher Schrei des Entsetzens, der Begeisterung, der Liebe und Furcht, ein Angstschrei, der die Luft zerriß, ertönte gleichzeitig von allen Seiten. Die Männer warfen die Flinten fort und die Frauen die Kerzen, und alle stürmten auf das geheiligte Bild, umarmten es, streckten die Hände danach aus und wollten es alle zugleich umarmen, als wenn jenes göttliche Bild wirkliches Leben atmete, als fürchteten sie, durch jene Kugel den Heiland der Menschheit von neuem hier vor ihren Augen sein Leben aushauchen zu sehen. – Darauf öffneten sich die Pforten des Rathauses: und auch seine bewaffneten Verteidiger mischten sich unter die kurz vorher noch feindliche Menge. Und zwischen begeisterten Rufen und Tränen der Liebe begleiteten sie das Bild Jesu von Nazareth bis nach der Klause am Ausgang des Dorfes, von jener erregten Menschenmenge umringt, die wie eine Schar herrenloser Schafe erschien.
Da stürzten zwei Hirten, atemlos und entsetzt, in rasendem Lauf herbei und erzählten, daß sie weiter unten am Wege den Leichnam eines Mannes gesehen hätten. Und jene große Menge, von demselben Vorgefühl getrieben, begab sich sofort dorthin, und erblickte in der Tat am Abhange eines Berges den Leichnam des Gevatters Mal-Alma. Er hatte eine Kugel in der Brust, die sein Herz genau an derselben Stelle durchbohrt hatte wie die Kugel der Flinte das Bild Jesu von Nazareth.
Niemand fragte wer? – wie? – wann? – In dem verhängnisvollen Schweigen, das die Zunge bindet, wenn der Mensch deutlich den Fingerzeig Gottes zu sehen glaubt und durch eine Art innerlicher Erkenntnis sich Rechenschaft ablegt von seiner fürchterlichen Nähe, brach ein Schrei aus allen Herzen:
"Gottes Gerechtigkeit! Gottes Barmherzigkeit! Gottes Hand!"
Ein bleicher Schatten kam inzwischen hinter dem Kirchturm hervor. Es war weder der Genius der Schlachten, der den Rauch des verbrannten Pulvers einatmen wollte, noch ein Vampir, der die Sterbenden sucht, um ihnen das warme Blut auszusaugen.
Es war Don Juan der Gesichtslose, der verzweifelt nach dem Schweinestall floh, wo Lopijillo und sein Sekretär, anstatt zur Stadt zurückzukehren, versteckt den Ausgang des Wagnisses abwarteten. Hier kam er keuchend, atemlos an; wie der Bote von Marathon schien er erschöpft umzusinken, aber nicht wie einer, der einen Sieg zu verkünden hat.
"Ist alles verloren?" fragten sie ihn.
"Alles, nur nicht das Fell!" antwortete Don Juan und vergrub die Hände in den Taschen.
Säe in das Herz des Kindes eine Idee, auch wenn es dieselbe noch nicht recht erfaßt; mit bei Zeit wird ihm das Verständnis dafür aufgehen und dann wird sie in seinem Herzen Blüten treiben.
Von der Zeit, die zwischen dem Tode des wahnsinnigen Königs und der Thronbesteigung der Königin Mari Castana liegt, ist nur wenig bekannt, und wir finden in den Chroniken darüber nur einen kurzen Bericht. Trotzdem steht fest, daß zu jener Zeit ein König Buby I. lebte, der ein großer Freund der armen Kinder und ein getreuer Beschützer der Mäuse war.
Für die ersteren begründete er eine Puppen- und Schaukelpferdfabrik, und es ist erwiesen, daß aus dieser Fabrik die drei weißfüßigen Rappen hervorgingen, die der König Don Bermudo, der Diakonus, den Kindern Hissens I. nach der Schlacht von Bureva schenkte.
Der Überlieferung zufolge hat König Buby den Gebrauch von Mausefallen ernstlich untersagt und sehr kluge Gesetze erlassen, die die wildernden Instinkte der Katzen auf ihre Selbstverteidigung beschränken sollten, wofür der Beweis durch die ernsten Zerwürfnisse erbracht wird, die zwischen der Königin Dona Goto oder Gotona, der Witwe des Don Sancho Ordonnez, Königs von Galizien, und der Landvogtei von Ribas del Sil entstanden waren, weil man dort die Gesetze des Königs Buby auf die Katze aus dem Kloster von Pombeyro anzuwenden beliebte, wo jene Königin damals in Zurückgezogenheit lebte.
Der Fall war ernst und die Erinnerung daran unauslöschlich, denn mehr als ein Schriftsteller hat darüber berichtet und behauptet, daß die fragliche Katze sich Russef Dateo nannte, während andere sie einfach mit dem Namen Minimi bezeichneten. Jedenfalls steht die Tatsache fest, obgleich weder Vaseo etwas darüber berichtet, noch der Chronist Iriense, und der gute Lucas de Tuy möglicherweise aus Anstandsrücksichten vorgibt, die Angelegenheit ganz vergessen zu haben.
König Buby trat die Regierung in seinem siebenten Lebensjahr an unter der Vormundschaft seiner Mutter, einer sehr klugen, gottesfürchtigen Frau, die jeden seiner Schritte leitete und über ihm wachte, wie ein Schutzengel über allen guten Kindern.
König Buby war damals ein reizendes Kind, und wenn man ihn an einem Festtage mit seiner goldenen Krone und seinem reich gestickten Königsmantel schmückte, so war das Gold seiner Krone nicht glänzender als seine Locken und der Hermelin seines Mantels nicht weicher als seine Wangen und seine Hände. Er sah aus wie eine Sevresporzellanlampe, die man auf den Thron gesetzt hatte, statt sie auf den Kaminsims zu stellen.
Es geschah nun eines Tages, daß dem König, als er seine Suppe aß, ein Zahn zu wackeln anfing. Der ganze Hof geriet in Aufregung, und die Leibärzte erschienen einer nach dem andern. Der Fall war bedenklich, denn alles ließ darauf schließen, daß für Sr. Majestät der Augenblick des Zahnwechsels gekommen war.
Die ganze Fakultät wurde einberufen; man telegraphierte an Charcot für den Fall, daß es gefährliche Nervenerregungen geben sollte, und es wurde also beschlossen, Sr. Majestät den Zahn auszuziehen. Die Ärzte wollten den König chloroformieren, und der Präsident der Kammer billigte diesen Vorschlag, da er selbst so empfindlich war, daß es bei ihm sogar jedesmal geschehen mußte, wenn ihm die Haare geschnitten wurden.
Aber König Buby war tapfer und mutig und beschloß, der Gefahr trotzig die Stirn zu bieten. Vorher aber wollte er beichten, denn schließlich konnte die Seele ebensogut durch eine Lanzenwunde als durch ein von einem ausgezogenen Zahn entstandenes Loch entfliehen.
Man band ihm also einen dunkelroten Seidenfaden um den Zahn und der älteste der Arzte fing mit solcher Geschicklichkeit und Sorgfalt zu ziehen an, daß der König inmitten der Bemühungen aufsprang, und der Zahn, so zart und so weiß und so schön wie eine Perle ohne Fassung, zum Vorschein kam.
Ein edler Grande der Wache fing ihn in einer Schüssel auf und präsentierte ihn Ihrer Majestät der Königin. Diese berief sofort den Ministerrat und es wurden die verschiedensten Meinungen laut.
Der eine schlug vor, den kleinen Zahn in Gold zu fassen und ihn dem Kronschatz einzuverleiben. Andere waren der Meinung, man sollte ihn einem reichen Geschmeide anfügen und ihn der heiligen Jungfrau, der Schutzpatronin des Königreichs, als Opfergabe darbieten. Zweifellos wurden die höfischen Minister ebenso sehr von dem Wunsche beseelt, der Mutter zu schmeicheln als der Königin einen Dienst zu erweisen.
Aber die Königin, die allen Schmeichelreden mißtraute, war eine kluge Frau und eine Anhängerin alter Traditionen. Sie beschloß, der König Buby sollte der Maus Perez einen liebenswürdigen Brief schreiben und in dieser Nacht den Zahn unter sein Kopfkissen legen, wie das stets bei allen Kindern Sitte gewesen war, solange die Welt besteht, ohne daß man sich entsinnen konnte, daß die Maus je vergessen hätte, den Zahn abzuholen und dafür ein kostbares Geschenk zurückzulassen.
So machte es einst schon der gerechte Abel und sogar der große Sünder Kain legte seinen ersten Zahn, der gelb und häßlich war, unter das schwarze Fell, das ihm als Kopfkissen diente. Von Adam und Ena weiß man nichts, was niemand befremden kann, da sie als Erwachsene auf die Welt kamen und deshalb natürlich die Zähne nicht mehr wechselten.
König Buby war zu erschöpft, den Brief zu schreiben, aber endlich entschloß er sich doch dazu, wenn auch widerstrebend. Dann beschmutzte er sich nicht allein die fünf Finger an jeder Hand, sondern auch die Nasenspitze, das linke Ohr, den rechten Schuh und das ganze Lätzchen von oben bis unten mit Tinte.
Er ging an diesem Abend früher wie gewöhnlich zu Bett und befahl, daß im Alkoven sämtliche Lichter und Kandelaber nicht ausgelöscht werden sollten. Dann legte er den Brief mit dem Zahn darin unter das Kopfkissen und setzte sich darauf, fest entschlossen, die Maus Perez zu erwarten, wenn er selbst bis zum Morgengrauen warten sollte.
Die Maus Perez ließ auf sich warten und der König vertrieb sich die Zeit damit, daß er die Rede studierte, mit der er sie empfangen wollte. Bald riß Buby die Augen groß auf und kämpfte gegen den Schlaf, der sie zu schließen versuchte. Bald schlossen sie sich ganz; der kleine Körper hüllte sich wohlig in die warmen Decken ein und das Köpfchen sank auf das Kopfkissen, hinter dem Arm versteckt, wie die Vögelchen ihre Köpfchen unter ihren Flügeln verstecken.
Bald fühlte er, wie etwas Weiches seine Stirn streifte, mit einem Ruck wachte er auf, und was sah er? Auf seinem Kopfkissen saß eine kleine Maus mit einem Strohhut, einer goldenen Brille, Schuhen aus weichem Leder und einem roten Mantel.
König Buby blickte sie sehr erschreckt an, während die Maus Perez, als sie ihn erwacht sah, tief den Hut vor ihm zog und den Kopf nach Art der Höflinge vor ihm verneigte und in dieser ehrerbietigen Stellung darauf wartete, daß Se. Majestät sie anredeten.
Aber Se. Majestät sagten nichts, da er seine ganze Rede plötzlich vergessen hatte, und brachte nach langem Denken zögernd die Worte hervor:
"Guten Abend!"
Worauf die Maus Perez im Tone tiefster Ergebenheit antwortete:
"Gebe Gott, daß er für Ew. Majestät gut sein möge."
Und nach diesen kurzen Höflichkeitsbezeigungen waren Buby und die Maus Perez die besten Freunde von der Welt. Es ließ sich keinen Augenblick verkennen, daß diese Maus eine Maus von guter Erziehung war, daran gewöhnt, auf weichen Teppichen zu gehen und mit hochstehenden Persönlichkeiten zu verkehren.
Ihre Unterhaltung war abwechslungs- und lehrreich und ihre Gelehrsamkeit bewundernswert. Sie war durch alle Röhren und Keller des Hofes gelaufen und hatte in allen Archiven und Bibliotheken genistet; allein in der Königlichen Akademie Spaniens hatte sie in weniger als einer Woche drei unveröffentlichte Manuskripte verzehrt, die ein berühmter Schriftsteller dort deponiert hatte.
Sie sprach auch von ihrer Familie, die nicht sehr zahlreich war: schon zwei verheiratete Töchter, Adelaide und Elvira, und ein erwachsener Sohn Adolf, der die diplomatische Karriere eingeschlagen hatte, und in demselben Schubfach wirkte, in dem der Staatsminister seine geheimen Papiere aufhob. Von ihrer Frau sprach sie weniger und nur vorübergehend. weshalb der kleine König auf die Vermutung kam, es seien hier vielleicht eine Mesalliance oder eheliche Zwistigkeiten im Spiel. Das alles hörte der König erstaunt, nur ab und zu die Hand ausstreckend, um sie zu streicheln.
Es war schon spät, und da König Buby, nicht daran dachte, sie zu verabschieden, erklärte die Maus Perez geschickt, ohne gegen die Etikette zu verstoßen, daß sie gezwungen sei, noch in dieser Nacht in die Jocometrezo Nr. 64 zu gehen, um den Zahn eines sehr armen Kindes, namens Gilito, in Empfang zu nehmen. Der Weg sei beschwerlich und gewissermaßen gefahrvoll, da in jener Gegend eine böswillige Katze mit Namen Gaiferos hause.
Es gelüstete König Buby, sie auf diesem Gange zu begleiten, und so bat er die Maus Perez inständig, ihm dies zu erlauben. Diese verharrte schweigend und strich sich über den Bart. Die Verantwortung sei sehr groß und außerdem seien sie gezwungen, sich auch in ihrem Haus aufzuhalten, um das Geschenk zu holen, das sie Gilito für seinen Zahn überreichen wollte, sagte sie ihm.
Darauf antwortete König Buby, daß er sich sehr geehrt fühlen würde, in einem so hochachtbaren Hause einen Augenblick ausruhen zu dürfen.
Die Eitelkeit siegte über die Maus Perez und sie beeilte sich, König Buby eine Tasse Tee anzubieten, um dadurch das Recht zu erwerben, Ketten vor das Tor ihres Hauses legen zu dürfen, was zu jenen Zeiten allen jenen erlaubt war, denen die Ehre zuteil geworden war, einen Monarchen zu bewirten.
Die Maus wohnte damals in der Arsenalstraße Nr. 8, in den Souterrainräumen von Carlos Prats, einem großen Stapel Schweizerkäse direkt gegenüber, der für die Familie Perez damals die größte und reichhaltigste Speisekammer war.
Außer sich vor Vergnügen sprang König Buby aus dem Bett und begann sich anzuziehen. Plötzlich hüpfte die Maus Perez auf seine Schulter und steckte ihm den Schwanz in die Nase; der König nieste heftig und durch ein Wunder, das sich bis zum heutigen Tage niemand hat erklären können, wurde er durch die Erschütterung des Niesens in die schönste und wunderbarste Maus verwandelt, von der jemals in Feenmärchen berichtet wurde.
Sie war glänzend wie Gold und weich wie Seide und hatte grünleuchtende Augen wie dunkel glänzende Smaragden.
Perez nahm ihn ohne große Zeremonie bei der Hand und verschwand mit ihm durch ein Loch unterhalb des Bettes, das unter einem Teppich versteckt war.
Der Weg war dunkel, feucht und schlüpfrig und sie stießen Schritt für Schritt mit Scharen winziger kleiner Tiere zusammen, die sie tastend bissen.
Zuweilen machte Perez an einem Kreuzweg halt und untersuchte das Terrain: und das alles machte den König Buby etwas nervös und übellaunig, da er von der Schnauze bis zur Schwanzspitze ein nervöses Erschauern zu empfinden begann, das ihm wie ein Vorläufer der Furcht erschien. Trotzdem erinnerte er sich:
"Daß die Furcht auch bei Klugen begreiflich ist. Daß der Tapfere sie aber zu überwinden trachtet"
Und so überwand er und wurde tapfer aus Vernunft.
Nur einmal, als er einen fürchterlichen Lärm über seinem Kopfe hörte, der so klang, als ob zehn Omnibusse über ihn wegführen, fragte er die Maus Perez ganz leise, ob hier Don Gaiferos wohne. Perez antwortete ihm, indem er mit dem Schwanz ein verneinendes Zeichen machte, und sie gingen weiter.
Bald darauf kamen sie an einen geräumigen Flur, der auf einen breiten, mit Fliesen belegten Keller mündete, in dem eine feuchte, von Käsegeruch durchschwängerte Atmosphäre herrschte. Sie gingen um einen riesengroßen Käsestapel herum und sahen sich plötzlich einer großen Büchse Huntleyscher Cakes gegenüber.
Die Maus Perez stellte König Buby ihrer Familie als fremden Touristen vor, der dem Hof einen Besuch abstatten wollte, und die Mäuse empfingen ihn mit vornehmer Courtoisie. Die jungen Fräulein machten ihre Arbeiten mit ihrer Erzieherin Miß Old Cheese, einer englischen, sehr vornehmen Maus, und Frau von Perez stickte, vor einem brennenden Kaminfeuer sitzend, eine kunstvolle griechische Mütze für ihren Gatten.
Dem König Buby gefiel dies behagliche Familienbild, das in allen Details jene goldene Mittelstraße verriet, von der jeder Dichter sagt, daß sie am meisten dazu geeignet ist, dieses Leben friedlich und glücklich zu gestalten.
Adelaide und Elvira servierten den Tee in schönen Tassen aus Bohnenhülsen und musizierten dann ein wenig. Adelaide sang zur Harfe die Arie des Desdemona mit soviel Geschmack und Gefühl, daß König Buby entzückt war.
Adelaide war nicht hübsch, hatte aber ein sehr distinguiertes Wesen und ihr Schwanz glänzte mit einer gewissen melancholischen Koketterie, die zweifellos irgend einen geheimen Schmerz verriet.
Elvira hingegen war ausgelassen lustig, ja fast ein wenig gewöhnlich: aber aus ihren Augen leuchtete soviel Energie und Unternehmungslust, daß König Buby, als sie zum Klavier das Lied sang:
"Im Hospital des Königs Lag eine fiebernde Maus, Die einer maurischen Katze Ihre Seele empfahl!"
eine Spartanerin vor sich zu sehen meinte, die die Hymne der Thermopylen vortrug.
Mittlerweile war Adolfo eingetreten, der aus dem Jockeyklub kam, wo er zum großen Leidwesen seiner Eltern Zeit und Geld vergeudete, indem er mit den der deutschen Gesandtschaft attachierten Mäusen Poker spielte.
Der lebhafte Verkehr mit diesen Diplomaten hatte ihn übermütig gemacht und dem Vaterhaus entfremdet, und er kannte kein anderes Gesprächsthema mehr als Polo und Lawn Tennis.
König Buby hätte seinen Aufenthalt mit Vergnügen verlängert, aber die Maus Perez, die für einen Augenblick verschwunden war. kehrte mit ihrem auf den Schultern geteilten Mantel zurück und benachrichtigte den König respektvoll, daß die Stunde der Trennung geschlagen habe.
König Buby machte nun mit großer Anmut Abschiedsverbeugungen, und Mutter Perez drückte ihm in einer Anwandlung spießbürgerlicher Herzlichkeit einen schallenden Kuß auf beide Backen. Adelaide streckte ihm die Pfote entgegen mit einem sentimentalen Augenaufschlag, der zu sagen schien:
"Auf Wiedersehen im Himmel."
Elvira gab ihm einen festen Händedruck auf englische Art. Miß Old Cheese machte ihm eine formelle Verbeugung wie zur Zeit der Königin Anna Stuart und verfolgte ihn mit ihrer Schildpattlorgnette, bis sie ihn aus den Augen verlor.
Auch Adolfo war sehr gerührt, er begleitete sie bis an die Kellertür und machte Buby zum zweitenmal den Vorschlag, ihn in den Poloklub einzuführen, während er zum drittenmal den Gebrauch des Racketsa J Tate Nummer 12 oder höchstens 12 ½ empfahl. Nummer 13 sei für Mäusehände schon etwas zu schwer.
Der kleine König verabschiedete sich von Adolfo, den er sehr elegant fand, dessen Klugheit ihm aber zweifelhaft erschien.
Nun traten Buby und Perez ihren beschwerlichen Weg von neuem an und diesmal mit einem Aufwand von Vorsichtsmaßregeln, der den kleinen König in Erstaunen versetzte.
Vor ihm her schritt ein Haufen bewaffneter Mäuse, lauter Krieger, deren aufgepflanzte Bajonette mit einer scharfen Spitze hin und wieder in der Dunkelheit aufblitzten. Ihnen folgte ein zweiter Haufen, ebenfalls bis an die Zähne bewaffnet.
Die Maus Perez beichtete ihm nun, daß sie sich zu dieser Expedition niemals entschlossen hätte, wenn sie die Person des jungen Monarchen, der sich ihr so sorglos anvertraut hatte, nicht durch jene Eskorte bewaffneter Jäger hätte schützen können. Plötzlich sah König Buby, wie die Garde in einem engen Loch verschwand, aus dem ein schwacher Lichtschimmer drang. Der Augenblick der Gefahr war gekommen, die Maus Perez, deren Schwanzspitze