Göttin in Gummistiefeln - Sophie Kinsella - E-Book
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Göttin in Gummistiefeln E-Book

Sophie Kinsella

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Beschreibung

Samantha, eine junge, höchst erfolgreiche Londoner Anwältin, geht völlig in ihrer Arbeit auf. Bis sie eines Tages entdeckt, dass ihr ein folgenschwerer Fehler unterlaufen ist. In Panik verlässt sie das Büro und steigt in den nächstbesten Zug, der sie auf das platte englische Land bringt. Als sie nach dem Weg fragen will, kommt es zu einer folgenschweren Verwechslung: Man hält Samantha für die Bewerberin um einen Job als Haushaltshilfe. Völlig überrumpelt lässt Samantha sich einstellen, obwohl sie von Hausarbeit nicht die geringste Ahnung hat. Ein Glück, dass ein junger Gärtner bereit ist, ihr hilfreich zur Seite zu stehen …

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Seitenzahl: 625

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Buch

Samantha ist eine Powerfrau. Sie arbeitet rund um die Uhr, hat kein Privatleben und sorgt sich allein um ihre Beförderung. Bis ihr ein katastrophaler Fehler unterläuft, ein Fehler, der das Ende ihrer Karriere bedeutet. In blinder Panik flieht Samantha aus dem Büro, besteigt den nächstbesten Zug und landet mitten auf dem beschaulichen englischen Land. Als sie in einer Villa nach dem Weg fragen will, kommt es zu einem folgenschweren Missverständnis: Samantha wird von den Besitzern für die Bewerberin um einen Job als Haushaltshilfe gehalten – und prompt eingestellt. Immerhin ist ihr Englisch zum Erstaunen von Mr. und Mrs. Geiger wirklich ausgezeichnet. Samantha soll nun das Haus perfekt in Schuss halten, Gourmetmenüs zaubern und die Wäsche erledigen. Leider weiß sie aber weder, wie man einen Staubwedel benutzt, noch wie Spül- oder Waschmaschinen funktionieren. Und kochen kann sie schon gar nicht. Zu allem Überfluss ist da noch der junge Gärtner der Geigers, der Samanthas Bluff schon bald durchschaut …

Autorin

Sophie Kinsella ist Schriftstellerin und ehemalige Wirtschaftsjournalistin. Mit ihren Romanen um die liebenswerte Chaotin Rebecca Bloomwood hat sie ein Millionenpublikum erobert. Aber auch mit »Sag’s nicht weiter, Liebling« und der »Göttin in Gummistiefeln« eroberte sie die Bestsellerlisten im Sturm. Sophie Kinsella lebt in London. Mehr zum Buch und zur Autorin unter www.readsophiekinsella.com.

Die Romane mit Schnäppchenjägerin Rebecca Bloomwood: Die Schnäppchenjägerin (45286) Fast geschenkt (45403) Hochzeit zu verschenken (45507) Vom Umtausch ausgeschlossen (45690)

Außerdem: Sag’s nicht weiter, Liebling. Roman (45632)

Inhaltsverzeichnis

BuchAutorinWidmungKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26DanksagungCopyright

Für Linda Evans

1

Würden Sie sich als gestresst bezeichnen?

Nein. Ganz sicher nicht.

Ich habe nur ... einfach viel zu tun. So ist das nun mal, wenn man einen anspruchsvollen Job hat. Ich bin ehrgeizig/karrierebewusst und habe Spaß an meiner Arbeit.

Na gut, manchmal stehe ich schon ein bisschen unter Druck. Ich bin schließlich Rechtsanwältin in der Londoner City, dem Finanzmekka sozusagen. Haben Sie einen Schimmer, was das heißt?! Nein?

Ich habe so fest aufgedrückt, dass der Stift glatt durchs Papier gegangen ist. Mist. Egal. Auf zur nächsten Frage.

Wie viele Stunden verbringen Sie täglich am Arbeitsplatz?

Kommt drauf an.

Treiben Sie regelmäßig Sport?

Ich habe vor, demnächst mal wieder zum Schwimmen zu gehen. Sobald ich Zeit habe. Ist im Moment viel los in der Kanzlei. Aber nur vorübergehend.

Trinken Sie täglich mindestens 8 Gläser Wasser?

Nein.

Ich setze kurz ab und räuspere mich. Maya blickt von ihrer kampfbereit aufgepflanzten Kosmetika-Batterie auf. Maya ist die mir zugeteilte Beauty-Therapeutin. Ihr langes dunkles Haar mit der einzelnen weißen Strähne ist zu einem Zopf geflochten. In einem Nasenflügel blitzt ein dezenter Strassstein.

»Kommen Sie voran? Wenn Sie irgendetwas nicht verstehen, fragen Sie mich nur«, sagt sie mit ihrer angenehmen, leisen Stimme.

»Nun, ich bin ein wenig in Eile, das sagte ich ja bereits«, merke ich höflich an. »Muss ich das denn wirklich alles beantworten? «

»Ich fürchte, ja. Diese Fragen dienen dazu, so viel wie möglich über die Gesundheits- und Beauty-Defizite unserer Kundinnen in Erfahrung zu bringen«, erklärt sie, nun mit einem Hauch von Strenge.

Ich werfe einen Blick auf meine Uhr. Schon Viertel vor zehn.

Ich habe einfach keine Zeit für dieses Theater. Ehrlich. Aber es ist nun mal ein Geburtstagsgeschenk und ich hab’s Tante Patsy versprochen.

Genauer gesagt, habe ich den Gutschein schon vor einem Jahr, zu meinem letzten Geburtstag, bekommen. Um mich mal so richtig zu entspannen. Mir was zu gönnen. Tante Patsy ist die Schwester meiner Mutter und hat was gegen Karrierefrauen. Immer, wenn ich sie sehe, packt sie mich bei den Schultern und späht mir besorgt ins Gesicht. Auf der beigefügten Karte stand: »Lass dich einfach mal in aller Ruhe verwöhnen, Samantha!! «

Was ich ja auch vorhabe. Bloß, dass im Moment so viel los ist in der Kanzlei. Und irgendwie ist das Jahr verflogen, ohne dass ich auch nur eine Sekunde Zeit gefunden habe. Ich bin Rechtsanwältin bei Carter Spink, und, wie gesagt, im Moment ist ein bisschen viel los. Nur vorübergehend, natürlich. In ein paar Wochen ist der Spuk vorbei. Bestimmt.

Na jedenfalls, als ich dann vor ein paar Tagen Tante Patsys diesjährige Geburtstagskarte erhielt, fiel mir plötzlich siedend heiß ein, dass ich den Gutschein vom letzten Jahr ja noch gar nicht verbraten hatte und dass es höchste Zeit wurde, bevor er verfällt. Und deshalb sitze ich jetzt hier auf dem Sofa. An meinem neunundzwanzigsten Geburtstag. In einem weißen Frotteebademantel und grauslichen Wegwerfslips. Wo ich doch eigentlich in der Kanzlei sein sollte.

Rauchen Sie?

Nein.

Trinken Sie Alkohol?

Ja.

Bereiten Sie sich regelmäßig frische Mahlzeiten zu?

Was soll das schon wieder heißen? Ich blicke auf, ein wenig unsicher. Wozu sollte ich mir selbst was kochen?

Ich ernähre mich gesund und ausgewogen, schreibe ich schließlich hin.

Was die absolute Wahrheit ist.

Weiß doch jeder, dass die Chinesen länger leben – was könnte also gesünder sein, als sich regelmäßig was vom Take-Away zu holen? Und Pizza, das ist was Mediterranes. Ist wahrscheinlich sogar noch gesünder als Selbstgekochtes.

Haben Sie das Gefühl, ein ausgeglichenes Leben zu führen?

Ja.

»Fertig«, verkünde ich und reiche den Fragebogen an Maya weiter, die sich sofort darin vertieft. Ihr Finger kriecht im Schneckentempo übers Papier. Als ob wir alle Zeit der Welt hätten.

Sie vielleicht. Ich nicht. Ich muss bis eins im Büro sein. Allerspätestens.

»Ich habe Ihre Antworten gründlich studiert«, Maya mustert mich bedenklich, »und bin zu dem Schluss gekommen, dass Sie offenbar eine außerordentlich gestresste Person sind.«

Was? Wie bitte? Wo hat sie das denn her? Ich habe doch draufgeschrieben, dass ich nicht gestresst bin.

»Nein, das bin ich nicht.« Ich zaubere ein Da-siehst-dumal-wie-entspannt-ich-bin-Lächeln auf mein Gesicht.

Maya wirkt nicht gerade überzeugt. »Sie haben offenbar einen recht stressigen Beruf.«

»Ich liebe Stress«, versuche ich zu erklären. Stimmt ja auch. Das weiß ich schon, seit …

Ja, seit es meine Mutter zu mir gesagt hat, ich war etwa acht. Du liebst Stress, Samantha. Wir alle tun das. Es ist unser Familienmotto. Oder so ähnlich.

Abgesehen von meinem Bruder Peter, natürlich. Der hatte einen Nervenzusammenbruch. Aber wir übrigen lassen uns nicht so schnell kleinkriegen.

Ich liebe meinen Beruf. Ich liebe es, die Lücken in einem Vertragstext ausfindig zu machen. Ich liebe den Adrenalinrausch, wenn es zum Abschluss kommt. Ich liebe die Verhandlungen, das Ringen mit dem Gegner, äh, Klienten. Ich liebe es, die andere Seite mit dem besten Argument niederzuschmettern.

Nun ja, gelegentlich habe ich schon das Gefühl, als würde mir jemand eine gewaltige Last auf die Schultern laden – die ich dann schleppen muss, egal wie erschöpft ich bin …

Aber so geht’s doch jedem. Ist doch ganz normal.

»Ihre Haut ist total dehydriert.« Maya schüttelt den Kopf. Fachmännisch streichen ihre Finger über meine Wange, heben mein Kinn. »Ihr Puls ist sehr hoch. Das ist besorgniserregend. Stehen Sie im Moment unter starker Anspannung?«

»Es ist zur Zeit viel los in der Kanzlei.« Ich zucke die Achseln. »Nur vorübergehend, natürlich. Mir geht’s gut.« Könnten wir jetzt mal zu Potte kommen?

»Wie Sie wollen.« Maya steht auf und drückt auf einen Wandschalter. Plötzlich ertönt dezente Panflötenmusik. »Ich kann nur sagen, bei uns sind Sie gut aufgehoben, Samantha. Bei uns werden Sie Ihren Stress los, bei uns können Sie mal so richtig entspannen. Bei uns werden Sie revitalisiert und gründlich entgiftet.«

»Wie nett«, murmle ich. Ich habe kaum zugehört, weil mir plötzlich eingefallen ist, dass ich ja vergessen habe, mich bei David Elldridge wegen des ukrainischen Öl-Deals zu melden. Ich wollte ihn doch gestern anrufen. Verdammter Mist!

»Wir vom Green Tree Center bieten dem gestressten Menschen von heute einen Hort der Ruhe, eine Zuflucht vor dem Lärm und der Hektik des Alltags, den täglichen Sorgen des Lebens«, leiert Maya mit Singsangstimme. Sie drückt auf einen anderen Schalter und plötzlich herrscht stimmungsvolles Schummerlicht. »Aber bevor wir anfangen«, säuselt sie, »haben Sie noch irgendwelche Fragen?«

»Ach ja, schon.« Eifrig beuge ich mich vor.

Maya strahlt. »Schön! Wollen Sie vielleicht mehr über die heutige Behandlung erfahren oder ist Ihre Frage eher allgemeiner Natur?«

»Dürfte ich vielleicht schnell eine E-Mail schicken?«

Mayas Lächeln gefriert zu Eis.

»Nur ganz schnell«, versichere ich hastig. »Dauert keine zwei Sekündchen – «

»Samantha, Samantha …« Maya schüttelt den Kopf. »Sie sind hier, um sich zu entspannen. Um sich mal Zeit für sich selbst zu nehmen. Nicht um E-Mails zu verschicken. Das ist eine Sucht! Eine Pest! So schlimm wie Alkohol. Oder Koffein.«

Um Himmels willen, ich bin doch nicht süchtig. Einfach lächerlich. Ich meine, ich checke meine E-Mails doch nur … alle dreißig Sekunden. In etwa.

Es ist doch so: In dreißig Sekunden kann eine Menge passieren.

»Im Übrigen, Samantha«, fährt Maya fort, »sehen Sie hier irgendwo einen Computer?«

»Nein.« Gehorsam blicke ich mich in dem schummrigen Kabäuschen um.

»Deshalb verlangen wir ja von unseren Gästen, sämtliche elektronischen Geräte in einem der Schließfächer zu lassen. Handys verboten. Taschencomputer verboten.« Maya breitet die Arme aus. »Das hier ist ein Hort der Ruhe, der Erholung. Eine Zuflucht vor der Hektik der modernen Welt.«

»Schon kapiert.« Ich nicke demütig.

Jetzt ist wahrscheinlich nicht der beste Zeitpunkt, ihr zu verraten, dass ich einen BlackBerry im Papierhöschen eingeschmuggelt habe.

»Also, dann wollen wir mal.« Maya lächelt wieder. »Legen Sie sich hier hin und decken Sie sich mit einem Handtuch zu. Und bitte nehmen Sie Ihre Uhr ab.«

»Was, meine Uhr?!«

»Noch so eine Sucht.« Sie schnalzt missbilligend mit der Zunge. »So lange Sie hier sind, steht die Zeit für Sie still.«

Von wegen. Da mir jedoch nichts anderes übrig bleibt und sie mir bereits auffordernd den Rücken zukehrt, mache ich schließlich widerwillig meine Armbanduhr ab. Dann lasse ich mich umständlich auf der Liege nieder und breite das Handtuch über mir aus. Schließlich will ich meinen kostbaren BlackBerry nicht zerquetschen.

Ich habe das mit dem elektronischen Equipment natürlich gelesen. Und mein Diktaphon habe ich ja auch brav abgegeben. Aber drei Stunden ohne meinen BlackBerry? Ich meine, wenn jetzt was in der Kanzlei sein sollte? Ein Notfall? Was Brandeiliges?

Und diese Vorschrift ist sowieso unsinnig. Wie soll man sich ohne Handy & Co. eigentlich entspannen? Wenn die wirklich wollen, dass man sich erholt, dann sollten sie einem die Sachen lieber lassen als sie zu konfiszieren.

Außerdem – ich habe ihn ja gut versteckt. Da findet sie ihn nie.

»Ich beginne jetzt mit einer entspannenden Fußmassage«, verkündet Maya bedeutungsvoll und schmiert meine Füße mit irgendwas ein. »Versuchen Sie Ihren Geist zu leeren.«

Leeren. Meinen Geist. Gehorsam blicke ich zur Decke. Mein Geist ist so leer wie, wie … ein leerer Geist.

Was wird jetzt mit Elldridge? Ich hätte mich bei ihm melden müssen. Sicher wartet er schon auf meinen Anruf. Wenn er sich jetzt bei den Seniorpartnern beschwert? Das könnte meine Chancen, selbst Seniorpartnerin zu werden, gefährden.

Panik durchzuckt mich. Gerade jetzt heißt es aufpassen. Nichts dem Zufall überlassen.

»Machen Sie sich von allen Gedanken frei …«, säuselt Maya. »Fühlen Sie, wie Ihre Anspannung aaabklingt …«

Vielleicht könnte ich ihm ja rasch eine E-Mail schicken. Unterm Handtuch.

Verstohlen taste ich nach meinem BlackBerry. Millimeterweise ziehe ich ihn aus dem Slip, sorgfältig darauf bedacht, ein Rascheln des Papierstoffs zu vermeiden. Maya massiert derweil hingebungsvoll meine Füße.

»Ihr Körper wird gaaanz schwer … Ihr Kopf wird leeeer …«

Schwitzend ziehe ich den Taschencomputer so weit hoch, dass ich gerade eben einen Blick auf den Bildschirm erhaschen kann. Gott sei Dank ist es hier so schummrig. Vorsichtig tippe ich einhändig eine Nachricht ein.

»Entspaaaannen«, intoniert Maya in beruhigendem Ton. »Stellen Sie sich vor, Sie wandern am Strand entlang … die Sonne scheint …«

»Mhm«, murmle ich zerstreut.

»David«, tippe ich, »Betr. ZFN Öl-Kontrakt. Habe Ergänzungen gelesen. Finde, wir sollten

»Was tun Sie da?«, fragt Maya alarmiert.

»Nichts!« Hastig schiebe ich den BlackBerry wieder unters Handtuch. »Bloß … äh … relaxen.«

Maya geht um die Liege herum und blickt auf den Huckel im Handtuch, wo ich meinen BlackBerry umklammere.

»Sie haben da doch nicht etwa was versteckt?«, fragt sie ungläubig.

»Nein!«

In diesem Moment stößt der mistige Taschencomputer ein Piepsen aus. Scheiße.

»Blöde Zentralverriegelungen«, sage ich möglichst lässig. »Man hört sie bis hier herauf.«

Mayas Augen verengen sich zu Schlitzen. »Samantha«, sagt sie drohend, »Sie haben da doch nicht etwa ein elektronisches Gerät unterm Handtuch versteckt?«

Ich könnte lügen. Aber dann würde sie mir wahrscheinlich das Handtuch runterreißen.

»Ich wollte bloß eine klitzekleine E-Mail …« Zerknirscht hole ich meinen BlackBerry hervor.

»Ihr unverbesserlichen Workaholics!« Entnervt nimmt sie mir mein kleines Spielzeug weg. »E-Mails können warten. Alles kann warten. Sie wissen einfach nicht, wie man mal abschaltet. «

»Ich bin kein Workaholic!«, widerspreche ich empört. »Ich bin Rechtsanwältin! Das ist was anderes!«

»Sie wollen’s einfach nicht wahrhaben.« Mitleidiges Kopfschütteln.

»Doch! Ich meine, nein! Hören Sie, wir stehen kurz vor ein paar Mega-Abschlüssen! Ich kann jetzt nicht einfach abschalten! Jetzt nicht. Ich … na ja, ich kann vielleicht Seniorpartnerin in der Kanzlei werden. Sie wissen schon.«

Jetzt, wo ich es laut ausspreche, verspüre ich wieder dieses Zucken, das immer durch meine Nerven geht, wenn ich nur daran denke. Seniorpartner in einer der bedeutendsten Anwaltsfirmen des Landes. Mein ganz großer Traum. Das, was ich immer wollte, was ich mir immer gewünscht habe.

»Morgen fällt die Entscheidung«, fahre ich in ruhigerem Ton fort. »Wenn es klappt, werde ich die jüngste Seniorpartnerin in der Geschichte sein. Begreifen Sie, was das heißt? Haben Sie auch nur eine Ahnung – «

»Jeder kann sich ein paar Stunden freinehmen«, unterbricht mich Maya. Sie legt mir die Hände auf die Schultern. »Samantha, Sie sind fürchterlich nervös. Angespannt bis in die Haarspitzen. Kurz vor dem Nervenzusammenbruch …«

»Mir fehlt nichts.«

»Sie sind das reinste Nervenbündel!«

»Bin ich nicht!«

»Sie müssen einen Gang zurückschalten, Samantha.« Sie mustert mich eindringlich. »Aber Sie müssen das selbst wollen. Es liegt an Ihnen. Nur Sie können beschließen, Ihr Leben zu ändern. Sind Sie dazu bereit?«

»Äh … na ja …«

Ich stoße ein überraschtes Quieken aus. In meinem Wegwerfhöschen zuckt was.

Mein Handy. Ich hab’s zusammen mit dem BlackBerry reingeschoben und zuvor auf »vibrieren« gestellt, damit man nichts hört, falls es klingelt.

»Was ist das?!« Maya starrt mit herunterhängendem Unterkiefer auf mein zuckendes Handtuch. »Was … was um Himmels willen … zuckt denn da?«

Ich kann unmöglich sagen, dass es mein Handy ist. Nicht nach dem BlackBerry.

»Ähm …« Ich räuspere mich. »Das ist mein … äh … Vibrator …«

»Ihr was?!« Maya wirkt eine Winzigkeit entsetzt.

Das blöde Handy vibriert erneut. Ich muss rangehen. Es könnte ja die Kanzlei sein.

»Äh … wissen Sie, ich erreiche da gleich einen, äh, ziemlich intimen Moment.« Ich versuche mich an einem vielsagenden Zwinkern, was bei mir immer so aussieht, als wäre mir gerade was ins Auge geflogen. »Vielleicht könnten Sie ja kurz rausgehen? «

Maya fällt nicht auf mein Ablenkungsmanöver herein.

»Einen Moment mal!« Ein misstrauischer Blick auf den zuckenden Huckel im Handtuch. »Sie haben da doch nicht etwa ein Handy drunter? Sie haben das Handy auch noch mit eingeschmuggelt? «

O Gott. Jetzt explodiert sie gleich.

»Hören Sie«, versuche ich hastig die sich auftürmende Killerwelle zu glätten, »ich weiß ja, Sie haben Ihre Regeln und so – das sehe ich völlig ein! –, aber verstehen Sie doch bitte, ich brauche mein Handy.« Ich stecke die Hand unters Handtuch, um besagtes Kleingerät herauszuholen.

»Fassen Sie das nicht an!«, kreischt Maya. Ich zucke erschrocken zurück. »Samantha«, sagt sie, mit herkulischer Anstrengung um Geduld ringend, »wenn Sie auch nur ein Wort von dem, was ich gesagt habe, mitbekommen haben, dann schalten Sie das Ding jetzt sofort ab.«

Das Handy vibriert in meiner Hand. Ich werfe einen Blick auf die Caller-ID und mein Magen krampft sich zusammen. »Es ist die Kanzlei.«

»Die können Ihnen eine Nachricht hinterlassen. Das kann warten.«

»Aber – «

»Das hier ist Ihre Zeit.« Sie beugt sich vor und nimmt mich bei beiden Händen. »Ihre Zeit.«

Herrgott, sie kapiert’s einfach nicht. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll.

»Ich bin bei Carter Spink«, versuche ich ihr zu erklären. »Carter Spink. Die bekannte Anwaltskanzlei?! Ich habe keine Zeit. Meine Zeit gehört der Firma.« Ich klappe das Handy auf und sofort durchbricht eine zornige Männerstimme den Frieden unserer schummrigen Beauty-Klause.

»Samantha, wo zum Teufel stecken Sie?«

Wieder krampft sich mein Magen zusammen. Es ist Ketterman. Der Boss. Er hat sicher einen Vornamen, aber gehört habe ich ihn noch nie. Er wird von allen nur mit Ketterman angesprochen. Er hat schwarze Haare, eine Stahlrandbrille und stechende graue Augen. In meiner Anfangszeit bei Carter Spink habe ich nur seinetwegen nachts Alpträume gehabt.

»Der Fallons-Deal ist wieder aus der Schublade. Sehen Sie zu, dass Sie schleunigst in die Kanzlei kommen. Meeting um halb elf.«

Wieder aus der Schublade?

»Komme sofort.« Ich klappe das Handy zu und lächle Maya zerknirscht an. »Sorry.«

Ich schaue wirklich nicht jede Sekunde auf meine Uhr.

Obwohl ich zugegebenermaßen ohne sie ziemlich aufgeschmissen wäre. Das wären Sie auch, wenn man Ihre Zeit in Sechs-Minuten-Segmenten messen würde. Mein Büroalltag ist in Zeitspannen von sechs Minuten unterteilt. Alle sechs Minuten klingelt die Kasse. Oder sollte sie klingeln. Läuft alles über computerisierte Formulare:

11:00 – 11:06: Vertragsentwurf für Projekt A

11:06 – 11:12: Überarbeitung der Akte für Klient B

11:12 – 11:18: Rücksprache bezüglich Vertrag C

Als ich bei Carter Spink anfing, fand ich den Gedanken, über alles, was ich in jeder Minute meines Bürotages tue, Rechenschaft ablegen zu müssen, gelinde gesagt, erschreckend. Ich dachte immer: Und wenn ich jetzt mal sechs Minuten lang nichts tue? Was soll ich dann aufschreiben?

11:00 – 11:06: Gelangweilt aus dem Fenster geschaut

11:06 – 11:12: Davon geträumt, wie ich bei Harrods George Clooney begegne

11:12 – 11:18: Versucht, Nasenspitze mit Zunge zu berühren

Aber die Wahrheit ist, man gewöhnt sich dran. Man gewöhnt sich dran, sein Leben in kleine Zeiteinheiten zu zerhacken. Und man gewöhnt sich daran, zu arbeiten. Immerzu, jede Minute des Tages.

Bei Carter Spink wird nicht Däumchen gedreht. Da wird nicht aus dem Fenster geschaut oder sich Tagträumen hingegeben. Nicht, wenn sechs Minuten deiner Zeit so viel wert sind. Sie müssen es so sehen: Wenn ich sechs Minuten einfach so verstreichen ließe, würde das die Firma glatte fünfzig Pfund kosten. Zwölf Minuten: hundert Pfund. Achtzehn Minuten: hundertfünfzig.

Wie gesagt, bei Carter Spink wird nicht Däumchen gedreht.

2

Als ich schnaufend in mein Büro platze, erwartet mich Ketterman bereits wie ein aufziehendes Unwetter. Sein Blick ist mit einem Ausdruck des Missfallens, ja Ekels auf das Chaos auf und um meinen Schreibtisch herum gerichtet.

Es ist schon wahr, mein Arbeitsplatz ist nicht gerade der Allerordentlichste. Tatsächlich … ist es der reinste Saustall. Aber ich habe ganz fest vor, mal gründlich aufzuräumen! Sobald ich Zeit habe. Einschließlich der wackeligen, staubigen alten Aktenstapel, die meinen Schreibtisch umschließen, wie ein Ring Felsbrocken ein zugewachsenes Eiland.

»Meeting in zehn Minuten«, verkündet er mit Blick auf seine Uhr. »Überprüfen Sie vorher bitte noch einmal den Finanzierungsentwurf. «

»Selbstverständlich«, antworte ich, um Gelassenheit bemüht. Nicht einfach bei einem Menschen, der einen derartig einschüchtert wie Ketterman.

Und das ist noch eine seiner liebenswerteren Seiten. Der Mann verströmt eine furchteinflößende, messerscharfe Geisteskraft, wie andere Männer ihr Aftershave. Aber heute ist es noch tausendmal schlimmer, denn Ketterman gehört zum dreizehnköpfigen Gremium von Seniorpartnern, das darüber entscheidet, wer als neuer Seniorpartner in ihren erlauchten Kreis aufgenommen wird. Ein Meeting, das morgen stattfindet.

Ja, morgen werde ich erfahren, ob ich es geschafft habe oder ob ich mein Leben als einen Riesenreinfall verbuchen muss.

Ob ich unter Druck stehe? Ob ich unter Druck stehe?!

»Der Entwurf ist … hab ihn gleich …« Ich greife in einen Aktenstapel und ziehe etwas, das sich wie ein Ordner anfühlt, heraus und präsentiere ihn mit einer schwungvoll-triumphierenden Geste.

Es ist eine Schachtel mit alten Donuts.

Hastig stopfe ich sie in den Papierkorb. »Er ist hier irgendwo … ganz bestimmt …« Panisch wühle ich in meinem Saustall. Gott sei’s gedankt: »Da ist er!«

»Ich weiß wirklich nicht, wie Sie in dieser Unordnung vernünftig arbeiten können, Samantha.« Kettermans Stimme ist dünn und sarkastisch, sein Gesicht vollkommen humorlos.

»Na wenigstens habe ich immer alles zur Hand!«, versuche ich mit einem kleinen Lachen zu scherzen, doch Kettermans Miene bleibt ungerührt. Nervös ziehe ich meinen Stuhl zurück und prompt rutscht ein Stapel Briefe, den ich völlig vergessen hatte, in einem Schwall von der Sitzfläche.

»Wissen Sie, dass es früher Vorschrift war, den Schreibtisch jeden Abend aufzuräumen?« Kettermans Ton ist stählern. »Vielleicht sollten wir diese Regel wieder einführen.«

»Ja, vielleicht!«, stammle ich mit einem panischen Lächeln. Der Mann macht mich immer nervöser.

»Samantha!«, dröhnt in diesem Moment eine joviale Stimme an mein verschrecktes Ohr. Ich drehe mich um und sehe Arnold Saville durch den Korridor auf uns zukommen.

Arnold ist mir der liebste von allen Seniorpartnern. Er hat eine buschige graue Löwenmähne, die immer ein bisschen so aussieht, als würde sie besser zu einem Dirigenten oder Einsteinverschnitt passen als zu einem Anwalt. Außerdem hat er einen recht eigenwilligen Geschmack, was seine Krawatten betrifft. Heute zum Beispiel trägt er eine knallrote Paisleykreation mit dazu passendem Tüchlein in der Brusttasche des Sakkos. Er begrüßt mich mit einem breiten Grinsen, und ich kann nicht anders, als erleichtert zurückzugrinsen. Sofort werde ich wieder ein wenig ruhiger.

Ich bin mir ganz sicher, dass Arnold sich bei der Versammlung für mich einsetzen wird. Ebenso sicher bin ich, dass Ketterman gegen mich votieren wird. Arnold ist der Freigeist unter den Seniorpartnern, er setzt sich auch einmal über die Regeln hinweg, kümmert sich nicht um Nebensächlichkeiten wie einen versauten Schreibtisch.

»Belobigungsschreiben, beste Samantha!«, verkündet er strahlend und wedelt dabei mit einem Zettel. »Von keinen Geringeren als den Gleiman Brothers, stellen Sie sich vor.«

Ich nehme ihm den Zettel ab und überfliege ihn überrascht. »… sehr zu schätzen ... stets überaus professionell …«

»Sie haben denen wohl ein paar Milliönchen eingespart, mit denen sie gar nicht mehr gerechnet hätten.« Arnold zwinkert mir zu. »Die sind richtig entzückt.«

»Äh, ja.« Ich erröte ein wenig. »Na ja, das war doch nicht der Rede wert. Mir ist einfach nur eine kleine Schwachstelle aufgefallen. «

»Nun, Sie haben offenbar mächtigen Eindruck gemacht.« Arnold wackelt mit seinen buschigen Augenbrauen. »Die möchten von jetzt an ausschließlich mit Ihnen zusammenarbeiten. Ausgezeichnet, Samantha! Wirklich gut gemacht.«

»Äh … danke.« Ich werfe einen schüchternen Blick auf Ketterman, nur um zu sehen, ob möglicherweise die abwegige Chance besteht, dass er beeindruckt ist. Seine Miene ist unverändert missbilligend.

»Ich würde Sie außerdem bitten, das hier für mich zu erledigen. « Ketterman klatscht einen fetten Papierstapel auf die einzige Stelle auf meinem Schreibtisch, die noch frei ist. »Ich brauche die Risikoanalyse in achtundvierzig Stunden.«

Auch das noch. Mir wird ganz übel, wenn ich den dicken Ordner nur anschaue. Dafür werde ich Stunden brauchen.

Ketterman schiebt mir immer die Drecksarbeit zu, für die er sich zu schade ist. Und nicht nur er. Sogar Arnold tut das. Und oft sagen sie einem nicht mal Bescheid, klatschen einfach einen Stapel auf den Schreibtisch, dazu irgendein unleserliches Memo. Und ich soll den Mist dann machen.

»Das geht doch in Ordnung, oder?« Seine Augen verengen sich.

»Klar, klar. Kein Problem«, sage ich mit munterer Icheigne-mich-zur-neuen-Seniorpartnerin-Stimme. »Bis gleich, dann.«

Während er abrauscht, werfe ich einen Blick auf meine Uhr. Zehn Uhr zweiundzwanzig. Mir bleiben noch exakt acht Minuten, um den Fallons-Vertragsentwurf auf eventuelle Lücken oder Fehler zu überprüfen. Ich schlage die Akte auf und überfliege sie in Rekordgeschwindigkeit. Seit ich bei Carter Spink angefangen habe, hat sich meine Lesegeschwindigkeit mehr als verdoppelt.

Tatsächlich lese ich jetzt nicht nur schneller. Ich gehe schneller, rede schneller, esse schneller … habe schnelleren Sex …

Nicht, dass ich davon in letzter Zeit allzu viel gehabt hätte. Aber vor ein, zwei Jahren war ich einige Zeit mit einem Seniorpartner von Berry Forbes zusammen. Er hieß Jacob und hatte mit den ganz großen, internationalen Deals zu tun, was unterm Strich hieß, dass er noch weniger Zeit hatte als ich. Am Ende haben wir unsere Routine zu solchem Feinschliff gebracht, dass wir in exakt sechs Minuten fertig waren, was ganz praktisch gewesen wäre, wenn wir uns den Sex gegenseitig in Rechnung gestellt hätten (was wir natürlich nicht haben!). Er brachte mich zum Orgasmus, dann brachte ich ihn zum Orgasmus – und dann haben wir unsere E-Mails gecheckt.

Wir sind also praktisch gleichzeitig zum Höhepunkt gekommen. So gut wie. Da behaupte mal einer, dass das kein guter Sex war. Ich lese die Cosmo, ich weiß Bescheid.

Na jedenfalls hat Jacob dann ein unheimlich gutes Angebot aus den USA bekommen und ist nach Boston gezogen. Tja, und das war’s dann mit uns. Nicht, dass es mir allzu viel ausgemacht hätte.

Um ganz ehrlich zu sein, ich mochte ihn nicht mal besonders.

»Samantha?«, reißt mich eine Stimme aus meinen Gedanken. Es ist meine Sekretärin, Maggie. Ich habe sie erst seit ein paar Wochen, daher kenne ich sie noch nicht so gut. »Eine Joanne hat angerufen, während Sie außer Haus waren.«

»Joanne von Clifford Chance?« Interessiert blicke ich auf. »Gut. Richten Sie ihr bitte aus, ich hätte ihre E-Mail zu Klausel vier erhalten und werde mich nach der Mittagspause – «

»Nicht diese Joanne«, unterbricht mich Maggie. »Joanne, Ihre neue Putzfrau. Sie möchte wissen, wo Ihre Staubsaugerbeutel sind.«

Ich verstehe nicht ganz. »Meine was?«

»Ihre Staubsaugerbeutel«, wiederholt Maggie geduldig. »Sie kann sie nicht finden.«

»Warum will sie den Staubsauger in einen Beutel tun?«, frage ich perplex. »Will sie ihn irgendwohin mitnehmen?«

Maggie schaut mich an, als wäre sie nicht sicher, ob ich Witze mache.

»Die Beutel, die man in den Staubsauger tut«, erklärt sie mir wie einer leicht Debilen. »Die den Staub aufnehmen? Wo haben Sie die?«

»Ach so, die!«, sage ich, als ob mir gerade ein Licht aufgegangen wäre. »Die Beutel! Äh …«

Ich ziehe die Stirn in nachdenkliche Falten, als läge mir die Antwort auf der Zunge. In Wahrheit weiß ich nicht einmal, wie mein Staubsauger überhaupt aussieht. Habe ich ihn eigentlich je in die Hand genommen? Ich weiß, dass er mir geliefert wurde, mehr aber auch nicht.

»Vielleicht ist es ja ein Dyson«, überlegt Maggie. »Die brauchen keine Beutel. Ist es ein Handstaubsauger oder ein Bodenstaubsauger? « Sie schaut mich erwartungsvoll an.

Hand? Boden? Man saugt doch den Boden, oder? Und hält den Staubsauger in der Hand? Da ich mich nicht (noch mehr) blamieren will, mache ich auf cool und kompetent.

»Ich kümmere mich darum«, sage ich in energischem Ton und verrücke geschäftig ein paar Aktenstapel. »Danke, Maggie. «

»Sie hat noch eine Frage.« Maggie wirft einen Blick auf ihren Zettel, um ihr Gedächtnis aufzufrischen. »Wie schaltet man Ihren Herd an?«

Ich tue sekundenlang so, als wäre ich ganz ins Aktenrücken vertieft. Natürlich weiß ich, wie man meinen Herd anschaltet.

»Na ja, man dreht natürlich am … äh … Schalter. Ist doch ganz einfach, oder …?«

»Sie sagte, er hätte so eine Art Timer-Verriegelung.« Maggie wirft die Stirn in grüblerische Falten. »Ist es ein Gas- oder ein Elektroherd?«

Ich glaube, ich sollte dieses Gespräch besser so schnell wie möglich beenden.

»Maggie, ich muss jetzt wirklich dringend einen Anruf erledigen«, erkläre ich bedauernd und wedle mit der Hand in Richtung Telefon.

»Was soll ich Ihrer Putzfrau also sagen?«, beharrt Maggie. »Sie wartet auf meinen Rückruf.«

»Sagen Sie ihr … sagen Sie ihr, sie soll es für heute gut sein lassen. Ich kümmere mich darum.«

Kaum, dass Maggie verschwunden ist, schnappe ich mir Stift und Memoblock.

1. Wie schaltet man den Herd an?

2. Staubsaugerbeutel – kaufen.

Ich lege den Stift weg und massiere mir die Stirn. Ich kann mich wirklich nicht auch noch damit befassen. Staubsaugerbeutel, also wirklich. Ich weiß ja nicht mal, wie die Dinger aussehen, geschweige denn, wo man die herkriegt –

Ich habe einen jähen Geistesblitz. Ich werde einfach einen neuen Staubsauger bestellen. Die kommen doch sicher mit Beutel, oder?

»Samantha.«

»Was? Was ist?« Erschrocken reiße ich die Augen auf. In meiner Tür steht Guy Ashby.

Guy ist mir von allen Kollegen der Liebste. Er ist eins neunzig, dunkler Teint, schwarze Augen und immer wie aus dem Ei gepellt. Mit einem Wort, ein Bild von einem Anwalt. Aber an diesem Morgen sind seine schwarzen Haare zerzaust, und er hat Ringe unter den Augen.

»Nur die Ruhe«, lächelt Guy, »ich bin’s nur. Was ist, kommst du auch zum Meeting?«

Er hat das umwerfendste Lächeln. Ehrlich. Das sage nicht nur ich, das findet jeder in der Kanzlei.

»Äh … ja. Ja, natürlich.« Ich sammle fahrig die nötigen Papiere zusammen und sage wie beiläufig: »Geht’s dir gut, Guy? Du siehst irgendwie mitgenommen aus.«

Er hat mit seiner Freundin Schluss gemacht. Sie haben die ganze Nacht lang gestritten und jetzt hat sie ihn endgültig verlassen ...

Nein, sie ist nach Neuseeland ausgewandert ...

»Hab die ganze Nacht durchgearbeitet«, sagt er und verzieht das Gesicht. »Scheiß Ketterman. Der Mann ist der reinste Cyborg. « Er gähnt aus Leibeskräften. Ich kann sein makelloses, strahlend weißes Gebiss bewundern, das er sich vor seinem Harvard-Abschluss hat richten lassen.

Er sagt, es sei nicht seine Entscheidung gewesen. Offenbar lassen sie keinen zur Prüfung zu, der nicht das Okay vom Schönheitschirurgen bekommen hat.

»Du Armer.« Ich grinse mitfühlend und schiebe dann meinen Stuhl zurück. »Komm, lass uns gehen.«

Ich kenne Guy seit einem Jahr, seit er in unsere Abteilung kam. Er ist intelligent und humorvoll und hat dieselbe Arbeitsweise wie ich. Wir … na ja, wir sind einfach auf derselben Wellenlänge.

Und ja, es hätte sich was zwischen uns entwickeln können, wenn die Dinge anders gelaufen wären. Aber da gab es dieses unglückselige Missverständnis und …

Was soll’s. Es sollte eben nicht sein. Einzelheiten sind unwichtig. Ich denke gar nicht mehr dran. Wir sind gute Freunde – und das ist am besten so.

Also gut, Folgendes ist passiert:

Es scheint, als hätte Guy anfangs ebenso ein Auge auf mich geworfen wie ich auf ihn. Ja, er wollte definitiv was von mir. Sonst hätte er mich nicht gefragt, ob ich mit jemandem zusammen wäre. Was ich nicht war.

Ich hatte mich kurz davor von Jacob getrennt. Es wäre einfach ideal gewesen.

Ich versuche, möglichst gar nicht dran zu denken, wie ideal es gewesen wäre.

Aber Nigel MacDermot, dieser gedankenlose, hirnverbrannte, hoffnungslos konservative Blödmann hat Guy gesagt, ich wäre mit einem Seniorpartner von Berry Forbes zusammen.

Obwohl es längst aus war.

Wenn Sie mich fragen, ich finde, das ganze System krankt. Man bräuchte wirklich mehr Klarheit. Es sollte so was wie Schildchen geben, mit denen die Leute rumlaufen, wie bei Toiletten: besetzt, frei. Dann gäbe es nicht diese blöden Missverständnisse.

Na jedenfalls, bei mir war leider kein Schildchen dran. Und falls doch, dann das falsche. Die nächsten ein, zwei Wochen waren ziemlich peinlich. Ich habe Guy ständig angelächelt, ihm wurde zunehmend unbehaglicher und er fing an, mir aus dem Weg zu gehen, weil er a) keine Beziehung zerstören wollte und b) keine Lust auf einen flotten Dreier mit Jacob und mir hatte.

Ich stand da wie der Ochs vorm Berg und habe es schließlich aufgegeben. Dann kam mir gerüchteweise zu Ohren, dass er sich seit einiger Zeit mit einer gewissen Charlotte trifft, die er auf irgendeiner Wochenendparty kennen gelernt hat. Ein, zwei Monate später mussten wir zusammen an einem Fall arbeiten und wurden Freunde – was wir immer noch sind.

Tja, das wär’s so weit.

Und ich meine, es ist schon in Ordnung. Wie das Leben eben so spielt. Manche Dinge klappen – andere nicht. Dies hier sollte eben einfach nicht sein.

Bloß, dass ich, tief im Herzen, das Gefühl habe … dass es eben doch hätte sein sollen.

»Also«, sagt Guy, während wir durch den Flur zum Konferenzzimmer gehen. »Partner.« Er zwinkert mir zu.

»Sag so was nicht!«, zische ich entsetzt. Er wird es noch verschreien.

»Jetzt komm schon. Du hast es geschafft, das musst du doch wissen.«

»Ich weiß gar nichts.«

»Samantha, du bist die Beste deines Jahrgangs. Und du arbeitest am härtesten. Wie hoch ist dein IQ noch mal? 600?«

»Klappe.« Ich starre auf den pastellblauen Teppich, und Guy lacht.

»Was ist 124 mal 75?«

»Neuntausenddreihundert«, knurre ich.

Das ist das Einzige, was mir bei Guy wirklich auf den Wecker geht. Ich kann nämlich – so etwa seit meinem zehnten Lebensjahr – große Summen im Kopf ausrechnen. Ich weiß nicht, warum, es ist einfach so. Und alle anderen sagen »schön« und belassen es dabei.

Nur Guy kann einfach nicht aufhören. Dauernd wirft er mir irgendwelche Zahlen an den Kopf, als wäre ich eine Zirkusattraktion. Ich weiß, er findet das lustig – aber mir geht es ziemlich auf die Nerven.

Einmal habe ich ihm absichtlich ein falsches Ergebnis genannt. Doch dann hat sich rausgestellt, dass er die Zahl für einen Vertrag brauchte, an dem er arbeitete. Der Deal wäre deswegen beinahe geplatzt. Seitdem hüte ich mich, falsche Auskünfte zu geben.

»Hast du schon für dein Foto vor dem Spiegel geübt?« Er meint das Foto für die Website der Firma. Guy legt einen Finger ans Kinn und zieht eine übertrieben nachdenkliche Miene. »Ms. Samantha Sweeting, Seniorpartnerin.«

»Auf den Gedanken bin ich noch gar nicht gekommen.« Ich verdrehe die Augen über so viel Albernheit.

Obwohl es eine klitzekleine Lüge ist. Ich habe mir natürlich bereits Gedanken über mein Outfit gemacht. Wie ich meine Haare tragen könnte. Und welches meiner schwarzen Kostüme passen würde. Eins steht aber schon fest: Diesmal werde ich ganz breit lächeln. Auf der jetzigen Carter-Spink-Website sehe ich nämlich viel zu ernst aus.

»Ich hab gehört, deine Präsentation neulich hat sie umgehauen«, sagt Guy.

Das hebt schlagartig meine Laune. »Wirklich?« Ich versuche, nicht zu eifrig zu klingen. »Das hast du gehört?«

»Und dass du’s William Griffith vor allen gezeigt hast.« Guy verschränkt die Arme und mustert mich belustigt. »Machst du eigentlich überhaupt mal einen Fehler, Samantha Sweeting?«

»Ach komm, ich mache ständig Fehler«, sage ich leichthin.

Wie zum Beispiel den, dich nicht gleich am ersten Tag zu schnappen, Single hin oder her.

»Ein Fehler ist erst dann ein Fehler, wenn er sich nicht mehr wieder gutmachen lässt.« Guys Augen scheinen sich bei diesen Worten förmlich in die meinen zu bohren.

Aber vielleicht guckt er ja auch nur so, weil er übernächtigt ist. Ich war noch nie gut, wenn es darum ging, irgendwelche Zeichen zu deuten.

Das hätte ich studieren sollen, anstatt die Juristerei. Damit hätte ich wirklich was anfangen können. Einen Magister in »Wissen, wann Männer auf dich stehen und wann sie bloß gute Freunde sein wollen«.

»Alles bereit?« Kettermans schneidende Stimme lässt uns beide zusammenfahren. Ich drehe mich um und sehe ein ganzes Rudel Männer in schwarzen Anzügen auf uns zukommen. Auch ein paar Frauen entdecke ich darunter – ebenso schwarz gewandet.

»Selbstverständlich.« Guy nickt Ketterman zu, dreht sich dann um und schenkt mir ein freches Zwinkern.

Vielleicht sollte ich ja einen Kurs im Gedankenlesen belegen.

3

Neun Stunden später sitzen wir noch immer im Konferenzzimmer zusammen.

Der große Mahagonitisch ähnelt mittlerweile meinem Schreibtisch – Vertragsentwürfe in verschiedensten Stadien, Buchhaltungsunterlagen, vollgekritzelte Notizzettel und Styroportassen mit Kaffeeresten bedecken jede freie Fläche. Auf dem Boden liegen noch die leeren Schachteln vom angelieferten Mittagessen herum. Eine Sekretärin verteilt gerade Kopien der neuesten Version des Vertrags. Zwei Anwälte der Gegenpartei haben sich erhoben und dezent ins Flüsterzimmer zurückgezogen. Jedes Konferenzzimmer verfügt über so einen Raum, auch »Klause« genannt, wo man ein Vier-Augen-Gespräch führen oder auch nur ein bisschen Dampf ablassen kann.

Die heiße Phase ist vorüber. Es ist wie die Ebbe nach der Flut. Die Gesichter sind noch gerötet, die Gemüter noch erhitzt, doch die Brüllerei hat endlich aufgehört. Die Klienten sind gegangen. Gegen sechzehn Uhr hatten sie sich zusammengerauft und waren, nach einem Händedruck, in ihren Luxuslimousinen abgerauscht.

Jetzt sind wir, die Anwälte, an der Reihe. Jetzt ist es an uns, das was gesagt wurde und das was tatsächlich gemeint ist (falls Sie glauben, dass das ein und dasselbe ist, können Sie die Juristerei gleich aufgeben), herauszuarbeiten und in einen Vertragsentwurf zu fassen, rechtzeitig zur morgigen Konferenz.

Wo dann wieder gebrüllt werden darf.

Ich reibe mein staubtrockenes Gesicht und nippe zerstreut an einem Styroporbecher. Igitt. Das ist der falsche, der mit der kalten, vier Stunden alten Brühe. Bäh. Und ausspucken geht ja wohl schlecht.

Wohl oder übel schlucke ich das widerliche Gesöff herunter. Das künstliche Licht aus den Leuchtstoffröhren flimmert mir vor den Augen. Ich bin vollkommen ausgelaugt. Meine Aufgabe in diesem Mega-Deal ist die finanzielle Seite – ich war es, die das Darlehen zwischen unserem Klienten und der Bank ausgehandelt hat. Ich war es, die den Karren aus dem Dreck zog, als sich ein plötzliches Schuldenloch in einer der Zweigfirmen auftat. Und ich war es, die geschlagene drei Stunden lang mit den gegnerischen Parteien über einen einzigen blöden Ausdruck in Absatz 29(d) debattieren musste.

Man konnte sich nicht darüber einigen, ob es »nach bestem Wissen und Gewissen« heißen sollte oder – wie die Gegenpartei gern wollte – »nach Möglichkeit«. Wir haben gewonnen, aber irgendwie verspüre ich nicht das sonst übliche Triumphgefühl. Ich weiß nur, dass es neunzehn Uhr neunzehn ist und ich in elf Minuten am anderen Ende der Stadt sein müsste. Ich bin nämlich zum Abendessen in einem Restaurant mit meiner Mutter und meinem Bruder Daniel verabredet.

Ich werde wohl absagen müssen. Meine eigene Geburtstagsfeier.

Beim Gedanken daran höre ich förmlich die entrüstete Stimme meiner ältesten und besten Schulfreundin Freya.

Die können doch unmöglich von dir verlangen, dass du sogar an deinem Geburtstag Überstunden machst!

Ich musste auch ihr letzte Woche absagen. Wir wollten eigentlich in einen Comedy Club gehen, aber der Vertrag, an dem wir arbeiteten, stand kurz vor dem Abschluss und ich hatte keine Wahl.

Was sie einfach nicht kapiert ist, dass die Arbeit vorgeht. Termine gehen vor. Ende der Story. Egal, ob du dir schon was für den Abend vorgenommen hast. Egal, ob du Geburtstag hast. Selbst wenn du in den – wohlverdienten – Urlaub gehen wolltest. Egal. Am Tisch mir gegenüber sitzt Clive Sutherland vom Corporate Department. Seine Frau hat heute Morgen Zwillinge bekommen, und er ist trotzdem zur Lunchzeit wieder im Büro gewesen.

»Also gut, meine Damen, meine Herren.« Kettermans befehlsgewohnte Stimme sorgt sofort für Ruhe.

Ketterman ist der Einzige, der kein rotes Gesicht hat, der nicht müde aussieht oder wenigstens gestresst. Er wirkt unberührt, automatenhaft wie immer. Wenn er mal sauer wird, bildet sich bei ihm nicht das kleinste Fältchen. Er verströmt dann lediglich eine stumme, stählerne Wut.

»Wir müssen vertagen.«

Was? Mein Kopf zuckt hoch.

Andere Köpfe ebenfalls. Rund um den Tisch keimt Hoffnung auf. Wir sind wie Schulkinder, die während einer Strafarbeit plötzlich frischen Wind schnuppern. Keiner wagt es, sich zu rühren, aus Angst, noch länger nachsitzen zu müssen.

»Ohne diese Unterlagen von Fallons können wir nicht weitermachen. Wir sehen uns dann morgen, Punkt neun.« Mit diesen Worten rauscht er davon, und ich atme unwillkürlich auf. Erst jetzt merke ich, dass ich die Luft angehalten hatte.

Von Clive Sutherland ist nur noch eine Staubwolke zu sehen. Überall werden Handys gezückt, Absagen rückgängig gemacht, Kino- und Restaurantbesuche vereinbart, die Stimmung steigt. Auch ich hätte am liebsten »Jippie« gerufen, beherrsche mich aber.

So etwas gehört sich nicht für eine künftige Seniorpartnerin.

Ich raffe meine Papiere zusammen, stopfe sie in meine Aktentasche und schiebe meinen Stuhl zurück.

»Samantha, fast hätte ich’s vergessen.« Guy drängt sich zu mir durch. »Ich habe noch was für dich.«

Er überreicht mir ein schlichtes weißes Päckchen, das ich mit jäh aufkeimender Freude entgegennehme. Er ist der Einzige in der ganzen Firma, der an meinen Geburtstag gedacht hat. Mit glühenden Wangen reiße ich die weiße Kartonverpackung auf.

»Guy, das wäre doch nicht nötig gewesen!«

»Das war doch nichts«, sagt er äußerst selbstzufrieden.

»Trotzdem!« Ich lache. »Ich dachte, du hättest – «

Mir bleibt das Wort im Hals stecken, als ich eine DVD mit dem Firmenlogo hervorziehe. Es ist eine Zusammenfassung von der Präsentation der europäischen Partner, die neulich stattfand. Ich erwähnte Guy gegenüber, dass ich gerne eine Kopie davon gehabt hätte.

Ich drehe sie hin und her, wobei ich sorgfältig darauf achte, dass mein Lächeln noch im Gesicht sitzt, bevor ich schließlich aufblicke. Natürlich hat er nicht an meinen Geburtstag gedacht. Wie auch? Sicher weiß er gar nicht, wann ich überhaupt Geburtstag habe.

»Das ist … toll«, stammle ich schließlich. »Echt toll! Danke!«

»Hab ich doch gern gemacht.« Er greift nach seiner Aktentasche. »Ich wünsche dir noch einen schönen Abend. Hast du was vor?«

Ich kann ihm unmöglich sagen, dass ich Geburtstag habe. Er wird denken – er wird merken –

»Ich, äh … kleines Familientreffen.« Ich lächle gezwungen. »Dann bis morgen.«

Egal. Hauptsache, ich bin weggekommen. Ich werde es doch noch zu meiner Geburtstagsfeier schaffen. Und wie’s aussieht, sogar pünktlich!

Während mein Taxi sich durch den Verkehr von Cheapside wühlt, wühle ich rasch in meinen neuen Kosmetiksachen. Ich bin neulich in der Mittagspause bei Selfridge’s vorbeigehuscht, weil ich gemerkt hatte, dass ich immer noch den grauen Eyeliner und die Wimperntusche von vor sechs Jahren benutze, die ich kurz nach dem Examen erstanden hatte. Da ich keine Zeit hatte, groß was auszuprobieren, habe ich die Verkäuferin einfach gebeten, mir alles zusammenzusuchen, was ich ihrer Meinung nach brauche.

Ihren Erläuterungen habe ich kaum zugehört, weil ich Elldridge am Handy hatte, wegen dieser ukrainischen Ölsache. Aber an eins kann ich mich doch noch erinnern: dass sie immer wieder betonte, ich solle so was wie »Tönungspuder« verwenden. Sie meinte, er würde mir etwas Farbe ins Gesicht zaubern und ich würde nicht mehr so grässlich –

An dieser Stelle geriet sie ins Stocken. »Blass aussehen«, hat sie schließlich gesagt. »Dabei sind Sie nur eine Spur … blass.«

Ich hole das Puderdöschen hervor und den dazugehörigen überdimensionalen Gesichtspinsel und beginne mir Wangen und Stirn zu pudern. Als ich einen Blick in den kleinen Spiegel werfe, muss ich ein Prusten unterdrücken. Mein Gesicht erstrahlt in mattem Goldglanz. Ich sehe aus wie ein Azteke. Einfach lächerlich.

Ich meine, wem will ich was vormachen? Ich bin Anwältin in der Londoner City, habe seit zwei Jahren keinen einzigen Tag Urlaub gehabt – wie sollte ich da zu einer Gesichtsbräune kommen? Da könnte ich mir ja gleich Holzperlen in die Haare flechten lassen und behaupten, ich wäre gerade von Barbados eingeflogen.

Nach einem abschließenden Blick hole ich resolut ein Kosmetiktuch hervor und wische mir den Zauber wieder aus dem Gesicht. So, jetzt bin ich wieder bleich, mit einem Stich ins Graue. Normal also. Die Verkäuferin erwähnte auch mehrmals die dunklen Ringe unter meinen Augen.

Was weiß die schon! Wenn ich keine Ringe unter den Augen hätte, würde man mich wahrscheinlich feuern!

Ich habe, wie gewöhnlich, ein schwarzes Kostüm an. Meine Mutter hat mir zum einundzwanzigsten Geburtstag fünf schwarze Kostüme geschenkt, und ich trage seitdem nichts anderes. Das einzig Farbige in meiner Garderobe ist eine rote Handtasche. Die habe ich ebenfalls von Muttern bekommen, vor zwei Jahren.

Eine schwarze, jedenfalls. Aber aus irgendeinem Grund – vielleicht, weil es ein so sonniger Tag war oder weil wir gerade einen großartigen Fall abgeschlossen hatten – habe ich sie aus einer plötzlichen Laune heraus gegen eine rote eingetauscht. Was mir meine Mutter bis heute nicht verziehen hat.

Ich mache mein Haar auf, kämme es rasch durch und binde es dann wieder zu einem Knoten hoch. Meine Haare sind nicht gerade mein ganzer Stolz. Sie sind mausbraun, etwa schulterlang, nicht glatt und auch nicht lockig. Jedenfalls war das so, als ich das letzte Mal hingeschaut habe. Die meiste Zeit trage ich sie ohnehin hochgesteckt.

»Na, was Nettes vor?«, fragt der Taxifahrer mit einem Blick in den Rückspiegel.

»Ich habe heute Geburtstag!«

»Ach – da wünsche ich alles Gute!« Er zwinkert mir zu. »Da gibt’s wohl noch eine Riesenparty. Die ganze Nacht durchfeiern und so.«

»Äh … so was Ähnliches.«

Meine Familie und wilde Parties, das passt nicht so recht zusammen. Trotzdem ist es schön, sich mal wieder zu treffen und Neuigkeiten auszutauschen. Dazu haben wir viel zu selten Gelegenheit.

Nicht, dass wir uns nie sehen würden. Wir sind nur alle beruflich recht eingespannt. Meine Mutter ist Staatsanwältin und mittlerweile eine kleine Berühmtheit. Letztes Jahr hat sie sogar eine Auszeichnung erhalten – »Frauen in der Justiz« oder so was. Und dann ist da noch mein Bruder Daniel, er ist sechsunddreißig und Chef der Investmentabteilung bei Whittons. Er kam letztes Jahr auf die Liste der einflussreichsten Geschäftsleute Londons.

Und dann wäre da noch mein anderer Bruder, Peter, doch der hatte, wie gesagt, einen kleinen Nervenzusammenbruch und lebt seitdem in Frankreich, wo er an einer kleinen Dorfschule Englisch unterrichtet. Er hat nicht mal einen Anrufbeantworter. Und mein Dad, natürlich, der in Südafrika lebt, zusammen mit seiner dritten Ehefrau. Ich habe ihn seit meinem dritten Lebensjahr kaum mehr gesehen, aber das ist schon in Ordnung. Meine Mutter hat genug Energie für zwei Elternteile.

Während wir den Strand entlangfahren, werfe ich einen Blick auf meine Uhr. Neunzehn Uhr zweiundvierzig. Allmählich keimt Vorfreude auf. Wann habe ich Mutter eigentlich zum letzten Mal gesehen? Das muss … an Weihnachten gewesen sein. Vor sechs Monaten.

Das Taxi hält vor dem Restaurant, ich bezahle und füge noch ein großzügiges Trinkgeld hinzu.

»Einen wunderschönen Abend!«, sagt der Fahrer. »Und noch mal alles Gute zum Geburtstag!«

»Danke!«

Ich eile ins Restaurant und blicke mich suchend nach Mum oder Daniel um, kann aber keinen von beiden entdecken.

»Hallo!«, sage ich zu dem Oberkellner. »Ich bin mit Mrs. Tennyson verabredet. Sie hat einen Tisch bestellt.«

Mrs. Tennyson ist Mutter. Sie hält nichts von Frauen, die den Namen des Ehemannes annehmen. Sie hält auch nichts von Frauen, die daheim bleiben und kochen und Wäsche waschen oder sich zur Tippse ausbilden lassen. Sie findet, dass Frauen grundsätzlich mehr verdienen sollten als ihre Männer, einfach weil sie von Natur aus mehr Grips haben.

Der Oberkellner führt mich an einen Tisch in einer Ecke, und ich lasse mich auf der ledernen Sitzbank nieder.

»Hallo!« Ich lächle den Kellner an, der kurz darauf an meinen Tisch tritt. »Ich hätte gerne einen Buck’s Fizz, einen Gimlet und einen Martini, bitte. Aber erst, wenn die anderen Gäste eintreffen.«

Mum trinkt immer einen Gimlet. Und was Daniel dieser Tage für Vorlieben hat, weiß ich nicht. Aber zu einem Martini sagt er sicher nicht nein.

Der Kellner nickt und verschwindet. Ich schüttle meine Serviette aus und blicke mich interessiert um. Maxim’s ist ziemlich cool – Chrom und Stahl und stimmungsvolle Beleuchtung. Es ist gerade bei Juristen sehr beliebt. Mum geht hier ein und aus. Ich erkenne zwei Anwälte von Linklaters an einem entfernten Tisch, und an der Bar sitzt einer der renommiertesten Anwälte für Verleumdungsklagen. Die Geräuschkulisse, das Klappern von Besteck an überdimensionalen Tellern, das Knallen von Korken, dringt wie Brandungswellen an mein Ohr, akzentuiert durch Gelächtersalven, bei denen sich Köpfe herumdrehen.

Ich studiere die Speisekarte und merke plötzlich, dass ich einen Riesenhunger habe. Ich hatte, glaube ich, schon seit einer Woche keine anständige Mahlzeit mehr. Beim Anblick dieser Köstlichkeiten läuft mir das Wasser im Mund zusammen: glasierte Gänseleberpastete. Gefülltes Lamm in Kräuterkruste. Und auf der Dessertkarte steht unter anderem Minzschokoladensoufflé sowie zwei verschiedene Sorten hausgemachter Sorbets. Ich hoffe, Mum kann bis zum Dessert bleiben. Sie hat die Angewohnheit, ganz plötzlich zu verschwinden, meist nach dem Hauptgang. Wie oft habe ich sie sagen hören: Ein halbes Dinner ist auch ein Dinner. Das Problem ist, das Essen ist ihr eigentlich schnuppe. Gleiches gilt für alle Menschen, die weniger intelligent sind als sie. Womit der Großteil der Menschheit betroffen wäre.

Aber Daniel zumindest wird bleiben. Er kann keine geöffnete Weinflasche »verkommen lassen«, wie er sich ausdrückt.

»Miss Sweeting?« Der Oberkellner nähert sich mit einem Handy. »Ein Anruf für Sie. Ihre Mutter wurde bei Gericht aufgehalten. «

»Ach.« Ich versuche, mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Aber ich kann mich ja wohl kaum beschweren. Wie oft habe ich schon dasselbe getan? »Also … wann wird sie hier sein?«

Der Oberkellner schweigt betreten. Ich glaube einen mitleidigen Ausdruck über sein Gesicht huschen zu sehen.

»Sie ist am Telefon. Ihre Sekretärin wird sie durchstellen. – Hallo?«, spricht er ins Telefon. »Ich habe hier Mrs. Tennysons Tochter.«

»Samantha?«, dringt eine forsche Stimme an mein Ohr. »Tut mir Leid, Schatz, ich kann heute Abend nicht kommen.«

»Überhaupt nicht? Nicht mal später?« Mein Lächeln versickert. »Nicht mal … auf einen Drink?«

Ihr Gericht ist nur fünf Minuten von hier, in Lincoln’s Inn Fields.

»Viel zu viel um die Ohren. Ich habe einen wirklich wichtigen Fall, der morgen zur Verhandlung kommt … Nein, nicht diese Akte«, sagt sie zu jemandem in ihrem Büro. »So was kommt vor«, meint sie an mich gewandt. »Aber ich wünsche dir jedenfalls einen schönen Abend mit Daniel. Ach, und alles Gute zum Geburtstag. Ich habe dir dreihundert Pfund auf dein Konto überweisen lassen.«

»Ach … wie nett. Vielen Dank.«

»Hast du schon was gehört, ob du Seniorpartnerin wirst?«

»Noch nicht.« Sie klopft mit ihrem Stift an den Hörer.

»Wie viel hast du in diesem Monat gearbeitet?«

»Ach … so zweihundert Stunden etwa …«

»Reicht das? Samantha, du willst schließlich nicht übergangen werden. Es kommen immer junge, ehrgeizige Anwälte nach. In deiner Position kann man leicht verhungern.«

»Zweihundert ist ganz schön viel«, versuche ich zu erklären. »Im Vergleich zu den anderen – «

»Du musst besser sein als die anderen!« Sie schneidet mir das Wort ab, als befände sie sich im Gerichtssaal. »Du kannst es dir nicht leisten, schlechter als exzellent zu sein. Das ist ein äußerst kritischer Zeitpunkt – doch nicht die Akte! Warte einen Moment, Samantha, bin gleich wieder da.«

»Samantha?«

Verwirrt blicke ich auf. Vor mir steht eine junge Frau in einem pastellblauen Kostüm, in der Hand einen enormen Geschenkkorb, den sie mir mit einer Verbeugung und einem strahlenden Lächeln überreicht.

»Ich bin Lorraine, Daniels persönliche Assistentin«, sagt sie mit einer Singsangstimme, die mir plötzlich bekannt vorkommt. »Er kann heute Abend leider nicht kommen, fürchte ich. Aber ich habe da etwas für Sie – und er ist hier am Telefon, um Ihnen Hallo zu sagen.«

Sie streckt mir ein kleines Handy hin. Total verwirrt halte ich es mir ans andere Ohr.

»Hallo, Samantha«, ertönt Daniels sachliche Stimme. »Pass auf, Liebes, ich schaffe es einfach nicht. Stecke mitten in einem Mega-Deal.«

Mir wird ganz anders. Keiner von beiden feiert mit mir?

»Tut mir wahnsinnig Leid, Babe«, sagt Daniel. »So was kommt vor. Aber amüsier dich gut mit Mum, okay?«

Ich muss erst mal schlucken. Ich kann doch jetzt nicht zugeben, dass sie mich auch sitzen lässt. Ich kann nicht zugeben, dass ich ganz allein hier hocke.

»Ja, gut!« Irgendwie kriege ich einen munteren Ton zustande. »Das werden wir!«

»Ich habe dir ein bisschen Geld überwiesen. Kauf dir was Schönes. Und ich habe Lorraine mit Pralinen vorbeigeschickt. Hab sie selbst ausgesucht!«, fügt er stolz hinzu.

Ich werfe einen Blick auf den Geschenkkorb, den Lorraine mir bereitwillig hinhält. Es ist Seife drin, keine Pralinen.

»Wirklich nett von dir, Daniel«, stammle ich. »Herzlichen Dank.«

»Happy Birthday to you ...«

Ich drehe mich um. Ein Kellner mit Tablett kommt auf mich zu, darauf steht ein funkensprühendes Cocktailglas. Auf dem Tablett steht mit Karamell »Happy Birthday Samantha« geschrieben, daneben eine vom Chefkoch höchstpersönlich signierte Miniaturspeisekarte. Dem Kellner folgen drei weitere, die alle »Happy Birthday« schmettern.

Lorraine stimmt nach kurzem Zögern verlegen mit ein. »Happy Birthday to you ...«

Der Kellner stellt das Tablett vor mir ab, aber ich habe die Hände voller Telefone.

»Warten Sie, ich nehme Ihnen das hier ab«, sagt Lorraine und nimmt Daniels Handy. Sie hebt es ans Ohr und fängt an zu strahlen. »Er singt auch!«, sagt sie und deutet eifrig aufs Telefon.

»Samantha?« Mum meldet sich wieder. »Bist du noch da?«

»Ich … sie singen gerade ›Happy Birthday‹ …«

Ich lege das Handy auf den Tisch. Nach kurzem Überlegen legt Lorraine Daniels Handy behutsam daneben.

Das ist meine Geburtstagsfeier.

Zwei Handys.

Die Leute drehen sich zu mir um, doch ihr Lächeln verblasst ein bisschen, als sie sehen, dass ich ganz allein am Tisch sitze. Auch auf den Gesichtern der Kellner zeichnet sich Mitleid ab. Ich versuche mir nichts draus zu machen, doch meine Wangen brennen vor Scham.

Plötzlich taucht auch der Kellner auf, bei dem ich zuvor bestellt hatte. Er hat drei Cocktails auf einem Tablett dabei. Sein Blick huscht verwirrt über den leeren Tisch.

»Für wen war der Martini?«

»An sich für meinen Bruder …«

»Das wäre dann das Nokia«, meldet sich Lorraine hilfreich zu Wort und deutet auf besagtes Handy.

Kleine Pause – dann stellt der Kellner mit einem professionell-ausdruckslosen Gesichtsausdruck den Martini nebst Cocktailserviette neben das Handy.

Ich hätte am liebsten gelacht – bloß, dass da so ein Stechen in meinen Augen ist und ich nicht sicher bin, ob ich überhaupt kann. Er stellt auch die anderen Cocktails ab, nickt mir zu und verschwindet wieder. Eine verlegene Pause entsteht.

»Also dann …« Lorraine nimmt Daniels Handy und verstaut es in ihrer Handtasche. »Dann noch alles Gute zum Geburtstag – und einen schönen Abend!«

Während sie auf hohen Absätzen davontrippelt, nehme ich das andere Telefon zur Hand, um mich von Mutter zu verabschieden, doch die hat bereits aufgelegt. Die singenden Kellner haben sich diskret verkrümelt. Ich bin wieder allein. Mit einem Korb Seife.

»Möchten Sie jetzt bestellen?« Der Oberkellner taucht an meinem Tisch auf. »Ich könnte Ihnen das Risotto empfehlen«, sagt er tröstend. »Oder vielleicht einen schönen Salat? Ein Glas Wein dazu?«

»Wissen Sie« – ich ringe mir ein Lächeln ab – »bringen Sie mir einfach die Rechnung.«

Schwamm drüber.

Ehrlich gesagt hätten wir es sowieso nie alle geschafft. Eine verrückte Idee. Wir hätten es gar nicht erst versuchen sollen. Wir sind alle beruflich sehr eingespannt, haben jeder einen stressigen Job, so ist das nun mal in meiner Familie.

Als ich draußen vor dem Restaurant stehe, fährt gerade ein Taxi vor, und ich strecke rasch den Arm raus. Die Tür geht auf und eine abgelatschte, mit Holzperlen bestickte Sandale taucht auf, gefolgt von Cut-Off-Jeans und einem farbenfrohen Kaftan, gekrönt von einem mir nur allzu vertrauten blonden Lockenschopf …

»Warten Sie hier«, weist sie den Taxifahrer an. »Bin in fünf Minuten wieder da.«

»Freya?« Ich bin fassungslos. Sie wirbelt herum und reißt die Augen auf.

»Samantha! Was stehst du hier draußen?«

»Und was machst du hier?«, entgegne ich. »Ich dachte, du wärst längst unterwegs nach Indien.«

»Bin ich auch! Ich treffe mich mit Lord am Flughafen. In …« Sie wirft einen Blick auf ihre Uhr. »Ungefähr zehn Minuten.«

Sie macht eine schuldbewusste Miene, und ich muss unwillkürlich lachen. Ich kenne Freya seit der ersten Klasse, als wir beide in eine Internatsschule kamen. Schon in der ersten Nacht hat sie mir erzählt, ihre Eltern wären Zirkusartisten und sie könne auf einem Elefanten reiten und auf einem Seil balancieren. Ich habe ihr ein ganzes Schuljahr lang geglaubt, wenn sie mir von ihrem exotischen Leben beim Zirkus erzählte. Bis dann schließlich ihre Eltern auftauchten, um sie abzuholen, und sich herausstellte, dass sie stinknormale Buchhalter aus Staines waren. Doch selbst da zeigte sie keine Spur von einem schlechten Gewissen. Sie behauptete einfach, sie wären früher Zirkusartisten gewesen.

Sie hat strahlend blaue Augen und jede Menge Sommersprossen. Da sie ständig auf Reisen ist, ist sie ständig braun gebrannt. Gerade jetzt schält sich ihre Nase ein wenig, und sie hat einen neuen Ohrring, oben an der Ohrmuschel. Sie hat die weißesten, schiefsten Zähne, die ich je gesehen habe, und wenn sie lacht, kräuselt sich eine Ecke ihrer Oberlippe.

»Ich bin gekommen, um in deine Geburtstagsfeier reinzuplatzen. « Freyas Blick schwenkt misstrauisch in Richtung Restaurant. »Ich dachte eigentlich, dass ich zu spät wäre. Was ist los?«

»Na ja …« Ich zögere. »Es ist so … Mum und Daniel …«

»Mussten früher gehen?« Freya schaut mich an und auf einmal breitet sich Entsetzen auf ihrer Miene aus. »Sind gar nicht erst gekommen? Herrgott noch mal, diese Schweinekerle! Konnten sie nicht wenigstens ein einziges Mal ihre bescheuerte Arbeit weniger wichtig nehmen und zu dir …« Sie holt tief Luft. »Sorry. Ich weiß. Ist nun mal deine Familie. Leider Gottes.«

Freya und Mum verstehen sich nicht besonders gut.

»Ist doch egal«, sage ich schulterzuckend. »Ehrlich. Ich habe sowieso furchtbar viel Arbeit.«

»Arbeit?« Sie starrt mich fassungslos an. »Jetzt? Bist du verrückt geworden? Hört das denn nie auf?«

»Im Moment ist es nun mal recht hektisch«, verteidige ich mich. »Nur vorübergehend, natürlich.«

»›Vorübergehend‹ sagst du doch immer! Es ist immer ›hektisch‹! Jahr für Jahr verzichtest du auf jeden Spaß – «

»Das ist nicht wahr.«

»Jahr für Jahr erzählst du mir, dass es bald besser wird. Aber das wird es nie!« Ihre Augen sind mit einem Ausdruck großer, leidenschaftlicher Sorge auf mich gerichtet. »Samantha, was ist nur aus deinem Leben geworden?«

Ich starre zurück. Autos rasen dröhnend an uns vorbei. Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Eigentlich kann ich mich gar nicht mehr so recht erinnern, wie mein Leben früher war.

»Ich will Seniorpartner bei Carter Spink werden«, sage ich schließlich. »Das ist mein größter Wunsch. Dafür muss man Opfer bringen.«

»Und was geschieht, wenn du Seniorpartner bist?«, beharrt sie. »Wird es dann besser?«

Ich zucke ausweichend mit den Schultern. In Wahrheit habe ich noch nie weiter gedacht. Seniorpartner. Mein größter Traum. Wie ein leuchtender Stern am Himmel.

»Du bist neunundzwanzig Jahre alt, Menschenskind!« Freya gestikuliert mit einer knochigen, silberberingten Hand. »Du solltest eigentlich in der Lage sein, ab und zu mal was Spontanes zu machen. Dir die Welt ansehen!« Sie packt mich beim Arm. »Samantha, komm mit nach Indien! Jetzt, sofort!«

»Was?!« Ich stoße ein fassungsloses Lachen aus. »Ich kann doch jetzt nicht nach Indien!«

»Nimm dir einen Monat frei. Warum auch nicht? Die werden dich schon nicht feuern. Komm mit zum Flughafen, wir kaufen dir ein Ticket …«

»Freya, du hast sie nicht mehr alle. Im Ernst.« Ich drücke ihren Arm. »Ich hab dich unheimlich gern, aber du hast sie wirklich nicht mehr alle.«

Langsam lässt Freya mich los. »Dito«, sagt sie. »Du hast sie nicht mehr alle! Auch wenn du meine Freundin bist.«

Ihr Handy klingelt, doch sie beachtet es gar nicht. Stattdessen wühlt sie in ihrem bestickten Schulterbeutel herum und fördert ein fein gearbeitetes, wunderschönes silbernes Parfümfläschchen zutage, schlampig in ein rotes Seidentuch eingewickelt.

»Hier, für dich.« Sie drückt es mir in die Hand.

»Freya …« Ich drehe und wende das Fläschchen. »Es ist einfach umwerfend.«

»Dacht ich’s mir doch, dass dir das gefällt.« Sie holt ihr Handy raus. »Was?«, faucht sie ungeduldig in den Hörer. »Hör zu, Lord, ich bin gleich da, okay?«

Freyas Göttergatte heißt mit vollem Namen Lord Andrew Edgerly. Der Spitzname war anfangs ein Witz von Freya, blieb dann aber irgendwie an ihm hängen. Sie haben sich vor fünf Jahren in einem Kibbuz kennen gelernt und in Las Vegas geheiratet. Genau genommen ist sie jetzt Lady Edgerly – aber das will keinem so recht in den Kopf gehen, am allerwenigsten den beiden selbst.

»Danke, dass du gekommen bist. Danke für das hier.« Ich umarme sie. »Und viel Spaß in Indien.«

»Werden wir haben.« Freya steigt wieder in ihr Taxi. »Und wenn du nachkommen willst, brauchst du es nur zu sagen. Denk dir was aus – ein Notfall in der Familie … was auch immer. Gib ihnen meine Nummer. Was immer es ist, ich werde dich decken.«

»Jetzt geh schon«, sage ich lachend und gebe ihr einen kleinen Schubs. »Ab nach Indien.«

Die Tür knallt zu, und sie streckt noch mal den Kopf aus dem Fenster.

»Sam … viel Glück, morgen.« Sie nimmt meine Hand und schaut mir mit ungewöhnlichem Ernst in die Augen. »Wenn es wirklich dein Herzenswunsch ist, dann wünsche ich dir, dass es klappt.«

»Es ist mein allergrößter Wunsch.« Ich schaue meine älteste Freundin an und auf einmal fällt das ganze coole Gehabe von mir ab. »Freya – ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich es mir wünsche.«

»Dann wirst du’s auch schaffen. Das weiß ich.« Sie küsst meine Hand und winkt. »Und fahr bloß nicht wieder ins Büro! Versprochen?«, ruft sie mir noch zu, während das Taxi sich bereits in den Verkehr einfädelt.

»Versprochen!«, brülle ich zurück. Ich warte, bis sie verschwunden ist, dann winke ich ein Taxi herbei.

»Carter Spink, bitte«, sage ich, als es vor mir anhält.

Ich hatte natürlich meine Finger verkreuzt. Klar, dass ich wieder in die Kanzlei zurückfahre.

Es ist schon elf, als ich schließlich, vollkommen erschöpft und dem Hirntode nahe, nach Hause komme. Dabei habe ich erst die Hälfte von Kettermans Haufen geschafft. Scheiß Ketterman, denke ich, während ich die Tür zu meinem Apartmentblock aufstoße, einem gut erhaltenen Gebäude aus den Dreißigern. Scheiß Ketterman. Scheiß … scheiß …

»Guten Abend, Samantha.«