Shopaholic - Sophie Kinsella - E-Book
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Shopaholic E-Book

Sophie Kinsella

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Beschreibung

»Witzig, schlagfertig, aufmunternd – muss man einfach lieben!« Jojo Moyes

Wie alles begann: der Auftakt der weltweiten Bestsellerserie um Schnäppchenjägerin Rebecca Bloomwood.
Rebecca Bloomwood hat eine gefährliche Leidenschaft: Das Shoppen. Sie kann einfach keinem Schaufenster widerstehen! Die junge Finanzjournalistin, die andere Menschen in Geldfragen berät, versteckt ihre eigenen Kreditkartenabrechnungen unterm Bett. Inzwischen steht sie vor einer ernsthaften finanziellen Krise, muss sich die Bank vom Leib halten und auch noch den höchst attraktiven, millionenschweren Jungunternehmer Luke Brandon beeindrucken. Bei all dem Stress hilft eigentlich nur eins: ein kleiner Einkaufsbummel …

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Seitenzahl: 525

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Buch

Eigentlich sollte Rebecca Bloomwood keinen Grund zur Klage haben. Sie ist selbstbewusst, Single und hat einen ordentlichen Job als Finanzexpertin bei einem Wirtschaftsmagazin. Doch der schöne Schein trügt. In Beckys Leben geht es drunter und drüber, denn sie ist eine Frau mit einer gefährlichen Leidenschaft: Sie kann einfach keinem Schnäppchen widerstehen. Beim Anblick eines »Reduziert!«-Schildes beginnt ihr Herz wie wild zu schlagen, und Shoppen ist für sie das reinste Kreislauftraining. Die Beträge auf ihren Kreditkartenabrechnungen kann Rebecca allerdings nur durch ein Missverständnis oder einen Fehler im System erklären – nie im Leben hätte sie so viel Geld ausgegeben. Trotzdem wächst ihr Schuldenberg täglich und damit auch der Druck, einen Ausweg aus der Misere zu finden. Rebecca versucht es zunächst mit Sparen, dann mit Nebenjobs, aber der erhoffte Erfolg will sich nicht einstellen. Doch endlich zeigt sich ein Licht am Ende des Tunnels. Rebecca kommt einem hinterhältigen Betrug auf die Spur und entdeckt plötzlich ihren journalistischen Ehrgeiz. Dass sie sich dabei mit dem millionenschweren und obendrein höchst attraktiven Luke Brandon anlegen muss, verleiht der Geschichte noch zusätzlichen Reiz – und ist ein Grund mehr, sich zur Entspannung eine Kleinigkeit zu gönnen …

Weitere Informationen zu Sophie Kinsella sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin finden Sie am Ende des Buches.

Sophie Kinsella

Shopaholic. Die Schnäppchenjägerin

Roman

Aus dem Englischen von Marieke Heimburger

Die englische Originalausgabe erschien 2001 unter dem Titel »The Secret Dreamworld of a Shopaholic« bei Black Swan, LondonErstmals auf Deutsch erschienen 2001 unter dem Titel »Die Schnäppchenjägerin«Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Neuausgabe September 2021

Copyright © der Originalausgabe 2000 by Sophie Kinsella

Copyright © dieser Ausgabe 2021

by Wilhelm Goldmann Verlag, München, Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Covergestaltung: FAVORITBÜRO, München

Covermotiv: Frau: © Maryia Naidzionysheva/Shutterstock

London Silhouette: © Its design/ Shutterstock

MR · Herstellung: kw

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-25548-0V005

www.goldmann-verlag.de

Meiner Freundin und Agentin Araminta Whitley gewidmet

Endwich Bank

1 Stallion Square

London W 1 3 HW

Miss Rebecca Bloomwood

Flat 4

63 Jarvis Road

Bristol BS1 0DN

06. Juli 1997

Sehr geehrte Miss Bloomwood,

wir gratulieren Ihnen zu Ihrem kürzlich an der Universität Bristol erworbenen Hochschulabschluss. Sicherlich sind Sie sehr stolz auf Ihre Leistung.

Auch wir, die Endwich Bank, sind stolz auf unsere Leistungen als flexibles Geldinstitut mit exzellentem Service und individuellen, auf Sie zugeschnittenen Finanzdienstleistungsangeboten. Ganz besonders können wir unsere weitblickenden Vermögenspläne für anspruchsvolle Kundinnen wie Sie hervorheben.

Aus diesem Grund bieten wir Ihnen, sehr geehrte Miss Bloomwood, hiermit völlig gebührenfrei einen erweiterten Dispositionskredit in Höhe von £ 2000 für die ersten beiden Jahre Ihrer Erwerbstätigkeit an. Wenn Sie sich für ein Konto bei der Endwich Bank entscheiden, steht Ihnen dieser Überziehungskredit mit sofortiger Wirkung zur Verfügung.* Wir hoffen, Sie werden sich dieses einmalige Angebot nicht entgehen lassen, und sehen der Rücksendung des beiliegenden und von Ihnen ausgefüllten Formulars gerne entgegen.

Nochmals unsere Glückwünsche aussprechend verbleiben wir mit freundlichen Grüßen

Endwich Bank

Nigel Fairs

Marketingreferent Hochschulabsolventen

* Vorbehaltlich einer Bonitätsprüfung

Endwich – Wir sind für Sie da!

Endwich Bank

Zweigstelle Fulham

3 Fulham Road

London SW6 9JH

Miss Rebecca Bloomwood

Flat 2

4 Burney Rd.

London SW6 8FD

10. September 1999

Sehr geehrte Miss Bloomwood,

ich nehme Bezug auf unsere Schreiben vom 03. Mai, 29. Juli und 14. August 1999, in denen wir Sie darauf hinweisen, dass Ihr gebührenfreier Dispositionskredit für Hochschulabsolventen am 19. September 1999 ausläuft. Darüber hinaus machten wir Sie darauf aufmerksam, dass Sie den vereinbarten Kreditrahmen von £ 2000 deutlich überschritten haben.

Gegenwärtig verzeichnen wir auf Ihrem Konto einen Schuldsaldo von £ 3.794,56.

Wir möchten Sie daher bitten, sich mit meiner Assistentin Erica Parnell unter oben aufgeführter Telefonnummer in Verbindung zu setzen, um einen persönlichen Gesprächstermin zu vereinbaren.

Mit freundlichen Grüßen

Endwich Bank

Zweigstelle Fulham

Derek Smeath

Zweigstellenleiter

Endwich – Wir sind für Sie da!

Endwich Bank

Zweigstelle Fulham

3 Fulham Road

London SW6 9JH

Miss Rebecca Bloomwood

Flat 2

4 Burney Rd.

London SW6 8FD

22. September 1999

Sehr geehrte Miss Bloomwood,

wir bedauern den Umstand, dass Sie sich ein Bein gebrochen haben.

Dennoch möchten wir Sie bitten, sich nach Ihrer Genesung telefonisch mit meiner Assistentin Erica Parnell in Verbindung zu setzen, um einen Gesprächstermin zu vereinbaren, bei dem wir Ihren fortdauernden, erhöhten Überziehungskreditbedarf erörtern können.

Mit freundlichen Grüßen

Endwich Bank

Zweigstelle Fulham

Derek Smeath

Zweigstellenleiter

Endwich – Wir sind für Sie da!

Endwich Bank

Zweigstelle Fulham

3 Fulham Road

London SW6 9JH

Miss Rebecca Bloomwood

Flat 2

4 Burney Rd.

London SW6 8FD

17. November 1999

Sehr geehrte Miss Bloomwood,

wir bedauern sehr, dass Sie an Pfeifferschem Drüsenfieber erkrankt sind.

Dennoch möchten wir Sie bitten, sich nach Ihrer Genesung telefonisch mit meiner Assistentin Erica Parnell in Verbindung zu setzen, um einen Gesprächstermin zu vereinbaren, bei dem wir Ihre derzeitige finanzielle Situation besprechen können.

Mit freundlichen Grüßen

Endwich Bank

Zweigstelle Fulham

Derek Smeath

Zweigstellenleiter

Endwich – Wir sind für Sie da!

EINS

Okay. Keine Panik. Keine Panik. Das ist bloß eine VISA-Rechnung. Ein Stück Papier; ein paar Zahlen. Ich meine – ein paar lächerliche Zahlen. Nichts, wovor man Angst haben müsste.

Ich blicke starr aus dem Bürofenster, beobachte einen Bus, der die Oxford Street hinunterfährt, und zwinge mich, den weißen Umschlag zu öffnen, der auf meinem chaotischen Schreibtisch liegt. Nichts weiter als ein Stück Papier, sage ich mir schon zum tausendsten Mal. Und ich bin schließlich nicht blöd, oder? Ich weiß genau, wie hoch diese VISA-Rechnung ausfällt.

Ziemlich genau. Also, so ungefähr.

Ungefähr … zweihundert Pfund. Dreihundert vielleicht. Ja, vielleicht dreihundert. Allerhöchstens dreihundertfünfzig.

Ich schließe die Augen und fange an zu rechnen. Das Kostüm von Jigsaw. Abendessen mit Suze bei Quaglino’s. Und dann dieser geniale rot-gelbe Teppich. Der hat allerdings zweihundert Pfund gekostet, jetzt, wo ich drüber nachdenke. Aber die war er auch wert. Ist von allen bewundert worden. Na ja, zumindest von Suze.

Und das Jigsaw-Kostüm war im Angebot – 30 % reduziert. Da habe ich also im Grunde Geld gespart.

Ich mache die Augen auf und greife nach der Rechnung. In dem Moment, in dem ich das Papier berühre, fallen mir die neuen Kontaktlinsen ein. Fünfundneunzig Pfund. Stolzes Sümmchen. Aber die musste ich nun wirklich kaufen. Oder sollte ich blind wie ein Maulwurf durch die Gegend laufen?

Natürlich musste ich dafür aber auch neue Reinigungslösungen kaufen und ein hübsches Döschen und einen antiallergischen Eye-Liner. Alles in allem war ich damit bei … vierhundert?

Am Nachbarschreibtisch sieht Clare Edwards von ihrer Post auf. Jeden Morgen sortiert sie alle ihre Briefe auf ordentliche Stapel, hält diese mit Gummibändern zusammen und steckt Zettelchen dran, auf denen steht »Sofort beantworten« oder »Nicht dringend, aber beantworten« oder Ähnliches. Ich kann Clare Edwards nicht ausstehen.

»Alles in Ordnung, Becky?«, fragt sie.

»Ja, ja«, sage ich fröhlich. »Ich lese nur gerade einen Brief.«

Beschwingt fasse ich in den Umschlag, doch ich ziehe die Rechnung nicht ganz heraus. Meine Finger erstarren förmlich, während ich mir – wie jeden Monat – nur noch eins sehnlichst wünsche.

Soll ich Ihnen verraten, wovon ich heimlich träume? Das hat mit einer Verwechslungsgeschichte zu tun, die ich mal in der Zeitung gelesen habe. Ich fand die Geschichte so toll, dass ich den Bericht ausgeschnitten und mir an die Kleiderschranktür gehängt habe. Zwei Kreditkartenabrechnungen wurden jeweils dem falschen Empfänger zugeschickt, und – man stelle sich das mal vor! – beide haben die verkehrte Rechnung bezahlt, ohne die Verwechslung überhaupt zu bemerken! Sie haben die Rechnung des jeweils anderen bezahlt, ohne sie zu überprüfen.

Seit ich diese Geschichte gelesen habe, habe ich diesen geheimen Traum, dass mir genau das Gleiche passiert. Irgendeine klapprige alte Dame in Cornwall bekommt meine enorme Rechnung zugeschickt und bezahlt sie, ohne sie sich genauer anzusehen. Und ich bekomme ihre Rechnung für drei Dosen Katzenfutter à £1,99 zugeschickt. Die ich selbstverständlich sofort bezahle. Da muss man schon fair bleiben.

Mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht sehe ich aus dem Fenster. Ich bin davon überzeugt, dass es diesen Monat so weit ist – mein Traum wird wahr. Aber als ich dann endlich unter Clares neugierigem Blick die Rechnung aus dem Umschlag ziehe, reduziert sich das Grinsen zu einem Lächeln und verschwindet schließlich ganz. Irgendetwas schnürt mir die Kehle zu. Könnte Panik sein.

Das Blatt Papier ist von oben bis unten schwarz bedruckt. Diverse bekannte Namen tanzen vor meinen Augen wie in einer Shopping Mall. Ich versuche sie zu lesen, aber sie bewegen sich zu schnell. Thorntons, erhascht mein Blick. Thorntons Chocolates? Was zum Teufel hatte ich denn bei Thorntons Chocolates verloren? Ich war doch auf Diät. Diese Rechnung konnte einfach nicht stimmen. Das konnte nicht meine sein. Ich konnte nie und nimmer so viel Geld ausgegeben haben.

Keine Panik!, ermahne ich mich innerlich. Panik bringt überhaupt nichts. Jetzt lies ganz langsam jeden einzelnen Posten durch, einen nach dem anderen. Ich atme tief ein und zwinge mich, die Rechnung ganz ruhig von oben nach unten durchzulesen.

WH Smith (Genehmigt. Schreibwaren braucht schließlich jeder mal.)

Boots (dito)

Specsavers (lebensnotwendig)

Oddbins (eine Flasche Wein – lebensnotwendig)

Our Price (Our Price? Ach, ja. Das neue Album von den Charlatans. Na, das musste ich nun wirklich haben.)

Bella Pasta (Abendessen mit Caitlin)

Oddbins (Flasche Wein – lebensnotwendig)

Esso (Benzin zählt nicht)

Quaglino’s (teuer, aber eine Ausnahme)

Prêt à Manger (da war mir das Bargeld ausgegangen)

Oddbins (Flasche Wein – lebensnotwendig)

Rugs to Riches (was? Ach, ja, der Teppich. Blöder Teppich)

La Senza (sexy Unterwäsche für Verabredung mit James)

Agent Provocateur (noch sexiere Unterwäsche für Verabredung mit James. Hm. Hat auch nichts genützt.)

Body Shop (dieses Hautrubbelteil, das ich unbedingt brauche)

Next (eher langweiliges weißes Hemd – war aber im Angebot)

Millets …

Halt, Stopp, Moment! Millets? Ich setze niemals auch nur einen Fuß in den Millets-Laden. Was zum Teufel sollte ich denn bei Millets wollen? Ratlos starre ich auf die Rechnung, runzle die Stirn und versuche nachzudenken – und da dämmert es mir. Ganz klar. Irgendjemand anders hatte meine Karte benutzt.

Oh, Gott. Ich, Rebecca Bloomwood, bin das Opfer eines Verbrechens geworden.

Jetzt bekam das alles einen Sinn. Irgendeiner hatte meine Kreditkarte geklaut und meine Unterschrift gefälscht. Wer weiß, wo er die Karte sonst noch benutzt hat? Kein Wunder, dass so viele Posten auf meiner Abrechnung sind! Irgendjemand war mit meiner Karte in London auf Einkaufstour gewesen – und dachte, er würde ungeschoren davon kommen.

Aber wie hatte derjenige das angestellt? Ich krame mein Portemonnaie aus der Handtasche, klappe es auf – und sehe meine VISA-Karte. Ich nehme sie heraus und betrachte sie. Irgendjemand musste sie mir aus dem Portemonnaie geklaut, sie benutzt und dann wieder zurück ins Portemonnaie gesteckt haben. Es muss jemand gewesen sein, den ich kenne. Oh, Gott. Wer?

Misstrauisch sehe ich mich im Büro um. Wer auch immer das war, konnte nicht besonders helle sein. Meine Karte bei Millets zu benutzen! Das war ja lachhaft. Wo ich doch nie bei Millets einkaufte!

»Bin doch noch nie bei Millets gewesen!«, sage ich laut.

»Natürlich«, sagt Clare.

»Was?« Wenig erfreut über diese Unterbrechung drehe ich mich zu ihr um. »Wann?«

»Du hast doch Michaels Abschiedsgeschenk bei Millets gekauft, oder nicht?«

Ich starrte sie an und merke, wie mein Lächeln erstirbt. Mist. Klar. Der blaue Anorak für Michael. Der blöde blaue Anorak von Millets.

Als Michael, unser stellvertretender Chefredakteur, vor drei Wochen bei uns aufhörte, habe ich mich freiwillig bereit erklärt, das Geschenk für ihn zu besorgen. Ich nahm den braunen Umschlag mit den Münzen und den Scheinen mit in den Laden und suchte einen Anorak aus. Und im letzten Moment – jetzt fiel es mir wieder ein – beschloss ich, mit Kreditkarte zu zahlen und das überaus praktische Bargeld für mich zu behalten.

Ich kann mich lebhaft daran erinnern, wie ich die Fünf-Pfund-Scheine aus dem Umschlag gefischt und sorgfältig in mein Portemonnaie gesteckt habe, wie ich die Pfundstücke in das Münzfach und das restliche Kleingeld lose in meine Handtasche habe fallen lassen. Oh, gut, dachte ich. Dann muss ich ja gar nicht zum Geldautomaten. Ich dachte, das würde Wochen reichen.

Aber wo war das Geld bloß abgeblieben? Ich konnte doch nicht einfach so sechzig Pfund ausgegeben haben, ohne es zu merken, oder?

»Wie kommst du überhaupt darauf?«, fragt Clare und beugt sich nach vorne. Hinter den Gläsern ihrer Brille funkeln zwei kleine, runde Röntgenaugen. Sie weiß genau, dass ich mit meiner VISA-Rechnung beschäftigt bin. »Nur so«, sage ich und wende mich ohne ein weiteres Wort der zweiten Seite meiner Rechnung zu.

Aber ich bin irgendwie aus dem Konzept. Statt das zu tun, was ich sonst immer tue – nämlich mich auf den erforderlichen Mindestbetrag zu konzentrieren und den Gesamtbetrag zu ignorieren –, starre ich ungläubig auf die allerletzte Zahl.

Neunhundertneunundvierzig Pfund und dreiundsechzig Pence. Schwarz auf Weiß.

Schweigend glotze ich die Zahl etwa eine halbe Minute an, dann stopfe ich die Rechnung wieder in den Umschlag. In diesem Moment habe ich das Gefühl, dass dieses Stück Papier überhaupt nichts mit mir zu tun hat. Ehrlich. Wenn ich es einfach unachtsamerweise hinter meinem Computer auf den Boden fallen lassen würde, würde es vielleicht verschwinden. Die Putzkolonne würde es aufsammeln und entsorgen, und ich könnte behaupten, die Rechnung nie bekommen zu haben. Schließlich kann man mich nicht für eine Rechnung verantwortlich machen, die ich nie erhalten habe, oder?

Ich reime mir schon einen entsprechenden Brief an die Geschäftsleitung von VISA zusammen. »Sehr geehrte Damen und Herren! Ihr Schreiben befremdet mich. Von welcher Rechnung reden Sie eigentlich? Ich habe nie eine Rechnung von Ihrem Unternehmen erhalten. Ihr Ton gefällt mir gar nicht, und ich hätte gute Lust, den Fall publik zu machen und mich an die Sendung Watchdog zu wenden.«

Notfalls könnte ich auch auswandern.

»Becky?« Ich reiße den Kopf hoch und sehe, dass Clare mit mir spricht. »Hast du den Bericht über Lloyds fertig?«

»So gut wie«, lüge ich. Da sie mich beobachtet, fühle ich mich genötigt, guten Willen zu zeigen und die entsprechende Datei auf meinem Computer zu öffnen. Aber sie beobachtet mich immer noch.

»Die Sparer können, als weiteren Vorteil, jederzeit über ihr Geld verfügen«, tippe ich und schreibe damit nur die vor mir liegende Pressemitteilung ab. »Außerdem bietet das Konto denen, die mehr als £ 5000 einlegen, einen stufenweise gekoppelten Zinssatz.«

Nach dem Punkt trinke ich einen Schluck Kaffee und befasse mich mit der zweiten Seite der Pressemitteilung.

Das ist übrigens mein Job. Ich bin Journalistin bei einer Finanzzeitschrift. Ich werde dafür bezahlt, dass ich anderen Leuten sage, wie sie mit ihrem Geld umgehen sollen.

Natürlich ist das nicht der Job, von dem ich immer geträumt habe. Niemand, der über private Vermögensanlage schreibt, tut das aus freien Stücken. Die Leute sagen dann immer, sie sind da »so reingerutscht«. Alles Lüge. Was sie eigentlich damit sagen wollen, ist, dass sie für interessantere Themen einfach niemand haben wollte. Dass sie sich bei der Times und beim Express und bei Marie Claire und Vogue und GQ beworben und immer nur ein »Nein danke« zur Antwort bekommen haben.

Also haben sie angefangen, sich bei Metalwork Monthly, Cheesemakers Gazette und What Investment Plan? zu bewerben. Und da haben sie dann eine Stelle als besserer Volontär bekommen, bei der sie so gut wie nichts verdienten – und waren dankbar dafür. Und von da an haben sie eben immer weiter über Metall, Käse oder Sparpläne geschrieben, weil das das Einzige ist, von dem sie überhaupt etwas verstehen. Ich für meinen Teil habe bei einer Zeitschrift mit dem eingängigen Titel Personal Investment Periodical angefangen. Ich habe gelernt, wie man an eine Pressemitteilung herankommt, wie man bei Pressekonferenzen nickt und Fragen stellt, die den Eindruck vermitteln, dass man genau weiß, wovon man redet. Nach eineinhalb Jahren – ob Sie’s mir glauben oder nicht – wurde ich durch einen Headhunter für Successful Saving abgeworben.

Natürlich habe ich immer noch keine Ahnung von Finanzen. Die Leute an der Bushaltestelle wissen besser über Finanzen Bescheid als ich. Selbst Schulkinder wissen mehr als ich. Ich mache diesen Job jetzt schon seit drei Jahren, und ich warte immer noch darauf, dass mich jemand ertappt.

An jenem Nachmittag höre ich, wie Philip, der Chefredakteur, mich ruft, und fahre vor Schreck zusammen.

»Rebecca?«, sagt er. »Auf ein Wort.« Und damit winkt er mich zu seinem Schreibtisch herüber. Auf einmal senkt er die Stimme und klingt fast schon verschwörerisch, und sein Lächeln deutet darauf hin, dass er gute Neuigkeiten für mich hat.

Oh, Gott, denke ich. Ich werde befördert. Ganz bestimmt. Er weiß, wie ungerecht es ist, dass ich weniger verdiene als Clare, und darum wird er jetzt für Gerechtigkeit sorgen. Vielleicht will er mir sogar mehr zahlen als ihr. Und das möchte er mir möglichst diskret mitteilen, damit Clare nicht neidisch wird.

Ein breites Lächeln überzieht mein Gesicht, als ich aufstehe und die drei Meter zu seinem Schreibtisch hinübergehe. Ich bemühe mich, ruhig zu bleiben, plane aber insgeheim schon, was ich mir von dem Geldsegen alles kaufen werde. Den Swinger bei Whistles. Und ein Paar hochhackige schwarze Stiefel von Pied à Terre. Vielleicht fahre ich in Urlaub. Und ich werde endlich die bescheuerte VISA-Rechnung bezahlen. Ich lebe auf vor Erleichterung. Ich wusste doch, dass sich alles einrenken würde …

»Rebecca?« Er schiebt mir eine Karte zu. »Ich schaffe es nicht zu dieser Pressekonferenz«, sagt er. »Könnte aber ganz interessant werden. Gehen Sie hin? Ist bei Brandon Communications.«

Ich merke, wie meine freudig erregten Gesichtszüge entgleisen. Keine Beförderung. Keine Gehaltserhöhung. Verrat! Warum hat er mich denn dann so angelächelt??? Er muss doch gewusst haben, dass er mir damit Hoffnungen gemacht hat! So ein Mistkerl.

»Stimmt was nicht?«, erkundigt Philip sich.

»Nein«, brumme ich. Aber ich kriege einfach kein Lächeln mehr hin. Vor meinem inneren Auge lösen sich der neue Swinger und die hochhackigen Stiefel in Luft auf. Keine Beförderung. Nur eine Pressekonferenz über … Ich werfe einen Blick auf die Karte. Über einen neuen Investmentfonds. Wie konnte man das nur als interessant bezeichnen?

»Sie können dann einen positiven Bericht darüber schreiben«, sagt Philip.

»Okay«, sage ich schulterzuckend und ziehe mich zurück.

ZWEI

Auf dem Weg zur Pressekonferenz muss ich nur eine lebensnotwendige Besorgung machen: nämlich die Financial Times kaufen. Die FT ist mit Abstand das beste Accessoire für Frauen wie mich. Die drei wichtigsten Vorteile lauten:

1. Hübsche Farbe.

2. Kostet nur 85 Pence.

3. Wenn man mit einer FT unter dem Arm einen Raum betritt, nehmen die Leute einen ernst. Wenn man eine FT unter dem Arm hat, kann man über die dämlichsten Themen reden, ohne dass die Leute einen für beschränkt halten. Sie glauben dann vielmehr, man sei unglaublich intellektuell und vielseitig interessiert.

Zu meinem Vorstellungsgespräch bei Successful Saving nahm ich gut sichtbar je ein Exemplar der Financial Times und des Investor’s Chronicle mit. Man hat mir keine einzige Finanzfrage gestellt. Wenn ich mich recht entsinne, haben wir die ganze Zeit nur über Ferienhäuser geredet und über andere Redakteure gelästert.

Ich mache also an einem Zeitungskiosk Halt, kaufe mir eine FT, klemme sie mir professionell unter den Arm und bewundere mein Spiegelbild im Schaufenster von Denny and George.

Ich sehe nicht schlecht aus, denke ich. Ich habe meinen schwarzen Rock von French Connection an, ein schlichtes weißes T-Shirt von Knickerbox und eine kurze Angorastrickjacke von Marks & Spencer, von der man aber glatt glauben könnte, sie sei von Agnès B. Und meine neuen Schuhe mit den eckigen Vorderkappen von Hobbs. Und was noch viel besser ist – auch, wenn das niemand sehen kann: darunter trage ich meine heiß geliebte neue BH-Garnitur mit den aufgestickten gelben Rosenknospen. Die ist eigentlich das Beste an meinem ganzen Outfit. Ich wünschte fast, ich würde überfahren, damit alle Welt sie sehen kann.

Das ist so eine Angewohnheit von mir, jedes einzelne Kleidungsstück, das ich am Leib trage, ganz genau benennen zu können, wie in einer Modezeitschrift. Das mache ich nun schon seit Jahren – nämlich seit ich regelmäßige Just Seventeen-Leserin war. In jeder Ausgabe wurde ein Mädchen vorgestellt, dass auf der Straße angehalten worden war, mit Foto und einer detaillierten Auflistung ihrer Klamotten. »T-Shirt: Chelsea Girl. Jeans: Top Shop. Schuhe: von einer Freundin geliehen.« Ich habe diese Auflistungen leidenschaftlich gern gelesen – und noch heute trenne ich aus den Kleidungsstücken, die ich in etwas uncoolen Läden gekauft habe, grundsätzlich das Etikett heraus. Auf diese Weise kann ich – sollte ich einmal auf der Straße angehalten werden – so tun, als wüsste ich nicht, wo ich das Teil herhabe.

Wie dem auch sei. Da stehe ich nun also und betrachte mich im Schaufenster, finde, dass ich eigentlich ganz gut aussehe und wünsche mir förmlich, dass jemand von Just Seventeen mit einer Kamera auftaucht – als meine Augen neu fokussieren, sich erstaunt weiten, und mir fast das Herz stehen bleibt. In Denny and Georges Schaufenster hängt ganz diskret ein Schild. Dunkelgrün mit cremefarbenen Lettern: reduziert.

Hämmernden Herzens starre ich darauf. Das kann nicht sein. Denny and George haben doch nicht reduziert. Nie. Denny und Georges Tücher und Pashminaschals sind so begehrt, dass sie sie wahrscheinlich sogar für den doppelten Preis verkaufen könnten. Jeder, den ich kenne, ist scharf auf ein Tuch von Denny and George. (Na gut, außer meiner Mum und meinem Dad. Meine Mum meint nämlich, was man nicht bei Bentalls of Kingston bekommt, braucht man auch nicht.)

Ich schlucke, gehe zwei Schritte vorwärts und drücke die Tür von diesem winzigen Laden auf. Die Türglocke macht »Ping«, und die nette blonde Frau hinter dem Tresen sieht auf. Ich weiß zwar nicht, wie sie heißt, aber ich habe sie schon immer gemocht. Ganz im Gegensatz zu all den anderen arroganten Verkäuferinnen in Klamottengeschäften hat sie nämlich überhaupt nichts dagegen, dass man stundenlang im Laden herumsteht und sich Sachen ansieht, die man sich eigentlich gar nicht leisten kann. Normalerweise halte ich mich etwa eine halbe Stunde bei Denny and George auf und lechze nach den Tüchern, dann gehe ich zu Accessorize und kaufe mir etwas, um mich aufzuheitern. Ich habe eine ganze Schublade voll von Denny-and-George-Ersatzbefriedigungen.

»Hi«, sage ich und versuche, ruhig zu bleiben. »Sie haben … Sie haben ja reduziert.«

»Ja.« Die blonde Frau lächelt. »Ziemlich ungewöhnlich für uns.«

Ich lasse meinen Blick durch den Laden schweifen. Ich sehe stapelweise ordentlich gefaltete Tücher, über denen dunkelgrüne »-50 %«-Schilder hängen. Bedruckter Samt, perlenverzierte Seide, bestickter Kaschmir – und alle ziert dezent der Denny-and-George-Schriftzug. Der ganze Laden ist voll davon. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Oh, Gott, ich glaube, ich bekomme eine Panikattacke.

»Ich glaube, Ihnen hat das hier immer besonders gut gefallen«, sagt die nette blonde Frau und zieht ein grau-blau schimmerndes Tuch aus dem Stapel vor sich.

Oh, Gott, ja. Ich erinnere mich. Seidenähnlicher Samt, in zartem Blau bedruckt und mit irisierenden Perlen bestickt. Ich starre das Tuch an und spüre, wie ich an unsichtbaren Fäden fast unmerklich zu ihm hingezogen werde. Ich muss es berühren. Ich muss es umlegen. Ich habe noch nie so etwas Schönes gesehen. Die Verkäuferin wirft einen Blick auf das Preisschild. »Von £340 auf £120 reduziert.« Sie kommt auf mich zu und drapiert das Tuch um meinen Hals. Ich starre auf mein Spiegelbild.

Gar keine Frage. Ich muss dieses Tuch haben. Ich muss es haben. Mit diesem Tuch wirken meine Augen größer, meine Frisur teurer – ich sehe aus wie ein neuer Mensch. Und es passt einfach zu allem. Man wird mich »Die Frau mit dem Denny-and-George-Tuch« nennen.

»An Ihrer Stelle würde ich nicht lange überlegen.« Die Verkäuferin lächelt mich an. »Das ist das Letzte.«

Unwillkürlich kralle ich mich an ihm fest.

»Ich nehme es«, keuche ich. »Ich nehme es.«

Während sie das Tuch auf Seidenpapier ausbreitet, hole ich mein Portemonnaie heraus, klappe es auf und greife automatisch nach meiner VISA-Karte – aber ich fasse ins Leere. Überrascht und verwirrt durchwühle ich sämtliche Fächer in meinem Portemonnaie und überlege, ob ich die Karte vielleicht zusammen mit einem Kassenbon irgendwo hingesteckt hatte oder ob sie sich hinter einer Visitenkarte versteckt … Und dann fällt es mir siedend heiß ein. Sie liegt auf meinem Schreibtisch. Mir wird schlecht.

Wie konnte ich nur so blöd sein? Wie konnte ich nur meine VISA-Karte auf meinem Schreibtisch liegen lassen? Wo hatte ich denn meine Gedanken?

Die nette blonde Frau legt das eingewickelte Tuch in eine dunkelgrüne Denny-and-George-Schachtel. Mein Herz rast wie wild. Was soll ich bloß tun?

»Wie möchten Sie bezahlen?«, erkundigt sie sich zuvorkommend.

Ich laufe feuerrot an.

»Ich habe gerade gemerkt, dass ich meine Kreditkarte im Büro vergessen habe«, stottere ich.

»Oh«, sagt sie und hält inne.

»Können Sie es mir zurücklegen?«

Die Frau sieht mich unschlüssig an.

»Bis wann?«

»Bis morgen?«, frage ich verzweifelt. Oh, Gott. Sie verzieht das Gesicht. Versteht sie denn nicht??

»Tut mir Leid, das geht nicht«, sagt sie. »Wir dürfen reduzierte Ware nicht zurücklegen.«

»Und wenn es nur für ein paar Stunden ist?«, frage ich schnell. »Wann schließen Sie denn?«

»Um sechs.«

Um sechs! Ein kurioses Gemisch aus Erleichterung und Adrenalin durchströmt mich. Du bist gefordert, Rebecca! Ich werde zu der Pressekonferenz gehen, mich dort so früh wie möglich aus dem Staub machen und mit einem Taxi zurück ins Büro fahren. Ich werde meine VISA-Karte an mich reißen, Philip erzählen, dass ich meinen Notizblock vergessen habe, wieder hierherkommen und das Tuch kaufen.

»Können Sie es bis dahin zurücklegen?«, flehe ich. »Bitte? Bitte?« Sie lässt sich erweichen.

»Okay. Ich lege es an die Kasse.«

»Danke«, keuche ich. Ich eile aus dem Laden und die Straße hinunter zu Brandon Communications. Bitte, mach, dass die Pressekonferenz nicht zu lange dauert. Bitte, mach, dass nicht zu viele Fragen gestellt werden. Bitte, lieber Gott, bitte, mach, dass ich dieses Tuch kriege!

Als ich Brandon Communications erreiche, entspanne ich mich langsam wieder. Ich habe immerhin drei volle Stunden Zeit. Und mein Tuch liegt sicher an der Kasse hinter dem Tresen. Niemand wird es mir wegnehmen.

Im Foyer steht ein Schild mit dem Hinweis, dass die Pressekonferenz der Foreland Exotic Opportunities in der Artemis Suite stattfindet, und ein uniformierter Herr lotst uns alle in den entsprechenden Flur. Das heißt, dass es sich um eine größere Angelegenheit handeln muss. Natürlich nicht so groß, dass Fernsehkameras und CNN da wären und die gesamte Weltpresse mit angehaltenem Atem warten würde. Aber doch so groß, dass ziemlich viel Leute herbeiströmen. Ein relativ wichtiges Ereignis in unserer langweiligen kleinen Welt.

Als ich den Konferenzraum betrete, ist dieser bereits von unzähligen Menschen bevölkert, denen von umhergehenden Serviererinnen Kanapees gereicht werden. Die Journalisten kippen den Sekt weg, als wenn sie noch nie welchen getrunken hätten. Die PR-Mädels sehen alle ziemlich hochnäsig aus und nippen an Mineralwasser. Ein Kellner bietet mir ein Glas Sekt an. Ich nehme mir zwei. Das eine trinke ich jetzt, das andere stelle ich mir für später, wenn es langweilig wird, unter den Stuhl.

Am anderen Ende des Raumes erspähe ich Elly Granger von der Investor’s Weekly News. Sie wird von zwei ernsten Herren in Anzügen bedrängt, denen sie mit glasigem Blick hin und wieder zunickt. Elly ist klasse. Sie ist erst seit einem halben Jahr bei Investor’s Weekly und hat sich schon auf dreiundvierzig andere Stellen beworben. Sie wäre ja am allerliebsten Beauty-Redakteurin bei einer Frauenzeitschrift. Manchmal, wenn wir betrunken sind, schließen wir einen Pakt: Dass wir, wenn wir in drei Monaten nicht einen aufregenderen Job haben, beide kündigen. Aber der Gedanke daran, kein Geld zu haben – und sei es nur für einen Monat –, ist fast noch abschreckender als der Gedanke daran, den Rest des Lebens über Rentenpläne zu schreiben.

»Rebecca. Wie schön, dass Sie kommen konnten.«

Ich sehe auf und verschlucke mich um ein Haar an meinem Sekt. Luke Brandon, der Obermimer von Brandon Communications, steht vor mir und sieht mich so durchdringend an, als wüsste er ganz genau, was ich gerade denke.

Ich bin ihm erst ein paar Mal begegnet, und jedes Mal fühle ich mich irgendwie unwohl in seiner Gegenwart. Erstens hat er einen furchtbaren Ruf. Alle Welt redet ständig davon, was er für ein Genie ist, sogar Philip, mein Boss. Er hat Brandon Communications aus dem Nichts aufgebaut und zum heute größten PR-Unternehmen in der Londoner Finanzwelt gemacht. Vor ein paar Monaten hat eine Zeitung ihn zu einem der cleversten Unternehmer seiner (und damit meiner) Generation gekürt. Es hieß, er habe einen überdurchschnittlich hohen IQ und ein fotografisches Gedächtnis. (Leute mit fotografischem Gedächtnis habe ich noch nie leiden können.)

Aber das ist noch nicht alles. Ich finde, er macht immer so ein finsteres Gesicht, wenn er mit mir redet. Als wüsste er ganz genau, was ich für eine Hochstaplerin bin. Da fällt mir ein: Wahrscheinlich weiß er das tatsächlich. Bestimmt kommt eines Tages heraus, dass der berühmte Luke Brandon nicht nur ein unschlagbares Genie ist, sondern auch Gedanken lesen kann. Er weiß, dass ich, wenn ich zu irgendeinem langweiligen Diagramm aufblicke, in Wirklichkeit an ein traumhaftes schwarzes Oberteil denke, das ich bei Joseph gesehen habe, und mir überlege, ob ich mir die dazu passende Hose wohl auch leisten kann.

»Sie kennen Alicia, oder?«, sagt Luke Brandon und deutet auf das makellose blonde Mädchen neben ihm.

Ich kenne sie nicht. Aber das macht auch nichts weiter. Die Mädchen bei Brandon C, wie sie die Firma nennen, sind nämlich ohnehin alle gleich. Sie sind adrett gekleidet, redegewandt, mit Bankern verheiratet und absolut humorlos.

»Rebecca«, sagt Alicia kühl und reicht mir die Hand. »Von Successful Saving, richtig?«

»Richtig«, sage ich ebenso kühl.

»Wie schön, dass Sie kommen konnten«, sagt Alicia. »Ich weiß ja, wie viel die Journalisten immer zu tun haben.«

»Kein Problem«, sage ich. »Wir möchten ja im Grunde an so vielen Pressekonferenzen wie nur möglich teilnehmen. Damit wir wissen, was in der Industrie los ist.« Ich bin ganz stolz auf meine Antwort. Ich nehme mir den Quatsch ja fast selbst ab.

Alicia nickt ernst, als wäre ihr jedes Wort, das ich sage, unglaublich wichtig.

»Sagen Sie, Rebecca, was halten Sie eigentlich von der heutigen Neuigkeit?« Sie deutet auf die FTunter meinem Arm. »Das war ja eine ganz schöne Überraschung, finden Sie nicht?«

Oh, Gott. Wovon redet sie?

»Eine interessante Entwicklung«, sage ich noch immer lächelnd, um Zeit zu gewinnen. Ich sehe mich auf der Suche nach irgendeinem Hinweis im Konferenzraum um – vergeblich. Worum geht es? Sind die Zinsen erhöht worden, oder was?

»Also, ich muss schon sagen, ich fürchte, dass das für die Wirtschaft nicht gut sein wird«, fährt Alicia ernst fort. »Aber Sie haben dazu sicher Ihre eigenen Ansichten.«

Sie sieht mich an und wartet auf eine Antwort. Ich spüre, wie meine Wangen rot werden. Wie komme ich da jetzt bloß raus? In diesem Moment schwöre ich mir, dass ich von morgen an jeden Tag die Zeitung lesen werde. Ich will nie wieder so kalt erwischt werden.

»Ich bin da ganz Ihrer Meinung«, sage ich schließlich. »Ich fürchte auch, dass das für die Wirtschaft gar nicht gut sein wird«, würge ich hervor. Ich nippe schnell an meinem Sekt und bete für ein Erdbeben.

»Haben Sie denn damit gerechnet?«, fragt Alicia. »Ich weiß ja, dass die Journalisten uns anderen immer um eine Nasenlänge voraus sind.«

»Ich … Ja, doch, ich habe es kommen sehen«, sage ich, und ich glaube, ich klinge ziemlich überzeugend.

»Und jetzt auch noch dieses Gerücht darüber, dass Scottish Prime und Flagstaff Life an einem Strang ziehen wollen!« Durchdringend sieht sie mich an. »Glauben Sie, da ist was dran?«

»Das ist … Das ist schwer zu sagen«, entgegne ich und trinke einen ordentlichen Schluck Sekt. Was für ein Gerücht? Oh, Gott, kann sie mich denn nicht einfach in Ruhe lassen?

Dann sehe ich dummerweise zu Luke Brandon auf. Er starrt mich mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck an. Mist. Er weiß, dass ich keine Ahnung habe, oder?

»Alicia«, sagt er unvermittelt. »Maggie Stevens ist gerade hereingekommen. Würden Sie bitte …«

»Aber selbstverständlich«, sagt sie und macht sich wie ein dressiertes Hündchen auf den Weg zur Tür.

»Ach, Alicia?«, ruft Luke ihr noch hinterher, und sie kehrt prompt um. »Ich möchte wissen, wer genau in den Zahlen herumgepfuscht hat.«

»Ja«, schluckt Alicia und trollt sich.

Mann, ist der Furcht einflößend. Und jetzt bin ich ganz allein mit ihm. Ich mache mich lieber schnell davon.

»Ja, dann«, sage ich fröhlich. »Ich muss weiter und –«

Aber Luke Brandon beugt sich zu mir.

»SBG hat heute Morgen bekannt gegeben, dass sie die Rutland Bank übernommen haben«, sagt er leise.

Natürlich, jetzt, wo er es sagt, fällt es mir wieder ein! Das habe ich doch heute Morgen in den Nachrichten gehört.

»Ich weiß«, entgegne ich hochmütig. »Das habe ich in der FTgelesen.« Und bevor er noch etwas sagen kann, lasse ich ihn stehen und flüchte mich zu Elly.

Als es Zeit ist, Platz zu nehmen, ziehen Elly und ich uns in eine der hintersten Reihen zurück und setzen uns nebeneinander. Ich schlage meinen Notizblock auf, schreibe »Brandon Communications« ganz oben auf das erste Blatt und fange an, Blümchen darunter zu malen. Elly ist damit beschäftigt, die Nummer für das Wochenhoroskop in ihr Handy einzutippen.

Ich trinke einen Schluck Sekt, lehne mich zurück und entspanne mich. Bei Pressekonferenzen braucht man grundsätzlich nicht zuzuhören. Die wichtigsten Informationen sind ohnehin in der Pressemappe, und worüber bei der Konferenz geredet wurde, kann man sich hinterher zusammenreimen. Ich überlege mir sogar gerade ernsthaft, ob es irgendjemandem auffallen würde, wenn ich ein Fläschchen Nagellack herausholen und mir die Nägel lackieren würde, als die blöde Alicia sich von hinten zu mir herunterbeugt.

»Rebecca?«

»Ja?«, sage ich faul.

»Ein Anruf für Sie. Ihr Chefredakteur.«

»Philip?«, frage ich blöderweise nach. Als hätte ich eine ganze Reihe von Chefredakteuren.

»Ja.« Sie sieht mich an, als hätte ich sie nicht alle, und deutet auf ein Telefon am hinteren Ende des Raumes. Elly sieht mich fragend an, ich antworte mit einem Achselzucken. Philip hat mich noch nie bei einer Pressekonferenz angerufen.

Ich bin ziemlich aufgeregt und komme mir extrem wichtig vor, als ich auf das Telefon zusteuere. Vielleicht hat sich im Büro ein Notfall ereignet. Vielleicht hat er eine unglaubliche Geschichte aufgetan und will, dass ich nach New York fliege, um die Spur weiter zu verfolgen.

»Hallo, Philip?«, sage ich in die Muschel – um mir sofort im Anschluss daran zu wünschen, etwas Energischeres, Beeindruckendes gesagt zu haben, wie zum Beispiel ein schlichtes »Jep.«

»Hören Sie, Rebecca, es tut mir Leid, dass ich Sie belästige«, sagt Philip, »aber bei mir kündigt sich eine Migräne an. Ich gehe nach Hause.«

»Oh«, sage ich etwas verwirrt.

»Ich dachte, Sie könnten vielleicht einen kleinen Botengang für mich erledigen.«

Einen Botengang? Was glaubt er denn, wer ich bin? Wenn er will, dass ihm jemand Kopfschmerztabletten besorgt, soll er eine Sekretärin einstellen.

»Ich weiß nicht recht«, versuche ich, mich herauszureden. »Ich kann hier schlecht weg.«

»Wenn Sie da fertig sind. Das Social Security Select Committee legt um fünf Uhr seinen Bericht vor. Könnten Sie wohl dort vorbeigehen und ihn abholen? Sie können von der Pressekonferenz direkt nach Westminster fahren.«

Was? Entsetzt starre ich auf das Telefon. Nein, ich kann den bescheuerten Bericht nicht holen! Ich muss meine VISA holen! Ich muss mein Tuch kaufen.

»Kann Clare das nicht machen?«, frage ich. »Ich wollte eigentlich ins Büro zurückkommen und meinen Artikel über …« – Worüber sollte ich diesen Monat schreiben? – »… über Hypotheken fertig schreiben.«

»Clare ist bei einem Briefing in der City. Und Westminster liegt doch auf Ihrem Heimweg nach Trendy Fulham, oder?«

Philip macht ständig Witze darüber, dass ich in Fulham wohne. Nur, weil er im spießigen Harpenden wohnt.

»Sie können doch einfach eben aus der Bahn springen, den Bericht holen und wieder weiterfahren«, hat er sich gedacht.

Oh, Gott. Mir fällt aber auch gar nichts ein, wie ich mich herausreden könnte. Ich schließe die Augen und denke blitzschnell nach. Eine Stunde hier. Dann im Eiltempo ins Büro, die VISA-Karte holen, zu Denny and George, Tuch holen, nach Westminster düsen, den Bericht holen. Ich könnte es gerade so schaffen.

»Gut«, sage ich. »Überlassen Sie das mir.«

Ich setze mich in dem Moment wieder hin, in dem die Lichter ausgehen und die Worte »Chancen und Möglichkeiten in Fernost« auf der Leinwand vor uns erscheinen. Eine ganze Serie von Bildern von Hongkong, Thailand und anderen exotischen Orten erscheint. Normalerweise hätte mich das zu sehnsuchtsvollen Gedanken an meinen nächsten Urlaub animiert. Aber heute kann ich mich nicht entspannen, ich kann nicht mal über die Neue von Portfolio Week lachen, die sich wie eine Wilde Notizen macht und später wahrscheinlich mindestens fünf Fragen stellen wird, weil sie glaubt, dass sie damit Eindruck macht. Ich mache mir viel zu viele Sorgen um meinen Schal. Was, wenn ich es nicht rechtzeitig zum Laden schaffe? Was, wenn jemand mehr dafür bietet? Der bloße Gedanke lässt Panik in mir aufsteigen. Ist es möglich, den Kaufpreis für ein Denny-and-George-Tuch in der Zeit zwischen der unverbindlichen Einigung über den Preis und dem Abschluss des Kaufvertrages zu erhöhen?

Und dann, gerade, als die letzten Thailandbilder verblassen und die ersten langweiligen Diagramme aufleuchten, habe ich einen genialen Einfall. Natürlich! Ich bezahle das Tuch in bar. Ein bisschen Bargeld in Ehren kann niemand verwehren! Ich kann hundert Pfund aus dem Geldautomaten ziehen, fehlen mir also nur noch zwanzig, und das Tuch gehört mir.

Ich reiße ein Stück Papier aus meinem Notizbuch, schreibe »Kannst du mir £ 20 leihen?« darauf und reiche es Elly, die immer noch verstohlen ihr Handy am Ohr hat. Ich frage mich, was sie sich jetzt wohl anhört. Kann doch wohl nicht mehr das Horoskop sein, oder? Sie liest den Zettel, schüttelt den Kopf und schreibt zurück: »Leider nicht. Die Scheißmaschine hat meine Karte geschluckt. Ernähre mich zurzeit von Essensmarken.«

Mist. Ich zögere kurz, dann schreibe ich: »Und Kreditkarte? Kriegst es auch wieder, versprochen. Was hörst du da eigentlich?«

Ich reiche ihr den Zettel, als das Licht wieder angeht. Die Präsentation ist vorbei, ohne dass ich ein Wort davon mitbekommen hätte. Die Leute rutschen auf ihren Stühlen herum, und eine PR-Trulla fängt an, Hochglanzbroschüren zu verteilen. Elly legt auf und grinst mich an.

»Liebeshoroskop«, sagt sie und tippt schon die nächste Nummer ein. »Wahnsinnig zuverlässig.«

»Ach, das ist doch alles Blödsinn.« Missbilligend schüttele ich den Kopf. »Ich fasse es nicht, dass du dir so einen Quatsch reinziehst. Und du willst Finanzjournalistin sein?«

»Nein«, sagt Elly. »Du?« Wir fangen an zu kichern, bis irgendeine alte Schachtel von einer überregionalen Zeitung sich zu uns umdreht und uns wütend anfunkelt.

»Meine Damen und Herren.« Eine durchdringende Stimme unterbricht uns und lässt mich aufblicken. Es ist Alicia, die sich ganz vorne aufgebaut hat. Sie hat richtig schöne Beine, stelle ich gallig fest. »Wie Sie sehen, bietet der Foreland ›Exotic Opportunities‹ Investmentfonds einen völlig neuen Zugang zum Kapitalanlagegeschäft.« Sie lässt den Blick durch den Raum schweifen, begegnet dem meinen und lächelt kalt.

»Exotic Opportunities«, flüstere ich Elly gehässig zu und zeige auf das Faltblatt. »Das Einzige, was daran exotisch ist, sind die Preise. Hast du gesehen, was die an Gebühren nehmen?«

(Ich gucke mir immer zuerst die Gebühren an. Genauso, wie ich immer als Erstes aufs Preisschild schaue.)

Elly verdreht zustimmend die Augen und konzentriert sich weiter auf ihr Handy.

»Foreland Investmentpläne machen mehr aus Ihrem Geld«, verkündet Alicias blasiertes Stimmchen. »Foreland Investmentpläne bieten mehr.«

»Mehr Gebühren und mehr Verluste«, sage ich ohne nachzudenken laut vor mich hin und löse damit allgemeines Gelächter aus. Gott, wie peinlich. Jetzt starrt Luke Brandon mich auch noch an. Ich senke blitzschnell den Blick und tue so, als würde ich mir etwas notieren.

Obwohl, um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht, warum ich überhaupt so tue, als würde ich mir etwas notieren. Das Gesülze aus den Pressemitteilungen ist sowieso das Einzige, was wir hinterher abdrucken. Foreland Investments schalten jeden Monat eine ziemlich aufwendige, doppelseitige Anzeige bei uns, und außerdem haben sie Philip letztes Jahr eine ganz tolle Reise zu Recherchezwecken (haha) nach Thailand spendiert – wir dürfen uns also gar nicht anders als ausgesprochen positiv über sie äußern.

Alicia fährt fort, und ich beuge mich zu Elly.

»Also, was ist?«, flüstere ich. »Kann ich deine Kreditkarte ausleihen?«

»Gesperrt«, flüstert Elly entschuldigend zurück. »Habe mein Limit voll ausgeschöpft. Was meinst du, warum ich auf Essensmarken angewiesen bin?«

»Aber ich brauche Geld!«, flüstere ich. »Unbedingt! Ich brauche zwanzig Pfund!«

Das geriet wohl etwas lauter, da Alicia nämlich ihren Vortrag unterbricht.

»Vielleicht hätten Sie Ihr Geld Foreland Investments anvertrauen sollen, Rebecca«, sagt Alicia und erheitert damit das Publikum. Einige Köpfe drehen sich nach mir um, und ich funkele sie böse an. Schließlich sind das doch Kollegen! Die sollten auf meiner Seite sein! Wo bleibt denn da die brüderliche/schwesterliche Solidarität unter Journalisten?

»Wofür brauchen Sie denn zwanzig Pfund?«, fragt Luke Brandon von ganz vorne.

»Ich … meine Tante«, lüge ich. »Sie liegt im Krankenhaus, und ich wollte ihr ein Geschenk kaufen.«

Schweigen. Dann – ich kann es kaum glauben – greift Luke Brandon in seine Tasche, holt einen Zwanzig-Pfund-Schein heraus und reicht ihn einem der Journalisten in der ersten Reihe. Dieser zögert und gibt den Schein dann weiter an die Reihe hinter sich. Und so wandert ein Zwanzig-Pfund-Schein von Hand zu Hand und nähert sich mir wie ein Fan, der bei einem Konzert über die Menge hinweg zur Bühne transportiert wird. Als ich den Schein in die Hand nehme, klatschen die Leute Beifall, und ich laufe rot an.

»Danke«, sage ich peinlich berührt. »Sie kriegen es selbstverständlich wieder.«

»Und gute Besserung für Ihre Tante«, sagt Luke Brandon.

»Danke«, sage ich noch einmal. Dann sehe ich zu Alicia und empfinde einen gewissen Triumph. Sie sieht ganz klein und grau aus.

Gegen Ende der Veranstaltung, während der Frage-und-Antwort-Session, verlassen die Zuhörer einer nach dem anderen den Raum, um in ihre Büros zurückzukehren. Dies ist normalerweise der Zeitpunkt, an dem auch ich den Saal verlasse, mir irgendwo einen Cappuccino hole und ein bisschen durch die Geschäfte stöbere. Nicht so heute. Heute werde ich bis zur allerletzten lästigen Frage über Steuerstrukturen ausharren. Dann werde ich nach vorne gehen und Luke Brandon noch einmal persönlich für seine freundliche, wenn auch beschämende Geste danken. Und dann verschwinde ich und hole mein Tuch. Jippiiiie!

Doch zu meiner Überraschung erhebt sich Luke Brandon bereits nach wenigen Fragen von seinem Stuhl, flüstert Alicia etwas zu und geht in Richtung Ausgang.

»Danke«, raune ich ihm zu, als er an mir vorbeikommt, aber ich bin mir nicht sicher, ob er mich überhaupt gehört hat.

Auch egal. Ich habe die zwanzig Pfund, das ist alles, was zählt.

Auf dem Rückweg bleibt die Bahn ohne ersichtlichen Grund mitten in einem Tunnel stehen. Fünf Minuten vergehen, zehn. Ich kann mein Pech nicht fassen. Normalerweise sehne ich einen solchen Zwischenfall selbstverständlich herbei, nur, um eine Entschuldigung dafür zu haben, dass ich zu spät ins Büro komme. Aber heute führe ich mich auf wie ein gestresster Geschäftsmann mit einem Magengeschwür. Ich trommele mit den Fingern, seufze und blicke durch das Fenster hinaus ins Schwarze.

Ein Teil meines Gehirns weiß, dass ich Zeit genug habe und dass ich vor Ladenschluss bei Denny and George sein kann. Und ein anderer Teil weiß, dass, selbst wenn ich es nicht rechtzeitig schaffen sollte, die blonde Frau mein Tuch kaum an jemand anderen verkaufen wird. Die Möglichkeit besteht aber trotzdem. Das heißt, solange ich dieses Tuch nicht in meinen Händen halte, werde ich mich nicht entspannen können.

Als der Zug sich endlich wieder in Bewegung setzt, sinke ich mit einem dramatischen Seufzer in meinen Sitz zurück und sehe den blassen, stillen Mann zu meiner Linken an.

»Gott sei Dank!«, sage ich. »Ich bin ja schon fast verzweifelt.«

»Ja, ganz schön frustrierend«, pflichtet er mir leise bei.

»Nachdenken tun die ja wohl gar nicht, oder?«, sage ich. »Ich meine, es gibt schließlich Leute, die wirklich wichtige Dinge zu tun haben. Ich bin ganz schrecklich in Eile!«

»Ich bin auch ein bisschen in Eile«, sagt der Mann.

»Wenn der Zug sich jetzt nicht langsam bewegt hätte – ich weiß nicht, was ich getan hätte.« Ich schüttele den Kopf. »Man fühlt sich so … so ohnmächtig!«

»Ich weiß genau, was Sie meinen«, erwidert der Mann sehr ernst. »Die machen sich überhaupt nicht klar, dass manche von uns …« Er deutet auf mich. »…Also, dass manche von uns nicht nur aus Spaß hin- und herfahren. Dass es wirklich wichtig ist, ob wir rechtzeitig ankommen oder nicht.«

»Wie recht Sie haben!«, sage ich. »Wo müssen Sie hin?«

»Meine Frau liegt in den Wehen«, antwortet er. »Unser viertes.«

»Oh«, sage ich überrascht. »Also … Wow. Herzlichen Glückwunsch. Na, hoffentlich kommen Sie –«

»Letztes Mal hat es eineinhalb Stunden gedauert«, berichtet der Mann und wischt sich den Schweiß von der Stirn. »Und jetzt sitze ich schon vierzig Minuten in diesem Zug fest. Aber gut. Jetzt geht’s ja weiter.«

Er zuckt kaum merklich mit den Schultern und lächelt mich dann an.

»Und Sie? Was haben Sie Wichtiges zu erledigen?«

Oh, Gott.

»Ich … äh … Ich wollte …«

Ich verstumme und räuspere mich, während ich merke, dass ich rot anlaufe. Ich kann diesem Mann unmöglich erzählen, dass meine unglaublich wichtige Mission darin besteht, bei Denny and George ein Tuch abzuholen.

Ich meine, ein Tuch. Wenn es wenigstens ein Kostüm wäre oder ein Mantel oder irgendetwas anderes Gewichtigeres.

»So wichtig ist es gar nicht«, höre ich mich murmeln.

»Doch bestimmt«, widerspricht er freundlich.

O nein, jetzt fühle ich mich noch schlechter. Ich sehe auf – Gott sei Dank, ich muss aussteigen!

»Viel Glück«, sage ich und springe auf. »Ich drücke Ihnen die Daumen, dass Sie rechtzeitig da sind!«

Verschämt marschiere ich von der Haltestelle in Richtung Denny and George. Vielleicht hätte ich die hundertzwanzig Pfund dem Mann geben sollen, für sein Baby, anstatt einen sinnlosen Schal zu kaufen. Mal im Ernst, was ist wichtiger? Klamotten – oder das Wunder neu geborenen Lebens?

Ich denke über diese Frage nach und komme mir wahnsinnig tiefsinnig und philosophisch vor. Ich bin so beeindruckt von mir selbst, dass ich beinahe vergesse abzubiegen. Aber ich sehe gerade noch rechtzeitig auf, gehe um die Ecke – und erstarre fast vor Schreck. Ein Mädchen kommt auf mich zu. Mit einer Denny-and-George-Tüte in der Hand! Von einer Sekunde zur anderen bin ich wieder glockenwach.

Oh, Gott.

Wenn sie nun mein Tuch gekauft hat?

Wenn sie nun explizit nach diesem Tuch gefragt und die Verkäuferin es ihr verkauft hat, weil sie dachte, ich würde nicht wiederkommen?

Mein Herz fängt panisch an zu klopfen. Ich beschleunige meinen Schritt. Als ich die Ladentür erreiche und öffne, kriege ich kaum noch Luft vor Angst. Wenn es nun weg ist? Was soll ich dann bloß tun?

Doch die blonde Verkäuferin lächelt, als ich hereinkomme.

»Hi!«, begrüßt sie mich. »Es liegt noch hier.«

»Ach, danke«, sage ich erleichtert und stütze mich deutlich geschwächt am Tresen ab.

Mir ist, als hätte ich gerade einen Marathonlauf absolviert. Ich finde ja, dass Einkaufen auf die lange Liste der Herz-Kreislauf-fördernden Maßnahmen gehört. Mein Herz schlägt mit Abstand am schnellsten, wenn ich ein »50 % reduziert«-Schild sehe.

Ich blättere die Zehn- und Zwanzig-Pfund-Scheine auf den Tresen, dann beobachte ich mit einem leisen Schaudern, wie sie sich bückt und mit der grünen Schachtel in der Hand wieder aufrichtet. Sie schiebt die Schachtel in eine dicke, edle Tragetasche mit dunkelgrünen Kordelgriffen und reicht sie mir. Ich würde am liebsten die Augen schließen vor Glück.

Dieser Augenblick. Dieser Moment, in dem die Finger die Griffe einer glänzenden, knitterfreien Einkaufstüte umschließen und all die wunderbaren Dinge, die sich darin befinden, mir gehören. Wie lässt er sich beschreiben? Das ist wie … mehrere Tage gehungert haben und sich dann den Mund mit gebuttertem Toast voll stopfen. Wie aufwachen und sich darüber klar werden, dass Wochenende ist. Wie guter Sex. Nichts anderes hat mehr Platz im Kopf. Es ist das pure, selbstsüchtige Vergnügen.

Ganz langsam schlendere ich – noch immer benebelt vor Freude – aus dem Laden. Ich habe ein Tuch von Denny and George. Ich habe ein Tuch von Denny and George! Ich habe –

»Rebecca!« Eine Männerstimme unterbricht mich in meinen Gedanken. Ich sehe auf, und mein Magen krampft sich vor Entsetzen zusammen. Luke Brandon.

Luke Brandon steht direkt vor mir auf der Straße und betrachtet interessiert meine Denny-and-George-Tüte. Ich werde nervös. Was macht er denn hier zu Fuß auf dem Bürgersteig? Haben Leute wie er denn keinen Chauffeur? Muss er nicht bei irgendeinem unglaublich wichtigen Empfang sein?

»Hat alles geklappt?«, fragt er mit leicht gerunzelter Stirn.

»Was?«

»Das mit dem Geschenk für Ihre Tante.«

»Ach, ja«, sage ich und schlucke. »Ja, das … das hat geklappt.«

»Ist es das?« Er deutet auf die Tüte, und ich kann spüren, dass meine Wangen feuerrot glühen.

»Ja«, sage ich schließlich. »Ich dachte, ein … ein Tuch wäre nett.«

»Ganz schön großzügig von Ihnen. Denny and George.« Er zieht die Augenbrauen hoch. »Ihre Tante muss eine sehr modebewusste Lady sein.«

»Ist sie auch«, sage ich und räuspere mich. »Sie ist wahnsinnig kreativ und originell.«

»Das glaube ich gern«, sagt Luke und hält inne. »Wie heißt sie denn?«

Oh, Gott. Ich hätte mich auf der Stelle aus dem Staub machen sollen. Jetzt bin ich wie gelähmt. Mir fällt kein einziger Frauenname ein.

»Ähm … Ährmintrude«, höre ich mich sagen.

»Tante Ermintrude«, sagt Luke nachdenklich. »Na ja, wünschen Sie ihr gute Besserung von mir.«

Er nickt mir zu und geht davon, und ich sehe ihm erstarrt nach und überlege fieberhaft, ob er mich durchschaut hat oder nicht.

DREI

Kaum bin ich zur Wohnungstür herein, sieht Suze zu mir auf – und das Erste, das sie sagt, ist: »Denny and George! Becky, das ist nicht dein Ernst!«

»Doch«, sage ich und grinse von einem Ohr zum anderen. »Ich habe mir ein Tuch gekauft.«

»Zeigen!«, ruft Suze und pellt sich aus dem Sofa. »Zei-gen, zei-gen, zei-gen!« Sie kommt auf mich zu und zupft an den Kordelgriffen der Tragetasche. »Ich will dein neues Tuch sehen! Nun zeig schon!«

Genau darum hätte ich mir keine bessere Mitbewohnerin denken können als Suze. Julia, mit der ich früher zusammen gewohnt hatte, hätte jetzt nur die Stirn gerunzelt und gefragt: »Denny und wer?« Oder sie hätte gar gesagt: »Das ist aber eine Menge Geld für ein Tuch.« Suze dagegen versteht mich. Voll und ganz. Sie ist im Grunde noch schlimmer als ich.

Aber sie kann es sich auch leisten. Obwohl sie schon fünfundzwanzig ist – wie ich –, bekommt sie immer noch Taschengeld von ihren Eltern. Sie nennen es »Zuschuss«, und so weit ich weiß, stammt das Geld aus so einer Art Treuhandgesellschaft – aber in meinen Augen ist und bleibt es Taschengeld. Außerdem haben ihre Eltern ihr zum einundzwanzigsten Geburtstag diese Wohnung in Fulham geschenkt, und seitdem wohnt sie hier, arbeitet hier und da ein bisschen und lässt es sich ansonsten gut gehen.

Sie war eine (sehr kurze) Weile im PR-Geschäft, und just zu der Zeit habe ich sie kennengelernt, auf einer Pressereise nach Guernsey. Sie hat übrigens für Brandon Communications gearbeitet. Ich will nicht unhöflich sein – und sie hat es ja auch selbst zugegeben – aber: Sie war die schlimmste PR-Frau, der ich je begegnet bin. Sie hatte völlig vergessen, welche Bank sie da eigentlich promoten sollte und fing an, in den höchsten Tönen von einem der Konkurrenzunternehmen zu schwärmen. Der Typ von der Bank hat immer finsterer geguckt, während die Journalisten sich alle fast in die Hose gemacht haben vor Lachen. Suze hat ganz schönen Ärger bekommen deswegen. Das war dann auch der Zeitpunkt, zu dem sie beschloss, dass PR doch nicht der richtige Beruf für sie war. (Man könnte natürlich auch sagen, dass Luke Brandon sie gefeuert hat, sobald sie wieder in London waren. Was ein weiterer Grund wäre, ihn nicht zu mögen.)

Wie dem auch sei, Suze und ich haben bis spät in die Nacht Wein getrunken, einen Riesenspaß zusammen gehabt und uns seitdem nicht mehr aus den Augen verloren. Und als Julia dann plötzlich mit ihrem Doktorvater durchgebrannt ist (stille Wasser sind ja bekanntlich tief), schlug Suze vor, dass ich bei ihr einziehen sollte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie mir zu wenig Miete abnimmt, habe aber nie darauf bestanden, den vollen Marktpreis zu zahlen, weil ich mir das nicht leisten könnte. Wie können normale Menschen sich das bloß leisten, in einer so exorbitant teuren Gegend zu wohnen? Ich kann mir das beim besten Willen nicht erklären.

»Bex, nun mach schon auf!«, bettelt Suze. »Ich will es sehen!« Sie will ganz aufgeregt mit ihren langen Fingern in die Tüte greifen, doch ich schnappe sie ihr vor der Nase weg, damit sie sie nicht kaputt reißt. Diese Tragetasche wird einen Platz an der Rückseite meiner Zimmertür finden, zwischen all den anderen prestigeträchtigen Tragetaschen, die zu einem möglichst lässigen Einsatz kommen, wenn ich Eindruck schinden muss. (Gott sei Dank haben sie nicht extra »Reduziert«-Tüten drucken lassen. Ich hasse es, wenn die Läden so etwas machen. Ich meine, was nützt einem eine elegante Tüte, wenn dick und fett »Reduziert« draufsteht? Dann kann auch genauso gut »Geizkragen« draufstehen.)

Ganz langsam und mit Bedacht ziehe ich die dunkelgrüne Schachtel aus der Tüte, nehme den Deckel ab und falte das Seidenpapier auseinander. Dann hebe ich fast schon ehrfürchtig das Tuch hoch. Es ist wunderschön. Hier finde ich es sogar noch schöner als im Laden. Ich schlinge es mir um den Hals und grinse Suze blöde an.

»Oh, Bex«, flüstert sie. »Das ist ja hinreißend!«

Einen Moment lang schweigen wir beide. Wir treten mit einem höheren Wesen in Verbindung: dem heiligen Einkaufsgeist.

Und dann verdirbt Suze alles.

»Das könntest du doch am Wochenende anziehen, wenn du dich mit James triffst«, schlägt sie vor.

»Geht nicht«, sage ich leicht säuerlich und lege das Tuch wieder in die Schachtel. »Weil ich mich nämlich nicht mit ihm treffe.«

»Wieso das denn?«

»Weil wir uns gar nicht mehr treffen.« Ich bemühe mich, unbekümmert mit den Schultern zu zucken.

»Im Ernst?« Suze macht ganz große Augen. »Warum das denn? Das hast du mir ja gar nicht erzählt!«

»Ich weiß.« Ich weiche ihrem neugierigen Blick aus. »Es ist ein bisschen … peinlich.«

»Hast du Schluss gemacht? Du warst doch noch nicht mal mit ihm im Bett!« Suze spricht vor Aufregung immer lauter. Sie will unbedingt wissen, was los ist. Aber will ich unbedingt erzählen, was los ist? Einen Moment lang ziehe ich ernsthaft in Betracht, Diskretion zu wahren. Dann denke ich mir – ach, was soll’s?

»Ich weiß«, sage ich. »Genau das war ja das Problem.«

»Was willst du denn damit sagen?« Suze kommt näher. »Bex, wovon redest du?«

Ich atme tief ein und sehe ihr direkt ins Gesicht.

»Er wollte nicht.«

»Er war nicht in dich verliebt?«

»Nein. Er …« Ich schließe die Augen. Ich kann es selbst kaum glauben. »Er ist gegen Sex vor der Ehe.«

»Das ist nicht dein Ernst.« Ich mache die Augen auf. Suze starrt mich so entsetzt an, als habe sie gerade von der schlimmsten Ruchlosigkeit der Menschheitsgeschichte erfahren. »Du willst mich doch veräppeln, Becky.« Sie will es einfach nicht glauben.

»Nein, will ich nicht.« Ich ringe mir ein gequältes Lächeln ab. »Das Ganze war … ziemlich peinlich eigentlich. Ich habe … na ja, ich habe mich so quasi auf ihn gestürzt, und er hat sich mit Händen und Füßen gewehrt.«

Mein Gedächtnis gab die so erfolgreich verdrängten Bilder von jenem unsäglichen Zwischenfall wieder frei. Ich hatte James vor einigen Wochen auf einer Party kennengelernt, und wir trafen uns zur entscheidenden dritten Verabredung. Wir waren richtig nett essen gewesen, er hatte darauf bestanden, zu bezahlen, dann waren wir zu ihm gegangen und waren knutschenderweise auf dem Sofa gelandet.

Ja, was soll ich denn da denken??? Er und ich zusammen auf dem Sofa – und selbst wenn sein Kopf vielleicht Nein sagte, der Rest seines Körpers schrie Ja! Ja! Ja! Und da ich ja eine moderne Frau des 21. Jahrhunderts bin, griff ich nach dem Reißverschluss an seiner Hose und wollte ihn aufziehen. Als James nach meiner Hand fasste und sie beiseiteschob, dachte ich, das wäre nur Spielerei, und habe noch eifriger als vorher weitergemacht.

Wenn ich jetzt so drüber nachdenke, habe ich vielleicht doch etwas länger gebraucht, um zu kapieren, dass es sich keinesfalls um Spielerei handelte. Er musste mir nämlich erst eine scheuern, um sich von mir befreien zu können. Dafür hat er sich hinterher allerdings auch mehrfach entschuldigt.

Suze starrt mich ungläubig an. Dann bricht sie in schallendes Gelächter aus.

»Er hat dich schlagen müssen? Bex, du männermordendes Ungeheuer!«

»Hör auf!«, protestiere ich. »Er war eigentlich richtig süß. Er hat mich gefragt, ob ich auf ihn warten würde.«

»Und du hast gesagt, vergiss es, Alter!«

»So ähnlich.« Ich senke den Blick.

Ich war in dem Moment so außer Kontrolle, dass ich mich zu einer Art Kampfansage hinreißen ließ. »Jetzt kannst du mir vielleicht widerstehen, James«, sagte ich mit rauer Stimme und – wie ich fand – eindeutig verführerischem Blick. »Aber du wirst schon sehen – es vergeht keine Woche, und du stehst bei mir vor der Tür.«

Inzwischen war mehr als eine Woche vergangen, und ich habe nichts von ihm gesehen oder gehört. Nicht besonders schmeichelhaft, wenn ich es mir recht überlege.

»Aber das gibt’s doch gar nicht!«, regt Suze sich auf. »Hat der denn noch nie etwas von sexueller Kompatibilität gehört?«

»Weiß nicht.« Ich zucke mit den Schultern. »Ich schätze, das Risiko nimmt er in Kauf.« Da fängt Suze auf einmal an zu kichern.

»Hast du ihn denn wenigstens gesehen? Du weißt schon, seinen …«

»Nein! Er hat mich ja nicht mal in seine Nähe gelassen!«

»Aber hast du ihn denn nicht spüren können? Ist er denn so klein?« Suzes Augen funkeln gemein. »Ich wette, er ist winzig. Und James hofft, dass er irgendein naives Mädchen dazu bringen kann, ihn zu heiraten, und dann sitzt die Arme den Rest ihres Lebens da mit seinem Mini-Schniepel. Noch mal davongekommen, Bex!« Sie greift nach ihrer Schachtel Silk Cut und zündet sich eine Zigarette an.

»Komm mir bloß nicht zu nah!«, pampe ich sie an. »Mein schönes Tuch soll nicht nach Rauch stinken!«

»Und was machst du dann dieses Wochenende?«, fragt sie und zieht an der Zigarette. »Kommst du klar? Oder möchtest du mit aufs Land fahren?«

Damit meint Suze den zweiten Wohnsitz ihrer Familie in Hampshire. Das Land. Als besäßen ihre Eltern einen eigenen kleinen Staat, von dem niemand was weiß.

»Nein, ist schon okay«, sage ich und nehme missgelaunt die Fernsehzeitung zur Hand. »Ich fahre zu meinen Eltern.«

»Oh, okay«, sagt Suze. »Grüß deine Mum ganz lieb von mir.«

»Mache ich«, sage ich. »Und du grüßt Pepper ganz lieb von mir.«

Pepper ist Suzes Pferd. Sie reitet ihn etwa drei Mal im Jahr – wenn überhaupt –, aber jedes Mal, wenn ihre Eltern davon sprechen, ihn zu verkaufen, wird Suze völlig hysterisch. So weit ich mitbekommen habe, kostet er fünfzehntausend Pfund im Jahr an Unterhalt. Fünfzehntausend Pfund. Und was tut der Gaul für sein Geld? Steht im Stall und frisst Äpfel. Ich hätte nichts dagegen, ein Pferd zu sein.

»Ach, da fällt mir ein, die Rechnung für die Gemeindesteuer ist heute gekommen«, sagt Suze. »Dreihundert pro Nase.«

»Dreihundert Pfund?« Ich sehe sie bestürzt an. »Wie, jetzt, sofort?«

»Ja. Genau genommen sind wir eh schon zu spät dran. Schreib mir doch einfach einen Scheck oder so.«

»Klasse«, sage ich unbekümmert. »Dreihundert Pfund, mal eben so.«

Ich hole meine Tasche und stelle sofort einen Scheck aus. Da Suze mit der Miete so großzügig ist, bezahle ich immer meinen Anteil an den Rechnungen, und manchmal lege ich noch ein bisschen was drauf. Und doch ist mir ganz kalt, als ich ihr den Scheck reiche. Dreihundert Pfund. Weg. Einfach so. Und diese blöde VISA-Rechnung sitzt mir auch noch im Nacken. Nicht gerade der beste Monat.

»Ach, und da hat jemand für dich angerufen«, fällt Suze noch ein. Sie schielt auf einen Zettel. »Erica Pastinak. Kann das sein?«

»Erica Pastinak?« Manchmal glaube ich ja, dass Suze ihr Bewusstsein ein bisschen zu oft erweitert hat.

»Parnell. Erica Parnell von der Endwich Bank. Du möchtest sie anrufen.«

Starr vor Entsetzen blicke ich Suze an.

»Sie hat hier angerufen? Hier, unter dieser Nummer?«