GRIEFENHAGEN UND DER ZAUBERER - Christian Dörge - E-Book

GRIEFENHAGEN UND DER ZAUBERER E-Book

Christian Dörge

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Beschreibung

Hamburg im Jahre 1975. Henk Griefenhagen, ein ehemaliger Kripo-Beamter, wird von seiner Schwester Inken dazu überredet, das vermisste polnische Au-Pair-Mädchen Hanna Woźniak zu suchen. Nach kurzer Zeit findet Griefenhagen heraus, dass Hanna unter furchtbaren Umständen zu Tode gekommen ist. Doch unversehens wird dieser Fall weitaus mysteriöser und gefährlicher, als Griefenhagen geahnt hätte... GRIEFENHAGEN UND DER ZAUBERER von Christian Dörge, Autor u. a. der Krimi-Serien JACK KANDLBINDER ERMITTELT, EIN FALL FÜR REMIGIUS JUNGBLUT, DIE UNHEIMLICHEN FÄLLE DES EDGAR WALLACE und FRIESLAND, ist der erste Band einer Reihe von spannenden Hamburg-Krimis um den Ex-Polizisten Henk Griefenhagen.

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CHRISTIAN DÖRGE

 

 

GRIEFENHAGEN

UND DER ZAUBERER

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Der Autor 

GRIEFENHAGEN UND DER ZAUBERER 

Die Hauptpersonen dieses Romans 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Impressum

 

Copyright © 2023 by Christian Dörge/Signum-Verlag.

Lektorat: Dr. Birgit Rehberg

Umschlag: Copyright © by Zasu Menil.

 

Verlag:

Signum-Verlag

Winthirstraße 11

80639 München

www.signum-literatur.com

[email protected]

Das Buch

 

 

Hamburg im Jahre 1975.

Henk Griefenhagen, ein ehemaliger Kripo-Beamter, wird von seiner Schwester Inken dazu überredet, das vermisste polnische Au-Pair-Mädchen Hanna Woźniak zu suchen. Nach kurzer Zeit findet Griefenhagen heraus, dass Hanna unter furchtbaren Umständen zu Tode gekommen ist.

Doch unversehens wird dieser Fall weitaus mysteriöser und gefährlicher, als Griefenhagen geahnt hätte...

 

Griefenhagen und der Zauberer von Christian Dörge, Autor u. a. der Krimi-Serien Jack Kandlbinder ermittelt, Ein Fall für Remigius Jungblut, Die unheimlichen Fälle des Edgar Wallace und Friesland, ist der erste Band einer Reihe von spannenden Hamburg-Krimis um den Ex-Polizisten Henk Griefenhagen. 

Der Autor

 

Christian Dörge, Jahrgang 1969.

Schriftsteller, Dramatiker, Musiker, Theater-Schauspieler und -Regisseur.

Erste Veröffentlichungen 1988 und 1989:  Phenomena (Roman), Opera (Texte).  

Von 1989 bis 1993 Leiter der Theatergruppe Orphée-Dramatiques und Inszenierung  

eigener Werke,  u.a. Eine Selbstspiegelung des Poeten (1990), Das Testament des Orpheus (1990), Das Gefängnis (1992) und Hamlet-Monologe (2014). 

1988 bis 2018: Diverse Veröffentlichungen in Anthologien und Literatur-Periodika.

Veröffentlichung der Textsammlungen Automatik (1991) sowie Gift und Lichter von Paris (beide 1993). 

Seit 1992 erfolgreich als Komponist und Sänger seiner Projekte Syria und Borgia Disco sowie als Spoken Words-Artist im Rahmen zahlreicher Literatur-Vertonungen; Veröffentlichung von über 60 Alben, u.a. Ozymandias Of Egypt (1994), Marrakesh Night Market (1995), Antiphon (1996), A Gift From Culture (1996), Metroland (1999), Slow Night (2003), Sixties Alien Love Story (2010), American Gothic (2011), Flower Mercy Needle Chain (2011), Analog (2010), Apotheosis (2011), Tristana 9212 (2012), On Glass (2014), The Sound Of Snow (2015), American Life (2015), Cyberpunk (2016). 

Rückkehr zur Literatur im Jahr 2013: Veröffentlichung der Theaterstücke Hamlet-Monologe und Macbeth-Monologe (beide 2015) und von Kopernikus 8818 – Eine Werkausgabe (2019), einer ersten umfangreichen Werkschau seiner experimentelleren Arbeiten.  

2021 veröffentlicht Christian Dörge mehrere Kriminal-Romane und beginnt drei Roman-Serien: Die unheimlichen Fälle des Edgar Wallace, Ein Fall für Remigius Jungblut und Friesland. 

2023 erscheinen seine neuen Alben Kafkaland und Lycia, sich entfernen. 

 

Künstler-Homepage: www.christiandoerge.de

  GRIEFENHAGEN UND DER ZAUBERER

 

 

 

 

 

 

  Die Hauptpersonen dieses Romans

 

 

Henk Griefenhagen: ehemaliger Kripo-Beamter. 

Inken Mazur: seine Schwester. 

Jasper Graumann: Hauptkommissar bei der Hamburger Kriminalpolizei. 

Tadeusz Mazur: Inkens Ehemann. 

Hanna Woźniak: polnisches Au-pair-Mädchen. 

Pilar Álvarez: junge, hübsche Venezolanerin. 

Erwin Janssen: Kriminalinspektor. 

Georg Büsing: Wachtmeister. 

Joris Moormann: Tresorknacker und Sprengstoffexperte. 

Eike Böckmann: Rechtsanwalt der Familie Griefenhagen. 

Luan Chén: Ex-Kollege von Griefenhagen. 

Paul Kröger: Bankangestellter. 

Joe Siemer: Kriminalbeamter. 

Fiete: Seemann an Bord der Geist. 

 

 

  Dieser Roman spielt im Jahr 1975 in Hamburg. 

  Erstes Kapitel

 

 

Es war kalt und nass, typisches Hamburger Novemberwetter. Schon in den frühen Morgenstunden hatte es zu regnen begonnen, und seitdem goss es in Strömen. Der Fluss war bereits angeschwollen. Ich lag noch immer im Schlafanzug auf der Couch und hörte Schallplatten. Die Sturmmöwe, eine zum Hausboot umgebaute ehemalige Barkasse, ist seit zehn Jahren mein Zuhause. Es gibt viele Hausboote im Spreehafen, die eleganter, aber wenige, die gemütlicher sind als meine Sturmmöwe. 

Die Schiffswohnung besteht aus zwei Schlafzimmern, einem großen Wohnraum, Küche und Badezimmer. Außerdem habe ich elektrischen Strom und Telefon. Meine Möbel sind recht alte Stücke, die ich mit Anneke auf Auktionen gekauft habe. 

Im Wohnzimmer war es angenehm warm, und ich döste zufrieden vor mich hin. Das Klingeln des Telefons riss mich aus meinen Gedanken. Ich stand auf, nahm den Apparat vom Tisch in der Ecke und ging damit zur Couch zurück. Schon bevor ich den Hörer abhob, wusste ich, dass der Anrufer nur meine Schwester sein konnte; um halb vier Uhr nachmittags rief mich sonst niemand an. Inken und ich waren im Krieg Waisen geworden, und seitdem versuchte sie, mein Leben zu organisieren. Meine Schwester ist mit Tadeusz Mazur, einem Professor an der Hamburger Wirtschaftsschule verheiratet. Tadeusz kam mit zwölf Jahren von Warschau über Budapest, Kairo und Jerusalem nach Deutschland, studierte hier mit Hilfe eines Stipendiums nach dem Abitur und war schon mit fünfunddreißig Dozent an der Hamburg Wirtschaftsschule. Mein Schwager, der Sohn eines polnischen Armeeoffiziers, verabscheut Polen und Aristokraten. Er ist der Freund aller Unterdrückten und das, was man gemeinhin einen Salonsozialisten nennt. Er ist ein guter Mann und Vater, aber ich kann ihn trotzdem nicht leiden. Was mich an ihm stört, ist weniger die arrogante Pfeifenraucherpose oder das Flair des Weltverbesserers, mit dem er sich umgibt, als hauptsächlich seine Angewohnheit, immer dann herablassend zu schweigen, wenn Inken meine Moralbegriffe oder meine Tischmanieren kritisiert. Tadeusz hat eine Art, so zu tun, als stünde er über allen Dingen, die mich rasend machen kann. 

»Moin?«, seufzte ich ins Telefon. 

»Hast du heute irgendwas Besonderes vor?«, erkundigte sich Inken ohne weitere Einleitung. 

Ich zögerte. Meine Schwester war der Meinung, dass es sich ein Mann von neununddreißig nicht leisten konnte, nichts anderes zu tun, als sich seines Lebens zu freuen. Seitdem ich vorzeitig meinen Dienst bei der Kriminalpolizei quittiert hatte, erwartete sie, dass ich wenigstens Reue oder ein gewisses Schuldbewusstsein zeigte. Denn obwohl Inken erleichtert war, als ich meinen Job bei der Polizei aufgab, wurde sie offensichtlich den Verdacht nicht los, dass ich mich dadurch irgendwie unmöglich gemacht hatte. 

»Eigentlich nicht«, antwortete ich vorsichtig. »Ich muss allerdings noch einige Briefe schreiben.« 

»Ich mache mir Sorgen«, erklärte Inken. 

»Worüber?« Ich dachte sofort an Inkens Kinder Basha und Tomek. Das Mädchen Basha ist sommersprossig und stupsnasig, während Tomek, der Sohn, ganz nach seinem Vater geraten ist. Als Achtjähriger hat er mir bereits angeboten, mir das Schachspielen beizubringen. Das Peinliche dabei war, dass er das Spiel tatsächlich perfekt beherrschte. 

»Ist mit den Kindern alles in Ordnung?«, fragte ich und gab mir Mühe, interessiert zu wirken. 

»Ja, natürlich«, erwiderte Inken schnell. »Es geht um Hanna.« 

»Hanna?«, wiederholte ich unsicher und wusste im Moment nicht, was Inken eigentlich meinte. 

»Mein Gott, Henk, spiel jetzt bloß nicht den Ahnungslosen«, wies mich Inken scharf zurecht. »Hanna ist unser Au-pair-Mädchen! Wenn du bei uns bist, verbringst du die meiste Zeit damit, auf ihre Beine zu starren.« 

Ich besuchte Inken und Tadeusz in ihrem Haus in Bahrenfeld nur selten. 

»Hörst du mir überhaupt noch zu?«, kam es ärgerlich vom anderen Ende der Leitung. 

»Selbstverständlich«, versicherte ich Inken lahm. Die Schallplatte war zu Ende, und ich horchte auf das Prasseln des Regens und das Krachen der Schiffsplanken. In meinem Zimmer war es warm und gemütlich, aber Inken würde mich in den Regen hinausjagen. Das wusste ich instinktiv. 

»Ich habe dir ja erzählt, dass sie bei uns ausgezogen ist«, ertönte Inkens Stimme. »Vor ungefähr einem halben Jahr hat sie sich zusammen mit einer Freundin ein Apartment gemietet. Natürlich bin ich darüber nicht gerade erfreut gewesen. Schließlich haben ihre Eltern sie mir anvertraut.« Ich beobachtete die Möwen vor dem Fenster. »...Außerdem sind die jungen Mädchen heutzutage wesentlich selbständiger als wir in diesem Alter...« 

»Blödsinn!«, unterbrach ich sie. 

»Was sagst du?«

»Ich finde, das ist dummes Gerede«, bekräftigte ich.

Inken zog scharf die Luft ein. »Wie du meinst. Jedenfalls hat Hanna eine Wohnung in der Kegelhofstraße in Eppendorf. Sie kommt natürlich noch täglich zu uns, um mir im Haushalt zu helfen. Am Donnerstag jedoch hat sie mich angerufen und gesagt, sie hätte Grippe. Ich habe ihr geraten, im Bett zu bleiben und einen Arzt zu rufen. Heute Morgen hat sich ein Herr von der Ausländerbehörde telefonisch bei mir nach Hanna erkundigt. Er behauptete, es handele sich um eine Routineüberprüfung. Hannas Aufenthaltsgenehmigung muss offensichtlich erneuert werden. Hörst du mir eigentlich noch zu, Henk?«

»Erwartest du von mir, dass ich ständig irgendwelche unartikulierten Laute von mir gebe?«, entgegnete ich.

Inken schluckte hart. »Also, kommen wir zur Sache! Hanna hat der Behörde ihre neue Adresse anscheinend nicht mitgeteilt, denn der Beamte glaubt, das Mädchen würde noch bei uns wohnen.«

Ich steckte meine nackten Füße unter die Kissen. »Und du hast ihn über seinen Irrtum aufgeklärt?«

»Nein, natürlich nicht«, erwiderte Inken ruhig. »Hanna ist ein nettes Mädchen, und die Kinder mögen sie. Ich denke gar nicht daran, Hanna in Schwierigkeiten zu bringen.«

»Und warum machst du dir dann Sorgen?«, erkundigte ich mich. »Hanna ist Polin. Durch deine Bürgschaft hat sie eine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland bekommen. Sie ist gesetzlich verpflichtet, jede Änderung ihrer Adresse sofort zu melden. Warum hat sie das nicht getan?«

»Das ist genau der springende Punkt«, versicherte mir Inken. »Das weiß ich nämlich auch nicht. Seit heute Morgen versuche ich, Hanna anzurufen, aber es meldet sich niemand.«

»Aha, und ich soll dir helfen, Hanna zu benachrichtigen«, seufzte ich resigniert.

»Henk, du kennst doch Tadeusz. Alles, was mit der Polizei zu tun hat...«

Ich wusste Bescheid. Ein Mann wie Mazur, dessen Vater man die deutsche Staatsbürgerschaft verweigert hatte, hält sich sklavisch an alle Gesetze und Gebote dieses Landes. Er war sicher entsetzt, als er erfuhr, dass sein Au- pair-Mädchen nicht so gewissenhaft war wie er.

»Ich muss die Angelegenheit unbedingt mit dir besprechen, bevor Tadeusz nach Hause kommt«, fuhr Inken fort.

Ich gehe unangenehmen Dingen normalerweise gern aus dem Weg, aber diesmal saß ich in der Falle.

»Na, gut«, sagte ich schließlich müde. »Wo treffen wir uns?«

Inken nannte das Restaurant eines Kaufhauses an der Ebertallee. Ich stand auf, rasierte mich, zog Kordhose und Rollkragenpullover an, schlüpfte in meinen gelben Regenmantel und trat hinaus aufs Deck. Plötzlich fiel mir Frau Schröder ein. Ich rannte in die Küche zurück und schrieb ihr einen Zettel:

 

Bitte Schinken, Eier und Zucker besorgen!!!

 

Ausrufungszeichen beeindrucken Frau Schröder sehr. Meine Zugehfrau ist siebenundsechzig Jahre alt und seit acht Jahren bei mir. Sie glaubt noch immer nicht, dass ich meinen Dienst bei der Polizei tatsächlich quittiert habe und vermutet, dass ich in Wirklichkeit irgendeine geheimnisvolle Spionagetätigkeit ausübe. Frau Schröder hat einen Zweitschlüssel zum Hausboot und kommt montags, mittwochs und freitags.

Ich ging die nasse, glitschige Gangway hinunter zum Kai. Auf der Uferstraße brannten bereits die Straßenlampen. Es herrschte dichter Verkehr, und ich musste lange warten, bis ich endlich die Straße überqueren und zu meinem Wagen laufen konnte. Seit meinem Abschied von der Polizei fahre ich einen Citroën, und mit meinen langen Beinen ist es schwierig, eine bequeme Fahrstellung in diesem Auto zu finden. Während ich die Zündung einschaltete und den Scheibenwischer anstellte, dachte ich über Inkens merkwürdige Wertvorstellungen nach. Inken und Tadeusz standen auf den Spendenlisten sämtlicher Hilfsorganisationen in Deutschland, fanden jedoch offensichtlich nichts dabei, eine harmlose Ausländerin auszubeuten. Inkens Au-pair-Mädchen verdienten weniger als Frau Schröder.

Carstens ist das größte Kaufhaus in Bahrenfeld. Es hat eine schwarze, durch italienische Keramiksteine aufgelockerte Glasfassade und einen Dachgarten. Ich parkte meinen Wagen in der Tiefgarage und fuhr mit dem Lift in den vierten Stock. Es war lange her, seitdem ich zum letzten Mal ein solches Restaurant betreten hatte. Ein Streichquartett spielte für das gleichgültige Publikum der Ebertallee einen alten sentimentalen Schlager. Inken saß an einem Tisch in der Nähe des Eingangs. Sie hatte nur eine Kanne Tee vor sich, denn meine Schwester isst nie etwas zwischen den Hauptmahlzeiten.

Ich küsste Inken leicht auf die Wange und ließ mich dann auf dem Stuhl gegenüber nieder. In unserer Familie haben sich die Gene gründlich vermischt, denn während ich einen Meter fünfundachtzig groß und schlank bin, ist Inken fast dreißig Zentimeter kleiner, wiegt jedoch dasselbe wie ich. Bis zur Geburt ihrer Tochter Basha hatte Inken jedoch keine Gewichtsprobleme. In letzter Zeit trägt sie mit Vorliebe Dirndlkleider, Trachtenblusen und sieht mit ihrem blonden Knoten im Nacken meistens aus, wie eine Figur aus einer österreichischen Operette.

Inken hatte mich inzwischen ebenfalls eingehend gemustert. »Ich dachte, Männer tragen heutzutage ihr Haar noch länger«, erklärte sie schließlich kopfschüttelnd.

Mit dieser Bemerkung schlug Inken zwei Fliegen mit einer Klappe, denn meine Haare waren zu lang und außerdem nicht modisch geschnitten. Sie goss mir eine Tasse Tee ein. Es war eine China-Mischung und lauwarm. Ich machte der Bedienung ein Zeichen.

»Bringen Sie mir bitte zwei Brötchen, friesischen Tee und Milch«, bestellte ich, als sie an unseren Tisch kam.

»Die friesischen Teesorten werden bei uns immer mit Milch serviert«, belehrte mich die Bedienung und verschwand.

Inken wartete, bis das Mädchen außer Hörweite war. »Ich genieße es, wenn du mal von anderen zurechtgewiesen wirst, Henk. Du siehst dann so herrlich verwirrt aus.« 

Ich zündete mir eine Zigarette an. Inken gehörte zu den Menschen, die allen das Gefühl gab, dass man es mit einer Frau zu tun hatte, die Wert auf eine moralisch einwandfreie und gesunde Lebensweise legte. In ihrer Nähe roch es förmlich nach Lavendelherzen in der Wäsche, selbstgemahlenem Mehl und gut gelüfteten Räumen. Ich erinnerte mich allerdings noch zu deutlich daran, wie scharf sie als junges Mädchen auf meine Schulfreunde gewesen war, um auf diese Maske hereinzufallen. 

»Kommen wir endlich zur Sache!«, schlug ich vor. 

Inken verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse, als ich ihr Feuer gab. Sie raucht die Zigaretten-Marke mit dem geringsten Nikotingehalt, während ich starken französischen Tabak bevorzuge. 

Ich wusste, dass Inken meine Zigaretten an Anneke erinnerten. Sie hatte das Mädchen, mit dem ich zusammengelebt hatte, nie gemocht, und selbst die Tatsache, dass Anneke tot war, schien an ihren Gefühlen nichts geändert zu haben. 

Inken griff nach einer großen Krokoledertasche, die neben ihr auf dem Teppich stand, und setzte sie auf ihren Schoß. Meine Schwester trug darin stets ein merkwürdiges Durcheinander von dicken Notizbüchern, alten Theater-Programmen, Pfefferminzbonbons, halbfertigen Häkelarbeiten und mehreren Schlüsselbunden mit sich herum. Sie kramte eine Weile in ihrer Tasche und zog dann einen Brief heraus. 

Das Schreiben trug ein Datum vom Oktober letzten Jahres und war in einwandfreiem Deutsch verfasst. Auf dem Umschlag stand eine Adresse in Warschau. Herr und Frau Woźniak dankten darin Frau Mazur, dass sie bereit war, ihre Tochter bei sich aufzunehmen. Ich gab Inken den Brief zurück. Inzwischen hatte die Bedienung meine Brötchen gebracht. 

»Soviel ich mich erinnere, haben dich die Eltern in Hamburg besucht, bevor sie dir ihre Tochter geschickt haben, stimmt’s?«, fragte ich. 

»Ja, richtig. Die Eltern sind typische Polen. Sehr zurückhaltend und gewissenhaft. Außerdem ist Hanna ihr einziges Kind. Sie hängen sehr an ihr.« 

Ich gähnte. Das Restaurant war überheizt, und Inkens Bemerkungen über Hanna langweilten mich tödlich. 

»Trotzdem weiß ich nicht mehr genau, wie sie aussieht«, sagte ich schließlich. »Ich glaube, ich verwechsle sie mit diesem schwedischen Mädchen.«

Inken gab mir ein Farbfoto, das ein Mädchen mit rotblondem Haar zeigte. Es sah mit ernsten, grauen Augen in die Kamera und hielt Inkens Cockerspaniel im Arm. Ihre Beine waren auf dem Bild nicht zu sehen.

»Stimmt, jetzt erinnere ich mich an Hanna«, murmelte ich. »Hat sie uns nicht mal Wasserkresse-Suppe serviert?«

»Hanna ist wirklich ein reizendes Mädchen«, erwiderte Inken.

»Waren sie das nicht alle?« Meine Schwester hält sich für eine ausgezeichnete Menschenkennerin. »Weißt du noch, wie die persische Prinzessin mit deinem teuren Pelzmantel verschwunden ist?«

»Das war etwas anderes«, entgegnete Inken bestimmt. »Henk, ich mache mir Sorgen um Hanna. Ich möchte sie wirklich nicht in Schwierigkeiten bringen, aber irgendjemand muss mit ihr sprechen.«

Inken schob mir einen Zettel über den Tisch. Darauf stand die Adresse einer Sprachschule in der Stadionstraße und die eines Hauses Nummer 98 in der Kegelhofstraße.

»Und dieser jemand bin natürlich ich, oder?«, erkundigte ich mich.

Inken nickte. »Auf dich wird sie hören.«

»Und was soll ich ihr sagen?«

Meine Schwester seufzte. »Natürlich, dass es mir lieber wäre, wenn sie wieder zu uns ziehen würde. Es ist für alle Beteiligten die einfachste Lösung.«

Ich steckte den Zettel in die Tasche. »Für dich vielleicht schon«, bemerkte ich. »Bei Hanna bin ich mir da nicht so sicher.« Ich machte der Bedienung ein Zeichen, uns die Rechnung zu bringen.

Inken puderte sich energisch die Nase.

»Rede keinen Blödsinn!«, wies sie mich zurecht. »Du weißt genau, dass ich für das Mädchen verantwortlich bin.«

»Sehr richtig. Aber du irrst dich, wenn du glaubst, dass ich sie überreden werde, zu euch zurückzukommen. Du wirst sie wahrscheinlich sowieso verlieren. Warum soll sie denn nicht mit einer Freundin zusammen wohnen? Sie hat leider nur den Fehler begangen, der Ausländerbehörde ihre neue Adresse nicht mitzuteilen.«

Ich bezahlte die Rechnung. Inken machte heftig ihre Handtasche zu. »Bitte, ruf mich an, wenn du mit Hanna gesprochen hast! Und vergiss nicht, Tadeusz darf nichts von der Sache erfahren.«

»Ja, natürlich«, versprach ich und küsste Inken zum Abschied auf die Wange.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Als ich aus der Tiefgarage fuhr, regnete es noch immer. Ich bog in Richtung Eppendorf ab. 

Die Kegelhofstraße liegt in der Nähe des Lokstedter Wegs. Ich hielt an einer Bushaltestelle an, ging in das Telefonhäuschen in der Schalterhalle und wählte Hannas Nummer. Es meldete sich niemand. Schließlich gab ich auf und fuhr in die Kegelhofstraße weiter. Die Straße war nicht lang, und die alten Villen im Stil der Jahrhundertwende waren in Apartmenthäuser umgebaut worden. 

In jedem Haus gab es im Parterre und im ersten Stock jeweils zwei Wohnungen. Die Türen waren in verschiedenen Farben gestrichen. Ich parkte den Citroën vor dem Haus Nummer 98 und schaltete die Zündung aus. Die Villa lag vollkommen im Dunkeln.

---ENDE DER LESEPROBE---