TÖDLICHE EPIPHANIE - DETEKTIVE WIDER WILLEN - Christian Dörge - E-Book

TÖDLICHE EPIPHANIE - DETEKTIVE WIDER WILLEN E-Book

Christian Dörge

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Beschreibung

Der Schauplatz: Anfang Januar 1965 am Kreuzeck oberhalb von Garmisch-Partenkirchen. In einem verlassenen, tief verschneiten Haus, hoch oben im Gebirge, entdecken der Maler Gedeon Sckell und seine Frau Elisabeth die Leiche eines ihnen unbekannten Mannes – aufgebahrt in der Kapelle des Hauses. Von diesem Moment an sind Gedeon und Elisabeth in höchster Lebensgefahr... TÖDLICHE EPIPHANIE von Christian Dörge, Autor u. a. der Krimi-Serien JACK KANDLBINDER ERMITTELT, EIN FALL FÜR REMIGIUS JUNGBLUT, DIE UNHEIMLICHEN FÄLLE DES EDGAR WALLACE und FRIESLAND, ist der zweite Band der Roman-Serie DETEKTIVE WIDER WILLEN und ein ebenso spannender wie wendungsreicher und nostalgischer Krimi aus Oberbayern.

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CHRISTIAN DÖRGE

 

 

TÖDLICHE EPIPHANIE

DETEKTIVE WIDER WILLEN

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Der Autor 

TÖDLICHE EPIPHANIE 

Die Hauptpersonen dieses Romans 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Impressum

 

Copyright © 2023 by Christian Dörge/Signum-Verlag.

Lektorat: Dr. Birgit Rehberg

Umschlag: Copyright © by Christian Dörge.

 

Verlag:

Signum-Verlag

Winthirstraße 11

80639 München

www.signum-literatur.com

[email protected]

 

Das Buch

 

 

Der Schauplatz: Anfang Januar 1965 am Kreuzeck oberhalb von Garmisch-Partenkirchen.

In einem verlassenen, tief verschneiten Haus, hoch oben im Gebirge, entdecken  der Maler Gedeon Sckell und seine Frau Elisabeth die Leiche eines ihnen unbekannten Mannes – aufgebahrt in der Kapelle des Hauses.

Von diesem Moment an sind Gedeon und Elisabeth in höchster Lebensgefahr...

 

Tödliche Epiphanie von Christian Dörge, Autor u. a. der Krimi-Serien Jack Kandlbinder ermittelt, Ein Fall für Remigius Jungblut, Die unheimlichen Fälle des Edgar Wallace und Friesland, ist der zweite Band der Roman-Serie Detektive wider Willen und ein ebenso spannender wie wendungsreicher und nostalgischer Krimi aus Oberbayern. 

Der Autor

 

Christian Dörge, Jahrgang 1969.

Schriftsteller, Dramatiker, Musiker, Theater-Schauspieler und -Regisseur.

Erste Veröffentlichungen 1988 und 1989:  Phenomena (Roman), Opera (Texte).  

Von 1989 bis 1993 Leiter der Theatergruppe Orphée-Dramatiques und Inszenierung  

eigener Werke,  u.a. Eine Selbstspiegelung des Poeten (1990), Das Testament des Orpheus (1990), Das Gefängnis (1992) und Hamlet-Monologe (2014). 

1988 bis 2018: Diverse Veröffentlichungen in Anthologien und Literatur-Periodika.

Veröffentlichung der Textsammlungen Automatik (1991) sowie Gift und Lichter von Paris (beide 1993). 

Seit 1992 erfolgreich als Komponist und Sänger seiner Projekte Syria und Borgia Disco sowie als Spoken Words-Artist im Rahmen zahlreicher Literatur-Vertonungen; Veröffentlichung von über 60 Alben, u.a. Ozymandias Of Egypt (1994), Marrakesh Night Market (1995), Antiphon (1996), A Gift From Culture (1996), Metroland (1999), Slow Night (2003), Sixties Alien Love Story (2010), American Gothic (2011), Flower Mercy Needle Chain (2011), Analog (2010), Apotheosis (2011), Tristana 9212 (2012), On Glass (2014), The Sound Of Snow (2015), American Life (2015), Cyberpunk (2016). 

Rückkehr zur Literatur im Jahr 2013: Veröffentlichung der Theaterstücke Hamlet-Monologe und Macbeth-Monologe (beide 2015) und von Kopernikus 8818 – Eine Werkausgabe (2019), einer ersten umfangreichen Werkschau seiner experimentelleren Arbeiten.  

2021 veröffentlicht Christian Dörge mehrere Kriminal-Romane und beginnt drei Roman-Serien: Die unheimlichen Fälle des Edgar Wallace, Ein Fall für Remigius Jungblut und Friesland. 

2022 folgen zwei weitere Krimi-Serien: Noir-Krimis um den Frankenberger Privatdetektiv Lafayette Bismarck und München-Krimis mit Jack Kandlbinder, der in der bayrischen Landeshauptstadt die merkwürdigsten Verbrechen aufzuklären hat.

2023 erscheinen Dörges neuen Alben Kafkaland und Lycia, sich entfernen. 

TÖDLICHE EPIPHANIE

 

  Die Hauptpersonen dieses Romans

 

 

Gedeon Sckell: Maler und Hobby-Detektiv. 

Elisabeth Sckell (geb. Kleeberger): Gedeons Frau und Hobby-Detektivin. 

Frederic Todenwart: Psychiater. 

Dr. Fiona Bailey: Wissenschaftlerin. 

Martin Carter: ein Bekannter von Candice Bailey. 

Armand de Groot: holländischer Geschäftsmann. 

Max Wiesner: Bergführer. 

Alfie Day-Armstrong: Reiseveranstalter. 

Sir Walther Richardson: ein Reisender aus England. 

Lady Lucy Richardson: seine Frau. 

William Grimmel: Chemiker aus England. 

Patsy Kensit: Beat-Sängerin. 

 

 

Dieser Roman spielt Anfang Januar 1965 am Kreuzeck oberhalb von Garmisch-Partenkirchen.

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Es besteht wohl kaum ein Zweifel daran, dass sowohl meine Frau als auch ich geradezu wie ein Magnet Verbrechen anziehen; das ist leider so, auch wenn es dafür keine rationale Erklärung gibt. Elisabeth ist eine Frau mit bronzefarbenem Haar und grünlichen Augen, die alle weiblichen Tricks und darüber hinaus noch ein paar ganz private kennt, während ich selbst ein mäßig erfolgreicher Maler mit geselliger Veranlagung, schlichtem Gemüt und vielleicht ein paar liebenswerten Eigenheiten bin. Man sollte daher glauben, wir wären zwei vollkommen harmlose Menschen. Aber sobald in zehn Kilometer Umkreis irgendeine Untat oder Teufelei vor sich geht oder auch nur geplant wird, so werden wir schon irgendwie in die Sache mit hineingezogen. Durch diese seltsame Eigenschaft wurden wir bereits in mehrere unliebsame (gleichwohl unterhaltsame) Eskapaden verwickelt. Inzwischen bin ich ganz sicher, dass wir früher oder später wirklich in ernsten Schwierigkeiten stecken werden, sofern wir nicht bald die tiefere Ursache für diesen Magnetismus herausfinden.

Wir taten keinem Menschen etwas zuleide, sondern saßen einfach nur friedlich bei der abendlichen Party im Posthotel in  Garmisch-Partenkirchen, unterhalb des Kreuzecks, eines 1.651 m hohen Skiparadieses mit majestätischer Bergkulisse, das vom Idiotenhügel bis zu steilen Abfahrten alles zu bieten hat und das in seiner internationalen Fröhlichkeit kaum von einem anderen Wintersport-Paradies  übertroffen wird.

Diese internationale Fröhlichkeit im Posthotel steuerte gerade auf einen besonderen Höhepunkt zu. Es war ein Wunder, dass der Krach nicht irgendwo eine Lawine auslöste. Bierkrüge krachten auf die Tische, der blankgeschrubbte Holzboden erbebte unter stampfenden Schritten, und ein dicker Mann in Lederhosen klatschte sich jodelnd auf die blanken Oberschenkel, während ihn ein junges Mädchen in bayerischer Tracht auf einem aus Kuhglocken bestehenden Instrument begleitete. Man sah Cocktail-Kleider und Pullover, ein paar aufregende Après-Ski-Anzüge und sogar einen schottischen Kilt.

Wir saßen da und überlegten uns, warum zwei der Gäste uns mehr oder weniger unverhohlen musterten.

»Die wollen sicher mit uns bekannt werden«, sagte ich. »Wenn du in einem solchen Aufzug herumläufst, darfst du dich nicht wundern.«

Elisabeth warf mir einen ihrer berühmten Seitenblicke zu. »Der eine dort neben der Tür heißt Armand de Groot. Vermutlich Holländer. Er hat’s schon probiert. Zunächst mit ein paar Verbeugungen.«

De Groots gutsitzender Skidress war teuer und stammte sicher aus einem erstklassigen Laden. Dem Äußeren nach war er ein harter Bursche: dunkles Haar, eckiges Gesicht, gerade Augenbrauen, schmaler Mund. Alter etwa vierzig, dazu gefährlich intelligent, offenbar mehr daran gewöhnt Befehle zu erteilen als Bitten zu äußern. Als Freund sicherlich sehr nützlich und vermutlich sogar ein guter Gesellschafter, wenn er sich in einem geselligen Kreis bewegte, aber zweifellos auch ein Mann, mit dem nicht gut Kirschen essen war, sofern er etwas gegen jemanden im Schilde führte.

»Seltsam ist nur, dass er sich offenbar mehr für dich interessiert.«

»Das ist nicht nur seltsam«, antwortete ich, »sondern insbesondere unhöflich.«

»Ganz und gar nicht.« Sie warf mir wieder einen Seitenblick zu. »Er macht das ganz richtig. Ich habe den Eindruck, dass er geschäftlich hier ist, und dasselbe nimmt er wohl von dir an.«

Ich beobachtete drei kleine Französinnen, die sich drüben an der Bar um einen Skilehrer in rotem Pullover bemühten. Er wirkte leicht eingeschüchtert, aber offenbar entschlossen, sein Bestes zu tun. Max Wieser, einer der besten Bergführer aus Garmisch, beobachtete ihn mit ironischem Lächeln.

»Vermutlich Holländer und allem Anschein nach ein harter Bursche«, stellte ich fest. »Vielleicht ein Diamantenhändler? Oder Goldkaufmann? Oder Tulpenzüchter? Es gibt eine Sorte, die nennt sich Sauromatum guttatum, angeblich soll sie blassgrün mit purpurroten Flecken...«

»Der andere«, unterbrach mich Elisabeth gelassen, »ist der ehrenwerte Alfie Day-Armstrong.«

»Man muss schon hart sein, wenn man diese Dinge züchten will. Stell dir nur einmal vor, eins davon jagt dich in einer Mondnacht quer durch den Garten.«

»Ich habe allerdings so meine Zweifel, dass er ehrenwert ist«, murmelte Elisabeth.

»Ich meine in einer hellen Mondnacht, wenn die Knospen sprießen...«

»Was macht dieser Herr Day-Armstrong eigentlich?«

»Er ist eine Art Reise-Agent der exklusiveren Sorte. Aber nach außen hin gibt er den Playboy. Bist du jetzt fertig mit deinem Gerede über Tulpen? Er ist der Reisebegleiter für die englische Gesellschaft oben im Hotel. Und es ist eine sehr eigenartige Gesellschaft. Sie tun alle so, als hüteten sie ein düsteres Geheimnis.«

»In Anbetracht der Tatsache, dass wir kaum vierundzwanzig Stunden hier sind, hast du aber schon sehr gründlich herumgeschnüffelt. Du hast eine sehr hübsche Nase, aber wenn du so weitermachst, wirst du bald wie ein Bluthund aussehen.«

»Ich kenne zwei aus dieser Gesellschaft«, erklärte sie. »Sir Walther und Lady Richardson. Das heißt, Sir Walther kennt meinen Vater. Recht amüsante Leute, allerdings hier offenbar in den falschen Gewässern. Normalerweise besuchen sie die Bahamas.«

»Wird unsere Unterhaltung nicht allmählich etwas zu surreal?«, fragte ich.

»Zum surrealistischen Teil kommen wir erst noch«, sagte sie. »Lady Richardson und Sir Walther machen sich allmählich Sorgen: Bei der Gesellschaft befindet sich nämlich noch eine gewisses Fräulein Bailey, anscheinend erweckt sie den Eindruck, als könnte sie jeden Augenblick einen Mord begehen.«

Die Darbietung war zu Ende und es wurde plötzlich sehr ruhig. Day-Armstrong unterhielt sich jetzt mit Max Wieser. Dabei beobachtete er uns jedoch aus den Augenwinkeln. Er hatte glattes, helles Haar und eine sehr sportliche Figur, dazu ein etwas derbes, aber liebenswürdiges Gesicht. Er gehörte zu den Leuten, aus denen man nicht gleich schlau wird.

Elisabeth fuhr fort: »Lady Richardson gefällt das alles nicht.«

»Wann ist dir denn diese hübsche Information über den Weg gelaufen?«, wollte ich wissen. »Und wer ist das mutmaßliche Opfer?«

»Beim Kaffee heute Nachmittag. Und der Grund, warum man sich derartige Sorgen macht, ist: keiner weiß Genaueres. Lady Richardson sagt, man könne schließlich nicht hingehen und die arme Frau fragen. Über solche Dinge redet man nicht. Das macht sie ja gerade so beunruhigend!«

»Eine geradezu klassische Untertreibung«, sagte ich. »Du übertriffst dich.«

Sie fuhr unbekümmert fort: »Außerdem erzählt man sich von einem unsichtbaren Skifahrer, der hier überall über die Pisten flitzt.«

Das erneute Getöse des Orchesters übertönte meine Bemerkung, dass ihr Kaffeekranz wohl sehr kurzweilig gewesen sein müsse. Doch bevor ich sie wiederholen konnte, entfernte sich Day-Armstrong von der Bar und schob sich auf uns zu. Er wich geschickt einem Tanzpaar aus, das lebensgefährlich mit schweren Skistiefeln herumstampfte, duckte sich unter dem hochgehaltenen Tablett der Kellnerin Anna hindurch, legte für eine Sekunde seinen Arm um ihre Taille und sah dabei gleichzeitig hinüber zu de Groot. Ich hätte schwören mögen, dass die beiden sich verständigten, bevor er unseren Tisch erreichte und uns aus ein paar ungewöhnlich kühlen, schlauen Augen in einem ansonsten ausdruckslosen Gesicht anfeixte. Ich dachte: Wenn dieser Herr Day-Armstrong wirklich ein Playboy ist, dann weiß er genau, wie er seine Rolle spielt.

»Gefällt’s Ihnen?«, fragte er.

»Ja«, antwortete Elisabeth, »der Krach und die Leute.«

Ich sah sie misstrauisch an und fragte mich, ob vielleicht Day-Armstrong der Grund war, warum sie gerade heute Abend unbedingt hierher gewollt hatte. Elisabeth konnte bei all ihrem Charme ausgesprochen berechnend sein.

»Sie haben meinen Mann noch nicht kennengelernt«, lächelte sie.

»Verdammt unhöflich von mir, wenn ich sage, wie leid es mir tut, dass ich ihn ausgerechnet jetzt kennenlerne«, polterte er. »Kriegen Sie's nicht in den falschen Hals. Ich bin nur ein harmloser Narr. Aber ich habe mir heute Nachmittag im Hotel Königsspitze mit Frau Sckell alle Mühe gegeben.«

Leicht verärgert stellte ich mir vor, welchen Empfang man Elisabeth bereitet haben musste, während ich in der Stadt gewesen war. Aber ich antwortete: »Damit ist alles erklärt.«

Er lachte leise. »Sie sind der Maler Gedeon Sckell? Ich habe schon von Ihnen gehört.« Während ich mir flüchtig überlegte, was er gehört haben mochte, fuhr er fort: »Sind Sie zum Arbeiten hier oder zum Skifahren?«

»Nur zum Skifahren«, antwortete ich sofort. »Ich will Skifahren und sonst gar nichts.« Das war auch für Elisabeths Ohren gemeint.

»Zu lauter Protest ist immer verdächtig«, grinste Day-Armstrong.

Elisabeth warf ein: »Erzählen Sie uns doch von Ihren Reisegesellschaften.« Ich sah sie wieder an und machte mir allmählich Sorgen. Sie spielte das charmante junge Fräulein, zwar nicht so ausgeprägt, wie sie es schon bei anderen Gelegenheiten getan hatte, aber immerhin sie spielte gefährlich genug. »Ich habe mich beim Kaffee mit Sir Walther und Lady Richardson unterhalten.« Sie klimperte mit den Wimpern. »Wobei Walther und Lucy selbstverständlich Tee getrunken  haben.«

Für einen kurzen Augenblick glitt ein Schatten der Besorgnis über Day-Armstrongs Gesicht, aber dann lächelte er wieder. »Ich will Ihnen sagen, woran es liegt«, antwortete er. »Ich bin ein Tagedieb, wie er im Buche steht. Ich arbeite nicht gern und tauge auch sonst nicht viel. Für krumme Sachen bin ich nicht schlau genug. So sind diese kleinen Gesellschaftsausflüge genau das richtige für mich. Ich habe sie mir selbst ausgedacht, sie tragen meine Unkosten, manchmal werfen sie sogar ein bisschen Profit ab. Außerdem kann ich so leben, wie es mir Spaß macht. Erleben Sie die weiße Welt des Wintersports mit Day-Armstrong, das kostet zwar Geld, aber es macht verdammt viel Spaß!«

»Wie organisieren Sie das?«, fragte ich.

»Durch diskrete kleine Inserate in der Times natürlich: Private Urlaubs-gesellschaft, erstklassiger Luxus, sorgfältige Zusammenstellung, beste Gesellschaft garantiert. Sie würden staunen, wie viele Zuschriften ich bekomme. Ich kann mir die Leute buchstäblich aussuchen.«

»Ihre Gäste sind also handverlesen ausgesucht?«, murmelte Elisabeth.

Das Lächeln verschwand von seinem Gesicht, aber er antwortete: »In der Tat. Wer so aussieht, als passte er nicht dazu, bekommt gleich von Anfang an die übliche höfliche Entschuldigung zu hören: Tut mir leid, aber wir sind vollständig ausgebucht.« Und dann fügte er seltsamerweise in einem Ton hinzu, als müsste er sich rechtfertigen: »Wissen Sie, ein bisschen muss man die Leute dann aber doch mischen. Sonst wird’s arg langweilig. Und ein Fehler... kann natürlich immer passieren.«

Es war ihm deutlich anzumerken, dass ihm die Richtung unserer Unterhaltung gar nicht behagte. Betont beiläufig fragte ich: »Darf ich Ihnen etwas bestellen? Falls wir Anna erwischen.« Und dann fiel mir ein kleines Experiment ein. Es gab eine schlichte Erklärung für seine defensive Haltung und für die Reisegesellschaft mit dem Schuldkomplex. Ich fuhr fort: »Sie können Ihre Kunden noch so sorgfältig aussuchen, manchmal werden Sie bestimmt ein paar recht seltsame Typen dabei haben. Wenn nun jemand zufällig Zollbeamter wäre?«

Die erwartete Reaktion trat auf der Stelle ein. Sein Blick wurde eisig und hart. »Soll das ein Witz sein, Herr Sckell?« Es kostete ihn einige Mühe, wieder den liebenswürdigen Mann nach außen zu kehren. »Warum soll ich es Ihnen nicht sagen, Sie würden es ja doch von irgendjemandem erfahren: Wir haben eine Frau dabei, die ist nicht ganz richtig im Kopf – danke.« Dann kam er auf meine erste Frage zurück: »Ich trinke nichts, ich habe schon an der Bar etwas gehabt.« Er wandte sich zum Gehen, fügte aber noch hinzu: »Max Wieser hat mir erzählt, dass Sie früher schon hier waren. Sie kennen sich hier aus.« Er schien sich zu überlegen, ob er seine Gedanken laut aussprechen sollte. »Ich brauche Ihnen also nicht zu sagen, dass es hier in der Umgebung ein paar recht gefährliche Stellen gibt.«

»Machen Sie sich um uns keine Sorgen«, antwortete ich so freundlich wie möglich.

»Verzeihen Sie, ich hätte das vielleicht nicht sagen sollen, aber Max hat mir gerade erzählt, dass Sie ein bisschen der Typ des Abenteurers sind und vielleicht auf eigene Faust losgehen könnten.«

Elisabeth murmelte: »Gedeon riskiert nie etwas.«

Er lachte wieder, aber diesmal klang es ziemlich ungemütlich. »Glauben Sie mir, das ist auch das beste. Sie nehmen’s mir nicht übel, okay? Wir sehen uns noch.«

Er kehrte wieder zurück an die Bar und beachtete dabei de Groot nicht. Hinter seinem freundlichen Benehmen verbarg sich eine ungewöhnliche Unverschämtheit. Diese letzten Worte von ihm waren ganz unmissverständlich eine Drohung. Er hatte etwas Bestimmtes im Sinn, und das hatte, zumindest teilweise, mit Elisabeths und meinem Aufenthalt hier zu tun. Schade, dass er mir keine Zeit gelassen hatte, es ihm zu erklären: Wir hatten hier rein gar nichts vor, wir waren nicht an ihm interessiert.

Elisabeth fragte: »Gedeon, hast du nicht auch das Gefühl, dass hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht?«

»Das spürt man doch bis ans andere Ende der Stadt, das ganze Gebäude zittert förmlich vor Spannung.«

»Ich meine, unter der Oberfläche brodelt es mächtig...«

»Vermutlich ein Bergrutsch; es könnte auch durchaus sein, dass der Dicke da ein Erdbeben auslöst.«

Sie beobachtete de Groot nachdenklich und murmelte: »Es ist wirklich sehr seltsam.«

Die Kellnerin servierte ihm gerade eine halbe Flasche Sekt. Daran fand ich nun gar nichts seltsam, das war sogar ziemlich zurückhaltend. Aber Elisabeth meinte: »Ich glaube nicht, dass wir uns da werden heraushalten können, das gelingt uns nie und nimmer.«

»Diesmal schon.« Dem Nachdruck in meine Stimme traute ich selbst nicht. »Jetzt gehen wir zu Fuß in unser Hotel zurück, das wird uns abkühlen. Und dann gehen wir ins Bett.«

»Ja«, sagte sie gefügig. Ich glaubte schon, damit wäre die Sache erledigt.

Ich hätte es besser wissen müssen.

 

Draußen war es sehr still und kalt. In Garmisch leuchteten noch warm ein paar Lichter aus den Fenstern, aber die geschnitzten Holzbalkons und Lüftlmalereien der Gebäude mit ihren weit vorspringenden Dächern unter mächtigen Schneemützen ragten neben uns auf wie Gebilde aus Grimms Märchen. Es roch nach brennendem Holz und Kuhställen, bis wir den festgetretenen Pfad quer über die breite Wiese erreichten, der zum Hotel Königsspitze führte. Es war eine kristallklare Nacht, in der frostig die Sterne vom Himmel blinkten.

Aber Elisabeth hatte keinen Sinn für Poesie. Als wir in den Pfad einbogen, wo sich beiderseits die Schneewälle türmten und rechts unten der Fluss Partnach unter seinem Eispanzer rauschte, gab sie zu bedenken: »Irgendetwas an der Reisegesellschaft ist sehr seltsam.«

»Nun, mein Liebling, das ist ganz einfach«, erklärte ich ihr. »Unser lieber Staat erlaubt seinen ehrlichen Bürgern nicht, ihr Geld so auszugeben, wie sie es möchten. Es gibt die hübsche Einrichtung der Devisenzuteilung. Hier haben wir es mit einer Gesellschaft von offenbar wohlhabenden Leuten zu tun, die in einem recht teuren Hotel wohnen. Legal können sie das kaum. Der ehrenwerte Day-Armstrong treibt in aller Stille eine kleine Devisenschieberei. Meinetwegen soll er das tun.«

»Glaubst du wirklich, dass nicht mehr dahintersteckt?«

»Ich bin ganz sicher. Wenn sich die Gelegenheit bietet, kannst du ihm ja sagen, dass ich an einen netten Herrn aus Österreich zwei Bilder verkauft habe und dass dieser mich freundlicherweise in Mark bezahlt hat. Und sag ihm auch, dass dein Bruder Ludwig nachts keinen Schlaf findet, weil er sich überlegt, wie er Leute wie uns unter die Guillotine bringen kann.«

Sie musste immer lachen, wenn ich gegen ihren ziemlich pingeligen Bruder einen Seitenhieb austeilte, aber dann fuhr sie fort: »Eine Kleinigkeit hast du vergessen: Den Ärger, den es letztes Jahr in Frankreich gegeben hat. Das hat in allen Zeitungen gestanden. Als wir heirateten, kamen Dutzende von Fotografen. Day-Armstrong und de Groot könnten leicht etwas über unsere anrüchige Vergangenheit erfahren haben.« Sie kicherte leise vor sich hin. »Sie könnten glauben, dass wir sozusagen geschäftlich hier sind.«

»Da siehst du mal wieder, wie einen der schlechte Ruf auf Schritt und Tritt verfolgt«, seufzte ich ein wenig zu theatralisch. »Sag ihm, dass wir diesmal gar nichts mit der Polizei zu tun haben.«

Wir überquerten die Straße und begannen den Privatweg zum Hotel hinaufzusteigen. Er führte über flache Stufen und zahlreiche Windungen durch einen kleinen Wald in die Höhe. Rechts unter uns lief ein gerader und nicht so steiler Weg zwischen verschneiten Bäumchen und Wiesenbuckeln dahin. Alles ringsum war dunkel und scheinbar menschenleer. Aber plötzlich durchbrach die Stille ein hoher, schriller Schrei, der irgendwo von dort unten kam. Er hörte sich ebenso überrascht wie entsetzt an und schien zwischen den Bäumen ein Echo hervorzurufen.

Danach vernahmen wir das unverwechselbare Geräusch rasch dahingleitender Skier. Wir blieben stehen und sahen auf den unteren Pfad hinunter. Ein undeutlicher Schatten huschte vorüber, dann verklang das Geräusch auf der Straße.

Als ein zweiter schwacher Ruf folgte, machten wir kehrt und rannten auf die Stelle zu, wo ein paar hölzerne Stufen hinunterführten. Dort sahen wir eine seltsame schwarze Gestalt wie eine riesige Fledermaus auf dem weißen Boden liegen. Als wir darauf zuliefen, richtete sie sich mühsam auf, kippte aber wieder um.

Aus der Nähe sahen wir dann einen schwarzen Pelzmantel und schwarze Skihosen, Hände in dunklen Handschuhen und ein blasses Gesicht auf dem Schnee. Eine Frau richtete sich auf die Knie auf  und starrte entsetzt zu uns empor. Dann sagte sie: »Sie sind wenigstens real.« Sie zitterte.

»Sogar ausgesprochen real«, bestätigte ich. »Kann ich Ihnen helfen?«

»Wer sind Sie?«, fragte sie und sah Elisabeth an. »Oh, einen Augenblick, Sie sind doch das hübsche Fräulein mit dem Après-Ski-Anzug aus Goldlamé. Ich habe Sie gestern Nacht gesehen...«

»Gedeon und Elisabeth Sckell«, stellte uns Elisabeth vor. »Fräulein Bailey?«

Das musste ja so kommen. Wir können dem Ärger nie ausweichen. Wer sonst hätte es sein sollen als ausgerechnet Fräulein Bailey?

»Was ist denn geschehen?«, fragte Elisabeth. »Sind Sie ausgerutscht?«

Die Kälte war derart durchdringend, dass man beinahe den Frost klirren hörte. Deshalb schlug ich vor: »Gehen wir ins Hotel.« Wir stützten Fräulein Bailey von beiden Seiten.

»Sie werden es nicht glauben«, keuchte sie. Plötzlich klang verzweifelte Wut aus ihrer Stimme. »Oder glauben Sie vielleicht, dass es so etwas wie einen unsichtbaren Skifahrer geben kann?«

»Durchaus nicht«, antwortete ich. »Auf gar keinen Fall.«

Sie versuchte zu lachen. »Sehr vernünftig! Ich glaub’s nämlich auch nicht. Aber wenn man etwas hört und wenn etwas an einem vorbeiflitzt, wovon man weiß, dass es eigentlich nicht existieren kann – was würden Sie dann sagen?«

»Das Licht ist sehr trügerisch«, erklärte ich. »Der Schnee schimmert, er rieselt von den Bäumen herab. Wenn irgendein Idiot diesen Pfad hinunterfährt, dann haben Sie ihn vielleicht erst im allerletzten Augenblick gesehen.«

»Sie sind so sachlich«, Fräulein Bailey fest. »Das ist erfrischend, nach...« Sie brach ab und fuhr dann fort: »Ich ging den Pfad entlang, und zwar ziemlich langsam, weil ich über Verschiedenes nachdenken musste. Dann hörte ich hinter mir ganz deutlich das Geräusch von Skiern, das rasch näher kam. Ich dachte noch: Das muss ein Verrückter sein – bei dieser Beleuchtung! Ich blieb stehen und sah mich um. Aber da war nichts.«

»Überhaupt nichts?«, fragte Elisabeth.

»Ich weiß nicht.« Ihre Stimme wurde wieder schrill. Sie holte tief Luft. »Nur ein Eindruck, das war alles. Es ging so furchtbar schnell. Etwas raste an mir vorüber. Es war eine Bewegung, wissen Sie, keine bestimmte Gestalt. Ich trat zurück und stürzte. Danach – ich weiß es nicht«, wiederholte sie. »Ich muss wohl ganz benommen gewesen sein, bis Sie kamen. Es war ein schönes Gefühl, wieder richtige, wirkliche Menschen zu sehen.«

Elisabeth warf mir einen Seitenblick zu. Ich schüttelte den Kopf. Im Augenblick war es besser, wenn wir nicht über unsere eigenen Einbildungen sprachen.

Wir erreichten die Terrasse vor den Glastüren des Hotels und traten in das helle Licht der Lampen am Vordach. Hier wirkte alles solide und einladend, und durch die dünnen Vorhänge der Fenster sahen wir die Leute im großen Saal tanzen. Aber am Fenster daneben, das zur Bar gehörte, sah ich die Silhouette einer massigen Gestalt, die zu uns herausblickte. Das Licht hinter dem Mann warf einen langen, schwarzen Schatten über den Schnee, und als die Frau an meiner Seite ihn erblickte, zuckte unwillkürlich ihre Hand unter meinem Arm.

»Fräulein Bailey«, erkundigte ich mich, »als Sie vorher hierherkamen – war da sonst niemand? Haben Sie sonst niemanden gesehen?«

»Dieser schreckliche Mann...« Sie holte wieder tief Luft. »Herr Todenwart, er war da drüben beim Sommerhaus. Neben dem Gebüsch stand ein hübscher kleiner Pavillon im Landhausstil. Ich glaubte zuerst, dass er sich mit jemandem unterhielt, aber dann drehte er sich um und sah mir nach. Selbst aus der Entfernung sah ich noch das Licht auf seiner Brille blitzen. Es war schrecklich.« Sie unterbrach sich, dann fuhr sie hastig fort: »Entschuldigen Sie, ich rede wirres Zeug. Bitte, ich möchte nicht, dass Sie beide wie eine Eskorte wirken, wenn wir jetzt hineingehen. Wirklich, es geht mir schon wieder ganz gut.«

Erst in der Bar hatten wir Gelegenheit, sie richtig anzusehen. Sie sah wirklich nicht wie jemand aus, dem man einen Mord zutrauen könnte. Sie war ein wenig blass, als hätte sie zu viel Zeit in künstlichem Licht zugebracht, sie hatte kurzsichtige Augen und einen breiten Mund, eine unordentliche Frisur und teure Kleidung, die ihr aber nicht besonders gut stand: schwarze Samthose und stumpfgrüner Pullover. Sie wirkte wie eine halbwegs erfolgreiche Geschäftsfrau von etwa fünfunddreißig Jahren. In einer größeren Gruppe wäre sie nie aufgefallen. Hätte man sie bei einer Party getroffen, so wäre es wohl interessant gewesen, sich mit ihr zu unterhalten, aber am nächsten Tag hätte man vermutlich schon wieder ihren Namen vergessen. Durch die ausgestandene Angst und innere Spannung sah sie mit der seltsamen Mischung von Verwirrung und Zorn auf ihrem Gesicht beinahe aus, als sei sie sich selbst fremd geworden.

»Sind Sie beide gute Skifahrer?«, fragte sie plötzlich.

Das klang im ersten Moment, als hätte es etwas Besonderes zu bedeuten. In ihrer Stimme schwang ein drängendes Interesse mit, aber dann geschah etwas Überraschendes und sehr Bestürzendes: Der massige Mann, der uns offenbar durch das Fenster beobachtet hatte, als wir über die Terrasse kamen, ging hinüber zur Bar. Er trug ein affiges, pflaumenfarbenes Dinnerjackett aus Samt, eine Fliege und ein zerknittertes Hemd. Er hatte ein rundes Babygesicht, eine hochgewölbte Stirn und kreisrunde Brillengläser, darüber schütteres Haar, das wie kindlicher Flaum aussah, und einen kleinen rosa Mund mit vollen, schmollenden Lippen. Er bestellte etwas, drehte sich dann zu uns um und verbeugte sich, während er einen abschätzenden Blick auf Elisabeth warf und dann Fräulein Bailey ansah.

---ENDE DER LESEPROBE---