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Joachim Molthagen zeigt an Texten auf den ersten Seiten der Bibel, dass Grundfragen des Glaubens auch für uns heute erhellende Antworten bekommen können. Fachlich versiert, aber nicht akademisch ermüdend, erschließt er interessierten Zuhörern bzw. Lesern uralte Texte mit Gewinn für den eigenen Glauben. Dabei bezieht er Einsichten aus der wissenschaftlichen Forschung an den Texten mit ein und löst so manches Missverständnis heutiger Leser auf. Die Texte sind von J. Molthagen autorisierte Abschriften seiner Vorträge. Daher ist sein angenehmer Vortragsstil erhalten geblieben und insgesamt die Atmosphäre der Veranstaltungsreihe nachvollziehbar.
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Seitenzahl: 209
Veröffentlichungsjahr: 2022
Professor Dr. Joachim Molthagen1941 geboren in Oldenburg (Oldb.); Studium: Geschichte, Evangelische Theologie und Latein in Hamburg und Heidelberg; Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien in Hamburg (Fächer: Geschichte und Religion); Promotion an der Universität Hamburg (Hauptfach: Alte Geschichte); ab 1969 Lehr- und Forschungstätigkeit am Seminar für Alte Geschichte der Universität Hamburg; 1982 bis 2005 als Professor.
Joachim Molthagen ist seit 1964 verheiratet mit Edeltraud und hat drei Kinder. Er ist Mitglied in der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Hamburg-Hamm.
Wichtigste Forschungsfelder: Römische Republik, frühes Christentum im Verhältnis zu Staat und Gesellschaft der römischen Kaiserzeit (besonders in neutestamentlicher Zeit).
HinweiseDie nachfolgenden Texte sind Abschriften der Tonaufnahmen, die von den Veranstaltungen mitgeschnitten wurden. Dadurch ist der Redecharakter in den Texten deutlich spürbar. Die Aufnahme der zweiten Veranstaltung (zu 1. Mose 2) war missglückt, deshalb ist der Vortrag von Joachim Molthagen nachträglich schriftlich ausgearbeitet worden und hier eingefügt.
Den Teilnehmern der Veranstaltungen lagen ausgedruckte Bibeltexte der Zürcher Übersetzung vor, wie sie auch vom Referenten benutzt wurde (siehe Lesungen und Zitate in den Vortragstexten).
Das Copyright liegt allein beim Referenten, der diese Textfassung ausdrücklich genehmigt hat.Peter Muttersbach, Herausgeber
Vorwort
Die Veranstaltungsfolge, die Themen und Texte
Dienstag, 14. März 2006, 19:30 Uhr:
Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde Schöpfungsglaube und Wissenschaft
(1. Mose 1,1–2,4a)
Mittwoch, 15. März, 19:30 Uhr:
Als Gott der Herr Himmel und Erde machte Eine ältere Erzählung von Gottes Schöpfung
(1. Mose 2,4b–25)
Donnerstag, 16. März, 19:30 Uhr:
Leben aus eigener Kraft gestalten Die Geschichte vom Sündenfall
(1. Mose 3,1–24)
Freitag, 17. März, 19:30 Uhr:
Was Menschen einander antun Kain und Abel
(1. Mose 4,1–16)
Samstag, 18. März, 15:30 Uhr (Bibelnachmittag):
Gott und das Unheil in der Welt Die Sintflut
(1. Mose 6,5–8,22)
Sonntag, 19. März, 10:00 Uhr (Gottesdienst):
Der Turmbau zu Babel
(1. Mose 11,1–9)
Anhang
(Gilgaesch-Epos (Auszug)
Jahwist und Priesterschrift zur Sintflut
(nach G. v. Rad)
Gerne erinnere ich mich an die inzwischen lange zurückliegenden Bibeltage in Schöningen und danke der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde noch einmal für die Einladung und für das aufgeschlossene Mitgehen bei den damaligen Referaten. Mein besonderer Dank gilt Peter Muttersbach, der mit der Bitte an mich herantrat, die Vorträge einem weiteren Leserkreis zugänglich zu machen, und der die Publikation durch Verschriftlichung meiner auf Tonträgern festgehaltenen Ausführungen möglich machte. Natürlich waren sie für die Veröffentlichung ein wenig zu überarbeiten, aber der Charakter des mündlichen Vortrages wurde beibehalten.
Inhaltlich haben sich mir die behandelten Bibeltexte vor allem erschlossen durch die Auslegung, die Gerhard von Rad in seinem Kommentar zum ersten Buch Mose vorgelegt hat. (Das Alte Testament Deutsch, Teilbände 3-4, ich nutzte die 6. Auflage, Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht 1961). Seinen Beobachtungen und Ergebnissen bin ich durchgehend in hohem Maße verpflichtet. Darüber hinaus hatte ich als junger Student im Sommersemester 1963 in Heidelberg Gelegenheit, Gerhard von Rad persönlich kennenzulernen durch Besuch seiner Vorlesung, die wiederum das 1. Buch Mose behandelte. Diese Begegnung hat mich bleibend geprägt. Ich bin dankbar, Gerd von Rad zu meinen akademischen Lehrern zählen zu dürfen.
Für die Auslegung der Bibeltexte kann ich also keine Originalität beanspruchen. Meine Aufgabe sah und sehe ich darin, wissenschaftliche Bibelauslegung in das (evangelisch-freikirchliche) Gemeindeleben zu vermitteln und dafür fruchtbar zu machen. Wenn das seinerzeit durch die Vorträge in Schöningen geschehen ist und nunmehr durch ihre Veröffentlichung erreicht wird, haben sie ihren Zweck erfüllt.
Hamburg, im Oktober 2022
Joachim Molthagen
Dienstag, 14.03.20061. Abend der Bibeltage
Danke für das herzliche Willkommen hier in Schöningen. Gerne bin ich wiedergekommen. Ich erinnere mich noch, das ist noch nicht mal zwei Jahre her, dass ich die Gemeinde hier und viele von Ihnen kennengelernt habe. „Bibeltage“ steht über der Veranstaltungsreihe und darum geht es. Es geht nicht um systematische Vorträge, sondern dazu sind diese Abende eine Einladung, dass wir miteinander in der Bibel lesen, aus den ersten Kapiteln des ersten Buches im Alten Testament. Und das Ganze steht unter dem Stichwort „Grundeinsichten des Glaubens“, warum, das werden wir heute bei unserm ersten Text sicher schon ein bisschen nachvollziehen können. Über die Bibel reden sollte man erst, nachdem man sie selbst hat zu Wort kommen lassen. Und von daher bin ich sehr dankbar, dass es möglich war, uns die Texte, die wir an diesen Abenden miteinander bedenken wollen, dann auch in die Hand zu geben. Sie haben vor sich in der Zürcher Übersetzung die Kapitel, die von heute an bis zum Predigtext am Sonntag hier von uns bedacht werden wollen. Ich habe ein anderes kopiertes Blatt, aber aus derselben Zürcher Übersetzung. Ich möchte den Text lesen. Wenn ich an zwei Stellen ein bisschen davon abweiche, dann hängt das mit verschiedenen Möglichkeiten den Urtext zu deuten und zu übersetzen, zusammen.
Ich möchte uns diesen Text noch einmal lesen, auch wenn die meisten von Ihnen ihn sicher nicht zum ersten Mal mitbekommen und ich würde mich freuen, wenn Sie dabei überlegen: Wie wirkt dieser Text auf mich und wie verhält er sich zu dem, was ich in der Zeitung lese und was ich so alltäglich von der Welt denke?
1 Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. 2 Die Erde war aber wüst und öde und Finsternis lag auf der Urflut und der Geist Gottes schwebte über den Wassern.
3 Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. 4 Und Gott sah, dass das Licht gut war, und Gott schied das Licht von der Finsternis. 5 Und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Und es ward Abend und ward Morgen: ein erster Tag.
6 Und Gott sprach: Es werde eine Feste inmitten der Wasser und sie scheide die Wässer voneinander! Und es geschah also. 7 Gott machte die Feste und schied die Wasser unter der Feste von den Wassern über der Feste. 8 Und Gott nannte die Feste Himmel. Und es ward Abend und ward Morgen: ein zweiter Tag.
9 Und Gott sprach: Das Wasser unter dem Himmel sammle sich an einen Ort, dass das Trockene sichtbar werde! Und es geschah also. 10 Und Gott nannte das Trockene Land und die Ansammlung der Wasser nannte er Meer. Und Gott sah, dass es gut war.
11 Und Gott sprach: Die Erde lasse sprossen junges Grün: Kraut, das Samen trägt, und Fruchtbäume, die nach ihrer Art Früchte tragen auf der Erde, in denen ihr Same ist! Und es geschah also. 12 Die Erde ließ sprossen junges Grün: Kraut, das Samen trägt nach seiner Art, und Bäume, die Früchte tragen, in denen ihr Same ist, je nach ihrer Art. Und Gott sah, dass es gut war. 13 Und es ward Abend und ward Morgen: ein dritter Tag.
14 Und Gott sprach: Es sollen Lichter werden an der Feste des Himmels, Tag und Nacht zu scheiden, und sie sollen als Zeichen dienen und zur Bestimmung von Zeiten, Tagen und Jahren, 15 und sie seien Lichter an der Feste des Himmels, dass sie auf die Erde leuchten! Und es geschah also. 16 Gott machte die zwei grossen Lichter: das größere Licht, dass es den Tag beherrsche, und das kleinere Licht, dass es die Nacht beherrsche, dazu auch die Sterne. 17 Und Gott setzte sie an die Feste des Himmels, dass sie auf die Erde leuchten 18 und Tag und Nacht beherrschen und Licht und Finsternis scheiden. Und Gott sah, dass es gut war. 19 Und es ward Abend und ward Morgen: ein vierter Tag.
20 Und Gott sprach: Es wimmle das Wasser von lebenden Wesen und Vögel sollen fliegen über der Erde an der Feste des Himmels! Und es geschah also. 21 Gott schuf die grossen Seetiere und alles, was da lebt und webt, wovon das Wasser wimmelt, und alle geflügelten Tiere, ein jegliches nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war. 22 Und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Wasser des Meeres und die Vögel sollen sich mehren auf der Erde! 23 Und es ward Abend und ward Morgen: ein fünfter Tag.
24 Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebende Wesen: Vieh, kriechende Tiere und Wild des Feldes, ein jegliches nach seiner Art! Und es geschah also. 25 Gott machte alle die verschiedenen Arten des Wildes und des Viehs und alles dessen, was auf dem Erdboden kriecht. Und Gott sah, dass es gut war.
26 Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen nach unserm Bilde, uns ähnlich; die sollen herrschen über die Fische im Meer und die Vögel des Himmels, über das Vieh und alles Wild des Feldes und über alles Kriechende, das auf der Erde sich regt. 27 Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie. 28 Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und die Vögel des Himmels, über das Vieh und alle Tiere, die auf der Erde sich regen!
29 Und Gott sprach: Siehe, ich gebe euch alles Kraut; das Samen trägt, auf der ganzen Erde und alle Bäume, an denen samenhaltige Früchte sind; das soll eure Speise sein. 30 Aber allen Tieren der Erde und allen Vögeln des Himmels und allem, was sich regt auf der Erde, was Lebensodem in sich hat, gebe ich alles Gras und Kraut zur Nahrung. Und es geschah also.
31 Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte und siehe, es war sehr gut. Und es ward Abend und ward Morgen: der sechste Tag.
Kap 2,1 Also wurden vollendet der Himmel und die Erde mit ihrem ganzen Heer. 2 Und Gott vollendete am siebenten Tage sein Werk, das er gemacht hatte und ruhte am siebenten Tage von all seinem Werke, das er gemacht hatte. 3 Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn; denn an ihm hat Gott geruht von all seinem Werke, das er geschaffen und vollbracht hat. 4a Dies ist die Entstehung des Himmels und der Erde, als sie geschaffen wurden.
Die Zeit reicht jetzt nicht für eine Umfrage und keine Angst, ich mache keine. Aber wenn wir jetzt alle sagen sollten, was wir von diesem Text halten, dann könnte ich mir vorstellen, dass wir auch in unserer Runde ganz schnell zwei große Gruppen haben.
Einige würden wohl etwas ratlos mit der Achsel zucken und fragen: Ich weiß nicht recht, was ich mit einem solchen Text schon anfangen soll. Mutigere würden sagen: Nein, der Text geht uns heute nichts mehr an. Der ist veraltet. Vielleicht ganz schön anzuhören und vorzulesen, aber so kann man sich die Erde doch nicht mehr vorstellen. Unserm Text sieht man doch zu deutlich ein veraltetes Weltbild und veraltete Vorstellungen von der Entstehung unserer Welt an. Die neuzeitlichen Naturwissenschaften haben zu anderen Ergebnissen geführt. Sie geben genauer und zuverlässiger Auskunft über die Gestalt und Entstehung unserer Welt. Wer will sich denn heute noch die Erde als eine Scheibe vorstellen? Sie alle ganz sicher nicht. Wer will sich den Himmel als eine feste Halbkugel, die fest über unserer Erdscheibe angebracht ist, denken? Dann wäre Raumfahrt schlicht nicht möglich. Wir alle leben aber damit, dass wir uns auf einem kugelartigen Planeten innerhalb eines großen Weltalls befinden.
Wir haben mit guten Gründen völlig andere Vorstellungen vom Universum, vom Weltall, als dieser unser Text von Himmel und Erde sie entwirft. Und wer von uns soll bitte glauben, diese unsere Erde, diese unsere Welt, in der wir leben, sei in einer Woche, in sieben Tagen gleich sieben mal 24 Stunden geschaffen worden? Die Naturwissenschaften haben doch zunächst einmal sehr respektable Indizien zutage gefördert, die Anlass geben, sich die Entstehung der Welt in einem unendlich viel längeren Zeitraum vorzustellen. Die Naturwissenschaftler sprechen von Millionen von Jahren. So viel kann ich als Althistoriker gar nicht denken. Wenn wir viele Jahrhunderte vor und nach Christus haben, ist das schon viel. Aber Jahrmillionen, das kann ich mir gar nicht so richtig vorstellen. Immerhin als Nicht-Naturwissenschaftler nehme ich zur Kenntnis, dass die Naturwissenschaften respektable Gesichtspunkte entdeckt haben, die uns Anlass geben, an einen so unendlich langen Entstehungsprozess unserer Welt zu denken. Überhaupt reden die Naturwissenschaften von Entwicklung und nicht von Schöpfung. Dieser Text ist veraltet, er hat eine veraltete Vorstellung von der Welt, von der Gestalt und der Entstehung der Welt. So würden die einen sagen, jedenfalls wenn sie ehrlich sind und zu äußern wagen, was sie denn so bei diesem Text empfinden.
Andere würden wohl sagen: Nein, was die Wissenschaft sagt, ist für uns nicht maßgeblich. Vergiss bitte nicht, lieber Referent, wo du bist. Du befindest dich in einer Kirche und hier wissen wir was Sache ist. Nicht die Wissenschaften zählen, sondern bitte sehr doch immer noch Gottes Wort und gerade wenn Du zu Bibeltagen einlädst, dann solltest du doch bitte auch Respekt vor dem Wort Gottes mitbringen. Was die Wissenschaften sagen, ist für uns nicht maßgeblich. Solche Leute würden dann vielleicht mit sehr viel Eifer und mit unendlich viel menschlichem Scharfsinn, vor dem man Achtung haben kann, den Buchstaben unseres Textes verteidigen und die Naturwissenschaften im Besonderen, vielleicht sogar die Wissenschaften im allgemeinen verwerfen. Ich vermute aber, diese andere Gruppe würde sagen: Ich kenne auch ein paar Wissenschaftler, die trauen sich zu, genau das zu beweisen, was hier in unserem Text steht. Und damit hängen sie doch wieder irgendwo an der Wissenschaft und meinen, die Wissenschaft sei doch die Instanz, die uns hier die eigentliche Bestätigung der Bibel erst mal geben muss. Das ist keine besondere Wertschätzung der Bibel, wenn die ihre Bestätigung erst von anderer Seite haben muss.
Damit wir uns nicht missverstehen: Auf die Bibel zu achten, die Bibel zu ehren, sie sehr gründlich zu lesen und zu bedenken, das halte ich für lebenswichtig. Und deshalb bin ich so gerne hierhergekommen und gehe auch in andere Gemeinden und in meine eigene Gemeinde und rege an, die Bibel zu lesen. Ich tue es selbst sehr gerne und lade andere dazu ein. Da liegt der Fehler nicht. Sich an die Bibel zu halten und bewusst wahrzunehmen, was da steht, das ist das A und O des Bibellesens. Dazu kann ich nur einladen. Nur so wie ich die zweite Gruppe dargestellt habe, macht sie im Grunde denselben Fehler wie die erste Gruppe, die ich dargestellt habe. Beide Gruppen gehen davon aus, die Bibel ist das Lehrbuch für alle Wissensgebiete. Wo behauptet die Bibel das denn, bitteschön? Lesen Sie sie mal von vorne bis hinten durch. Diesen Anspruch stellt die Bibel nirgends. Die Bibel ist nicht das Lehrbuch für alle Wissensgebiete unserer Wissenschaften. Sie ist nicht das Lehrbuch für Physik, für Astronomie, für Biologie, für Geschichte und was weiß ich für sonst noch was. Die Bibel ist das gültige Zeugnis von Gott. Und sie informiert uns, was Gott uns zu sagen hat und wer wir vor Gott sind. Das ist eine ganz andere Mitte der biblischen Botschaft.
Von daher möchte ich uns einladen, auf die Bibel im Sinne ihres Zeugnisses zu achten, heute Abend im Blick auf das erste Kapitel unserer Bibel. Wenn wir so auf unseren Text als Wort Gottes hören wollen, dann müssen wir uns zu allererst die Eigenart unseres Textes deutlich machen. Und wenn wir den Inhalt unseres Textes zusammenfassen sollten, dann macht unser Text selbst uns das einfach. Der allererste Satz fasst nämlich schon alles zusammen, was das lange Kapitel, das ich verlesen habe, entfaltet. Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Davon handelt das ganze lange erste Kapitel in unserer Bibel. Das ist sachgemäß die Zusammenfassung seines ganzen Inhaltes. Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Das ist die Zusammenfassung und das ist die Überschrift unseres Textes. Und dieser Satz kann nicht in einem wissenschaftlichen Lehrbuch stehen. Dieser Satz ist von seiner Aussageform her eindeutig Bekenntnis, eindeutig Glaubenssatz. Und wenn das dann richtig ist, was ich hier behauptet habe und wovon ich überzeugt bin, dass dieser erste Satz unsern ganzen Text zusammenfasst, kann man das auch umgekehrt sagen. Unser ganzer langer Text entfaltet nur auf vielfältige Weise, was unser erster Satz programmatisch festhält: Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Und das heißt, unser ganzer Text entfaltet diesen Satz, der Bekenntnischarakter hat, der notwendig ein Glaubenssatz ist und nicht das Ergebnis irgendwelcher wissenschaftlicher Analysen. So müssen wir den Text ernst nehmen, wie er uns hier in der Bibel vorgegeben ist. Er ist Bekenntnis und er entfaltet faszinierend dieses Bekenntnis vielfältig.
Die Menschen, die dieses Bekenntnis, die dieses Zeugnis sagen und entfalten Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde, waren Menschen des alttestamentlichen Bundesvolkes. Und sie konnten auf eine lange Geschichte Gottes mit seinem Volk zurückblicken. Spezialisten, Alttestamentler, die einzelne Teile des Alten Testamentes genauer untersucht haben, haben gute Gründe dafür auf den Tisch gelegt, dass unser Text zu den jüngeren gehört. Er ist sicher erst nach der babylonischen Gefangenschaft Israels so formuliert worden, wie wir ihn heute in unserer Bibel vor uns haben. Die letzten Verfasser unseres Textes konnten also auf eine Jahrhunderte lange Geschichte Gottes mit seinem Volk zurückblicken. Gott hatte Abraham berufen. Gott hat sein Volk aus Ägypten befreit und am Schilfmeer gerettet. Gott hatte seinem Volk das verheißene Land gegeben und sich vielfältig seinem Volk gegenüber als der Herr erwiesen, der sein Volk durch die Geschichte führt und es immer wieder bewahrt, auch, wenn Gott manchmal mit seinem Volk Wege ging, die diesem Volk nicht gefielen und die es nicht verstand. Auf diesem langen Weg Gottes mit seinem Volk hat das alttestamentliche Israel Schritt um Schritt mehr begriffen: Dieser Gott, der unser Gott ist, ist zugleich der eine Gott, den es überhaupt gibt. Er ist der Herr der Welt. Und dieser Gott steht nicht nur am Anfang unserer Geschichte als das Volk Israel, sondern er steht überhaupt am Anfang der Welt. So als Ergebnis eines langen geistlichen Lernprozesses haben die Verfasser unseres Textes im alttestamentlichen Israel die Möglichkeit gewonnen, dieses gewaltige Bekenntnis zusammenzufassen und dann so zu entfalten, wie es das Kapitel uns nahe bringt: Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde.
Es bleibt richtig, dass unser Text sein Zeugnis von Gottes Schöpfung aussagt mit Vorstellungen von der Welt und ihrer Entstehung, wie sie nicht unseren heutigen entsprechen. Dafür ist unser Text, wenn er nach der babylonischen Gefangenschaft in der uns vorliegenden Gestalt aufgeschrieben wurde, ja auch über zweieinhalb Jahrtausende alt. Und jeder Wissenschaftler ist stolz auf den Fortschritt, den in seinem Fach die Wissenschaft bringt. Zweieinhalb Jahrtausende, sollte man sagen, da wollen wir doch mal hoffen, dass die Wissenschaft ein bisschen weitere Fortschritte gemacht hat. Unser Text, wenn er denn etwa zweieinhalb Jahrtausende alt ist, kann nicht auf dem wissenschaftlichen Stand heutiger Welterkenntnis stehen, sondern muss notwendig auf einem zweieinhalb Jahrtausende älteren Stand der damaligen wissenschaftlichen Welterkenntnis stehen. Und das macht unseren Text, den ersten Schöpfungsbericht, so geeignet, wenn es um die Frage nach dem Verhältnis vom biblischen Gottesglauben und Wissenschaft geht. Unser erster Schöpfungsbericht entfaltet das Zeugnis von Gottes Weltschöpfung, indem er ganz ungeniert und ganz unkompliziert richtig fröhlich den damals besten Stand der wissenschaftlichen Welterkenntnis zu Hilfe nimmt.
Dazu darf man sagen, dass unser Text von der Eigenart her zwar einen erzählenden Charakter hat, aber noch mehr Lehrcharakter. Und es ist eine Lehre, die getragen ist von der Anbetung Gottes. Das macht den Charakter dieses Textes aus. Unser Text enthält Priesterlehre und er ist auf einem langen Weg des Nachdenkens, des immer neuen Bedenkens und des immer neuen Formulierens gewachsen. Wenn man unseren Text sehr gründlich bedenkt, und ich lade Sie ein, es in den nächsten Wochen immer mal wieder zu tun, dann fällt Ihnen auf, unser Text ist in sehr verschiedener Weise gegliedert. Von sieben Tagen ist die Rede, aber wir haben acht Schöpfungswerke, die auf die ersten sechs Schöpfungstage verteilt sind. Der siebte Tag bringt ja mit der Ruhe Gottes von der Schöpfung den Abschluss des Ganzen. Sieben Tage, acht Schöpfungswerke, diese unterschiedlichen Gliederungsschemata weisen schon darauf hin, dass unser Text auf einem langen Weg des Nachdenkens und immer neuen Bearbeitens und Formulierens gewachsen ist.
Und vielleicht hatten Sie, als ich den Text las, auch den Eindruck, manchmal ist er auch langweilig. Man könnte ihn auch kürzen. Manches wird doch immer doppelt gesagt. Sie haben recht. Fast jedes Schöpfungswerk wird doppelt gesagt, darauf muss ich später noch zurückkommen. Und die Art, wie von Gottes Schöpfung die Rede ist, ist dabei sehr unterschiedlich. Zwei verschiedene Dinge, die dabei sofort ins Auge springen, möchte ich nur in Erinnerung rufen. Gott sprach und es geschah also. Das kommt x-mal vor in unserem Text. Und wiederholt heißt es auch: Gott machte.
Unterschiedliche Arten, wie hier von Gottes Schöpfung die Rede ist, deuten wieder darauf hin: Unser Text ist nicht in einer Generation und schon gar nicht als Schreibtischarbeit eines einzigen gelehrten Priesters gewachsen, sondern auf einem sehr langen Weg über viele Generationen und wahrscheinlich sogar über viele Jahrhunderte hinweg. Immer wieder ist der neueste Stand wissenschaftlicher Welterkenntnis aufgenommen. Das ist nun nicht mein berufliches Fach, das Alte Testament. Ich bin Althistoriker, da geht es um die alten Griechen und Römer. Ich lerne also gerne hier von den Alttestamentlern und Orientalisten. Und die können einem ganz schnell sagen: Vieles, was an Vorstellungen über die Gestalt und Entstehung der Welt im ersten Kapitel der Bibel vorkommt, das haben die alten Ägypter ganz ähnlich gesagt. Oder es gibt Anklänge an Texte, die wir aus dem alten Mesopotamien haben von den Sumerern oder den Babyloniern.
Das Wissen um die Gestalt und Entstehung der Welt, das in unseren Text eingegangen ist, ist nicht exklusiv im alttestamentlichen Israel gewachsen, sondern da hat Israel auch sehr häufig von den Nachbarvölkern gelernt, so wie wir von den Nachbarwissenschaften fröhlich lernen dürfen. Allerdings, wenn man dann die ägyptischen oder die mesopotamischen Texte mal mit unserem Text vergleicht, dann gibt es zwei Dinge, die bei Ägyptern und Babyloniern so gut wie immer vorkommen, jedenfalls entweder das eine oder das andere, die aber in unserem Text mit Bedacht fehlen. Ägypter und Babylonier haben sich die Weltentstehung immer wieder vorgestellt als das Ergebnis eines Kampfes mythischer Mächte, als eines Kampfes von Göttern im Besonderen. Noch die alten Griechen haben diese Vorstellungen übernommen. Und da reicht es bis in mein wissenschaftliches Fach hinein.
Und etwas anderes. Die Ägypter und die Völker im antiken Mesopotamien haben sehr häufig die Weltentstehung sich vorgestellt und dargestellt als eine Abfolge von Göttergeburten. Ich habe nie begriffen, wie das funktioniert gedanklich. Wieso denn, wenn Papa und Mama von Göttern Kinder kriegen, weshalb dann ein neues Stück Welt entstehen soll. Aber das war so die Art oder ein Schema, in dem bis hin in die griechisch-römische Dichtung die Weltentstehung dichterisch dargestellt wurde.
Götter kommen nicht vor in unserem Text. Es gibt nur einen Gott in unserem Text, der Himmel und Erde geschaffen hat. Wieder sagt das schon programmatisch unser erster Satz, auf den alles ankommt: Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Und das ist der Gott, den Israel als seinen Gott kennen gelernt hat. Wir würden sagen: Das ist der Vater unseres Herrn Jesus Christus.
Dass unser Text manche Vorstellungen von Gestalt und Entstehung der Welt enthält, die heute überholt sind, hatte ich wiederholt schon gesagt. Wenn man diesen Unterschied locker zur Kenntnis nimmt und wenn man dann das ist, was ich nicht bin, Naturwissenschaftler, dann kann man auch noch feststellen mit gewaltigem Staunen, dass unsere heutigen Naturwissenschaften zweieinhalb Jahrtausende später an manchen Punkten ganz ähnliche Akzente setzen wie unser Text. Ich war einmal eingeladen, nicht in einer christlichen Gemeinde, sondern im Rahmen einer entwicklungsbiologischen Vorlesung in der Universität Bielefeld diesen unseren Text von heute Abend auszulegen. Ich als Nicht-Biologe, das war eine gewaltige Herausforderung, aber ich habe sie gerne angenommen, denn ich bin nicht bereit außerhalb der Kirche anders über die Bibel zu reden als in der Kirche. Und diesen Umgang mit der Bibel empfehle ich allen anderen auch. Ich war nun der einzige Nicht-Biologe in dieser Runde, als ich da in Bielefeld diesen Text auszulegen hatte. Im Gespräch sagte dann die Professorin, die mich eingeladen hatte: „Sie haben immer betont, dass doch hoffentlich die Naturwissenschaften in vieler Hinsicht jetzt weitergekommen sind. Ich als Entwicklungsbiologin kann eigentlich nur staunen: Vieles was in meiner Vorlesung vorkommt, sieht hier in diesem Text ganz ähnlich aus.“ Sie hatte den vorher nicht so gründlich gelesen und staunte das eine ums andere Mal, wie aus ihren Augen gering der Unterschied war, zwischen dem, was sie als Stoff in ihren Vorlesungen vorbereitet hatte und den Akzenten, die in unserem Text vorkommen.
An einigen Stellen können wir das an Formulierungen unseres Textes deutlich nachvollziehen. Unser Text gliedert die Weltentstehung. Der erste Satz ist die Zusammenfassung. Die Entfaltung gliedert dann aber mehrere aufeinanderfolgende Schöpfungswerke. Die Entstehung der Welt, die Erschaffung der Welt durch Gott, so unser heutiger Text, ist nicht mit einem Mal entstanden durch einen Urknall oder was immer oder durch einen Satz Gottes, sondern Schritt für Schritt als Abfolge sehr unterschiedlicher Schöpfungswerke. „So sehen wir Entwicklungsbiologen die Entstehung der Welt bis heute auch“, meinte sie.
Etwas anderes: An drei Stellen, wenn es um Pflanzen, Fische und Vögel und Landtiere geht, dann betont unser Text: Gott schuf sie, ein jedes nach seiner Art.