Grundfragen theologischer Ethik - Stephan Ernst - E-Book

Grundfragen theologischer Ethik E-Book

Stephan Ernst

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Beschreibung

Welche Bedeutung hat der Glaube für ethisches Handeln?


Was kann und darf der Mensch? Was ist gut und richtig, was ist böse? Und vor allem: Woher nehmen wir die Orientierung, wenn es um solche Grundsatzfragen geht? Der Frage nach theologischen Begründungsmöglichkeiten von Normen und Werten geht dieses Buch fundiert, präzise argumentierend und zugleich gut lesbar nach.

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Inhaltsverzeichnis
 
Vorwort
EINLEITUNG
 
ERSTER TEIL - Wie sich ethisch gutes und schlechtes Handeln erkennen lässt
1. KAPITEL - Orientierung am Willen Gottes
1. Beispiele für eine Orientierung am Willen Gottes und Einwände der säkularen Vernunft
 
Copyright
VORWORT
»Die Renovierungsarbeiten am Gebäude der Moraltheologie nehmen offensichtlich kein Ende«, so beschrieb 1977 Franz Böckle zu Beginn seiner wegweisenden »Fundamentalmoral« die Situation der theologischen Ethik. An dieser Situation hat sich heute nach gut 30 Jahren nichts geändert. Im Gegenteil: Das Tempo, mit dem die Erneuerungsarbeiten notwendig werden, scheint sich eher zu erhöhen als zu verlangsamen. Diejenigen, die in den Schulen, in den Gemeinden, in klinischen Einrichtungen, Gremien, Unternehmen oder in anderen Zusammenhängen christliche Ethik zur Sprache bringen, weitergeben und vermitteln wollen, haben den Eindruck, dass der Graben, den sie dabei überbrücken müssen, immer tiefer und breiter wird.
So ist christliche Ethik einerseits bleibend der biblischen und moraltheologischen Tradition sowie der lehramtlichen Verkündigung verpflichtet. Andererseits wächst in unserer Gesellschaft, in der christliche Ethik ins Spiel gebracht werden soll, nicht nur die Pluralität der Überzeugungen, worin verantwortliches Handeln besteht, sondern zugleich auch die Überzeugung, dass Werte und Normen nicht objektiv feststehen, sondern wandelbar, relativ und plural sind. So sehr deshalb angesichts der Risiken des technischen Fortschritts und angesichts der Veränderungen unseres Zusammenlebens der Ruf nach Ethik und Verantwortung zunimmt, so sehr wächst zugleich die Vorstellung, dass sich in den entscheidenden Fragen nach dem, was verantwortlicherweise zu tun ist, kein Konsens erzielen lässt. Lediglich einige wenige Grundnormen, die letztlich im aufgeklärten Eigeninteresse der Mehrheit liegen, hätten noch die Chance, allgemeinverbindlich zu gelten und anerkannt zu sein. Alles andere wird in den Bereich der subjektiven Überzeugungen und der individuellen Lebensgestaltung verwiesen.
Theologische Ethik muss hier einen enormen Spagat leisten. Einerseits versteht sie sich nicht als ein nur für wenige einsichtiges und lebbares Sonder- oder Eliteethos im Konzert einer Vielfalt von Moralangeboten. Nach wie vor geht es ihr vielmehr um die universale Kommunikabilität und Verbindlichkeit ihrer Bewertungen und Handlungsoptionen nach außen. Andererseits sieht sie sich im Bereich der philosophischen Ethik einer Situation gegenüber, in der sie nicht nur zentrale Prinzipien der Tradition - etwa dass der gute Zweck nicht das ethisch schlechte Mittel heiligt - nicht mehr wahren kann, sondern in der überhaupt jede Vorgegebenheit und Erkennbarkeit des ethisch Richtigen und Falschen, des Erlaubten und Unerlaubten bestritten und Moralnormen lediglich auf einen faktischen Konsens der Gesellschaft zurückgeführt werden.
Innerhalb der theologischen Ethik wächst dabei zugleich das Unbehagen, dass sie sich selbst seit dem Zweiten Vatikanum immer mehr in philosophische oder säkulare Ethik aufgelöst und im Zuge dieser Selbstsäkularisierung ihr theologisches Profil verloren hat. Um dem entgegenzuwirken, wird versucht, den prophetischen Anspruch oder das spirituelle Fundament christlicher Ethik stärker zu betonen und herauszustellen. Allerdings gilt es - um der Kommunikabilität und damit um der Akzeptanz willen - sauber zu unterscheiden, worin der Beitrag des Glaubens zum verantwortlichen Handeln genau liegt, damit es nicht zu fundamentalistischen Schieflagen in der Begründung konkreter Normen oder zu einer rhetorisch aufgeladenen »Feuerwerkstheologie« kommt.
Der vorliegende Versuch einer theologischen Fundamentalethik möchte im Blick auf diese Situation einige Unterscheidungen hervorheben, die den notwendigen Brückenschlag zwischen Tradition und Gegenwart, Kirche und Gesellschaft, Theologie und Philosophie erleichtern können. Vieles darin verdankt sich der inspirierenden Theologie und Ethik meines Lehrers, Peter Knauer SJ.
Das Buch soll einen Leitfaden durch die zentralen Themen der theologischen Fundamentalethik an die Hand geben, der sich vor allem an Studierende, Lehrerinnen und Lehrer sowie hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pastoral, aber auch an alle an theologischer Ethik Interessierten wendet. Es bietet einen Grundriss, der selbstverständlich unvollständig bleiben muss und der Ergänzung und weiteren Vertiefung bedarf. Dazu werden im Anhang wenige, aber wichtige Hinweise auf weiterführende Literatur gegeben. Darüber hinaus wurde versucht, den Text verständlich und gut lesbar zu gestalten und von allzu vielen Fußnoten und Anmerkungen zu entlasten. Jedes Kapitel schließt mit zusammenfassenden Thesen, mit deren Hilfe man versuchen kann, das Gelesene noch einmal zu rekapitulieren. - Herrn Thomas Brandecker danke ich für viele fruchtbare und bereichernde Gespräche und seine Mitarbeit bei der Ausformulierung des Textes.
Stephan Ernst
EINLEITUNG
Aufgabe und Vorgehen der theologischen Fundamentalethik
Stellen Sie sich vor, Ihr Freund erzählt Ihnen, dass er kürzlich auf der Straße ein Portemonnaie mit 500 Euro, zwei Scheckkarten und einem Personalausweis gefunden habe. Er erzählt Ihnen weiter, er habe das Geld eingesteckt und den Rest am Fundort liegen gelassen. Von dem plötzlichen unerwarteten Reichtum wolle er sich einen lang gehegten Wunsch erfüllen, nämlich ein neues Fahrrad kaufen. Was werden Sie Ihrem Freund sagen? …
Möglicherweise billigen Sie sein Verhalten und denken, dass wahrscheinlich jeder andere - und wohl auch Sie selbst - genauso gehandelt hätte. Alles andere wäre dumm gewesen. Möglicherweise aber erinnern Sie Ihren Freund auch an die Existenz eines Fundbüros, an Fairness und Ehrlichkeit und daran, dass er selbst im umgekehrten Fall, wenn er also das Geld verloren hätte, wahrscheinlich auch froh wäre, wenn jemand ihm sein Portemonnaie zurückgeben würde. - Was auch immer Sie Ihrem Freund sagen werden, in jedem Fall wird deutlich: Wir Menschen handeln nicht nur; wir wissen auch um unser Handeln und bewerten es. Wir bewerten es als clever oder naiv, nützlich oder schädlich, erfolgreich oder erfolglos. Wir bewerten es aber auch nach den ethischen Kategorien von gut und böse, richtig und falsch, verantwortlich und unverantwortlich, erlaubt und unerlaubt. Viele Menschen bemühen sich auch bewusst, in ihrem Handeln nicht nur ausschließlich die eigenen Interessen und den eigenen Vorteil - auch auf Kosten anderer - zu verfolgen, sondern Solidarität, Fairness und Mitmenschlichkeit zu praktizieren, also verantwortlich und zum Wohl der Gemeinschaft zu handeln.

1. Der Ausgangspunkt: Moralische Überzeugungen und Normen

Moral/Ethos - faktisch gelebte Wertvorstellungen
Im Hintergrund solcher Bewertungen stehen meist bestimmte mehr oder weniger bewusste Wertvorstellungen und Überzeugungen, Ideale und Intuitionen von dem, was gut und verantwortlich ist, etwa: Ehrlichkeit, Fairness, Solidarität etc. Diese und viele andere Wertvorstellungen haben sich durch unsere Erziehung und Vorbilder, durch das gesellschaftliche Umfeld, durch Traditionen, Erfahrungen und Konventionen herausgebildet und sind damit beeinflusst von der jeweiligen gesellschaftlichen, kulturellen und geschichtlichen Situation, in der wir leben. Im Blick auf solche selbstverständlichen Wertvorstellungen, Überzeugungen und Intuitionen sprechen wir auch von Sitten, von der Moral oder auch vom Ethos, das jemanden in seinem alltäglichen Handeln leitet oder das in einer Gruppe oder auch in einer Gesellschaft herrscht. Von ihrer Wortbedeutung her jedenfalls meinen das griechische »éthos« und das lateinische »mos« (davon abgeleitet »Moral«) im Wesentlichen dasselbe, nämlich: Herkommen, Gewohnheit, Brauch, Sitte, Lebensart oder auch die gewohnte Denk- und Handlungsweise.1
Moralische Normen und ihre Funktion
Sitte, Moral und Ethos bestimmen aber nicht nur als selbstverständliche und unausgesprochene Überzeugungen faktisch unser Handeln, sie artikulieren sich auch ausdrücklich in bestimmten verpflichtenden Regeln. In dieser Form werden sie weitergegeben und für unser Handeln leitend. Sie äußern sich als Gebote und Verbote, Gesetze und Weisungen, Ratschläge und Empfehlungen. Sie äußern sich als Klugheitsregeln (»eine Hand wäscht die andere«, »Lügen haben kurze Beine«) oder als unbedingte Verpflichtungen (»Du sollst nicht stehlen!«, »Du sollst nicht lügen!«), als Konventionen (»Versprechen muss man halten!«, »Älteren Menschen muss man seinen Platz anbieten!«) oder auch als ausdrücklich formulierte Selbstverpflichtung z.B. im Standesethos der Ärzte (»keinen Schaden zufügen«; »kein tödliches Gift geben«) oder in den Moral-Codices von Ingenieuren und Technikern (»Sicherheit und Gesundheit nicht gefährden«; »nicht unwirtschaftlich handeln«). Generell lassen sich solche Regeln auch als moralische Normen bezeichnen. Es handelt sich um Sätze, die ein bestimmtes Handeln als gut und gesollt vorschreiben, um präskriptive Sätze also, an denen sich das Handeln der Menschen ausrichten soll.2 Sie erfüllen verschiedene wichtige Funktionen für den Menschen. Zum einen tragen sie dazu bei, das Zusammenleben der Menschen in einer Gesellschaft zu stabilisieren, indem sie das Verhalten der Einzelnen - im Sinne generalisierter Erwartungsmuster - vorhersehbar und beurteilbar machen.3 Zum anderen haben sie für den Einzelnen, weil sein Verhalten gesellschaftlich stabilisiert ist, identitätsfördernde und, weil er nicht mehr in jeder Lebenssituation neu entscheiden muss, was er tun soll, entlastende Bedeutung.4

2. Aufgabe der Ethik: Überprüfung und Begründung moralischer Überzeugungen und Normen

Immer wieder aber kommt es vor, dass solche gemeinsamen moralischen Überzeugungen und Normen in Frage gestellt werden und zerbrechen. Andere, möglicherweise sogar entgegengesetzte Überzeugungen tauchen auf, lösen die bisherigen Wertvorstellungen ab oder treten in Konkurrenz zu ihnen und führen Konflikte herbei. Ein bekanntes Beispiel dafür ist etwa der Wandel, der sich seit der Mitte des 20. Jahrhunderts in der Bewertung der Ehescheidung, des vorehelichen Sexualverkehrs, der Empfängnisverhütung und der Homosexualität vollzogen hat. Solche Veränderungen der bisher geltenden Moral- und Wertvorstellungen können ihren Grund im Wandel der gesellschaftlichen
Wandel und Konkurrenz von Wertvorstellungen
oder kulturellen Wirklichkeit haben, etwa im Wandel der Situation von Familien im Erwerbsleben. Aber auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse oder technische Möglichkeiten können bisher anerkannte Wertungen in Frage stellen. So hat der Fortschritt in der Intensivmedizin, durch die man das Leben auch von schwerstkranken Patienten über das Maß des anscheinend Sinnvollen hinaus verlängern kann, dazu geführt, dass die Frage, ob Ärzte den Sterbewunsch solcher Patienten auch durch aktive Tötung erfüllen dürfen, kontrovers diskutiert wird. Im Blick auf die Embryonenforschung stoßen die Überzeugung von der unbedingten Schutzwürdigkeit des frühen menschlichen Embryos einerseits und die Intuition einer Ethik des Heilens, die aber dazu frühe Embryonen zerstören muss, andererseits aufeinander. Dazu kommt die Pluralität von moralischen Wertvorstellungen und Überzeugungen, die mit der Globalisierung, mit dem Zusammenwachsen der Kulturen und mit der Begegnung der Religionen zunehmend aufeinander treffen und jeweils mit deutlichen Geltungsansprüchen auftreten.
Frage nach der Gültigkeit moralischer Überzeugungen
In solchen Situationen, in denen unterschiedliche moralische Überzeugungen aufeinandertreffen und bisher geltende Normen in Frage gestellt werden, in denen Zweifel auftauchen, was wirklich gut und verantwortlich ist, ist Ethik gefragt. In der Ethik nämlich geht es darum zu klären, welche Handlungsmöglichkeiten zu Recht und begründet und somit in Wahrheit als ethisch gut und verantwortlich gelten können. Darin unterscheidet sich die Ethik von bloßer Sittengeschichte oder auch von soziologischen Untersuchungen und Statistiken, die lediglich die faktisch gelebte Moral in einer Gesellschaft oder Kultur empirisch erheben und beschreiben, ohne aber zu einer wertenden oder vorschreibenden Aussage zu kommen.
Andererseits beansprucht die Ethik nicht, die ursprüngliche Quelle ethischer Erkenntnis und Handlungsorientierung zu sein. Sie erfindet nicht erst ethische Wertungen und Normen, sondern geht gerade davon aus, dass wir Menschen immer schon unser Handeln ethisch bewerten. Ihre Aufgabe besteht darin, die tatsächlich bereits vorhandenen moralischen Überzeugungen und Handlungsnormen sowie ihre Begründungen systematisch zu erheben und die Begründungen methodisch auf ihre Stichhaltigkeit und Tragfähigkeit hin zu überprüfen. Ethik hat so die Aufgabe der Reflexion dessen, was wir in der Praxis immer schon tun, um diese Praxis bewusster und besser gestalten zu können. Sie ist die Theorie moralischen Urteilens und Handelns.5 Ethik verhält sich zur faktisch gelebten Moral ungefähr so wie die Grammatik zur gesprochenen Sprache.6

3. Normative Ethik und Fundamentalethik: Begründung von Normen und von Normbegründungsverfahren

Die Überprüfung konkreter Handlungsnormen der gelebten Moral auf die Tragfähigkeit ihrer Begründung hin führt in vielen Fällen jedoch zu keinem Konsens. Es bleibt Uneinigkeit darüber bestehen, welche Handlungsoptionen wirklich begründeterweise als gut und verantwortlich gelten können. So scheint weder in Bezug auf die Embryonenforschung noch in der Frage der aktiven Sterbehilfe ein Konsens in der ethischen Bewertung absehbar zu sein. Ist dies aber der Fall, dann reicht es nicht mehr, die Begründungen für bestimmte Handlungsoptionen zu wiederholen oder zu verschärfen. Vielmehr stellt sich die Frage, wie man Handlungsnormen überhaupt als richtig erweisen kann. Soll man sich etwa allein an den Folgen des Handelns für das Allgemeinwohl orientieren oder an festen Prinzipien, soll man sich auf sein eigenes Gefühl verlassen oder auf eine fremde Autorität? Der Diskurs bezieht sich dann nicht mehr darauf, ob sich bestimmte Handlungsnormen als begründet erweisen lassen, sondern auf die methodische Frage, wie man überhaupt ethische Normen begründen kann. Nicht mehr die Begründung konkreter Einzelnormen steht zur Debatte, sondern die Begründung des jeweiligen Normbegründungsverfahrens. Es ist zu klären, welches Verfahren das angemessene und richtige ist.
Auch dies zu klären ist Aufgabe der Ethik. Die Aufgabe, einzelne konkrete Handlungsnormen zu erarbeiten und zu begründen, lässt sich der normativen Ethik bzw. der Speziellen oder Angewandten Ethik zuweisen.
Frage nach der Angemessenheit von Normbegründungsverfahren
Die Aufgabe der Diskussion und Begründung des angemessenen Normbegründungsverfahrens ist dagegen Aufgabe der Fundamentalethik bzw. der Allgemeinen Ethik.
Kognitivismus/ Non-Kognitivismus
Zu den Aufgaben der Fundamentalethik bzw. der Allgemeinen Ethik gehört zunächst grundlegend die Klärung der Frage, ob sich ethische Urteile - etwa »Du sollst nicht stehlen« oder »Aktive Sterbehilfe zu leisten, ist falsch« - überhaupt begründen lassen.7 Es ist zu klären, ob ethische Normen - wie es kognitivistische Ansätze behaupten - als objektiv vorgegebene und begründete und damit auch als allgemein gültige und verbindliche Weisungen erkennbar sind oder ob sie - so die Auffassung non-kognitivistischer Positionen - nicht objektiv vorgegeben und begründet und damit auch nicht erkennbar sind, sondern entweder lediglich pragmatische Konventionen zur Wahrung unserer subjektiven Wünsche und Interessen darstellen (Kontraktualismus) oder einer bloßen Entscheidung zur Übernahme eines ethischen Standpunkts bzw. bestimmter ethischer Prinzipien entspringen (Dezisionismus) oder die Äußerung eines rein subjektiven Gefühls - ähnlich wie »schön« und »hässlich« - darstellen (Emotivismus). Damit hängt die Frage zusammen, ob es universal gültige und für alle Menschen verbindliche ethische Normen gibt (Universalismus) oder ob ihre Gültigkeit kultur- und geschichtsabhängig ist und deshalb für Menschen unterschiedlicher Gesellschaften und Gruppen auch unterschiedliche Normen verpflichtend sind (Partikularismus/Kommunitarismus).
Innerhalb des Kognitivismus wiederum stellt sich die weitere Frage, wie die objektive Gültigkeit ethischer Normen erkannt und begründet werden kann. Lässt sie sich etwa dadurch erweisen, dass man auf einen moralisch verpflichtenden Willen Gottes zurückgreift (Theonomie)? Kann sie durch eine besondere, unmittelbare Einsicht begründet werden (Intuitionismus) oder dadurch, dass man auf verbindliche Vorgaben innerhalb der menschlichen und außermenschlichen Natur rekurriert (Naturrecht)? Lässt sich die objektive Gültigkeit ethischer Normen dadurch erkennen, dass man sie aus einem der menschlichen Vernunft innewohnenden Moralprinzip (Kategorischer Imperativ) herleitet, oder eher dadurch, dass man auf ihre Nützlichkeit für das Allgemeinwohl verweist (Utilitarismus)?
Grundlegende Bedeutung für die Diskussion all dieser Ansätze kommt der Analyse der Sprache der Ethik zu. Zentrale Ausdrücke wie »gut« und »schlecht« im moralischen Sinne, das »Gute«, das »Böse«, »sollen«, »Pflicht« etc. müssen in ihrer Bedeutung geklärt und erläutert werden. Innerhalb der Fundamentalethik ist dies Aufgabe der Metaethik bzw. der Analytischen Ethik.
 
Zu den Aufgaben der Fundamentalethik gehört aber nicht nur, die Frage nach einem angemessenen Normbegründungsverfahren zu beantworten, sondern auch die Aufgabe zu klären, ob wir Menschen überhaupt nach ethischen Normen handeln können. Können wir uns wirklich frei für eine bestimmte Handlungsalternative entscheiden oder ist unser Handeln vollständig von äußeren Bedingungen, Vorgaben und Zwängen determiniert? An der Beantwortung dieser Frage entscheidet sich, welche Handlungsweisen man vom Menschen überhaupt erwarten kann, ob der Anspruch, gut und verantwortlich zu handeln, überhaupt sinnvoll ist oder ob er sich als bloße Fiktion erweist. Zugleich hängen damit die Fragen zusammen, ob der Mensch den ethischen Anspruch verfehlen und schuldig werden kann und was es dem Menschen überhaupt möglich macht, seine Freiheit wahrzunehmen und verantwortlich zu handeln.
Freiheit und Schuld

4. Theologische Fundamentalethik: Die Bedeutung des Glaubens für das ethische Handeln

Die Aufgaben, die sich der Ethik allgemein stellen, gelten grundsätzlich auch für die theologische Ethik bzw. die Moraltheologie.
Theologische Ethik/ Moraltheologie
Im Folgenden wird die Bezeichnung »Theologische Ethik«, die sich außer in der protestantischen Theologie in den letzten Jahrzehnten auch im katholischen Raum eingebürgert hat, der traditionellen Bezeichnung des Fachs als »Moraltheologie« vorgezogen. Die unterschiedliche Benennung deutet eine verschiedene Akzentuierung an: Während der Ausdruck »Moraltheologie« einen speziellen Bereich innerhalb der Theologie als Ganzer oder auch eine spezielle Ausprägung der Theologie bezeichnet, »Moral« also als Spezifizierung der Theologie dient, deutet der Ausdruck »Theologische Ethik« an, dass es primär um die allgemeine Aufgabe ethischer Reflexion innerhalb der Gesellschaft - etwa im Rahmen der medizinischen Ethik, der Wirtschaftsethik, der Umweltethik etc. - geht, die hier allerdings theologisch, auf der Grundlage des christlichen Glaubens, erfolgt. »Theologisch« ist hier die Spezifizierung der Ethik. Während der Bezeichnung »Moraltheologie« also die Vorstellung zugrunde liegt, dass aus der theologischen Reflexion des christlichen Glaubens moralische Normen entwickelt und begründet werden, besteht bei der Bezeichnung »Theologische Ethik« das primäre Ziel in der Beteiligung des Christen am allgemeinen ethischen Diskurs innerhalb der Gesellschaft, in den sich der Christ einbringt.
Quellen theologischer Ethik
Wie die Ethik allgemein bezieht sich auch die theologische Ethik zunächst als spezielle oder angewandte normative Ethik auf die faktisch gelebte Moral der Menschen und unternimmt es, bestimmte Handlungsweisen als gut und richtig bzw. als schlecht und unverantwortlich aufzuweisen. Allerdings unterscheidet sich die theologische Ethik von philosophischer Ethik dadurch, dass sie ihre normativen Aussagen vor dem Hintergrund des christlichen Glaubens an Gott als den Schöpfer, Erlöser und Vollender der Welt entwickelt. Sie kommt zu ihren normativen Aussagen unter Einbeziehung der ethischen Weisungen, die - als Gesetze, Verbote oder Ratschläge - in der Heiligen Schrift durchgängig zu finden sind und ein Ethos aus dem jüdisch-christlichen Glauben begründen, das sich in der geschichtlichen Praxis des Christentums weiter entfaltet hat. Und sie kommt schließlich zu ihren Handlungsoptionen vor dem Hintergrund der normativen Aussagen zum moralischen Handeln des Christen, die in der gesamten Tradition der Kirche immer wieder durch das Lehramt und die Theologie geäußert wurden.
 
Dabei stellt sich für die theologische Ethik insbesondere die Frage, ob es aufgrund der Offenbarung in der Heiligen Schrift und aufgrund des christlichen Glaubens ein spezifisch christliches Ethos mit spezifisch christlichen Normen gibt, Normen also, deren Gültigkeit außerhalb des Glaubens nicht erkannt werden kann und für deren Akzeptanz der Glaube notwendige Voraussetzung ist. Gibt es - so lässt sich fragen - ein Proprium christlicher Ethik?
• Dafür scheint zu sprechen, dass ethisches Handeln und die darauf bezogenen Normen und Weisungen - legt man die Heilige Schrift und die kirchliche Tradition zugrunde - zur Offenbarung und zum christlichen Glauben unverzichtbar mit hinzuzugehören scheinen. Der Glaube betrifft nicht einen vom menschlichen Handeln völlig getrennten Bereich, sondern umfasst auch die mitmenschliche und soziale Praxis und bestimmt sie. Entsprechend hat sich in der Geschichte des Christentums von Anfang an immer auch eine christliche Morallehre herausgebildet. Weiter lässt sich auf die charakteristischen Forderungen des Christentums verweisen: auf das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe, auf die Forderung der Feindesliebe und des Gewaltverzichts sowie auf bestimmte Grundhaltungen wie etwa die - dem antiken Denken sonst fremde - Haltung der Demut.
• Andererseits stellt sich die Frage, wie sich unter solchen Voraussetzungen die theologische Ethik zum allgemeinen säkularen und philosophischen Diskurs über die ethischen Herausforderungen unserer Gesellschaft verhält. Handelt es sich bei der christlichen Ethik lediglich um ein gruppenspezifisches elitäres Hochethos, das für Nichtgläubige weder nachvollziehbar noch verbindlich ist? Oder lassen sich ihre Handlungsoptionen nicht doch mit allgemein einsichtigen Vernunftargumenten begründen und in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen? Dafür, dass sich die christliche Ethik allgemein nachvollziehbar begründen lässt, spricht jedenfalls, dass in der Geschichte des Christentums von Anfang an Normen und Argumente aus der philosophischen, also nicht-religiösen, rein vernunftbasierten Ethik aufgegriffen und schließlich die antike Lehre vom natürlichen Sittengesetz übernommen und in die Glaubenslehre integriert wurde. Dann aber stellt sich wiederum die Frage, worin dann noch das spezifisch christliche Profil besteht.
Gibt es spezifisch christliche Normen?
Zentrale Aufgabe der theologischen Fundamentalethik
Genau diese Fragen zu klären, ist die Aufgabe der theologischen Fundamentalethik. In der Reflexion über das rechte Verständnis von Offenbarung und Glaube, über das angemessene Begründungsverfahren moralischer Normen sowie über die Grundlagen des menschlichen Handelns muss sie klären, worin genau die Bedeutung des christlichen Glaubens für das ethische Handeln besteht. Sie muss klären, welche Rolle Gott, die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments, das kirchliche Lehramt und welche Rolle schließlich auch das Gewissen, die Natur und die Vernunft des Menschen bei der Begründung ethischer Normen und des ethischen Handelns spielen können und müssen.

5. Modelle theologischer Fundamentalethik: Autonome Moral und Glaubensethik

In der Tradition der theologischen Ethik ist diese Grundfrage immer wieder durch unterschiedliche Modelle der Zuordnung von Glaube und ethischem Handeln beantwortet worden. Zum Teil haben diese Modelle mehr die Eigenständigkeit der menschlichen Vernunft betont, zum Teil haben sie mehr die konstitutive Bedeutung der Offenbarung und des Glaubens für die ethische Einsicht herausgestellt. Auch die Entwicklung der Moraltheologie nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat mit den Konzepten der Autonomen Moral und der Glaubensethik zwei kontroverse Positionen hervorgebracht, wie das Verhältnis von Glaube und ethischem Handeln zu bestimmen sei:
Autonome Moral
(1) Freigesetzt durch den Aufbruch des Konzils und in Absetzung gegen die seit dem Ende des 19. bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein dominierende neuscholastische Naturrechtsethik (vgl. 4. Kapitel) hat sich eine Konzeption theologischer Ethik herausgebildet, die ausdrücklich die Autonomie der praktischen Vernunft in der Begründung ethischer Normen herausgestellt hat.
So betonte Alfons Auer8 - um der Wahrung der Universalität und Kommunikabilität christlicher Ethik in der modernen Welt willen - die Eigenständigkeit und Autonomie des Sittlichen und der ethischen Erkenntnis gegenüber der Naturordnung, gegenüber der Metaphysik und gegenüber dem Glauben und dem kirchlichen Lehramt. Mit dieser Konzeption sollte theologisch-ethische Erkenntnis herausgenommen werden aus einer durch die lehramtliche Autorität vorgegebenen und auferlegten Morallehre, die sich - vor allem nach der Enzyklika »Humanae vitae« - mehr und mehr als ein auch für viele Christen kaum noch nachvollziehbares katholisches Sonderethos darstellte. Theologisch-ethische Erkenntnis sollte demgegenüber an die eigenständige, allgemein zugängliche Rationalität der Wirklichkeit zurückgebunden werden. Die Bedeutung des Glaubens und des Lehramts für das ethische Handeln sah Auer dagegen in ihrer stimulierenden, integrierenden und kritisierenden Funktion für das ethische Handeln (vgl. 9. Kapitel, 3.2), nicht aber darin, ethische Erkenntnis zu begründen.
Während Auer dabei den ethischen Anspruch - in einer Aktualisierung der Seinsethik des Thomas von Aquin - in der Wirklichkeit der Welt als Schöpfung Gottes begründet sah9, versuchte Franz Böckle10 - im Rückgriff auf den Deutschen Idealismus und die Transzendentalpragmatik - aufzuweisen, dass der rein formale Anspruch des sittlichen Sollens im Subjekt selbst als unhintergehbare Voraussetzung seiner Freiheit begründet ist. Theologisch gedeutet führte dies zur Konzeption einer theonom begründeten Autonomie ethischer Erkenntnis: Gerade der auf Gott zurückführbare formale Sollensanspruch setzt die praktische Vernunft hinsichtlich der Begründung inhaltlich konkreter ethischer Normen frei.
Glaubensethik
(2) Gegen diesen Neuansatz in der theologischen Ethik wurde vor allem von Bernhard Stoeckle11 geltend gemacht, dass sich unter Berufung auf die Vernunftautonomie allein entscheidende Begründungsfragen der Ethik nicht lösen ließen. So könne der Mensch sich selbst, sein eigenes Sein und seinen Sinn, allein aus sich heraus, aufgrund autonomer Vernunft also, nicht vollständig durchschauen. Genau dies sei aber notwendig, um zu erkennen, was der Mensch in Wahrheit tun soll. Deshalb sei er auf Offenbarung angewiesen. Weiterhin könne die Ethik eine unbedingte Gewissheit und Verbindlichkeit, wie sie die christliche Ethik kennzeichne, nur aus dem Ganzen des Daseinsverständnisses gewinnen, das sich aber nicht der Vernunft allein erschließe, sondern erst durch die Wirklichkeit Gottes und seiner Offenbarung zugänglich werde. Insgesamt ging es Stoeckle darum, gegen ein überzogenes Vertrauen des modernen Menschen auf seine eigene Vernunft deren geschichtliche Bedingtheit, Begrenztheit und interessegeleitete Voreingenommenheit in Erinnerung zu halten.

6. Ansatz der vorliegenden theologischen Fundamentalethik

Wie lässt sich nun angesichts dieser einander widerstreitenden Modelle die Frage nach der Bedeutung des Glaubens für das ethische Handeln beantworten?
Um die eigentliche Bedeutung des christlichen Glaubens für das ethische Handeln herauszustellen, geht die vorliegende theologische Fundamentalethik von einem Offenbarungsverständnis aus, wie es das Zweite Vatikanische Konzil maßgeblich entfaltet hat.

6.1 Ausgangspunkt: Das Offenbarungsverständnis des Zweiten Vatikanums

Grundlegend für das Offenbarungsverständnis des Zweiten Vatikanischen Konzils heißt es in der Dogmatischen Konstitution über die göttliche Offenbarung »Dei Verbum« folgendermaßen:
»Gott hat in seiner Güte und Weisheit beschlossen, sich selbst zu offenbaren und das Geheimnis seines Willens kundzutun (vgl. Eph 1,9): dass die Menschen durch Christus, das fleischgewordene Wort, im Heiligen Geist Zugang zum Vater haben und teilhaftig werden der göttlichen Natur (vgl. Eph 2,18; 2 Petr 1,4). In dieser Offenbarung redet der unsichtbare Gott (vgl. Kol 1,15; 1 Tim 1,17) aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freunde (vgl. Ex 33,11; Joh 15,14-15) und verkehrt mit ihnen (vgl. Bar 3,38), um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen.« (DV 2)
Offenbarung als Selbstmitteilung Gottes
Die entscheidende Aussage in diesem Text besteht darin, dass Offenbarung als Selbstoffenbarung bzw. als Selbstmitteilung Gottes zu verstehen ist. Offenbarung besteht also nicht - so wird damit deutlich - in der direkten Mitteilung vieler einzelner Sätze und Aussagen über die Wirklichkeit Gottes, der Welt und des Menschen, deren Wahrheit der Mensch aus sich selbst heraus und aufgrund seiner Vernunft nicht erkennen kann und die er deshalb aufgrund der Autorität Gottes glauben, d.h. für wahr halten muss (instruktionstheoretisches Offenbarungsmodell). Offenbarung bedeutet nach dem Text des Zweiten Vatikanums vielmehr, dass Gott uns Menschen lebendige Gemeinschaft mit sich selbst eröffnet hat (kommunikationstheoretisches Offenbarungsmodell).12 In seinem Wort, Jesus Christus, teilt Gott nicht etwas von ihm selbst Verschiedenes mit, sondern sich selbst: Er lässt uns Menschen teilhaben an der innergöttlichen Liebe zwischen Vater und Sohn, die der Heilige Geist ist. Offenbarung besteht in der Zusage, dass wir von Gott mit derselben unbedingten und verlässlichen Liebe angenommen sind, mit der er von Ewigkeit her seinem eigenen Sohn zugewandt ist.13
Diese Gemeinschaft mit Gott ist aus der Wirklichkeit der Welt und des Menschen als solcher nicht ableitbar und erkennbar, sondern verborgen. Sie muss zur Welt und zum Menschen als deren umfassendere Wirklichkeit in einem eigentlichen Wort Gottes hinzugesagt und offenbar gemacht werden. Aber auch dann ist die Wahrheit dieser Verkündigung nicht an der Wirklichkeit der Welt und des Menschen messbar. Sie kann sich vielmehr erst in einem solchen Glauben in ihrer Wahrheit erweisen, der nicht als distanzierter intellektueller Akt des Für-wahr-Haltens einzelner Sätze zu verstehen ist, sondern als ein von Gottes Geist selbst getragener und die gesamte Existenz des Menschen umfassender Akt des Vertrauens auf Gottes Zuwendung. Allein in diesem glaubenden Vertrauen kann die Gewissheit gegeben sein, dass wir im Vorhinein zu all unserem Tun und Handeln von Gott unbedingt angenommen und gehalten sind. Damit ist das Selbstverständnis des Menschen und sein gesamter Lebensvollzug grundlegend verwandelt. Nicht mehr die Endlichkeit und Verletzbarkeit des Menschen haben das letzte Wort und müssen sein Leben beherrschen. Vielmehr kann er daraus leben, immer und in allen Situationen des Lebens und Sterbens von Gott gehalten und in Gottes Hand geborgen zu sein.

6.2 Konsequenz: Offenbarung begründet nicht den ethischen Anspruch, sondern befreit dazu, ihm zu entsprechen

Offenbarung teilt keine konkreten ethischen Normen mit...
Ausgehend von dieser Konzeption des Zweiten Vatikanums ist es einsichtig, dass es in der Offenbarung nicht darum geht, dem Menschen konkrete einzelne Handlungsnormen mitzuteilen, die er aus sich allein heraus prinzipiell nicht erkennen und begründen könnte, die er vielmehr befolgen soll, weil Gott sie geboten und in Kraft gesetzt hat. Die Erkenntnis und Begründung ethischer Normen ist vielmehr allein Sache der menschlichen Vernunft und der Erfahrung mit der Wirklichkeit dieser Welt. Glaube und Offenbarung fügen zu den bereits bestehenden, der Vernunft einsichtigen ethischen Normen nicht noch weitere Gebote und Verbote hinzu. Ebenso wenig erhöhen oder verschärfen sie den Verpflichtungsanspruch, der mit ethischen Normen verbunden ist, etwa dadurch, dass die Autorität Gottes oder ewiger Lohn bzw. Strafe vor Augen gestellt werden, auch wenn dies in der Geschichte des Christentums immer wieder so aufgefasst und gepredigt wurde.
… sondern befreit zur Erfüllung des ethischen Anspruchs
In der Offenbarung - verstanden als Selbstmitteilung Gottes - ist dem Menschen vielmehr eine neue Grundlage seines Lebens und ein neues Selbstverständnis eröffnet, das es ihm möglich macht, nicht mehr egoistisch zu handeln, sondern das, was er von sich her bereits als ethischen Anspruch erkannt hat, auch zu erfüllen. In der existentiellen Gewissheit des Glaubens nämlich, von Gott unbedingt gehalten und angenommen zu sein, kann der Mensch die Angst überwinden, die aus der Erfahrung seiner Endlichkeit, Verletzbarkeit und Todesverfallenheit resultiert und die ihn dazu bringt, dass es ihm letztlich nur um sich selbst geht. Er kann sich vorbehaltlos dem Anspruch seiner Vernunft stellen und das, was er aufgrund der Vernunft als ethisch richtig und verantwortlich erkannt hat, in seinem Handeln auch verwirklichen.
Ethischer Anspruch als Anknüpfungspunkt der Offenbarung
Offenbarung begründet also nicht erst den ethischen Anspruch, sondern setzt ihn bereits als gültig und begründet voraus. Sie knüpft an diesem Anspruch an und eröffnet dem Menschen angesichts dieses Anspruchs einen Weg, wie er ihn auch wollen und erfüllen kann.14 Das Verhältnis von Offenbarung und Ethik lässt sich also nicht so bestimmen, dass aus dem Zuspruch der Gnade Gottes ein Anspruch erwächst, nun auch Gottes Gebot zu befolgen. Vielmehr besteht der Anspruch bereits immer schon, während der Zuspruch Gottes es möglich macht, diesen Anspruch zu erfüllen. Gerade so erweisen Offenbarung und Glaube ihre Relevanz für den Menschen und sein Handeln. Ohne die Grundlage des bereits im Voraus zu Offenbarung und Glaube bestehenden ethischen Anspruchs würden sie den Bezugspunkt und damit ihre Bedeutung für den Menschen und seine Existenz verlieren.
Notwendiger Aufweis einer universalen und objektiven Ethik
Das bedeutet aber auch, dass - ausgehend vom Anspruch des Glaubens, die umfassende und letzte Wahrheit über die Welt und den Menschen, nämlich ihr Geborgensein in Gott, zu verkünden - von Seiten der theologischen Ethik der ethische Anspruch, an dem dieser Glaube anknüpft, als universaler und objektiv gültiger Anspruch aufgewiesen werden muss. Sonst wird dem Glauben zusammen mit seinem Anknüpfungspunkt der Boden entzogen. Entsprechend hat man sich in der Tradition der theologischen Ethik auch von Anfang an um eine universalistische und objektiv begründete Ethik, etwa in der Aufnahme der Lehre vom natürlichen Sittengesetz aus der antiken Philosophie, bemüht.

6.3 Weiterführung: Unterscheidung zwischen Erkennbarkeit und Erkennen-Wollen

Mit diesen Überlegungen ist zunächst das Anliegen der Autonomen Moral aufgegriffen und bestätigt worden. Auch im Rahmen einer theologischen Ethik lassen sich ethische Normen allein aufgrund der autonomen Vernunft des Menschen erkennen und begründen. Wie aber steht es mit den Einwänden der Glaubensethik? Hat der Glaube nicht doch auch eine wesentliche Bedeutung für die Erkenntnis ethischer Normen? Reicht die menschliche Vernunft und Erfahrung allein wirklich aus, um eine sichere Leitlinie dafür abzugeben, was ethisch richtig und falsch ist und was den Menschen erfüllt? Ist es der Vernunft nicht doch nur mit Hilfe der Offenbarung und des Glaubens möglich, die volle Wahrheit im Bereich des ethischen Handelns zu erkennen?
Wechselseitige Beeinflussung von Erkennen und Wollen
Angesichts dieser Anfragen, die die unzureichende Fähigkeit der menschlichen Vernunft zu ethischer Erkenntnis hervorheben, gilt es sorgfältig zu klären, worin genau dieser Mangel der Vernunft und die Hilfe des Glaubens bestehen. Erschließend kann dabei die Einsicht in die wechselseitige Beeinflussung von Erkennen und Wollen sein. Danach gilt, dass nicht nur das Wollen durch die Erkenntnis bestimmt wird, sondern auch das Erkennen unter dem Einfluss des Wollens steht. Von daher lässt sich sagen, dass die mangelnde Erkenntnisfähigkeit der Vernunft, die die Glaubensethik beklagt, nicht prinzipieller Art und in der Vernunft selbst begründet ist, sondern allenfalls faktisch gegeben ist und ihren Grund im Wollen hat.
Gebrauch der autonomen Vernunft - Autonomer Gebrauch der Vernunft
Das eigentliche Problem nämlich scheint darin zu bestehen, dass Menschen sich aufgrund ihrer Fixiertheit auf sich selbst und ihre eigenen Interessen erst gar nicht auf die Vernunft und deren eigenes inneres Gesetz einlassen wollen. Sie wollen vielmehr der eigenen Willkür folgen und ihre Vernunft für ihre eigenen Zwecke und Interessen instrumentalisieren. Sie wollen nicht der Autonomie ihrer Vernunft folgen, sondern ihre Vernunft autonom gebrauchen.15 Die Selbstbezogenheit des Menschen führt nicht nur dazu, dass man das Richtige nicht tut, sondern auch dazu, dass man sich der Vernunft und damit der Einsicht in das Richtige verweigert.
Die Hilfe des Glaubens für die Vernunft besteht dann aber nicht darin, das Richtige überhaupt erst mitzuteilen oder zusätzliche Möglichkeiten der Erkenntnis und Begründung ethischer Normen bereitzustellen, sondern darin, eine Gewissheit zu schenken, aufgrund derer man bereit wird, sich der Wirklichkeit der Welt und dem Anspruch der Vernunft zu stellen. Durch den Glauben wird der Mensch bereit, Vernunfteinsicht zuzulassen. Durch den Glauben wird er bereit, den ethischen Anspruch sehen und sich ihm stellen zu wollen. In diesem Sinne heißt es in der Enzyklika »Deus caritas est« (2005) von Papst Benedikt XVI:16
»Der Glaube hat gewiss sein eigenes Wesen als Begegnung mit dem lebendigen Gott - eine Begegnung, die uns neue Horizonte weit über den eigenen Bereich der Vernunft hinaus öffnet. Aber er ist zugleich auch eine reinigende Kraft für die Vernunft selbst. Er befreit sie von der Perspektive Gottes her von ihren Verblendungen und hilft ihr deshalb, besser sie selbst zu sein. Er ermöglicht der Vernunft, ihr eigenes Werk besser zu tun und das Eigene besser zu sehen.« (n. 28a)
Im Blick auf die Frage der Erkenntnis ethischer Normen ist also noch einmal zu unterscheiden zwischen ihrer prinzipiellen Erkennbarkeit allein aufgrund menschlicher Vernunft und Erfahrung einerseits und der faktischen, in der Willkür des Menschen begründeten Unzulänglichkeit seiner Erkenntnis andererseits.
 
Parallel dazu lässt sich auch unterscheiden zwischen dem geschichtlich vermittelten Prozess der Erkenntnis ethischer Normen und Prinzipien, für die der christliche Glaube in der Geschichte des Abendlands eine konstitutive Bedeutung hatte und hat, und dem Grund ihrer Gültigkeit, der durch die Vernunft allein eingesehen werden kann. Dies gilt etwa für den Gedanken einer jedem Menschen unverlierbar zukommenden unbedingten Würde, die u.a. für die Abschaffung der Sklaverei entscheidende Bedeutung hatte. Auch wenn dieser Gedanke sicher durch den jüdisch-christlichen Glauben mit seiner Vorstellung vom Menschen als Ebenbild Gottes (christliches Menschenbild) in seiner Einsichtigkeit und Akzeptanz gefördert und ins Bewusstsein gebracht worden ist, so lässt sich, nachdem er sich erst einmal im Bewusstsein durchgesetzt hat, seine Gültigkeit auch ohne Rückgriff auf den Glauben, allein mit der Vernunft begründen.
Geschichtlicher Erkenntnisprozess - Grund der Gültigkeit
In dieser angedeuteten Zuordnung von Vernunft und christlichem Glauben sind beide in ein Verhältnis gesetzt, in dem sowohl der Autonomie ethischer Erkenntnis als auch der konstitutiven Bedeutung von Offenbarung und Glaube für die ethische Erkenntnis und das ethische Handeln Rechnung getragen ist. Beides wird - entsprechend dem christologischen Prinzip - nicht getrennt, wohl aber auseinander gehalten, und nicht vermischt, sondern in eine sachgemäße Beziehung gesetzt. In diesem Sinne kann der Entwurf der vorliegenden Fundamentalethik als Grundlegung einer christlichen, an Jesus Christus orientierten und ihm entsprechend strukturierten Ethik verstanden werden.
Christologische Struktur

7. Aufbau der vorliegenden theologischen Fundamentalethik

Ausgehend von den bisherigen systematischen Überlegungen zum Offenbarungsverständnis und der Bedeutung des Glaubens für das ethische Handeln soll für den Aufbau der vorliegenden theologischen Fundamentalethik die Unterscheidung von zwei Grundfragen leitend sein:
1. Wie kann man erkennen, worin das ethisch richtige und verantwortliche Handeln konkret besteht?
2. Wie kann man das ethisch richtige und verantwortliche Handeln auch wollen?
Zwei Grundfragen der theologischen Fundamentalethik
Die erste Frage bezieht sich auf die grundsätzliche Erkennbarkeit und Begründbarkeit ethischer Normen, die zweite Frage bezieht sich auf die Ermöglichung des entsprechenden Erkennen- und Handeln-Wollens. Im Blick auf diese beiden Grundfragen geht die vorliegende theologische Fundamentalethik davon aus, dass die eigentliche Bedeutung des christlichen Glaubens für das ethische Handeln nicht darin liegt, dem Menschen mitzuteilen, worin das richtige und verantwortliche Handeln besteht, sondern darin, ihn zum Wollen und Tun des Richtigen und Guten zu befreien. Damit ergeben sich für die theologische Fundamentalethik zwei grundlegende Aufgaben:
• Im Ersten Teil ist zu klären, wie man erkennen kann, welche Handlungen ethisch gut und verantwortlich sind und wie sich die Gültigkeit entsprechender ethischer Normen begründen lässt. Näherhin geht es um die Frage nach deren prinzipieller Erkennbarkeit und Begründbarkeit. Im Blick auf diese Frage ist zum einen - im Rahmen theologischer Überlegungen - zu zeigen, dass der ethische Anspruch und die ethischen Normen sich nicht erst aus der Offenbarung und aus dem Glauben ableiten, sondern bereits als Voraussetzung und Anknüpfungspunkt von Offenbarung und Glaube gegeben sind. Zum anderen aber ist - in der Auseinandersetzung mit der philosophischen Ethik, insbesondere mit dem Non-Kognitivismus und dem Partikularismus - zu zeigen, dass der ethische Anspruch objektiv und universal besteht und ethische Normen nicht einfach auf einem bloßen Gefühl, auf bloßer Konvention oder auf bloßer subjektiver Festlegung beruhen bzw. lediglich für eine bestimmte Gemeinschaft Gültigkeit beanspruchen können.
Im Einzelnen sind dazu die verschiedenen Quellen ethischer Erkenntnis, die aus der Sicht theologischer Fundamentalethik in den Blick kommen, zu prüfen:
1. Lassen sich ethische Normen unter Berufung auf den Willen Gottes begründen? Welche Bedeutung kann die Rede vom Willen Gottes theologisch gesehen überhaupt haben?
2. Lässt sich aus der Bibel als dem Dokument der jüdisch-christlichen Offenbarung eine auch heute noch verbindliche Orientierung für das ethische Handeln gewinnen? Welche Bedeutung haben ethische Weisungen innerhalb der Heiligen Schrift?
3. Welche Bedeutung hat das Gewissen des Einzelnen, das in der theologischen Tradition immer auch als Stimme Gottes gedeutet wurde, für die Begründung ethischen Handelns?
4. Welche Bedeutung hat die Natur und deren Eigengesetzlichkeit für die Begründung ethischer Normen? Welche Plausibilität kommt der traditionellen Lehre vom natürlichen Sittengesetz zu?
5. Welche Bedeutung hat die seit der Aufklärung gängige Berufung auf die autonome Vernunft und das ihr immer schon innewohnende (apriorische) Gesetz als Erkenntnisquelle des ethisch guten und richtigen Handelns?
6. Die Erörterung der Autonomie der praktischen Vernunft wird schließlich zur Begründung ethischer Normen unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit der Mittel hinführen.
• Auf dieser Basis muss im Zweiten Teil nach der Möglichkeit gefragt werden, wie wir dem, was sich aufgrund der Vernunft prinzipiell als das ethisch Richtige und Verantwortliche erkennen und begründen lässt, auch tatsächlich in unserem Wollen und Handeln entsprechen und gerecht werden können. Dazu ist zunächst aufzuweisen, dass der Mensch trotz vielfältiger äußerer Einflüsse, die sein Wollen und Handeln bestimmen, ein grundsätzlich freies Wesen ist, sowie - als eigentliche Aufgabe der theologischen Fundamentalethik - die befreiende Bedeutung des christlichen Glaubens zu entfalten:
7. Ist der Mensch überhaupt frei und damit zu ethisch gutem und verantwortlichem Handeln fähig? Wie lässt sich angesichts der nachweisbaren Determination des Menschen durch biologische, psychologische und gesellschaftliche Vorgaben und Zwänge die Behauptung der Freiheit aufrechterhalten?
8. Lässt sich Freiheit begründen, stellt sich die Frage nach dem Wesen und der Wirklichkeit menschlicher Verfehlung und Schuld, die ihrerseits theologisch als Knechtschaft des Menschen unter der Macht der Sünde und damit als Unfreiheit gedeutet wird.
9. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, was den Menschen wieder zu seiner Freiheit befreien kann und so die Verwirklichung seiner Freiheit und Verantwortung ermöglicht. Hier wird die spezifische Bedeutung des Glaubens für das ethische Handeln herausgestellt werden.
10. Schließlich ist nach konkreten Wegen zu fragen, wie der christliche Glaube freies und gutes Handeln ermöglicht. Welche Bedeutung haben christliche Spiritualität und Mystik, Gebet, Sakramente und die kirchliche Gemeinschaft für das ethische Handeln?
Bereits in diesem Überblick zeigt sich eine Bewegung, in der zunächst im Ersten Teil die Bedeutung des Glaubens für das ethische Handeln zugunsten der Vernunft zurückgenommen wird, während im Zweiten Teil die Bedeutung des Glaubens erst eigentlich hervortritt und zur Geltung kommt.
ERSTER TEIL
Wie sich ethisch gutes und schlechtes Handeln erkennen lässt
Die erste Grundfrage unserer theologischen Fundamentalethik lautet, wie wir in einer Entscheidungssituation erkennen und begründen können, was das ethisch Richtige und Verantwortliche ist. Nur allzu oft finden wir uns in einem Dilemma wieder, in dem wir nicht genau wissen, was wir tun sollen. Auch wenn wir feste ethische Grundsätze haben, so wissen wir im konkreten Einzelfall oft nicht immer genau, welche der verschiedenen sich bietenden Handlungsmöglichkeiten wir wählen sollen. Nur allzu oft befinden wir uns in einer Situation, in der es keine nur gute Lösung gibt, in der vielmehr jeder Weg mit Nachteilen und Übeln verbunden ist. Eine Beispielerzählung aus der Zeit nach der »Wende« kann dies verdeutlichen:
 
Karin L. (23) aus Erfurt, allein erziehende Mutter von Kevin (3) ist »schwer vermittelbare Arbeitslose«, seit ihr Betrieb und der Kinderhort zugemacht haben. Als gelernte Zerspanungstechnikerin findet sie keine Anstellung mehr. Ihre Schwester, die seit zwei Jahren in Westdeutschland lebt, vermittelt ihr eine Stelle als Zahntechnikerin in Köln. Karins Eltern bieten ihr an, Kevin während der zweijährigen Umschulung zu sich zu nehmen, da in Köln weder eine Wohnung noch ein Kindergartenplatz in Aussicht sind. Karin findet ein Zimmer, zögert aber schließlich doch, die Lehrstelle anzutreten. Sie kann Kevin nur am Wochenende nach vier Stunden Autofahrt sehen. Durch ein Gespräch mit der Schwester erhofft sie sich Klärung.
 
Was in diesem Fall richtig und verantwortlich ist, ist keineswegs eindeutig. Einerseits ist die Beziehung von Mutter und Kind gerade in den ersten Jahren entscheidend für die kindliche Entwicklung. Andererseits scheint es gerade um einer gemeinsamen Zukunft von Mutter und Kind willen erforderlich zu sein, die vorübergehende Trennung in Kauf zu nehmen. Möglicherweise gibt es aber auch einen Kompromiss oder einen dritten Weg, der sich erst eröffnet, wenn Karin L. erst einmal in Köln Fuß gefasst hat. Oder es findet sich doch noch ein Ausbildungsplatz in der Nähe von Erfurt. Auch weiß man nicht, wie sich die Beziehung zwischen den Großeltern und Kevin entwickelt.
Wie also lässt sich in diesen oder ähnlichen Situationen zu einer Entscheidung finden, die wir als ethisch richtig und verantwortlich bezeichnen würden? Woran kann man sich orientieren? Wie kann man die jeweilige Entscheidung als verantwortliche Entscheidung begründen? Im Rahmen der theologischen Ethik wird dazu auf verschiedene mögliche Quellen ethischer Erkenntnis verwiesen: auf den Willen Gottes, auf die Heilige Schrift, auf das eigene Gewissen, auf die Natur oder auch auf die Vernunft des Menschen. Im Folgenden sollen diese verschiedenen ethischen Erkenntnisquellen erläutert und auf ihre Leistungsfähigkeit geprüft werden.
1. KAPITEL
Orientierung am Willen Gottes
Eine erste mögliche Antwort theologischer Ethik auf die Frage, woran wir uns orientieren können, wenn wir ethisch handeln wollen, lautet, es müsse dem Christen vorrangig darum gehen, den Willen Gottes zu erkennen und zu erfüllen. Schließlich lehrt Jesus selbst im Rahmen der Bergpredigt:
»Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt.« (Mt 7,21; vgl. 1 Joh 2,17)
Entsprechend beten wir im Vaterunser: »Dein Wille geschehe!« (Mt 6,10). Jesus selbst geht es in vorbildlicher Weise ganz und gar um die Erfüllung des Willens Gottes. Im Johannes-Evangelium spricht Jesus davon, er sei nicht gekommen, seinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der ihn gesandt hat (vgl. Joh 5,30; 6,38). Dass Jesus dabei die Erfüllung des Willens Gottes als seine »Speise« bezeichnet (Joh 4,34), zeigt, dass es ihm mit seiner ganzen Existenz um nichts anderes als um die Erfüllung dieses Willens geht. Diese Hingabe an Gott bewährt sich dort, wo Jesus auch im Angesicht des Leidens und Todes am Ölberg daran festhält, dass nicht sein Wille, sondern der Wille des Vaters geschieht (Mk 14,36; vgl. Hebr 5,7f).
Auch Paulus verweist immer wieder auf den Willen Gottes als Maßstab für das Handeln des Christen. Dabei antwortet er auf die Frage, worin der Wille Gottes inhaltlich besteht, mit sehr konkreten Angaben:
»Das ist es, was Gott will: eure Heiligung. Das bedeutet, dass ihr die Unzucht meidet, dass jeder von euch lernt, mit seiner Frau in heiliger und achtungsvoller Weise zu verkehren, nicht in leidenschaftlicher Begierde wie die Heiden, die Gott nicht kennen, und dass keiner seine Rechte überschreitet und seinen Bruder bei Geschäften betrügt«. (1 Thess 4,3-6)
Andererseits mahnt Paulus ausdrücklich, in der Kraft Christi jeweils genau zu prüfen, worin dieser Wille besteht (vgl. Röm 12,2).
Doch nicht nur in der Bibel, auch in der moraltheologischen und spirituellen Literatur spielt für das rechte Handeln des Christen die Erfüllung des Willens Gottes eine zentrale Rolle. So heißt es in dem klassischen Handbuch der Moraltheologie von Josef Mausbach und Gustav Ermecke 17, dass nach theistischer und christlicher Weltanschauung »die letzte und eigentliche Regel der Sittlichkeit Gott selbst als höchste Weisheit, als heiliger Wille und als wesenhafte, unendliche Gutheit und Vollkommenheit« ist. Auch Ignatius von Loyola versteht seine Geistlichen Übungen ausdrücklich als einen Weg, in einer Situation der Entscheidung den Willen Gottes zu finden. Geistliche Übungen sind für ihn.
»… jede Weise, die Seele darauf vorzubereiten und einzustellen, alle ungeordneten Anhänglichkeiten von sich zu entfernen und, nachdem sie entfernt sind, den göttlichen Willen in der Einstellung des eigenen Lebens zum Heil der Seele zu suchen und zu finden«.18
Begründungen für konkrete ethische Normen unter Berufung auf den Willen Gottes finden sich schließlich auch in der lehramtlichen Moralverkündigung der Kirche. So beruft sich die Enzyklika »Humanae vitae« zur Begründung des Verbots der künstlichen Empfängnisverhütung auf eine von Gott bestimmte unlösbare Verknüpfung der beiden Sinngehalte der liebenden Vereinigung und der Fortpflanzung, die der Mensch nicht eigenmächtig auflösen dürfe. Werden beide Sinngehalte dennoch getrennt, so widerspreche dies dem göttlichen Plan und dem Willen des Schöpfers.19
So verbreitet aber die Berufung auf den Willen Gottes im Raum der christlichen Ethik auch ist, so missverständlich und problematisch ist sie zugleich. Von Kritikern einer christlichen bzw. kirchlichen Ethik jedenfalls wird die Berufung auf den Willen Gottes bereitwillig aufgegriffen, um sie dann als nicht tragfähig aufzuweisen und die jeweiligen Handlungsoptionen christlicher Ethik, wenn nicht sogar eine christliche Ethik überhaupt, als inakzeptabel abzulehnen.
Zu klären ist daher, wie es um die argumentative Kraft der Berufung auf den Willen Gottes steht, wenn es um die Begründung verantwortlicher Entscheidungen geht. Die Beantwortung dieser Frage ist für die theologische Fundamentalethik von entscheidender Bedeutung, weil dazu grundlegende hermeneutische Überlegungen zum Verhältnis von Gott und Welt, Schöpfer und Schöpfung notwendig sind, die die Basis für eine angemessene Verhältnisbestimmung zwischen christlichem Glauben und ethischem Handeln bilden.

1. Beispiele für eine Orientierung am Willen Gottes und Einwände der säkularen Vernunft

Die zentrale Frage, die sich bei der Begründung ethischer Handlungsoptionen unter Rückgriff auf den Willen Gottes stellt, besteht darin, woher man weiß, worin der Wille Gottes inhaltlich besteht. Hierzu lassen sich verschiedene Antwortmodelle und Erkenntnisquellen anführen.
Dabei reicht es nicht, auf die Heilige Schrift als Erkenntnisquelle für den Willen Gottes zu verweisen. Dann nämlich würde sich sofort die weitere Frage stellen: Woher haben die biblischen Mittlergestalten - Mose, die Propheten, Jesus - und woher haben die biblischen Schriftsteller - Evangelisten oder der hl. Paulus - um den Willen Gottes gewusst?
Einsicht in den Willen Gottes durch Inspiration
1. Ein erstes und naheliegendes Modell besteht darum in der Auffassung, worin der Wille Gottes besteht, könne durch unmittelbare Inspiration erfasst werden. So wird etwa im Rahmen einer bestimmten Form von Spiritualität - etwa von Seiten charismatisch-evangelikaler Kreise - immer wieder die Orientierung am Willen Gottes bei wichtigen Entscheidungen so verstanden, dass man die problematische Situation im Gebet vor Gott bringt und dann durch göttliche Erleuchtung oder Eingebung erfährt, was zu tun ist.
Bei diesem Modell ist allerdings zu fragen, wodurch genau sich ein solches Vorgehen davon unterscheidet, dass man sein Handeln dem Zufall, einer momentanen Stimmung oder einer spontanen Intuition überlässt. Müsste man nicht doch ein rationales Kriterium angeben können, anhand dessen erkennbar ist, dass die getroffene Entscheidung nicht einfach willkürlich, sondern verantwortlich ist? Wirklich verantwortliches Handeln verlangt doch, dass man anderen gegenüber seine jeweiligen Entscheidungen mit nachvollziehbaren Gründen rechtfertigen kann. Wenn dies aber möglich ist, wenn sich also als Folge des Gebets tatsächlich rationale Gründe für die eigene Entscheidung benennen lassen, dann ist zu fragen, ob in diesem Fall tatsächlich noch eine Orientierung am Willen Gottes vorliegt oder sich die Entscheidung nicht doch eher an der eigenen Vernunft und an allgemein einsichtigen Erwägungen ausrichtet.
Zu welchen Schwierigkeiten es führen kann, wenn man eigene Entscheidungen und Handlungen oder auch diejenigen anderer als Realisierung unmittelbarer göttlicher Willensäußerungen versteht, wird deutlich, wenn etwa Gegner in einem Krieg jeweils ihr Handeln als Umsetzung des Willens Gottes deklarieren. Hier werden offensichtlich die eigenen Ansprüche und Interessen oder auch die jeweiligen subjektiven Überzeugungen als Wille Gottes ausgegeben. Sie werden in ihrem Geltungsanspruch verabsolutiert und damit zugleich gegen jede Kritik immun gemacht.
Ordnung der Natur als Ausdruck des Willens Gottes
2. Eine zweite mögliche Antwort auf die Frage, woher man weiß, worin der Wille Gottes besteht, geht davon aus, dass sich der Wille Gottes aus der Ordnung der Natur und dem darin liegenden Plan ablesen lässt. Ein Beispiel bietet die Debatte um gentechnische Eingriffe in das Erbgut von Menschen, Tieren und Pflanzen. Das Argument lautet dann, solche manipulativen Eingriffe in das Erbgut seien nicht erlaubt, weil der Mensch mit der Veränderung der genetischen Struktur von Lebewesen den von Gott vorgegebenen Bauplan der Schöpfung verändere. Er verstoße damit gegen den Plan des Schöpfers, der die Welt, die Lebewesen und auch den Menschen in ganz bestimmter Weise gewollt und geschaffen habe. In diesem Sinne äußerte 1998 der Prince of Wales im Blick auf genmanipulierte Lebensmittel:
»I happen to believe that this kind of genetic modification takes mankind into realms that belong to God, and to God alone.«20
Indem der Mensch aber - so die weitere Konsequenz dieser Argumentation - die von Gott vorgegebene Identität der Natur des Menschen verände-re, überschreite er in anmaßender Weise die von Gott gesetzten Grenzen menschlichen Handelns.21 Er maße sich eine neue Schöpferrolle an22 und versuche, in großer Selbstüberschätzung eine gerechtere Schöpfungsordnung in Angriff zu nehmen.23
Gegen solche Begründungen des Verbots gentechnischer Eingriffe wird jedoch eingewendet, dass das Christentum andere Formen der Technik wie etwa die Spaltung von Atomkernen zur Energiegewinnung oder die Herstellung synthetischer Stoffe keineswegs abgelehnt habe, obwohl sie ebenfalls einen massiven Eingriff in natürliche Vorgegebenheiten bedeuten.24 Es wird demnach offenbar unterschieden zwischen Fakten der Natur, die verändert werden dürfen, und Fakten der Natur, die nicht verändert werden dürfen. Ein nachvollziehbares Kriterium für diese Unterscheidung wird jedoch nicht angegeben. Weiterhin wird darauf verwiesen, dass herkömmliche Formen der Pflanzen- und Tierzucht in der Regel nicht als Verstoß gegen die göttliche Schöpfungsordnung und damit gegen den Willen Gottes aufgefasst werden, die aber letztlich auch eine Manipulation des Erbguts - wenn auch nicht eine so direkte - darstellen. Wenn demgegenüber gentechnische Eingriffe abgelehnt werden, werde ein Unterschied zwischen verschiedenen Methoden des Eingriffs in das Erbgut vorausgesetzt, ohne wiederum ein Kriterium angeben zu können, warum die eine Methode ethisch erlaubt sein soll, die andere dagegen nicht. Solchen Unterscheidungen liegt demnach eine willkürliche und damit ideologische Festlegung von ethischen Grenzen der Technik zugrunde.
Begründung mit dem Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf - am Beispiel des Tötungsverbots
3. Ein drittes Antwortmodell schließlich besteht darin, dass sich der Wille Gottes bereits an dem grundlegenden Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf ablesen lasse. Ein Beispiel dafür kann der Diskussion um die ethische Bewertung der aktiven Sterbehilfe entnommen werden. Im Rahmen der traditionellen kirchlichen Morallehre25 versuchte man sich dadurch am Willen Gottes zu orientierern, dass das Verbot, das Leben eines anderen Menschen zu beenden, damit begründet wurde, nicht der Mensch als Geschöpf, sondern allein Gott als der Schöpfer sei Herr über Leben und Tod. Gott sei es, der dem Menschen das Leben gegeben habe, und deshalb dürfe auch nur Gott und nicht der Mensch nach seinem eigenem Ermessen und Willen dieses Leben beenden. Nach dem Willen des Schöpfers sei es Aufgabe des Menschen, dieses Leben zu nutzen und zu bewahren, nicht aber, es zu nehmen, wenn es nicht mehr lebenswert zu sein scheint. So heißt es etwa in der Instruktion Donum vitae:
»Das menschliche Leben ist heilig, weil es von seinem Beginn an ›der Schöpfermacht Gottes‹ bedarf und für immer in einer besonderen Beziehung zu seinem Schöpfer bleibt, seinem einzigen Ziel. Nur Gott ist der Herr des Lebens von seinem Anfang bis zu seinem Ende: Niemand darf sich, unter keinen Umständen, das Recht anmaßen, ein unschuldiges menschliches Wesen direkt zu zerstören.«26
Und der Katechismus der Katholischen Kirche formuliert:
»Jeder ist vor Gott für sein Leben verantwortlich. Gott hat es ihm geschenkt. Gott ist und bleibt der höchste Herr des Lebens. Wir sind verpflichtet, es dankbar entgegenzunehmen und es zu seiner Ehre und zum Heil unserer Seele zu bewahren. Wir sind nur Verwalter, nicht Eigentümer des Lebens, das Gott uns anvertraut hat. Wir dürfen darüber nicht verfügen.«27
Gegen eine solche Begründung wird freilich geltend gemacht, dass sich das Festhalten an der absoluten Heiligkeit und Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens im Rahmen der modernen technischen Medizin und ihren Möglichkeiten der Lebensverlängerung zunehmend auch als sinnlos, ja als grausam und unmenschlich erweisen kann.28 Angesichts dieser Problematik aber wird - auch von theologischer Seite - gegen die Argumentation, nicht der Mensch, sondern Gott allein sei Herr über das menschliche Leben, vorgebracht, Gott habe dem Menschen nicht nur das Leben, sondern auch Vernunft und Freiheit geschenkt und damit auch die Verantwortung für sein Tun übertragen.29 Dann aber beziehe sich diese Verantwortung auch auf den Umgang mit dem menschlichen Leben und mit dem Sterben des Menschen. So schreibt etwa Hans Küng:
»Der allbarmherzige Gott, der dem Menschen Freiheit geschenkt und Verantwortung für sein Leben zugemutet hat, hat gerade auch dem sterbenden Menschen die Verantwortung und Gewissensentscheidung für Art und Zeitpunkt seines Todes überlassen. Eine Verantwortung, die weder der Staat noch die Kirche, weder ein Theologe noch ein Arzt dem Menschen abnehmen kann. Diese Selbstbestimmung ist kein Akt hybriden Trotzes gegen Gott; wie sich Gnade Gottes und Freiheit des Menschen nicht ausschließen, so auch nicht Gottes Vorherbestimmung und des Menschen Selbstbestimmung. … Wenn das ganze Leben von Gott in die Verantwortung eines Menschen gestellt ist, dann gilt diese Verantwortung auch für die letzte Phase seines Lebens, ja, sie gilt erst recht für den eigentlichen Ernstfall seines Lebens: wenn es ans Sterben geht. Warum sollte gerade diese letzte Phase des Lebens von seiner Verantwortung ausgenommen sein?«30
Grundsätzliche Bedenken:
4. Abgesehen von den bisherigen, an verschiedenen Antwortmodellen orientierten Bedenken lassen sich aber auch grundsätzliche Einwände von Seiten der säkularen Vernunft anführen, die eine Begründung ethischer Normen unter Rückgriff auf den Willen Gottes prinzipiell in Frage stellen.31
Voraussetzung von religiösen Grundannahmen
• Ein erster Einwand lautet, dass eine solche Argumentation nur von denjenigen akzeptiert werden kann, die bestimmte religiöse Grundüberzeugungen teilen. Zu diesen Grundüberzeugungen gehört, (1) dass es überhaupt einen Gott gibt, (2) dass dieser Gott ein personales Wesen ist, das einen Willen hat, und (3) dass dieses Wesen zugleich ethisch gut ist. Andernfalls nämlich könnte sein Wille nicht für unser ethisches Handeln maßgeblich sein. Für diejenigen aber, die diese weltanschaulichen und nicht allgemeingültig beweisbaren Überzeugungen nicht teilen, bleibt die Begründung konkreter Handlungsnormen mit Verweis auf den Willen Gottes ohne Relevanz. In einer pluralistischen Gesellschaft ist sie nicht konsensfähig und daher für die Entscheidungsfindung in ethischen Fragen unbrauchbar.
Zirkelschluss: Vorstellung vom ethisch Guten vorausgesetzt
• Aber selbst wenn man die Existenz eines personalen Gottes, der seinen Willen geäußert hat, annimmt, stellt dennoch - so lautet ein zweiter Einwand - die Begründung ethischer Normen unter Rekurs auf Gottes Willen einen Zirkelschluss dar. Sie setzt nämlich voraus, dass Gott ein ethisch vollkommenes Wesen ist. Nur so ist gewährleistet, dass seine Gebote und Verbote wirklich gut sind. Die Annahme aber, dass Gott ethisch vollkommen und gut ist, setzt ihrerseits bereits klare Vorstellungen von ethischer Vollkommenheit und damit von begründeten ethischen Normen voraus. In ähnlicher Weise widerlegt bereits Platon in seinem Dialog Euthyphron die Behauptung, dass das Gute (bzw. Fromme) in dem bestehe, was die Götter lieben. Der Schluss, den er zieht, lautet, dass das Fromme nicht deshalb fromm und gut ist, weil es von den Göttern geliebt wird, sondern dass es von den Göttern deswegen geliebt wird, weil es fromm und gut ist.
»Sokrates: Was sagen wir nun also über das Fromme, Euthyphron? Doch eben, dass es von allen Göttern geliebt wird, wie du behauptet hast? Euthyphron: Ja. Sokrates: Und zwar deshalb, weil es fromm ist - oder aus einem anderen Grunde? Euthyphron: Nein, sondern deswegen. Sokrates: Weil es also fromm ist, wird es geliebt, und nicht weil es geliebt wird, ist es fromm? Euthyphron: Es scheint so.«32
1
Vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. von J. Ritter, Bd. 2, Darmstadt 1972, 812. - Vgl. weiterhin: Matthias Kettner, Art. »Moral«, in: Handbuch Ethik, hg. von M. Düwell/Chr. Hübenthal/M. H. Werner, Stuttgart/Weimar 2002, 410.
2
Vgl. dazu weiter: Werner Wolbert, Art. »Norm«, in: Neues Lexikon der christlichen Moral, Innsbruck/Wien 1990, 563f.
3
Vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. von J. Ritter, Bd. 6, Darmstadt 1984, 919.
4
Vgl. Konrad Ott, Art. »Prinzip/Maxime/Norm/Regel«, in: Handbuch Ethik, a. a.O., 458.
5
Vgl. Lexikon der Ethik, hg. von J.-P. Wils/Chr. Hübenthal, Paderborn 2006, 85.
6
Auch wenn in der Alltagssprache die Ausdrücke »Ethik« und »Moral« und vor allem »ethisch« und »moralisch« oft unterschiedslos synonym verwendet werden, wird innerhalb der Philosophie doch gewöhnlich die Ethik als die Moral reflektierende Wissenschaft einerseits und die lebensweltlich vermittelte Moral bzw. das Ethos andererseits terminologisch klar auseinander gehalten. Vgl. dazu etwa: Eberhard Schockenhoff, Grundlegung der Ethik. Ein theologischer Entwurf, Freiburg/Basel/ Wien 2007, 19. Ebenso: Dieter Birnbacher, Analytische Einführung in die Ethik, Berlin 2003, 1-3.
7
Vgl. dazu Friedo Ricken, Allgemeine Ethik, Stuttgart 42003, und die hier nachgezeichnete Diskussion der genannten Theorien.
8
Vgl. Alfons Auer, Autonome Moral und christlicher Glaube, Düsseldorf 1971/21984; ders., Die Autonomie des Sittlichen nach Thomas von Aquin, in: K. Demmer /B. Schüller (Hgg.), Christlich glauben und handeln. Fragen einer fundamentalen Moraltheologie in der Diskussion, Düsseldorf 1977, 31-54.
9
Zur Kritik an den metaphysischen und religiösen Prämissen dieses Ansatzes vgl. Hans Hirschi, Autonome Moral und christliche Anthropologie, in: W. Lesch/A. Bondolfi (Hgg.), Theologische Ethik im Diskurs, Tübingen/Basel 1995, 97-105. - Ausführlicher in: ders., Moralbegründung und christlicher Sinnhorizont. Eine Auseinandersetzung mit Alfons Auers moraltheologischem Konzept (Studien zur theologischen Ethik, 45), Freiburg (Schweiz) 1992.
10
Vgl. Franz Böckle, Fundamentalmoral, München 1977, vor allem 48-92.
11
Vgl. Bernhard Stoeckle, Grenzen der Autonomen Moral, München 1974, vor allem 86; 95.
12
Zur Abgrenzung des Offenbarungsverständnisses als Selbstmitteilung Gottes sowohl von einem »epiphanischen« als auch von einem »instruktionstheoretischen« Offenbarungsverständnis vgl.: Max Seckler, Der Begriff der Offenbarung, in: Handbuch der Fundamentaltheologie, hg. von W. Kern/H. J. Pottmeyer/M. Seckler, Bd. 2: Traktat Offenbarung, Tübingen/Basel 22000, 45-48. Seckler spricht im Blick auf das Konzept der Selbstmitteilung Gottes auch von einem »kommunikationstheoretischpartizipativen« Offenbarungsverständnis. Vgl. weiterhin: Max Seckler, Aufklärung und Offenbarung, in: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft, Bd. 21, Freiburg/ Basel/Wien 1980, 5-78, hier bes. 54-59.
13
Vgl. hierzu und zur folgenden Erläuterung von Offenbarung in der Korrelation von Wort Gottes und Glaube: Peter Knauer, Der Glaube kommt vom Hören. Ökumenische Fundamentaltheologie, Freiburg/Basel/Wien 61991.
14
Vgl. dazu auch: Peter Knauer, Handlungsnetze. Über das Grundprinzip der Ethik, Frankfurt am Main 2002, 17f.
15
Vgl. dazu: Gerhard Ebeling, Die »nicht-religiöse Interpretation biblischer Begriffe«, in: ders., Wort und Glaube, Bd. 1, Tübingen 31967, 107.
16
Enzyklika »Deus caritas est« von Papst Benedikt XVI. an die Bischöfe, an die Priester und Diakone, an die gottgeweihten Personen und an alle Christgläubigen über die christliche Liebe, 25. Dezember 2005 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 71, hg. vom Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2006).
17
Vgl. Josef Mausbach/Gustav Ermecke, Katholische Moraltheologie, Bd. I: Die allgemeine Moral, Münster 81954, 68.
18
Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen und erläuternde Texte, übers. und erklärt von P. Knauer, Leipzig 1978, Nr. 1.
19
Vgl. Enzyklika »Humanae vitae« über die rechte Ordnung der Weitergabe menschlichen Lebens, lateinisch - deutsch (Nachkonziliare Dokumentation Bd. 14), Trier 1968, Nr. 11-13. »Diese vom kirchlichen Lehramt oft dargelegte Lehre gründet in einer von Gott bestimmten (a Deo statuto) unlösbaren Verknüpfung der beiden Sinngehalte - liebende Vereinigung und Fortpflanzung -, die beide dem ehelichen Akt innewohnen.« (Nr. 12) - »Ein Akt gegenseitiger Liebe widerspricht dem göttlichen Plan, nach dem die Ehe entworfen ist, und dem Willen des ersten Urhebers menschlichen Lebens, wenn er der vom Schöpfergott in ihn nach besonderen Gesetzen hineingelegten Eignung, zur Weckung neuen Lebens beizutragen, abträglich ist. Wenn jemand daher einerseits Gottes Gabe genießt und andererseits - wenn auch nur teilweise - Sinn und Ziel dieser Gabe ausschließt, handelt er somit im Widerspruch zur Natur des Mannes und der Frau, und deren inniger Verbundenheit; er stellt sich damit gegen Gottes Plan und heiligen Willen (Dei consilio sanctaeque eius voluntati obnititur)« (Nr. 13).
20
Daily Telegraph (8. Juni 1998).
21
Vgl. dazu: Günter Altner, Der Mensch als Geschöpf. Theologische Überlegungen und ethische Bewertungen zur Entwicklung der Gentechnologie, in: G. Altner/E. Benda/G. Fülgraff, Menschenzüchtung. Ethische Diskussion über die Gentechnik, Stuttgart 1985, 63.
22
Vgl. etwa: Hans Jonas, Technik, Medizin und Ethik. Zur Praxis des Prinzips Verantwortung, Frankfurt am Main 1985, 204.
23
Belege zu diesem Argumentationstyp vgl. etwa: Kurt Bayertz, Drei Typen ethischer Argumentation, in: H. M. Sass, Genomanalyse und Gentherapie. Ethische Herausforderungen in der Humanmedizin, Berlin/Heidelberg u.a. 1991, 307-315.
24
Vgl. zu einer solchen Kritik etwa: Volker Gerhardt, Was Biopolitik ist und was gegen sie spricht, in: Zeitschrift für Biopolitik 1 (2002) 45f. Vgl. zur Auseinandersetzung mit V. Gerhardt: Herbert Schlögel, Heiligkeit des Lebens - Ehrfurcht vor dem Leben. Nützliche Begriffe in der Bioethik?, in: Communio 31 (2002) 556-564.
25
Vgl. dazu das einflussreiche ältere Handbuch der Moraltheologie von Bernhard Häring, Das Gesetz Christi, Freiburg 1965, 1004. Hier heißt es von demjenigen, der sich selbst das Leben nehmen will: »Er will Herr sein über Leben und Tod. So versündigt sich der Selbstmörder gerade gegen die Majestät und das Oberlehensrecht Gottes über unser Leben. (…) Der Selbstmörder will nicht dienen und nicht leiden nach Gottes Willen. Darum wirft er Gott sein Leben trotzig hin.«
26