Grundlagen und Perspektiven der Liturgiewissenschaft - Albert Gerhards - E-Book

Grundlagen und Perspektiven der Liturgiewissenschaft E-Book

Albert Gerhards

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Beschreibung

Glauben leben: Geschichte, Bedeutung und Wandel der Liturgie Ein zentrales Element des christlichen Glaubens ist der liturgisch gestaltete Gottesdienst, in dem die christliche Gemeinde ihre Verbindung zu Gott erfährt. Die Gestaltung des Gottesdienstes wird in der Liturgie festgelegt: vom tradierten Ablauf des religiösen Ritus über die zeremoniellen Gegenstände bis hin zur geistlichen Musik und dem Einsatz von Kirchenliedern. Doch die Gestaltung des Gottesdienstes wandelt sich. Wie sich die Liturgie über Jahrhunderte hinweg veränderte, zeigen die beiden Professoren Albert Gerhards (Bonn) und Benedikt Kranemann (Universität Erfurt) in ihrer fundierten Einführung "Grundlagen und Perspektiven der Liturgiewissenschaft". - Das Standardwerk zur Liturgik - unabdingbar für Wissenschaftler und Studenten der Theologie, für Priester, Pfarrer und alle im geistlichen Dienst - Komplett überarbeitete Neuauflage des erfolgreichsten Kompendiums der katholischen Liturgiewissenschaft - Moderne Methodik: systematische Darstellung der Herkunft und Genese aus dem jüdisch-christlichen Kontext - Elemente und Ausdrucksformen des Gottesdienstes: Mit Exkursen zu Sakramentenliturgien, zu interreligiösen Feiern, zu Riten für unterschiedliche Formen von Partnerschaft, zur Nutzung und Nachnutzung von Kirchenräumen - Impulse für eine moderne Kirche und wichtiger Beitrag zu einer ökumenischen LiturgiewissenschaftLiturgiewissenschaft: Reflexion über den Austausch zwischen Gott und den Gläubigen Die Liturgik ist eine Teildisziplin der katholischen Theologie. Sie erforscht quellenbasiert die Herausbildung der äußeren und inneren Ritusformen, deren Funktionswandel und die geistliche Dimension des religiösen Zeremoniells. Zugleich ist sie ein Spiegel der historischen und gegenwärtigen Frömmigkeit und damit fest in aktuellen gesellschaftlichen Debatten verankert. All dies beschreiben die beiden Autoren Albert Gerhards und Benedikt Kranemann in diesem Standardwerk. Dabei gehen sie auch in kurzen Debattenbeiträgen auf die heutigen Aufgaben der Liturgie ein. Sie erschließen somit nicht nur die akademische Liturgiewissenschaft, sondern bieten mit ihrem Grundlagenwerk Theologen, Religionswissenschaftlern und theologisch Interessierten ein umfassendes Einführungswerk.

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Seitenzahl: 680

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Albert Gerhards/Benedikt Kranemann

Grundlagen und Perspektiven der Liturgiewissenschaft

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitungdurch elektronische Systeme.

wbg Academic ist ein Imprint der wbg.

© 2019 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), DarmstadtDie Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitgliederder wbg ermöglicht.

Satz: Olaf Mangold Text & Typo, StuttgartUmschlaggestaltung: Peter Lohse, HeppenheimUmschlagabbildung: Leo Zogmayer, St. Andreas, Mitterkirchen,Österreich; Altartisch und Ambo, Olivenholz; Gotisches Taufbecken;Neugestaltung des Innenraums der gotischen Pfarrkirche, 2004.

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-27214-3

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:eBook (PDF): ISBN 978-3-534-74598-2eBook (epub): ISBN 978-3-534-74599-9

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Impressum

Inhalt

Abkürzungen

Einleitung

1Liturgie im gesellschaftlichen Umfeld

1.1 Christliche Liturgie in den multiplen Modernen

1.2 »Liturgie« – theologische Begriffsgeschichte

1.3 Die rituelle Dimension der Liturgie

1.4 Plurale Liturgie als Thema der Liturgiewissenschaft

2Geschichte, Profil und Methoden des Faches Liturgiewissenschaft

2.1 Das Selbstverständnis der Liturgiewissenschaft

2.2 Etappen der Geschichte des Faches Liturgiewissenschaft

2.2.1 Liturgieerklärung in der Alten Kirche und im Mittelalter

2.2.1.1 Frühchristliche Beispiele für die Reflexion des christlichen Gottesdienstes

2.2.1.2 Formen mittelalterlicher Liturgieerklärung

2.2.2 Liturgische Quellensammlungen und Kommentare im Humanismus

2.2.3 Die Rubrizistik der frühen Neuzeit

2.2.4 Weichenstellung zur eigenständigen Disziplin »Liturgiewissenschaft«

2.2.4.1 Liturgiewissenschaft seit dem 18. Jahrhundert

2.2.4.2 Entstehung von Handbüchern im 19./20. Jahrhundert

2.2.5 Programmatik der Liturgiewissenschaft im frühen 20. Jahrhundert

2.2.5.1 Methodenvielfalt in der Liturgiegeschichtsforschung

2.2.5.2 Liturgiewissenschaft als theologische Disziplin

2.2.5.3 Förderung des liturgischen Lebens durch die Pastoralliturgik

2.2.6 Die Gewichtung des Faches durch das Zweite Vatikanische Konzil und die Nachkonzilszeit

2.2.7 Liturgiewissenschaft heute

2.2.7.1 Liturgie im kirchlichen und gesellschaftlichen Umfeld des frühen 21. Jahrhunderts

2.2.7.2 Herausforderungen für die Methodik des Faches

2.3 Wie interpretiert man Liturgie?

3Geschichtliche Skizze zur Liturgie aus der Perspektive der römischen Tradition

3.1 Liturgiegeschichte als zentrale Aufgabe der Liturgiewissenschaft

3.2 Jüdische Liturgie und urchristlicher Gottesdienst

3.2.1 Jüdischer Gottesdienst im Umfeld Jesu

3.2.2 Die Anfänge des christlichen Gottesdienstes

3.2.3 Das differenzierte Verhältnis von jüdischem und christlichem Gottesdienst in der Spätantike

3.2.4 Frühchristliche Liturgie im Zeugnis ausgewählter Quellen

3.3 Die Entstehung des römischen Ritus

3.3.1 Von der griechischen zur lateinischen Liturgiesprache

3.3.2 Quellen altrömischer Liturgie

3.3.3 Die römische Bischofsmesse um das Jahr 700

3.3.4 Wesenszüge der römischen Liturgie

3.4 Liturgische Zentren der Spätantike

3.4.1 Die Jerusalemer Liturgie

3.4.2 Die Liturgien der Patriarchate des Ostens

3.4.3 Die nicht-römischen westlichen Liturgien

3.5 Die Adaption römischer Liturgie nördlich der Alpen

3.5.1 Dogmengeschichtliche Hintergründe: Die Abwehr des Arianismus

3.5.2 Der Wandel des Christusbildes und seine frömmigkeitsgeschichtlichen Folgen im Hinblick auf liturgisches Gebet und Festzyklen

3.5.3 Der Fortbestand der römischen Liturgie

3.5.4 Kontinuität und Wandel der »römischen« Liturgie

3.6 Grundzüge der Liturgie im Hoch- und Spätmittelalter am Beispiel der Liturgie der Stadt Köln

3.7 Die Liturgie in der Zeit der Reformation und der Katholischen Reform

3.7.1 Das Erbe des Mittelalters

3.7.2 Das vorreformatorische Jahrhundert

3.7.3 Ein Reformprojekt am Vorabend der Reformation: Der Libellus ad Leonem X (1513)

3.7.4 Die Liturgiereform der Reformatoren am Beispiel der Abendmahlsliturgie

3.7.5 Das Liturgieverständnis der Katholischen Reform

3.8 Liturgische Reformansätze der Aufklärungszeit

3.8.1 Zielsetzung und Reforminhalte der Liturgik der Aufklärungszeit

3.8.2 Das Beispiel der Synode von Pistoia: Geistesgeschichtliche Hintergründe und Reformprogramm

3.9 Liturgische Strömungen im 19. Jahrhundert

3.9.1 Die Kirchenmusik als »heilige Kunst«

3.9.2 Die Entwicklung der Kirchenmusik im 19. Jahrhundert

3.9.3 Die Cäcilienbewegung und zunehmende Zentralisierung der Liturgie

3.9.4 Von der Restauration zur Liturgischen Bewegung

3.10 Die Liturgische Bewegung und Erneuerung

3.10.1 Persönlichkeiten und Zentren der Liturgischen Bewegung

3.10.2 Prinzipien und Resultate der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils

3.10.3 Grenzen der Reform und Zukunftsperspektiven

Kurzinformation: Gemeinsame religiöse Feiern verschiedener Religionsgemeinschaften

4Theologie der Liturgie

4.1 Liturgie als Versammlung vor Gott

4.1.1 Versammlung als anthropologisches Phänomen

4.1.2 Liturgie als von Gott gerufene Versammlung

Kurzinformation: Tagzeitenliturgie

4.1.3 Liturgiefeier in gegliederter Versammlung

4.1.4 Hören und Antworten als menschliche Grundaktionen in liturgischer Versammlung

4.1.5 Versammlung der Gemeinde – Versammlung der Kirche

4.1.6 Aktualisierung von Heilsgeschichte in der liturgischen Symbolhandlung

4.2 Theo-logie

4.2.1 Begegnung mit dem personalen Gott

4.2.2 Doxologische Gottesanrede

4.2.3 Der Gott der Geschichte

4.2.4 Gottesbilder der Liturgie

4.3 Christologie

4.3.1 Liturgisches Gebet »ad Christum« – »per Christum«

4.3.2 Liturgie als Feier des Pascha-Mysteriums

4.3.3 Gegenwart Christi in der Liturgie

4.4 Pneumatologie

4.4.1 Liturgie als geistgewirktes Geschehen

4.4.2 Doxologie, Epiklese, Anrufung

Kurzinformation: Feier der Taufe

4.4.3 Handauflegung und Salbung als darstellendes Handeln

4.4.4 Der Heilige Geist in poetischen Texten des Gottesdienstes

4.5 Die Zeitordnung der Liturgie

4.5.1 Zeitmodi der Liturgie

4.5.2 Die Dimension der Erinnerung

4.5.3 Die Dimension der Erwartung

4.6 Liturgie der Gemeinde und himmlische Liturgie

4.6.1 Himmlische Liturgie als Verherrlichung Gottes

4.6.2 Zusammenspiel von irdischer Liturgie und endzeitlich-himmlischer Liturgie

4.6.3 Liturgie und Eschatologie

Kurzinformation: Kirchenjahr

4.7 Der Mensch in der Liturgie

4.7.1 Heiligung des Menschen in der Liturgie

4.7.2 Transformation menschlicher Wirklichkeit

4.7.3 »Einer« in Christus – das inklusive Menschenbild

Kurzinformation: Lebenswendefeier

4.7.4 Leiblichkeit des Menschen und Liturgie

Kurzinformation: Riten anlässlich menschlicher Partnerschaft

4.8 Liturgie und christliche Lebenspraxis

4.8.1 Erinnerte Heilsgeschichte und diakonales Handeln

4.8.2 Liturgische Heilsantizipation und christliche Handlungsoptionen

4.8.3 Die wechselseitige Beziehung von Liturgie und sozialem Handeln

Kurzinformation: Trauerfeiern nach Großkatastrophen

5Elemente und Ausdrucksformen des Gottesdienstes

5.1 Die Heilige Schrift in der Liturgie

5.1.1 Die Bedeutung biblischer Texte in der Liturgie

5.1.2 Biblische Bücher als Heilige Schrift

5.1.3 Die Verwendung biblischer Texte in der Liturgie

5.1.4 Die Rezeption biblischer Texte im Gottesdienst

5.1.5 Intertextualität biblischer Texte in der Liturgie

Kurzinformation: Wort-Gottes-Feier

5.2 Gebet in der Liturgie

5.2.1 Gebet in der Spannung von Lebenserfahrung und Glaubensüberlieferung

5.2.2 Voraussetzungen des liturgischen Gebets

5.2.3 Das Heute Gottes in der Synthese der Zeit: In-eins-Fallen von Vergangenheit und Zukunft im Jetzt

5.2.4 Theologische Grundstrukturen jüdisch-christlicher Gebetsweisen

5.2.5 Formen und Formeln des liturgischen Gebets

5.2.5.1 Die Oration (Kollektengebet)

5.2.5.2 Die Struktur des eucharistischen Hochgebets

Kurzinformation: Eucharistiefeier

5.2.5.3 Doxologien

5.2.5.4 Akklamationen

5.2.5.5 Litaneien

5.2.6 Zum Vollzug des Betens – Haltungen und Gebärden

5.3 Die Sprache der Liturgie

5.3.1 Die Sprache als Ausdrucksmittel der Liturgie

5.3.2 Die Geschichte der Sprache im Gottesdienst der katholischen Kirche

5.3.3 Die Diskussion um die Liturgiesprache von der Liturgiekonstitution (1963) bis zum Motu Proprio »Magnum Principium« (2017)

5.4 Gesang und Musik in der Liturgie

5.4.1 Der Gesang als Wesensbestandteil der Liturgie

5.4.2 Zur liturgietheologischen Einordnung der Fragestellung

5.4.3 Musik als Raum-Zeit-Kunst

5.4.4 Zur Bestimmung der Musik im Gottesdienst

5.4.5 Das »Repertoire« des liturgischen Gesangs und der Kirchenmusik

5.4.6 »Religiöser Volksgesang« und Liturgie

5.4.7 Zur theologischen Begründung des Singens im Gottesdienst

5.5 Zeichen und Zeichenhaftigkeit in der Liturgie

5.5.1 Zeichenhaftigkeit des Gottesdienstes

5.5.2 Kirchenraum: Liturgischer Feierraum und öffentlicher Raum

5.5.3 Liturgische Orte

5.5.3.1 Der Altar

5.5.3.2 Der Ambo

5.5.3.3 Der Taufort

5.5.4 Gefäße und Geräte

5.5.5 Gewänder und Textilien

Kurzinformation: Nutzung und Nachnutzung von Kirchenräumen

Anhang

1 Initiation

1.1 Feiern der Initiation

1.1.1 Die Feier der Eingliederung Erwachsener in die Kirche

1.1.2 Die Feier der Kindertaufe

1.2 Anrufung und Lobpreis Gottes über dem Wasser (Taufwasserweihe), 1. Formular

2 Eucharistie

2.1 Die Gesänge und Gebete des Ordo Missae

2.2 Der Wortgottesdienst der Messfeier, dargestellt am Beispiel des 9. Sonntags im Jahreskreis B

2.3 Das Eucharistische Hochgebet, dargestellt am Beispiel des Hochgebets II

3 Verteilung der Psalmen und Cantica im 4-Wochen-Zyklus der Liturgia Horarum 1971

4 Aufbau und Inhalt der Liturgiekonstitution ›Sacrosanctum Concilium‹

5 Die Amida in Seder Raw Amram

Quellen- und Literaturverzeichnis

Personenregister

Sachregister

Abkürzungen

Die Abkürzungen für antike Autoren und ihre Werke richten sich nach dem Abkürzungsverzeichnis des »Lexikon für Theologie und Kirche«, dritte völlig neu bearbeitete Auflage. Die Abkürzungen von Zeitschriften folgen in der Regel Siegfried M. Schwertner, IATG3 – Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete. Zeitschriften, Serien, Lexika, Quellenwerke mit bibliographischen Angaben. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin – Boston 2014.

Als weitere Abkürzungen werden verwendet:

AEM

Allgemeine Einführung in das Römische Meßbuch (enthalten in: Die Meßfeier – Dokumentensammlung [vgl. im Quellen- und Literaturverzeichnis Nr. 79])

AES

Allgemeine Einführung in das Stundengebet [vgl. Nr. 80]

DEL

Dokumente zur Erneuerung der Liturgie [vgl. Nrn. 81–83]

GL

Gotteslob [vgl. Nr. 75]

KKK

Katechismus der katholischen Kirche. München [u.a.] 1993

LG

Lumen Gentium

NA

Nostra Aetate

PEM

Pastorale Einführung in das Meßlektionar (enthalten in: Die Meßfeier – Dokumentensammlung [vgl. Nr. 79]) 7–89

PLR-GD

Pastoralliturgische Reihe in Verbindung mit der Zeitschrift Gottesdienst

PO

Presbyterorum Ordinis

SC

Sacrosanctum Concilium [vgl. Nr. 100]

UR

Unitatis Redintegratio

Einleitung

Gegenstand der Liturgiewissenschaft als theologischer Disziplin sind Geschichte, Theologie und Gegenwart des Gottesdienstes. Die vielfältigen Feiern unterschiedlicher christlicher Liturgien werden untersucht. Die Ausdrucksformen des Glaubens, die für die Liturgiewissenschaft Objekt wissenschaftlichen Interesses sind, umfassen das gesamte sprachliche und nichtsprachliche Spektrum liturgischer Zeichenhandlungen in Geschichte und Gegenwart, in unterschiedlichen Konfessionen und Kulturen. Dieser Fülle an Inhalten steht in dieser Einführung die notwendige Kürze der Darstellung gegenüber. So können nur einige grundlegende Themen angesprochen, hier und dort Akzente gesetzt, Hinweise und Anregungen für die eigene weitere Lektüre gegeben werden. Wenn dieses Buch auch vieles nur fragmentarisch abhandeln kann, so will es doch ein differenziertes Bild des christlichen Gottesdienstes bieten und Interesse an der Liturgiewissenschaft wecken.

Am Anfang des Buches steht eine Skizze über Funktion und Deutung von Liturgie im gesellschaftlichen Umfeld. Ein zweites Kapitel führt in das Fach Liturgiewissenschaft ein. Dem schließt sich ein längeres, dennoch ausschnitthaft bleibendes Kapitel über die Geschichte der römischen Liturgie an. Auch hier zwingt die Kürze der Darstellung zur Konzentration auf Basisinformationen. Die Liturgiegeschichte ist ein ebenso zentrales Gebiet der Liturgiewissenschaft wie die Theologie der Liturgie, von der einige wesentliche Themen ausgearbeitet werden. Auf dieser Basis von Geschichte und Theologie lassen sich Elemente und Ausdrucksformen des Gottesdienstes darstellen: die Heilige Schrift in der Liturgie, das Gebet als zentrale liturgische Sprachhandlung, die Sprache des Gottesdienstes, Gesang und Musik sowie Zeichen und Zeichenhaftigkeit der Liturgie. Grundlegendes wird behandelt, vor dessen Hintergrund ein Handlungsgeschehen wie die Liturgie erst zu verstehen ist.

Ein Anhang mit einigen wenigen Textbeispielen und Schemata, exkursartige Darstellungen zu einzelnen Formen des Gottesdienstes und zu Fragen gegenwärtiger Liturgie sowie ein umfangreiches Literaturverzeichnis helfen, das vorliegende Buch als Studienbuch zu benutzen.

Dieses einführende Werk richtet sich an theologisch und kulturwissenschaftlich interessierte Leserinnen und Leser. Deshalb stehen weniger Fragen der Liturgiepastoral als theologische und historische Fragestellungen im Vordergrund. Zudem werden diejenigen, die sich mit Geschichte und Theologie der Liturgie vertraut gemacht haben, in die Lage versetzt, selbstständig Kriterien für die Pastoral zu entwickeln.

Schließlich sei auf die konfessionelle Begrenzung des Buches aufmerksam gemacht. Die vorliegende Einführung ist aus der Perspektive katholischer Theologie geschrieben. Die Liturgiewissenschaft arbeitet schon lange ökumenisch; deshalb kommen selbstverständlich auch Stimmen aus Wissenschaftstraditionen anderer Konfessionen zur Sprache. Die Verfasser wissen sich einer ökumenischen Liturgiewissenschaft verpflichtet, haben sich aber für diese knappe Publikation auf die Darstellung der eigenen Tradition beschränken müssen.

Für diese vierte Auflage des ursprünglich unter dem Titel »Einführung in die Liturgiewissenschaft« erschienenen Bandes sind eine Reihe von Kurzdarstellungen zu einzelnen liturgischen Feiern und aktuellen Fragen der Liturgiewissenschaft aufgenommen worden. Es wurden zudem einige Passagen im Buch ergänzt und durchgesehen. In größerem Maße wurde neuere Literatur nachgetragen. Für diese Überarbeitung war insbesondere das Ziel, die Einführung in die Liturgiewissenschaft mit Blick auf die neuen Herausforderungen und die vielfältigen Krisen in der katholischen Kirche, die auch die Feier des Gottesdienstes berühren, weiterzuentwickeln. Die Ergänzungen und Umarbeitungen wollen helfen, mit den Anfragen, die sich heute für die Liturgie auf ganz unterschiedlichen Feldern kirchlichen Lebens stellen, sachgerecht und kreativ umzugehen.

Für Anregungen und redaktionelle Hilfe bei der Erarbeitung der verschiedenen Auflagen des Buches gilt den ehemaligen und jetzigen studentischen und wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an den Lehrstühlen für Liturgiewissenschaft der Katholisch-Theologischen Fakultäten in Bonn und Erfurt, besonders Dr. Annika Bender, Dipl. theol. Birgit Hosselmann, Juliane Neitzke, M. Theol. Christopher Tschorn, Prof. Dr. Stephan Wahle und Alfrun Wiese unser Dank.

Albert Gerhards Benedikt Kranemann

1Liturgie im gesellschaftlichen Umfeld

1.1Christliche Liturgie in den multiplen Modernen

Hinter dem Wort »Liturgie« verbirgt sich eine Fülle von Feierformen, die auf ganz verschiedene Weise mit dem Leben der Kirche, der Gesellschaft und des Einzelnen verbunden sind und sehr unterschiedliche Deutungen erfahren. »Liturgie« ist ein Begriff, der zwar in der Abstraktion und Distanz Analyse und Erkenntnis erleichtert, zugleich aber immer um die Spezifika und Unterschiede konkreter Liturgiefeiern zu ergänzen ist. Unsere Einführung in die Liturgiewissenschaft geht entsprechend vor: Sie stellt jene Aussagen und Erkenntnisse zusammen, die im Hinblick auf das Phänomen »Liturgie« allgemein formuliert werden können, und wendet sie auf konkrete Liturgiefeiern an.

Beispiele für die Vielfalt des liturgischen Lebens der Kirche lassen sich rasch zusammentragen.

Im Mittelpunkt der katholischen Kirchengemeinde steht die sonntägliche Eucharistie als Feier der Auferstehung Christi – eine Liturgie mit klarem Anlass (wöchentliche Feier des Ostergeheimnisses als Mittelpunkt christlicher Existenz) zu einem fixen Termin (dem Sonntag) und in der Regel an einem bestimmten Ort (Gemeindekirche), mit einer, was die Teilnahmevoraussetzungen betrifft (Initiation), relativ deutlich umrissenen, auch konfessionell abgegrenzten Teilnehmergruppe und einer durch kirchliche Ordnungen definierten Verteilung der Ämter und Rollen. Diese Liturgie soll den Vorgaben und Texten (Lesungen, Orationen, Hochgebet etc.) liturgischer Bücher, des Lektionars, Evangeliars oder Messbuchs, folgen. Sie ist also kirchlich geordnete Liturgie, für die aber erhebliche Gestaltungsspielräume bestehen. Als Gründe für die kirchlich vorgegebene Ordnung werden die notwendige Strukturierung menschlicher Versammlung, das Bemühen um Orthodoxie in der Liturgie, die Ausdruck des Glaubens der Kirche ist, die Einbindung der Liturgie in die Kirche und die Sicherung des theologischen und kulturellen Niveaus der Liturgie genannt (Klöckener/122). Variationen zwischen den Liturgien verschiedener Ortskirchen stammen darüber hinaus entweder aus Inkulturation, also der Interaktion verschiedener Kulturen, oder aus selbst eingeräumten Gestaltungsfreiheiten. Der Liturgie wird die Aufgabe der Konstituierung von Kirche zugewiesen: Aus der Eucharistie heraus soll Kirche jeweils neu entstehen. Diese Liturgie besitzt also eine stark binnenkirchliche Bedeutung, wird aber auch in der Gesellschaft als Handeln einer gesellschaftlichen Gruppe wahrgenommen und toleriert.

Aufgrund des massiven Priestermangels ist für eine wachsende Zahl von Christen am Sonntag die Feier der Eucharistie in der Gemeinde bzw. am Kirchort innerhalb der jeweiligen Großpfarrei nicht mehr möglich. Wenn in solchen Fällen eine Wort-Gottes-Feier begangen wird, zeigt dies, welche Bedeutung die sonntägliche gemeinschaftliche Liturgiefeier in einer kirchlich verantworteten Form für die Existenz der Kirche besitzt. Im Mittelpunkt dieser Feier stehen die Verkündigung des Wortes Gottes, Besinnung und Gebet. Die Feiern werden von Männern und Frauen aus der Gemeinde geleitet, die eine bischöfliche Beauftragung haben. Für diese Gottesdienste gibt es kirchenamtliche Vorlagen (s. unten 208–211).

Blickt man allein auf die Fülle der Erscheinungsformen kirchlich verantworteter Liturgie, trifft man auf zahlreiche »Liturgien«. Dazu gehören so unterschiedliche Feiern wie die Messfeier mit Wortgottesdienst und Eucharistie; die Tagzeitenliturgie (Laudes, Vesper, Komplet, Lesehore und die kleinen Horen) mit alt- und neutestamentlichen Gesängen, Schriftlesung und Gebet; die Liturgie des Osterfestes mit komplexer Struktur aus Nachtwache (Vigil) mit Lichtfeier, Wortgottesdienst, Taufe und Eucharistie; eine einfache Benediktion (Segnung) mit Schriftlesung, Segensgebet, Fürbitte und Schlussgebet oder eine Begräbnisliturgie, die in Lesung, Gebet und Zeichenhandlung Abschied von und Hoffnung für den Verstorbenen zum Ausdruck bringt. Dieser Katalog ließe sich um viele weitere Feierformen aus Tradition und Gegenwart erweitern; dies erst recht, wenn man den Blick auf die Ökumene und die zahlreichen Weisen weitet, ökumenische Gottesdienste zu feiern. »Liturgie« bezeichnet heute also keineswegs nur die Messe, sondern alle Formen kirchlich verantworteter gottesdienstlicher Feiern mit unterschiedlicher theologischer Bedeutung und verschiedenem rituellem Habitus.

Einen ganz anderen Typ von Liturgie bilden Gottesdienste, die anlässlich gesellschaftlicher Ereignisse begangen werden, etwa im Umfeld von Katastrophen (Disaster Ritual/109; Riskante Liturgien/144; Trauerfeiern/149; Deutschland trauert/108; Kranemann/126). Sie finden anlassbezogen statt und werden zumeist in Zusammenarbeit von Kirche und staatlichen Institutionen unter Zugrundelegung bestimmter ritueller Repertoires organisiert. Solche Feiern sind kein binnenkirchliches Geschehen, sondern tragen explizit öffentlichen Charakter. Letztlich gibt es keine klaren Teilnahmevoraussetzungen, wenngleich beispielsweise die Trauer um die Katastrophenopfer die Teilnehmenden eint. Die Funktion der Feier ist Hilfe zur Artikulation und Bewältigung von Trauer und Ausdruck gesellschaftlicher Solidarität. Die Feier wird von manchen konfessionell-religiös, von anderen eher zivilreligiös gedeutet. Die Rollenträger variieren und werden nicht allein nach kirchlich-theologischen Vorgaben bestimmt. In der Regel werden solche Feiern interkonfessionell, zunehmend unter Einbezug anderer Religionen, also multireligiös begangen. Auch die Feiergestalt variiert, obwohl bestimmte Elemente (Bibeltexte, Instrumentalmusik, Segensgesten u. Ä.) immer wieder verwendet werden. An welchen Orten solche Gottesdienste stattfinden, hängt von den Umständen ab; das können Kirchenräume, öffentliche Plätze, aber etwa auch Sportstadien sein. Diese Gottesdienste besitzen eine sehr große mediale Präsenz, sodass unterschiedliche Partizipationsformen durch unmittelbare Teilnahme oder via Medien möglich sind. Je nachdem, ob in diesen Ritualen ein explizites Gottesbekenntnis ausgesprochen und in der Feier Gott als Gegenüber des Menschen bekannt wird, kann man von Liturgie oder aber allgemeiner von einer religiösen Feier sprechen. Damit gelangt eine Ausdifferenzierung der kirchlichen Feierkultur ins Blickfeld, die in dem Moment wächst, in dem die Kirche über den engeren Kreis der Kirchenmitglieder hinaus mit neuen Ritualen in die Gesellschaft hineinwirkt. Diese Vielfalt von Feier- und letztlich auch Liturgieformen stellt sich insbesondere einer Kirche als Aufgabe, die sich als Teil einer pluralen Gesellschaft versteht. Sie ist Ausdruck einer gesellschaftlich offenen Kirche.

Die Feier der Säuglingstaufe ist in westeuropäischen Gesellschaften unter Katholiken nach wie vor die häufigste Form der Initiation. Taufe bedeutet (in Einheit mit Firmung und Eucharistie), dass die Getauften an Tod und Auferstehung Christi teilhaben und in die Kirche eingegliedert werden. Die Liturgie erfährt kirchlich-sakramententheologisch eine klare Deutung. Als Initiationsliturgie, also im religiösen Sinne als Rite de Passage (van Gennep/151; Turner/150) oder Übergangsritus vom Zustand des Nichtgetauftseins in den Status des Getauftseins, kommt ihr innerkirchlich eine andere Bedeutung zu als etwa der Eucharistie, die diesen Status voraussetzt. In der Gegenwart werden dieser Liturgie aber von den Beteiligten weitere und als wesentlich empfundene Deutungen zugeschrieben, die für das Verständnis vielfältiger Wahrnehmungen von Liturgie wichtig sind. Gerade die Säuglingstaufe wird häufig als ein die Identität der Familie religiös bestätigendes und sakralisierendes Ritual gedeutet. Man versteht die Taufe als Privatangelegenheit, der Bezug zu Kirche und Gemeinde tritt zurück. Im Vordergrund steht (nach Ebertz/110) die Bestätigung, Deutung und Überhöhung eigener Lebenswirklichkeit. Zugleich verläuft die Taufe aber nach einem kirchlich approbierten liturgischen Buch und mit entsprechenden Rollenträgern. Die Eltern entscheiden sich bewusst für diese kirchliche Liturgie, interpretieren sie aber im Kontext der Familie. Der Traditionserhalt im Ritual geht einher mit dem Traditionsbruch in der Deutung. Ähnliches ließe sich für Trauung und Begräbnis zeigen.

Am Beispiel ist ablesbar, dass sich mit jeder Liturgie ganz unterschiedliche Deutungszuweisungen verbinden können, deren Legitimität und Zueinander theologisch zu reflektieren ist. Der Begriff »Liturgie« umschließt also nicht nur eine Formen-, sondern auch eine Deutungsvielfalt, so dass ein und dieselbe Feier ganz unterschiedlich interpretiert wird (Hoffman/120; Winter/152). Solche Bedeutungszuweisungen über den theologischen Sinn hinaus begleiten die Liturgiegeschichte, erhalten aber im religiösen Pluralismus der Moderne größere Relevanz und Plausibilität.

Die Vielfalt heutigen gottesdienstlichen Lebens (vgl. dazu auch Haunerland/117: 141–150) muss mit der Entwicklung von Religion und damit des Christentums in Westeuropa zusammengesehen werden. Für deren Beschreibung ist »Säkularisierung« das gängige Beschreibungsparadigma. Drei Aspekte kennzeichnen in Anlehnung an Studien des amerikanischen Soziologen Jose Casanova (Casanova/106) die Rolle der Religion in der Säkularisierung westeuropäischer Gesellschaften, die »in Sachen religiöser Entwicklung als die große, erklärungsbedürftige Ausnahme« (Gabriel/113: 16) betrachtet werden kann:

1. Trennung von weltlicher und religiöser Sphäre charakterisiert die Säkularisierung. Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und auch Religion sind autonom geworden, die Gesellschaft hat sich differenziert. Damit verliert die Religion nicht etwa ihre Funktion, aber diese Funktion ändert sich.

2. Zudem bedeutet Säkularisierung in Westeuropa, dass Traditionen und Praktiken der Religionen erodieren. Im Bereich der Liturgie ist das offenkundig: Die Gottesdienstpraxis deutscher Katholiken hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert. Nach einer Statistik der Deutschen Bischofskonferenz ist die Zahl der Teilnehmenden am katholischen Sonntagsgottesdienst in Deutschland von 1962 bis 2017 von 44,7 % (Westdeutschland) auf 9.8 % gefallen. Es gibt regional erhebliche Unterschiede. Die Zahl der Säuglingstaufen ist relativ stabil. Rückläufige Zahlen liegen unter anderem für die Trauung vor. Die Zahl der durch die katholische Kirche durchgeführten Bestattungen ist in den letzten Jahrzehnten vergleichsweise leicht zurückgegangen. Demgegenüber stieg die Zahl der Taufen von Kindern im Schulalter und von Erwachsenen. Erosionen lassen sich auch hinsichtlich der Vertrautheit mit unterschiedlichen liturgischen Riten und Frömmigkeitspraktiken beobachten (vgl. »Zahlen und Fakten« auf der Homepage der Deutschen Bischofskonferenz www.dbk.de).

3. Schließlich wird als dritter Aspekt von Säkularisierung die Privatisierung von Religion genannt. Diese Tendenz ist, empirisch nachweisbar, in Europa ungebrochen, wenngleich die Verlagerung der Religion aus dem Bereich der Öffentlichkeit in die Sphäre des Privaten keine zwangsläufige Folge moderner Gesellschaftsentwicklung ist und sich auch neue Vergemeinschaftungsformen in geistlichen und sozialen Bewegungen, zum Teil auch an neuen Orten, beobachten lassen (Loffeld/132).

Es sind durchaus gegensätzliche Entwicklungen zu beobachten. Verschiedene Tendenzen auch der Religionsentwicklung nimmt die Theorie der multiplen Modernen in den Blick. Sie führt Säkularisierungs-, aber auch Modernisierungstheorien zusammen und rechnet innerhalb der vielfältigen Modernen mit Spannungen und Konflikten sowie durchaus gegensätzlichen Entwicklungen. Das wird auch auf Religion angewendet. Es kann sowohl einschließen, dass Religion an Bedeutung verliert, kann aber auch meinen, dass sie neu an Vitalität gewinnt. Zudem lässt sich so die Gleichzeitigkeit von religiösem Fundamentalismus als auch von Modernisierungsprozessen innerhalb von Religionsgemeinschaften erklären (Gabriel/112).

Solche Rahmendaten für das Verhältnis von Religion und Öffentlichkeit betreffen auch die Liturgiefeier. Die Ausdifferenzierung von Formen und Deutungen der Liturgie steht im Zusammenhang mit der so veränderten Rolle der Religion; diese Veränderung nimmt auch darauf Einfluss, was Liturgie im Einzelnen bedeutet und wie sie wahrgenommen wird.

1.2»Liturgie« – theologische Begriffsgeschichte

Letztlich spiegeln sich die genannten Diversifikationen schon historisch wider und machen die Pluralität der Liturgietradition auch innerhalb der katholischen Kirche sichtbar. Die Bezeichnungen für die Vielfalt gottesdienstlicher Feiern haben eine sehr komplexe Begriffsgeschichte durchlaufen, innerhalb derer der Begriff »Liturgie« erst spät gebräuchlich wurde.

So begegnen Begriffe, die auf den Dienst im Gottesdienst abzielen, wie etwa ministerium, munus, officium, opus – vom lateinischen »opus Dei« leitet sich das deutsche Wort »Gottesdienst« ab –, wobei offen bleibt, ob der Dienst Gottes am Menschen oder der Dienst des Menschen für Gott oder beides angesprochen ist. Eindeutiger sieht es bei ebenfalls verbreiteten Bezeichnungen wie mysterium oder sacramentum aus, in denen die Heilszuwendung Gottes (die soterische Dimension oder Katabasis, von griech. καταβαίνειν – hinabsteigen) anklingt, was das Handeln Gottes am Menschen betont, oder bei Begriffen wie cultus, devotio oder religio, welche die Verehrung Gottes oder den seitens des Menschen Gott geschuldeten Kult (latreutische Dimension oder Anabasis, von griech. ἀναβαίνειν – hinaufsteigen) in den Vordergrund stellen. Daneben stehen Bezeichnungen, die stärker auf das Äußere des Gottesdienstes hinweisen, wie caeremoniae und ritus.

»Liturgie« leitet sich vom griechischen λειτουργία ab, einem Kompositum aus ἔργον (Werk) und λαός (Volk). Man bezeichnete damit zunächst Leistungen der Bürger für staatliche und soziale Zwecke, also Dienste für das Gemeinwesen und damit für das Volk insgesamt (Aufwendungen für die Armenspeisung, Finanzierung kultureller und sportlicher Einrichtungen). In kultischen Zusammenhängen taucht der Begriff erst im zweiten vorchristlichen Jahrhundert auf. In der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der Septuaginta, wird λειτουργία für den Dienst am Jerusalemer Tempel (für עבדה) verwendet. Im Neuen Testament steht die gesamte Wortgruppe für Unterschiedliches, ist auf den alttestamentlichen Priesterdienst bezogen (Lk 1,23; Hebr 9,21; 10,11), trägt aber auch noch die alte Bedeutung von Steuern (Röm 13,6), bedeutet karitativen Dienst (Röm 15,27; 2 Kor 9,12; Phil 2,30) und bildet in der Terminologie des Opferdienstes den Dienst des Apostels ab (Röm 15,16; Phil 2,17). Auf eine christliche gottesdienstliche Versammlung ist nur Apg 13,2 bezogen (»als sie zu Ehren des Herrn Gottesdienst feierten [λειτουργούντων] und fasteten«). Die letztgenannte Bedeutung, also der Bezug auf den Gottesdienst und die liturgischen Ämter, setzt sich in nachapostolischer Zeit durch (1 Clem 41,1 [SUC 1]; 44,2–6; Did 15,1 [FC 1]; Eusebius, hist eccl III, 13,34 [Sources chretiennes 31]; Const Apost II, 25,5.7; VIII, 4,5; 18,3; 47,15.28.36 [Sources chretiennes 320.336]). Schon im Euchologion 11,3, einer Sammlung von Gebeten, die unter dem Namen des Serapion von Thmuis († nach 362) überliefert ist, wird der Terminus nur noch für die Eucharistie verwendet. Diese Engführung setzt sich im Osten und Westen durch. Erst seit dem Humanismus wird das Wort »Liturgie« im Westen gebräuchlich. 1540 verwendet der Humanist Beatus Rhenanus (1485–1547) »Liturgia« in einer Ausgabe der Chrysostomus-Liturgie. Ein Jahr später gebraucht Georg Witzel (1501–1573) den griechischen Begriff im Deutschen und spricht von »Liturgy«. Er wird zunächst noch im engeren Sinn auf die Messe bezogen und steht seit dem 18. Jahrhundert umfassender für alle gottesdienstlichen Vollzüge. Heute ist der Begriff in verschiedenen christlichen Kirchen gebräuchlich (Lengeling/129 u. 131; Gerhards/442).

Mit den Begriffen »Katabasis« und »Anabasis« wurden die beiden wesentlichen Seiten des Handlungsgeschehens Liturgie bereits genannt. Es gab Phasen der Liturgiegeschichte, in denen die Anabasis und damit die kultische Dimension des Gottesdienstes sehr stark in den Vordergrund gerückt wurden. Zwei ältere, für das Verständnis von Liturgie vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil einflussreiche Definitionen von Liturgie machen das deutlich. Der Codex Iuris Canonici (CIC) von 1917 definiert in den Canones 1256f., derjenige Kult werde »öffentlich« genannt, der im Namen der Kirche von rechtmäßig dazu beauftragten Personen und durch Akte vollzogen werde, welche die Kirche eingesetzt habe. Andernfalls werde er »privat« genannt. Es sei allein Sache des Apostolischen Stuhls, sowohl die heilige Liturgie zu ordnen als auch liturgische Bücher zu approbieren. Der Begriff »cultus« (vom lateinischen »colere« – »pflegen«, »verehren«), der hier anstelle von »Liturgie« verwendet wird, hebt allein die Verehrung Gottes hervor. Kult gehört zum Habitus von Religion. Die Aktualisierung von Heilsgeschichte im Gottesdienst, das Handeln Gottes am Menschen und damit vor allem die Heiligung des Menschen (vgl. Kap. 4) als im Gottesdienst gegenwärtig geglaubtes Geschehen bleiben unausgesprochen oder treten zurück. Zudem ist öffentlicher Kult nur das, was die kirchliche Autorität hinsichtlich der handelnden Personen und der zu vollziehenden Handlungen festgelegt hat. Ludwig Eisenhofer (1871–1941) formuliert in seinem bedeutenden »Handbuch der katholischen Liturgik«, das 1941 in zweiter Auflage erschien: »Die katholische Liturgie ist der äußere, öffentliche Kult, der in seiner Grundlage von Christus gegeben, in den Einzelheiten seiner Ausführung von der Kirche geregelt ist« (Eisenhofer/43: I 6). Hier ist eine weitere Zuspitzung zu beobachten: Bis in die Einzelheiten der Ausführung hinein ist festgelegt, wie Liturgie zu verlaufen hat. Nur eine so vollzogene Liturgie gilt als gültig und als Gott angemessener Kult. In der Konsequenz solch klarer Umgrenzungen lag, dass man öffentlichen und privaten Kult, Liturgie, Paraliturgie und »fromme Übungen« (»pia exercitia«) voneinander abzugrenzen suchte. Die Vorstellung des Gott geschuldeten Kultes förderte außerdem die Vorstellung, dass vor allem das Messopfer allein vom Priester darzubringen und die Teilnahme der Gemeinde zwar sinnvoll, aber nicht zwingend notwendig sei: »Zum gültigen Vollzug desselben genügt der Priester allein, ohne daß die Anwesenheit der Gläubigen hierzu erfordert wäre.« Notwendig sei lediglich, »daß derjenige, welcher den Gottesdienst ausübt, in Wahrheit als rechtmäßiger Repräsentant einer Körperschaft, hier der Kirche, angesehen werden muß« (Eisenhofer/43: I 18).

Die heutige Liturgietheologie setzt deutlich anders an. Sie hat sich im Gefolge der Liturgischen Bewegung entwickelt und drückt sich vor allem in der Liturgiekonstitution »Sacrosanctum Concilium« des Zweiten Vatikanischen Konzils aus, dem für die römisch-katholische Liturgie der Gegenwart maßgeblichen Dokument (vgl. Anhang 4). Der Begriff »Liturgie«, der Katabasis und Anabasis zusammenbindet, ist dafür ein Programmwort. Der dritte Absatz von SC 7 beschreibt das Geschehen der Liturgie folgendermaßen: »Durch sinnenfällige Zeichen wird in ihr die Heiligung des Menschen (sanctificatio hominis) bezeichnet und in je eigener Weise bewirkt und vom mystischen Leib Jesu Christi, d.h. dem Haupt und den Gliedern, der gesamte öffentliche Kult (cultus publicus) vollzogen.« Primär ist Liturgie – so deutet es die Liturgiekonstitution – das Handeln Gottes am Menschen, woraus gleichsam als Konsequenz die Verehrung Gottes, die kultische Dimension der Liturgie, erwächst. Die Verherrlichung Gottes ist Antwort auf die neue Wirklichkeit, die Gott dem Menschen eröffnet. Die Konstitution verbindet dies in SC 7 mit der Gegenwart Christi im Gottesdienst. Sie macht deutlich, wie sowohl Katabasis als auch Anabasis im Gottesdienst ein Geschehen durch und mit Christus sind. Liturgie ist damit in besonderer Weise ein Ort der Präsenz Christi. Als sinnstiftende Mitte der Liturgie nennt das Konzil das Pascha-Mysterium, insbesondere Leiden, Tod, Auferstehung und Erhöhung Christi (dazu Schrott/146).

Will man sich dem Gefeierten sprachlich annähern, kann man das Grundgeschehen der Liturgie also als »Dialog zwischen Gott und Mensch« (Lengeling/130), als Kommunikationsgeschehen oder Begegnungsereignis beschreiben. Wichtig ist, dass es um ein Geschehen zwischen Gott und Mensch geht, dessen rituelle Grundvollzüge das Hören auf Gottes Wort und das Antworten auf dieses Wort sind. Man hat deshalb als Grundstrukturen der Liturgie die Lesung als Zeichen der Gegenwart Christi und das Gebet als Zeichen der hörenden und antwortenden Gemeinde genannt (Häußling/118: 902). So komplex Liturgie auch wirkt, im Kern lassen sich sehr grundlegende und einfache Vollzüge »elementarisieren«.

Die Liturgiekonstitution unterstreicht, dass Liturgie ein Geschehen ist, welches die ganze Kirche betrifft und von der ganzen Kirche getragen wird. So heißt es im vierten Absatz von SC 7: »Infolgedessen ist jede liturgische Feier als Werk Christi, des Priesters, und seines Leibes, der die Kirche ist, in vorzüglichem Sinn heilige Handlung, deren Wirksamkeit kein anderes Tun der Kirche an Rang und Maß erreicht.« Nicht mehr allein die geweihten Priester, sondern alle Getauften tragen die Liturgie mit. Dem entspricht das für die heutige Liturgie wesentliche, in der Liturgiekonstitution wie ein Leitgedanke auftauchende Axiom der »tätigen Teilnahme«: Die Getauften sollen die Liturgie feiern und darin ihre Würde als Getaufte erfahren. Es handelt sich um eine Liturgie, die Sache der ganzen Kirche ist.

Die Konstitution hebt zudem hervor, dass die Liturgie wesentlich ein Geschehen in Zeichen ist, die nicht nur hinweisenden, sondern vor allem bewirkenden, realisierenden Charakter tragen. SC 7 spricht von sinnenfälligen Zeichen. Sie korrespondieren mit der Sinnenhaftigkeit menschlicher Wahrnehmung. Die nachkonziliare Liturgiereform nahm sich besonders der Erneuerung der Zeichendimension von Liturgie an und gewichtete neben dem Verbalen das Nonverbale neu.

1.3Die rituelle Dimension der Liturgie

Wenig beachtet blieb – vor allem in der deutschsprachigen Diskussion der letzten Jahrzehnte – ein Aspekt, der in den Beschreibungen des Phänomens Liturgie schon anklingt: Liturgie ist Ritual (Mitchell/137; Post/141 u. 142). Für die Liturgiewissenschaft, gleichgültig, ob sie sich für Theologie, Geschichte oder Fragen der Pastoral interessiert, ist die Beachtung der Ritualität gottesdienstlicher Feiern unverzichtbar, soll nicht eine wesentliche Dimension dieser Feiern ausgeblendet werden (Odenthal/138; Ritual Studies/233; Meßner/136). Zugleich stoßen Rituale in der Gesellschaft auf ein neues Interesse, das auch liturgiewissenschaftlich zu reflektieren ist.

Der Begriff »Ritual« wird heute so inflationär verwendet, dass einige Aspekte festgehalten werden müssen: Innerhalb der Liturgiewissenschaft bedeutet »Ritual« ein strukturiertes, in der Regel wiederholbares und stilisiertes Handeln, das von einer Gruppe sanktioniert ist. Rituale sind von einer Gemeinschaft verantwortetes Handeln in zentralen Lebenssituationen, insbesondere an Lebensübergängen (Übergangsrituale), in Krisen (Krisenrituale) und an kalendarisch fixierten Punkten (kalendarische Rituale). Im Einzelnen ermöglichen sie dem Individuum und der Gruppe den Vollzug eines Lebensübergangs, die Bewältigung einer Krise, die Fundierung und Erneuerung kollektiver Identität. Rituale verleihen darüber hinaus Erfahrungen symbolischen Ausdruck, die anders nicht adäquat artikuliert werden können; mehr noch: »Rituale sind … der Handlungsmodus der Symbole« (Luckmann/133: 177). Sie sind ein primäres Medium religiöser Äußerung. In ihnen liegt, und das ist mit Blick auf die Wahrnehmung von Liturgie entscheidend, ein besonderer Akzent auf der nichtsprachlichen Handlungsdimension und damit auf Sinnlichkeit und Leiblichkeit. Ohne die Bedeutung verbaler Elemente in Ritualen mindern zu wollen, kommt es in ihnen doch wesentlich auf das expressive Handlungsgeschehen an. In der Taufe sind entscheidende Riten das Übergießen mit Wasser oder das Untertauchen ins Wasser, die Salbung mit Chrisam, das Anlegen des Taufkleides und die Übergabe der Taufkerze. Der Übergang in den neuen Status des Christseins wird zwar in den Texten ausgesagt, sinnlich wahrgenommen aber in der Taufhandlung. In der Begräbnisliturgie findet man beeindruckende biblische Texte und Gebete, doch der Abschied vom Toten und die Hoffnung für ihn wird emotional dicht in Handlungen ausgedrückt: dem Einsenken des Sarges in das Grab, dem Besprengen des Sarges mit Weihwasser (Aspersion) oder seiner Inzens mit Weihrauch, dem Hinabwerfen von Erde auf den Sarg und dem Kreuzzeichen über dem Grab. Die Sprache trägt vor allem dazu bei, dass das Ritual eine Deutung im Sinne der Glaubensgemeinschaft erhält. Das Übergießen mit Taufwasser ist also weder primär ein Reinigungs- noch ein Erfrischungsritus, sondern ein Geschehen im Rahmen christlich gedeuteter Heilsgeschichte, wie Taufwasserweihe und Taufformel aussagen. Die Beerdigung eines Toten ist nicht nur Begraben und Verabschieden, sondern Ausdruck von Glaubenshoffnung auf Auferstehung, was durch die Begleittexte identifizierbar wird. Bei Ritualen, wie sie in der Liturgie begegnen, handelt es sich folglich um komplexe Vollzüge mit sehr differenzierten Binnenstrukturen und Bedeutungen.

Zu dieser Komplexität tragen verschiedene Charakteristika religiöser Rituale bei (Lang/128). In aller Regel sind sie als Handeln einer Gruppe angelegt und besitzen daher kollektiven Charakter. Sie sind stark durch Tradition und Vorschrift bestimmt. Die Traditionsbindung garantiert die Verbindung der Rituale mit der zentralen Überlieferung der jeweiligen religiösen Gruppe. Die katholische Theologie betrachtet heute als Mittelpunkt aller Liturgie das Pascha-Mysterium Jesu Christi; alle liturgischen Feiern sind mit Leiden, Tod, Auferstehung und Erhöhung Jesu Christi verbunden, das heißt in umfassenderem Sinn verbunden mit der Heilsgeschichte von der Schöpfung bis hin zur Vollendung, von der Altes und Neues Testament sprechen. In diesen Ritualen geht es also um symbolisches Handeln, das nicht allein funktional beschrieben werden kann, sondern einen »Mehrwert« enthält und an einer anderen Wirklichkeit partizipiert. Inhalt und Form dieser Feiern regelt die Kirche über ein weiteres oder engeres Netz von Vorschriften. Die liturgischen Rituale sind formalisiert; so kehren beispielsweise bestimmte Handlungs- und Sprachmuster immer wieder, Rollen wie Handlungsabläufe sind festgelegt. Dies ermöglicht die Wiederholbarkeit der Rituale – ein ganz wesentlicher Zug gerade der Liturgie, der aber Varianz und Gestaltung nicht ausschließt.

Einige Grundbegriffe der Ritualforschung, die insbesondere für das Verständnis von Liturgie wichtig sind, sollen kurz erläutert werden (weiterführend: Ritual- und Ritualdynamik/145):

Performanz/Performance: Die Begriffe »Performanz« und »performativ« werden heute, etwa in den Kulturwissenschaften, in vielfältiger Weise verwendet (Performanz/587). Sie sind für die Liturgiewissenschaft von elementarer Bedeutung, weil sie Grundvollzüge auch des Gottesdienstes erfassen. Zunächst wird mit Performanz eine selbstwirksame Sprachhandlung bezeichnet. Indem sie ausgeführt wird, bewirkt sie etwas und setzt eine neue Wirklichkeit. Um Performativität zu verstehen, ist genau zu erfragen, welche Sprechakte hier von Bedeutung sind und wie sie mit nichtsprachlichen Handlungen und materiellen Medien zusammenwirken. Der Taufritus beispielsweise gliedert mit Wort und Handlung in Christus und die Gemeinschaft der Christgläubigen ein. Das Taufwort, das Übergießen mit Wasser oder das Untertauchen im Wasser und das Medium Wasser sind also in ihrem Zusammenspiel zu reflektieren.

Der Begriff bezeichnet aber auch die dramatische Performance (Tambiah/148: 226), also das gesamte Handlungsgeschehen, wie es gerade für die Taufe skizziert worden ist. Die Teilnehmer an einem Ritual verwenden für Dramatisierung und Darstellung ganz unterschiedliche Medien; zugleich verbindet sich für die Mitwirkenden mit solcher Art von Performanz intensive Erfahrung. Eine solche Performance ist auf die jeweilige Situation bezogen, lebt aus der Handlung und ist in der Art und Weise, wie sie im Detail begangen wird, einmalig. Es geht um darstellendes Handeln im Hier und Jetzt.

In einer solchen Performance spielen unter anderem Assoziation, Emotion und Intuition eine große Rolle. Rituale besitzen damit Qualitäten, die anderen Äußerungen von Religion nicht ohne weiteres zukommen. Sie bleiben mehrdeutig und entziehen sich im Letzten völliger Festlegung und Deutung. Ihr Überschuss an Zeichen macht sie für Assoziationen und Konnotationen offen, die eine Dynamik dieser Rituale und deren immer neue Rezeption ermöglichen.

Rahmung (Frames/Framing): Rituale sind Ereignisse, die unter anderem menschliche Wahrnehmung verändern. Rahmen oder Rahmung von Ritualen ermöglichen eine Metakommunikation, innerhalb derer Handlungen und Botschaften verstanden und Erfahrungen eingeordnet werden können (Bell/103: 72–76). Frames strukturieren durch Regeln und Konventionen, deuten und fordern zur Akzeptanz auf, lassen für das Ritual zugleich auch Verstehens- oder Interpretationsspielräume. Es werden Akzente gesetzt und bestimmte Aspekte des Rituals hervorgehoben. Rituelle Handlungen erhalten so gemeinschaftlich zugeschriebene Bedeutungen. Solche rituellen Erfahrungen können bis zu einem gewissen Grad miteinander geteilt werden. Zudem wird das Ritual durch Frames von seiner Umgebung abgesetzt und als solches markiert. Es erhält Identität. Mit Blick auf die Liturgie kann man an den liturgischen Raum oder den Zeitansatz (Christmette, Osternacht) als Rahmung, aber ebenso an Formeln und Gesten zu Eröffnung und Schluss einer Liturgie, die dieser eine bestimmte inhaltliche Richtung geben, denken.

Verkörperung: Rituale haben – das wird schon von ihrem performativen Charakter her deutlich – elementar mit dem menschlichen Körper zu tun. Die Akteure des Rituals handeln mit dem Körper (Subjekt) und am Körper (Objekt). Es geht also wiederum nicht allein um sprachliche Kommunikation. Vielmehr wird das, was im Ritual geschieht, körperlich-leiblich vollzogen (Salbung in der Krankensalbung; Handauflegung zum Segen; Aschenkreuz am Aschermittwoch). Entsprechend wird es emotional erlebt. Der Mensch ist mit allen Sinnen am Ritual als leiblicher Ausdruckshandlung beteiligt. Die ganze Person mit allen Sinnen und den unterschiedlichen Möglichkeiten ästhetischer Wahrnehmung ist einbezogen. Zudem vollzieht nicht nur das Individuum, sondern vollziehen möglicherweise alle am Ritual Beteiligten bestimmte Körperhaltungen wie -handlungen gemeinsam (Stehen, Schreiten, Knien, Handreichung als Friedensgruß, Kreuzzeichen).

Dynamik: Rituale sind wiedererkennbar und in ihren Grundmustern wiederholbar. Sie folgen gewissen Regeln, wie schon bei Frames/Framing deutlich wurde. Dennoch entspricht der eine Ablauf eines konkreten Rituals nie exakt der Durchführung eines anderen Rituals, auch wenn es sich in beiden Fällen um denselben Ritualtyp handelt. Die rituelle Performance ist jeweils einzigartig. Die Rituale sind also nicht unveränderlich, sondern unterliegen mit Akteuren, Mentalitäten, kulturellen und gesellschaftlichen Kontexten usw. Veränderungen. Neben tradierten Ritualen entwickeln sich aufgrund veränderter Anforderungen neue, sodass das ganze Feld »Ritual« in Bewegung bleibt. Schließlich trägt auch die kritische Auseinandersetzung innerhalb einer Ritualgemeinschaft, die dann beispielsweise zu planvollen Veränderungen und neuer Gestaltgebung wie in einer Liturgiereform oder zu spontanen Normabweichungen führen kann, zur Dynamik von Ritualen bei.

Tradition: Es widerspricht nicht der Dynamik, wenn man zugleich das Ritual als Traditionsgeschehen beschreibt. Rituale oder einzelne Riten werden weitergegeben. Das geschieht durch Praxis, kann mündlich oder schriftlich erfolgen. Gerade für Glaubensgemeinschaften, deren kulturelles Gedächtnis (vgl. unten 165f.) eng mit Ritualen verbunden ist, spielen Tradition und Tradierung eine große Rolle. Dabei können sich im Laufe der Tradition Rituale beispielsweise hinsichtlich ihrer Bedeutung verändern. Aus einer aus praktischen Gründen notwendigen Händewaschung in der Eucharistie wird so im Laufe der Liturgiegeschichte ein Ritus, der die innere Reinigung von Schuld ausdrücken soll.

Handlungskompetenz (Agency): Insbesondere für religiöse Rituale ist entscheidend, aber immer wieder auch umstritten, wer die Handlungskompetenz besitzt. Das gilt für die Durchführung des jeweiligen Rituals und ebenso für die Modellierung von Prozessen der Dynamik und Tradition. Spezialisten und anderen Akteuren (in der katholischen Kirche: Bischöfe, Priester und andere Gläubige), Glaubensgemeinschaft und Individuum, letztlich in der Perspektive der Gläubigen auch Gott kommt innerhalb des Rituals eigene Handlungsmacht zu. Wenn man nach der Agency im Kontext eines Rituals fragt, geht es u.a. darum, wer mit welcher Intention oder Legitimation handelt. Davon kann dann beispielsweise die Wirkung eines Rituals oder die berechtigte Veränderung und individuelle Gestaltung abhängen.

An einer Reihe unterschiedlicher Funktionen solcher Rituale hat auch die Liturgie Anteil, wobei von Liturgie zu Liturgie differenziert werden muss. Zu nennen ist die Bewältigung von Lebensübergängen durch die Rites de passage mit ihrer Dreigliederung von Trennung, Umwandlung und Angliederung (van Gennep/151). Einer der Lebensübergänge ist die Eingliederung in die Kirche und in das Christusgeschehen, die in der Taufe vollzogen wird; ganz andere Lebensübergänge sind die Hochzeit, die in der Trauung gefeiert wird, oder Sterben und Tod, für deren Bewältigung Sterbegebete, Viatikum und Begräbnis Hilfen bieten; sie erfüllen eine entlastende Funktion. Rituale können komplexe Wirklichkeiten verdichten, wie dies in der Liturgie etwa bei der Eucharistie oder beim Osterfest im Hinblick auf das Christusereignis zu beobachten ist. Zugleich werden in ihnen Überzeugungen inszeniert, beispielsweise in Prozessionen, in denen eine Glaubensüberzeugung für die kirchliche Gemeinschaft in der Öffentlichkeit zum Ausdruck gebracht wird. Diese rituelle Darstellung von Überzeugungen kann zugleich auf menschliches Handeln zurückwirken und dadurch Verhalten beeinflussen, sodass man Ritualen eine ethische Dimension zusprechen kann.

Die durchgeformte Handlung unterstützt die Entfaltung dieser Funktionen und damit die Wirkung von Ritualen. Sie ermöglicht, dass man sich auf ein Ritual einlassen, sich darauf verlassen kann. Denn das Ritual wird nicht jedes Mal neu kreiert, sondern erscheint als tradiert und unveränderbar; inwieweit dies für das einzelne Ritual wirklich zutrifft, ist jeweils zu prüfen. Generell haben Rituale die Tendenz, sich selbst als unveränderlich zu präsentieren. Der Blick auf Veränderungen und Umbrüche, die in der Liturgiegeschichte stattgefunden haben, und auf »erfundene«, also neue Rituale der Gegenwart mahnt hier allerdings zur Vorsicht.

Insgesamt kann man Rituale als symbolhafte Handlungen mit eigener Rationalität bezeichnen, die nach eigener Grammatik funktionieren und als komplexe Vorgänge einer kritischen wissenschaftlich-theologischen Reflexion sowie pastoraler Sorgfalt bedürfen. Es gibt unterschiedliche Rituale, die mannigfaltigen Situationen und Bedürfnissen im Leben von Gruppen und Gemeinschaften oder des Einzelnen entsprechen. Diese Vielfalt der Rituale korrespondiert der Vielfalt unterschiedlicher liturgischer Feiern.

Zugleich entspricht das wachsende Interesse am Rituellen in der Liturgie der Wiederentdeckung der Rituale in der Gesellschaft. Rituale spielen in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit, aber auch im Leben des Einzelnen offensichtlich eine neue Rolle. Verhaltensunsicherheit, Empfindung von Leere, fehlende Ordnung von Lebensabläufen führen zur Neubelebung tradierter Rituale (zum Teil in neuen Kontexten und verändert in Inhalt und Form), bedingen aber auch die Schaffung ganz neuer Rituale. Deren besondere Kennzeichen sind Individualität und Kreativität – das Individuum schafft sich seine eigenen Rituale – und die Unabhängigkeit von Institutionen. Schon bei der Kennzeichnung solcher Rituale sind deutliche Unterschiede zum »traditionellen« Ritual zu erkennen, ebenso in den Funktionen, zu denen neben dem spirituellen Wachstum das Ordnen von Leben und Lebensräumen sowie Krisenbewältigung und Selbsterkenntnis zu rechnen sind (Lüddeckens/134). Solche Rituale sind flexibel gestaltbar und können sich mit unterschiedlichen religiösen Vorstellungen verbinden.

Für die Liturgiewissenschaft sind solche Phänomene aus zweierlei Gründen interessant: Zum einen dokumentieren sie ein verstärktes Interesse an symbolischem Handeln, das lange Zeit durch Liturgie in ihrer ganzen Vielfalt befriedigt wurde. Insbesondere Andachten, Segnungen, Prozessionen und Wallfahrten waren wesentliche Ausdrucksformen katholischen Glaubens. Der Verlust von Formenvielfalt ist problematisch, dies umso mehr, wenn in neuen Ritualen heute etwas gesucht wird, das ursprünglich durch kirchliche Rituale abgedeckt wurde.

Zum anderen beeinflussen sich Phänomene von Ritualität wechselseitig. Das, was in den neuen Ritualen gesucht wird, wird zugleich als Anfrage an die tradierte Liturgie herangetragen und beeinflusst diese in Gestalt und Deutung. Umso notwendiger sind für die Beschäftigung mit der Liturgie die Analyse der wiedererstarkten Rituale und eine differenzierte Wahrnehmung. In der Praxis wird man seitens der Kirche von neuen, frei gestalteten Ritualen, ihrer Lebensnähe und Ästhetik sowie der damit verbundenen Begleitung von Menschen auch lernen können. Zur wissenschaftlichen Reflexion gehört zugleich die kritische Sicht auf Rituale jeglicher Provenienz. So darf die suggestive und manipulative Kraft von Ritualen im Dienste von Ideologien aller Art nicht übersehen werden. Auch religiöse und kirchliche Rituale können entsprechend wirken. Nach dem Menschenbild von Ritualen ist zu fragen. Im gesellschaftlichen Umfeld ist an das Proprium christlicher Rituale zu erinnern: Das christliche Ritual vergegenwärtigt, dass Menschen in die Heilsgeschichte Gottes eingebunden und zur Freiheit berufen sind, in dieser Geschichte mitzuleben. In den Feierformen wird dem Menschen diese von Gott geschenkte Freiheit verkündigt; er wird ermutigt, diese Freiheit anzunehmen und zum Grund der eigenen Existenz zu machen. Das christliche Ritual kommt ohne diesen Bezug auf Heilsgeschichte nicht aus, will es nicht seine Mitte verlieren (Bieritz/104). Zum Pluralismus leistet die Theologie auch einen Beitrag, indem sie auf das Proprium christlicher Liturgie verweist und dieses zur Anfrage an rituelle Formen und Inhalte macht, die christlichen Überzeugungen und den Gedanken einer im Christlichen wurzelnden Aufklärung widersprechen (Kranemann/127).

Zugleich führen die neuen Rituale zur Ausdifferenzierung auch der kirchlichen Feierkultur und zur Erweiterung des Feierrepertoires. Diese neuen kirchlichen Feierformen versuchen auf Veränderungen in der Gesellschaft, gewandelte Glaubensvorstellungen, Wertsysteme oder Lebensformen zu reagieren. Man trifft auf Segnungsfeiern für Säuglinge, Segnungen von Kindern konfessionsloser Eltern, Lebenswendefeiern als Alternative zur Jugendweihe (Hauke/116; Handke/115), auf unterschiedliche Rituale der Trauer und des Totengedenkens (Handbuch Bestattung/143), auf Formen des Wortgottesdienstes oder auch christlicher Feste, die auf Großstadt oder säkulares Milieu hin adaptiert oder neu geschaffen wurden, und dergleichen mehr (Gott feiern/114). Segnungsfeiern für wiederverheiratete Geschiedene oder für gleichgeschlechtliche Paare belegen, wie in der liturgischen Praxis auf Veränderungen menschlicher Lebensformen und »Zeichen der Zeit« reagiert wird, und zwar vorgängig zu Veränderungen in der kirchlichen Lehre oder in liturgischen Ordnungen. Der religiöse Pluralismus wird von kirchlichen Feierformen her als Möglichkeit authentischer Gläubigkeit und als Kontext der Glaubensartikulation wahrgenommen (Christliche Rituale/107).

1.4Plurale Liturgie als Thema der Liturgiewissenschaft

Der Begriff »Liturgie« verweist auch in der Gegenwart auf ein hoch differenziertes Feld. Gerade der Blick auf die Charakteristika von Ritualen hilft, Spezifika der unterschiedlichen Liturgiefeiern zu erkennen, deren Berücksichtigung unter den religionssoziologischen Bedingungen der Gegenwart für die liturgiewissenschaftliche Analyse unverzichtbar ist. So gibt es vielfältige Liturgiefeiern, die sich nicht nur in ihren einzelnen Riten voneinander unterscheiden, sondern auch in ihrer Bedeutung und ihrem Gewicht für das Leben der Kirche wie des Einzelnen. Liturgie ist kein uniformes Gebilde, sondern in sich pluriform und dynamisch. Entsprechend werden der jeweiligen Liturgiefeier ganz unterschiedliche Deutungen zugeschrieben, die in einer pluralen, auch religiös offenen Gesellschaft und in einer Kirche mit pluralen Formen, christliche Existenz zu leben, an Vielfalt zunehmen. Diesen Deutungen korrespondieren unterschiedliche Möglichkeiten der Teilnahme – von aktiver Teilnahme durch Mitbeten und Mitsingen im Gottesdienst, aber auch durch Übernahme von Rollen (Leiter/-in von Wort-Gottes-Feiern oder anderen Gottesdiensten, Messdiener/-in, Lektor/-in, Kommunionhelfer/-in, Kantor/-in) bis hin zu Formen der Anwesenheit, die durch eine grundsätzliche Offenheit für den Gottesdienst gekennzeichnet sind, sich aber in keiner äußerlich erkennbaren Teilnahmeform ausdrücken. Zugleich werden sehr unterschiedliche Erwartungen an die Liturgie herangetragen, die im Extrem einerseits auf Kreativität, Gruppen- und Themenzentrierung, andererseits auf Traditionalismen und Bewahrung des Kulturgutes Liturgie beharren.

Sowohl die unterschiedlichen Deutungen und die verschiedenen Teilnahmemöglichkeiten wie auch die Erwartungen an die Liturgie muss die Liturgiewissenschaft zur Kenntnis nehmen, reflektieren und theologisch abwägen. Auch ein teilweise unterschiedliches Verständnis von Religion (Hock/119: 10–21), hier des Christentums und seiner Lebensäußerungen, schlägt sich in der Wahrnehmung von Liturgie nieder. Wer stärker von einem funktionalen Religionsverständnis geprägt ist, wird auch die christliche Liturgie vor allem nach ihren Funktionen für das Individuum, die Kirche oder Gesellschaft beurteilen. Wer Religion eher substanzialistisch versteht, also auf Gott oder das Heilige als Grundgegebenheiten von Religion (Stolz/147: 13–22) und damit auf die inhaltliche Essenz von Religion schaut, wird vor allem erwarten, dass in der Liturgie die zentralen Glaubensaussagen artikuliert werden. In einer hinsichtlich der Religion sehr ausdifferenzierten Gesellschaft trifft die Liturgiewissenschaft auf ein nicht minder ausdifferenziertes Feld gottesdienstlicher Feiern und Riten.

Die Wesensbestimmung von Liturgie fällt also wesentlich komplizierter aus, sobald man nicht im theologischen oder kirchlichen Binnenraum verbleibt, sondern diese Bestimmung im gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld vornimmt. Da Liturgie selbst aber durch Gesellschaft und Kultur sowohl der Vergangenheit als auch der Gegenwart geprägt ist, kann die Liturgiewissenschaft bei der Reflexion über Liturgie von diesem Kontext nicht absehen (vgl. Kap. 2). Das gilt insbesondere für Gottesdienste der katholischen Kirche, die – etwa in der Pastoralkonstitution »Gaudium et spes« des Zweiten Vatikanischen Konzils – eine Öffnung zur Welt vollzogen und die Notwendigkeit des Dialogs zwischen Kirche und Welt unterstrichen hat: »So geht denn diese Kirche, zugleich ›sichtbare Versammlung und geistliche Gemeinschaft‹ den Weg mit der ganzen Menschheit gemeinsam und erfährt das gleiche irdische Geschick mit der Welt und ist gewissermaßen der Sauerteig und die Seele der in Christus zu erneuernden und in die Familie Gottes umzugestaltenden menschlichen Gesellschaft« (GS 40).

Dialog und Offenheit bedürfen demnach des Wissens um die eigene Mitte sowie der Bereitschaft, die eigene gottesdienstliche Praxis im gesellschaftlichen Umfeld zu befragen. Entsprechend muss die Liturgiewissenschaft Maßstäbe entwickeln, die bei der Beurteilung der Legitimität der unterschiedlichen Formen gottesdienstlichen Lebens und ihres Ortes in Kirche und Gesellschaft anzulegen sind. Diese Kriterien formuliert sie vor allem im Rückgriff auf Geschichte und Theologie der Liturgie.

2Geschichte, Profil und Methoden des Faches Liturgiewissenschaft

2.1Das Selbstverständnis der Liturgiewissenschaft

Die Liturgiewissenschaft ist jene Disziplin innerhalb der Theologie, die sich mit dem Ausdruck des christlichen Glaubens in den unterschiedlichen Traditionen und Formen des Gottesdienstes beschäftigt. Es handelt sich um ein Fach mit eigenem Forschungsprofil und entsprechenden Lehraufgaben innerhalb der katholischen Theologie. In der evangelischen Theologie wird die liturgiewissenschaftliche Ausbildung von den Lehrstühlen für Praktische Theologie vertreten. Die orthodoxe Theologie kennt ebenfalls eine Liturgik, begreift aber liturgische Erfahrung viel stärker, als dies in der westlichen Theologie der Fall ist, als Norm und Quelle der Theologie (zur katholischen und evangelischen Theologie vgl. Liturgiewissenschaft/219; Liturgiewissenschaft im 21. Jahrhundert/220; Liturgie lernen/217; Meyer-Blanck/39; zur Orthodoxie vgl. Felmy/173). In diesen unterschiedlichen wissenschaftlichen Kulturen äußern sich bereits Traditionen und Ausprägungen der verschiedenen christlichen Kirchen.

Die Liturgiewissenschaft erhält ihr Profil durch die Auseinandersetzung mit dem Gottesdienst als einem Handlungsgeschehen. Sie beschäftigt sich also nicht allein mit Sprachgeschehen, sondern ebenso mit Zeichen und Zeichenhandlungen bis hin zu Raum, Gewändern, Klang, Farbe usw. Sie untersucht ein komplexes Ritual, in dem Christen ihren Glauben in expressiver Weise ausüben. Dass von diesem Ritual her nach dem christlichen Glauben gefragt und dabei die sinnenhafte Dimension christlichen Glaubens einbezogen wird, unterscheidet den methodischen Zugang der Liturgiewissenschaft markant von dem anderer theologischer Disziplinen. Am Beispiel des zentralen Gebets der Eucharistiefeier, des eucharistischen Hochgebets (vgl. Anhang 2.3), wird dies deutlich. Will man ein solches Gebet und seine liturgietheologisch begründete Grundstruktur sachgerecht interpretieren, so ist nach seiner Genese, seiner heutigen Funktion im Zusammenhang der Eucharistiefeier und der Messfeier insgesamt, nach den begleitenden Zeichenhandlungen und der Pragmatik des Gebetstextes zu fragen. Die Frageperspektiven lassen sich bündeln: Wie ist der Text entstanden (Liturgiegeschichte)? Welche theologischen Aussagen lassen sich ihm entnehmen (Liturgietheologie)? Welche Kriteriologie ist bei der Gestaltgebung und der gefeierten Liturgie heute anzulegen (Praktische Liturgiewissenschaft)? Spricht er heute noch? Wie wird er verstanden?

Von grundlegender Bedeutung ist der Blick auf die Liturgien anderer christlicher Konfessionen und damit der ökumenische Aspekt der Liturgiewissenschaft. Eine »ökumenische Liturgiewissenschaft« arbeitet vergleichend, ist an Unterschieden wie Gemeinsamkeiten, Parallelentwicklungen wie Abhängigkeiten zwischen den Liturgien der verschiedenen Kirchen und ihren Theologien interessiert. Sie ermöglicht einen kritischen Blick auf die einzelne Liturgie durch Vergleich mit den Nachbarliturgien. Zudem liefert sie wichtige Erkenntnisse für die Ökumene insgesamt (Lurz/225; Kranemann/124).

Nicht nur die Liturgie der katholischen Kirche, sondern auch der Gottesdienst anderer Kirchen und Religionen ist heute im Blick des Faches. Aufgrund der Geschichte des Christentums und seines Gottesdienstes fragt die Liturgiewissenschaft nach dem Verhältnis der christlichen zur jüdischen Liturgie. Dabei sind die Gestalt, aber vor allem auch die Theologie der verschiedenen Feiern im Blick (Dialog/295; Rouwhorst/248). In einer religiös pluralen Gesellschaft, in der multi- oder interreligiöse Feiern immer häufiger begangen werden, sind auch Liturgien, Gebete und Riten anderer Religionen Forschungsgegenstand (Leben und Feiern/363).

In einer Standortbestimmung haben 1991 die deutschsprachigen Liturgiewissenschaftler ihr wissenschaftliches Selbstverständnis formuliert. Liturgiewissenschaft versteht sich demnach als eine Disziplin, die Anthropologie und Theologie des Gottesdienstes reflektiert. Wesentliche Aspekte sind dabei Tradition, Ökumene und Inkulturation. Neben den tradierten historischen, systematisch-theologischen und praktisch-theologischen Methoden werden auch Zugangsweisen der Humanwissenschaften genannt, die sich mit dem Menschen und seinen Ausdrucksformen beschäftigen (Gerhards – Osterholt-Kootz/182). Sie müssen heute um kulturanthropologische Fragestellungen erweitert werden

2.2Etappen der Geschichte des Faches Liturgiewissenschaft

Deutungen des christlichen Gottesdienstes und kritische Reflexionen über seine Geschichte gibt es nicht erst seit der Neuzeit; bereits in der christlichen Antike begegnen theologische Diskussionen über einzelne Aspekte des Gottesdienstes und Auslegungen ganzer Feiern. Das Mittelalter hat sich vor allem der geistlichen Erschließung der Liturgie intensiv gewidmet. In der Neuzeit findet man um 1800 sehr differenzierte Bemühungen um die Pastoral der Liturgie. Die Einrichtung von Lehrstühlen, die sich auch oder ausschließlich mit der Liturgie beschäftigen, geht nicht erst auf das 20. Jahrhundert oder gar die Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil zurück, sondern ist vereinzelt schon für das 18. Jahrhundert belegt. Sogar die Ausdifferenzierung der verschiedenen heute üblichen Arbeitsfelder des Faches – Theologie, Geschichte, Praxis der Liturgie – ist durch eine jahrhundertelange Geschichte vorgeprägt, wenngleich die entscheidende Ausformung erst im frühen 20. Jahrhundert stattfand und das Fach mit Blick auf Forschungsobjekte und -fragen sich immer weiterentwickelt.

Die folgende kurze Einführung in die Geschichte des Faches und seiner Vorläufer macht auf eine Fülle von Zugangsweisen aufmerksam, mittels derer man den Gottesdienst in seinen Formen und Ausprägungen betrachtete. Diese Vielfalt hat unterschiedliche Ursachen: Hermeneutische und methodische Neuerungen in der Theologie beeinflussten auch die Reflexion über die Liturgie und ihre Arbeitsinstrumentarien. So ist beispielsweise die mittelalterliche allegorische Liturgieerklärung nicht ohne den Neuplatonismus verständlich, die Entwicklung einer an praktischen Fragen des Gottesdienstes interessierten Wissenschaft um 1800 steht unter dem Einfluss der Spätaufklärung, und die humanwissenschaftlichen Ansätze der Liturgiewissenschaft des 20. Jahrhunderts sind ohne die »anthropologische Wende« in der Theologie nicht denkbar. Veränderungen in den Nachbardisziplinen, besonders in den Geistes- und Kulturwissenschaften, betreffen auch die Liturgiewissenschaft. Damit sind Disziplinen wie Musik-, Theater-, Kunstwissenschaften angesprochen, aber ebenso die Religionswissenschaft, Disziplinen also, deren Forschungsbereiche sich mit dem der Liturgiewissenschaft überschneiden. Die Liturgiewissenschaft entwickelt im Diskurs mit den »Ritual Studies« Untersuchungsparadigmen, die zu einer anderen Wahrnehmung der Liturgie selbst führen; diese wird jetzt wieder stärker in ihrer Ritualität wahrgenommen (Post/241; Ritual Studies/233, vgl. Kap. 1.3).

Die Liturgie als Feiergeschehen ist ein durch Anthropologie, Theologie, Kunst, Musik etc. geprägtes kulturelles Gebilde, das sich bei aller Traditionsbindung unentwegt wandelt. Man spricht von Ritualdynamik. Die sich verändernde Liturgie stellt die Liturgiewissenschaft vor jeweils neue Aufgaben. Ob die Liturgie als formalisiert und rubrikal geregelt oder als unter bestimmten Vorgaben zu gestalten verstanden wird, beeinflusst das Aufgabenspektrum der Liturgiewissenschaft; das gilt auch für Neuerungen und Umbrüche in der Theologie der Liturgie, der Mentalität und Frömmigkeit, der Rollenverteilung zwischen Klerikern und anderen Gläubigen, Veränderungen einzelner Elemente usw. Die Kenntnis unterschiedlicher Deutungsmodelle der Liturgie trägt zum besseren Verständnis der Etappen der Liturgiegeschichte und einzelner Phänomene bei.

Die Liturgiewissenschaft blickt wissenschaftsgeschichtlich auf eine lange Vorgeschichte zurück. Spuren einer Auseinandersetzung mit Kult und Liturgie lassen sich bereits in der Bibel finden. Schon nach den Schilderungen des Alten und Neuen Testaments werden Gebet, Kult und Gottesdienst nicht nur vollzogen und gefeiert, sondern auch theologisch durchdacht und der Kritik unterworfen. Das Alte Testament formuliert umfangreiche Kultordnungen unter anderem in Lev, Num und Dtn. Die prophetische Kultkritik in Am 5,21ff., Jes 1,10ff., Jer 6,20 etc. benennt Voraussetzungen und Konsequenzen eines Kultes, der vor Gott Bestand haben kann. Das Neue Testament nimmt unter anderem das Doppelgebot von Gottes- und Nächstenliebe zum Ausgangspunkt für eine Kritik des Kultes. Joh 4,20–24 nennt als Ziel des wahren Betens das Gebet im Geist und in der Wahrheit. In 1 Kor 11 kritisiert Paulus die Abendmahlspraxis in der Gemeinde zu Korinth und beschreibt eine Ordnung des Herrenmahls, die dem Auftrag Christi gerecht wird. Der Hebräerbrief deutet den Gottesdienst als »Wortgottesdienst« im Sinne eines Anrede-Antwort-Geschehens (März/485: 98; Theobald/409).

Der Gottesdienst wurde also durchaus reflektiert; er brauchte aber – zumindest in den frühchristlichen Gemeinden – an und für sich nicht legitimiert zu werden, weil er im gesellschaftlichen Umfeld nicht in Frage stand, ohne dass dies bedeutete, dass immer alle am Gottesdienst teilnahmen (MacMullen/375). Zudem waren die Beziehungen zwischen der zeitgenössischen Feier- und Alltagskultur und dem Gottesdienst so eng, dass die einzelnen gottesdienstlichen Vollzüge aus sich sprachen. Noch hatte kein tiefreichender kultureller Bedeutungswandel stattgefunden, der Liturgie unverständlich und Erklärungen notwendig gemacht hätte. Dazu kam es erst, als die vor allem im Mittelmeerraum ausgeprägte christliche Liturgie auch in anderen Kulturräumen Fuß fasste. Stand zunächst die Mystagogie als Erschließung gefeierter Liturgie im Vordergrund (Kap. 2.2.1.1), so seit dem Mittelalter die Allegorese, eine vor allem an geistlicher Auslegung interessierte Hermeneutik (Kap. 2.2.1.2). Erst mit dem Humanismus gewann ein breiteres Interesse an den geschichtlichen Quellen des Gottesdienstes an Boden (Kap. 2.2.2). Die spätmittelalterlich-neuzeitliche Rubrizistik legte die rechtliche Ordnung der liturgischen Riten dar, deren Befolgung rituelle Sicherheit verhieß (Kap. 2.2.3). Mit dem 18. Jahrhundert und der katholischen Aufklärung wurde die Beschäftigung mit der Liturgiepastoral gestärkt; das kritisch reflektierende Potenzial der »Liturgik« wuchs (Kap. 2.2.4.1). Das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert brachte eine Reihe von richtungsweisenden Handbüchern hervor (Kap. 2.2.4.2). Die bis heute in den Grundsätzen anerkannte Aufgabenverteilung der Liturgiewissenschaft in Historik, Theologie und Praxisreflexion formulierte das frühe 20. Jahrhundert (Kap. 2.2.5). Nochmals eine eigene Prägung erfuhr die jetzt zum theologischen Hauptfach erhobene katholische Liturgiewissenschaft durch das Zweite Vatikanische Konzil (Kap. 2.2.6). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich das Fach hinsichtlich Methodik und Forschungsgegenstand in einem sich verändernden kirchlichen und gesellschaftlichen Umfeld weiter (Kap. 2.2.7).

2.2.1Liturgieerklärung in der Alten Kirche und im Mittelalter

2.2.1.1Frühchristliche Beispiele für die Reflexion des christlichen Gottesdienstes

Ein Medium frühchristlicher Liturgieerklärung sind die Katechesen. Mystagogische Katechesen, die nach der Initiationsfeier aus Wassertaufe, Salbung durch den Bischof und Ersteucharistie gehalten wurden, sollten den Mysteriengehalt liturgischer Feiern erschließen und den Gläubigen zu einer tieferen Ausdeutung der Sakramente führen. Dazu bediente man sich der symbolischen Deutung und metaphorischen Erschließung. Zwischen Katechese und gefeierter Liturgie, zwischen theologischer Deutung und liturgischer Doxologie bestanden enge Zusammenhänge (Brons/288). Deshalb maß Cyrill von Jerusalem († 444) dem Sehen eine stärkere Überzeugungskraft bei als dem Hören. Erst nachdem die Neugetauften die Taufe gefeiert und erlebt hatten, führte sie der Prediger als Mystagoge in den Sinn dessen ein, was ihnen widerfahren war (Cyr. H., catech. I. 1 [FC 7]). Nach Ambrosius von Mailand (ca. 339–397) gießt sich das Licht der Mysterien in Nichtwissende besser ein, als wenn ihnen diese vor der Initiation erklärt worden wären (Ambr., myst. I. 1 [FC 3]). Die Pilgerin Egeria, die im 4. Jahrhundert unter anderem Jerusalem und Palästina bereiste, berichtet, kein Ungetaufter habe in Jerusalem die Katechese über die Taufliturgie nach Ostern hören dürfen, der Zugang zur Anastasis (Grabeskirche) sei verschlossen worden (Peregr. Aeth. 47,2 [FC 20]).

Aus katechetischen wie theologischen Motiven wurden Katechesen postbaptismal gehalten. Ambrosius verstand die Taufe als Vervollständigung des Glaubens: Erst die Taufgnade befähige zum Verständnis der Mysterien (Ambr., sacr. I. 1; III. 15 [FC 3]). Mystagogische Predigten erklärten den geistlichen Gehalt einer Liturgie; sie trugen zudem selbst gottesdienstlichen Charakter. Es ging nicht darum, auf einer Metaebene Liturgie zu reflektieren.

So erläutert Ambrosius in »De sacramentis« das Kerngeschehen der Eucharistie, die Teilhabe an Blut und Leib Christi, mit Textausschnitten aus dem Alten und Neuen Testament, die den Gläubigen zeigen sollen, wie viel das himmlische Wort, hier: das konsekratorische Gebet, bewirkt. Wo spätere Jahrhunderte nach der Genese des Hochgebets fragen oder theologisch-systematisch argumentieren, geht es Ambrosius um die geistliche Erschließung der Konsekration. Für ihre Deutung weist er auf das Wort Gottes hin, durch das die Schöpfung entstand (Ambr., sacr. IV. 15), auf die Neuschöpfung in Christus (ebd. 16), auf das alle Kreatur wandelnde Wort Christi (ebd. 17), auf das Wunder des Exodus, das Mose auf Gottes Geheiß hin wirkte (ebd. 18) usw. Diese Hermeneutik lebt aus Analogien. Was sich im Sakrament der Eucharistie ereignet, kann im Licht der Heilsgeschichte verstanden werden. Diese setzt sich in der Gegenwart fort und wird in der Liturgiefeier je neu inszeniert. Ähnlich legt Cyrill von Jerusalem mit Bezug auf Altes und Neues Testament dar, dass das eucharistische Brot Leib Christi ist (Cyr. H., catech. IV).

Allerdings gab es in der Alten Kirche auch präbaptismale Katechesen, deren Ziel stärker die Hinführung zur christlichen Lebenspraxis war. Mit der Krise des Katechumenats, der Vorbereitungszeit auf die Taufe, durch eine übergroße Zahl von Taufbewerbern und den häufig üblichen Taufaufschub – man ließ sich als Taufbewerber registrieren, aber erst viel später taufen – tauchten zunehmend präbaptismale Katechesen auf; die Taufkatechesen des Johannes Chrysostomus (ca. 347–407) (Jo. Chrys., catech. [FC 6]) und des Theodor von Mopsuestia (350–428) (Thdr. Mops., hom. cat. [FC 17]) sind dafür Belege. Die Bedeutung präbaptismaler Katechesen erklärt Theodor damit, dass derjenige, der den Grund der Riten kenne, umso inniger am liturgischen Geschehen teilnehmen könne. Der Sinn der Sakramente muss erläutert werden, damit das, was sich in ihnen ereignet, angenommen werden kann (Thdr. Mops., hom. cat. 12,1).

Neben den Katechesen, die im Umfeld der Initiation eine Rolle spielten, sind jene zahlreichen Homilien zu nennen, die die Sakramente und die Feste auslegten. Theologen wie Meliton von Sardes (2. H. des 2. Jh.), Petrus Chrysologus (405–450), Caesarius von Arles (470–542) u.a. wollten den Gläubigen einen vertieften geistlichen Zugang zur Liturgie erschließen. Doch ist auch das Bemühen zu erkennen, Ursprünge von Riten zu erklären. So schreibt Origenes (um 185–253) hinsichtlich des Niederkniens beim Gebet und des Gebets nach Osten, dass dies zwar von allen vollzogen werde, aber der Grund dafür nicht allen bekannt sei (Orig., hom. in Num. 5,1 [GCS Origenes 7. 26,14–18]).

Aber auch auf einer Metaebene begegnet man in der Alten Kirche bereits Reflexionen über die Liturgie. So werden unterschiedliche Bräuche der verschiedenen Ortskirchen bei Fasten, Kommunion, Taufe, Katechumenat etc. erörtert, begründet und gegeneinander abgesetzt. Solche Frühformen von Liturgik begegnen in den Briefen des Augustinus an Ianuarius, in denen er die gerade genannten Fragen berührt und nach Normen für das liturgische Leben der unterschiedlichen Kirchen fragt (Aug., epp. 54/55 [CSEL 34.2, 158–213]), in Diskussionen über den Termin des Weihnachtsfestes, die in einer Weihnachtspredigt des Johannes Chrysostomus aufscheinen (PG 49, 351–362), im Brief von Papst Innozenz I. (401–417) an Bischof Decentius von Gubbio (ep. 25, PL 20,554B–555A. 559B–561A) unter anderem wegen des Vollzugs der Konsekration (Firmung) und der Krankensalbung etc. Die unterschiedlichen Reflexionsformen erfahren eine Wirkungsgeschichte. In der Gegenwart geben sie vor allem Impulse zur spirituellen Interpretation und Vermittlung der Liturgie. Sie holen die für die Gläubigen existenzielle Bedeutung der Liturgie ans Licht, die entsprechend erschlossen werden muss. Sie sind darüber hinaus Anstoß zu einer Theologie als Mystagogie.

2.2.1.2Formen mittelalterlicher Liturgieerklärung