Grundrauschen - Mac McLaw - E-Book

Grundrauschen E-Book

Mac McLaw

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Beschreibung

Paris, 13. November 2015 – Terror und Anschläge in Paris. – Ein detailliert recherchierter, fesselnder, nachdenklicher und tiefgründiger Thriller, der vor dem Hintergrund rund um die Geschehnisse der Anschläge 2015 in Paris spielt (Charlie Hebdo, Bataclan, etc) und die Leser mitten mit hinein nimmt in diese aufwühlenden Tage … – Was machst du, wenn du eben noch eine Katastrophe im Fernsehen betrachtest und plötzlich selbst mitten drin bist? – Am Freitag, den 13. November 2015, bricht über Paris der Terror herein. – Zwei 16-jährige Jungs aus Paris, die eigentlich nur Spaß am Fußball haben wollten. Ein Austauschstudent, der seinen Augen nicht trauen kann und viele andere, die in dieser Nacht und den Tagen danach einfach nur versuchen, zu überleben. – Sie alle werden Opfer einer unüberschaubaren islamistischen Terrorzelle. Und noch viele mehr. – Brutal, menschenverachtend und mordend verbreiten die Terroristen Angst und Schrecken in der Stadt der Liebe – Paris! – Und nicht nur dort …

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Seitenzahl: 330

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Über den Autor

Mac McLaw ist ein deutscher Independent Autor aus dem Ruhrgebiet, der eine geheime Verbindung zu Schottland und den Schotten hat. Der ungewöhnliche Volljurist ist ein Kind der 80er und 90er Jahre und ein Grenzgänger zwischen den Welten, der nicht in eine bestimmte Schublade passt. Er hat vom Barkeeper bis hin zum Staatsanwalt schon alles erlebt und noch viel mehr.

Unerschöpfliche Quellen an Stoff für seine Bücher.

Weitere Titel des Autors

Gedichtband: »Wie ein wilder Sturm«

Gedichtband: »Jungs weinen nicht«

Gedichtband: »Scottish Heart - German Soul« (English)

Gedichtband: »Love Me - Hate Me - LOVE ME« (English)

Roman: »Dreamhunter« (Deutsch)

Die Titel sind generell auch als Taschenbuch erhältlich.

Mac McLaw

GRUNDRAUSCHEN

Thriller

Im Anhang findest Du Worterklärungen & Karten.

Copyright

1. Auflage GRUNDRAUSCHENNovember 2020, Mac McLaw

Grundrauschen ist auch als Taschenbuch erschienen.

Grundrauschen: Angriff auf Paris

Copyright © Mac McLaw, November 2020

Alle Rechte vorbehalten.

All rights reserved.

Der Nachdruck oder Vervielfältigungen,auch auszugsweise,bedürfen der schriftlichenGenehmigung des Autors.

[email protected]

www.macmclaw.de

Produced, written and directed byMac McLaw.

Created in Germany.

Wo warst Du, als Paris angegriffen wurde?

Weißt du heute schon, wann es die letzte Sekunde deines Lebens sein wird?

Sei glücklich um jeden Tag!

Allen Opfern von Terror und Gewalt gewidmet.

We will not forget you.

#EnMémoire

Nach wahren Ereignissen.

Prolog

Nach der Öffnung des sogenannten »Eisernen Vorhangs« fiel der »Ostblock« ab Herbst 1989 Stück für Stück auseinander. Ihm folgte der Zerfall der Sowjetunion bis Ende 1991.

Das hatte zur Folge, dass das gesamte Weltgefüge immer instabiler wurde und plötzlich auch Gruppen wie al-Qaida in das Machtvakuum vordrangen. Immer mehr terroristische Anschläge geschahen weltweit.

Dann, in den Morgenstunden des 11. Septembers 2001, entführten Extremisten, die zur Terrorgruppe al-Qaida gehörten, vier Flugzeuge auf Inlandslinienflügen in den USA und lenkten zwei davon in die beiden riesigen Türme des World Trade Centers in New York.

Durch explodierendes und auslaufendes Kerosin, welches durchgehende Brände auf vielen Ebenen in den Gebäuden auslöste, stürzte zunächst der Südturm in sich zusammen, während der Nordturm circa eine halbe Stunde später ebenfalls einstürzte.

Dabei starben insgesamt 2753 Menschen. Die Welt konnte all das live vor den Fernsehbildschirmen verfolgen und war komplett geschockt. Spätestens von diesem Moment an, war die Welt nicht mehr so wie zuvor. Noch heute erinnern sich die Menschen weltweit, wo sie zu diesem Zeitpunkt gewesen sind und was sie in dem Moment gemacht haben …

Für die Anschläge von New York wurde das Terrornetzwerk al-Qaida verantwortlich gemacht, und der amerikanische Präsident George W. Bush forderte am 20. September 2001 das Regime der Taliban in Afghanistan auf, Osama bin Laden, den Anführer und Gründer von al-Qaida, binnen 14 Tagen aus Afghanistan auszuliefern. Dies geschah nicht.

Daraufhin rief George W. Bush einen generellen weltweiten Krieg gegen den Terrorismus aus und startete ab dem 7. Oktober 2001 einen Rachefeldzug, zunächst in Afghanistan, wo sich die Basis von al-Qaida befand.

In der Folge griff er 2003 dann ebenfalls den Irak an, mit der Begründung, dort würden nukleare Waffen und Giftgaswaffen lagern. Dies stellte sich später als völlig falsch und als eine glatte Lüge heraus.

Der damalige irakische Diktator Saddam Hussein wurde im Verlaufe dieses Irakkrieges auf seiner Flucht von den US Amerikanern geschnappt und getötet.

Am 11. März 2004 detonierten in mehreren Zügen am Bahnhof Atocha in Madrid bis zu zehn Bomben und töteten 191 Menschen – 2051 Menschen wurden verletzt, 82 davon schwer. Es sollte der bis dahin schlimmste islamistische Terroranschlag sein, den Europa je erlebt hatte. Allerdings ist dieser Anschlag heute fast völlig aus dem Gedächtnis Europas verschwunden, da es zu dieser Zeit noch nicht so ein Medienaufkommen wie heutzutage gab. Facebook und Smartphones gab es in Deutschland überhaupt noch nicht, und auch all die anderen sozialen Medien, und das tagtägliche Mediengewitter gab es nicht. Es gab gerade einmal einen einzigen »Brennpunkt« zu diesem Anschlag am 11. März 2004 in der ARD.

Zunächst wurde die ETA hinter den Anschlägen vermutet. Dies stellte sich aber später als falsch heraus, und es kristallisierte sich mehr und mehr eine islamistische Terrorgruppe heraus, die al-Qaida nahestand. Al-Qaida war zwar nicht direkt an den Vorbereitungen der Anschläge beteiligt, übernahm aber gerne die Verantwortung für die Anschläge, da es in ihr Schema passte.

Am 2. November 2004 erschütterte der brutale Mord auf offener Straße am niederländischen Filmregisseur und Islamkritiker Theo van Gogh die Niederlande tief.

Theo van Gogh wurde von einem niederländisch-marokkanischen islamischen Fundamentalisten wegen seines Films »Unterwerfung«, der von islamischen Frauen handelt, die über ihre Missbrauchserfahrungen sprechen, auf offener Straße zunächst mit einer Pistole beschossen.

Als van Gogh schon am Boden lag, schnitt ihm der Täter zusätzlich die Kehle durch und heftete mit zwei Messerstichen ein fünfseitiges Bekennerschreiben auf seinen Körper.

Am 26. November 2008 kam es in der indischen Metropole Mumbai an zehn unterschiedlichen Stellen innerhalb kurzer Zeit zu zahlreichen Anschlägen mit insgesamt 17 Explosionen, Angriffen mit Schnellfeuerwaffen und Geiselnahmen. Verübt wurde diese einheitlich koordinierte Tat durch eine Gruppe von zehn Angreifern, die zuvor mit einem Schlauchboot in der Bucht von Mumbai unbemerkt angelandet war und sich vor Ort in fünf Teams zu je zwei Personen aufgeteilt hatte. Diese Terroristen wurden nach heftigen, zum Teil mehrtägigen Gefechten zwischen dem 27. und 29. November 2008 von der Polizei erschossen beziehungsweise lediglich ein Täter lebend verhaftet. Nach Angaben der indischen Behörden gab es dabei mindestens 239 Verletzte und 174 Tote. Der Großteil der Todesopfer waren indischer Nationalität – darunter auch 17 der eingesetzten Polizeibeamten – und 18 Ausländer.

Nur einer der pakistanischen Attentäter konnte lebend gefasst werden. Er wurde in Indien vor Gericht gestellt, zum Tode verurteilt und schließlich am 21. November 2012 gehängt.

Auch Osama bin Laden, der Anführer und Gründer von al-Qaida, wurde letztendlich im Mai 2011 in einer Nacht- und Nebelaktion rund 50 km nördlich der pakistanischen Hauptstadt Islamabad von Spezialeinheiten der USA getötet.

Der Irak hingegen wurde als Land und Nation durch den von George W. Bush im Jahre 2003 heraufbeschworenen Krieg im Laufe der Zeit komplett destabilisiert und zur Geburts- und Brutstätte des heutigen IS.

Am 29. Juni 2014 rief in Mossul (Irak) Abu Bakr al-Baghdadi, der Anführer der dschihadistisch-salafistischen Terrororganisation, das Kalifat des IS aus. Spätestens seitdem befindet sich die Welt im Krieg gegen den IS.

Am 07. Januar 2015 wurde in Paris ein Attentat auf die Redaktion des Satiremagazins »Charlie Hebdo« verübt, bei dem 12 Menschen, vor allem Zeichner und Redakteure, getötet wurden. In diesem Zusammenhang folgte zwei Tage später am 09. Januar 2015 noch ein weiterer islamistisch motivierter Terroranschlag mit einer Geiselnahme an der Porte de Vincennes in Paris auf den koscheren Supermarkt »Hyper Cacher«, bei dem ein einzelner Attentäter vier jüdische Kunden ermordete, bevor er von der Polizei beim Sturm auf den Supermarkt erschossen wurde.

TEIL I

GRUNDRAUSCHEN

Kapitel 1

Der französische Geheimdienst war im Stress!

Paris. Für viele die Stadt der Liebe und der Lichter.

Man schrieb November.

2015.

Die Anschläge auf das Satiremagazin Charlie Hebdo in Paris vom 07. Januar 2015 und auf den koscheren Supermarkt »Hyper Cacher« vom 09. Januar 2015 waren nicht ohne Folgen geblieben.

Bei dem furchtbaren Attentat auf Charlie Hebdo waren zwei islamistisch motivierte Brüder (die sich später zu al-Qaida im Jemen bekannt hatten) schwer bewaffnet mit Kalaschnikows in die Redaktionsräume der Zeitschrift eingedrungen. Dort hatten die beiden Männer während einer Redaktionssitzung elf Personen brutal ermordet – darunter auch den Herausgeber und Zeichner Stéphane Charbonnier (»Charb«), den zu seinem Personenschutz abgestellten Polizisten Franck Brinsolaro und etliche weitere Redakteure und Mitarbeiter. Zusätzlich hatten sie später auf ihrer Flucht einen wehrlos auf dem Boden liegenden Polizisten kaltblütig regelrecht hingerichtet.

Es war ein extremer Schock gewesen! Nicht nur für die zahlreichen Verletzten des Anschlags, für die restlichen überlebenden Redakteure des Magazins und deren Angehörige, sondern für ganz Frankreich und ganz Europa – vielleicht sogar für die ganze Welt.

Der Terror war zurück, und er war mitten in den Städten – mitten in der Gesellschaft angekommen!

Jean Pierre Descamps, den, solange er sich erinnern konnte, alle nur JP nannten, war neu in der Abteilung. Es war seine erste Woche in dieser Einheit des französischen Auslandsnachrichtengeheimdienstes DGSE in Paris.

Er selbst war zwar schon jahrelang beim DGSE, aber in dieser Abteilung war er neu. Auch dieses, für ihn noch unbekannte, Großraumbüro befand sich in der Kaserne Mortier im östlichen 20. Arrondissement in Paris. Zum Glück war es nicht zu groß und nicht zu laut; es ließ sich einigermaßen aushalten, dachte JP.

Außerdem hatte er ein paar Tische weiter den etwas beleibten, aber sehr sympathischen Damien wieder getroffen, den er bereits aus einer nahe gelegenen Bar kannte, in die sich immer mal wieder Kollegen nach der Arbeit oder in den Pausen verliefen.

Damien erinnerte Jean Pierre irgendwie immer an eine Art lebenden gutmütigen Teddybären. Sie hatten sich damals in der Bar direkt prima verstanden, und JP war dankbar dafür, dass Damien ihm hier die Einarbeitung etwas erleichterte.

Seit einem Außeneinsatz, bei dem er leicht verletzt worden war, war JP nur noch zum Bürodienst verdonnert worden, was ihn gehörig nervte und er nicht verstand. Seine Frau Marie hingegen war sehr glücklich darüber.

In seiner neuen Abteilung sollte JP eine Schwangerschaftsvertretung für eine junge Kollegin machen, eine von circa 4750 hauptamtlichen Mitarbeitern des Geheimdienstes DGSE. Die Personalabteilung hatte vermutlich gedacht, dass er als alter Hase mal eben so einspringen könnte. In Wirklichkeit hätte sich JP erst einmal in Ruhe in seiner neuen Umgebung einarbeiten müssen. Doch er hatte den Eindruck, dass ihm dazu nicht allzu viel Zeit bleiben würde.

Vor lauter neuer Namen, Meetings und Vorschriften schwirrte ihm unaufhörlich der Kopf. Ob er danach zu seinen früheren Kollegen zurückkehren würde, wusste er auch nicht, das stand in den Sternen; sein alter Chef hatte ihm nicht allzu große Hoffnungen gemacht.

Zum Glück verstand er sich gut mit Damien, der versuchte, ihn nach Kräften zu unterstützen.

Manchmal fragte sich JP allerdings, wozu das alles überhaupt gut war, was sie hier Tag für Tag veranstalteten.

Zuletzt hatte er immerhin noch von einem durchschlagenden Erfolg seiner Kollegen vom französischen Inlandsgeheimdienst DGSI gehört, als sie einen Anschlag auf militärische Einrichtungen der französischen Marine in Toulon hatten verhindern können.

Eine seit einem Jahr wegen Radikalisierung und Unterstützung von Islamisten beobachtete Person, wurde zuletzt noch am 29. Oktober 2015 rechtzeitig festgenommen, bevor der Terroranschlag stattfinden konnte.

Der französische Innenminister Bernard Cazeneuve hatte dies auch sichtlich stolz der Presse präsentiert. Die später festgenommene Person hatte noch versucht, Material für eine bevorstehende Tat zu besorgen, als die Polizei vorsichtshalber direkt zugriff.

Nach dem schrecklichen Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo am 7. Januar 2015, war es im Laufe des Jahres zu mindestens 370 Festnahmen im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den Terrorismus gekommen. Sie hatten zum Beispiel auch das geplante Attentat auf zwei Kirchen in Villejuif, im Süden von Paris, verhindern können.

Das wiederum machte Jean Pierre manchmal schon stolz, was er da für sein Land leisten konnte. Es gab ihm als Familienvater dann auch ein gutes Gefühl, selbst mitwirken zu können und seinen 16-jährigen Sohn Jules und seine Frau Marie dadurch wenigstens ein bisschen schützen zu können.

Aber man musste auch ehrlich sein, manchmal hatten sie auch einfach nur Glück gehabt.

Zum Beispiel war es reiner Zufall oder eben Schicksal gewesen, dass bei dem versuchten Anschlag am 21. August 2015 im Thalys Zug 9364 von Amsterdam nach Paris ein größeres Blutbad hatte verhindert werden können: Ein mit einem Sturmgewehr (inklusive neun passender Magazine mit bis zu 270 Schuss Munition) bewaffneter Attentäter, der zusätzlich noch eine Pistole des Typs Luger M80 und ein Teppichmesser bei sich trug, konnte glücklicherweise von Fahrgästen überwältigt werden, nachdem er die ersten Schüsse abgegeben hatte.

Dies war allerdings nur möglich gewesen, weil zufällig die drei befreundeten US-Amerikaner Spencer Stone, Aleksander Skarlatos und Anthony Sadler anwesend waren (von denen Stone und Skarlatos auch noch aktive Soldaten waren), die gemeinsam den Täter mit ihrem beherzten und professionellen Eingreifen unschädlich machen konnten. Sie hatten aber auch nur deshalb die Möglichkeit, sich auf den Attentäter zu stürzen, weil dessen AK47 Kalaschnikow genau in diesem Augenblick eine Ladehemmung hatte.

Bei ihrem Eingreifen verletzte der Täter trotzdem Spencer Stone noch mit dem Teppichmesser sehr schwer am Daumen, im Nacken und an einer Augenbraue. Ein durch einen Schuss aus der AK47 zuvor am Hals getroffener schwer verletzter Fahrgast, konnte ebenfalls nur durch die schnelle Versorgung durch Spencer Stone und die im nächsten Bahnhof Arras (wohin der Zug außerplanmäßig umgeleitet worden war) bereitstehenden Sanitäter und später im Krankenhaus gerettet werden.

Die drei US-amerikanischen Freunde waren zu diesem Zeitpunkt auf einem Urlaubstrip quer durch Europa gewesen und hatten rein zufällig in einem benachbarten Abteil gesessen, als der Attentäter in Brüssel zugestiegen war. Zunächst hatte dieser sich irgendwann in der Zugtoilette bewaffnet und vorbereitet, bevor er heraus stürmte und sofort das Feuer auf die Passagiere eröffnete. Glücklicherweise konnten die Fahrgäste mit ihrem mutigen Eingreifen schlimmeres verhindern. Spencer Stone musste anschließend allerdings im Krankenhaus in Lesquin am Daumen operiert werden, da dieser durch die Messerattacke des Attentäters schwer verletzt worden war.

Spencer Stone, Aleksander Skarlatos, Anthony Sadler und der britische Geschäftsmann Chris Norman bekamen drei Tage später in Paris im Élysée-Palast von Präsident François Hollande den Orden der Ehrenlegion (als Ritterkreuz – Chevalier de la Légion d’Honneur) für ihr vorbildliches Verhalten verliehen.

***

Auch die Anschläge rund um Charlie Hebdo hatte der Geheimdienst nicht verhindern können. Laut interner Berichte hatte es da Pannen gegeben – auf mehreren Ebenen. Es hatte nicht alles so funktioniert, wie es sollte.

Jean Pierre hatte schon oft darüber nachgedacht:

Bereits das Zusammenspiel zwischen dem französischen Auslandsgeheimdienst DGSE, dem Inlandsgeheimdienst DGSI und den unterschiedlichen Behörden der Polizei klappte nicht immer so, wie sie es sollte. Ganz zu schweigen von der internationalen Zusammenarbeit der Geheimdienste beziehungsweise der Polizeibehörden untereinander.

Es existierte bisher noch nicht einmal eine einheitliche europäische Terrordatei, in der alle Geheimdienste und Polizeibehörden Europas ihre Daten einpflegten und auf die die jeweiligen Behörden dann Zugriff hatten.

Gut, es gab das Schengener InformationssystemSIS zur Personen- und Sachfahndung in der Europäischen Union. Aber das SIS wurde von viel zu wenigen europäischen Staaten regelmäßig gepflegt, unterstützt oder überhaupt abgerufen.

Dann gab es natürlich auch noch Europol und zusätzlich zu all dem noch die nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 von den 28 EU-Mitgliedern plus Norwegen und der Schweiz gegründete Anti-Terrorismus Gruppe CTG, die irgendwann sogar auch mal ein eigenes Hauptquartier erhalten sollte, um Erkenntnisse zu islamistischem Terror auszutauschen.

All diese Institutionen arbeiteten nicht wirklich und nicht ernsthaft zusammen. Jedes Land kochte sein eigenes Süppchen, ohne das große Ganze im Blick zu haben.

Und all das immer nur wegen blöder Machtspielchen. Es ging den Menschen immer nur um Macht oder eben um die alternative menschliche Form von Macht: Geld!Es war immer dasselbe: nur Macht, Macht, Macht!

Das war auf allen Ebenen im Leben die Krankheit der menschlichen Rasse, an der sie eines Tages vermutlich auch zugrunde gehen würde.

Es könnte alles so einfach sein, aber die Macht- beziehungsweise Geldgier der Menschen verhinderte das und zerstörte immer wieder die guten Ansätze.

Das war unglaublich frustrierend, eine furchtbare Geschichte und ließ ihn zweifeln, ob sie jemals diesen Kampf gegen den Terror würden gewinnen können.

Er musste dann oft an dieses berühmte Zitat der RAF aus den 70ern in Deutschland denken, die damals sinngemäß gesagt hatten »Ihr braucht immer Glück, wir nur einmal«.

***

Er wusste, sie mussten besser werden. Es half nichts, sie mussten einfach besser werden!

Aber er selbst war nur ein kleines Rädchen im großen Getriebe, in dieser riesigen Maschine. Er hatte keine Macht, er war nicht der Präsident, er war nicht Hollande. Aber hätte dieser überhaupt die Macht dazu, etwas wirklich zu verändern, es so zu verbessern, dass es keine Pannen mehr gab?

Nach den Anschlägen rund um Charlie Hebdo tat ihm Hollande eher leid, wie er ihn da so sah. Es war kein Spaß, Angehörigen von Terror Opfern sein Beileid auszusprechen, nach solchen Geschehnissen vor laufenden Kameras vor die Presse zu treten und die richtigen Worte zu finden. Da hätte er nicht mit ihm tauschen wollen.

Vielleicht war es manchmal doch ganz gut, nicht ganz oben zu stehen, wo alle auf einen schauten und jeden Schritt oder Fehltritt in aller Öffentlichkeit hämisch kommentieren konnten; da wo man es den Leuten im Grunde nie recht machen konnte. Es war unmöglich, immer alles richtigzumachen!

Kapitel 2

PARIS – 20. Arrondissement, November 2015

Diese erste Woche in seiner neuen Abteilung war für ihn bisher das reinste Chaos gewesen. Er hatte natürlich versucht, möglichst viele Einträge, E-Mails, Notizen und Memos seiner Vorgängerin in kürzester Zeit zu sichten, um sich einzuarbeiten.

Das war nicht so leicht, wie es sich anhörte, da sie in dieser Einheit teilweise wieder ein anderes Computersystem benutzten, als das System, welches er bisher gewohnt war.

Der Computer seiner Kollegin war hier in diesem Büro auch ganz anders eingerichtet. All das machte seine Einarbeitung nicht gerade leichter. Trotzdem war ihm bei seiner Recherche ein besonderer Vorgang aufgefallen, der ihn hatte stutzig werden lassen:

Ein direkter Hinweis von der Polizei aus Deutschland aus der letzten Woche, vom 5. November 2015.

Darin war die Rede von einer Wagenladung voll mit Waffen gewesen, die in der Nähe von Rosenheim in einem Auto gefunden worden war. Die Polizei in Oberbayern hatte den Golf eines 51-jährigen Mannes an der Autobahn A8 bei Bad Feilnbach kontrolliert und zunächst dabei einen Pistolenlauf im Motorraum entdeckt. Daraufhin hatten sie den aus Montenegro stammenden Mann festgenommen und anschließend das Auto zerlegen lassen, wobei dann noch weitere Waffen, professionell versteckt, zum Vorschein gekommen waren: Insgesamt waren es acht Kalaschnikows, zwei weitere Pistolen, ein Revolver, die jeweilige Munition zu den Waffen, zwei Handgranaten und 200 Gramm TNT-Sprengstoff!

Das Navigationsgerät des Fahrers war auf Paris eingestellt gewesen, und er hatte außerdem noch eine Adresse von einem Parkplatz in Paris dabei gehabt. Zu all dem schwieg dieser Mann bisher.

JP musste an seinen Sohn und seine Frau denken.

***

Seine schwangere Kollegin hatte die Nachricht der deutschen Behörden noch umgehend als dringlich an ihre Vorgesetzten weitergeleitet, weil sie es sofort an ihre Kollegen vom Inlandsgeheimdienst DGSI geben wollte. Aber sie war postwendend wieder zurückgekommen, mit dem harschen Hinweis, die Deutschen hätten sich endlich auch mal an das Prozedere zu halten und den offiziellen Weg zu gehen. Sie könnten nicht eben mal so machen, was sie wollten und die Informationen immer wieder einfach direkt an sie weiterleiten. Sie sollten gefälligst die Einträge ins offizielle Schengener Informationssystem machen und nicht ständig vom Weg abweichen. Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder nur noch das machte, was er wollte. Die Deutschen wieder! Dabei hieß es in der Welt immer, die seien so penibel und gut im Organisieren, hah, von wegen!

Man wartete nun ab, bis das offizielle System den Eintrag der Deutschen ordentlich implementiert hatte. Dadurch würde er dann auch automatisch für alle zuständigen Stellen und vor allem für die Kollegen vom Inlandsgeheimdienst DGSI sichtbar werden. Damit war das Thema hier in seiner neuen Einheit erst einmal erledigt gewesen.

JP war zwar neu in der Abteilung, aber er verstand dieses Vorgehen nicht. Natürlich waren sie hier beim DGSE alle oft überlastet, aber dann musste man das eventuell einfach ein bisschen besser organisieren, dachte er.

Ja, das war alles eine Heidenarbeit, die sie hier hatten, sie schien manchmal gar nicht enden zu wollen, und ja, auch er war oftmals genervt, wenn er mal wieder viel zu spät nach Hause kam. Noch dazu nach diesem regelrechten Kampf zurück durch die überfüllte und hektische Pariser Innenstadt – zu Fuß und per Metro.

Er hatte zwar auch ein Auto, aber es wäre wirklich Wahnsinn gewesen, das in Paris für den Weg zur Arbeit zu benutzen. Daher hatte er sich irgendwann, auf Anraten seiner Frau und gegen seinen männlichen Stolz, doch dazu entschieden, sich einfach ein Monatsticket für die Metro zu kaufen. Wenigstens übernahm die DGSE nun die Hälfte des monatlichen Betrages – immerhin!

Kapitel 3

PARIS – 16. Arrondissement, November 2015

Jean Pierre Descamps wohnte mit seiner kleinen Familie im vornehmen 16. Arrondissement, ganz im Westen von Paris, nicht weit vom Bois de Boulogne. Wenn er morgens an seiner Station, La Muette, in die Metro einstieg, um bis zur Haltestelle Porte des Lilas im Osten zu kommen, dann empfand er das alles hin und wieder schon als ein bisschen nervig. Erst in die Linie 9, dann an der Station République in die Linie 11 wechseln, und abends das ganze Spiel noch einmal, nur umgekehrt.

Immerhin musste er nur einmal umsteigen. Es war ihm allerdings vor allem in den unendlichen Gängen der großen Metrostation République immer wieder viel zu hektisch. Das war gar nicht sein Ding.

Aber seine Familie fühlte sich in ihrem Viertel eben auch wohl, und sie wollten nicht ins 20. Arrondissement umziehen, selbst wenn das vermutlich um einiges billiger und weniger stressig für ihn gewesen wäre. Aber in ihrem Viertel wussten sie auch, was sie hatten. Bei einem Umzug konnte man das ja nie wissen, was man dann bekam.

Außerdem ergatterte JP manchmal auch einen Sitzplatz in der Linie 9, mit der er die längste Strecke fuhr, und dann konnte man auch relativ entspannt etwas lesen und in seiner eigenen kleinen Welt versinken. Dann störte das Metrofahren kaum noch, sondern es konnte fast schon ein bisschen Erholung sein, wenn man sich darauf einließ. Musik über seine Kopfhörer hören, und ein gutes Buch zum Lesen.

***

Als leidenschaftlicher Fußballfan wollte Jean Pierre kommenden Freitagabend unbedingt mit seinem Sohn Jules zum Freundschaftsspiel Frankreich gegen Deutschland ins Stade de France gehen.

Das Stadion, in dem die Équipe Tricolore inzwischen ihre Heimspiele austrug, war nicht mehr das altehrwürdige Stadion Parc des Princes, das gleich um die Ecke ihres Appartements lag, und immer noch die Heimat von Jules´ Lieblingsfußballclub PSG war. Stattdessen spielte die französische Nationalmannschaft inzwischen in dem zur Fußball-Heim-WM extra gebauten und im Jahre 1998 neu eröffneten Stade de France, das sich ganz oben im Norden von Paris, in der Vorstadt Saint-Denis, befand.

Aber das »neue« Stadion war für sie mit der Metro ebenfalls recht gut zu erreichen, das war kein Problem.

Jean Pierre hatte sogar zwei Karten über Beziehungen kostenlos ergattern können, fantastisch!

Jules freute sich schon seit Tagen wie ein kleines Kind auf den gemeinsamen Stadionbesuch mit seinem Vater.

JP wollte ihm dabei noch einmal genauer die Zusammenhänge und die heutige Verbundenheit zwischen Frankreich und Deutschland erklären. Das war ihm wichtig: Europa, Freundschaft, Werte. Er hatte ein gutes Gefühl bei seinem Sohn, dass auch Jules die Wichtigkeit verstand und für sich verinnerlichen würde. Er war sehr stolz auf seinen 16-jährigen Sohn, der ein großes Herz offenbarte und einen liebenswürdigen Charakter. Ähnliches bemerkte er auch immer wieder bei den Freunden, mit denen sich Jules umgab, und die immer wieder mal zum Spielen zu ihnen nach Hause kamen. Klar, PlayStation, Fußball, WhatsApp, Tinder und Mädchen, das waren im Moment bei den Jungs in der Pubertät die vorherrschenden Themen, was sonst. Aber er hatte trotzdem ein gutes Gefühl dabei und vertraute seinem aufgeschlossenen und weltoffenen Sohn.

Auch seine Frau Marie machte ihn immer wieder sehr stolz, wie sie das alles meisterte! Den Spagat zwischen ihrem Job in der Schule als Englischlehrerin und dem stressigen Alltag als Mutter und Ehefrau. Wie sie ihm immer den Rücken freihielt, sich um Jules, ihren Hund Zizou, die Wohnung und all die kleinen oder großen Alltagsprobleme kümmerte. Ja, er war mächtig stolz auf seine kleine Familie!

Und am Freitagabend würden sie als Vater und Sohn endlich wieder einmal gemeinsam Les Bleus, ihre Équipe Tricolore, anfeuern, und hoffentlich den Weltmeister so richtig fordern.

Zwar war Franck Ribéry immer noch nicht wieder fit, aber sie hatten immerhin mit Antoine Griezmann, und den Jungspunden Anthony Martial von Manchester United und Kingsley Coman von den Bayern auch tolle junge Nachwuchsspieler.

Der aktuelle Skandal in der Nationalmannschaft um Karim Benzema und seinen Mannschaftskollegen, Mathieu Valbuena, bezüglich dieser ominösen Erpressung zu einem privaten Sexvideo, nervte JP allerdings. Das hatte großen Staub in den Medien aufgewirbelt und Frankreichs Fußball Landschaft ein weiteres Mal durcheinandergebracht. Das war wieder typisch für sein Heimatland; immer wenn man gerade dachte, dass es nun richtig aufwärtsgehen würde, und alles gut laufen würde, dann kam wieder irgendein Scheiß Skandal um die Ecke. Es war wirklich zum Kotzen.

Benzema war nun fürs Erste jeglicher Kontakt zu Valbuena untersagt, und so würden die beiden auch am Freitag nicht spielen dürfen. Aber Frankreich hatte zum Glück noch genug andere Spieler, die in die Bresche springen würden.

Ja, Jean Pierre war guter Hoffnung für die EURO2016 nächstes Jahr im eigenen Land. Er durfte nur nicht vergessen, sich auch dafür rechtzeitig Karten für Jules und sich zu besorgen.

Kapitel 4

PARIS – 20. Arrondissement, Mittwoch, der 11. November 2015

48 Stunden vor dem besagten Fußballspiel gegen Deutschland bekam JP, unter vielen anderen, auch eine Nachricht vom irakischen Geheimdienst auf seinen Tisch; in dieser ging es um eine Bedrohung für Paris innerhalb der nächsten Tage.

Das musste unbedingt seine Kollegen vom französischen Inlandsgeheimdienst DGSI erreichen, die in Frankreich für die Terrorabwehr zuständig waren und sich mit ihrer Zentrale nicht weit entfernt in der kleinen Stadt Levallois-Perret befanden, die direkt nordwestlich an Paris angrenzte. Am liebsten hätte er seine Arbeitskollegen dort sofort persönlich kontaktiert, aber nach dieser unschönen Vorgeschichte mit seiner schwangeren Kollegin und diesen seltsamen Chefs hier, wagte er das als Neuling in dieser Einheit nicht.

Er gab die Nachricht stattdessen mit einem Dringlichkeitsvermerk an seine Vorgesetzten weiter. Keinerlei Reaktion, kein Kommentar.

JP nahm sich vor, am nächsten Tag noch einmal nachzuhaken, sonst würde ihnen die Zeit davonlaufen.

***

PARIS – 20. Arrondissement, Donnerstag, der 12. November 2015

Im Laufe des Tages kam vom marokkanischen Geheimdienst eine ähnliche Nachricht herein, und Jean Pierre machte sich inzwischen ernsthafte Sorgen um Paris. Er ging diesmal damit direkt zu seinem Vorgesetzten.

Sein Chef stöhnte auf und verdrehte die Augen:

»JP, Sie übertreiben! Kommen Sie schon wieder mit dieser Geschichte? Nehmen Sie sich bitte nicht so wichtig. Sie sind neu hier, sie sind ein kompletter Frischling! Sie haben keine Ahnung, wie die Uhren in dieser Einheit ticken; sie sind gerade erst in dieser Woche hier in der Abteilung angekommen. Gerade einmal ein paar Tage dabei. Was denken Sie sich? Sie müssen sich erst mal eingewöhnen. Sie müssen unsere Abläufe kennenlernen. Lernen, zu erkennen und zu trennen, was wichtig ist und was nicht! Die täglich reinkommenden Nachrichten nicht alle so wichtig nehmen. Das ist das Grundrauschen!

Solche scheiß Warnungen haben wir jeden Monat und jede Woche, fast täglich zuhauf. Wenn wir jedem Hinweis nachgehen würden, dann kämen wir hier zu nichts mehr!«

Damit war er entlassen, quasi ausgelacht worden, und die Angelegenheit war erledigt. Im Gegenteil, nun musste er auch noch andere Aufgaben übernehmen. Schwachsinnsaufgaben, wie er es empfand. Sachen einsortieren, abhaken, Einträge machen. Er kam sich den Rest des Donnerstags und des darauffolgenden Tages eher so vor wie eine normale Sekretärin.

Das ging schon ein wenig gegen seine Ehre, denn ein Frischling war er ja keineswegs. Er war einfach nur neu in dieser Abteilung.

Kapitel 5

PARIS – 12. Arrondissement, Donnerstag Abend, der 12. November 2015

Damien Leplat war schon etwas länger in der Abteilung und mochte den Enthusiasmus seines neuen Kollegen JP.

Endlich schien er eine Art Verbündeten für den »Kampf« gegen die alten Strukturen gefunden zu haben, dachte er, als er nach Feierabend bei sich zu Hause in seinem Appartement saß und die Füße hochgelegt hatte. Er hatte JP allerdings zuletzt tatsächlich zur Seite nehmen müssen, denn dieser hatte es in seiner ersten Woche wirklich ein bisschen übertrieben und sich direkt schon mit ihren Vorgesetzten angelegt. Im Grunde verstand Damien ihn, aber vielleicht sollte er das doch etwas langsamer angehen lassen und eine Spur diplomatischer regeln. Jean Pierre hatte erwidert, dass ihm das egal sei, denn schließlich ginge es hier jedes Mal um Menschenleben. Eigentlich hatte er damit recht, dachte Damien, und bemerkte, wie durch seinen neuen Arbeitskollegen auch in ihm wieder das alte Feuer entfacht wurde.

Er spürte, wie ihm dieser große schlanke Kollege guttat, seit er in ihr Büro gekommen war.

Damien hatte das Gefühl, dass er die letzte Zeit davor in einer Art Winterschlaf zugebracht hatte. Jetzt fühlte er neue Energie durch sich und sein Leben strömen, und er freute sich früh morgens fast schon darauf, wieder ins Büro zu kommen. Das war zuletzt nie so gewesen. Manchmal hatte es ihn bereits sonntagabends davor gegruselt, am Montag erneut zum Dienst erscheinen zu müssen. Das war nun anders. Er fühlte sich nicht mehr so allein auf weiter Flur, auch wenn sie sich beide ja noch nicht so wirklich lange kannten. Aber er hatte ein richtig gutes Gefühl bei der Sache.

Gemeinsam konnten sie hier in Zukunft möglicherweise doch noch etwas bewegen und die verkrusteten Strukturen ein bisschen aufbrechen.

Damien freute sich diesmal aber auch schon besonders aufs Wochenende, an dem mal wieder etwas von seinen Freunden geplant war:

Er war nämlich Single.

Daher versuchten Marc und Nathalie, ein befreundetes Pärchen, ständig, ihn endlich mal wieder »unter die Haube« zu bekommen, wie sie es nannten. So hatten sie das auch erneut für Freitagabend mit Damien geplant, um ihn unter Leute zu bringen und etwas von seinem Job abzulenken. Sie hatten extra noch Karten für ein inzwischen ausverkauftes Konzert der US-amerikanischen Rock-Band »Eagles of Death Metal« in einem angesagten Club im Zentrum ergattert. Damien sagte der Name dieser Gruppe zwar bisher überhaupt nichts, aber er mochte definitiv Rock Musik und vertraute daher einfach auf Marcs Urteil.

Marc war freier Journalist und betrieb außerdem einen relativ erfolgreichen Independent Musikblog im Internet. Auf diesem berichtete er immer wieder von aktuellen Veranstaltungen in Paris und Umgebung. Er kannte sich sehr gut mit Musik aus und hatte das Konzert für Freitagabend auf seinem Blog für die Pariser Nachtschwärmer sogar explizit empfohlen.

Seine langjährige Freundin und große Liebe Nathalie, arbeitete in einer kleinen unabhängigen Boutique, in der sie gerne neuen und noch unbekannten Modedesignern die Möglichkeit gaben, ihre Werke erstmals zu verkaufen. Es lief dann zunächst meist über Kommission, und jeder hatte etwas davon. Der junge neue Designer bekam einen Verkaufsraum für seine Kreationen und die Boutique hatte regelmäßig brandneue und ausgefallene Ware, die es nicht an jeder Ecke oder bei all den Mainstream Labels gab. Nathalie liebte ihre Arbeit.

Heute Abend wollte sie sich für Marc besonders hübsch machen, weil sie eine große Neuigkeit und Überraschung für ihn hatte.

Sie wollte deshalb ein neues wunderschönes Oberteil einer jungen Modedesignerin ausprobieren, die gerade erst ihren Abschluss gemacht hatte, aber sehr talentiert war. Nathalie freute sich schon den ganzen Tag darauf, dieses Teil anzuziehen. Sie konnte es kaum erwarten, damit auf das Konzert im Bataclan zu gehen und ihren geliebten Marc aufs Neue zu verführen …

Damien litt darunter, dass er nie sein Gewicht halten konnte und immer wieder zunahm, wenn er gerade mal ein bisschen abgenommen hatte. Es war ja auch wirklich zum Verrücktwerden, was es alles Leckeres zu essen gab. Wer konnte denn da ständig widerstehen? Er verstand nicht, wie die Leute das schafften. Und klar, Sport liebte er zwar auch total, doch er fand es einfacher, wenn er dabei zusah.

Und was gab es in Frankreich nicht alles an herrlichen Speisen und Naschzeug!

Das war als Genießer gar nicht so einfach mit dem Gewicht. Irgendwann würde er noch platzen, befürchtete er!

Dazu kam, dass Damien nicht der Typ Macho war, der locker in eine Bar hinein zur nächstbesten Frau ging, um sie mit einem coolen Spruch anzubaggern. Das war gar nicht seine Welt. Er brauchte und wollte mehr Zeit für ein Kennenlernen.

Dann war da noch sein Haar Problem. So langsam wurde es an einigen Bereichen am Kopf etwas lichter. Dafür schienen an anderen Stellen plötzlich Haare zu sprießen, an denen er es nie vermutet hätte. Wieso kamen mit einem Mal Haare aus den Ohren? Er hatte das mal gegoogelt und irgendeine seltsame Theorie gelesen, dass man ja im Alter weniger gut hören könne, und die Haare dann den Schall besser einfangen und weiterleiten sollten. Na toll. Er versuchte sie trotzdem regelmäßig wegzumachen, wenn es ihm auffiel. Dass er dadurch schlechter hörte, war ihm nicht aufgefallen.

Manchmal kam er sich bei dem Thema allerdings schon eher so vor, wie ein Affe anstatt eines Menschen. Zuletzt waren ihm plötzlich sogar mal im Badezimmer und im Gegenlicht einzelne Haare auf dem Rücken aufgefallen. Auf dem Rücken! Er konnte es gar nicht fassen und hatte sofort eine Pinzette genommen, um sie zu entfernen. Aber da kam man alleine ja gar nicht richtig ran. Er hatte zum Schluss schon fast einen Krampf im Arm gehabt und es dann frustriert sein gelassen. Er kam sich komisch damit vor.

Wenn er eine Freundin gehabt hätte, dann wäre die da locker ran gekommen und hätte sie entfernen können. Aber das war ja auch peinlich. Konnte man eine Frau darum bitten?

Damien wunderte sich auch oft über vom Gesicht beziehungsweise Kopf abstehende Haare, wenn die Kamera in seinen abendlichen Talkshows im Fernsehen nah an den Gästen dran war. Oder über kilometerlange Augenbrauen bei Männern. Wieso bemerkten diese Typen das alles im Alltag nicht?

Aber noch verwunderlicher war: Wieso entging so was regelmäßig der Maske? Die Schminke war im Fernsehen stets dick aufgetragen, vermutlich, damit man die Falten auf den neuen Bildschirmen nicht so sah. Aber das mit den Haaren übersahen sie immer wieder? Das fand er seltsam. Oder fielen nur ihm so Dinge auf? War er vielleicht nicht ganz richtig im Kopf, dass nur er so etwas entdeckte?

Und das mit der Nase, wieso wuchsen da plötzlich Haare raus, die man vorher dort nie bemerkt hatte?

Er fühlte sich jedenfalls die meiste Zeit in seinem Leben nicht wirklich attraktiv oder als der Frauenschwarm schlechthin.

Bei JP war das bestimmt ganz anders, der war schlank und groß und hatte eine gute Figur, wie Damien fand. Sie hatten über dieses Thema allerdings noch nie gesprochen. Das war ihm bisher zu persönlich gewesen. Aber JP hatte wohl eh nicht diese Probleme, der war ja schon verheiratet und hatte einen Sohn.

Es gab noch ein anderes kleines Problem. Damien hatte irgendwann erkannt, dass er trotz seiner nicht gerade sportlichen Figur, selbst aber auf eher zierliche Frauen stand.

Scherzhaft fügte er anschließend manchmal noch hinzu: »Und davon dann natürlich 10 kg für die Brüste.« Aber das ging selbstverständlich nur bei seinen Kumpels oder bei Frauen, die den kleinen Spaß auch verstanden.

Auf jeden Fall war Damien immer hin und her gerissen zwischen Wehmut und Sehnsucht nach einer eigenen Partnerin und der stillen Zufriedenheit in seinem kleinen Single Leben.

So ein Singleleben hatte ja auch seine unbestreitbaren Vorteile für einen Mann:

Man konnte anziehen, was man wollte. Sich rasieren oder nicht, es interessierte niemanden. Wenn man frei hatte, konnte man aufstehen und tun und lassen, was man wollte. Man konnte seine Socken dort herumliegen lassen, wo sie nun mal gerade hingefallen waren. Man konnte seinen Schreibtisch, Computer und die Bude in einem Chaos lassen, das man verstand! Putzen musste man nur, wenn es einem selbst zu dreckig wurde.

Man konnte seine Star Wars Figuren aufstellen, wo man wollte. Fußball durfte der Mittelpunkt des Lebens sein. Man konnte morgens so lange duschen, wie man wollte, man konnte Technik und Computer Zeitschriften auf dem Klo lesen. Und vor allem: Man durfte im Stehen pinkeln!

Darüber hatte er zuletzt in einer Kolumne gelesen, dass die Männer zum Beispiel in Deutschland das meistens nicht mehr durften, sobald sie in einem Frauenhaushalt waren. Sie mussten sich dort dann plötzlich alle auf die Klobrille setzen. So weit kam es noch – nicht mit ihm! Das war zu viel des Guten. Wo blieb denn da noch die Männlichkeit? Als Mann war man heutzutage ja eh schon fast überflüssig und zu einer Art Marionette der Frauenwelt geworden, dachte er manchmal.

Das hieß für ihn allerdings nicht, dass er die Frauen nicht auch immer wieder verstand. Er hatte schon öfter darüber nachgedacht, wie es sich wohl anfühlen würde, wenn man als Frau auf die Welt gekommen wäre.

Gott bewahre!

Er war dann nach längerem Nachdenken zu dem Entschluss gekommen, dass er keine Frau sein wollte. Als Frau würde er ausflippen, dachte er. Da würde er vermutlich irgendwann Amok laufen, so ungerecht wie die Welt immer noch mit ihren Strukturen aufgebaut war.

Als Singlemann konnte man zum Fußball gehen, wann immer man wollte. Man konnte Fußball gucken, wann und mit wem man wollte, und auch essen und trinken, was man wollte, und wann man es wollte. Ach, es war einfach herrlich! Alles war eben ganz unkompliziert. Das Leben als Mann und vor allem als Singlemann war im Großen und Ganzen total simpel und entspannt.

Man konnte sich fast so fühlen wie Gott in Frankreich.

Es fehlte eben nur ab und zu eine Göttin, mit der man all das teilen konnte…

Damien hatte mit Nathalie oft über sein Leben als Single und über Frauen im Allgemeinen gesprochen. Vor einiger Zeit wollte er ihre Meinung zu einer Geschichte hören. Er hatte mal von einer Ex erfahren, dass sich Frauen tatsächlich Gedanken darüber machten, dass sie unbedingt jeden Tag schöne Unterwäsche trugen. Als Damien nachgefragt hatte, wieso das denn so wichtig sei, wenn es als Single doch vermutlich eh niemand anderes zu sehen bekam, da hatte seine Ex ganz empört geantwortet, dass es natürlich wichtig sei. Denn falls sie mal irgendwo einen Unfall hätte, und ein Sanitäter oder jemand im Krankenhaus, sie anschließend entkleiden müsste, dann wollte sie schon einen guten Eindruck machen und schöne Unterwäsche tragen. Darüber hatte Damien später lange nachgedacht, und dann entschieden, dass er doch froh war, ein Mann zu sein. Solche Probleme hatte ein Mann nicht. Nathalie hatte daraufhin herzlich gelacht, ihn in den Arm genommen und ihm zugezwinkert. »Tja, die kleinen Geheimnisse der Frauen. Aber dieses Problem habe ich ja nicht mehr. Ich bin kein Single, und meine Unterwäsche trage ich nur noch für Marc. Und außerdem für mich selbst. Man will sich ja auch selbst schön und begehrlich finden.«

Kapitel 6

PARIS – 20. Arrondissement, Freitag, der 13. November 2015

Am Freitagnachmittag musste JP seinem Sohn Jules bezüglich des gemeinsamen Stadionbesuchs im Stade de France für den Abend leider absagen, weil er es aufgrund all der neuen Arbeit niemals rechtzeitig nach Hause schaffen würde.

Mittags hatte es zu allem Überfluss nämlich noch eine anonyme Bombendrohung gegen das Mannschaftshotel der deutschen Nationalmannschaft gegeben, die sich bereits zur Vorbereitung auf das abendliche Spiel im Luxus-Hotel Molitor in Paris befand. Das Hotel lag in der Rue Nungesser et Coli im 16. Arrondissement, nur ein paar Meter vom Prinzenparkstadion und daher auch nicht weit entfernt von dem Appartement seiner Familie.

Das gab eine riesige Aufregung für den gesamten Polizeiapparat und viel Aktion rund um die Mannschaft und das Hotel. Aber zum Glück war das anscheinend nur wieder so ein Scherz von einem durchgeknallten Witzbold gewesen, denn auch die eingesetzten Spürhunde konnten nichts finden.

Dennoch ergab das nun wieder endlosen zusätzlichen Papierkram, sodass sich Jean Pierre an diesem Tag mal wieder fragte, womit er das alles verdient hatte.

Er würde es durch dieses zusätzliche Ereignis auf keinen Fall mehr schaffen, dass er und sein Sohn sich vorbereiten und dann gemeinsam zum Stadion gehen könnten.

Es tat ihm für Jules unendlich leid, denn nun hatten sie schon einmal Karten für das Spiel, und Jules hatte sich so darauf gefreut!

Aber seine Frau würde auch nicht an seiner Stelle mit Jules zum Spiel gehen, dachte JP. Sie machte sich einfach nichts aus Fußball. Zum Glück tolerierte sie immerhin die Leidenschaft ihrer beiden Männer, dachte Jean Pierre und schmunzelte. Da hatte er es doch ganz gut getroffen.

Für sich selbst sah Jean Pierre nur noch als einzige Möglichkeit, das Spiel noch irgendwie live verfolgen zu können, dass er mit Damien direkt von der Arbeit aus, in der Nähe ihrer Büros, in die Bar »Chez Mau« gehen könnte, die unter den Kollegen sehr beliebt war, und wo sie sich damals auch zum ersten Mal kennengelernt hatten.

Dort könnten sie das Spiel eventuell immerhin noch gemeinsam im Fernsehen anschauen – bei einem guten belgischen blonden Leffe.