Grüner wird's nicht, sagte der Gärtner und flog davon - Jockel Tschiersch - E-Book

Grüner wird's nicht, sagte der Gärtner und flog davon E-Book

Jockel Tschiersch

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Beschreibung

Schräg, charmant und herzerwärmend – die unglaubliche Reise eines Gärtners, der in sein Flugzeug stieg und verschwand.

Georg Kempter ist Gärtner in einer Allgäuer Kleinstadt: jeden Tag schuftet der maulfaule Schorsch bis zum Umfallen, aber das Geld ist knapp. Seine Tochter will Kunstmalerin werden, der Vater humpelt meckernd zwischen den Beeten herum, und mit seiner Frau Monika spricht Schorsch nur noch das Allernötigste. Das Einzige, was ihm Freude macht, ist seine alte Piper J3, mit der er jeden Sonntag durch die Gegend fliegt. Das könnte ewig so weitergehen, doch dann missfällt dem Chef des Golfplatzes, den Schorsch angelegt hat, der Grünton: Schorsch bleibt auf seiner Rechnung sitzen. In aller Herrgottsfrühe hockt er sich in sein Flugzeug und fliegt einfach davon. Es beginnt eine Reise, die ihn an ungekannte Orte führt – und mit jedem Start und jeder Landung öffnet der Gärtner ganz langsam sein Herz wieder für das, was man eine Ahnung von Glück nennt ...

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Text zum Buch

Georg Kempter ist Gärtner in einer Allgäuer Kleinstadt: Jeden Tag schuftet der maulfaule Schorsch bis zum Umfallen, aber das Geld ist knapp. Seine Tochter will Kunstmalerin werden, der Vater humpelt meckernd zwischen den Beeten herum, und mit seiner Frau Monika spricht Schorsch nur noch das Allernötigste. Das Einzige, was ihm Freude macht, ist seine alte Piper J3C, mit der er jeden Sonntag durch die Gegend fliegt. Das könnte ewig so weitergehen, doch dann missfällt dem Chef des Golfplatzes, den Schorsch angelegt hat, der Grünton: Schorsch bleibt auf seiner Rechnung sitzen. In aller Herrgottsfrühe hockt er sich in sein Flugzeug und fliegt einfach davon. Es beginnt eine Reise, die ihn an ungekannte Orte führt – und mit jedem Start und jeder Landung öffnet der Gärtner ganz langsam sein Herz wieder für das, was man eine Ahnung von Glück nennt …

Weitere Informationen zu Jockel Tschiersch sowie zu lieferbaren Titeln des Autors finden Sie am Ende des Buches.

Jockel Tschiersch

Grüner wird’s nicht, sagte der Gärtner und flog davon

Roman

für Matthias Fischer,

meinen Freund und Fluglehrer,der immer da ist, am Boden und in der Luft

1. Auflage

Originalausgabe

Copyright © der Originalausgabe 2015

byWilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: UnoWerbeagentur, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-11784-9www.goldmann-verlag.deBesuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz

1

Halt’s Maul!« – nahezu nie wäre der Allgäuer Gärtnersgattin Monika Kempter so eine Verbalinjurie über die Lippen gekommen, schon gar nicht bei ihrem Mann Schorsch, obwohl der ihr mit seinem Maul oft genug Kummer und Ärger machte, nicht durch Daherreden von Bockmist etwa, sondern einfach dadurch, dass er dieses sein besagtes Maul so gut wie nie aufbrachte. Auch den heutigen sonnigen Juli-Sonntag, ihren einzigen halbwegs freien Tag in der Woche, hatte Schorsch ihr wieder, als Folge seiner Maulfauligkeit, grundlegend versaut.

Die Mittagssonne brannte gnadenlos auf die Westallgäuer Kuhwiesen hernieder, Monika saß ganz hinten im 15er-Regionalbus, der vom Bahnhof Hergatz nachWangen fuhr, über Itzlings,Wigratzbad undWohmbrechts-Schule, und genau da musste Monika hin, wobei vonWollen nach Wohmbrechts keine Rede sein konnte.

Erst hatte es der DB-Regio-Zuckelzug geschafft, auf den fünfzehn Kilometern von Lindau nach Hergatz glatte dreizehn Minuten Verspätung herauszuzuckeln, und Monika hatte rennen müssen, um den soeben am Bahnhof Hergatz losfahrenden Bus nur durch einen kräftigen Schlag auf die hintere Tür nochmals zum Halten zu bringen. So schlau, vielleicht an einem Sonntagmittag auf den einzigen im Nirgendwo verorteten Bahnhof Hergatz ankommenden Zug zu warten, war der Busfahrer nicht gewesen, offenbar ein junger gepiercterVolltrottel mit sächsischem Akzent: Als ob es im Allgäu nicht genügend einheimische Trottel mit Nasenringen gäbe, die man am Sonntag ans Steuer eines leeren Regionalbusses setzen konnte.

Monika hatte dem Kerl, nachdem er sie als einzige Fahrgästin doch noch gnädig in seinen Bus hatte einsteigen lassen, beim Bezahlen laut und deutlich gesagt, sie wolle bis »Wohmbrechts-Schule«. Er hatte daraufhin, kaum verständlich, irgendwas dahergenuschelt, heute sei ja »goor keene Schuule ni«, und war glatt an der Haltestelle »Wohmbrechts-Schule« vorbeigerammelt, ohne Ansage, versteht sich, weil an einem Sonntagmittag in den Sommerferien natürlich niemand von Wohmbrechts-Schule aus mit dem 15er-Regionalbus nach Wangen wollte. Monika war aufgesprungen und hatte gerufen, er solle sofort halten, aber der Heini hatte nur grinsend auf das Schild über seinem Fahrersitz gezeigt »Bitte den Fahrer während der Fahrt nicht ansprechen« und war weitergefahren bis zur nächsten Haltestelle in Zwiesele, das aus drei einzelnen Bauernhöfen bestand.

Auf Monikas Frage, wie sie jetzt bitte von Zwiesele nach Wohmbrechts kommen solle, hatte der Kerl mit den Schultern gezuckt und gesagt, da könne er sich nicht drum kümmern, er habe schließlich einen Fahrplan einzuhalten. Da war der Monika dann doch herausgerutscht, dann solle er das mal tun und gefälligst sein blödes Maul halten.

All das war natürlich nur passiert, weil ausgerechnet an diesem Wochenende ihr kleiner Daihatsu in der Werkstatt war und ihr Mann Schorsch, wie jeden Sonntag, mit demToyota-Pick-up zum Flugplatz gefahren war.

Zu Fuß war Monika dann in der Sommerhitze die gut fünf Kilometer zurück nach Wohmbrechts gegangen.

Zeit genug, den Ärger hinunterzuschlucken, sich zu diesem Termin übertölpeln lassen zu haben, und sich so etwas wie eine Strategie zurechtzulegen: Sie würde sich erst einmal anhören, was dieser Dr. Starcke zu sagen hatte. Der zugereiste Rechtsanwalt war der Chef einer ominösen Golfplatz-Holding, die auf die Kuhwiesen bei Wohmbrechts noch einen überflüssigen Golfplatz draufgebatzt hatte, dessen landschaftsgärtnerische Gestaltung die Firma Kempter übernommen hatte. Ein halbes Jahr lang hatte ihr Schorsch an dem Golfplatz geschuftet, und nun gab es Unstimmigkeiten mit der Schlussrechnung. Monika kümmerte sich um die Buchhaltung beim Gärtnerei-Familienbetrieb, fast täglich hatte sie den Anwalt in den letzten Tagen wegen der offenen Rechnung angerufen, aber immer nur denAnrufbeantworter erwischt, mit der verlogenen Zusage, Herr Dr. Starcke würde sich umgehend melden. Starcke hatte sich nicht gemeldet, geschweige denn umgehend.

Aber heute, kurz nachdem Schorsch wie jeden Sonntag in Richtung Flugplatz aufgebrochen war, hatte der Herr Doktor plötzlich zurückgerufen und ganz frech gefragt, ob Monika nicht am Nachmittag auf einen Sprung zu ihm ins neue Clubhaus nach Wohmbrechts kommen wolle, um noch über ein paar Details zu sprechen, und zwar mit einer Selbstverständlichkeit, mit der man vielleicht einen alten Freund zum Kaffee einlud, aber bestimmt nicht die Frau eines Handwerkers, dem man noch einen Haufen Geld schuldete.

Starcke hatte Monika mit seiner Freundlichkeit am Telefon regelrecht überrumpelt, und er hatte sie gebeten, vielleicht etwas Zeit mitzubringen.

Monika lief der Schweiß herunter, das Gehen fiel ihr schwer, weil sie sich ein wenig schick gemacht und ausgerechnet die einzigen Schuhe mit Absatz angezogen hatte, die sie besaß. Aber nach dem Stöckelschuhmarsch von Zwiesele nach Wohmbrechts würde sie gerade in der richtigen Laune sein, diesem Herrn Dr. Starcke mal ordentlich die Meinung zu geigen und ihm dann eine letzte Frist zu setzen. Der sollte sich bloß nicht einbilden, dass er mit einer gestandenen Allgäuer Geschäftsfrau umspringen konnte wie mit einem Schulmädchen, das man ins Rektorenzimmer einbestellte.

An dem Clubhaus, bei dem noch der Außenputz fehlte, gab es auch keine Klingel, also klopfte Monika, ein wenig zu heftig, und schürfte sich dabei die Knöchel der rechten Hand ganz leicht auf.

Dr. Starcke öffnete sofort und empfing sie quasi mit ausgebreiteten Armen, mit einer solchen Freundlichkeit und Höflichkeit, dass Monika vor lauter Nettigkeit die mitgebrachte Wut für einen Moment abhandenkam. Starcke war ein paar Jahre jünger als Schorsch, ein bisschen größer und blasser und wirkte mindestens drei Handelsklassen vornehmer und geschmeidiger als Monikas schweigsamer Gärtnergatte.

Lachend begrüßte er Monika wie eine alte Freundin, bugsierte sie auf die Couch und fuhr Espresso und Torte auf, schließlich war heute Sonntag. Seine kleinen braunen Augen blitzten unter der schwarzen Hornbrille hervor, der Föhnfrisur war eine Strähne entsprungen, die ihm frech über die Stirn hing. Monika lächelte, aber sie war auf der Hut: Schwarzwälder Kirsch essend versuchte sie aus ihrem aalglatten Gastgeber schlau zu werden, der sich auch nicht einmal den Hauch eines Schuldgefühls ob des noch offenen fünfstelligen Betrags anmerken ließ.

Starcke zog sein Jackett aus, auf den Kragen seines Hemdes unter derAnzugweste war ein kleiner Golfschläger aufgestickt. Fast widerwillig stellte Monika fest, dass Starcke angenehm roch. Zumindest anders als Schorsch, der sich jeden Morgen nach dem Rasieren sein penetrantes Old Spice ins Gesicht klatschte, und zwar seit sie ihn kannte.

In diesem Moment hörte Monika das Geräusch eines Flugzeugs am Himmel, das sie nach all den Jahren doch relativ zweifelsfrei identifizieren konnte. Sie rückte ein wenig auf der Couch auf die Seite, um durch die luxuriöse Frontverglasung des Clubhauses einen kurzen Blick auf den blauen Himmel zu erhaschen. Natürlich hatte sie sich nicht getäuscht, dort oben flog die kleine Piper J3C, mit der ihr Schorsch immer sonntags mutterseelenallein durch die Lüfte knatterte, wenn es nicht gerade Schweine regnete, wie er immer sagte.

Aber heute war Heldenwetter, und Schorsch hatte, wie jeden Sonntag, seinen Flieger alleine aus der Halle geschoben, von Hand den Motor am Propeller angeworfen und die Piper nach ein paar Metern von der buckligen Startbahn in die Luft steigen lassen. Unter den Rädern sah er die kleine Luftaufsichtsbaracke, drinnen saß, wie immer, der Luggi Fimpel, seine heisere Fistelstimme quäkte aus Schorschs Funkgerät:

»Wo fliegen wir denn heut hin, Schorsch?«

»Wir schon gar nicht, und überhaupt’s geht dich das einen gerieb’nen Frischkäs an«, grummelte Schorsch, ohne sein Mikrofon auch nur anzurühren.

»Dann schreib ich halt Lokalflug, Schorsch.«

Schorsch drehte den Funk ab, der Fimpel war sowieso der schlimmste von den Flug-Klugscheißern, die beim Fliegenden Bauern herumhockten, dem kleinen Flugplatz mit seiner 300-Meter-Grasbahn auf einer buckligen Wiese am Alpenrand mitsamt Luftaufsichtsbaracke und Ausflugs-Biergarten. Schorsch flog nicht, um drüber zu reden oder damit anzugeben, sondern um zu fliegen.

Was die da unten über ihn dachten, war ihm egal, hier oben schon dreimal, in 1000 Fuß Höhe über den Allgäuer Sommerwiesen, die Sonne im Rücken und den Propeller vor den Augen. In der Piper hatte Schorsch Kempter vor den gesammelten Schlauschwätzern in Bodenhaltung wenigstens am Sonntag ein paar Stunden Ruhe, trotz der 86 Dezibel, mit denen sein 65-PS-Continental-Vierzylinder-Boxer mit 2000 Umdrehungen seine Arbeit tat, laut, aber loyal wie ein Uhrwerk. Rechts vor ihm lag die Wiese, wo er vor neunzehn Jahren als verliebter junger Mann heimlich gelandet war, als auf dem hinteren Sitz seine damalige Freundin Monika gesessen hatte, die seinem Lachen und seinen Sprüchen dann doch auf den Flugplatz und in die kleine Flugzeugkabine gefolgt war. Und wenn man ein bissel rechnen wollte, mussten Schorsch und Monika genau da unten ihre gemeinsame Tochter Miriam herbeigeliebt haben.

Kurz nach der Hochzeit war der unselige Mist dann passiert, der Schorsch die Sprache verschlagen hatte und ihn seine Worte sparen ließ wie andere Leute ihr Geld. Silbe für Silbe legte er auf sein inneres Sparbuch, als könnte er irgendwann mit den Zinsen und Zinseszinsen der verkniffenen Worte den geplatzten Kredit seiner Lebensfreude abbezahlen. Fleißig, stur und stumm wurstelte er sich durch sein Dasein zwischen Gärtnerei, Rosen und Familie, knüppelte jeden Sonntag alleine durch die Luft wie ein einsamer Held auf verlorenem Posten, bis die Tretmühle seines Lebens irgendwann von selber aufhören würde ihn zu treten. Doch da sollte er sich getäuscht haben.

Der Einzige, den der maulfaule Gärtner mit in die Kabine ließ, war der alte Emil Höscheler, der Fliegende Bauer, dem der Platz gehörte. Nach dem Krieg hatte der Emil sich einen Schuppen auf seine Kuhwiese gebaut und eine alte Piper reingestellt, weil er das Fliegen nicht mehr lassen konnte. Ihm hatte Schorsch vor gut zwanzig Jahren seine kleine Piper J3C, Baujahr 1946, mit der Kennung D-EPWG, sprich Delta-Echo-Papa-Whiskey-Golf, für ein paar tausend Mark abgekauft. Das ganze Ding war kaum mehr als ein mit Stoff bespanntes Stahlrohrgestell, das samt der 65-PS-Continental-Maschine gerade mal 350 Kilo wog und zwei hintereinanderliegende Sitze hatte, mit dünnem Schaumgummi gepolsterte Sperrholzplatten. Viel mehr brauchte man auch nicht zum Fliegen.

Seitdem der Fliegerarzt dem Emil die Piloten-Tauglichkeit abgesprochen hatte, stieg der Alte dreimal im Jahr zu Schorsch in die Papa-Whiskey-Golf und tobte sich aus. Offiziell war Schorsch dann der Pilot, brauchte aber dabei den Steuerknüppel nicht ein einziges Mal anzurühren, weil der Emil immer noch herumkurvte wie ein junger Gott – oder eher wie ein alter Teufel mit Rheuma.

Die Luft war trocken und klar, Schorsch hätte bis nach Italien hinunterschauen können, wenn die Allgäuer Alpen nicht davor gewesen wären. Er wollte hinein in die Berge, dann vielleicht rüber nach Österreich oder über den Bodensee in die Schweiz. Eine Fliegerkarte benutzte er so gut wie nie, er kannte von der Luft aus fast jeden Stall und Schuppen im Umkreis von fünfzig Kilometern, die Straßen und die Bahnlinien sowieso. Rechts vor ihm lag seine Gärtnerei, die gerade so viel abwarf, dass es zum Leben und für die Piper reichte. Dafür schuftete Schorsch sechs Tage in der Woche, seine Hände – die rechte am Steuerknüppel, die linke am Gashebel – waren schrundig wie 80er-Schmirgelpapier, sein Gesicht hatte die typische Rötung, die man kostenlos dazubekam, wenn man im Freien arbeitete, bei jedem Wetter.

Von hier oben sah man nicht, dass die beiden hinteren Gewächshäuser neue Scheiben brauchten, am Wohnhaus die Farbe abblätterte und die Ölheizung nur noch ein Ölvernichter war, der nebenbei auch etwas Wärme produzierte. Beim Radlader war die Hydraulik undicht, beim Toyota-Pick-up klemmte der zweite Gang: Schorsch nahm das Material eben so lange her, bis es ihm unter dem Hintern zusammenbrach. Dafür kam seine Frau Monika ständig mit irgendwelchem modischen Kram fürs Büro daher: ein neuer Computer, wieder eine Steuer-Software oder ein »Golden-Garden-Creativ«-Programm, das ihr der Pflanzengroßhändler Rall aufgeschwätzt hatte. Schorsch arbeitete lieber draußen mit dem Spaten als drinnen im Büro mit dem Kopf oder gar mit dem Mundwerk: Verhandlungen mit der Kundschaft überließ er der Monika. Am Abend, wenn er todmüde war vom Arbeiten, hockte er sich erst mal in seine kleine Werkstatt zu seinen Rosen. Die fragten wenigstens nicht blöd, wie der Tag gewesen sei.

Zwischen dem Haus und den Beeten stand das alte Gewächshaus, in das Miriam vor ein paar Wochen eingezogen war, nachdem sie ihr Abi gemacht hatte. Schlimmer noch als die Flucht aus dem Kinderzimmer fand Schorsch Miriams Hirngespinst, Malerin werden zu wollen. Auf die Kunstakademie nach München wollte das Fräulein Tochter ausgerechnet: nicht wenigstens Grafikerin werden, dass sie auch mal einen Prospekt oder Preislisten für die Gärtnerei machen konnte, nein, eine brotlose Künstlerin, die mit dem Pinsel Ölfarbe auf Leinwandfetzen schmierte, die sie vorher auf Holzlatten draufgenagelt hatte. Es war grad schade um das schöne Abitur.

SeinVater Franz humpelte da unten durch den Hof der Gärtnerei. Auf dem Papier gehörte die Gärtnerei sowieso noch dem Alten, und so führte der sich auch auf. Franz Kempter hatte schon immer alles besser gewusst als alle anderen, und mit jedem Tag, den er älter wurde, verstärkte sich diese Gewissheit, und je schlechter er hörte, umso lauter tat er kund, was alles falsch lief in »seinem« Betrieb. Obwohl Schorsch in kaum 500 Fuß Höhe über der Gärtnerei vorbeiflog, drehte der Alte den Kopf nicht ein einziges Mal nach oben, weigerte sich aber dennoch standhaft, sein Hörgerät zu tragen oder es gar einzuschalten.

Schorsch kurvte nach Westen und ritt glücklich durch die ruppige Allgäuer Luft, es gab keinen halben Quadratmeter auf dieser Welt, auf dem er an diesem Sonntag lieber gehockt hätte als auf dem Sperrholz-Sitzbrett seiner geliebten Papa-Whiskey-Golf. Durch die offene Seitentür tätschelte er die stoffbespannte Außenhaut der Piper liebevoll mit seiner Hand.

»Das gefällt dir, gell? Durch die Luft zu hupfen wie ein kleiner Geißbock …«

Hier oben konnte er das machen, unten beim Fliegenden Bauern schaute man ihn immer komisch an, wenn er mit dem Flugzeug redete, zumal er sonst den Mund nicht aufbrachte.

Vor der Motorhaube tauchten Maria-Thann, Zwiesele und Wohmbrechts auf. Und dahinter lag der Golfplatz von Herrn Dr. Starcke. Abgesehen davon, dass es schon an jeder Ecke Golfplätze gab, die man so nötig brauchte wie eine Gabel im Hintern, war der Neureichen-Spielplatz aus der Luft ein schöner Anblick: die Taxus- und Buchsbaumbüsche rund um den kleinen Teich mit seinen unregelmäßigen Ufern, alles inmitten ein paar übrig gebliebener Allgäuer Kuhwiesen.

Dr. Starcke hatte Schorsch mengenweise Fotos vom Shadow Creek aus dem Internet gezeigt: Das war angeblich der teuerste Golfplatz der Welt, drüben in LasVegas. Und hatte immer wieder betont, dass sein neuer Golfplatz hier bei Wohmbrechts im Westallgäu genau so aussehen sollte.

»Ausschaun wie Las Vegas, aber kosten sollt’s nichts, oder?«, hatte Schorsch noch gefragt.

Doktor Starcke hatte gelacht und gesagt, da werde man sich schon einig, Geld sei kein Problem. Er müsste nur Rücksprache halten mit seinen Investoren und dem Konsortium, irgendwelchen geldigen Leuten aus Niedersachsen. Unter dem Auftrag stand ein Stempel der First Allgäu Golf Holding GmbH & Co. KG, aber unterschrieben hatte der Herr Dr. Starcke, der vor einem Jahr in der Stadt eine Kanzlei für Wirtschaftsrecht und Unternehmensberatung aufgemacht hatte. Dabei war der Anwalt selbst beratungsresistent: Dreimal hatte Schorsch ihm gesagt, dass man in Wohmbrechts nicht einfach so einen Shadow Creek hinpflanzen konnte, weil im Allgäu ein ganz anderes Klima herrschte als wie in LasVegas.

»Schon allein von der Niederschlagsmenge her, da kommt halt im Allgäu mindestens dreimal so viel runter im Jahresmittel wie da drüben in Las Vegas. Und den kalifornischen Rasen, den tät’s Ihnen in drei Tagen wegspülen wie einen nassen Sand von der Schaufel!«

Schorsch hatte Herrn Dr. Starcke quasi sein halbes Jahreskontingent an Worten ins Gesicht geschleudert, und der hatte nur stumm gelächelt.

Unter der Nase der Piper lag der protzige Neubau des Clubhauses, aus den Fensterleibungen quoll noch der Bauschaum. Vielleicht war dem Konsortium wirklich das Geld ausgegangen. Schorsch gab Gas und stieg wieder höher. Er wollte noch einmal hinein in die Berge, ein bissele an den Felswänden entlangturnen, sich von den Aufwinden über die Gipfelkreuze tragen lassen, im Gleitflug in die Täler hineinsinken, einem Bachlauf folgen und sich austoben, bis der Sprit alle war. Das brauchte er, um wieder eine Woche zwischen Gärtnerei, Familiengeschwätz und zahlungsunwilligen Golfern zu ertragen. Heute, beim Abendessen, würde er der Monika sagen, es sei fällig, dem Golfplatz-Chef endgültig die letzte Mahnung mit Androhung gerichtlicher Schritte zu schicken. Seine Geduld mit diesem Anwalt da unten war am Ende, und das Geld wurde langsam knapp.

Schorsch hatte trotz der nur 100 Fuß Höhe über dem halb fertigen Clubhaus freilich nicht sehen können, dass Herr Dr. Starcke sonntäglichen Damenbesuch hatte. Perfekt deplatziert saß Monika auf der sündteuren Ledercouch im provisorischen Büro des Golfplatz-Chefs, strich einmal kurz den Rock ihres blauen Kostüms gerade, das sie aus einer Laune heraus vor ein paarWochen in der neuen Shoppingmall in Kempten gekauft hatte, in der Hoffnung, ihren Schorsch damit wieder zum Ausgehen verführen zu können. Normalerweise bestellten sie beide ihre Kleidung beim Otto-Versand, wo sie auch seit Jahren Treuerabatt bekamen. Getragen hatte Monika das heimlich ershoppte Kostüm noch nie, denn Schorsch hockte abends immer bei seinen Rosen. Da schlief er seit Neuestem auch, weil er schnarchte wie ein Sägewerk im Akkordbetrieb. Dass Schorsch ihr untreu war, schloss Monika aus, dazu war er viel zu maulfaul. Außerdem schuftete er von morgens bis abends, und das war ihm offenbar genug an körperlicher Befriedigung.

Das Motorengeräusch verzog sich in Richtung der Berge, Dr. Starcke erging sich hemmungslos in amüsanter Plauderei über das Leben im Allgemeinen und die Golfspielerei im Besonderen. Einmal musste Monika sogar kurz lachen, als er sie fragte, ob sie den Unterschied zwischen einem Golfspieler und einem kleinen Jungen kannte.

»Es gibt keinen, sehen Sie mich an.«

Dr. Starcke hatte an diesem Sonntagnachmittag wirklich etwas von einem kleinen Jungen, und Monika war natürlich ein dankbares Opfer für charmante Konversation nach all den Jahren an der Seite ihres maulfaulen Mannes. Und es war die sonore Stimme desAnwalts, die es ihr schwer machte, sich auf den wahren Zweck ihres Besuchs zu konzentrieren. Obwohl Starcke reines Hochdeutsch sprach, schwang unter seinen Worten stets eine Melodie mit, und seine Formulierungen waren druckreif: ein perfekter Märchenonkel, der da vor ihr saß.

Ganz nebenbei erwähnte er, wie gut ihr das blaue Kostüm stand. Monika brauchte etwa zweieinhalb Schrecksekunden, um sich dabei zu ertappen, dass sie sich geschmeichelt fühlte.

Das reichte jetzt. Sie setzte sich aufrecht hin, strich den Rock noch einmal grade und sah dem Anwalt einfach so lange mitten in die Augen, bis der tatsächlich irgendwann den Mund hielt. Dann fragte sie ihn unverblümt:

»Herr Dr. Starcke, wollen Sie eigentlich nicht bezahlen oder können Sie nicht?«

Starcke zuckte kurz mit den Augenlidern, nahm die Brille ab, rieb sich rasch die Augen und lächelte wieder, mit Brille.

»Das gefällt mir so an den Menschen hier, sie kommen ohne Umschweife auf den Punkt.«

Und Monika kam auf den Punkt, sagte ihm, wie ihr sein Herumlavieren mit der Schlussrechnung auf die Nerven ging, redete sich mit rotem Kopf geradezu in Rage über Starckes widerliches Geschäftsgebaren, nicht zu bezahlen und es nicht einmal wert zu finden zurückzurufen.

Dr. Starcke hing ihr an den Lippen, aufmerksam, ihrem Blick standhaltend, bis Monika sich all ihre Wut von der Seele geredet hatte. Auch das war ein ungewohntes Gefühl für Monika: Wenn ihr Schorsch zu Hause den Mund nicht aufbrachte, hieß das noch lange nicht, dass er ihr zuhörte.

Dr. Starcke nickte mehrmals stumm, als sei Monika seine einzige heimliche Verbündete im Allgäu, während er die Prosecco-Flasche aufmachte, die plötzlich auf dem Couchtischchen stand.

»Ich möchte Ihnen das kurz erklären, Frau Kempter. Ihr Mann hat handwerklich hervorragende Arbeit geleistet, und es ist eine wahre Freude, ihm bei der Arbeit zuzusehen.«

»Dann bezahlen Sie einfach den Rest!«

Seine tadellosen Zähne entblößend hielt er ihr ein Prosecco-Glas hin.

»Lassen Sie mich es so formulieren: Was Ihr Mann dort draußen angelegt hat, ist ein wunderschöner Golfplatz, ohne Zweifel. Aber dabei hat er, und jetzt bin ich mal so frech und vereinfache ein wenig, de facto nicht das geliefert, was wir uns vorgestellt hatten.«

Monika verstand gar nichts.

»Uns hilft nur Offenheit weiter, Frau Kempter. Oder darf ich Monika zu Ihnen sagen?«

Monika fand nicht, dass er das dürfen sollte, bevor die Schlussrechnung bezahlt war. Sie schüttelte nur kurz den Kopf, was Starcke mit einem verständigen Nicken quittierte.

»Gut. Es steht von unserer Seite noch die Frage im Raum, ob Ihr Mann tatsächlich zur Gänze die ästhetischen Anforderungen erfüllt hat, die Grundlage für unsere Ausschreibung waren. Wir dachten eigentlich, wir hätten das genügend deutlich kommuniziert.«

»Was meinen Sie denn mit ästhetischen Anforderungen, Herr Dr. Starcke?«

ENDE DER LESEPROBE