Grusel-Thriller 08: Phantasmagoria Park - Daniel Weber - E-Book

Grusel-Thriller 08: Phantasmagoria Park E-Book

Daniel Weber

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Beschreibung

Der Phantasmagoria Park. Ein Freizeitpark irgendwo im Nirgendwo. Es gibt Gerüchte, vage Geschichten. Nur wenigen ist es vergönnt, den Park zu finden. Oder sind sie verflucht? Woher kennen sie diesen Ort und wieso zieht er sie an? Wie finden sie ihn? Jene, die Phantasmagoria Park gesucht und gefunden haben, würden wohl Rede und Antwort stehen, könnten sie sich noch an ihre Erlebnisse dort erinnern. Und natürlich nur unter der Voraussetzung, dass sie ihren Besuch im Park überlebt haben. Die Printausgabe des Buches umfasst 168 Seiten. Die Exklusive Sammler-Ausgabe als Taschenbuch ist nur auf der Verlagsseite des Blitz-Verlages erhältlich!!!

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Daniel WeberPHANTASMAGORIA PARK

In dieser Reihe bisher erschienen:

3401 Jörg Kleudgen & Michael Knoke Batcave

3402 Ina Elbracht Der Todesengel

3403 Jörg Kleudgen & E. L. Brecht Der Fluch des blinden Königs

3404 Thomas Tippner Heimkehr

3405 Melanie Vogltanz Die letzte Erscheinung

3406 Jan Gardemann Die Seltsamen

3407 Jörg Kleudgen & E. L. Brecht Höllische Klassenfahrt

3408 Daniel Weber Phantasmagoria Park

3409 Jan Gardemann Die Rache der Seltsamen

Daniel Weber

Phantasmagoria Park

Ein Grusel-Thriller

Daniel Weber, geboren 1993 in Wien, studiert Austrian Studies an der Universität Wien und ist diplomierter Schauspieler. Als leiden­schaftlicher Autor bewegt er sich hauptsächlich im Genre der ­Phantastik und ist außerdem der Lyrik sehr zugetan. Seit 2016 ­veröffentlicht er regelmäßig Texte in Zeitschriften, Anthologien und auf seiner Website www.weberdaniel.at. Weber lebt und schreibt in Wien und Wolkersdorf (Niederösterreich).

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Eric HantschTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerVignette: iStock.com/Hein NouwensSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-961-4

Für die

Erinnerungen

aus dem Brunnenschacht.

Denn:

„Die Schriftsteller erfinden keine Geschichten ...“

Klaus Mann

Einführung des Verfassers

Ich habe mein Leben der Suche nach dem ­Phantasmagoria Park verschrieben. Vielleicht kennen Sie diesen Namen; wahrscheinlicher ist, dass Sie ihn nicht kennen. Es könnte sein, dass Sie ihn einmal gekannt haben. Ist Ihnen ein Freund oder Bekannter oder Verwandter einmal einfach so abhandengekommen, verschwunden und dann für tot erklärt worden? Oder gab es vielleicht einmal in Ihrem näheren Umfeld einen Fall von unvermittelt auftretendem Wahnsinn? Wies irgendjemand, der Ihnen nahesteht, von heute auf morgen psychische Störungen auf?

Wenn die Antwort Ja sein sollte, dann kennen Sie den Phantasmagoria Park, haben ihn lediglich vergessen. So wie die meisten. Nur die wenigsten erinnern sich, können sich erinnern, dass sie dort waren, aber nur vage, verschwommen, die Bilder sind, so sagte man mir, eher wie die Eindrücke aus einem verblassenden Traum. Niemand kann sagen, wo sich dieser Freizeitpark befindet, wenn, dann kann nur eine ungefähre Richtung angegeben werden. Etwa in der Nähe dieser oder jener Stadt oder in Richtung der Grenze zu diesem oder jenem Bundesland oder sogar einem anderen Staat. Diese Angaben überschneiden sich manchmal, öfter allerdings widersprechen sie sich.

Wie kann das sein?

Wie ist es möglich, dass manche, die sich auf die Suche nach dem Phantasmagoria Park gemacht haben, nie an ihr Ziel gelangt sind, während andere behaupten, zumindest zu glauben, dass sie ihn gefunden hätten?

Wenn Sie ein vernünftiger Mensch sind – und davon gehe ich aus –, werden Sie diese Vorrede als pures Hirngespinst und als vielleicht gelungenen oder auch nicht gelungenen Auftakt zu einer phantastischen Erzählung wahrnehmen. Das können Sie gerne tun, es ist wahrscheinlich sogar besser. Ich für mein Teil muss die Ergebnisse meiner Suche niederschreiben, weil ich nicht darüber reden kann.

Mit niemandem.

Bitte. Schenken Sie mir Ihre Aufmerksamkeit.

Wunschbrunnen

Michael würde nie wieder Freude spüren können.

Das wusste er. Seit Caroline ihn verlassen hatte, nach viel zu kurzer Zeit – ihre Verbindung hatte sich gar nicht erproben können –, war er in einem tiefen Loch, fühlte sich wie am Boden eines dunklen Brunnenschachts gefangen. Dieses Bild bemühte er oft, hatte es schon früher bemüht, auch vor Caroline, und sie hatte ihm versichert, sie säße bei ihm in der Dunkelheit des Schachts. Doch jetzt war sie weg. Und er war allein.

Er traf sich oft mit Freunden, um der Einsamkeit seiner kleinen Wohnung zu entgehen. An diesem Tag jedoch hatten sie ihn enttäuscht. Beide hatten sie gemeint, müde zu sein und am nächsten Tag wieder früh aufstehen zu müssen, also hatten sie sich schon um zehn Uhr abends auf den Weg nach Hause gemacht.

Er aber wollte noch nicht nach Hause gehen.

Kurzerhand entschloss er sich, die Nacht noch nicht enden, sondern vielmehr beginnen zu lassen, und fuhr mit der U-Bahn zu einem Nachtklub. Dort bestellte er sich ein Bier nach dem anderen und saß ansonsten in einer Ecke und lauschte den bassdurchtränkten Klängen dieser Blitzlichthölle.

Bald, es musste so gegen ein Uhr Früh sein, hielt es ihn nicht mehr an seinem Platz. Er dachte an Caroline, ihr dunkles Haar, den Geruch davon, die tiefen Augen, mit dem sie ihm Blicke voller Liebe geschenkt hatte. Von diesen Blicken hatte sie später nichts mehr wissen wollen. Er erinnerte sich an die sanfte Berührung ihrer zarten Finger, genauso wie an den harschen Griff ihrer Hände im Bett.

Er wollte zu ihr.

Sturzbetrunken, mit Tränen in den Augen, wankte er aus dem Klub, rempelte ein paar Gäste an und wurde zurückgerempelt. Ein junger Mann schlug ihm sogar ins Gesicht, aber ihm war es egal. Er torkelte weiter, dröhnende Schmerzen hämmerten gegen die Innenwand seines Schädels, er schluchzte, aber nicht wegen des Bluts, das aus seiner Nase lief.

Er schlug den Weg durch die nachtdunklen Straßen der Stadt ein, um zu einer U-Bahn zu gelangen, die ihn zu Caroline bringen würde. Er hatte vergessen, wo sie wohnte, wusste die Adresse nicht mehr. Aber er musste zu ihr. Er würde zu ihr gelangen, komme, was wolle.

Und er machte sich auf die Suche.

Wie er dann auf einmal dort zu stehen gekommen war, wo er nun stand, wusste er nicht. Er war nicht mehr in Wien, das war ihm auf seltsame Weise klar, obwohl man beim schnellen Hinsehen seine Umgebung mit dem Prater hätte verwechseln können: Er war umringt von Buden, bei denen man Zielschießen, Dosenwerfen, Naschereien erstehen konnte. Da waren auch größere Bauten, die Unterhaltung versprachen auf ihren bunt verblassenden Schildern: Abenteuerhäuser, ein Spiegelkabinett, dort eine Geisterbahn, weiter hinten eine Hochschaubahn1.

Der silberne Mond tauchte alles in ein albtraumhaftes Funkeln, die meisten Buden hatten geschlossen, nur wenige Passanten waren unterwegs. Michael stützte sich am kalten Metall einer Laterne ab, weil er die Eindrücke nicht begreifen konnte.

Die Menschen hier sahen sonderbar aus.

Ein hagerer Mann trug Kleidung, die er ohne Umschweife den ausgehenden 1920er Jahren zugeordnet hätte. Eine Gruppe junger Menschen sah aus, als wären sie den Achtzigern entsprungen, bunte Haare und Irokesen­schnitt und sehr außergewöhnliche Kleidung. Da waren auch Damen mit bauschigen Röcken, die keinen Zentimeter Haut zeigten, dann wieder Frauen, die gegen sie wie billige Flittchen wirkten in ihren engen Röcken und Hotpants.

Michael lehnte sich an den Laternenpfahl und ließ sich auf den Boden sinken.

Das Kopfsteinpflaster war kühl und ein wenig feucht. Er spürte die Nässe durch seinen Hosenboden. Niemand beachtete ihn. Nur die Budenbesitzer, die noch hie und da auf Kunden warteten, schenkten ihm manchmal einen schweifenden Blick aus hohlen Augen. Diese Frauen und Männer hinter den Tresen sahen abgezehrt und blass aus – der Job war vermutlich kein Zuckerschlecken.

Wo bin ich hier?, fragte er sich benommen.

Nur schleppend klärten sich seine Gedanken. Langsam kehrte eine Idee von Nüchternheit in seinen Geist und er versuchte, die Umgebung genau zu studieren. Jetzt fiel ihm die Verfallenheit dieses Orts auf, den er für einen Vergnügungspark halten musste. Alle Schilder waren verblichen, die Buden standen teilweise schief, alles wirkte grau – düsterer, als es im silbrigen Mondlicht hätte erscheinen sollen.

Er roch widerstreitende Dinge: Naschereien und Verwesung, so kam es ihm vor. Ein leiser Lufthauch wehte über ihn hinweg, und als er sich mit der Hand auf dem Boden abstützen wollte, ertasteten seine Finger feuchtes Papier.

Zögerlich hob er den Zettel auf und las im spärlichen Licht der Laterne, die über ihm flackerte – flackerte? Ja, es war eine Gaslampe, sonderbar –, Worte in buntgrauen Buchstaben: Phantasmagoria Park stand ganz groß auf der Kopfzeile des Flugblatts. Die untere Hälfte hing in nassen Fetzen, hatte aber vermutlich einmal eine comichafte Karte dieses Orts gezeigt.

„Phantasmagoria Park“, flüsterte Michael. Er bildete sich ein, diesen Namen schon einmal gehört zu haben. Aber wo nur?

Eine krächzende Stimme riss ihn jählings aus den Gedanken: „Junger Mann. Wollen Sie hier nur sitzen oder endlich herkommen? Das ist kein Rastplatz, sondern der Weg zum Ticketstand. Wenn Sie sich also bitte entscheiden würden, ob Sie sich ein Ticket kaufen oder nicht, wäre das schön. Denn so wie jetzt behindern Sie nur den Weg zum Wunschbrunnen.“

Wie benebelt richtete sich Michael auf. Etwas wackelig auf den Beinen wandte er sich nach der Stimme.

Ja, er stand auf einem von Kordeln begrenzten Weg zu einer kleinen Hütte, die wie eine Ticketbude aussah. Hinter einem kleinen Fenster blickten ihm trübe Augen aus einem faltigen Gesicht entgegen. Graue Augen, die einer Hexe gehören mochten. Sabber glitzerte im Zwielicht auf den Lippen der Alten.

Neben der Bude war ein krudes Schild aufgestellt, auf dem in schiefen Buchstaben Wunschbrunnen geschrieben stand. Knapp dahinter, umgrenzt von einem verfallenden Bretterzaun, ragte ein unscheinbarer steinerner Brunnen aus dem Boden, der schwarz in der Dämmerung aussah.

Michael schaute sich um. Niemand stand in näherer Umgebung, er hielt also auch keine anderen Gäste auf, zu der Bude zu kommen.

Wieder richtete die Alte ihre krächzende Stimme an ihn: „Junger Mann. Sie sehen aus, als hätten Sie einen Herzenswunsch.“

Er biss sich auf die Lippen und schmeckte sofort Blut. Seine Nase blutete immer noch. Als er mit dem Handrücken darüberwischte, fuhr ihm ein stechender Schmerz in den Schädel. Der Kerl vorhin hatte sie also gebrochen – wie lange war das her? Es musste schon vor ein paar Stunden gewesen sein, denn so nüchtern wurde man nicht in kurzer Zeit.

Wie hypnotisiert setzte er einen Fuß vor den anderen und wankte auf die Bude zu. Die Alte starrte ihm entgegen, emotionslos. Ein Speichelfaden troff von ihren Lippen.

Als er nur noch einen Schritt von ihrem Fenster entfernt stand, sagte sie: „Also, haben Sie einen Herzenswunsch?“

Er schluckte. Sein Herz krampfte sich zusammen, sein Magen rebellierte und in seiner Kehle formte sich ein Knoten, der darauf hindeutete, dass gleich wieder die Tränen kommen würden. Krampfhaft presste er zwischen Schluchzern die Worte heraus: „Ja ... Car... Caro... Caroline ...“

Ein Keckern kam aus dem Maul der Alten. „Ein gebrochenes Herz.“ Sie wischte sich mit dem Ärmel den Sabber von den Lippen. Ihre Kleidung sah speckig und abgetragen aus. Sie hätte eigentlich stinken müssen, war aber seltsam geruchlos. „Die Sehnsucht nach der Liebe. Wie unoriginell. Aber ich bin nicht hier, um zu urteilen. Wie viel wäre dir dieser Wunsch wert? Was würdest du dafür geben, deine Caroline zu bekommen?“

„Ich ...“ Michael zögerte. Ja. Was würde er dafür geben? Er hatte oft darüber nachgedacht, in den stillen Stunden seiner dämmrigen Wohnung, wo ihn nichts tröstete und die schönen Erinnerungen an die kurze gemeinsame Zeit so quälend waren. Er weinte sich regelmäßig in den Schlaf.

Er hatte oft darüber nachgedacht, darüber, wie sinnlos alles war, seit Caroline ihn verlassen, ja regelrecht in den Dreck geworfen und auf ihn gespuckt hatte. Wie sie ihn zu einer bloßen Affäre degradiert hatte, einen einfachen Kerl in einer langen Reihe von Liebhabern, deren Herzen sie alle missbraucht hatte.

Und trotzdem ... Trotzdem würde er ... „Ich würde alles geben“, brachte er hervor, ohne zu würgen.

Ein Lächeln durchzog die faltige Fratze der Alten, gefolgt von einem Nicken. „Dann tritt zum Brunnen und zahle den Preis.“

Der Brunnen war nur wenige Schritte entfernt, und trotzdem kam es Michael vor, als wandere er stundenlang dorthin. Wie in einem Traum, in dem sich das Ziel immer weiter entfernte. Doch hier war das nicht der Fall, seine Schritte waren nur so unendlich langsam und schleppend.

Er konnte gar nicht richtig begreifen, was er hier überhaupt tat. Die Bedeutung all dessen entfloh ihm. Seine Sinne waren dumpf, der modrige Vergnügungspark um ihn herum verblasste in einem Tunnelblick. Er spürte die Trance und den Drang, in den Brunnen zu blicken.

Denn dort wartete sein Herzenswunsch.

Dort wartete das Glück auf ihn.

Caroline.

Vor dem letzten Schritt stolperte er. Es ging so schnell und doch so langsam, dass er überlegte, worüber er denn gestolpert war, bevor die Kante des Brunnens gegen sein Gesicht raste. Gerade noch rechtzeitig riss er die Arme nach vorn und konnte den Sturz auf den Brunnen ein wenig abdämpfen. Trotzdem krachte er mit der Stirn auf den Stein und der stechende Schmerz fuhr ihm durch alle Knochen.

Er sackte zusammen, klammerte sich jedoch mit den Händen an den Brunnenrand.

„Ich muss ...“, hauchte er. „Ich muss ... zu ihr ... Sie sehen ... Caroline ...“

Mit letzter Kraft, der Kraft der Verzweiflung, die das Unmögliche schafft, zog er sich am Stein empor. Er lehnte sich gegen die Brunnenwand und wollte erst wieder die Augen öffnen, wenn er sicher war, in den Schacht zu spähen und nur in den Schacht.

Er hörte ein Plätschern.

Das Wispern einer vertrauten Stimme.

Einen liebevollen, wartenden, lockenden Laut.

Michael schlug die Augen auf.

Für eine Sekunde sah er nur ihr Gesicht. Das Gesicht, das ihn in seinen Träumen verfolgte. Die dunklen, selbstbewussten, tiefen Augen, deren liebenden Blick; das fast schwarze Haar; die breite Kieferpartie und den lächelnden Mund, dessen Lippen so herrlich schmeckten wie nichts anderes auf der Welt. Caroline. Es war wirklich Caroline.

Michael wollte ihren Namen schreien, da verlor er das Gleichgewicht. Oder hatte ihn zuerst die zarte Hand mit festem Griff am Nacken gepackt, wie damals im Bett, leidenschaftlich und wollüstig? Hatte sie ihn gezogen oder erst ergriffen, als er schon fiel?

Einerlei. Ihr Gesicht rauschte auf seines zu.

Ihre Lippen öffneten sich.

Seine trafen ihre.

In einem Kuss, der Michael alles bedeutete, ließ er sich fallen. Und ziehen. Der Griff der Hand verstärkte sich, er schmerzte, aber Michael war es egal. Er war mit ihr vereint.

Und sie zerrte ihn nach unten.

In den Brunnenschacht.

Die dünne Frau

Anna löste sich von der Gruppe ihrer Freunde und ging auf den Eingang des Spiegelkabinetts zu, dessen Schild sie durch die Menge an Gästen des Phantasmagoria Parks sehen konnte. Es war eine unscheinbare Bude zwischen den vielen Attraktionen, aber der Untertitel übte eine Art Sog auf sie aus: Erkennen Sie sich selbst.

Ein Spiegelkabinett zeigte doch üblicherweise eine verzerrte Wahrnehmung. Dieser Freizeitpark war anders. Die Grotesken, die hier an jeder Ecke lauerten, die matten, grauen Farben der Buden, die blechernen Musikstücke, die gespielt wurden ... Hier war alles anders.

Und Ablenkung war ihr willkommen, denn ihre Freunde hatten sich zuvor Popcorn, Hotdogs und diverse Naschereien gekauft, die sie nun verzehrten.

Anna knurrte der Magen, nein, er schmerzte ihr, krampfte sich zusammen. Das letzte Mal, dass sie etwas zu sich genommen hatte, war in der vorletzten Nacht gewesen. Eine Heißhungerattacke, im Zuge derer sie unzählige Tafeln Schokolade in sich hineingestopft hatte. Sie hatte natürlich alles wieder erbrochen, geweint und ... Sie zog die Ärmel ihres Pullovers bis zu den Fingerspitzen und spürte die Schnittwunden an den Unterarmen.

Nicht daran denken.

Vor dem Spiegelkabinett gab es keine Schlange. In der Verkaufskammer saß ein hohlwangiger blasser Kerl mit blicklosen Augen. Er begrüßte sie nicht, sondern nannte nur den spottbilligen Eintrittspreis.

Anna kramte zwei Münzen aus der Hosentasche und legte sie vor den Durchgriff in der Trennwand.

Der Hohlwangige gebot ihr mit einer knappen Geste, weiterzugehen.

Durch die schwarze Türöffnung gelangte sie in eine weitläufige Halle, die nur vage beleuchtet wurde. Nirgends waren Lichtquellen auszumachen, sie waren offenbar gut versteckt, sodass eine traumhafte Atmosphäre herrschte. Im ganzen Raum und an den Wänden verteilt standen Spiegel in allen nur denkbaren und undenkbaren Formen und Größen. Ihre Oberflächen waren schmutzig, manche hatten Sprünge im Glas, viele waren angelaufen.

Niemand sonst war hier.

Anna krampfte der Magen. Nicht nur aus Hunger, sondern auch aus Unsicherheit. Vielleicht Angst. Aber die unterschiedlichen Arten von Schmerz waren für sie immer schwerer zu unterscheiden. Mit vorgezogenen Schultern schlich sie zum erstbesten Spiegel und betrachtete sich darin.

Es war ein normaler Spiegel.

Er zeigte ihre pummelige Gestalt, an welcher der graue Pullover wie ein leerer Sack hing.

Ihre Brüste zeichneten sich unter dem Stoff ab. Die Schultern waren zu breit für eine Frau. Ihre Wangen waren aufgebläht. An den Hüften war zu viel Speck. Heute früh hatte sie sich auf die Waage gestellt: vierzig Kilo. Zu viel. Viel zu viel.

Sie wandte das Gesicht ab. Erkennen Sie sich selbst.

Welcher dieser Spiegel mochte sie wohl so zeigen, wie sie wirklich war? Wie sie sein sollte? Damit sie einen Blick auf ihre Traumfigur erhaschen konnte. Welcher dieser Spiegel konnte ihr ganz eigener Nerhegeb2 sein?

Anna achtete darauf, dass sie nicht in die gedrungenen Spiegel sah. Von denen wusste sie, dass sie einen fetter und unförmiger machten, als man ohnehin schon war. Und das war nicht Sinn dieser Übung; ein Sinn, der ihr erst aufgegangen war, als sie in diesen ersten Spiegel geblickt hatte.

Sie musste zu den lang gezogenen, hohen Spiegeln, die nach innen gewölbt waren. Und schmal. Schmal. Ja, schmal war vermutlich am besten.

Nach fünf Minuten Suche fand sie eine Reihe von Spiegeln, die vielversprechend aussahen.

Mit einem Kribbeln im Herzen stellte sie sich vor einen, hielt den Blick aber noch auf den Boden gerichtet. Sie war nervös. Was würde sie sehen, wenn sie das Gesicht hob?

Nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.

Sie blickte auf.

Und sah einen Fettberg vor sich, dessen Gesicht nur vage an ihr eigenes erinnerte. Doch es waren ohne Zweifel ihre Augen, die ihr entgegenblickten. Und das waren auch ihre Hasenscharten, die aus dem grinsenden Mund hervorblitzten. Ein Grinsen, das sich weiter und weiter verzerrte.

Erkennen Sie sich selbst.

Anna unterdrückte einen Aufschrei und stolperte zurück.

---ENDE DER LESEPROBE---