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Franziska Steinhauer

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  • Herausgeber: GMEINER
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Es gibt Tage, da weiß man schon vor dem Aufstehen, dass es besser wäre, im Bett zu bleiben. Der Kahnfährmann Mirko Fleischer sieht seine Befürchtungen bestätigt, als er die Plane von seinem Kahn zieht. Zwischen den Resten eines Picknicks liegt ein Mann. Doch der schläft nicht etwa seinen Rausch aus. Er ist tot. Schnell machen sich Vermutungen, Vorurteile und Verdächtigungen breit - schon bald gibt es das nächste Opfer. Peter Nachtigall und seine neue Kollegin haben alle Hände voll zu tun, um den Fall um Spreewald-Gurken, Rauschgift und Waffenhandel aufzuklären.

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Seitenzahl: 361

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Franziska Steinhauer

Gurkendeal

Peter Nachtigalls 13. Fall

Zum Buch

Auf immer und ewig Mirko hat es schon beim Aufstehen gewusst: Dies ist nicht sein Tag. Und das bewahrheitet sich auf dramatische Weise, als er unter der Plane in seinem Kahn zwischen Picknickgeschirr und Speiseresten eine männliche Leiche entdeckt. Sein erster Verdacht: Zu viel Schnaps. Doch damit liegt er falsch. Der herbeigerufene Arzt hält eine Vergiftung für möglich. Und tatsächlich: Das Gift befand sich in den Spreewaldgurken. Welch ein Frevel! Der Tote ist Tourist, handelte beruflich mit Waffen und verbrachte zum ersten Mal seinen Urlaub in der Region. Ein Fall für Peter Nachtigall, der sich außerdem mit der neuen Kollegin im Team zusammenraufen muss. Schnell findet der Mörder ein zweites Opfer, den lokalen Spreewaldgurken-Hersteller – wieder nutzt er die Gurken als Tatwaffe. Ein Feldzug gegen den Exportartikel aus der Region? Hat die Tat mit der Tätigkeit des Opfers zu tun? Die Friedensaktivisten geraten in den Fokus der Ermittlungen. Doch der Täter hat noch nicht genug …

Franziska Steinhauer lebt seit mehr als 25 Jahren in Cottbus. Bei ihrem Pädagogikstudium legte sie den Schwerpunkt auf Psychologie sowie Philosophie. Ihr breites Wissen im Bereich der Kriminaltechnik erwarb sie im Rahmen eines Master-Studiums in Forensic Sciences and Engineering. Diese Kenntnisse ermöglichen es der Autorin den Lesern tiefe Einblicke in pathologisches Denken und Agieren zu gewähren. Mit besonderem Geschick werden mörderisches Handeln, Lokalkolorit und Kritik an aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen verknüpft. Franziska Steinhauers Romane zeichnen sich vor allem durch gut recherchierte Details und eine besonders lebendige Darstellung der jeweiligen Figuren aus. Ihre Begeisterung am Schreiben gibt sie als Dozentin an der BTU Cottbus-Senftenberg weiter.

Impressum

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

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Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2020

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung / E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © madredus / stock.adobe.com

Druck: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

ISBN 978-3-8392-6268-9

Haftungsausschluss

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Grau war eine gute Farbe.

Je dunkler, desto besser.

Sicher.

Manchmal nicht sicher genug.

Sie tastete mit geschlossenen Augen nach dem Leben neben ihr. Atmete auf, als sie die krabbelnden Finger des Bruders unter dem Ärmel ihrer Jacke spürte, fühlte, wie sie auf ihrer nackten Haut kalt in Richtung Ellbogen huschten.

»Bleib geduckt!«, zischte sie mahnend.

»Meine Beine tun so weh«, quengelte der Kleine.

»Das kannst du schon noch aushalten!«, behauptete die Schwester unbeeindruckt. »Du willst doch leben?«

Der junge Mann, dessen Namen sie nicht kannte, hatte sie gewarnt.

Ernst. Eindringlich.

»Wir können nicht mehr helfen. Die Lieferung ist überfällig. Bleibt lieber hier.« Unter dem mattgrauen Metallhelm sah sein jungenhaftes Gesicht sehr besorgt aus.

»Das geht nicht. Wir müssen in die Schule. Wir gehen sowieso viel zu unregelmäßig hin! Wenn wir zu viel verpassen, lernen wir nicht genug. Und unsere Cousinen warten auf uns«, hatte sie geantwortet. Selbstbewusst.

Mit Stolz wies sie auf ihre Bauchtasche: »Er hat uns genug Geld gegeben. Extra zwei Ziegen verkauft, damit es wirklich reicht – für uns beide.«

Er, das war ihr Vater. Und natürlich war es ihm nicht leichtgefallen, das Geld für die Kinder aufzubringen. Die Ziegen würden als Proviant für die harte Zeit schmerzlich fehlen, das war ihr sehr bewusst. Sie freute sich darauf, in die Schule zurückkehren zu dürfen, zu einem eigenen Schlafplatz, geregelten Abläufen, einer warmen Mahlzeit am Tag und Sicherheit. Was sie tun würde, wenn das Geld aufgebraucht war, daran wollte sie gar nicht denken.

»Es ist zu gefährlich, Mayla. Ich kann dir keinen meiner Männer mitgeben.«

Sie hatte genickt.

Die kleine Hand ihres Bruders fest umklammert.

War an das scheibenlose Fenster getreten.

»Grau. Das ist doch gut!«

»Wenn du das sagst.« Der junge Mann in Uniform hatte ihnen zum Abschied einen Bruderkuss gegeben, einmal links, einmal rechts, einmal links – war dann verschwunden. Nicht ohne noch einmal mahnend »Lass es bleiben!« zu sagen.

»Was geschieht denn jetzt?«, fragte der zarte Junge an ihrer Hand unruhig.

»Wir machen uns auf den Weg!«, entschied Mayla. »Es wird alles gut gehen. In ein paar Stunden sind wir an der Schule. Dann geben wir der Rektorin, Frau Meyers, das Geld und bekommen unsere Schlafplätze zugewiesen, ein Heft und Stift. Und ab morgen haben wir Unterricht. Du wirst sehen, es gefällt dir bestimmt. Und vielleicht bekommen wir sogar Schlafplätze nebeneinander, dann kannst du dich abends an mich kuscheln.« Natürlich war ihr sehr bewusst, dass sie für den Schulweg diesmal mehr als die sonst üblichen sechs Stunden Fußmarsch brauchen würde. Der Kleine konnte weder ihr normales Tempo mithalten, noch war er es gewohnt, so weit zu gehen. Sie würde ihn streckenweise huckepack nehmen müssen.

Er schwieg bedrückt.

»Ich weiß, das Dorf fehlt dir jetzt schon. Aber wenn du ein paar Tage in der Schule bist, hast du neue Freunde. Du kannst spielen und toben, brauchst keine Angst mehr zu haben. Es ist toll dort, glaub mir!«, hatte sie noch beteuert und ihn mehr aus dem Dorf gezogen denn geführt.

Und nun hockten sie hier, in diesem widerlich stinkenden Loch, spähten von Zeit zu Zeit über den Rand. Hörten das Pfeifen der Kugeln, wenn sie über ihre Köpfe zischten.

»Sie sehen uns nicht.« Mayla erneuerte diese Behauptung wie ein Mantra.

Der Kleine schmiegte sich fest an ihren Oberarm.

»Es ist zu grau. Wenn der Himmel so voller Wolken ist, können ihre Brummer uns nicht sehen. Sie glauben nur, dass wir hier in diesem Loch sind. Der Kerl hat uns direkt gesehen – aber nun fehlt ihm sein brummender Partner, um uns wirklich zu finden. Bleib geduckt und nichts passiert.«

»Es tut so weh«, flüsterte er.

Mayla reckte vorsichtig den Hals, versuchte im Dickicht etwas zu erkennen.

Schon flogen erneut Geschosse in ihre Richtung.

Zu spät, viel zu spät bemerkte sie, dass der Kleine aufgestanden war.

Jeder Treffer fand einen schrecklichen, wuchtigen Nachhall in seinem Körper.

Kein Schrei.

Das hatte sie ihm immer wieder erklärt.

Bloß nie ein Geräusch machen.

Und selbst jetzt …

Seine letzte Sekunde in völliger Stille.

Noch Stunden später hielt sie seinen erkaltenden mageren Körper im Arm, fest an ihre Brust gedrückt.

Weinte, flehte, betete, fluchte – wollte ihr Leben gegen seines tauschen – vergebens.

Der Kleine schwieg für immer.

1

Später würde er, Mirko, sagen, er habe es schon vor dem Aufstehen gewusst: Es wäre besser im Bett zu bleiben. Ein Scheißtag!

Das Aufstehen fiel ihm ungewohnt schwer, leichter Kopfschmerz drückte hinter der Stirn, und als er im Badezimmer vor dem Spiegel stand, war ihm schwindlig.

Als dann auch noch beim Zähneputzen plötzlich Blut die Zahnpasta verfärbte, war eigentlich schon alles klar.

Aber zu diesem Zeitpunkt wusste er die Warnzeichen nicht in ihrem ganzen Schrecken zu deuten.

Also brach er nach dem Frühstück auf, ignorierte die Verbrennung am Finger, die er sich zugezogen hatte, als das heiße Wasser aus dem Topf mit dem weichgekochten Ei beim Abgießen einen unorthodoxen Weg genommen hatte.

»Morgen! Na, schlecht geschlafen?«, begrüßte ihn Richie, ein Kollege im Verwaltungsgebäude.

»Nö. Ganz normal.«

»Siehst aber ziemlich schlecht aus, Alter!«, beharrte der andere.

»Gibt sich«, verkündete Mirko fast schon fröhlich und zog die Jacke aus.

»Die kannst du gleich anbehalten. Du hast doch die ›Start in den Tag‹-Tour. Der Kahn ist noch nicht vorbereitet.«

»Okay. Ich nehme vorsichtshalber auch Decken mit, oder? Ist ja im Schatten noch verflixt kühl. Manch einer friert dann und beschwert sich.« Mirko grimassierte wild. Er hatte all das schon tausendmal erlebt. »Die könnten sich natürlich selbst ’ne Jacke mitbringen, aber es ist ihnen lieber, wenn ich dann schuld an ihrer Gänsehaut bin.«

»Ja, wahrscheinlich ist es besser, du nimmst welche mit. Ich bringe dir Kaffee und für die, die morgens schon was vertragen können, Schnapsfläschchen vorbei. Mein Kahn ist schon eingerichtet. Habe ich gestern Abend noch gemacht.« Richie grinste unfroh. Dachte an den Streit, den er wegen des späten Heimkommens mit seiner Frau gehabt hatte.

Mirko grunzte nur. Machte sich auf den kurzen Weg zum Anleger am Fließ.

Nebelfetzen versuchten, sich in der Frühe des Morgens vor seinem derben Schuhwerk in Sicherheit zu bringen, waberten zur Seite, fluteten erneut zusammen.

Eigentlich für zarte Gemüter sicher wildromantisch, überlegte Mirko. Ihm eher lästig. Schließlich war er zum Arbeiten hier, nicht zum Vergnügen.

»Nanu? Wer hat denn den Kahn vertäut? Schlamperei! Mann, der hätte sich losreißen können.«

Er bückte sich leise stöhnend, zog den Kahn näher zu sich heran. »Und die Plane ist auch nicht ordentlich rübergezogen! Wenn es geregnet hätte, wäre jetzt auch noch Ausschöpfen angesagt. Mann!«

Er löste das Tau.

Befreite es vom Rand des Kahns.

Packte die Plane.

Zerrte sie prustend ans Ufer.

Ächzte, als er sich umdrehte.

»Was ist denn das? Verdammte Scheiße!« Ganz offensichtlich hatte hier ein privates Picknick stattgefunden! Schnell erfasste Mirko: zwei Gläser, zwei leere Champagnerflaschen, ein großer Picknickkorb aus Weidengeflecht, Plastikteller mit Brot, Käse, Aufstrich, sogar Besteck.

»Alles da für ein Schwarzpicknick. Ein lauschiges Treffen für zwei.« Dazwischen ein bewegungsloser Körper. »Na, da liegt der Arsch ja. Volltrunken, würde ich meinen. Das wird teuer, Freundchen!«

Was nun? Er brauchte den Kahn. Die Tour war vorab bezahlt worden. Konnte weder abgesagt noch verschoben werden, ohne gewaltige Verärgerung beim Kunden auszulösen. Undenkbar.

Entschlossen fischte er das Handy aus der Gesäßtasche, fotografierte, was er gefunden hatte, und teilte das Bild mit seinem Chef. Na, der wäre sicher nicht begeistert.

Danach begann er beherzt damit, den Müll aus dem Kahn zu räumen.

Nicht ohne den regungslosen Mann kräftig zu beschimpfen. »Du Vollpfosten! Du Blödmann! Erst sich volllaufen lassen und dann zufrieden einpennen. Den Rest anderen überlassen. Ich darf jetzt hinter dir herräumen, während du deinen Rausch auspennst. Die Rechnung, mein Lieber, die wird horrend sein!«

Die Plastikteller landeten am Uferrand. Im Vorbeigehen trat er nach dem Schläfer.

Der blieb cool.

Im wahrsten Sinne des Wortes.

Zuckte nicht. Grunzte nicht.

»Wenn du auch noch irgendwo hingekotzt hast, kriegst du einen Spezialtarif, das ist mal sicher!«, fauchte Mirko, guckte unter jede Bank, kontrollierte jeden Tisch, inspizierte auch die Außenwand kritisch. »Na, das wenigstens nicht. Glück für dich!«

Gerade ließ er die Gläser und Flaschen den Tellern folgen, wollte sich dem Volltrunkenen widmen, da sah er Richie anhetzen.

»Halt! Halt! Hör sofort damit auf! Der Chef hat die Polizei verständigt.«

»Hä? Wegen eines Typen, der sich auf dem Kahn zusäuft? Ist doch Quatsch mit Gurkensud, wenn du wissen willst, wie ich darüber denke.«

»Will ich nicht wissen. Aber die Plane war drüber, oder habe ich das falsch verstanden?«

»Ne, ne, ist schon richtig. Unordentlich rübergezogen und festgezurrt.«

»Na siehste! Das kann er wohl schlecht allein bewerkstelligt haben. Haste mal geguckt, ob der Kerl verletzt ist?«

»Nö! Für so was habe ich keine Zeit. Ich brauch den Kahn. Mann!«

Richie war inzwischen mit dem reglosen Mann beschäftigt. »Lass mal sehen«, murmelte er dabei. »Kennst du den?«

»Nie gesehen, du?«

»Ne. Der ist sicher ein Tourist.« Richie betastete den Hals des Unbekannten, legte Zeige- und Mittelfinger an die Carotiden, schüttelte ratlos den Kopf.

Sah ruckartig auf.

Auch Mirko war sofort klar, dass irgendetwas gar nicht stimmte.

»Ey, Mirko, der ist tot«, flüsterte der Kollege, als wolle er den Mann nicht stören.

»Quatsch. Der simuliert bloß. Ich hab ihm mit ’ner gewaltigen Rechnung gedroht.«

»Nee. Der ist tot. Schon ein bisschen kalt. Und wird bestimmt bald steif.«

»Echt jetzt? Na, wahrscheinlich war der mit ’ner heißen Braut zugange und dann ihrem Temperament nicht gewachsen. Hat sich übernommen. Irgendwie könnte man fast neidisch werden – ist ja ein schöner Tod.« Mirko trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.

»Er hat seine Kleidung vollständig am Leib. Wenn du recht hast, war das Schäferstündchen lange vor dem ersehnten Höhepunkt zu Ende.« Richie sah plötzlich sehr beunruhigt aus.

»Dann muss die Dame aber sehr scharf gewesen sein – oder sein Herz sehr schwach. Schade für ihn.«

»Vielleicht hatte er einen Schlaganfall. Habe ich in meiner Familie so erlebt. Mein Onkel. Steht von der Weihnachtskaffeetafel auf, torkelt ein bisschen, stürzt. Tot.«

»Ist mir eigentlich auch egal. Er muss weg hier!« Mirkos Stimmung war nicht mehr zu retten. Er war stinksauer. Was feiert der auch auf meinem Kahn ’ne Party. Ich muss los. Er muss weg.« Mirko machte Anstalten, den Toten vom Kahn zu zerren.

Am Ende bliebe der Ärger der Kunden an ihm hängen, wenn er nicht rechtzeitig am Steg war.

»Nee! Hör auf damit. Polizei kommt. Sicher ist sicher. Stell dir nur vor, der wurde ermordet – du hast schon genug Spuren vernichtet, würde ich mal sagen.«

»Und die Leute, die auf ihre Tour warten?«

»Nimm den Kahn am Ende. Der ist schon vorbereitet. Ist meiner für die Mittagsfahrt. Ich bleibe hier und warte auf die Polizei.«

Mirko knurrte etwas, das ausgesprochen übellaunig klang und von dem er nur hoffen konnte, der freundliche Kollege habe es wegen seines Genuschels nicht verstehen können.

Dann trabte er los.

Wünschte sich inständig, unter der nächsten Plane nicht noch eine unangenehme Überraschung zu finden.

2

Lars Friedrich vom Polizeiposten Burg war mäßig begeistert.

Starrte auf den Mann im Kahn und das Chaos am Ufer.

»Wer hat denn den Kahn ausgeräumt?«, wollte er wissen und machte aus seiner Verärgerung keinen Hehl. »Weiß doch heute jeder Idiot, dass man bei so was die Polizei ruft und nichts anfasst.«

»Ja, schon klar. Der Kollege, der die Reste der Party hier vorgefunden hat, nahm eben an, der Typ sei betrunken und schlafe seinen Rausch aus. Der dachte nicht eine Sekunde, dass der tot sein könnte.«

»Aber helfen wollte er dem mutmaßlich Betrunkenen auch nicht, oder? Dann wäre ihm der unnatürliche Zustand sicher gleich aufgefallen.«

Gereizt warf der Beamte einen Blick auf das Foto, das immerhin eine Momentaufnahme des Fundorts lieferte.

»Das hat er gleich nach seiner Ankunft hier gemacht?«

»Nein. Er zog die Plane runter, fand die Bescherung, machte das Bild und schickte es dem Chef. Sicher, um zu erklären, warum er für das Einrichten des Kahns mehr Zeit als gewöhnlich benötigen würde.« Richie zuckte mit den Schultern. »Hätte er geahnt, dass der Mann nicht mehr lebt …«

»Wo ist Ihr Kollege denn jetzt? Die Polizei schätzt es nicht, wenn Zeugen den Fundort einer Leiche ungebeten verlassen. Kennen Sie den Toten?«

Richie sah unglücklich auf den Leichnam hinunter. »Nein. Den haben wir noch nie gesehen. Sicher ein Tourist oder ein Tagesausflügler.«

Friedrich lud das Foto per Bluetooth auf sein eigenes Gerät. Trat zur Seite und telefonierte aufgeregt.

»So, der Arzt vom Dienst wird so schnell wie möglich herkommen. Es darf unter keinen Umständen noch mehr verändert werden. Die Kriminalpolizei ist informiert, es kommen Beamte, nehmen alles auf, sichern den Fundort. Ich bleibe natürlich ebenfalls hier.«

»Wegen eines Todes durch Schlaganfall? So ein Auftrieb?«, staunte Richie. »Bei meinem Onkel lief das ganz anders. Viel ruhiger.«

»Mag sein. Wir haben keinen Anhalt für einen Schlaganfall, nicht wahr? Es könnte sich also auch um einen nicht natürlichen Tod handeln. Wir klären das ganz sauber ab. Erst danach kann weiter entschieden werden. Mord bleibt bei so einer unübersichtlichen Lage immer eine Option. Schließlich wissen wir mit Sicherheit, dass mindestens eine weitere Person in das Geschehen hier verstrickt ist.« Lars Friedrich straffte seinen Körper im Bewusstsein der eigenen Wichtigkeit, dehnte den Brustkorb.

»Mord? Echt jetzt?« Richie war beeindruckt. »Hier bei uns? An einem Fremden?«

»Wäre nicht der erste Mord in Burg«, wusste Friedrich und erkundigte sich: »Stand in der Nähe ein Ihnen unbekanntes Fahrzeug?«

Der Arzt füllte die Todesbescheinigung aus.

Friedrich warf nur einen flüchtigen Blick darauf, nickte verstehend. »War ja klar. Die Kripo kommt gerade, wie ich sehe.«

»Könnte sich wirklich um einen Fall für die Rechtsmedizin handeln. Alles unklar. Ich tippe auf Gift.«

Der Cottbuser Hauptkommissar Peter Nachtigall trat hinter den Arzt, sah in das Gesicht des Toten.

Gepflegte Haut, perfekt rasiert. Vielleicht sogar leicht geschminkt. Sein Blick wanderte über den Körper.

Anzug von einem extrem teuren Label, die Schuhe ganz sicher italienisch, die Krawatte französisch, die Uhr eine exquisite Schweizer Marke.

»Es war mit Sicherheit eine zweite Person hier. Picknick für zwei – und jemand hatte die Plane über den Kahn gezogen und gesichert, bestimmt, um die Leiche zu verbergen«, sprudelte Friedrich die Informationen hervor.

»Brieftasche haben wir nicht?«, fragte Nachtigall leise.

»Nein, die Taschen sind leer.« Der Kollege des Erkennungsdienstes zuckte mit den Schultern. »Wäre es Raubmord, hätte der Täter doch die Uhr sicher mitgenommen.«

»Schlecht verkäuflich«, mischte sich die harte Stimme der neuen Kollegin ein. »Seriennummer.«

Nachtigall zuckte zusammen.

Maja Klapproth, der »Ersatz« für seinen Freund Michael Wiener, bereitete ihm Kopfschmerzen, war schwierig im Umgang, ihr Ton gewöhnungsbedürftig, kurz: Sie war nicht der Typ Mensch, den er sich als Partner wünschte.

»Möglich«, gab er einsilbig zurück, ohne sich zu ihr umzudrehen.

»Beim Kauf werden Name und Nummer des neuen Besitzers registriert«, erklärte die kalte Stimme weiter.

»Schon. Aber sobald man die Uhr privat weiterverkauft, sie über Ecken erneut den Besitzer wechselt, wird die Spur unscharf.«

Klapproth schwieg.

Warf einen Blick auf die im Gras liegenden Reste des Picknicks.

Enttäuschend.

Auf jeden Fall nicht das, was sie sich unter einem romantischen und geheimen Treffen vorstellen würde. Keine Kerzen? Keine Musik? Sie versuchte zwischen den anderen Dingen einen mobilen Lautsprecher zu entdecken. Aber da war keiner. Nicht einmal ein vergessenes Verbindungskabel, das beweisen könnte, es habe den Versuch gegeben, eine Playlist von einem Handy abzuspielen.

Sie seufzte leise.

»Teures Outfit, keinen Stil«, fasste die Neue ihren Eindruck zusammen.

Sah nachdenklich auf den Hinterkopf ihres Kollegen.

Er konnte sie nicht ausstehen.

Dabei brauchte er einen verlässlichen Partner nach der langen Rekonvaleszenz. Von der Reha gleich wieder an den Schreibtisch, nun, das musste jeder für sich selbst entscheiden, aber ihr schien, dieser Peter Nachtigall war einfach unflexibel. Das würde sich vielleicht noch geben, wenn er sich an sie gewöhnt hatte.

»Saure Gurken für ein Picknick mit romantischen oder rein sexuellen Absichten? Grässliche Vorstellung. Ist das bei euch im Spreewald als Verführerli bekannt? Er flüstert ihr ins Ohr: ›Warte nur, wenn ich die Gurke auspacke …‹ – und schon schmilzt sie dahin? Gurke statt Sterneküche? Immerhin gab es Champagner – und die Fläschchen Spreewaldbitter haben die beiden einfach über Bord geworfen.«

»Du magst keine sauren Gurken?«, fragte Nachtigall.

»Nicht die Spreewaldgurke. Könnte schon sein, dass er daran gestorben ist. Ganz ohne Zusatz von Gift.«

Sie unterdrückte ein Seufzen. Schließlich wollte sie hierher. Hatte extra um ihre Versetzung nach Cottbus gebeten, als man dort einen neuen Ermittler suchte. Offizielle Begründung ihrerseits : Sie wolle dem Stress in Köln endgültig den Rücken kehren, Abstand gewinnen nach dem letzten dramatischen Fall.

Inoffiziell waren das nicht die wirklichen und nicht die einzigen Gründe. Aber das musste hier niemand erfahren.

»Die Gurken aus der Region sind inzwischen fast weltweit ein Hit. Selbst im arabischen Raum werden sie gern gegessen, und neulich erzählte mir jemand, einige afrikanische Staaten seien ebenfalls interessiert. Bei großer Hitze, eine Gurke aus dem Kühlschrank, in Essig – ist möglicherweise so anders als das Übliche und deshalb toll«, verteidigte Nachtigall das Produkt und kam sich plötzlich albern dabei vor. »Fakt ist, dass mindestens zwei Menschen diesen Kahn für eine Verabredung genutzt haben. Ob es ein Stelldichein oder ein berufliches Date war, können wir noch nicht entscheiden. Wäre möglich, dass hier ein Vertragsabschluss gefeiert wurde. Gab es in den letzten Tagen eine Konferenz oder einen kleinen Kongress?«, fragte er den überraschten Lars Friedrich.

»Kläre ich«, gab der verdattert zurück und begann sofort damit, die Webseiten der Hotels zu durchforsten. »In der Bleiche nicht. Mal sehen …«

Peddersen trat neben Nachtigall.

»Wir sollten den Kahn beschlagnahmen. Alles wird mitgenommen und im Labor genauer untersucht. Was die Spuren auf dem Rasen angeht – wir geben unser Bestes, aber hier sind so viele Leute durchgelaufen, dass wir Schwierigkeiten haben werden, die Schuheindrücke zuzuordnen.«

»Vielleicht lassen sich ja Spuren finden, die von einer Frau stammen könnten. Tiefe kleine Löcher zum Beispiel, von hochhackigen Pumps. Könnte ja so eine Art von Verabredung gewesen sein. Idyllisch, lauschig, romantisch«, der Hauptkommissar schmunzelte, als er an die Temperatur der letzten Nacht dachte und ergänzte, »und kühl. Habt ihr schon die Umgebung abgesucht? Vielleicht parkt sein Auto unweit von hier.«

»Ja, wir sind dabei. Den Kahn werden wir natürlich auch gründlich nach Fasern und anderen Hinterlassenschaften absuchen.«

Richie war entsetzt. »Hey! Ihr könnt doch nicht den Kahn beschlagnahmen! Womöglich einpacken und mitnehmen!«, kreischte er. »Was wird denn der Chef dazu sagen? Wir brauchen den doch!«

»Sie bekommen eine Quittung. Wäre sicher eine gute Idee, sich bei einem Kollegen für ein paar Tage einen Kahn auszuleihen. Für alle Fälle. Aber wir beeilen uns, versprochen!« Peddersen nickte dem Mann aufmunternd zu und drückte ihm einen kleinen Zettel in die Hand. Ließ ihn grußlos stehen.

Dr. März, Staatsanwalt, Ende 40, erwartete seine Ermittler bereits neben deren Wagen.

»Verdacht auf Tötung durch Gift? Opfer noch unbekannt? Der Tote ist bereits auf dem Weg in die Rechtsmedizin?«, sprudelten die Fragen aus ihm heraus. Die Spannung im Team teilte sich ihm deutlich mit, und er wollte den beiden gar nicht erst die Gelegenheit geben, sich schon wieder wechselseitig bei ihm zu beschweren.

»Ja. Ja. Ja. In genau dieser Reihenfolge«, gab Klapproth in patzigem Ton zurück.

»Unklare Situation, mindestens eine weitere Person muss hier gewesen sein. Der Arzt konnte bei einem oberflächlichen Blick keine äußeren Verletzungen erkennen, er wollte natürlich auch keine relevanten Spuren vernichten, war deshalb vorsichtig. Den Rest klärt in diesem Fall wohl die Obduktion?« Nachtigall zog eine Augenbraue hoch. »Dr. Pankratz wird eingebunden, oder?«

»Na ja, ich denke schon«, antwortete Dr. März nach kurzem Zögern. »Fälle aus Cottbus interessieren ihn immer besonders. War das Opfer jung?«

»Sah aus, als habe er die 40 noch nicht geknackt«, antwortete Klapproth und lachte leise. »Teure Kleidung, teure Uhr, keine Brieftasche. Trug Krawatte. Hermes würde ich annehmen. Ich finde, Pappgeschirr und Auswahl der Speisen – mal abgesehen vom Champagner – passten nicht zum edlen Outfit.«

»Was hast du erwartet?«, fragte Nachtigall gereizt. »Kaviar und Hummer auf einem Spreewaldkahn?«

Schnell schaltete sich Dr. März dazwischen: »Tatsache ist, dass wir über das Opfer noch keine Aussage treffen können. Frau Dreier sucht in den Abgängigkeitsanzeigen. Aber dafür könnte es schlicht noch zu früh sein, womöglich wird er noch gar nicht vermisst.«

»Irgendjemand wird sich schon Sorgen um ihn machen. Solche Typen kenne ich gut. Die haben gern Bewunderer, es fällt auf, wenn sie nicht mehr dabei sind.« Damit drehte Klapproth sich um, ließ die beiden Männer stehen und wandte sich an einen der Beamten des Erkennungsdienstes.

3

Lange Zeit später, als die letzten Stunden des Lichts längst verkümmert waren, legte sie ihn zur Seite.

Stand auf.

Sah über den Rand der Kuhle.

Nichts.

Was nun?

Die Hälfte des Weges war schon geschafft. Sollte sie wirklich umkehren? Was erwartete sie im Dorf?

Natürlich würde man ihr Vorwürfe machen. Wider besseres Wissen gäbe man ihr die Schuld am Tod des Kleinen. Egoistisch habe sie gehandelt, sein Leben gefährdet und verloren. Kein Unterricht der Welt rechtfertige es, den Tod eines Kindes in Kauf zu nehmen. Und ihr Vater würde weinen. Das wäre unerträglich. Es wäre wie damals, als Mama gestorben war.

In der Schule wurde sie erwartet.

Dort gab es einen Schlafplatz für sie, eine Mahlzeit am Tag. Im Dorf ihres Vaters waren alle Vorräte fast aufgebraucht. Selbst die Kleinsten bekamen nicht mehr genug zu essen.

Als sie über ihre Bauchtasche strich, knisterte das Geld darin leise. Wie ein Versprechen auf Zukunft, die sie in ihrem Dorf nicht haben würde. Nur wenn sie Lesen, Schreiben und Rechnen konnte, hatte sie eine Chance.

Das Geld reichte pro Kind für drei Monate …

Sie schluchzte angewidert auf, verachtete sich selbst, als der Gedanke, es würde nun für sechs Monate die Schule bezahlen, plötzlich hinter ihrer Stirn zu toben begann. Hasste sich für das kleine Gefühl der Freude, das sich in ihr ausbreitete.

Umständlich zog sie seinen erstarrenden Körper über den Rücken hoch, bis sein Kopf gegen ihren stieß. Umfasste seine Handgelenke fest und lief los. Ohne das Gefühl abschütteln zu können, schon im Visier des nächsten Rebellen zu sein, dessen Kugel auch ihr bisschen Hoffnung auf Leben verlöschen lassen würde.

Schnell kam sie nun nicht mehr voran.

Seine Beine behinderten ihre beim Laufen.

Sie weinte vor Trauer, Hass, Wut, Erschöpfung und haderte mit sich selbst, ihrer Entscheidung, ihrem Handeln.

Als der Proviant aufgebraucht war, suchte sie nach Beeren, die sie im Vorbeigehen ernten konnte, nahm einen kleinen Umweg in Kauf, um an einem Wasserlauf rasten und trinken zu können.

Die Angst trieb sie auf die Beine, zwang sie weiterzugehen.

Kurz vor Einbruch der Finsternis konnte sie die Gebäude der Schule in der Ferne erkennen.

Wusste, dass sie zu spät kam.

Zum Schutz der Kinder und Lehrer wurden die schweren Tore bei Einbruch der Nacht geschlossen und für niemanden geöffnet.

Dennoch trottete sie langsam weiter.

Das Gewicht des Toten auf dem Rücken. Die Last meiner Schuld, dachte sie, hätte ich doch bloß auf den Soldaten gehört!

Stunden später, vor dem Tor angekommen, lehnte sie sich erschöpft an die Bretterwand, legte den kalten Bruder über den Schoß, bettete seinen Kopf in ihre Ellbeuge, als sei er nur eingeschlafen.

Weinte.

Bis die Sonne aufging.

4

Silke Dreier erwartete die Kollegen im Büro. »Guten Morgen! Ich habe schon alle gecheckt, aber dieser Mann war bisher noch nicht dabei. Drei Männer im entsprechenden Alter, der eine Barkeeper, der andere Schrotthändler und der dritte Finanzberater. Der letzte hatte allerdings eine deutlich sichtbare Narbe von der linken Stirnhälfte über das Auge bis zur halben Wange. War ein Messerangriff. Enttäuschter Kunde. Der Schlitzer sitzt noch ein.«

»Aha! Dann hat der ja das beste Alibi, das einem einfallen kann.«

Klapproth nickte der jungen Kollegin freundlich zu.

»Nur, dass er es nicht braucht. Sinnlose Gedankenspiele! Der Kunde hätte ihn ja wohl kaum verwechselt, selbst wenn sie sich erst im Dunkeln getroffen haben sollten.« Nachtigall war verärgert. »Das bringt uns nicht weiter. Die anderen beiden kommen auch nicht in Betracht?«

Klapproth sah aus, als wolle sie nun ebenfalls zu einer verbalen Attacke ausholen, atmete dann aber nur tief durch.

»Nein, die anderen auch nicht«, räumte Silke seufzend ein. »Die sehen ihm so wenig ähnlich, dass man von einer Maßnahme der Plastischen Chirurgie ausgehen müsste, plus Korrektur der knöchernen Struktur.« Sie drehte den Monitor so, dass die beiden Kollegen die Fotos der Vermissten gut sehen konnten.

»Okay. Ist mit ein bisschen Make-up nicht zu schaffen«, lachte Klapproth rau. »Der Rechtsmediziner würde Narben eines solchen Eingriffs ohnehin finden.«

Nachtigall unterdrückte ein gequältes Aufstöhnen.

»Zurück zur Ermittlung«, forderte er, »der Tatort wurde ja leider vor dem Eintreffen der Polizei gründlich beräumt, so bleibt uns also nur dieses etwas unscharfe Handyfoto als Beleg für den Zustand, in dem der Kahn vorgefunden wurde. Bisher wissen wir noch nicht, ob das Bild gleich nach dem Zurückziehen der Plane entstand oder später. Das ist noch zu klären.« Er griff nach dem Abzug, nahm eine Lupe und inspizierte ihn millimetergenau.

»Hm«, meinte er dann, »könnte sein, dass dieses Sterben kein angenehmes war, ganz unabhängig davon, ob es sich tatsächlich um einen Mord handelt. Um den Körper herum wurden einige Dinge zu Boden gerissen.«

Das Foto wanderte von Hand zu Hand, die Lupe folgte.

»Im Sterben? Dann hätte es einen heftigen Todeskampf gegeben? Aber über Bord ist niemand gegangen. Die Kleidung war laut erstem Tatortbericht nicht nass, nur morgenfeucht.« Silke war skeptisch. »Wäre also auch denkbar, dass die Teller und das Brot durch das Runterzerren der Plane über den Kahn verteilt wurden.«

Klapproth ergänzte: »Vielleicht ist es auch nur typisch männliches Chaos nach einer Party, die nicht den gewünschten Verlauf genommen hat.«

»Ob er wohl aus Burg stammt? Lars Friedrich hatte wohl bisher in keinem Hotel einen Treffer.« Silke checkte ihren Posteingang. »Ne. Noch nichts von ihm.«

»Wäre doch auch möglich, dass er speziell zu diesem heimlichen Treffen auf dem Kahn anreiste und direkt danach zurückfahren wollte. Dresden, Leipzig, Berlin. Alles erreichbar.«

Nachtigall betrachtete das Foto erneut eingehend. »Alles für zwei, stimmt. Aber eigentlich deutet nichts darauf hin, dass es sich um eine romantische Verabredung gehandelt hat. Keine Blumen, keine Schokoherzchen, ihr wisst schon, all das, was dekoriert wird, um die gewünschte Stimmung zu erzeugen. Ging es also um Geschäfte? Heimliche Absprachen nachts auf einem Kahn. Ohne Zeugen, ohne andere Beteiligte.«

Silke war nicht überzeugt. »Auf den Fließen tragen die Stimmen weit. Gerade die von Männern, die oft ohnehin lauter sprechen. Es herrscht, also so empfinde ich das wenigstens, eine unheimliche Stille über dem Wasser.« Sie schauderte.

Klapproth hakte nach: »Unangenehme oder sonderbare Erlebnisse gehabt?«

»Ach, na ja. Eigentlich nicht, es ist mehr eine unbehagliche Vorstellung. Mir wäre es unheimlich, mit einem flüchtigen Bekannten oder gar Fremden dort entlangzugleiten. Im Dunkel der Nacht. Klar, überall am Ufer wohnen Menschen, aber im Zweifel müssten die Helfer erst mal ins Wasser. Kostet Überwindung und ist nicht jedermanns Ding.«

»Es gab vor ein paar Jahren eine Gruselnacht zu Halloween, glaube ich. Da haben Gespenster am Ufer gehockt und die Kähne abgepasst, um die Gäste zu erschrecken. Hat prima funktioniert, besonders, als sie den abgeschlagenen Kopf in Richtung der Gäste …« Nachtigall seufzte. »War nichts für zarte Gemüter. Und das, obwohl alle wussten, dass alles nur Show war.«

Er drehte sich um: »Silke, frag doch bitte mal nach, wann unser Zeuge es denn bis zu uns ins Büro geschafft haben wird! Seine Tour wird ja wohl nicht bis zum Nachmittagskaffee dauern.«

5

Eine Stunde später saß Mirko Fleischer in einem kleinen Verhörzimmer. Nervös nestelte er an seiner Kleidung, legte sein Brillenetui mal auf die linke, mal auf die rechte Hälfte des Tisches und wartete.

Seufzte tief.

Wartete.

Nahm das Etui in die Hand, öffnete es, guckte hinein, klappte es zu, legte es zur anderen Seite.

Seufzte tief.

Streckte erneut die Hand nach der Box aus.

Beinahe erleichtert hörte er, dass jemand die Klinke herunterdrückte.

Dann betraten zwei Beamte den Raum: Noch während der ohne Uniform am Tisch Platz nahm, folgte eine Frau.

Der Uniformierte nickte den beiden Ermittlern kurz zu, signalisierte, er würde warten, um den Zeugen wieder hinaus zu begleiten. Platzierte sich auf dem Gang neben der Tür auf einem Stuhl, der sehr unbequem aussah, zog einen Krimi aus der Jacke und hoffte, die Befragung würde eine nennenswerte Weile dauern.

»Guten Tag. Mein Name ist Nachtigall, dies ist meine Kollegin Klapproth.«

»Mirko Fleischer.« Der Zeuge widerstand erst im letzten Moment dem Drang, aufzuspringen und sein Gegenüber mit einer respektvollen Verbeugung zu begrüßen. Wäre sowas von uncool gewesen, regelrecht peinlich. Er atmete erleichtert auf. Gerade nochmal gut gegangen.

»Herr Fleischer, Sie wurden bereits über Ihre Rechte belehrt. Im Augenblick sind Sie hier, um als Zeuge Ihr Erlebnis von heute Morgen zu schildern.«

Maja Klapproth ruckelte sich auf ihrem Stuhl zurecht, die Lehne drückte ins Kreuz.

Der Zeuge betrachtete sie interessiert. Die ist nicht von hier, erkannte er sofort vorurteilstreu. Zu selbstbewusst, zu unerschrocken, zu tough.

»Warum wollten Sie ausgerechnet diesen Kahn für Ihre Tour herrichten? Sie hätten jeden anderen nehmen können – was Sie ja später auch getan haben«, begann Nachtigall und versuchte gar nicht erst seinen Ärger darüber zu verbergen, dass der Zeuge am Tatort nicht zur Verfügung stand.

»Ja, ich hab’ ja verstanden, Sie sind sauer, weil ich meine Tour gemacht habe. Aber dafür werde ich bezahlt! Ich kann die Gruppe nicht einfach stehen lassen. Und der Kahn wurde mir zugewiesen.«

»Warum dieser?«

»Hä?« Mirko sah die Frau verständnislos an.

»Warum sollten Sie ausgerechnet diesen Kahn benutzen?«

»Wollt’ ich doch gar nicht! Das stand so auf dem Plan. Den macht der Chef. Der weiß auch, wie viele Touren geplant sind, wann und wer sie staken soll.« Fleischer wurde unruhig, empfand die Situation offensichtlich als kompliziert. »Die haben zum Beispiel nicht alle gleich viele Bänke, manche gar keine, nur Relaxliegen. Das muss einer im Auge behalten und richtig zuweisen. Dafür ist bei uns der Chef zuständig! Wenn da was schiefgeht, haben die Gäste schon schlechte Laune, bevor es überhaupt mit der Fahrt losgeht. Sie würden ja auch nicht zu viert auf eine Dreierbank gequetscht werden wollen, das ist unbequem, so viel Nähe und Körperkontakt zu einem unbekannten Menschen ist nicht jedem behaglich. Das will eigentlich niemand!«

»Als Sie zum Kahn kamen, ist Ihnen gleich aufgefallen, dass etwas nicht stimmt?«, wechselte Klapproth den Fokus.

Mirko nickte aufgeregt.

»Ja! Er war nicht richtig vertäut. Der Bug hatte sich schon vom Ufer gelöst, ich musste ihn ranziehen.« Gestenreich unterstrich er die damit verbundene Anstrengung. »Hat ordentlich Gewicht so ein Kahn. Etwa zwei Tonnen. Und die Plane ist auch schwer. Etwa einen Zentner.« Fleischer musterte Klapproth. »Eine wie Sie könnte das vielleicht schaffen, aber eine normale Frau, die kriegt die Plane da nie drüber.«

Der Blick der Ermittlerin verfinsterte sich. Wurde zu Nachtfrost.

»Also, eine so starke und gut trainierte Frau wie Sie«, ergänzte der Zeuge eilig.

»Der Kahn war also ein bisschen vom Ufer abgetrieben. Kommt so was öfter vor?«, schaltete Nachtigall sich hastig ein.

»Nein, nein! Wäre ja gefährlich, wenn sich so einer losreißt und herrenlos im Fließ treibt. Könnte ja Bootsstege oder andere Boote beschädigen.«

»Wissen Sie, wer den Kahn gestern festgemacht hat?«, hakte sich Nachtigall sofort wieder ein.

»Der Kurt, denke ich. Auf den ist eigentlich immer Verlass. Der ist schon so lange im Geschäft, dem passiert so ein dummer, leichtsinniger Fehler nicht. Ist einer von der pingeligen Sorte, der alles dreimal kontrolliert, bevor er Feierabend macht.«

»Was dachten Sie, könnte passiert sein, wenn Kurt solch ein Fehler nicht unterläuft?«

»Ich hab’ gar nichts gedacht. Meine Tour war wichtig. Also zog ich das Tau ab und die Plane runter. Dabei habe ich gemerkt, dass auch hier schlampig gearbeitet worden war. Aber ganz ehrlich, es hat mich in dem Moment nicht unbedingt interessiert. Vor allem, als ich die Bescherung gesehen hab’. Ich habe das Foto gemacht und angefangen aufzuräumen. Der Typ hat sich nicht gerührt, aber dabei hab’ ich mir auch nichts gedacht. Mein Bruder zuckt auch nicht, wenn der sturzbesoffen untern Tisch rutscht. Mir war nur wichtig, dass ich alles sauber kriege, deshalb kontrollierte ich gleich, ob der Kerl irgendwo hingekotzt hat. Stinksauer war ich auf den Sack, das können Sie mir glauben!« Mirkos Stimme hob sich, war draußen auf dem Gang deutlich zu hören. »So eine Riesensauerei. Plötzlich kam der Richie angerannt, mein Kollege, rief, ich solle sofort mit dem Räumen aufhören, der Chef habe die Polizei verständigt.«

»Und?«

»Na, meine Tour! Ich durfte dann Richies Kahn nehmen, der war sogar schon vorbereitet, er blieb bei dem Mann und dem Dreck. Er war es, der gesagt hatte, der Typ habe den Löffel abgegeben. Mausetot.«

»Sie wussten doch, dass ursprünglich eine Plane über …«

»Ja, schon. Richie und ich dachten an ein Rendezvous. Heimlich. Ohne Kosten für die Kahnmiete. Wir sind davon ausgegangen, dass der eine besoffen eingepennt ist, der oder die andere sich aus dem Staub gemacht hat.«

»Wie schwierig ist es, die Plane über den Kahn zu ziehen?«, wollte Klapproth wissen. »Besonders, wenn man keine Ahnung hat, wie es genau funktioniert? Und womöglich im Dunkeln?«

Mirko Fleischer überlegte. Intensiv. Seine blauen Augen begannen zu rollen, die Augenbrauen zuckten abwechselnd Richtung Haaransatz, seine Kiefer mahlten geräuschvoll.

Dann rang er sich zu einer Antwort durch. »Schwierig.«

»Aber zu schaffen?«

»Wie gesagt, man braucht schon Kraft. Und in einem eng anliegenden Kleid könnte es sehr schwierig sein. Da haben Sie einen eingeschränkten Bewegungsradius, die meisten High Heels sind nicht rutschfest. Haben eben kein Profil.« Er wies auf seine eigenen schweren Boots.

Grinste.

Sah Klapproth abschätzig an. »Bei Frauen geht es immer nur um schick.«

Klapproth legte ihre Füße auf den Tisch.

Boots. Rutschsicher.

»Ich weiß ja nie, was mich erwartet. Vielleicht muss ich einem wie Ihnen nachlaufen.« Dabei zog sie die Lippen breit, und ihre Augen funkelten warnend.

»Warum haben Sie nicht selbst sofort den Notarzt verständigt, als sie den Mann reglos im Kahn haben liegen sehen? Er hätte ja möglicherweise gerettet werden können, was Sie nicht beurteilen konnten, weil Sie sich um ihn gar nicht gekümmert haben.«

Nachtigalls Ton hatte deutlich an Schärfe zugenommen.

Mirko überlegte kurz, ob er ehrlich sagen sollte, dass man ja jetzt sehe, wozu ein Anruf bei der Polizei führe: Zeitverlust, kein Mittagessen, Verspätung zum Sport. Er hatte schon Luft geholt, doch dann verwarf er diese Absicht schnell wieder. Ehrlichkeit brächte sicher nur noch mehr Ärger. Also wählte er eine andere Variante. Immerhin hangelte sich diese nahe an der Wahrheit entlang.

»Nun, ich dachte, der pennt seinen Rausch aus. Weiter habe ich gar nicht gedacht. Komasaufen? Danach sah der Typ nun wirklich nicht aus.«

»Sie überprüften nicht, ob er vielleicht Hilfe brauchte?« Klapproth war mit der Antwort des Zeugen offensichtlich nicht zufrieden. »Unterlassene Hilfeleistung. Und wenn sich rausstellt, dass der Mann erst gestorben ist, nachdem Sie schon den Kahn entrümpelt hatten: Tötung durch Unterlassung. Wir haben also noch länger Interesse an Ihnen.«

Langsam ging Mirko diese Frau gewaltig auf die Nerven.

»Nun ist es aber gut! Ich lass mir doch nicht die Schuld am Tod von diesem Vollpfosten unterschieben. Wenn der sich nicht auf meinem Kahn hätte umbringen lassen, wäre ich jetzt gar nicht hier«, wurde Mirko laut. Der uniformierte Beamte schob sich zur Tür herein, bereit, sofort einzuschreiten, sollten sich Handgreiflichkeiten anbahnen. Nach einem prüfenden Blick über die Gesprächsrunde zog er sich wieder zurück.

»Nein. Ich dachte eben, der wacht schon noch auf, wenn ich jetzt hier aufräume.« Den Tritt würde er besser nicht erwähnen, entschied er, auch nicht die Coolness des Mannes, die … na ja irgendwie biologisch war.

»Und tatsächlich haben Sie sich nicht gefragt, wie der Mann die Plane hatte über sich und den Kahn ziehen und festzurren können?« Nachtigall klang überrascht. »Darüber hätten Sie sich zumindest wundern müssen.«

Mirko stöhnte.

»Ich hab das Ding zur Seite gelegt und nicht mehr dran gedacht. Gut, vielleicht habe ich mich kurz darüber amüsiert, dass ihn jemand versteckt hatte. Aber ich war so was von sauer! Schnell ein Foto, war mir klar, dann an die Arbeit.«

»Die Teller haben Sie auf die Wiese geworfen.«

»Ja, logisch. Raus aus dem Kahn.«

»Beim Räumen sind Sie ganz sicher gegen den Körper gestoßen. So viel Platz ist da ja nicht«, bohrte Nachtigall weiter.

Mirko überlegte. Im Fernsehen hatten die Kommissare neulich nachgewiesen, dass eine Verletzung erst nach dem Tod zugefügt worden war. Vielleicht wäre das in diesem Fall auch möglich? Dann fänden die beiden das eh heraus. Besser, er sagte die Wahrheit, beschloss er dann.

»Ja, bin ich. Aber der blieb ganz cool liegen, hat nicht mal gegrunzt. Kein Ton kam von dem Vollpfosten!«

Plötzlich begannen die Finger des Zeugen leicht zu zittern. Er schlug die Rechte vor den Mund, als könne er die Worte zurückpressen und verschlucken. »Ich wusste ja nicht, dass er tot ist«, setzte er unsicher hinzu.

»Hm.« Klapproths Miene verriet deutliche Skepsis. »Man merkt doch, dass mit einem was nicht stimmt, wenn er keinen Laut von sich gibt und nicht einmal geräuschvoll atmet.«

»Nö! Ich hab’ keine Erfahrung mit Toten. Sie müssen mir das schon glauben, dass ich nichts gemerkt habe. Erst als mein Kollege … na ja, da war dann schnell klar, dass was nicht stimmt. Aber der hatte erst vor ein paar Monaten einen Todesfall in der Familie, kennt sich ein bisschen aus damit.«

»Und statt auf uns zu warten, sind Sie einfach losgefahren. Mit einem anderen Kahn.« Nachtigall warf dem Zeugen einen missbilligenden Blick zu. »Wir wollten Ihnen dort unten am Fließ begegnen. Ihr Kollege hätte ja für Sie einspringen können.«

»Ne! Der fährt die Mittagstour. Wir begegnen uns auf dem Fließ. Und der Chef hätte so schnell niemanden als Ersatz finden können. Das funktioniert nicht.«

»Wenn Sie nicht zum Dienst hätten kommen können?«

»Wäre der Chef gefahren. Aber das tut er nur ungern, der hat so viel anderes um die Ohren.«

»Kannten Sie den Toten?«, stellte Nachtigall die Frage, die Mirko aus den Fernsehkrimis kannte und längst erwartet hatte.

»Aber nein!«, antwortete er mit treuherzigem Blick. »Der war doch bestimmt nicht von hier. Sicher ein Tourist, so wie der angezogen war.«

6

Sabine klopfte.

»Guten Morgen! Housekeeping!«, verkündete sie fröhlich, lauschte kurz auf eine Antwort. Als alles ruhig blieb, öffnete sie mit der Steckkarte langsam die Tür von 127 und trat ein.

»Na so was«, staunte sie und sah sich in dem aufgeräumten Zimmer um. »Da bin ich heute fix durch. Der Herr hat wohl auswärts geschlafen. Nun ja«, murmelte sie schnippisch, wischte nachlässig über die Oberflächen und ging ins Bad.

»Muss wohl eine ungeplante Übernachtung gewesen sein. Nicht mal die Zahnbürste hat er eingesteckt.« Ordentlich wischte sie die Oberflächen ab, reinigte Waschbecken, Dusche und Toilette. »Wahrscheinlich hat er immer eine für den Notfall bei sich. Innentasche des Sakkos zum Beispiel. Falls sich Angebote finden, die man nicht abschlagen kann.« Ihre Laune sank von Schritt zu Schritt, als sie frische Handtücher vom Servicewagen holte und ordentlich im Bad aufstapelte.

Natürlich, ein so gut gekleideter, gut aussehender smarter junger Mann fand schnell Kontakt. Vor ihrem inneren Auge sah sie ihn in intimem Tanz mit einer großen, gertenschlanken, biegsamen Frau.

»Es sei ihm gegönnt«, spuckte sie verärgert durch den Raum. »Hoffentlich war sie eine große Enttäuschung!«

Während sie den Staubsauger durchs Zimmer schob, wischte sie sich immer wieder eine lästige, nachrollende Träne ab. Das Leben ist aber auch ungerecht, dachte sie bitter, ich bin stabil, kann zupacken, bin ehrlich, an mir ist keine falsche Haarfarbe, meine Falten habe ich nicht »wegbügeln« lassen, meine Hände sind rau und rissig von der Arbeit – aber an so einer Frau bist du ja nicht interessiert!

Zum Schluss fuhr ihre Hand wehmütig über sein unbenutztes Kopfkissen.

Dann riss sie sich los – und putzte das nächste Zimmer.

Auf dem Rückweg, Stunden später, kam sie noch einmal an 127 vorbei.

Sie zögerte.

Lauschte an der Tür.

Nichts.

Erneut trat sie ein, sah sich prüfend um. Er war noch immer nicht zurückgekehrt. Hoffentlich ist ihm nichts zugestoßen, breitete sich als beunruhigender Gedanke aus. Gerade war im lokalen Sender … Oh, nein!

Sie griff zum Zimmertelefon und informierte die Rezeption.

Dem musste unbedingt nachgegangen werden! Immerhin war in dem Bericht nicht nur vom Fund einer Leiche, sondern auch von Mordverdacht die Rede gewesen.

Er ist es!, wusste sie plötzlich mit der Gewissheit der Liebenden, lehnte sich an die Tür, schlug die Hände vors Gesicht und begann hemmungslos zu schluchzen.

»Kann ich mal stören?« Silke schob den Kopf durch eine spaltbreit offene Tür.

Nachtigall nickte, zog ungelenk seine Beine unter dem Tisch hervor und trat auf den Gang hinaus.

»Was Neues?«

»Vielleicht. Das Hotel ›Glücksmoment‹ hat sich gemeldet. Bei ihnen ist ein Gast nicht ins Haus zurückgekehrt. Das Zimmer war nach Aussage des Housekeepings unbenutzt, zum Frühstück ist er nicht erschienen, im Spa oder Fitnessbereich hatte er sich auch nicht eingeloggt. Ein Leopold Bäumler. Die Dame an der Rezeption beschreibt ihn als gut aussehend, ausgesprochen geschmackvoll und teuer gekleidet, Haare gestylt, Schuhe italienisch. Sie schickt uns das Foto von seinem Ausweis.«

»Könnte gut sein, dass er unser Opfer ist. Die edle Kleidung ist uns sofort aufgefallen. Die Hände manikürt, der junge Mann hat großen Wert auf sein Erscheinungsbild gelegt. Gut. Check mal, ob du Informationen über ihn findest. Ein Foto wäre hilfreich. Manchmal sieht man diesem biometrischen Ausweisbild nur sehr entfernt ähnlich.«

Silke nickte und huschte ins Büro zurück.

»Und?« Klapproth sah auf.

»Vielleicht haben wir einen Namen. Mal sehen.«

Mirko Fleischer wartete.

Hätte gern mit den Fingerkuppen auf die Tischplatte getrommelt, traute sich aber nicht.

»Sie können gehen. Aber sorgen Sie dafür, dass wir Sie jederzeit erreichen können. Es werden sich ganz sicher weitere Fragen ergeben.«

Der Zeuge schnellte hoch, entschlossener als ein Pfeil von der Bogensehne, nickte kurz und rannte über den Gang davon.