Gut Rosenthal - Das Gestüt in Pommern - Frieda Radlof - E-Book
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Gut Rosenthal - Das Gestüt in Pommern E-Book

Frieda Radlof

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Beschreibung

Pommern, 1886: Die junge Adelige Charlotte liebt das Abenteuer, ihre wilde Stute und das raue Land ihrer Heimat. Doch wie es sich gehört, soll sie heiraten. Der Graf von Eichberg lebt auf einem der prächtigsten Gestüte in Pommern: Gut Rosenthal. Lotte versucht, ihrer Rolle als Gutsherrin gerecht zu werden, doch es fällt ihr zunehmend schwer, die Zuneigung ihres Mannes zu erwidern. Sie vermisst ihr Pferd, die Freiheit im Sattel - und das Drängen ihres Mannes nach einem Erben setzt ihr zu. Ihre Liebe zu Pferden führt sie immer wieder in die Ställe von Gut Rosenthal, wo sie auf den Stallmeister Johann trifft. Mit ihm erlebt sie eine Freundschaft und Verbundenheit, die sie von ihrem eigenen Ehemann nicht kennt. Doch mehr als sehnsüchtige Blicke sind undenkbar, erst recht, als Lotte endlich ein Kind erwartet. Aber was ist mit ihrem eigenen Glück?

Auftakt der emotionalen Familiensaga um das Gut Rosenthal in Pommern. Ein Lesegenuss für alle Fans von Modehaus Haynbach und Grandhotel Schwarzenberg.

Stimmen aus der Lesejury zum Roman

"Dieser historische Roman war so spannend geschrieben, die Charaktere so unglaublich lebensecht und die Story einfach genial. Ich habe selten ein Buch gelesen, was mich so mitgerissen und gefesselt hat. Ich bin nur so durch die Seiten geflogen und konnte es kaum aus der Hand legen." (Nadys-Buecherwelt, Lesejury)

"Ein wunderschöner spannender erster Teil der Saga, den ich, einmal mit dem Lesen angefangen, nicht mehr aus der Hand legen konnte. 5 Sterne und eine ganz klare Leseempfehlung." (Shilo_, Lesejury)

"Insgesamt ein wirklich gelungener Auftakt in die Gestüts-Familiensaga! Für alle Fans von historischen Romanen ein Muss, aber auch New-Adult-Fans kommen auf ihre Kosten." (Buchofant, Lesejury)Die Gestüts-Saga umfasst die folgenden drei Bände

Die Gestüts-Saga umfasst die folgenden drei Bände

Gut Rosenthal - Das Gestüt in Pommern

Gut Rosenthal - Heimkehr nach Pommern

Gut Rosenthal - Nebel über Pommern

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Epilog

Danksagung

Über die Autorin

Impressum

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Über dieses Buch

Pommern, 1886: Die junge Adelige Charlotte liebt das Abenteuer, ihre wilde Stute und die Hügel ihrer Heimat. Doch wie es sich gehört, soll sie heiraten. Der Graf von Eschberg lebt auf einem der prächtigsten Gestüte in Pommern: Gut Rosenthal. Nach anfänglich romantischen Tagen fällt es Lotte jedoch zunehmend schwer, die Zuneigung ihres Mannes zu erwidern. Sie vermisst ihr Pferd, die Freiheit im Sattel – und das tägliche Drängen ihres Mannes nach einem Erben setzt ihr zu. Sie sucht nach Ablenkung in den Ställen – und trifft Johann, den Stallmeister von Gut Rosenthal. Mit ihm erlebt sie eine Freundschaft und Verbundenheit, die sie von ihrem eigenen Ehemann nicht kennt. Doch mehr als sehnsüchtige Blicke sind undenkbar, erst recht, als Lotte endlich ein Kind erwartet. Aber was ist mit ihrem eigenen Glück?

Auftakt der emotionalen Familiensaga um das Gut Rosenthal in Pommern. Ein Lesegenuss für alle Fans von Modehaus Haynbach und Grandhotel Schwarzenberg.

Kapitel 1

Gut Breskow, Pommern, 1886

Der Wind, der über die flachen Hügel pfiff, kam von Norden. Graue Wolken hingen über dem Land, so tief, als wollten sie den Horizont berühren. Sie spiegelten sich im glatten Wasser des Breskower Sees, und Lotte war, als könnte sie einfach darüber hinwegpreschen. Ihr Gesicht fühlte sich kalt an, die Ohren waren wie eingefroren. Das Leder ihrer Handschuhe knirschte, als sie die Zügel fester umfasste und sich im Sattel nach vorn neigte.

Es war Frühling, fast schon Sommer, aber wenn der Wind von Norden über das flache Land wehte, dann schmeckte die Luft nach Winter. Es roch nach Gras und feuchter Rinde, es roch nach dem Regen, der noch vor wenigen Stunden gefallen war. Es roch nach dem Land, in dem sie aufgewachsen war.

Wenn ich könnte, dachte Lotte, würde ich auf Wolke überallhin reiten. In jeden Winkel der Welt. Und sie würde die Länder einteilen nach der Farbe des Himmels, danach, wie die Luft schmeckte und wie sich der Wind auf ihrer Haut anfühlte, wenn ihre Stute Wolke in wildem Galopp über Felder, Wiesen und Hügel preschte.

Lotte war überzeugt, dass jeder Teil der Welt seine eigenen Farben hatte. Seinen eigenen Geruch und Geschmack. Pommern war grau, auf eine Weise, die roh und wild und kühl war. Es regnete oft, und der Boden war feucht. Deshalb roch es im Frühling nach Regen, Tau und frischem Gras.

Lotte liebte die grauen Tage. Sie liebte, wie der Wind die Wolken über den Himmel trieb, wie die Luft schmeckte und wie das Wasser schimmerte. Wie das Land an ihr vorbeirauschte und wie leicht sie sich dann fühlte. Als fiele mit jeder Sekunde ein wenig mehr von dem Gewicht auf ihren Schultern von ihr ab. Dann bestand sie nur noch aus Atem und Herzschlag und prickelnder, kalter Haut, aus Muskeln und Schweiß. Mama wäre entsetzt, wenn sie diese Gedanken hören könnte, dachte Lotte.

Auf dem Kamm des Hügels zügelte sie die Stute und klopfte ihr den Hals. Und dann sprach sie mit ihr, über das Pfeifen des Windes hinweg, über alles, was ihr gerade durch den Kopf ging. Lotte konnte ihr all das erzählen, was ihre Mutter und ihr Vater nicht hören wollten, und alles, wofür man sie auf dem Gutshof ihrer Familie und drüben im Dorf schief ansehen würde. Hier, auf dem Rücken ihrer Stute, auf dem Kamm des höchsten Hügels in der Gegend, von dem aus sie das Land nach allen Seiten überblicken konnte, konnte sie offen sprechen.

»Ich war kindisch heute.« Wolke schnaubte, als Lotte das sagte, und sie wusste genau, was ihre Stute meinte: Ihre Kindereien hatten sie in Schwierigkeiten gebracht, und nun wollte sie sich mit Kindereien wieder herausretten.

Was sie getan hatte? Sie hatte den Seesack ihres Vaters stibitzt, eine Pferdedecke eingepackt, Brot und Butter, eine mit Wasser gefüllte Feldflasche, ein Reitkleid und einen gefütterten Wachsmantel und war auf Wolkes Rücken Hals über Kopf vom elterlichen Gestüt galoppiert.

Natürlich wusste Lotte, wie albern sie sich verhielt. Schließlich würde sie nicht weit kommen. Und trotzdem hatte sie den Seesack entwendet. Obwohl sie wusste, dass ihr Vater davon erfahren und sich in seiner Ansicht nur bestätigt sehen würde. Wie kindisch von ihr ...

Es war im Winter gewesen, da hatte er Lotte in sein Arbeitszimmer gerufen. Sie war aus dem Stall gekommen, hatte die Hose ihres Bruders getragen, die sie ungefragt aus seinem Schrank stibitzt und umgenäht hatte.

Lotte erinnerte sich an jeden Blick, an jedes Wort, jede Geste ihres Vaters. Die Kindereien müssten jetzt aufhören, hatte Papa mit einem strengen Blick auf Lottes Hose, die zerzausten Locken und die abgewetzten Handschuhe gesagt. Sie sei nun kein kleines Mädchen mehr, sie sei das Fräulein von Gut Breskow, neunzehn Jahre und alt genug, um zu heiraten. Alt genug, um sich die Flausen aus dem Kopf zu schlagen und endlich ihre Pflicht zu tun. Eine Ehefrau und Mutter zu werden. Und dieses Mal hatten weder ihre gewitzten Einwände noch ihr Flehen sie retten können.

In zwei Tagen würde sie also heiraten. Und es fühlte sich an wie ein verrückter Traum. Als passierte es jemand anders, einer ganz anderen Lotte, oder als läse sie nur in einem Buch darüber.

Ihre Eltern hatten ihr den Grafen von Eichberg auf einem Tanzabend in Breskow vorgestellt. Es war sehr hinterhältig von Mama gewesen zu behaupten, der Graf sei ein Freund von Papa und kenne niemanden auf dem Fest! Deshalb solle Lotte doch mit ihm tanzen.

Der Graf von Eichberg war ein paar Jahre jünger als Lottes Vater, hatte einen vorstehenden Bauch, einen buschigen schwarzen Bart und kugelrunde dunkle Augen, bei denen sie nie wusste, woran sie war. Sie waren freundlich, das ja, aber auch sehr klug. Von ihm ging eine heitere Gelassenheit aus, doch die Intelligenz in seinem Blick warnte sein Gegenüber davor, ihn zu unterschätzen.

Er war nicht so, wie Lotte sich einen Verehrer vorgestellt hatte, ganz und gar nicht, schließlich war er zwanzig Jahre älter als sie und ein enger Freund ihres Vaters. Daher hatte sie sich auch nichts dabei gedacht, mit ihm zu tanzen. Und dummerweise hatte sie sich während des Tanzes ganz hervorragend mit dem Grafen über Pferde unterhalten.

Auf seinem Gutshof, einige Kilometer östlich von Gut Breskow, züchtete er polnische Araber, die edelsten und teuersten Pferde der Welt. Und natürlich hatte Lotte ihm begeistert zugehört, als er von dem Aufbau seiner Zuchtstuten-Herde sprach, von seinem erstklassigen Araberhengst Herzog und von den Fohlen, die in diesem Jahr zur Welt gekommen waren.

Eine Woche später war der Graf von Eichberg auf Gut Breskow erschienen, um mit Lottes Familie Kaffee zu trinken. Währenddessen bemerkte Lotte immer wieder die prüfenden Blicke ihrer Mutter, doch das unangenehme Gefühl, das sie dabei erfasste, schob sie ganz weit weg.

Ihre Eltern wollten sie verheiraten, das wusste sie ja, aber doch sicher nicht mit einem Freund von Papa! Lotte war schon immer gut darin gewesen, Dinge zu verdrängen. Doch der Graf besuchte Gut Breskow erneut, und nach dem Kaffee verschwand er für eine sehr lange Zeit mit Lottes Vater im Arbeitszimmer.

Als Papa sie an diesem Tag zu sich rief, spürte sie einen hufeisengroßen Kloß im Magen. Und als er ihr erklärte, der Graf von Eichberg habe um ihre Hand angehalten, lachte sie. Das Lachen platzte einfach so aus ihr heraus. Dann, als sie endlich begriff, dass Papa es völlig ernst meinte, sagte sie: »Nein.« Und noch einmal: »Nein.« Sie sagte es auch am nächsten Tag und am darauffolgenden und hoffte, ihr Vater würde den unseligen Einfall, sie zu verheiraten, bald wieder vergessen. Aber dieses Mal blieb Werner von Breskow unnachgiebig.

An dem Tag, an dem Lotte ihren Widerstand gegen die geplante Eheschließung schließlich aufgab, hatte sie sich zu Wolke in den Stall geschlichen. Da hörte sie auf einmal Schritte, und schon im nächsten Augenblick stand ihr großer Bruder Franz vor ihr, in seiner kaiserblauen Uniform mit den roten Schulterstücken und den Stiefeln aus gewachstem Leder. 

Sie fiel ihm mit einem Jauchzen in die Arme. Erst, als sie sich von ihm löste, bemerkte sie, dass sie weinte.

»Hoppla. Was ist denn passiert, Kröte?«, fragte Franz erschrocken, was Lotte sogleich zum Lachen brachte. Ihr Bruder hatte sie schon »Kröte« genannt, bevor sie hatte laufen können, und nicht einmal er wusste noch, warum.

Sie wischte sich die Tränen von den Wangen und erzählte ihm alles. Als sie endete, seufzte Franz und fuhr sich mit der Hand durch das kurze, braune Haar. »Ach, der Papa schon wieder. So war es auch, als er mich gezwungen hat, Offizier zu werden. Du weißt ja, wie stur er sein kann.«

Franz besuchte die Kriegsschule in Berlin, wo er gemeinsam mit anderen adligen Söhnen und einigen wenigen Bürgerlichen zum Offizier ausgebildet wurde. Nach seinem Fähnrich-Examen im letzten Jahr hätte er den Militärdienst eigentlich verlassen dürfen, aber Papa wollte davon nichts wissen. Das Militär war das Rückgrat des Kaiserreiches, und in Werner von Breskows Augen hatte ein junger Graf es erst zu etwas gebracht, wenn er Offizier war.

»Wir finden schon eine Lösung, Kröte«, sagte Franz an jenem Tag im Stall und nahm Lotte noch einmal in den Arm.

Sie hatten keine Lösung gefunden.

Franz hatte versucht, mit Papa zu sprechen, und Lotte hatte sie bis spät in die Nacht im Arbeitszimmer streiten hören. Und währenddessen hatte sie an das gedacht, was ihre Mutter ihr gesagt hatte.

»Du wirst bald die Herrin eines großen Hauses sein, Charlotte. Du wirst deinen eigenen Haushalt führen. Der Graf von Eichberg ist ein netter Mann. Er wird dir viele Freiheiten lassen. Und denk doch nur daran, dass du auf einem Gestüt leben wirst!«

Sie hatte recht. Zu diesem Schluss kam Lotte, während sie den lauten Stimmen aus dem Arbeitszimmer lauschte und an den Baldachin starrte. Was sollte schon aus ihr werden, wenn sie nicht heiratete? Sie hatte doch immer gewusst, was von ihr erwartet wurde. Eine junge Komtess musste gut heiraten und Kinder gebären. Dieses Leben war von jeher für sie vorgesehen gewesen. In dieser Nacht wurde ihr bewusst, dass ihre wilde, glückliche Kindheit auf Gut Breskow nun vorbei war.

Am nächsten Morgen hatte sie ihren Eltern verkündet, dass sie den Antrag des Grafen annehmen würde.

Auf dem Kamm des Hügels riss eine Stimme Lotte nun aus ihren Gedanken. »Stettin oder Hamburg?«

Kapitel 2

Lotte zuckte zusammen. Ihr Blick fiel auf den Mann, der neben Wolke stand und sie interessiert musterte. Der Wind spielte an seinem von der Sonne gebleichten Haar, und in seinen blauen Augen fing sich das Licht.

Das spöttische Funkeln darin brachte sie dazu, sich im Sattel aufzurichten. »Wie meinen?«

Er verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln und deutete auf den Seesack. »Anscheinend sind Sie auf Reisen. Ich frage mich nur, wohin Sie unterwegs sind.«

Lotte beschloss, auf den spielerischen Unterton in seiner Stimme einzugehen. »Ich mache mich auf in den Wilden Westen, um mich mit den Apachen anzufreunden.«

Sein Lächeln wurde breiter. »Würden Sie so liebenswürdig sein und die Indianer von mir grüßen?«

Sie konnte das Zucken in ihren Mundwinkeln nicht länger unterdrücken. Aber statt zu lächeln, zog sie nur eine Augenbraue hoch. Dieser Mann war ein Strolch, das spürte sie. »Das muss ich mir überlegen.«

»Ich habe Sie doch nicht verärgert?« Er blickte an ihr vorbei auf das Land, das sich vor ihnen ausbreitete, noch immer mit diesem kleinen Lächeln auf den Lippen. Der Wind pfiff über die Felder und Wiesen, und am Horizont wurde es dunkler. Es war längst Zeit für Lotte, nach Hause zurückzukehren.

Aber stattdessen betrachtete sie verstohlen den Fremden. Sein Haar war blond wie der Weizen im Spätsommer, und seine Augen hatten die Farbe eines wolkenlosen Sommerhimmels. Der Wind kräuselte das Hemd über seinen kräftigen Schultern. Er hatte die Ärmel nachlässig nach oben geschoben, sodass Lotte seine von der Sonne gebräunten Unterarme sehen konnte. Wenn sie ihm einen Namen geben sollte, würde er »Sommer« heißen.

Das gehörte zu den Gedanken, die sie nicht vor anderen aussprechen konnte, ohne ausgelacht oder tadelnd angesehen zu werden. Aber es stimmte. Jeder Mensch hatte eine Jahreszeit. Lottes war der Frühling. Nicht der Frühling, der warm und sonnig war, in dem die Vögel in den Zweigen der Eiche vor ihrem Fenster sangen und die Tulpen im Garten ihrer Mutter blühten, sondern der Frühling, in dem der kalte Nordwind über das Land fegte. Der Frühling, in dem die Natur rau und wild war und in dem noch bis in den April hinein Schnee fallen konnte. Der dunkle Wolken über den Himmel trieb und in dem das Wetter von einer Sekunde auf die andere wechseln konnte. Der Frühling, in dem alles möglich war.

Er hingegen, dieser Fremde, dessen Namen und Geschichte sie nicht kannte, war wie ein Tag im Spätsommer, mit seinem Haar, das viel heller war als die gebräunte Haut, mit seiner kräftigen Gestalt und dem verschmitzten Lächeln.

Der Mann bemerkte ihren Blick und erwiderte ihn ein wenig herausfordernd, schwieg jedoch.

»Sie sind unhöflich, wissen Sie das?!«, sagte Lotte schließlich.

»Unhöflich«, wiederholte er, noch immer mit diesem winzigen Lächeln in den Mundwinkeln. Machte er sich etwa über sie lustig?

Lotte straffte die Schultern. Es war gut, dass sie von Wolkes Rücken auf ihn hinuntersehen konnte. Seine gelassene Haltung und der selbstsichere Gesichtsausdruck lösten ein eigenartiges Flattern in ihr aus. Er sah aus, als könnte nichts auf der Welt ihn erschüttern. Wenn sie ein Blatt im Wind wäre, dann wäre er ein Berg. »Sie haben sich angeschlichen!«

Er lachte und blickte dann wieder nach vorn, während Lotte empört die Wangen aufblies.

»Was ist daran lustig?«

»Ich habe mich nicht angeschlichen.« Seine Stimme klang freundlich, doch der Unterton darin war eindeutig spöttisch. »Sie haben mich nicht gehört. Das ist ein Unterschied.«

Sie hob die Augenbrauen. »Sie hätten sich vorstellen können.«

Er wandte sich ihr wieder ganz zu, und ein vergnügtes Funkeln trat in seine Augen. Es war, als blickte sie in einen See, in dem sich das Licht brach. »Gefällt Ihnen die Vorstellung nicht, dass wir nichts als zwei Fremde ohne Namen sind, die sich hier oben begegnen und dann wieder ihrer Wege gehen?«

Darüber musste sie nachdenken. Sie wandte den Blick von ihm ab, ohne sich selbst eingestehen zu wollen, dass es sie einiges an Mühe kostete, und schaute zum Horizont. Das Land und der Himmel hatten jetzt die gleiche Farbe. Ein fahles Blau, gesprenkelt vom bleichen Sonnenlicht, das über Seen und Felder und Waldstücke floss wie Wasser. Der Wind trieb die Wolken über den Horizont, so schnell, dass es ihr kurz so vorkam, als ritte sie noch immer, weiter und weiter, bis sie alles, was sie war und was sie kannte, hinter sich gelassen hatte.

Lotte spürte, dass er sie ansah, und eigenartigerweise genoss sie das Gefühl. Ja, ihr gefiel der Gedanke, dass er und sie nur zwei Fremde waren, die sich heute einige Minuten kannten und morgen schon nicht mehr. Es erstaunte sie, dass er das so einfach erkannt hatte.

Als sie ihn wieder ansah, las sie in seinen Augen, dass sie ihm keine Antwort geben musste. Keine Namen, keine Geschichten. Keine Erwartungen und keine Regeln. Das fühlte sich befreiend an.

»Und deshalb sind Sie hier hochgekommen?«, fragte sie. »Damit wir einfach zwei Fremde sein können, die keine Namen haben und keine Geschichte, abgesehen von der, die wir uns ausdenken?«

»Nein«, erwiderte er unverblümt. »Das hier ist mein Hügel, und ich wollte sehen, wer mir meinen Platz streitig macht.« Und da war er wieder, der Spott in seinen Augen, der Lottes ganzen Körper in Unruhe versetzte und dafür sorgte, dass ihre Wangen trotz des kalten Windes warm wurden. »Aber ...« Er zögerte einen Moment, dann lächelte er. »Aber so, wie Sie es ausgedrückt haben, klingt es schöner.«

Sie wich seinem Blick aus, damit er nicht sah, dass sie sich das Lächeln nicht mehr verkneifen konnte. Glücklicherweise fauchte der Wind so laut über den Hügel, dass sie sich ganz sicher sein konnte, dass er ihren Herzschlag nicht hörte. Denn ihr selbst dröhnte er förmlich in den Ohren, seitdem der Fremde sie so entwaffnend angelächelt hatte.

»Ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor«, sagte sie irgendwann. Weil er sie immer noch ansah. Weil sie Angst hatte, dass er es bald nicht mehr tun würde. Dass er sich umdrehen und dass es genau so sein würde, wie sie gesagt hatte: zwei Fremde ohne Geschichten, die sich nie näher kennenlernen würden. Die nur diesen einen Moment hatten, bevor sie einander vergessen und in ihr wahres Leben zurückkehren würden.

»Erleuchten Sie mich«, sagte er und tätschelte Wolke den Hals.

Es erstaunte Lotte, dass ihre widerspenstige Stute sich das gefallen ließ. Nein, mehr noch: Wolke lehnte sich kaum merklich in die Berührung. Wieder geriet Lottes Herz aus dem Takt. Die Stute mochte nur sie. Immer nur sie. Sie biss sogar Franz, den gutmütigsten Menschen auf der Welt. Dieser Mann, dessen Namen sie nicht einmal kannte, wusste eindeutig mit Pferden umzugehen. Seine Haltung, seine Ruhe, die Art und Weise, wie er sich Wolke näherte ... all das verriet Lotte, dass er ein Tier nur einmal ansehen musste, um es zu verstehen.

Aus irgendeinem Grund entfachte diese Gewissheit den Wunsch in ihr zu fliehen. Noch viel weiter als bis zu diesem Hügel. Bis zum anderen Ende der Welt. Vielleicht könnte sie ja wirklich in den Wilden Westen reisen und bei den Indianern leben ...

Aber sie blieb. »Das hier ist mein Hügel.«

Er schüttelte den Kopf, und noch einmal erklang dieses leise Lachen. Wieder schaute er sie an, als versuchte er, in sie hineinzusehen. »Wirklich? Ihr Hügel?«

»Ja«, sagte sie. »Ich komme hierher, wenn ich nachdenken will.«

Wieder ein Lächeln. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich hier draußen jemandem begegnen würde. Eigentlich wollte ich Sie nicht stören. Aber sie waren so bewegungslos, dass ich dachte, ich schaue nach, ob es Ihnen gut geht.«

Lotte versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass seine Worte sie trafen. Auf einmal war sie kein Mädchen ohne Geschichte mehr, das auf einem Pferd saß und zum Horizont blickte, ein Mädchen ohne Vergangenheit und mit ungewisser, verheißungsvoller Zukunft, sondern die Komtess Charlotte von Breskow und in weniger als zwei Tagen die Gräfin Charlotte von Eichberg. Am liebsten wollte sie diesen Namen und diese Geschichte abstreifen. Aber sie klebten an ihr, jetzt schon, hatten sich festgesetzt, bevor sie herausfinden konnte, wer sich wirklich hinter diesem nichtssagenden Namen verbarg.

Sie spürte, dass der Fremde sie ansah. Sein Blick fühlte sich an wie eine hauchzarte Berührung. Der Mann schien auf eine Antwort zu warten.

Lotte räusperte sich. »Ich hatte so ein eigenartiges Gefühl«, sagte sie dann so ernst, dass sie sofort seine ganze Aufmerksamkeit hatte. Es tat ihr ein kleines bisschen leid, dass sie ihn jetzt enttäuschen musste. Nur ein winziges bisschen. Aber sie durfte weder ihm noch sonst jemandem genug von ihrem Herzen zeigen, um es einfangen zu lassen. Dieses letzte, winzige Stück von ihr, das immer nur ihr allein gehören würde. »Als würde sich ein Fremder anschleichen, um mir eigenartige Fragen zu stellen. Ich dachte, ich lasse ihn herankommen und bewege mich nicht, vielleicht ist er scheu.«

Er warf ihr einen halb ärgerlichen, halb belustigten Blick zu und schien ihr nicht zu glauben. Dann schaute er wieder zum Horizont, und in Lotte machte sich eine Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung breit. Sein Blick ging ihr durch und durch, löste ein warmes Kribbeln in ihrem Bauch aus. Und das machte ihr Angst.

»Ich möchte Sie etwas fragen«, sagte er nach einigen Sekunden, in denen nur das Pfeifen des Windes die Stille durchbrach. Während er sprach, schaute er nicht in ihre Richtung. »Wenn Sie alles tun könnten, ganz egal, was, was würden Sie tun?«

Sie biss sich auf die Unterlippe. »Ich dachte, wir wären zwei Fremde ohne Geschichten.«

Seine Mundwinkel zuckten. »Ich frage Sie nicht nach Ihrer Geschichte. Ich frage Sie nach Ihren Träumen.«

Das war noch gefährlicher.

Sie antwortete ihm trotzdem, in diesem leichten, spielerischen Tonfall, der ihr am Anfang dieser Unterhaltung so gefallen hatte. »Wenn ich alles tun könnte, ganz egal, was, dann würde ich einfach reiten. Bis zum Horizont. Und weiter. Vielleicht würde ich auf ein Schiff steigen und schauen, wie die Welt jenseits des Ozeans aussieht. Ich verspreche auch, die Indianer von dem ungehobelten Fremden zu grüßen, der mich auf meinem Hügel gestört hat.«

Bevor er sie fragen konnte, ob sie sich schon wieder über ihn lustig machte, fragte sie: »Und Sie? Was würden Sie tun, wenn Sie jede Wahl hätten?«

»Das Gleiche«, sagte er prompt. »Jedenfalls fast.«

Lotte sah ihn prüfend an, versuchte herauszufinden, ob er sie verspottete. Aber der Ausdruck in seinen Augen war träumerisch, und sein Blick war noch immer auf den Horizont gerichtet. »Ich würde auf den Rücken eines Pferdes steigen und das Land entdecken, in dem ich sesshaft geworden bin. Ich hätte meine eigene Pferdezucht. Und ich hätte ein Haus, irgendwo, wo es grün und friedlich ist. Ein Haus, in dem es immer hell ist, mit einer Frau, die so sehr in mich vernarrt ist wie ich in sie, und mit unseren Kindern.«

Seine Worte erinnerten sie daran, dass sie schon bald selbst eine Familie haben würde. Sie würde Ehefrau sein, Mutter werden. Lotte versuchte, es sich vorzustellen, und wurde darüber so nervös, dass sie es auf einmal nicht mehr auf diesem Hügel und in der Gegenwart dieses verwirrenden Fremden aushielt. »Es ist schon spät«, erklärte sie hastig. Plötzlich war ihr diese Unterhaltung zu viel. »Ich muss gehen.«

Er schien aus seinen Gedanken aufzutauchen und wandte sich ihr mit hochgezogenen Augenbrauen zu. »Habe ich Sie etwa schon wieder verärgert?«

»Haben Sie nicht«, antwortete Lotte schroffer als beabsichtigt. »Ich muss einfach nur nach Hause.«

Er schenkte ihr sein kleines, verschmitztes Lächeln. Wieder schickte es eine Gänsehaut über ihren Körper und ging ihr durch Mark und Bein. »Leben Sie wohl, geheimnisvolle Fremde«, sagte er. »Es war mir eine Freude. Und viel Glück in der Prärie.«

Wenn es doch nur so wäre!

»Ihnen ... Ihnen auch viel Glück«, stotterte sie. »Ich ... ich wünsche Ihnen wirklich, dass Sie es bekommen. Das, was Sie sich erträumen.«

»Das wünsche ich Ihnen auch«, erwiderte er ernst.

Lotte schnalzte mit der Zunge und dirigierte Wolke den Hügel hinab, ehe sie es sich anders überlegen konnte. Ihr war, als trüge der Wind ihr das Echo seiner Worte nach.

Sie drehte sich nicht ein einziges Mal zu ihm um, während Wolke über die Felder nach Hause galoppierte. Sie wollte, dass dieser Fremde und sie genau das blieben, was sie einander zu Beginn ihrer viel zu kurzen Unterhaltung versprochen hatten: Menschen ohne Geschichten, ohne Vergangenheit. Menschen, die sich begegneten, miteinander sprachen und dann wieder ihrer Wege gingen. Und einander vergaßen.

Dennoch konnte sie nicht aufhören, sich zu fragen, wie es sein konnte, dass zwei Fremde sich in so kurzer Zeit so nahe kamen.

Kapitel 3

Ein Krachen. Scherben, die zu Boden regneten, und dazwischen der Klang der Blockflöte, auf der Franz Im Wald, im grünen Walde spielte. Petroleumlampen erhellten den Hof, die Luft roch nach Regen. Und über dem Dach des Gutshauses zog die Dämmerung herauf.

Als sie am vergangenen Abend von ihrem Ausritt heimgekehrt war, war es schon dunkel gewesen, und Lotte hatte so sehr gefroren, dass sie von ganzem Herzen froh gewesen war, nicht ausgerissen zu sein. Doch als die Bediensteten am Morgen ihre Aussteuer auf einen Pferdewagen geladen hatten, hatte sich ein Kloß in ihrem Hals gebildet. Vielleicht hätte sie doch weglaufen sollen.

Sie warf einen Teller. Das Porzellan zerschellte, Lotte zerschellte, und alle lachten und klatschten in die Hände, als sie nach einem zweiten Teller verlangte. Es tat gut, laut zu sein, mit Geschirr zu werfen, die Scherben regnen zu sehen. An diesem Abend durfte sie aufgekratzt, fröhlich und laut sein, und genau das war sie. Sie lachte mit ihren Freundinnen aus Breskow, die ihr allerlei Albernheiten über die Hochzeitsnacht zuflüsterten, tanzte mit ihrem Verlobten zum Klang der Blockflöte und zerschlug so viel Geschirr, wie sie in die Hände bekam.

Und trotzdem standen ihre Gedanken nicht still. Trotzdem war alles, woran sie denken konnte, der nachdenkliche Ausdruck in den Augen des Fremden auf dem Breskower Hügel, als er sie gefragt hatte, was sie tun würde, wenn sie jede Wahl hätte. Wenn nichts sie zurückhalten würde.

Jetzt wünschte sie sich, sie hätte ihm noch mehr gesagt, hätte wenigstens einem Menschen auf der Welt gezeigt, wie es in ihr aussah. Wenn sie könnte, wenn nichts und niemand sie zurückhalten würde, würde sie noch sehr viele solcher Abende erleben. Tanzend, feiernd, mit ihren Freundinnen, ihrem Bruder, der auf der Mauer saß und Flöte spielte wie der liebenswerte Narr, der er eben war.

Aber morgen schon würde sie die frischgebackene Gräfin von Eichberg sein. Dabei wollte sie doch nichts anderes, als auf Wolkes Rücken über die Wiesen zu preschen, zu singen, zu lachen und zu tanzen, ohne sich festlegen zu müssen. Sie wollte neue Menschen kennenlernen und sie wieder gehen lassen, so wie den Mann auf dem Hügel.

Sie war froh, dass sie seinen Namen nicht kannte, froh, dass sie diese kleinen, flüchtigen Momente außerhalb der Welt und außerhalb der Wirklichkeit mit ihm gehabt hatte. Wenn sie an ihn dachte, an seine funkelnden Augen, an sein kleines, spöttisches Lächeln und das vom Wind zerzauste Haar, fühlte es sich an, als wäre diese Begegnung ein Traum gewesen. Lotte war ihm dankbar dafür, dass er ihr ein Gespräch geschenkt hatte, in dem sie nicht das Fräulein Charlotte von Breskow war. Umso mehr, weil die Wirklichkeit sie sehr schnell und erbarmungslos eingeholt hatte, als Papa ihr verkündet hatte, sie könne Wolke nicht mit in ihr neues Heim nehmen.

Sie würde ein gutes, braves Pferd auf Gut Rosenthal bekommen, hatte ihr Vater gesagt. Das habe ihr Zukünftiger längst versprochen. Aber für Wolke sei kein Platz, und überhaupt, sie sollte nicht mehr so wild reiten, nun, da sie sicher auch bald ein Kind unter dem Herzen tragen würde.

»Ich habe die Frau von Stein gesehen, als diese ein Kind getragen hat, und es ist ganz sicher nicht unter ihrem Herzen gewesen«, hatte Lotte aufgebracht erwidert. Dann war sie in Tränen ausgebrochen. Wolke bedeutete ihr alles. Der Gedanke, bald von ihr getrennt zu sein, war, als schnitte man ihr das Herz aus der Brust.

»Was bedrückt dich, meine Liebe?«, fragte ihr Verlobter, als er sie zum dritten Mal an diesem Abend auf die Tanzfläche führte.

Andreas. Andreas von Eichberg. Lotte hatte sich noch nicht daran gewöhnt, ihn so zu nennen, noch nicht einmal in ihren Gedanken. Die Vorstellung, dass sie ihm morgen das Eheversprechen geben würde, war vollkommen unwirklich.

Lotte betrachtete ihren Verlobten aufmerksam. Er schien immer zu lächeln, auf eine hintergründige Weise, die ihn wirken ließ, als wüsste er ein wenig mehr als jeder andere um ihn herum. Das dunkle Haar, das ihm an der Stirn schon floh, sah ständig ein bisschen zerzaust aus, und der Schein der Petroleumlampen vertiefte die Falten in seinem Gesicht. Seine dunklen Augen, die stets aussahen, als risse er sie erstaunt auf, verliehen ihm trotz seines Alters etwas Kindliches, Argloses, genau wie sein Lächeln. Der jungenhafte Gesichtsausdruck wollte nicht so recht zu dem überaus klugen Funkeln in seinem Blick passen.

Andreas von Eichberg war ein guter Tänzer, ein faszinierender Gesprächspartner und immer sehr zuvorkommend. Ein Mann von tadellosen Manieren, geachtet in ganz Pommern. Er war von altem Adel, wohlhabend und dazu auch noch ein Offizier. Lotte konnte sich glücklich schätzen, einen Mann wie ihn zu bekommen. Aber stattdessen hatte sie keine Ahnung, wie sie überhaupt mit ihm umgehen solle, jetzt, da er ihr zukünftiger Ehemann war.

»Wolke«, sagte sie. »Meine Stute.«

»Ah«, erwiderte der Graf. »Wolke. Ein allerliebster Name für ein sehr hübsches Pferd. Doch ich fürchte, sie ist ein bisschen zu wild für Sie, meine Liebe.«

Lotte holte tief Luft, darum bemüht, nicht erneut zu weinen. Anschuldigungen, Vorwürfe, Tränen, das alles hatte ihr nicht geholfen.

»Ich reite schon seit Jahren auf Wolke«, sagte sie deshalb so sanft, wie es ihr nur möglich war. »Und sie war nie zu wild für mich.« Die Wahrheit war, dass Lotte und ihre Stute wie ein einziges Wesen waren. Wenn Wolke wild war, war auch Lotte wild, und wenn Lotte ruhig war, stand ihre Stute ruhig da. Und wenn sie traurig war, dann wusste sie, Wolke spürte es. »Ich habe sie aufgezogen. Wir gehören zusammen, und ich möchte sie mitnehmen.«

Er schüttelte entschieden den Kopf. »Und was, wenn Sie stürzen? Wenn Sie so ungebärdig reiten, verletzen Sie sich nur. Nein, meine Liebe, ich habe meine erste Frau verloren.« Seine Augen verdunkelten sich bei diesen Worten. »Sie möchte ich ganz sicher und wohlbehalten bei mir wissen.«

»Das tut mir leid«, erwiderte Lotte, hin- und hergerissen zwischen dem Zorn, der in ihr brodelte, und dem Mitleid, das seine Worte in ihr auslösten. »Aber ich werde bestimmt nicht stürzen. Auf dem Rücken meiner Stute bin ich so sicher wie an keinem anderen Ort auf der Welt.«

Ihr Verlobter nahm ihre Hand von seiner Schulter und umschloss sie mit den Fingern. »Meine Liebe, ich weiß, das alles muss ungewohnt für Sie sein. Doch Sie werden sehen, wir werden uns schon bald aneinander gewöhnen. Es braucht nur ein wenig Zeit. Ich verspreche Ihnen, bei mir wird es Ihnen niemals an etwas fehlen. Kleider, Schmuck – was immer Sie wünschen, Sie brauchen nur ein Wort zu sagen. Ihr Wohlergehen wird für mich von nun an an erster Stelle stehen, und ich hoffe, Sie freuen sich ebenso sehr wie ich auf den Tag, an dem Sie mir einen Sohn schenken werden.«

Kapitel 4

Man sah es ihr nicht sofort an – aber Lotte war ein Dickkopf.

Franz sagte immer, dass seine Schwester schon als Kind ausgesehen habe, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Dabei hatte sie es faustdick hinter den Ohren. Wenn Mama und Papa ihr auftrugen, im Damensattel zu reiten, sagte sie unbekümmert Ja und ritt dann doch im Männersitz. Wenn sie Taschentücher mit Blumen besticken sollte, stickte sie einen dicken Hasen mit runden Kulleraugen. Und die Schelte hielt sie mit einem entschuldigenden kleinen Lächeln aus, während sie schon ihren nächsten Streich ausheckte.

Der Tag ihrer Trauung bildete da keine Ausnahme.

Lotte wollte niemanden ärgern. Sie wollte auch ihren Eltern keinen Kummer machen oder dem Mann, den sie heute heiraten sollte. Das war das Problem. Sie mochte Andreas von Eichberg, die Begeisterung, wenn er von seinem geliebten Hengst Herzog sprach, oder die Art und Weise, wie sich seine Augen umwölkten, wenn er über seine verstorbene Frau Luise redete. Seine Schilderungen von Gut Rosenthal und seinem Gestüt hatten ihre Neugierde geweckt. Es musste ein wundervoller Ort sein, und ein Teil von ihr konnte es kaum erwarten, es schon bald selbst sehen zu können.

Aber schon seit sie denken konnte, war da eine Sehnsucht in ihr, die sie selbst nicht ganz verstand. Eine Heirat war in ihren Träumen nie vorgekommen. Stattdessen sah sie, wann immer sie die Augen schloss, weite Felder vor sich, Orte, die sie entdecken, und Menschen, die sie noch kennenlernen könnte. Sie sah sich selbst ohne Sorgen und ohne Pflichten und wusste zugleich, dass ein solches Leben nicht für sie bestimmt war. 

Die Trauung durch den Standesbeamten war kurz und schlicht gewesen und hatte im Standesamt von Breskow stattgefunden. Die kirchliche Vermählung am frühen Nachmittag hingegen war etwas ganz anderes.

Lotte trug ein Brautkleid aus cremefarbener Seide, eng an der Taille geschnürt und mit feiner Spitze versehen. Während die Schnüre festgezogen wurden, blickte sie in den Spiegel. Betrachtete ihr Gesicht, das auf einmal ernst und erwachsen aussah, ihre schmale, fast schon jungenhafte Gestalt, die in dem cremeweißen Kleid beinahe ätherisch wirkte, und die mit einem Schleier versehene Blumenkrone auf dem kunstvoll aufgesteckten Haar. Nur jungfräuliche Bräute durften mit einem frühlingsgrünen Kranz zur Trauung schreiten.

Als Mama ihr entzückt sagte, was für eine schöne Braut sie sei, hörte Lotte kaum zu. Die Frau im Spiegel war ihr vollkommen fremd. Es war, als hätte man sie in ein Kostüm gesteckt. Das, was sie im Spiegel sah, war nicht die Lotte, die sie im Inneren war. Diese Frau, mit den erschrocken wirkenden dunklen Augen, die sich anziehen ließ wie eine Puppe.

Es war ihr die ganze Nacht im Kopf herumgegangen, aber es war dieser Moment, in dem sie entschied zu rebellieren. Ein klein wenig. Gerade so viel, dass es ihre Hoffnung, Wolke eines Tages zurückzubekommen, nicht ganz zunichtemachte. Denn das wollte sie. Sie war fest entschlossen, ihren zukünftigen Ehemann zu überzeugen, ihr zu erlauben, Wolke zu sich zu holen.

Während der Trauung war ihr Hals wie zugeschnürt. Der Kloß darin war so groß, dass sie sich räuspern musste, ausgerechnet an der Stelle, an der der Pastor davon sprach, dass das Weib dem Manne Untertan sei. Sie wusste, dass jedermann es bemerkte. Der mürrisch dreinblickende Pastor, ihre Eltern in den Seitenbänken neben dem Altarraum, die aussahen, als wollten sie im Erdboden versinken, und ihr Bruder, der vor sich hin feixte.

Der Pastor hüstelte, aber sie tat, als bemerkte sie es nicht, und als sie ihn zum dritten Mal an der gleichen Stelle scheinbar zufällig unterbrach, übersprang er die Worte und fuhr mit entnervter Miene in der Trauungszeremonie fort.

Graf von Eichberg, der vor ihr in seiner Gardeuniform stand, schien unschlüssig zu sein, ob er verärgert sein sollte. Er hob eine Augenbraue und kräuselte ein wenig die Nase, und Lotte erlaubte sich ein kleines, spitzbübisches Lächeln. Sein Gesicht hellte sich augenblicklich auf. Nur mit Mühe verkniff sie sich ein erleichtertes Seufzen. Vielleicht würde es nicht so schlimm sein, mit ihm verheiratet zu sein. Vielleicht würde er ihr wahres, ungebärdiges Wesen akzeptieren können.

Als der Geistliche zum Ende kam und Andreas von Eichberg Lotte küsste, hielt sie ganz still. Seine Lippen waren trocken und erstaunlich kühl, und er roch nach Seife. Es braucht Zeit. Wieder erklang die Stimme ihrer Mutter in ihrem Kopf. Die Liebe braucht Zeit.

Aber Lotte wollte keine Liebe. Das hatte sie nie gewollt. Ihre Mutter liebte ihren Vater. Und deswegen ließ sie sich von ihm sagen, was sie zu tun und zu lassen hatte. Ihr Bruder liebte den Vater, und deshalb war er nach Berlin gegangen: weil er ihm unbedingt gefallen und ihm zeigen wollte, dass er zu etwas nütze war. Und sie, Lotte, liebte ihre Eltern von ganzem Herzen, und eigentlich war das der Grund, aus dem sie jetzt hier stand. Wenn man jemanden liebte, tat man Dinge, die gegen die innere Vernunft waren; man sagte Dinge, die man nicht meinte, um dem anderen nicht das Herz zu brechen – man verriet die eigene Seele. Liebe war das schlimmste aller Gefängnisse.

Gut Rosenthal, 1886

Die Chaussee nach Gut Rosenthal war von Kastanien gesäumt und von Laternen erleuchtet. Es sah so märchenhaft aus, dass Lotte für einige Momente sogar vergaß, warum sie hier war. Das Herrenhaus war ganz anders, als sie es sich vorgestellt hatte. In ihrer Vorstellung war es ein altes Gemäuer aus rotem Backstein gewesen, mit winzigen Fenstern und von dunklem Wald umgeben.

Aber Gut Rosenthal war nichts dergleichen. Es lag inmitten flacher Hügel, und Lotte konnte schon von Weitem die Pferdekoppeln jenseits der Wirtschaftsgebäude sehen, die das Herrenhaus rechts und links flankierten. Hinten im Hof lagen sicher die Ställe, genau wie auf Gut Breskow. Und das Herrenhaus selbst ...

Das Herrenhaus war wie ein Teil der Landschaft, die es umschloss. Das Haus war aus hellem Sandstein erbaut, und die Fassade war von Efeu überwuchert. Zum Eingang führte eine breite Freitreppe, an deren Fuß aufgereiht die Dienerschaft wartete. Das Haus hatte zwei Geschosse, hohe Fenster und Ziertürme. Vier Säulen trugen den Altan des Haupthauses, über dem ein breiter Balkon lag. Das Herrenhaus war von einem englischen Garten umgeben, wilder und ursprünglicher als die Gärten im französischen Stil.

Wie gebannt blickte Lotte aus der Kutsche hinaus ihrem Ziel entgegen. Die Hochzeitsfeier würde auf Gut Rosenthal stattfinden, denn es war viel prächtiger als das Gut ihrer Eltern. Lotte wusste nicht, was sie davon halten sollte, dass sie nun auf einmal die Gräfin von Eichberg war. Der Titel bedeutete ihr nichts.

Der Graf und die Gräfin von Breskow hingegen platzten schier vor Stolz darüber, dass ihre Tochter einen so wohlhabenden und angesehenen Mann geheiratet hatte. Die Familie Breskow hatte nur ein kleines Landgut, und Lotte hatte schon das ein oder andere Mal gehört, wie die Leute etwas verächtlich über ihren Vater sprachen. Er sei ein »Krautjunker«, kein Mann von Welt und auch nicht sehr wohlhabend. Stattdessen legte er selbst auf seinem Gut mit Hand an – sogar beim Ausmisten der Pferdeställe sah man ihn gelegentlich! Und jetzt heiratete seine Tochter einen der angesehensten und reichsten Männer Pommerns! Der gesellschaftliche Aufstieg war nicht nur ein Quell des Stolzes für ihre Eltern, sondern würde auch die Karriere ihres Bruders befeuern. Schließlich hatte sein neuer Schwager Verbindungen bis hinauf zum Kaiser.

Die Diener begrüßten den Grafen von Eichberg und seine Angetraute mit einem Glas Wein. Der Graf – Andreas, erinnerte sich Lotte, daran musste sie sich unbedingt gewöhnen – nahm einen Schluck und reichte das Getränk dann an sie weiter. Sie trank und warf das Glas über die Schulter. Es zerschellte am Boden. Das Gesinde lachte und klatschte ausgelassen, und nach kurzem Zögern fiel Lotte ein. Die Scherben bedeuteten, dass die Ehe glücklich sein würde.

Lotte versuchte, sich gleich alle Namen zu merken. Die Stubenmädchen hießen Editha und Alma, die Köchin Hilde, die Küchenmädchen Nele und Karla. Mamsell Brieger, die Wirtschafterin des Gutes, die Lotte ein wenig misstrauisch beäugte, stellte ihr ein hübsches rothaariges Mädchen namens Pia vor, das Lotte von nun an als Zofe aufwarten sollte.

Pia verhaspelte sich gleich bei der Begrüßung der »gnädigen Frau« und lief puterrot an. 

Lotte fiel ein gewaltiger Stein vom Herzen. Dem Himmel sei Dank, sie war nicht die Einzige, die sich unbeholfen anstellte!

Sie lernte auch den obersten Hausdiener Maximilian Walters kennen, außerdem Andreas' greisen Kammerdiener Gustav, den leicht angetrunken wirkenden Gutsverwalter Oskar Hartmann, den Kutscher und die Köchin des Gutes. Und dann waren da noch die Knechte und Stallburschen, der Schmied, die Stellmacher und der Sattler, der Hufschmied und außerdem der Stallmeister – beinahe wäre Lotte über ihre eigenen Füße gestolpert.

Das Licht der Laternen brachte sein blondes Haar zum Schimmern. Seine blauen Augen waren in der Dämmerung dunkel wie ein Mitternachtshimmel, und dieses Mal lag kein leiser Spott darin, sondern nur Erstaunen. Er war genauso verblüfft wie sie.

Irgendwo, in einem Teil ihres Verstandes, war Lotte bewusst, dass sie ihn viel zu lange anstarrte. Der Fremde vom Breskower Hügel. Der Mann, den sie in Gedanken längst zum Teil einer Welt gemacht hatte, in der sie gern leben würde – und in die sie doch nie mehr als einen flüchtigen Blick würde werfen können. Und jetzt stand er auf einmal vor ihr, und er war kein geheimnisvoller Fremder mehr, sondern ...

»Johann«, sagte er und verbeugte sich. »Gnädige Frau.« Er hatte sich schneller gefangen als sie.

»Natürlich«, sagte sie. »Es freut mich, Sie kennenzulernen, Johann.« Sie musste sich zwingen, den Blick von ihm abzuwenden und weiterzugehen. Ihr Herz schlug viel zu schnell, und ihre Wangen glühten. Sie war zu lange stehen geblieben. Hatte ihn zu lange angestarrt. Die verwirrten Blicke der Dienstboten entgingen ihr nicht. Stumm verfluchte sie sich dafür, dass sie nur wenige Momente gebraucht hatte, um etwas Ungeschicktes zu tun. Wieder einmal!

Sie befahl ihrem trommelnden Herzen, jetzt endlich Ruhe zu geben, und straffte sich kaum merklich. Warum musste sie ausgerechnet ihn hier treffen? Sie war ganz fest davon ausgegangen, dass sie ihn niemals wiedersehen würde.

Die Hochzeitsfeier war ausgelassen. Ein Orchester spielte, es wurden köstliche Speisen aufgetischt, und man geizte nicht mit teurem Portwein und prickelndem Champagner. Das kribbelnde Getränk stieg Lotte schon nach wenigen Schlucken zu Kopf. Es wurde gesungen und getanzt, bis tief in die Nacht hinein. Es war ein fröhlicher erster Abend auf Gut Rosenthal, und erst, als Pia Lotte lange nach Mitternacht in ihr Brautgemach begleitete und ihr beim Auskleiden half, fiel der jungen Gräfin von Eichberg, die kaum mehr aufrecht stehen konnte, ein, dass ihr nun noch die Hochzeitsnacht bevorstand.

Ihre Mutter hatte am Morgen einige sehr rätselhafte Bemerkungen zu den Dingen gemacht, die zwischen Mann und Frau vor sich gingen, wenn sie verheiratet waren – allerdings hatte sie so verschlüsselt gesprochen, dass Lotte, die eine klare Ansprache bevorzugte, kaum ein Wort verstanden hatte.

Alles, was sie wusste, war, dass sie sich in das weiche Himmelbett legen und auf ihren Ehemann warten sollte.

Lotte hielt es gerade zwei Sekunden im Bett aus. Dann war sie es leid, den Baldachin anzustarren und mit klopfendem Herzen zu warten. Sie sprang auf die Füße und erkundete das Zimmer, das nur von einer einzigen Lampe erleuchtet wurde. Die Wände waren weiß getüncht, die Möbel aus schwerem, dunklem Holz gefertigt und mit verspielten Schnitzereien verziert. Durch zwei hohe Fenster konnte man hinaus auf die von Kastanien gesäumte Chaussee sehen. Ihre Gedanken schweiften zu Wolke, und sofort traten ihr die Tränen in die Augen. Sie würde ihre Stute wiederbekommen. Sie musste einfach.

Als der Graf erschien, war Lotte gerade in die Betrachtung eines der Landschaftsgemälde versunken, die die Wände schmückten. Es zeigte einen rosafarbenen Himmel über den grünen Wiesen und sanften Hügeln Pommerns. Frühling. So würde dieses Bild heißen, wenn Lotte ihm einen Namen geben könnte. Nicht ihr Frühling, rau und wild und unstet, sondern der Frühling, der den ersten zarten Hauch von Sommer mit sich trug.

»Gefallen Ihnen die Gemälde?«

Sie fuhr herum und stellte dabei fest, dass sie leicht schwankte. Lotte hatte weder bemerkt, dass ihr Gemahl das Brautgemach betreten hatte, noch, dass der Champagner ihr so sehr zu Kopf gestiegen war. Andreas von Eichberg trug nur seine Nachtwäsche, und er lächelte, wie immer, wenn sie ihn sah.

»Sie sind wirklich hübsch«, bekannte Lotte, nachdem sie sich von ihrem ersten Schreck erholt hatte. Es stimmte. Alle Bilder, die die Wände in diesem Zimmer schmückten, waren hell und träumerisch, als hätte jemand nicht die reale Welt gemalt, sondern ein freundlicheres Abbild davon.

»Malen Sie?«

Er wirkte wirklich an der Antwort interessiert, weshalb Lotte einen Teil ihrer anfänglichen Beklommenheit verlor. Außerdem war sie beschwipst. Sie schenkte dem Grafen ein vergnügtes Lächeln. »Ich habe, was das angeht, zwei linke Hände. Mein Bruder sagte einmal, meine Bilder könnte man als Waffen im Krieg einsetzen – sie würden jeden Feind sogleich in die Flucht schlagen.«

Sein Lächeln verrutschte ein klein wenig, so als hätte sie ihn irgendwie enttäuscht. Sie war daran gewöhnt, dass sie die Menschen in ihrem Umfeld enttäuschte. Daher kümmerte es sie jetzt nicht allzu sehr. Davon abgesehen fühlte sich ihr Kopf immer noch so leicht an, dass sie glaubte, im nächsten Augenblick schon könnte sie durch das Fenster davonschweben wie ein Ballon.

»Sie sollten Ihre Malstunden wieder aufnehmen«, sagte Andreas von Eichberg freundlich. »Ich kann mir keine angenehmere Beschäftigung für eine junge Dame vorstellen als die Malerei. Ich werde Ihnen einen Lehrer besorgen – das wird schon.«

Sie war so angeheitert, dass sie sich einfach nicht zurückhalten konnte. »Sagen Sie bloß, Sie waren schon einmal eine junge Dame, Herr von Eichberg«, erwiderte sie mit einem glucksenden Lachen.

Er schien diese Neckerei nicht halb so lustig zu finden wie sie. »Meine Liebe, es steht mir nicht der Sinn nach solch spitzfindigen Bemerkungen«, entgegnete er, und als sie den Mund öffnen wollte, um zu protestieren, verschloss er ihr die Lippen mit einem Kuss.

»Ich möchte Wolke zurückhaben«, sagte sie, als er sie zum Bett führte. Ihre Stute war die ganze Zeit über in ihren Gedanken. Jeden Abend, seit Wolkes Geburt, hatte sie sich vor dem Schlafengehen in den Pferdestall geschlichen und ihr Gute Nacht gesagt. Es brach ihr das Herz, dass dies der erste Abend in Wolkes Leben war, in dem ihre Herrin sie nicht besuchen würde. Und Lotte wusste einfach, dass ihre Stute das spüren und sie vermissen würde. Dass sie die Welt nicht mehr verstehen würde.

»Wir werden darüber reden«, antwortete der Graf von Eichberg.

Lotte war beschwipst, aber dumm war sie nicht. Sie wusste, dass er sie nur vertröstete. »Andreas.« Zum ersten Mal benutzte sie von sich aus seinen Vornamen. »Bitte. Ich lerne auch malen. Aber ich möchte Wolke zu mir holen.«

»Ich verhandle nicht mit Ihnen, wenn Sie betrunken sind, meine Liebe.«

»Schön.« Lotte stützte sich auf die Ellenbogen. Sie lag jetzt auf dem Bett, und ihr Gemahl war über ihr. Das ängstliche Gefühl, das sie mit einem Mal überkam, drängte sie mit aller Kraft zurück. Das hier war wichtig. »Dann werden wir darüber reden, wenn ich wieder nüchtern bin.« Sie versuchte, ihrer Stimme Entschlossenheit zu verleihen. Was Wolke betraf, hatte sie nicht vor, klein beizugeben.

»Wenn Sie jetzt endlich still sind, meine Liebe, werde ich darüber nachdenken«, sagte ihr Gemahl. Er schien wieder nicht genau zu wissen, ob er sich über sie ärgern sollte oder nicht. Und er lächelte nach wie vor.

»Ich möchte, dass Sie es mir versprechen.«

Sanft, aber bestimmt fasste er sie bei der Schulter und drückte ihren Oberkörper in die Kissen. »Ich verspreche es Ihnen, meine Liebe. Wir reden gleich morgen über Ihr Pferd.«

Erst jetzt ließ sie zu, dass er ihr Nachthemd hochschob.

Kapitel 5

Die Ställe waren nicht schwer zu finden. Der Hof lag im Dunkeln, war nur von einer einsamen Laterne erleuchtet. Es war Frühling, beinahe Sommer, weshalb die meisten Pferde draußen auf der Weide standen. Einige der eleganten Vollblüter waren auch vor den Ställen angebunden.

Hier auf Gut Rosenthal wurden prächtige Vollblutaraber gezüchtet. Das Gestüt war in ganz Hinterpommern und, soweit Lotte wusste, auch weit darüber hinaus für seine prächtigen, exorbitant teuren Araber bekannt. Der Graf von Eichberg war selbst ein verdienter Offizier, und die meisten der auf Gut Rosenthal gezüchteten Tiere wurden zu Kavallerie-Pferden ausgebildet.

Lotte blickte sich wachsam um, aber sie war allein. Sie war schon immer gut darin gewesen, sich hinauszuschleichen – und vor ihrem Fenster auf Gut Rosenthal stand eine starke, alte Eiche, die nur ein kleines bisschen geknarzt hatte, als sie daran hinabgeklettert war.

Es war eine laue Nacht. Nachdem ihr Gemahl sich zurückgezogen hatte, war Lotte in ein einfaches Hauskleid geschlüpft und aus dem Fenster geklettert. Ganz kurz war ihr der Gedanke gekommen, dass sie jetzt vielleicht doch ein Pferd stehlen und zurück nach Hause reiten könnte.

Aber das war ja kindisch! Lotte stahl kein Pferd, und sie floh auch nicht. Unwirsch wischte sie sich über die Augen. Nein, keine Tränen. Sie hatte Ja gesagt. Sie hatte sich für dieses Leben entschieden, und sie würde es schaffen. Der Anfang sei schwer, das hatten alle gemeint. Und der Graf war ja kein bösartiger Mann. Er war nur ... Lotte hatte überhaupt nicht gewusst, wie ihr geschah. Er war viel zu schwer gewesen, und obwohl es schnell gegangen war, hatte es wehgetan.

Als er ihre Tränen gesehen hatte, hatte er ihr einen Kuss auf die Stirn gedrückt, ihr gesagt, das sei beim ersten Mal ganz normal, und sie werde sich daran gewöhnen. Dann hatte er sich von ihr heruntergerollt und war in seinem Schlafzimmer verschwunden, das durch eine Tür mit dem ihren verbunden war. Erst als sie ihn auf der anderen Seite der Wand hatte schnarchen hören, hatte sie gewagt, sich davonzuschleichen.

Und jetzt stand sie hier und wusste nicht weiter. Ein Teil von ihr wollte nach wie vor weglaufen. Vor allem und jedem. Und der andere Teil, der verdächtig nach ihrem Vater klang, sagte ihr, sie solle sich jetzt endlich zusammenreißen. Sie war eine erwachsene Frau, und genau so würde sie sich auch verhalten. Sie war nun hier, und sie würde nicht einfach aufgeben. Sie würde mutig sein und standhaft.

Und Gut Rosenthal war wunderschön. Es gab kein anderes Wort, um es zu beschreiben. In diesen Ort konnte man sich auf den ersten Blick verlieben. Die grünen Wiesen und die lichten Waldstücke, die sie auf dem Weg hierher passiert hatten. Der kleine See, der weiter vor ihr unter der silbernen Mondsichel glitzerte, und die dicht belaubten Bäume, die Ulmen und Pappeln, die sich auf einer Seite an sein Ufer schmiegten. Die Pferdekoppeln, auf denen die Tiere friedlich weideten, und das prächtige Herrenhaus natürlich, das sich so wunderbar in diese Landschaft einfügte und das hinter ihr mit seiner weißen Fassade wie ein Stern in der Nacht strahlte. Und dann die herrlichen Pferde, mit dem glänzenden braunen Fell, den schlanken Muskeln, die sich darunter abzeichneten ...

Eines der Tiere kam soeben über die im Mondlicht still daliegende Koppel getrottet und reckte den Kopf über den Zaun, als wollte es Lotte eine Frage stellen. 

Sie musste unwillkürlich lächeln. Was für eine wunderhübsche Braune, mit dieser glänzend schwarzen Mähne und der eleganten, muskulösen Statur! Als Lotte der Stute eine Hand zum Schnuppern hinhielt, kam das Tier ihr neugierig entgegen und ließ sich streicheln. Wieder musste Lotte die Tränen zurückdrängen. Und dann begann sie einfach zu reden, wie sie es mit Wolke immer tat. Sie sprach aus, was ihr gerade in den Sinn kam. Was sie ängstigte, was sie belastete und was sie sich erhoffte. Dass sie gerne wüsste, ob es einen vorgezeichneten Pfad für sie gab oder ob in Wahrheit tausend Möglichkeiten und tausend lose Enden für jeden Menschen existierten. Und dass sie nicht wusste, welche Vorstellung sie beängstigender fand.

»Ich wüsste gern deinen Namen«, flüsterte sie irgendwann und streichelte versonnen die Stute, die sich jetzt nach vorn neigte und anfing, an Lottes Rock zu kauen.

Sie stieß ein Lachen aus. »Hast du etwa Hunger?«

»Nein«, erklang da eine tiefe Stimme hinter ihr. »Sie ist nur verwöhnt.«

Mit einem kleinen Aufschrei fuhr Lotte herum.

Es war dunkel, aber sie erkannte ihn sofort. Das weizenblonde, vom Wind zerzauste Haar, die blauen Augen, dunkel unter dem nächtlichen Himmel, und die gebräunte Haut unter den nachlässig hochgekrempelten Ärmeln. »Sommer«. So hatte sie ihn heimlich genannt, weil er aussah, als hätte ein Spätsommertag sich in einen Mann verwandelt.

»Sie haben mich erschreckt!«, bekannte sie nach einigen Sekunden der Stille, als es ihr endlich gelungen war, ihr aus dem Takt geratenes Herz zu beruhigen. Er hatte ihr wirklich einen Schrecken eingejagt.

»Ich bitte vielmals um Verzeihung«, erwiderte er ohne jede Spur von Reue. »Gnädige Frau.«

Sie wollte ihm sagen, dass er sie auf gar keinen Fall so nennen sollte, dass diese Anrede albern klang, als wäre sie ihre eigene Großmutter ... Im letzten Moment biss sie sich auf die Zunge. Es hatte sich die ganze Zeit angefühlt wie ein verrückter Traum, aber mittlerweile wusste ihr Körper mit aller Gewissheit, dass es keiner war. Es wurde Zeit, dass ihr Verstand das auch einsah: Sie war die Gräfin Charlotte von Eichberg, und es gab kein Zurück mehr.

Sie reckte das Kinn. »Sie hätten Ihr Nahen ankündigen können.«

»Das ist mein Stall«, entgegnete er nur.

Sie hob die Augenbrauen. »Oh, wie dumm von mir. Bis zu diesem Moment bin ich fest davon ausgegangen, dass dieser Hof mit all seinen Gebäuden meinem Ehemann gehört.«

Seine Miene blieb unbewegt, aber ganz kurz glaubte sie, einen Hauch von Belustigung in seinen Augen zu sehen. Er kam näher und klopfte der Stute den Hals. Unwillkürlich richtete Lotte sich etwas auf. Er kam ihr größer vor als bei ihrer Begegnung auf dem Hügel, und seine Nähe machte Lotte nervös. Schweigend und mit vor der Brust verschränkten Armen beobachtete sie, wie die Stute auf ihn reagierte. Sie wieherte erfreut und drückte den Kopf gegen seinen Brustkorb.

»Sollten Sie nicht längst schlafen?«, fragte er irgendwann und drehte sich halb zu ihr um.

Lotte wollte nicht, dass er hier war. Für ihn war sie das namenlose Mädchen auf dem Weg ins Abenteuer gewesen, und jetzt ... jetzt sah er sie als die, die sie nun einmal war. In dem Leben, das sie sich nicht ausgesucht hatte. Warum musste ausgerechnet er sie so sehen, in dieser Nacht, verletzlicher, als sie es je zuvor gewesen war?

»Und Sie?«, entgegnete sie. »Sollten Sie nicht ... ich weiß nicht, irgendwo anders sein? Ist Ihnen nicht der Gedanke gekommen, dass ich ernsthafte Dinge mit dieser ... charmanten Stute zu besprechen habe und Sie uns dabei stören?«

Er lachte leise, ohne sie anzusehen. »Sie sollten wirklich reingehen, gnädige Frau.«

Sie machte keine Anstalten, seinen Rat zu befolgen. Stattdessen beobachtete sie ihn.

Irgendwann stieß er ein entnervtes Seufzen aus und wandte sich ihr wieder zu. »Kann ich Ihnen helfen, gnädige Frau?«

»Eigentlich wollte ich allein sein«, sagte sie. »Aber da Sie schon einmal hier sind, können Sie mir auch gleich verraten, wie meine neue Freundin heißt.«

Er drehte sich wieder zu der Stute um. Eine Weile sprach niemand ein Wort, und nur die Geräusche der Pferde durchbrachen die nächtliche Stille. »Sie heißt Feline«, antwortete er schließlich und kraulte die Stute zwischen den Ohren, was diese mit einem erfreuten Schnauben quittierte.

»Sie ist sehr hübsch«, bemerkte Lotte leise und trat einen Schritt näher heran.