Gute Chefs essen zuletzt - Simon Sinek - E-Book

Gute Chefs essen zuletzt E-Book

Simon Sinek

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Beschreibung

Ohne ein gutes, verlässliches Team könnten viele Führungskräfte ihre Ziele niemals erreichen. Doch leider werden viele Teams von internen Machtkämpfen, Streitigkeiten und den daraus resultierenden Misserfolgen ausgebremst – und die Führungskräfte schaffen es dann oft auch mit Leistungsanreizen oder Belohnungen nicht, ein Team wieder in die Spur zu bekommen. Doch warum sind hier manche Vorgesetzte oft erstaunlich hilflos? Die Antwort wurde Simon Sinek während einer Unterhaltung mit einem General des Marine Corps offensichtlich. Dieser erläuterte die Tradition: »Offiziere essen immer zuletzt.« Was in der Kantine noch symbolisch gemeint ist, wird auf dem Schlachtfeld todernst: Gute Anführer opfern ihren eigenen Komfort, sogar ihr eigenes Leben, zum Wohl derer, die ihnen unterstehen. Sinek überträgt diese Tradition auf Unternehmen, wo sie bedeutet, dass die Führungskraft einen sogenannten Safety Circle, einen Sicherheitskreis, bilden muss, der das Team vor Schwierigkeiten von außen schützt. Nur so bildet sich im Unternehmen eine vertrauensvolle Atmosphäre. Der Sicherheitskreis führt zu stabilen, anpassungsfähigen und selbstbewussten Teams, in denen sich jeder zugehörig fühlt und in denen alle Energie darauf verwendet wird, die gemeinsamen Ziele zu erreichen. Chefs, die bereit sind, als letzte zu essen, werden mit zutiefst loyalen Kollegen belohnt und schaffen so konfliktfreie, motivierte und erfolgreich Teams.

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Seitenzahl: 424

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Simon Sinek

Gute Chefs essen zuletzt

Das Buch ist den Männern und Frauen der United States Airforce gewidmet – von Euch habe ich mehr darüber gelernt, was es heißt, menschlich zu sein, als jemals von einem Zivilisten.

Simon Sinek

Gute Chefs essen zuletzt

Warum manche Teams funktionieren – und andere nicht

Übersetzung aus dem Englischen von Christian Gonsa

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

9. Auflage 2024

© 2017 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Türkenstraße 89

80779 München

Tel.: 089 651285-0

© der Originalausgabe 2014 by SinekPartners LLC

Die englische Originalausgabe erschien 2014 bei Portfolio, einem Imprint der Penguin Publishing Group, einer Abteilung der Penguin Random House LLC, unter dem Titel Leaders Eat Last.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Übersetzung: Christian Gonsa

Redaktion: Ulrike Kroneck, Melle-Buer

Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer

Umschlagabbildung: shutterstock.com/dimoxa1100

Satz: des2com_Matthias von der Preuß, Berlin

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-86881-662-4

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86414-944-3

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86414-943-6

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.redline-verlag.de

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Inhalt

Vorwort

DIE KRAFT

Teil 1: Das Bedürfnis nach Sicherheit

1. Schutz von oben

2. Angestellte sind auch Menschen

3. Dazugehören

4. Ja, aber …

Teil 2: Mächtige Verbündete

5. Genug ist genug

6. E.D.S.O.

7. Das große C

8. Warum wir Führungspersönlichkeiten brauchen

Teil 3: Die Realität

9. Der Mut, das Richtige zu tun

10. Ein Schneefahrzeug in der Wüste

DER WEG, DEN WIR GEHEN

Teil 4: Wie es so weit kommen konnte

11. Der Boom vor dem Crash

12. Die Babyboomer sind erwachsen geworden

Teil 5: Die Gefahr der Abstraktion

13. Abstraktion tötet

14. Moderne Abstraktion

15. Wie wir die Abstraktion in den Griff bekommen

16. Ungleichgewichte

HERAUSFORDERUNGEN UND VERSUCHUNGEN

Teil 6: Destruktiver Überfluss

17. Führung Lektion 1: Wie die Unternehmenskultur, so auch das Unternehmen

18. Führung Lektion 2: Wie der Chef, so die Unternehmenskultur

19. Führung Lektion 3: Integrität zählt

20. Führung Lektion 4: Freunde sind wichtig

21. Führung Lektion 5: Führen Sie Menschen, nicht Zahlen

DER ABGRUND

Teil 7: Eine Gesellschaft von Abhängigen

22. Wir selbst sind der Kern des Problems

23. Koste es, was es wolle

24. Die abstrakte Generation – die größten Verlierer

Teil 8: Wie man eine Führungspersönlichkeit wird

25. Schritt 12

26. Der gemeinsame Kampf

27. Wir brauchen mehr Führungspersönlichkeiten

Danksagung

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

Führer sind die, die als Erste in das Unbekannte vorstoßen. Sie werfen sich der Gefahr entgegen.

Sie stellen ihre eigenen Interessen zurück, um uns zu beschützen und uns für die Zukunft zu rüsten.

Führer würden ihr Eigentum opfern, um unseres zu schützen. Niemals würden sie unser Eigentum opfern, um ihres zu retten.

Das ist es, was Führer ausmacht.

Es bedeutet, dass sie die Ersten sind, die sich in Gefahr begeben und sich kopfüber ins Unbekannte stürzen.

Und wenn wir sicher sind, dass sie uns beschützen, werden wir ihnen folgen und unermüdlich arbeiten, um ihre Visionen zu verwirklichen, und wir werden stolz sein, zu ihnen zu gehören.

Vorwort

Ich kenne keinen einzigen Fall, in dem eine Organisation durch ihr Management aus einer Krise geführt wurde. Ausnahmslos alle wurden von Führungspersönlichkeiten gerettet. Trotzdem konzentriert sich immer noch ein großer Teil unserer Ausbildungsstätten und Kurse darauf, effektive Manager zu trainieren, statt Menschen zu Führungspersönlichkeiten zu entwickeln. Kurzfristige Gewinne sind der Maßstab des Erfolgs, langfristiges Wachstum und Lebensfähigkeit einer Organisation bleiben auf der Strecke. Gute Chefs essen zuletzt ist ein Versuch, dieses Muster zu ändern.

In Gute Chefs essen zuletzt formuliert Simon Sinek nicht irgendeine neue Theorie über die richtige Menschenführung und ihre Grundprinzipien. Sein Ziel geht darüber weit hinaus. Simon will die Welt besser machen. Er hat eine klare Vision: Eine neue Generation von Frauen und Männern heranzuziehen, die verstehen, dass Erfolg oder Misserfolg einer Organisation von hervorragenden Führungspersönlichkeiten abhängt, nicht von guten Managern.

Es ist kein Zufall, dass Simon gerade die US-Streitkräfte, und speziell das US-Marine-Corps, auswählte, um zu zeigen, dass das Personal für Führungskräfte absoluten Vorrang haben muss. In den Streitkräften gibt es eine stark ausgeprägte Organisationskultur, gemeinsame Werte und ein klares Verständnis für die Wichtigkeit von Teamarbeit, gegenseitigem Vertrauen und Konzentration auf ein Ziel; das Wichtigste aber, den Streitkräften ist klar, dass Menschen und menschliche Beziehungen für den Erfolg der Mission wesentlich sind. Sie haben auch eine Aufgabe übernommen, bei der ein Misserfolg eine Katastrophe heraufbeschwören kann. Das Scheitern der Mission ist undenkbar. Es kann kein Zweifel bestehen, es sind die Menschen, die den Erfolg unseres Militärs ausmachen.

Wenn Sie Marines beim gemeinsamen Essenfassen beobachten, werden Sie feststellen, dass den Offiziersanwärtern zuerst serviert wird, den dienstältesten Offizieren aber zuletzt. Wenn Sie dieses Ritual verfolgen, werden Sie auch erkennen, dass keine Befehle gegeben werden. Marines machen das einfach so. Und dieses Verhalten zeigt uns, was im Marine-Corps Führen bedeutet.

Von Offizieren wird bei den Marines erwartet, dass sie als Letzte essen, denn der Preis für die Führungsrolle ist die Bereitschaft, die eigenen Bedürfnisse den Bedürfnissen der anderen unterzuordnen. Große Führungskräfte haben ein aufrichtiges Interesse am Wohlergehen derer, die sie führen dürfen, und erkennen, dass der Preis für das Privileg des Führens die Zurückstellung der eigenen Interessen ist.

In seinem vorhergehenden Buch Frag immer erst: Warum. Wie Topfirmen und Führungskräfte zum Erfolg inspirieren erklärte Simon, dass eine Organisation nur dann erfolgreich ist, wenn ihre Führungskräfte den wahren Zweck der Organisation verstehen – »das Warum«. In Gute Chefs essen zuletzt geht Simon einen Schritt weiter im Verständnis des Phänomens, dass manche Organisationen erfolgreicher sind als andere. Er tut das, indem er uns detailliert erklärt, was Führen bedeutet. Es ist nicht genug, »das Warum« zu kennen; Sie müssen die Menschen in Ihrer Organisation kennen und zur Kenntnis nehmen, dass sie mehr sind als ausbaufähige Ressourcen. Berufliche Fähigkeiten allein machen keine Führungspersönlichkeit; gute Führungskräfte müssen ein echtes Interesse an den Menschen haben, die ihnen anvertraut sind.

Gutes Management ist eindeutig nicht genug, um eine Organisation langfristig abzusichern. Simons detaillierte Auseinandersetzung mit den Grundelementen des menschlichen Verhaltens zeigt, dass es fundierte Gründe gibt, warum manche Organisationen kurzfristig erfolgreich sind, aber letztlich scheitern: Die Führung hat es nicht geschafft, ein Unternehmensklima zu schaffen, in dem der menschliche Faktor wirklich zählt. Wie Simon betont, sind Organisationen langfristig sowohl in guten als auch in schlechten Zeiten erfolgreich, wenn ihr Personal gemeinsame Werte hat und geschätzt wird.

John Quincy Adams hätte Simons Botschaft verstanden, denn ihm war klar, was es heißt, eine Führungspersönlichkeit zu sein. Er sagte: »Wenn deine Handlungen andere dazu inspirieren, mehr Träume zu haben, mehr zu lernen, mehr zu tun und besser zu sein, dann bist du eine Führungspersönlichkeit.« In diesen Zeilen spiegelt sich die Botschaft von Gute Chefs essen zuletzt wider. Wenn Führungskräfte die Menschen, die sie führen, inspirieren, dann träumen diese von einer besseren Zukunft, investieren Zeit und Mühe in ihr Studium, arbeiten mehr für ihre Organisation und werden im Lauf der Zeit selbst zu Führungskräften. Eine Führungskraft, die wahres Interesse an den Menschen hat und sich auf das Wohl der Organisation konzentriert, kann nicht scheitern. Ich hoffe, dass Führungskräfte nach dem Lesen dieses Buches tatsächlich inspiriert sein werden, immer als Letzte zu essen.

George L. Flynn

Generalleutnant, US-Marine-Corps (i. R.)

Teil 1: Das Bedürfnis nach Sicherheit

1. Schutz von oben

Eine dicke Wolkenschicht schirmte jegliche Lichtquelle ab. Es waren kein Mond und keine Sterne zu sehen. Alles war schwarz. Die Einheit arbeitete sich langsam im Tal vor, der felsige Untergrund machte es unmöglich, sich schneller als im Schneckentempo vorwärts zu bewegen. Was schlimmer war: Sie wussten, dass sie beobachtet wurden. Alle waren nervös.

Es war noch kein Jahr vergangen seit den Terroranschlägen vom 11. September. Die Taliban-Regierung war erst vor kurzem gestürzt, nach einer massiven Attacke der US-Streitkräfte im Anschluss an die Weigerung der Taliban, Osama bin Laden, den Führer von al-Qaida, auszuliefern. Damals wurden im Kampfgebiet viele Kommandoaktionen durchgeführt, die bis heute geheim gehalten werden. Die Einheit war eine dieser Spezialeinheiten auf geheimer Mission.

Wir wissen nur, dass die Einheit mit 22 Mann tief im Feindesland operierte und vor kurzem eine Zielperson gefasst hatte, die von der Regierung als »hochwertiges Ziel« bezeichnet wurde. Sie arbeiteten sich nun durch ein tiefes Tal in einem gebirgigen Teil Afghanistans, um das hochwertige Ziel zu einem sicheren Unterschlupf zu bringen.

Über der dicken Wolkendecke1 kreiste in dieser Nacht Kapitän Mike Drowley, nach seinem Anrufsignal und Spitznamen auch Johnny Bravo genannt. Abgesehen von den surrenden Maschinen war es dort oben völlig still und friedlich. Tausende Sterne funkelten am Himmel, und der Mond beleuchtete die oberste Wolkenschicht so stark, dass es den Anschein hatte, als wäre Schnee gefallen. Es war schön.

Johnny Bravo und der Pilot des Begleitflugzeuges kreisten in ihren A-10-Maschinen, bereit einzugreifen, wenn sie am Boden gebraucht wurden. Die A-10, liebevoll Warzenschwein genannt, ist technisch gesehen kein Kampfflieger; sie ist ein Bodenkampfflugzeug. Sie ist ein relativ langsamer, gepanzerter Einsitzer, der dazu da ist, den Bodentruppen Luftnahunterstützung zu bieten. Sie ist nicht so schnell und nicht so sexy wie andere Kampfjets (daher auch ihr Spitzname), aber sie erledigt ihre Aufgabe effizient.

Die beiden A-10-Piloten in der Luft und die Bodentruppen hätten es vorgezogen, in Sichtkontakt zu bleiben. Es stärkt das Selbstvertrauen der Soldaten, wenn sie die Flugzeuge am Himmel sehen und wissen, dass sie sie beschützen. Und den Piloten gibt es die Sicherheit, dass sie in der Lage sein werden zu helfen, wenn es notwendig ist. Doch angesichts der dicken Wolkendecke und des gebirgigen Terrains konnten sie sich nur durch gelegentlichen Funkkontakt der Position des anderen vergewissern. Ohne Sichtkontakt konnte Johnny Bravo nicht sehen, was die Truppen sahen, er konnte aber aus dem, was er über Funk hörte, schließen, wie sie sich fühlten. Und das genügte ihm, um aktiv zu werden.

Er folgte seinem Instinkt und beschloss einen Sturzflug durchzuführen, das heißt sich durch die Wolkendecke nach unten fallen zu lassen, um zu sehen, was am Boden vor sich ging. Es war ein waghalsiges Manöver. Die dicke, tief hängende Wolkendecke, die Stürme in der Region und die Tatsache, dass Johnny Bravo in ein Tal abtauchen würde, obwohl sein Blickfeld durch das Nachtsichtgerät eingeschränkt war, machten den Blindflug durch die Wolken selbst für den erfahrensten Piloten zu einer höchst gefährlichen Unternehmung.

Niemand hatte Johnny Bravo befohlen, dieses riskante Manöver durchzuführen. Man hätte ihm höchstens befohlen, die Ereignisse eng zu verfolgen und einzugreifen, wenn er um Hilfe gerufen wurde. Aber Johnny Bravo ist nicht wie die meisten anderen Piloten. Obwohl er sich Tausende Meter über ihnen in einem sicheren Cockpit befand, spürte er die große Unruhe der Männer unten. Trotz der Gefahr, in die er sich begab, wusste er, dass der Sturzflug notwendig war. Das aber bedeutete für Johnny Bravo, dass er keine andere Wahl hatte.

Und dann, gerade als er sich darauf vorbereitete, durch die Wolken in das Tal hinabzutauchen, bestätigte sich sein unbestimmter Instinkt. Durch das Funkgerät kamen drei Wörter. Drei kleine Wörter, die einem Piloten das Blut in den Adern gerinnen lassen: »Truppen haben Feindberührung.«

»Truppen haben Feindberührung« heißt, dass jemand dort unten am Boden in Schwierigkeiten steckt. Es ist der Funkruf, den die Bodentruppen verwenden, wenn sie angegriffen werden. Obwohl Johnny Bravo diese Worte während des Trainings schon oft gehört hatte, hörte er das »Truppen haben Feindberührung« in dieser Nacht, dem 16. August 2002, zum ersten Mal in einer Gefechtssituation.

Johnny hatte einen Weg gefunden, sich in die Männer am Boden hineinzuversetzen. Zu fühlen, was sie fühlten. Bei jedem Trainingsflug über dem Kampfgebiet ließ er die Szene des Films Der Soldat James Ryan vor sich ablaufen, in der die Alliierten in einer stürmischen Nacht an den Stränden der Normandie landeten. Er stellte sich vor, wie die Rampe des Landungsbootes herabfiel und die Männer unter deutschem Beschuss zum Strand wateten. Rund um sie pfiffen die Kugeln. Verirrte Kugeln prallten auf die Stahlhülle der Boote. Da waren die Schreie der Getroffenen. Johnny Bravo war darauf geeicht, sich jedes Mal diese Szene vor Augen zu führen, wenn er den Funkruf »Truppen haben Feindkontakt« hörte. Mit diesem Bild lebhaft vor seinen Augen reagierte Johnny Bravo auf den Hilferuf.

Er wies das Begleitflugzeug an, dicht über der Wolkendecke zu fliegen, kündigte den Flugleitern und den Truppen am Boden sein Vorhaben an und tauchte mit seinem Flugzeug in die Finsternis hinab. Beim Passieren der Wolkenschicht wurde er wild hin und her geworfen. Ein harter Stoß nach links. Ein plötzliches Luftloch. Ein Ruck nach rechts. Im Gegensatz zu den Flugzeugen der zivilen Luftfahrt, mit denen wir fliegen, wird in den A-10-Maschinen keine Rücksicht auf die Bequemlichkeit der Insassen genommen, das Flugzeug machte daher Luftsprünge und wurde stark durchgeschüttelt, als es durch die Wolkendecke tauchte.

Als Johnny Bravo in das Unbekannte eintauchte, ohne zu wissen, was ihn erwartete, konzentrierte er sich auf seine Instrumente, um so viel Information wie möglich aufzunehmen. Seine Augen wanderten von einem Messgerät zum nächsten, unterbrochen von kurzen Blicken durch die Frontscheibe. Höhe, Geschwindigkeit, Kurs, und wieder die Frontscheibe. Höhe, Geschwindigkeit, Kurs, Frontscheibe. »Es. Muss. Gut. Gehen. Bitte. Es. Muss. Gut. Gehen. Bitte«, flüsterte er.

Als er schließlich durch die Wolkendecke brach, war er kaum 300 Meter über dem Boden in einem Tal. Was ihn erwartete, hatte er noch nie zuvor erlebt, weder im Training noch im Kino. Von beiden Seiten des Tales kam feindliches Feuer. Massives Sperrfeuer. Es war so intensiv, dass die Leuchtspuren – die Lichtstreifen, die den Kugeln folgten – das gesamte Gebiet beleuchteten. Kugeln und Granatfeuer zielten in die Mitte, alle schossen direkt auf die Spezialeinheit, die tiefer unten im Tal festgenagelt lag.

Im Jahr 2002 war die Bordelektronik noch nicht so ausgereift wie heute. Seine Instrumente konnten Johnny Bravo nicht davor bewahren, gegen die Berghänge zu prallen. Noch schlimmer war, dass er alte sowjetische Karten hatte, Relikte aus der Invasion in Afghanistan in den achtziger Jahren. Aber er würde die Truppen unter keinen Umständen in Stich lassen. »Es gibt ein schlimmeres Schicksal als den Tod«, würde er später feststellen. »Ein Schicksal, schlimmer als der Tod, wäre die irrtümliche Tötung der eigenen Kameraden. Schlimmer als der Tod wäre es auch, unverletzt nach Hause zu kommen, wenn 22 andere auf der Strecke geblieben sind.«

Und deshalb begann Johnny Bravo in dieser pechschwarzen Augustnacht zu zählen. Er wusste, mit welcher Geschwindigkeit er flog, und er kannte die Distanz zu den Berghängen. Schnell machte er seine Berechnungen, dann zählte er laut die Sekunden, die ihm bis zum Aufprall an der Talwand blieben. »Eins eintausend, zwei eintausend, drei eintausend …« Er richtete sein Bordgeschütz auf eine Stelle, von der aus ein große Zahl feindlicher Feuerstöße abgefeuert wurde, und zog am Abzug seiner automatischen Gatling-Maschinenkanone. »Vier eintausend, fünf eintausend, sechs eintausend …« Als ihm der Platz ausging, zog er am Steuerknüppel und machte eine scharfe Wende. Seine Motoren heulten auf, als er wieder in die Wolken eintauchte, um eine Kollision mit den Bergen zu vermeiden. Sein Körper wurde durch die Fallbeschleunigung in den Pilotensitz gepresst, als er zur nächsten Runde ansetzte.

Doch das Funkgerät blieb still. Es war eine unerträgliche Stille. Bedeutete das, dass seine Geschosse nichts bewirkt hatten? Bedeutete es, dass der Funker außer Gefecht gesetzt worden war? Schlimmer, bedeutete es, dass die ganze Truppe ausgeschaltet worden war?

Da kam der Funkruf. »Volltreffer! Volltreffer! Weiter so!« Und er machte weiter. Er flog eine zweite Runde, wieder zählte er, um nicht gegen die Berge zu prallen. »Eins eintausend, zwei eintausend, drei eintausend …« Eine weitere scharfe Wende, und dann noch ein Durchgang; noch einer; und noch einer; er landete gute Treffer und hatte reichlich Sprit. Sein Problem war, dass ihm die Munition ausging.

Er lenkte sein Flugzeug durch die Wolken hinauf, zurück zu seinem Begleitflugzeug, das immer noch über den Wolken kreiste. Johnny Bravo unterrichtete seinen Partner schnell, wie die Lage unten war, und sagte ihm dann nur: »Fliege mir nach.« Die beiden A-10 tauchten in die Wolken ein, Flügel an Flügel, mit einem Meter Abstand.

Als sie, weniger als 300 Meter über dem Boden, aus der Wolkenschicht hervorkamen, flogen sie gemeinsame Angriffe. Johnny Bravo zählte, der Begleitpilot folgte ihm und feuerte. »Eins eintausend. Zwei eintausend. Drei eintausend. Vier eintausend …« ein Stichwort, und die beiden Flugzeuge vollzogen Kehren mit extremer Beschleunigung; und sie drehten Runde um Runde, wieder und wieder. »Eins eintausend. Zwei eintausend. Drei eintausend. Vier eintausend.«

In dieser Nacht kehrten 22 Mann zurück in die Basis. Es gab keine Verluste auf amerikanischer Seite.

Der Wert der Empathie

In dieser Augustnacht riskierte Johnny Bravo sein Leben, damit andere eine Überlebenschance hatten. Er bekam keine Bonuszahlung. Er wurde nicht befördert und erhielt keine Auszeichnung vor versammelter Truppe. Er suchte keine unangemessene Aufmerksamkeit, er brauchte keine Reality-TV-Show, um seine Verdienste ins rechte Licht zur rücken. Für Johnny Bravo war es einfach sein »J.O.B.«, wie er es formulierte. Die größte Belohnung für seinen Dienst war das Treffen mit den Menschen, denen er in dieser Nacht so hervorragende Luftunterstützung gewährt hatte. Obwohl sie sich zuvor noch nie gesehen hatten, umarmten sie sich wie alte Freunde, als es schließlich so weit war.

Wenn wir in hierarchischen Strukturen arbeiten, wollen wir, dass die Leute an der Spitze sehen, was wir zuwege gebracht haben. Wir machen uns bemerkbar, um Anerkennung zu ernten und eine Belohnung zu erhalten. Die meisten messen ihren Erfolg an der Aufmerksamkeit, die sie von der Spitze der Hierarchie bekommen. Das ist ein System, das nur funktioniert, solange ein bestimmter Vorgesetzter, der uns führt, in der Firma bleibt und keinen übertriebenen Druck von oben fühlt – genau das aber ist auf lange Sicht kaum zu vermeiden. Johnny Bravo und seinesgleichen sind nicht durch die Anerkennung von oben dazu motiviert, erfolgreich zu sein und den Interessen der Organisation zu dienen; sie sind wesentliche Bestandteile einer Kultur, die die Selbstaufopferung und den Dienst an der Sache zum Inhalt hat und in der auf allen Organisationsebenen Schutz geboten wird.

Es gibt etwas, so Johnny Bravo, das ihm den Mut gibt, ins Ungewisse vorzustoßen, manchmal im Wissen, dass er möglicherweise nicht zurückkehren wird. Es ist wahrscheinlich nicht das, was Sie erwarten würden. So wertvoll es war, es ist nicht das Einsatztraining. Trotz aller Schulungen, die er durchlief, ist es auch nicht seine Ausbildung. Und so außergewöhnlich auch die technischen Geräte sind, die er zur Verfügung hatte, auch sein Flugzeug und seine hochentwickelten Systeme sind es nicht. Es ist nicht die Technologie, die er zur Verfügung hat, sagt Johnny Bravo, es ist seine Empathie, die ihn dazu befähigt, seinen Job zu erledigen. Fragen Sie einen beliebigen Mann oder eine beliebige Frau in Uniform, die ihr Leben für andere riskieren, und sie werden Ihnen alle dasselbe sagen: »Weil meine Kameraden dasselbe für mich tun würden.«

Warum gibt es Menschen, die handeln wie Johnny Bravo? Sind sie schon so auf die Welt gekommen? Einige sind es vielleicht. Aber wenn unser Arbeitsumfeld eine bestimmte Qualität hat, ist jeder von uns in der Lage, den Mut und die Selbstaufopferung eines Johnny Bravo aufzubringen. Obwohl man wahrscheinlich nicht von uns fordern wird, dass wir unser Leben oder das Leben anderer aufs Spiel setzen – zumindest unseren Ruhm werden wir teilen und denen zum Erfolg verhelfen, mit denen wir arbeiten. Was noch wichtiger ist, unter den richtigen Umständen würden die Menschen, mit denen wir arbeiten, dasselbe auch für uns tun. Wenn das geschieht, wenn Beziehungen geknüpft werden, die diese Qualität haben, dann wird ein festes Fundament gelegt für die Art von Erfolg und Erfüllung, die sich nicht mit Geld, Ruhm oder Auszeichnungen kaufen lässt. Das ist der Fall, wenn wir in einer Organisation arbeiten, in der die Führungskräfte dem Wohlergehen ihrer Angestellten Priorität einräumen und die Angestellten alles tun, um die anderen und die Organisation zu schützen und ihr Wohlergehen zu garantieren.

Zur Illustration meines Argumentes ziehe ich das Militär heran, weil die Lehren, die wir aus etwas ziehen, besser auf den Punkt gebracht werden können, wenn es um Leben und Tod geht. Die Organisationen, die große Erfolge erzielen, die ihre Konkurrenz ausmanövrieren und innovativer als andere sind, die intern, aber auch außerhalb den größten Respekt genießen, die die höchste Loyalität und die geringste Fluktuationsrate aufweisen, die nahezu jeden Sturm überdauern können, haben eine Gemeinsamkeit. Alle diese außergewöhnlichen Organisationen verfügen über eine Unternehmenskultur, in der die Angestellten Schutz von oben bekommen und in der die Angestellten sich umeinander sorgen. Das ist der Grund, warum sie bereit sind, ihre Grenzen zu überschreiten und Risiken einzugehen. Und es ist Empathie, die das möglich macht.

2. Angestellte sind auch Menschen

Bevor es in der Firma Empathie2 gab, war die Arbeit – na ja, Arbeit eben. Die Fabrikarbeiter standen jeden Tag vor ihren Maschinen und warteten darauf, beim Klang der Glocke ihre Arbeit zu beginnen. Wenn es läutete, drückten sie wie auf Kommando die Schalthebel und warfen ihre Maschinen an. Nach wenigen Sekunden verdrängte das Brummen der Maschinen den Klang der Stimmen. Der Arbeitstag hatte begonnen.

Nach zwei Stunden läutete eine andere Glocke und kündigte damit die erste Pause für die Arbeiter an. Die Maschinen hielten an und die meisten Arbeiter verließen ihre Plätze. Einige suchten die Toiletten auf. Andere holten sich noch einen Kaffee. Einige saßen einfach bei ihren Maschinen und ruhten sich aus, bis die Glocke befahl weiterzuarbeiten. Nach einigen Stunden läutete die Glocke erneut, diesmal, um anzuzeigen, dass sie nun das Gebäude zum Mittagessen verlassen durften. So war es immer gewesen.

»Ich kannte nichts anderes«, sagte Mike Merck, Leiter eines Montageteams, der seit vierzehn Jahren bei HayssenSandiacre arbeitete, in seinem schweren Südstaatendialekt. »Ich glaube, jeder in der Fabrik hätte Ihnen das Gleiche gesagt.«

Aber die Dinge änderten sich3, als Bob Chapman die Führung der Firma in South Carolina übernahm. Chapmann ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied (CEO) des Unternehmens Barry-Wehmiller, einem Konglomerat vor allem aus Produktionsfirmen, die Chapman im Lauf der Jahre aufkaufte. Die meisten Firmen, die er kaufte, hatten Schwierigkeiten. Ihre Finanzen waren schwach, und die Firmenkultur war in einigen Fällen noch schlechter. HayssenSandiacre war seine letzte Akquisition. Andere Firmenchefs hätten ein Team von Beratern und eine neue Unternehmensstrategie mitgebracht, und sie hätten allen gesagt, was sie zu tun hatten, »um die Firma wieder profitabel zu machen«. Aber was Chapman mitbrachte, war das Gegenteil: den Willen zuzuhören. Wie bei jeder Firma, die er aufkaufte, setzte er sich zunächst mit den Angestellten zusammen und hörte sich an, was sie zu sagen hatten.

Mit 27 Dienstjahren bei der Firma war Ron Campbell ein Veteran. Er war gerade von einer dreimonatigen Montage in Puerto Rico zurück, wo er für die Aufstellung der Produktionsmaschinen von HayssenSandiacre in den Werkhallen eines Kunden verantwortlich gewesen war. Als er bei Chapman im Raum saß, zögerte er, als er darüber sprechen sollte, wie das Leben in der Firma war. »Zunächst einmal«, fragte Campbell, »habe ich morgen noch einen Job, wenn ich die Wahrheit sage?« Chapman lächelte: »Wenn Sie morgen ein Problem haben wegen etwas, was Sie heute sagen«, versicherte er ihm, »dann rufen Sie mich einfach an.«

Daraufhin begann Campbell, sein Herz zu öffnen. »Nun gut, Mr. Chapman, es hat den Anschein, dass Sie weit mehr Vertrauen in mich haben, wenn Sie mich nicht sehen, als wenn ich hier bin. Als ich in der Fabrik des Kunden war, hatte ich viel mehr Freiheiten als hier«, sagte er, in Anspielung auf seine Zeit in Puerto Rico. »In dem Moment, in dem ich die Fabrik betrete, ist es, als sei meine ganze Freiheit dahin. Es fühlt sich an, als würde ich beobachtet. Ich muss die Stechuhr betätigen, wenn ich in der Früh zur Arbeit komme, noch einmal, wenn ich zum Mittagessen gehe und wenn ich davon zurückkomme, und noch einmal, wenn ich nach Hause gehe. Das musste ich in Puerto Rico nicht tun.« Das war nichts Neues für Chapman, das hatte er schon in anderen Produktionsstätten gehört.

»Ich gehe durch dasselbe Eingangstor wie die Ingenieure, die Buchhalter und andere Büroangestellte«, fuhr Campbell fort. »Sie gehen nach links in ihre Büros und ich gehe geradeaus in die Fertigungshallen, doch wir werden völlig verschieden behandelt. Ihnen trauen Sie zu, selbst zu entscheiden, wann sie ein Wasser wollen oder Kaffee, oder wann sie ein Pause machen wollen; ich muss auf ein Glockensignal warten.«

Andere dachten genauso. Es war, als gäbe es zwei verschiedene Firmen. Egal, wie sehr sie sich auch anstrengten, die Leute an den Maschinen hatten den Eindruck, dass man ihnen nicht vertraute, nur weil sie in der Werkhalle standen, anstatt an einem Schreibtisch zu sitzen. Wenn ein Angestellter zu Hause anrufen wollte, um seinen Kindern zu sagen, dass er sich verspäten würde, hob er einfach den Telefonhörer ab und rief sie an. Wenn aber ein Arbeiter in der Werkshalle dasselbe tun wollte, musste er um Erlaubnis bitten, bevor er über das Münztelefon anrufen konnte.

Als Campbell fertig war, wandte sich Chapman an den Personalchef und sagte ihm, dass die Stechuhren abmontiert werden müssten. Auch die Glocke sollte entfernt werden. Ohne große Ankündigungen zu machen und ohne von den Angestellten eine bestimmte Gegenleistung zu erwarten, beschloss Chapman, dass sich die Dinge von nun an ändern würden. Und das war nur der Anfang.

Empathie hielt Einzug in das Unternehmen, Vertrauen war das neue Regelwerk. Da er alle als Menschen mit den gleichen Rechten behandeln wollte, anstatt die Welt in Fabrikarbeiter und Büroangestellte zu teilen, veranlasste Chapman noch andere Neuerungen, die eine Gleichbehandlung sicherstellten.

Ersatzteile wurden bis dahin in einem versperrten Verschlag aufbewahrt. Wenn ein Arbeiter ein Ersatzteil brauchte, musste er sich vor dem Verschlag anstellen und den zuständigen Angestellten um das Ersatzteil bitten. Arbeiter durften den Verschlag nicht betreten. So schützte sich die Firmenleitung vor Diebstählen. Möglicherweise verhinderte das tatsächlich Diebstähle, aber es war auch eine stetige Erinnerung daran, dass die Leitung den Arbeitern nicht traute. Chapman befahl, alle Schlösser und alle Einzäunungen zu entfernen. Er erlaubte allen Angestellten den Zutritt zu dem Areal, um die Teile selbst auszusuchen, die sie brauchten.

Chapman entfernte alle Münztelefone und ersetzte sie durch Firmentelefone, die allen Angestellten jederzeit zur Verfügung standen. Keine Münzen waren mehr notwendig, keine Erlaubnis erforderlich. Jeder Angestellte konnte jede beliebige Tür passieren und jede Abteilung der Firma besuchen, wann immer er das wollte. Alle Angestellten wurden gleich behandelt, gleichgültig ob sie in den Büros der Verwaltung oder in der Werkhalle arbeiteten. Das war die neue Normalität.

Chapman hatte verstanden, dass die Menschen ihm nur dann Vertrauen entgegenbrachten, wenn er sie als Menschen behandelte. Um sich Vertrauen zu verdienen, muss man Vertrauen gewähren. Für ihn waren Angestellte mit Universitätsabschluss oder gute Buchhalter nicht vertrauenswürdiger als andere, die auf dem zweiten Bildungsweg einen Abschluss gemacht hatten und technisch geschickt waren. Chapman glaubte an das Gute in den Menschen und behandelte sie danach.

Nach kurzer Zeit wurde die Firma zu einer »Familie«. Einfach dadurch, dass die Rahmenbedingungen geändert wurden, in denen die Menschen arbeiteten, begannen sie das Verhalten den anderen gegenüber zu ändern. Sie hatten das Gefühl dazuzugehören, und das ermöglichte ihnen, sich zu entspannen, sie fühlten sich geschätzt. Da sie das Gefühl hatten, dass man sich um sie kümmerte, kümmerten auch sie sich um andere. Dieses fürsorgliche Klima machte es den Angestellten möglich, »Herzen und Hirne«, wie Chapman es ausdrückte, uneingeschränkt nutzen, und die Organisation begann aufzublühen.

Ein Angestellter in der Lackiererei machte eine persönliche Krise durch. Seine Frau war Diabetikerin und stand kurz davor, ein Bein zu verlieren. Er brauchte Zeit, um sich um sie zu kümmern, arbeitete jedoch auf Stundenlohnbasis und konnte es sich nicht leisten, auch nur eine Stunde zu fehlen. Doch die Firma war eine andere geworden. Ohne dazu aufgefordert worden zu sein, machten seine Kollegen einen Vorschlag: Sie würden ihre eigenen bezahlten Urlaubstage transferieren, damit er länger fehlen konnte. So etwas hatte es im Unternehmen noch nie gegeben. Darüber hinaus war es ein klarer Verstoß gegen die Firmenvorschriften. Aber das machte nichts. »Wir denken jetzt mehr an die anderen«, sagte Merck. Und so setzten sie den Vorschlag in die Tat um, mit Hilfe der Angestellten in der Verwaltung.

»Ich hätte niemals gedacht, dass mir meine Arbeit eines Tages Spaß machen würde«, sagte Campbell. »Wenn du mit Menschen arbeitest, die dir vertrauen, dann arbeiten sie besser für dich, um dein Vertrauen zu verdienen und es zu behalten.« In den mehr als zehn Jahren, die seit dem Abbruch des Maschendrahtzauns vergangen sind, hat es praktisch keinen Diebstahl gegeben. Wenn ein Angestellter ein persönliches Problem hat, weiß er, dass die Firmenführung – und seine Kollegen – für ihn da sind.

Die Angestellten waren aber nicht nur bereit, einander bei der Lösung von Problemen zu helfen. Sie warteten auch ihre Maschinen besser. Das bedeutete, dass es weniger Ausfälle und damit weniger Arbeitsunterbrechungen gab (was bedeutet, dass die Ausgaben unter Kontrolle blieben). Die Änderungen waren nicht nur gut für die Menschen, sie waren auch gut für das Unternehmen. Nach der Übernahme von HayssenSandiacre stiegen die Einnahmen von 52 Millionen Euro auf 90 Millionen Euro, Ergebnis eines organischen Wachstums als Folge der Übernahme. Das Unternehmen wuchs, ohne Schulden zu machen und ohne Umstrukturierung mithilfe von Unternehmensberatern. Die Firma wuchs durch die Arbeit der Menschen, die bereits bei ihr beschäftigt waren. Sie setzten sich wieder ein für die Organisation, aber nicht, weil man ihnen Versprechungen gemacht oder weil man ihnen gedroht hatte. Sie hatten sich selbst motiviert. Eine neue Kultur der gegenseitigen Rücksichtnahme machte es möglich, dass Menschen und Konzepten Flügel wuchsen.

So etwas geschieht, wenn die Führungskräfte einer Organisation auf die Menschen hören, die in ihr arbeiten. Ohne Druck, Zwang oder Gewalt kooperieren die Angestellten und bringen die Firma ein Stück vorwärts. Arbeit als Pflicht wird ersetzt durch Stolz auf die Arbeit. Anstatt für die Firma zu arbeiten, arbeiten die Angestellten nun füreinander. Der Arbeitsplatz jagt keinen Schrecken mehr ein. Man fühlt sich wohl.

Wir sehen, was wir sehen wollen

Chapman spricht gern über seinen ersten Besuch bei HayssenSandiacre, das war fünf Jahre vor der Verwandlung des Unternehmens, die Mike Merck und Ron Campbell beschrieben. Es war kurz nach dem Aufkauf des Unternehmens. Niemand erkannte den neuen Chef, niemand nahm Notiz von ihm, als er vor seinem ersten Treffen einen Kaffee schlürfte. Die Angestellten benahmen sich daher nicht anders als sonst, als sie auf den Beginn der Arbeit warteten. Und das, was Chapman an diesem März-Morgen in der Kantine des Unternehmens sah, war die Ursache für sein Experiment mit der Firma. Es war eine Szene, die ihn so stark beeindruckte, dass er alles überdachte, was er jemals über Unternehmensführung gelernt hatte. Was er bei HayssenSandiacre testete, wurde die Grundlage für die Führung seiner ganzen Unternehmensgruppe. Was noch wichtiger ist, es veranlasste ihn, die Menschen, die für ihn arbeiteten, anders zu führen.

Als er dort saß, beobachtete er eine Gruppe von Angestellten, die gemeinsam vor Beginn der Arbeit ihren Kaffee trank. Sie amüsierten sich sehr gut. Sie machten Witze und lachten, als wären sie alte Freunde. Sie schlossen Wetten auf den Ausgang eines Spiels der Basketball-Hochschulmeisterschaften ab, das am Abend stattfand. Sie saßen eine Weile beisammen und kamen sichtlich sehr gut miteinander aus. Aber in dem Moment, in dem sie aufstanden, um zur Arbeit zu gehen, stellte Chapman eine dramatische Veränderung in ihrem Verhalten fest. Wie auf Kommando verschwand das Lachen aus ihren Gesichtern und wurde durch einen missmutigen Blick ersetzt. Mit dem Lachen war es vorbei. Die Freundschaft verschwand. »Es war, als würde ihre gesamte Energie sie verlassen«, sagte Chapman.

Chapman war erschüttert. Er hatte schon andere Firmen aufgekauft, die in Schwierigkeiten waren. Er hatte schon bei anderen Firmen die Angestellten beobachtet. Aber bisher hatte er nie das erlebt, was er hier sehen konnte. Die Szene, die er beobachtete, ging ihm nahe; er fragte sich: »Warum macht uns die Arbeit nicht genauso viel Spaß wie die freie Zeit?«

Bis zu diesem Tag war Chapman ein Manager gewesen, wie er im Lehrbuch angehender Manager stand. Er war ein guter Rechner und er liebte das Spiel mit den Zahlen. Er traf seine Entscheidungen auf der Grundlage von Daten, der jeweiligen Marktsituation und eines günstigen Preises. Er war hart, konnte dem Gegenüber aber auch gut zureden, wenn es notwendig war. Für ihn war ein Geschäft eine messbare Größe, und die Menschen waren für ihn nur einer von vielen Vermögenswerten, die er managen musste, um seine finanziellen Planvorgaben zu erreichen. So gesehen, war er ein sehr effektiver Manager.

Vor diesem Augenblick in der Kantine fiel es Chapman viel zu leicht, harte Entscheidungen zu treffen. Die in St. Louis angesiedelte Firma mit dem schwer auszusprechenden Namen war bis über beide Ohren verschuldet und stand knapp vor dem Bankrott, als Chapman sie nach dem Tod seines Vaters 1975 übernahm. Angesichts der traurigen Lage tat er, was viele Generaldirektoren in seiner Situation getan hätten. Er entließ Personal, wenn er es für notwendig hielt, um ein finanzielles Ziel zu erreichen, er führte eine Umschuldung durch, machte sich von Banken abhängig und nahm große Risiken auf sich, um Wachstum zu schaffen, das selbst Star-Manager anerkennen würden. Auf diese Art wurde das Unternehmen langsam wieder profitabel.

Chapman verließ die Kantine und ging zu seinem ersten Treffen. Es sollte ein erstes Kennenlernen sein, eine reine Formalität. Er, der neue Generaldirektor, wollte sich dem Team in der Abteilung für Kundenbetreuung vorstellen, und dieses sollte den neuen Chef auf den letzten Stand bringen. Aber nach seinen Erfahrungen an diesem Morgen war Chapman davon überzeugt, dass er und sein Team es in der Hand hatten, die Firma wieder zu einem Ort zu machen, an dem die Menschen gerne arbeiteten. So schuf er ein Klima, in dem sich das Personal frei äußerte, anerkannt und für Fortschritte gelobt wurde. Das ist die Grundlage dessen, was Chapman humane Menschenführung nennt.

Wenn die Menschen sich mit Gefahren innerhalb der Organisation beschäftigen müssen, ist die Organisation nicht gut für äußere Gefahren gerüstet.

Eine wirklich humane Menschenführung schützt die Organisation vor internen Auseinandersetzungen, die die Unternehmenskultur bedrohen. Wenn wir uns voreinander in Acht nehmen müssen, leidet die ganze Organisation. Aber wenn intern Vertrauen und Kooperationsgeist herrschen, dann ziehen wir an einem Strang; das Resultat ist, dass die Organisation stärker wird.

Nahezu alle Systeme im menschlichen Körper existieren nur, um uns im Kampf ums Überleben siegen zu helfen und um uns erfolgreich zu machen. Andere Hominide starben vor Tausenden Jahren aus, wir aber überlebten, überlebten länger … überlebten noch länger. Obwohl wir im Vergleich zu anderen Lebewesen erst relativ kurze Zeit existieren, sind wir schnell die erfolgreichste Art und die einzige Art ohne Konkurrenz geworden. So erfolgreich, dass unsere Entscheidungen die Möglichkeit anderer Tiere – oder auch anderer Menschen – beeinflussen, zu überleben und sich zu entfalten.

Unsere inneren Systeme, die uns vor Gefahren beschützen und uns dazu ermutigen, erfolgreiche Verhaltensweisen zu wiederholen, reagieren auf die Umwelt, in der wir leben und arbeiten. Wenn wir Gefahr spüren, schützen wir uns. Wenn wir uns unter Gleichgesinnten sicher fühlen, also in unserem Stamm oder unserer Organisation, entspannen wir uns und sind offen für Vertrauen und Kooperation.

Bei eingehender Analyse sehr erfolgreicher Organisationen, in denen sich die Menschen sicher fühlen, wenn sie arbeiten, kommen wir zu erstaunlichen Ergebnissen. Ihre Unternehmenskultur hat eine erstaunliche Ähnlichkeit mit den Bedingungen, unter denen das Verhalten der ersten Menschen konditioniert wurde. Die Systeme, die uns halfen, in einer feindlichen Welt zu überleben, in der verschiedene Gruppen um begrenzte Ressourcen kämpften, führen auch dazu, dass Organisationen überleben. Es geht nicht um ausgefeilte Management-Theorien und um die Aufstellung eines Dream-Teams. Es geht allein um Biologie und Anthropologie. Wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind und die Menschen sich innerhalb einer Organisation sicher fühlen, dann werden sie zusammenarbeiten und Dinge erreichen, die sie allein nie erreicht hätten. Das Ergebnis ist, dass die Organisation ihre Konkurrenten aussticht.

Das war es, was Chapman bei Barry-Wehmiller schaffte. Mehr oder weniger zufällig schuf er eine Arbeitsumgebung und eine Unternehmenskultur, die, biologisch gesehen, das Beste aus den Menschen herausholte. Chapman und andere Gleichgesinnte hatten nicht vor, ihre Angestellten zu ändern – sie wollten die Arbeitsbedingungen ändern; sie wollten eine Unternehmenskultur schaffen, in der die Menschen alles geben, weil sie ihren Arbeitsplatz lieben.

Dieses Buch soll Ihnen dabei helfen, Ihr Verhalten besser zu verstehen. Alle Körpersysteme wurden entwickelt, um uns dabei zu helfen, Nahrung zu finden, zu überleben und die Art zu erhalten. In den meisten Teilen der Welt aber, und ganz sicher in der entwickelten Welt, sind Nahrungsbeschaffung und Gefahrenvermeidung nicht mehr die Hauptbeschäftigung. Wir sammeln und jagen nicht mehr, zumindest nicht im Sinn der Höhlenmenschen. In unserer modernen Welt sind wir erfolgreich, wenn wir Karriere machen sowie Glück und Erfüllung finden. Doch die Instinkte, die unser Verhalten und unsere Entscheidungen steuern, funktionieren genauso wie vor Zehntausenden Jahren. Das primitive Gehirn nimmt die Außenwelt immer noch entweder als Bedrohung für unser Wohlergehen oder als potenzielle Quelle von Sicherheit wahr. Wenn wir verstehen, wie diese Instinkte arbeiten, sind wir besser in der Lage, unsere Ziele zu erreichen. Gleichzeitig haben auch die Gruppen, in denen wir arbeiten, bessere Chancen auf Erfolg.

Leider sind heute in den Systemen, die wir entwickelt haben, um unsere Firmen zu führen, die Organisationen, die ihr Personal inspirieren, sich voll einzusetzen, eine kleine Minderheit. Die kulturellen Normen der meisten Firmen und Organisationen behindern unsere natürlichen biologischen Verhaltensweisen. Das bedeutet, dass glückliche, inspirierte und erfüllte Angestellte eine Ausnahme sind. Nach dem Shift-Index von Deloitte sind 80 Prozent der Menschen mit ihren Jobs unzufrieden.4 Wenn sie nicht gerne zur Arbeit gehen, dann sind Fortschritte bei weitem kostspieliger und mühsamer … und selten von Dauer. Aber wir kümmern uns gar nicht um den langfristigen Erfolg von Unternehmen im Lauf der Jahrzehnte, sondern arbeiten von Quartal zu Quartal.

Eine Geschäftswelt mit einseitiger Ausrichtung auf kurzfristige Erfolge und auf Geld statt auf Menschen hat Folgen für die Gesellschaft allgemein. Wenn wir am Arbeitsplatz darum kämpfen, Glück zu finden oder dazuzugehören, dann nehmen wir diesen Kampf mit nach Hause. Menschen, die das Glück haben, in einer Organisation zu arbeiten, die sie wie schutzbedürftige Menschen behandelt anstatt als Einnahmequelle, die ausgebeutet werden muss, kommen nach der Arbeit mit einem Gefühl der Erfüllung und Dankbarkeit nach Hause. Das sollte für jeden von uns gelten, das sollte nicht die Ausnahme sein. Nach Hause zu kommen mit einem Gefühl der Inspiration, der Sicherheit, der Erfüllung und der Dankbarkeit: Das ist ein Menschenrecht, auf das alle Anrecht haben; es ist kein Luxus, den nur wenige Glückliche erleben dürfen.

Es gab nicht die »eine« große Veränderung, die Chapman vornahm, um seine Organisation umzubauen. Es war eine Reihe kleiner Veränderungen im Lauf der Zeit, die das Funktionieren des Unternehmens geradezu dramatisch veränderten. Viele kleine Dinge, einige davon erfolgreich, andere weniger, aber alle umgesetzt mit Blick auf das, was seinem Gefühl nach geschehen musste. Erst Jahre später, auf einer Hochzeit, fand er ein Bild dafür, das seine Motivation klar und auf menschliche Art und Weise in Worte fasst. Für jemanden, der eine so große Liebe und Affinität zur Geschäftswelt hat, ist der Vergleich überraschend, mit dem Chapman seine Kursänderung erklärt.

Die Last der Verantwortung

Chapman und seine Frau saßen in einer der Kirchenbänke und folgten der Hochzeitszeremonie. Während der Bräutigam auf die Braut wartete, die sich näherte, blickte er sie an. Die Liebe, die die beiden füreinander fühlten, war mit den Händen greifbar. Alle in der Kirche konnten sie fühlen. Dann übergab der Vater, wie es die Tradition erforderte, seine Tochter, seine Prinzessin, dem zukünftigen Ehemann.

»Das ist es!« realisierte Chapman. Ein Vater, der alles tat, um seine Tochter zu schützen, würde nun offiziell die Verantwortung für diese Sorge einem anderen übertragen. Nachdem er ihre Hand in die Hand eines anderen gelegt hat, wird er seinen Platz in den Bankreihen einnehmen im Vertrauen darauf, dass nun ihr Ehemann sie genauso schützen wird, wie er es getan hat. »Bei einer Firma geschieht genau das Gleiche«, erkannte Chapman.

Jeder Angestellte ist gleichzeitig Sohn oder Tochter. Wie die Eltern sind auch die Führungskräfte eines Unternehmens verantwortlich für sein oder ihr wertvolles Leben.

Jeder Angestellte ist gleichzeitig Sohn oder Tochter. Eltern sorgen dafür, dass ihre Kinder ein gutes Leben und eine gute Ausbildung haben, und versuchen, sie so zu erziehen, dass sie eines Tages glücklich sind, Selbstvertrauen haben und in der Lage sind, ihre Talente zu nutzen. Diese Eltern vertrauen dann ihre Kinder einem Unternehmen an in der Hoffnung, dass die Führung dieses Unternehmens dieselbe Liebe und Sorge an den Tag legt. »Wir, die Firmen, sind es, die nun für dieses wertvolle Leben verantwortlich sind«, sagt Chapman und ballt seine Hand zur Faust, mit der Leidenschaft eines Predigers.

Das ist es, was einen Führer ausmacht. Das ist die Grundlage für ein starkes Unternehmen. Eine Führungskraft ist wie ein Vater oder eine Mutter, und die Firma ist wie eine neue Familie, in die man aufgenommen wird. Eine Familie, die sich um uns kümmert, als wären wir ihr eigenes Kind … in guten und in schlechten Zeiten. Wenn wir das mit Erfolg tun, dann werden die Menschen den Firmennamen annehmen wie einen Familiennamen und ebenso loyal sein, als wäre es die eigene Familie. Wer für Barry-Wehmiller arbeitet, spricht von seiner »Liebe« für die Firma und für die anderen Arbeiter. Stolz tragen die Angestellten das Firmenlogo oder die Firmenschriftzüge, als wäre es ihr eigener Name. Sie werden das Unternehmen und die Kollegen verteidigen, als wären sie ihr eigenes Fleisch und Blut. Und in fast allen diesen Unternehmen sind die Firmennamen zum Symbol der Identität ihrer Angestellten geworden.

Ironischerweise ist Kapitalismus dann am erfolgreichsten, wenn er uns in Harmonie mit unseren Bedürfnissen arbeiten lässt – das heißt, wenn wir den grundlegenden Verpflichtungen gegenüber den Mitmenschen nachkommen; wenn wir von den Angestellten nicht nur ihre Arbeitskraft fordern, sondern sie dazu inspirieren, zusammenzuarbeiten, Vertrauen und Loyalität zu zeigen, unsere Sache zu der ihren zu machen; wenn wir Menschen wie die eigene Familie und nicht wie Angestellte behandeln; die Zahlen opfern, um die Menschen zu retten, nicht die Menschen opfern, um die Zahlen zu retten.

Die Führungskräfte von Organisationen, die eine Arbeitsumgebung schaffen, die besser zu unserer Veranlagung passt, opfern nicht die Qualität oder den Erfolg, nur weil für sie der Mensch Vorrang hat. Im Gegenteil; diese Organisationen sind die stabilsten, innovativsten und erfolgreichsten Firmen in ihren Branchen. Leider sehen Firmenchefs ihre Angestellten meist als Mittel, um das Ergebnis zu verbessern. Führer guter Organisationen sehen die Menschen nicht als Rohmaterial zur Förderung des Gewinns. Sie sehen Geld als Mittel, um die Menschen zu fördern. Deshalb ist Erfolg wichtig. Je erfolgreicher die Organisation ist, desto mehr Mittel sind vorhanden, um eine noch größere, noch robustere Organisation aufzubauen, die Herz und Hirn der Menschen gewinnt, die für sie arbeiten. Im Gegenzug werden diese alles tun, was in ihrer Macht steht, damit die Organisation wächst … und wächst … und wächst.

Es ist wesentlich, dass man das Geld den Menschen unterordnet und nicht umgekehrt, wenn man eine Kultur aufbauen will, in der die Angestellten wie von selbst zusammenarbeiten, um die Firma vorwärts zu bringen. Und es ist die Fähigkeit, die Menschen soweit zu erziehen, dass sie selbst das Notwendige tun, stabilen, langfristigen Erfolg zu sichern. Es sind nicht die genialen Ideen der Leitung, die Menschen großartig machen. Es sind großartige Menschen, die die Person an der Spitze genial erscheinen lassen.

Man kann mir nicht vorwerfen, dass ich ein verwirrter Idealist bin, weil ich mir eine Welt vorstelle, in der die Menschen gerne in die Arbeit gehen. Man kann mir nicht vorwerfen, dass ich keinen Bezug zur Realität habe, weil ich glaube, dass es eine Welt geben kann, in der die Mehrheit der Führungskräfte ihrem Personal vertrauen und die Mehrheit des Personals seinen Führungskräften vertraut. Ich bin kein Träumer, weil diese Organisationen tatsächlich existieren.

In der Industrie und im High-Tech-Bereich, im US-Marine-Corps und in der Regierung gibt es glänzende Beispiele für die Erfolge, die eine Organisation verzeichnen kann, wenn die Menschen in ihr einander nicht als Gegner, Konkurrenten oder Rivalen, sondern als vertrauenswürdige Verbündete behandeln. Es gibt genug Gefahren von außen. Es hat keinen Sinn, eine Organisation aufzubauen, die diese Gefahren dadurch steigert, dass sie weitere Bedrohungen im Inneren hinzufügt.

Nur 20 Prozent der Amerikaner »lieben« ihre Arbeit. Chapman und seinesgleichen laden uns ein, diesen Anteil gemeinsam mit ihnen zu steigern. Die Frage ist, ob wir den Mut dazu haben.

Wir müssen mehr Organisationen aufbauen, die die Sorge für den Menschen zu ihrer Priorität machen. Als Führungskräfte haben wir die vorrangige Aufgabe, unsere Leute zu schützen; diese werden in der Folge einander gegenseitig schützen und die Organisation gemeinsam voranbringen. Als Angestellte oder Mitglieder eines Teams müssen wir den Mut aufbringen, uns um einander zu kümmern, wenn unsere Führung das nicht tut. In diesem Fall werden wir selbst zu den Führungspersönlichkeiten, die wir selbst gerne gehabt hätten.

3. Dazugehören

Vom »Ich« zum »Wir«

»Von heute an«, brüllte er, »werden Wörter wie ›ich‹, ›mir‹ und ›mein‹ aus unserem Vokabular gestrichen. Sie werden durch Wörter wie ›wir‹, ›uns‹ und ›unser‹ ersetzt werden.«

Das ist der Anfang.

Georges Hirn arbeitete fieberhaft.5 Er war völlig sicher gewesen, als er beschlossen hatte, sich zu bewerben, aber nun, da er tatsächlich dort war, hatte er das Gefühl, dass er den größten Fehler seines Lebens gemacht hatte. Doch das war jetzt gleichgültig. Jeder Gedanke daran, was er tun und lassen hätte sollen, wurde von einem Ausbilder unterbrochen, der ihn, nur Zentimeter von seinem Gesicht entfernt, anschrie. Jedes Gefühl der freudigen Erwartung, das er zuvor hatte, wich auf der Stelle dem Stress, dem Gefühl von Isolation und Hilflosigkeit.

George durchlebte einen Prozess, den Tausende vor ihm durchmachten und den Tausende andere in der Zukunft durchmachen werden. Ein Prozess, der in vielen Jahren durch Versuch und Irrtum verfeinert worden war. Der Prozess, jemanden zu einem US-Marine umzuformen.

Es beginnt vor dem Morgengrauen, wenn eine neue Gruppe von Rekruten, müde und verwirrt, in einem der zwei Ausbildungslager eintrifft, eines liegt an der Ostküste, das andere an der Westküste. Die Rekruten werden von Ausbildern mit roten Köpfen und von der jahrelangen Überbelastung der Stimmbänder heiseren Stimmen empfangen, die allen schnell klarmachen, wer das Kommando hat. Ein Hinweis: Es sind nicht die Rekruten.

Dreizehn qualvolle Wochen später wird jedem Marine seine Anstecknadel mit dem Adler, dem Globus und dem Anker ausgehändigt, als Symbol dafür, dass sie den Prozess abgeschlossen und in der Organisation Aufnahme gefunden haben. Nicht wenige drücken die Faust mit der Anstecknadel darinnen fest zusammen und verspüren einen derart intensiven Stolz, dass ihnen die Tränen kommen. Als sie im Ausbildungslager ankamen, fühlten sich die Rekruten unsicher und auf sich allein gestellt. Wenn sie es verlassen, haben sie Vertrauen in ihre eigene Stärke, haben ein Gefühl der Verpflichtung und Verantwortung gegenüber den Kameraden entwickelt und wissen, dass diese dasselbe fühlen.

Die Zugehörigkeit zu einer Organisation, die geteilten Werte und das tiefe Mitgefühl füreinander steigern geradezu dramatisch Vertrauen, Zusammenarbeit und die Fähigkeit, Probleme zu lösen. US-Marines sind besser gegen äußere Gefahren gewappnet, weil sie keine Angst haben, dass ihnen von den eigenen Kameraden eine Gefahr droht. Sie operieren in einem starken Kreis der Sicherheit.

Der Kreis der Sicherheit

Ein Löwe strich oft durch ein Feld, in dem vier Ochsen hausten. Oft versuchte er, sie anzugreifen; aber immer, wenn er sich näherte, rückten sie mit den Schwänzen zusammen, sodass er mit Hörnern konfrontiert war, wenn er sich näherte. Am Ende jedoch gerieten sie in Streit und jeder von ihnen weidete allein in einem anderen Teil des Feldes. Der Löwe griff einen nach dem anderen an und bald hatte er mit allen Vieren Schluss gemacht.6

Aesop, sechstes Jahrhundert v. Chr.

Im Ausbildungslager der Marines geht es nicht nur um Laufen, Springen, Schießen und Kriegsführung. Wie in zivilen Lebensläufen sind diese Fähigkeiten ein Teil der Job-Beschreibung, aber es ist nicht das, was die Marines so erfolgreich macht. Denn obwohl Marines sich diese Fähigkeiten aneignen müssen – genauso wie auch wir uns Fähigkeiten aneignen, die notwendig für unsere Arbeit sind –, ist es nicht das, was das gegenseitige Vertrauen schafft, das notwendig ist, um gemeinsam besser als alle anderen zu sein. Es sind nicht diese Fertigkeiten, die erfolgreiche Teams so bemerkenswert machen. Die Fähigkeit einer Gruppe von Menschen, Bemerkenswertes zu leisten, hängt davon ab, wie gut diese Menschen im Team arbeiten. Und das geschieht nicht in einem Vakuum.

Die Welt um uns birgt eine Fülle von Gefahren; eine Fülle von Dingen, die unser Leben unglücklich machen. Das ist nicht gegen uns persönlich gerichtet; so ist es einfach. Jederzeit und von allen Seiten droht uns Gefahr von gewissenlosen Kräften, die unseren Erfolg behindern oder uns gar töten wollen. In der Zeit der Höhlenmenschen war das buchstäblich so. Das Leben der frühen Menschheit wurde von vielen Dingen bedroht, die ihr Leben auf dieser Erde verkürzen konnten. Das schloss das Fehlen von lebenswichtigen Ressourcen, aber auch Säbelzahntiger und das Wetter ein. Es ist nicht persönlich gemeint, so ist das Leben. Dasselbe gilt für heute – unser Überleben ist ständig bedroht.

Für die modernen Unternehmen und Organisationen sind die Gefahren sowohl real als auch abstrakt. Da gibt es das Auf und Ab des Aktienmarktes, das den Erfolg der Firma beeinflussen kann. Eine neue Technologie könnte eine alte Technologie ablösen oder ein ganzes Geschäftsmodell über Nacht überholt sein. Selbst wenn unsere Konkurrenz uns nicht aus dem Markt drängen, uns nicht umbringen will, arbeitet sie ständig daran, unseren Erfolg zu schmälern und uns unsere Kunden zu stehlen. Und als ob das nicht genug wäre, tragen die Notwendigkeit, den Erwartungen zu entsprechen, die Überlastung der Kapazitäten und anderer äußerer Druck zu den ständigen Gefahren bei, mit denen eine Firma konfrontiert ist. Diese Gefahren sind ständig gegenwärtig. Wir haben keine Kontrolle über sie, sie werden nie verschwinden und sich niemals verändern. So ist es einfach.

Auch innerhalb unserer Organisationen gibt es gefährliche Kräfte. Anders als die äußeren Kräfte sind sie variabel und sehr wohl von uns steuerbar. Einige der Gefahren, mit denen wir konfrontiert sind, sind real und haben unmittelbare Auswirkungen, wie Entlassungen, die auf ein schlechtes Quartal oder ein schwaches Jahr folgen. Einige von uns setzen ihr Überleben aufs Spiel, wenn sie etwas Neues versuchen und die Firma Geld verliert. Auch Machtpolitik ist eine ständige Bedrohung – die Angst, dass andere versuchen, uns am Aufstieg zu hindern, um ihre eigenen Karrieren voranzutreiben.

Einschüchterung, Demütigung, Isolation, das Gefühl, dumm oder nutzlos zu sein, und Zurückweisung sind Belastungen, die wir innerhalb der Organisation vermeiden wollen. Aber die Gefahr von innen ist kontrollierbar und es sollte das Ziel der Führung sein, eine Unternehmenskultur zu schaffen, in der niemand für den anderen eine Gefahr darstellt. Um das zu erreichen, muss man den Menschen das Gefühl der Zugehörigkeit geben: durch die starke Unternehmenskultur, die auf einer festen Grundlage humaner Werte und Glaubensgrundsätze aufbaut; indem man ihnen Entscheidungsgewalt gibt; indem man ihnen Vertrauen und Mitgefühl entgegenbringt; durch die Schaffung eines Kreises der Sicherheit.

Durch die Schaffung eines Kreises der Sicherheit um die Menschen in der Organisation verringert die Firmenleitung die Bedrohungen, die das Personal innerhalb einer Gruppe wahrnimmt; das macht es möglich, mehr Zeit und Energie für den Schutz der Organisation vor den langfristigen äußeren Gefahren aufzuwenden und gute Gelegenheiten beim Schopf zu packen. Ohne Kreis der Sicherheit sind die Angestellten gezwungen, zu viel Zeit und Energie für ihren Schutz voreinander aufzuwenden.