Gute Geister - Kathryn Stockett - E-Book
SONDERANGEBOT

Gute Geister E-Book

Kathryn Stockett

4,8
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Nur wer Grenzen überschreitet, kann die Welt verändern

Jackson, Mississippi, 1962: Die junge Skeeter ist frustriert. Nach dem Studium verbringt sie die Tage auf der elterlichen Baumwollfarm, als einzige ihrer Freundinnen ohne einen Ring am Finger. Sehr zum Missfallen der Mutter. Doch der Mann, mit dem ihre Freundinnen sie verkuppeln wollen, ist ein hochnäsiger Snob. Und dann ist auch noch ihr schwarzes Kindermädchen, bei dem sie stets Trost fand, spurlos verschwunden. Skeeter wünscht sich nur eins: Sie will weg aus dem engen Jackson und als Journalistin in New York leben. Und um diesem Ziel näher zu kommen, verbündet sie sich mit zwei Dienstmädchen, die ebenso unzufrieden sind wie sie: Aibileen zieht inzwischen das siebzehnte weiße Kind auf. Doch nach dem Unfalltod ihres einzigen Sohnes ist etwas in ihr zerbrochen. Und Minny ist auf der Suche nach einer neuen Stelle. Sie ist bekannt für ihre Kochkünste, aber sie ist auch gefürchtet: Denn Minny trägt das Herz auf der Zunge. Und gemeinsam beschließen die drei außergewöhnlichen Frauen, gegen die Konventionen ihrer Zeit zu verstoßen und etwas zu wagen. Denn sie alle haben das Gefühl zu ersticken und wollen etwas verändern – in ihrer Stadt und in ihrem eigenen Leben.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 867

Bewertungen
4,8 (96 Bewertungen)
78
18
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Kathryn Stockett

Gute Geister

Roman

Deutsch vonCornelia Holfelder-von der Tann

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel »The Help« bei Amy Einhorn Books / Putnam, New York.

 

Copyright © 2009 by Kathryn Stockett

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

This edition published by arrangement with Amy

Einhorn Books, a member of Penguin Group (USA) Inc.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010 / 2011 by btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: semper smile

ISBN 978-3-641-05940-8 V003

www.btb-verlag.de

Für Grandaddy Stockett, den allerbesten Geschichtenerzähler.

Aibileen

KAPITEL 1

AUGUST 1962

 

Mae Mobley ist im August 1960 geboren, an einem Sonntag in der Früh. Ein Kirchzeitkind, wie wir sagen. Weiße Babys zu versorgen ist meine Arbeit, mitsamt dem ganzen Kochen und Putzen. Siebzehn Kinder hab ich in meinem Leben aufgezogen. Ich weiß, wie man’s macht, dass die Kleinen einschlafen, nimmer weinen und aufs Klo gehen lernen, eh ihre Mamas am Morgen auch nur aus dem Bett kommen.

Aber noch nie hab ich ein Baby so schreien sehen wie Mae Mobley Leefolt. Am ersten Tag komm ich zur Tür rein, und da ist sie, puterrot, schreit vor Bauchweh und wehrt sich gegen die Flasche, wie wenn’s eine faulige Rübe wär. Und Miss Leefolt, die guckt, wie wenn sie Panik vor ihrem eigenen Kind hätt. »Was mache ich falsch? Warum hört das nicht auf?«

Das? Da hab ich zum ersten Mal gedacht, irgendwas stimmt hier nicht.

Also hab ich das rote, schreiende Baby in die Arme genommen. Hab die Kleine bisschen auf meiner Hüfte geschuckelt, damit die Luft abgeht, und es hat keine zwei Minuten gedauert, bis sie mit Weinen aufgehört und mich angelächelt hat, so wie sie’s seither immer macht. Aber Miss Leefolt, die hat ihr eigenes Baby den ganzen Tag kein einziges Mal hochgenommen. Ich hab ja schon viele Frauen gesehen, die nach der Geburt den Babyblues gekriegt haben. Ich hab wohl gedacht, dass es das war.

Das Problem mit Miss Leefolt ist: Sie macht nicht nur die ganze Zeit ein finsteres Gesicht, sie ist auch noch klapperdürr. Ihre Beine sind so dünn, wie wenn sie ihr erst letzte Woche gewachsen wären. Dreiundzwanzig ist sie und so schlaksig wie ein vierzehnjähriger Bub. Sogar ihr Haar ist dünn, braun, aber man kann regelrecht durchgucken. Sie versucht’s mit Toupieren, aber davon sieht’s nur noch dünner aus. Ihr Gesicht hat genau die Form wie das von dem roten Teufel auf der Packung mit den scharfen Zimtbonbons, das gleiche spitze Kinn und überhaupt. Und ihr ganzer Körper hat so viele Ecken und Spitzen, kein Wunder, dass sie das Baby nicht beruhigen kann. Babys mögen es dick und weich. Sie mögen es, sich zum Einschlafen richtig in eine weiche Armbeuge zu kuscheln. Und dicke, fette Beine mögen sie auch. Davon kann ich ein Lied singen.

Wie sie ein Jahr alt war, ist mir May Mobley auf Schritt und Tritt hinterhergekrabbelt. Wenn’s dann fünf Uhr war, hat sie an meinem Dr.-Scholl-Schuh gehangen, sich über den Boden schleifen lassen und geheult, wie wenn ich nie mehr wiederkommen würd. Und Miss Leefolt hat mich mit schmalen Augen angeguckt, wie wenn ich was falsch gemacht hätt, und die weinende Kleine von meinem Fuß abgepflückt. Das ist wohl das Risiko, wenn man seine Kinder von jemand anderm aufziehen lässt.

Jetzt ist Mae Mobley zwei. Sie hat große, braune Augen und honigfarbene Locken. Aber der kahle Fleck hinten am Kopf wirft das Bild bisschen über den Haufen. Wenn ihr was nicht passt, hat sie die gleiche Falte zwischen den Augenbrauen wie ihre Mama. Sie sehen sich schon ähnlich, nur dass Mae Mobley so dick ist. Schönheitskönigin wird sie bestimmt nie. Ich glaub, Miss Leefolt macht das was aus, aber ich hab Mae Mobley richtig gern.

 

Meinen Sohn Treelore hab ich verloren, kurz bevor ich bei Miss Leefolt angefangen hab. Er war vierundzwanzig. Die beste Zeit im Leben. Er konnt nur nicht lang genug auf dieser Welt bleiben.

Er hatte seine eigne kleine Wohnung drüben in der Foley Street. War mit einem netten Mädchen namens Frances zusammen, und ich denk, sie wollten irgendwann heiraten, aber in so was war er langsam. Nicht weil er auf der Suche nach was Besserem war, das nicht, er war einfach nur von der Sorte, die viel denkt. Hatte eine dicke Brille und war immer am Lesen. Hat sogar angefangen, selbst ein Buch zu schreiben, über einen Farbigen, der in Mississippi lebt und arbeitet. Gott, war ich da stolz. Aber dann, eines Abends, war er noch bis spät in der Scanlon-Taylor-Sägemühle arbeiten, Kanthölzer zum Laster schleppen, splittriges Zeug, das sich durch die Handschuhe bohrt. Für die Art Arbeit war er zu klein und zu schmächtig, aber er brauchte den Job. Er war müd. Es war am Regnen. Er ist auf der Laderampe ausgerutscht und runtergefallen, direkt vor die Räder. Der Fahrer von der Zugmaschine hat ihn nicht gesehen und ihm die Lunge zerquetscht, eh er sich rühren konnt. Wie ich’s erfahren hab, war er schon tot.

An dem Tag wurd meine ganze Welt schwarz. Die Luft sah schwarz aus, die Sonne sah schwarz aus. Ich bin im Bett liegen geblieben und hab auf die schwarzen Wände von meinem Haus gestarrt. Minny ist jeden Tag gekommen, gucken, ob ich noch atme, mich mit Essen füttern, damit ich am Leben bleib. Drei Monate hat’s gedauert, bis ich auch nur aus dem Fenster geschaut hab, ob’s die Welt noch gab. Ich war überrascht, dass die Welt nicht zusammen mit meinem Jungen verschwunden war.

Fünf Monate nach der Beerdigung hab ich mich aus dem Bett gehievt. Ich hab meine weiße Dienstmädchenuniform angezogen und mir mein kleines Goldkreuz um den Hals gehängt und bin zu Miss Leefolt gegangen, weil die grad ihr kleines Mädchen gekriegt hatte. Aber ziemlich bald hab ich gemerkt, dass in mir was anders geworden war. Ein bittrer Samen war da in mir aufgegangen. Und ich konnt einfach nicht mehr alles so geduldig hinnehmen.

 

»Sehen Sie zu, dass im Haus alles tipptopp ist, und machen Sie dann den Hühnersalat«, sagt Miss Leefolt.

Es ist Bridgekränzchen-Tag. Immer der vierte Mittwoch im Monat. Natürlich hab ich alles vorbereitet – den Hühnersalat schon am Morgen gemacht, die Tischtücher gestern gebügelt. Und Miss Leefolt hat mich dabei gesehen. Sie ist grade mal dreiundzwanzig und hört sich gern kommandieren.

Sie hat schon das blaue Kleid an, das ich heute Morgen gebügelt hab, das mit den fünfundsechzig Plisseefalten, die so winzig sind, dass ich beim Bügeln die Augen hinter der Brille zusammenkneifen muss. Es gibt nicht viel, was ich auf der Welt hasse, aber das Kleid und ich, wir mögen uns gar nicht.

»Und sorgen Sie dafür, dass Mae Mobley nicht zu uns reinkommt. Ich kann Ihnen sagen, ich habe die Nase voll von ihr – sie hat mein gutes Briefpapier in tausend Fetzchen zerrissen, und ich muss fünfzehn Dankesbriefe für die Junior League schreiben …«

Ich richt alles für ihre Freundinnen her. Nehm die guten Kristallgläser raus und das Silberbesteck. Miss Leefolt stellt nicht einfach einen ollen Spieltisch auf wie die anderen Ladys. Wir nehmen den Esszimmertisch. Legen ein Tischtuch drüber, um den großen L-förmigen Riss zu verdecken, tun den roten Blumenschmuck rüber aufs Sideboard, damit man das verkratzte Holz nicht sieht. Miss Leefolt hat’s gern fein, wenn sie einen Luncheon gibt. Vielleicht will sie ja wettmachen, dass ihr Haus so klein ist. Die Leefolts sind keine reichen Leute, so viel weiß ich. Reiche Leute bemühen sich nicht so.

Ich bin’s ja gewöhnt, bei jungen Ehepaaren beschäftigt zu sein, aber ich würd doch sagen, das hier ist das kleinste Haus, in dem ich je gearbeitet hab. Es hat nur das eine Stockwerk. Ihr und Mister Leefolts Zimmer hintenraus ist ja ganz ordentlich, aber das von der Kleinen ist winzig. Das Esszimmer und das normale Wohnzimmer gehen ineinander über. Bäder gibt’s nur zwei, und da bin ich froh drüber, weil ich schon in Häusern gearbeitet hab, wo fünf oder sechs waren. Da braucht man einen ganzen Tag, allein um die Klos zu putzen. Miss Leefolt zahlt nur fünfundneunzig Cent die Stunde, da hab ich jahrelang mehr gekriegt. Aber nach Treelores Tod hab ich genommen, was ich kriegen konnte. Der Vermieter hätt nimmer viel länger gewartet. Und wenn das Haus auch klein ist, tut Miss Leefolt doch, was sie kann, um’s hübsch herzurichten. An der Nähmaschine ist sie ziemlich gut. Für alles, was sie nicht durch was Neues ersetzen kann, kauft sie einfach blauen Stoff und näht einen Überzug draus.

Es klingelt, und ich geh aufmachen.

»Hey, Aibileen«, sagt Miss Skeeter, weil sie eine ist, die mit Dienstmädchen redet. »Wie geht’s?«

»Hey, Miss Skeeter. Mir geht’s gut. Gott im Himmel, heiß da draußen.«

Miss Skeeter ist ganz groß und dünn. Ihr Haar ist gelb und so geschnitten, dass es nicht mal bis auf die Schultern geht, weil es sich das ganze Jahr über kraust. Sie ist auch dreiundzwanzig oder so, wie Miss Leefolt und die anderen. Sie stellt ihre Handtasche auf einen Stuhl und macht erst mal komische Bewegungen, wie wenn ihre Kleider sie jucken. Sie hat eine weiße Spitzenbluse an, bis oben zugeknöpft wie bei einer Nonne, und flache Schuh, wahrscheinlich, damit sie nicht noch größer wirkt. Ihr blauer Rock steht in der Taille ab. Miss Skeeter sieht immer aus, wie wenn ihr jemand anders sagen würd, was sie anziehen soll.

Ich hör Miss Hilly und ihre Mama, Miss Walters, draußen vorfahren und hupen. Miss Hilly wohnt drei Meter weiter, kommt aber immer mit dem Auto rüber. Ich lass sie rein. Sie marschiert einfach nur an mir vorbei, und ich sag mir, dass es ein guter Moment ist, Mae Mobley vom Mittagsschlaf hochzunehmen.

Wie ich ins Kinderzimmer komm, lächelt Mae Mobley mich an und streckt ihre dicken Ärmchen nach mir aus.

»Du bist schon wach, Baby Girl? Warum hast du mich nicht gerufen?«

Sie lacht und tanzt einen kleinen Jig, wartet, dass ich sie rausheb. Ich drück sie fest. Ich schätz mal, sie wird nicht häufig so gedrückt, wenn ich am Abend gegangen bin. Oft komm ich morgens zur Arbeit und find sie heulend in ihrem Gitterbett. Und Miss Leefolt sitzt an der Nähmaschine und verdreht die Augen, wie wenn’s eine streunende Katze wär, die in der Fliegentür klemmt und schreit. Miss Leefolt zieht sich jeden Tag hübsch an. Ist immer geschminkt, hat einen Carport und einen Doppelkühlschrank mit eingebautem Eisfach. Wenn man sie im Jitney 14 einkaufen sieht, würd man nie denken, dass sie ihre Kleine einfach heulend im Gitterbettchen lässt. Aber das Dienstmädchen weiß alles.

Heut ist allerdings ein guter Tag. Die Kleine grinst über beide Backen.

Ich sag: »Aibileen.«

Sie sagt: »Ai-bee.«

Ich sag: »Liebt.«

Sie sagt: »Liep.«

Ich sag: »Mae Mobley.«

Sie sagt: »Ai-bee.« Und lacht und lacht. Sie ist ganz aus dem Häuschen, weil sie jetzt spricht, und ich muss sagen, es wird auch Zeit. Treelore hat auch nichts gesagt, bis er zwei war. Aber wie er in der dritten Klasse war, hat er besser geredet wie der Präsident der Vereinigten Staaten, ist heimgekommen und hat Wörter benutzt wie Konjugation und parlamentarisch. Und wie er dann auf der Junior High war, haben wir immer so ein Spiel gespielt, wo ich ein normales Wort gesagt hab, und er musst dann ein hochvornehmes dafür finden. Ich sag Hauskatze, er sagt domestizierte Felide, ich sag Mixer, und er sagt motorisierte Rotunde. Eines Tags sag ich Crisco. Er kratzt sich am Kopf. Kann’s nicht fassen, dass ich mit so was Simplem wie Crisco-Pflanzenfett gewonnen hab. Das war von da an so eine Art Geheimwitz zwischen uns, ein Wort für was, was man nicht vornehmer machen kann, als es ist, auch wenn man sich noch so viel Müh gibt. Wir nannten seinen Daddy Crisco, weil man’s nicht schönreden kann, wenn ein Mann einfach seine Familie sitzen lässt. Und er außerdem der nichtsnutzigste Schmierlappen ist, den die Welt je gesehen hat.

Ich trag Mae Mobley in die Küche, setz sie in ihren Hochstuhl und denk an die beiden Sachen, die ich heut noch machen muss, eh Miss Leefolt einen Anfall kriegt: von den Servietten die aussortieren, die langsam durchgewetzt sind, und das Silber im Schrank richtig ordnen. Gott im Himmel, ich muss das wohl machen, während die Ladys da sind.

Ich bring das Tablett mit Teufelseiern ins Esszimmer raus. Miss Leefolt sitzt oben am Tisch, und links von ihr sitzen Miss Hilly Holbrook und Miss Hillys Mama, Miss Walters, die von Miss Hilly gar nicht respektvoll behandelt wird. Und rechts von Miss Leefolt sitzt Miss Skeeter.

Ich geh mit den Eiern rum, fang bei Miss Walters an, weil sie die Älteste ist. Es ist warm hier drin, aber sie hat eine dicke braune Strickjacke umgehängt. Sie nimmt ein Ei auf den Löffel und lässt es ums Haar fallen, weil sie allmählich tattrig wird. Dann geh ich weiter zu Miss Hilly, und die lächelt und nimmt sich zwei. Miss Hilly hat ein rundes Gesicht und eine dunkelbraune Bienenkorbfrisur. Ihre Haut ist olivfarben, mit Sommersprossen und Muttermalen. Sie trägt gern rotes Schottenkaro. Und sie kriegt langsam einen dicken Hintern. Heut, wo es so heiß ist, hat sie ein ärmelloses rotes Kleid ohne Taille an. Sie ist eine von den erwachsenen Frauen, die sich immer noch wie kleine Mädchen anziehn, mit großen Schleifen und dazu passenden Hüten und so. Ich kann sie nicht besonders leiden.

Ich geh auf die andere Seite zu Miss Skeeter, aber die rümpft die Nase und sagt »Nein, danke«, weil sie keine Eier isst. Ich erinner Miss Leefolt jedes Mal dran, wenn das Bridgekränzchen bei ihr stattfindet, aber sie will trotzdem, dass ich die Eier mach. Sie hat Angst, dass Miss Hilly sonst enttäuscht ist.

Schließlich bedien ich Miss Leefolt. Sie ist die Gastgeberin, also kriegt sie ihre Eier zuletzt. Kaum dass ich fertig bin, ruft Miss Hilly »Ich darf doch« und schnappt sich noch zwei Eier, was mich nicht weiter überrascht.

»Ratet mal, wen ich im Schönheitssalon getroffen habe«, sagt Miss Hilly zu den anderen Ladys.

»Wen?«, will Miss Leefolt wissen.

»Celia Foote. Und wisst ihr, was sie mich gefragt hat? Ob sie dieses Jahr beim Wohltätigkeitsball mithelfen könnte.«

»Gut«, sagt Miss Skeeter. »Wir können Hilfe brauchen.«

»So dringend nicht. Ich habe es ihr gesagt. ›Celia‹, habe ich gesagt, ›um mitzumachen muss man League-Mitglied oder Förderin sein.‹ Was glaubt sie, was die Jackson-League ist? Ein offener Club?«

»Nehmen wir dieses Jahr nicht auch Nichtmitglieder? Weil der Wohltätigkeitsball so groß geworden ist?«, fragt Miss Skeeter.

»Na ja, schon«, murmelt Miss Hilly. »Aber das werde ich ihr doch nicht sagen.«

»Ich kann’s nicht fassen, dass Johnny so ein ungehobeltes Ding geheiratet hat«, sagt Miss Leefolt, und Miss Hilly nickt. Sie fängt an, die Bridgekarten zu geben.

Ich servier grad den eisgekühlten Salat und die Schinkensandwiches und kann nicht anders, wie ihr Geplapper mitanzuhören. Gibt nur drei Sachen, über die diese Ladys sprechen: ihre Kinder, ihre Kleider und ihre Bekannten. Ich hör das Wort Kennedy. Ich weiß, sie reden nicht über Politik. Sie reden drüber, was Miss Jackie im Fernsehen angehabt hat.

Wie ich zu Miss Walters komm, nimmt sie sich nur ein halbes Sandwich.

»Mama«, schreit Miss Hilly Miss Walters an. »Nimm dir noch ein Sandwich! Du bist dürr wie ein Telefonmast.« Miss Hilly guckt in die Runde. »Ich sage ihr immer wieder, wenn diese Minny nicht kochen kann, muss sie sie eben feuern.«

Ich spitz die Ohren. Sie reden vom Dienstmädchen. Minny ist meine beste Freundin.

»Minny kann kochen«, sagt die alte Miss Walters. »Ich habe nur nicht mehr so viel Hunger wie früher.«

Minny ist wohl die beste Köchin von Hinds County, wenn nicht von ganz Mississippi. Sie müsst das gefragteste Dienstmädchen weit und breit sein. Aber das Problem ist, Minny ist nicht auf den Mund gefallen. Sie gibt immer Widerworte. Mal legt sie sich mit dem weißen Filialleiter vom Jitney-Jungle-Supermarkt an, mal mit ihrem Mann und immerzu mit der weißen Lady, bei der sie arbeitet. Dass sie schon so lang bei Miss Walters ist, liegt nur da dran, dass Miss Walters stocktaub ist.

»Ich finde, du bist unterernährt, Mama!«, schreit Miss Hilly. »Diese Minny gibt dir nichts zu essen, damit sie die letzten Erbstücke stehlen kann, die mir noch bleiben.« Miss Hilly steht schnaubend auf. »Ich gehe mir mal die Nase pudern. Passt auf sie auf, für den Fall, dass sie vor Hunger tot umfällt.«

Wie Miss Hilly draußen ist, sagt Miss Walters ganz leis: »Das käme dir gerade recht.« Alle tun, wie wenn sie nichts gehört hätten. Ich ruf Minny wohl besser heut Abend an und erzähl ihr, was Miss Hilly behauptet hat.

In der Küche sitzt die Kleine in ihrem Hochstuhl, roten Saft im ganzen Gesicht. Sowie ich reinkomm, strahlt sie. Sie bleibt ganz brav da sitzen, aber ich lass sie nicht gern zu lang allein. Ich weiß, sie starrt ganz still auf die Tür, bis ich wiederkomm.

Ich tätschel ihr weiches Köpfchen und geh wieder raus, Eistee einschenken. Miss Hilly ist zurück auf ihrem Platz und scheint jetzt wegen irgendwas andrem unter Dampf zu stehen.

»Oh, Hilly, es wäre mir lieber, ihr würdet das Gästebad benutzen«, sagt Miss Leefolt, während sie ihre Karten ordnet. »Das hintere Bad putzt Aibileen erst nach dem Mittagessen.«

Hilly reckt das Kinn vor. Macht dann eins von ihren Ähhemms. Sie hat so eine Art, sich zu räuspern, dass alle horchen, was sie sagen will, ohne zu wissen, wie sie sie dazu gebracht hat.

»Aber das Gästebad benutzt doch das Mädchen«, erwidert Miss Hilly.

Einen Moment sagt keine was. Dann nickt Miss Walters, wie wenn sie’s allen erklären wollt. »Sie ist besorgt, weil die Negerin die Innentoilette benutzt und wir auch.«

Guter Gott, nicht wieder der Zirkus. Sie gucken alle zu mir rüber, wie ich das Silberbesteck in der Sideboardschublade ordentlich einräum, und ich weiß, ich verschwind jetzt besser. Doch eh ich den letzten Löffel drin hab, guckt mich Miss Leefolt streng an und sagt: »Gehen Sie neuen Tee holen, Aibileen.«

Ich tu wie mir geheißen, obwohl ihre Tassen noch randvoll sind.

Ich steh kurz in der Küche rum, aber da hab ich nichts mehr zu tun. Ich muss ins Esszimmer, damit ich das Silber fertig ordnen kann. Und ich muss auch noch die Servietten durchsortieren, aber die sind im Schrank im Flur, gleich vor dem Zimmer, wo sie sitzen. Ich will heut nicht länger bleiben, nur weil Miss Leefolt Karten spielt.

Ich wart noch paar Minuten, wisch eine Arbeitsplatte. Geb der Kleinen von dem Schinken, und sie verdrückt ihn bis aufs letzte Fitzelchen. Schließlich schleich ich mich raus in den Flur und bet, dass mich niemand sieht.

Alle vier haben eine Zigarette in der einen Hand und die Karten in der andren. »Elizabeth, wenn du die Wahl hättest«, hör ich Miss Hilly sagen, »würdest du nicht auch wollen, dass sie ihre Geschäfte draußen verrichten?«

Ganz leis zieh ich die Serviettenschublade auf, mehr damit beschäftigt, dass sie mich ja nicht bemerken, wie mit dem, was sie reden. Das ist für mich nichts Neues. Überall in der Stadt gibt’s Extra-Klos für Farbige und in den meisten Häusern auch. Aber dann guck ich rüber und seh, wie mich Miss Skeeter beobachtet, und ich werd ganz starr vor Schreck und denk, jetzt gibt’s Ärger.

»Ich biete ein Herz«, sagt Miss Walters.

»Ich weiß nicht«, sagt Miss Leefolt und guckt mit gerunzelter Stirn auf ihre Karten. »Jetzt, wo Raleigh sich gerade selbständig macht und die Steuersaison noch ein halbes Jahr hin ist … Im Moment ist es bei uns finanziell wirklich eng.«

Miss Hilly spricht langsam, wie wenn sie Spritzgusstupfer auf einer Torte verteilt. »Sag Raleigh einfach, jeden Penny, den er für die Toilette ausgibt, kriegt er wieder, wenn ihr das Haus verkauft.« Sie nickt, wie wenn sie sich selbst zustimmt. »Die ganzen Häuser, die ohne Dienstboteneinrichtungen gebaut werden? Das ist schlichtweg gefährlich. Jeder weiß doch, dass diese Leute andere Krankheitserreger in sich tragen als wir. Ich verdopple.«

Ich nehm einen Stapel Servietten raus. Ich weiß nicht warum, aber plötzlich will ich hören, was Miss Leefolt da drauf sagt. Sie ist meine Arbeitgeberin. Jeder will doch wohl wissen, was sein Arbeitgeber über ihn denkt.

»Es wäre schon schön«, sagt Miss Leefolt und zieht kurz an ihrer Zigarette, »wenn sie nicht die Toilette im Haus benutzen würde. Ich biete drei Pik.«

»Ebendarum habe ich die Initiative für Hauspersonalsanitäranlagen ins Leben gerufen«, erklärt Miss Hilly. »Als Krankheitsvorbeugungsmaßnahme. «

Ich bin überrascht, wie eng meine Kehle wird. Das ist die Scham, die ich vor langer Zeit runterzuschlucken gelernt hab.

Miss Skeeter guckt ganz verwirrt. »Für Haus… was?«

»Für ein Gesetz, dass jeder weiße Haushalt eine separate Toilette für die farbigen Dienstboten haben muss. Ich habe mich sogar schon an den Leiter der Gesundheitsbehörde von Mississippi gewandt, ob er das Anliegen unterstützt. Ich passe.«

Miss Skeeter schaut Miss Hilly stirnrunzelnd an. Sie legt ihre Karten offen hin und sagt ganz sachlich: »Vielleicht sollten wir einfach dir draußen eine Toilette bauen, Hilly.«

Herrjesses, ist es auf einmal still in dem Zimmer!

Dann zischt Miss Hilly: »Ich glaube nicht, dass du Witze über das Farbigenproblem machen solltest. Nicht wenn du Herausgeberin des League-Newsletters bleiben willst, Skeeter Phelan.«

Miss Skeeter gibt so eine Art Lachen von sich, aber ich merk, dass sie’s nicht komisch findet. »Willst du sagen, du … würdest mich rausschmeißen? Weil ich nicht deiner Meinung bin?«

Miss Hilly zieht eine Augenbraue hoch. »Ich werde tun, was ich tun muss, um unsere Stadt zu schützen. Du sagst an, Mama.«

Ich geh in die Küche und komm erst wieder raus, wie ich die Tür hinter Miss Hillys Hinterteil zufallen hör.

 

Wie ich weiß, Miss Hilly ist weg, setz ich Mae Mobley in ihren Laufstall und schlepp die Mülltonne raus an die Straße, weil heut die Müllabfuhr kommt. Am oberen Ende von der Einfahrt fahren mich Miss Hilly und ihre verrückte Mama beinah im Rückwärtsgang über den Haufen und rufen dann ganz freundlich aus dem Wagen raus, wie leid’s ihnen tut. Ich geh wieder ins Haus, froh, dass ich nicht zwei frisch gebrochene Beine hab.

Wie ich in die Küche komm, ist da Miss Skeeter. Sie lehnt an der Arbeitsplatte und macht ein ganz ernstes Gesicht, noch ernster wie sonst. »Hey, Miss Skeeter. Möchten Sie irgendwas?«

Sie guckt raus auf die Einfahrt, wo Miss Leefolt durchs Autofenster mit Miss Hilly redet. »Nein, ich … warte nur.«

Ich trockne eine Servierplatte ab. Wie ich verstohlen rüberguck, starrt sie immer noch ernst durchs Fenster. Sie sieht nicht aus wie die anderen Ladys, weil sie so groß ist. Sie hat ganz hohe Wangenknochen. Blaue Augen, die meistens auf den Boden gucken, was ihr was Schüchternes gibt. Es ist still, bis auf das kleine Radio auf der Arbeitsplatte, in dem der Gospelsender läuft. Ich wollte, sie würd gehen.

»Ist das Prediger Green da im Radio?«, fragt sie.

»Ja, Ma’am, ist es.«

Miss Skeeter lächelt halb. »Das erinnert mich so an unser Mädchen, als ich ein Kind war.«

»Oh, ich hab Constantine gekannt«, sag ich.

Jetzt guckt mich Miss Skeeter an. »Sie hat mich großgezogen, wussten Sie das?«

Ich nick, bereu, dass ich überhaupt was gesagt hab. Ich weiß zu viel da drüber.

»Ich habe versucht, die Adresse ihrer Verwandten in Chicago herauszukriegen«, setzt sie hinzu. »Aber niemand kann mir irgendetwas sagen.«

»Ich hab sie auch nicht, Ma’am.«

Miss Skeeter schaut wieder zum Fenster raus, auf Miss Hillys Buick. Sie schüttelt ganz leicht den Kopf. »Aibileen, das Gerede dort drinnen … Hillys Gerede meine ich …«

Ich nehm eine Kaffeetasse und trockne sie mehr wie ordentlich ab.

»Wünschen Sie sich manchmal, Sie könnten … die Dinge ändern?«, fragt sie.

Und da kann ich nicht anders, ich guck ihr direkt ins Gesicht. Weil das wohl die dümmste Frage ist, die ich je gehört hab. Ihr Gesicht ist verwirrt und angewidert, wie wenn sie sich grad Salz statt Zucker in den Kaffee getan hätt.

Ich wend mich wieder zur Spüle hin, damit sie nicht sieht, wie ich die Augen verdreh. »Oh, nein, Ma’am, es ist alles gut so.«

»Aber das Gerede da eben, über die Toilette …«, und genau bei dem Wort kommt Miss Leefolt in die Küche marschiert.

»Ach, da bist du, Skeeter.« Sie guckt uns bisschen komisch an. »Entschuldigung, habe ich … euch bei irgendetwas unterbrochen? « Wir stehen beide da und fragen uns, was sie wohl gehört hat.

»Ich muss los«, sagt Miss Skeeter. »Bis morgen, Elizabeth.« Sie macht die Hintertür auf, ruft: »Danke für das Essen, Aibileen«, und weg ist sie.

Ich geh ins Esszimmer und fang an, den Bridgetisch abzuräumen. Und wie ich schon befürchtet hab, kommt Miss Leefolt hinter mir her und hat ihr nervöses Lächeln im Gesicht. Sie reckt den Hals vor, wie wenn sie dran arbeitet, mich was zu fragen. Sie mag’s nicht, dass ich mit ihren Freundinnen red, wenn sie nicht dabei ist. Will immer wissen, was wir reden. Ich geh einfach an ihr vorbei in die Küche. Ich setz die Kleine in den Hochstuhl und mach mich dran, den Backofen zu putzen.

Miss Leefolt kommt wieder hinter mir her, nimmt eine Dose Crisco und beäugt sie, stellt sie dann wieder hin. Die Kleine reckt die Ärmchen nach ihrer Mama, aber Miss Leefolt macht einen Küchenschrank auf und tut, wie wenn sie’s nicht sieht. Dann knallt sie den Schrank wieder zu und macht einen anderen auf. Schließlich steht sie einfach nur da. Ich kauer auf allen vieren. Steck meinen Kopf so tief in den Backofen, dass es ausschaut, als wollt ich mich grad mit Gas umbringen.

»Miss Skeeter und Sie gerade eben, das sah ja wie eine furchtbar ernste Unterhaltung aus.«

»Nein, Ma’am, sie wollt nur … wissen, ob ich paar alte Kleider will«, sag ich, und es klingt, als wär ich in einem Brunnenloch. Meine Arme sind schon ganz fettig. Riecht wie Achselhöhlen hier drin. Im Nu rinnt mir Schweiß die Nase runter, und jedes Mal, wenn ich mich kratz, hinterlass ich schmierigen Dreck auf meinem Gesicht. Ist wohl der schlimmste Platz auf der Welt, in so einem Backofen. Man ist entweder zum Putzen drin oder weil man gebraten wird. Heut Nacht, das weiß ich, werd ich wieder diesen Traum träumen, dass ich hier

KAPITEL 2

Man würd’s nicht meinen, wenn man hier wohnt, aber Jackson, Mississippi, ist vollgestopft mit zweihunderttausend Menschen. Ich hab die Zahl in der Zeitung gelesen und frag mich, wo leben die alle? Unter der Erde? Ich kenn doch so ziemlich jeden auf meiner Seite von der Brücke und auch einen Haufen weiße Familien, und das gibt mit Sicherheit zusammen keine zweihunderttausend Leute.

Sechs Tage die Woche nehm ich den Bus über die Woodrow-Wilson-Brücke, dahin, wo Miss Leefolt und ihre ganzen weißen Freundinnen wohnen, Belhaven heißt das Viertel. Gleich neben Belhaven sind das Stadtzentrum und das Regierungsviertel. Das Kapitol ist riesengroß und sieht von außen schön aus, aber drin war ich noch nie. Ich frag mich immer, was die wohl fürs Putzen zahlen.

Wenn man von Belhaven weiterfährt, kommt das Weißenviertel Woodland Hills und dann Sherwood Forest, da sind meilenweit nur Eichen mit Moosfäden dran. Wohnen tut da noch keiner, aber es ist dafür da, dass die Weißen hinkönnen, wenn sie mal wieder wo Neues hinziehen wollen. Dahinter kommt man raus aufs Land, wo Miss Skeeter auf der Longleaf-Baumwollplantage wohnt. Sie weiß es nicht, aber ich hab da mal Baumwolle gepflückt, 1931, in der Großen Depression, wie wir nichts zu essen hatten außer Regierungskäse.

Jackson hat also ein Weißenviertel am andern, und an der Straße schießen immer noch neue aus dem Boden. Aber der Farbigenteil, wo wir wohnen, ist ein einziger riesiger Ameisenhaufen, eingequetscht zwischen dem ganzen Staatsland, das nicht zu verkaufen ist. Wenn wir immer mehr werden, können wir nirgends hin. Unser Teil wird einfach nur immer voller.

An dem Nachmittag steig ich in den Bus von Belhaven zur Farish Street. Heut sind da nur Dienstmädchen in ihren weißen Uniformen, auf dem Weg heim. Wir lächeln uns alle an und schwatzen, wie wenn uns der Bus gehört, nicht weil’s uns was ausmachen würd, wenn Weiße mitfahren, dank Miss Parks sitzen wir ja jetzt, wo wir wollen. Es ist einfach nur so eine freundliche Stimmung.

Ich seh Minny ganz hinten in der Mitte. Minny ist klein und kräftig, mit glänzenden schwarzen Locken. Sie sitzt breitbeinig da, die Arme verschränkt. Sie ist siebzehn Jahre jünger wie ich. Minny könnt wahrscheinlich den ganzen Bus hochstemmen, wenn ihr danach wär. Eine alte Frau wie ich kann von Glück sagen, dass ich sie zur Freundin hab.

Ich setz mich auf den Sitz vor ihr, dreh mich um und hör zu. Minny hören alle gern zu.

»… also sag ich, Miss Walters, sag ich, die Welt will Ihren nackten weißen Hintern auch nicht lieber sehen wie meinen schwarzen. Sie gehen jetzt da rein und ziehen sich Unterhosen und Kleider an.«

»Auf der Eingangsveranda? Nackt?«, fragt Kiki Brown.

»Wenn ich’s doch sag, und der Hintern schlackert ihr bis in die Kniekehlen.«

Alles lacht und schüttelt den Kopf.

»Herr im Himmel, die spinnt wirklich, die Frau«, sagt Kiki. »Weiß nicht, wie du immer an die Verrückten gerätst, Minny.«

»Ach, und deine Miss Patterson? Spinnt die vielleicht nicht?«, sagt Minny zu Kiki. »Geh mir weg, die ist doch die Oberverrückte. « Jetzt lacht der ganze Bus, weil Minny nicht will, dass jemand anders wie sie schlecht über ihre weiße Lady redet. Es ist ihr Job, also steht’s auch nur ihr zu.

Der Bus fährt über die Brücke und hält an der ersten Haltestelle im Farbigenteil. So ungefähr ein Dutzend Dienstmädchen steigen aus. Ich setz mich jetzt auf den freien Platz neben Minny. Sie lächelt und stößt mir zur Begrüßung den Ellbogen in die Rippen. Dann lehnt sie sich in ihrem Sitz zurück, weil sie für mich keine Show zu machen braucht.

»Wie geht’s? Hast du heut Morgen Plisseefalten bügeln müssen?«

Ich lach und nick. »Anderthalb Stunden hab ich gebraucht.«

»Was hast du Miss Walters heut beim Bridgekränzchen zu essen gegeben? Den ganzen Vormittag hab ich mich abgemüht, der Alten eine Karamelltorte zu machen, und dann wollt sie keinen Krümel essen.«

Das erinnert mich dran, was Miss Hilly heut am Bridgetisch gesagt hat. Wenn’s irgendeine andere weiße Lady wär, würd ja kein Hahn danach krähen, aber bei Miss Hilly – wenn die dich auf dem Kieker hat, willst du’s schon lieber wissen. Ich hab bloß keine Ahnung, wie ich’s sagen soll.

Ich guck aus dem Fenster, aufs Farbigenkrankenhaus und den Obststand. »Ich glaub, ich hab Miss Hilly so was sagen hören, dass ihre Mama immer magerer wird.« Ich drück’s so vorsichtig aus, wie ich kann. »Sie meint, sie wär vielleicht unterernährt.«

Minny schaut mich an. »Ach, meint sie?« Schon bei dem bloßen Namen werden ihre Augen Schlitze. »Was hat Miss Hilly noch gesagt?«

Ich spuck’s wohl besser einfach aus. »Ich glaub, sie hat dich auf dem Kieker, Minny. Ich mein … pass einfach auf, wenn sie in der Näh ist.«

»Miss Hilly soll lieber aufpassen, wenn ich in der Näh bin. Was hat sie gesagt? Dass ich nicht kochen kann? Hat sie gesagt, das alte Klappergestell isst nichts, weil ich ihr nichts Ordentliches zu essen mach?« Minny steht auf und fährt mit dem Arm durch die Henkel von ihrer Handtasche.

»Tut mir leid, Minny, ich hab’s dir nur erzählt, damit du aufpassen …«

»Das soll die ein Mal zu mir sagen, dann kriegt sie zu Mittag eine Ladung Minny zwischen die Zähne.« Wütend steigt sie die Busstufen runter.

Ich guck ihr durchs Fenster nach, seh, wie sie nach Haus stapft. Mit Miss Hilly legt man sich besser nicht an. Gott, vielleicht hätt ich’s doch für mich behalten sollen.

 

Zwei Tage drauf steig ich morgens aus dem Bus und geh zu Fuß den Block bis zu Miss Leefolts Haus. Vor dem Haus steht ein alter Laster. Drin sind zwei farbige Männer, der eine trinkt grad Kaffee, der andre schläft im Sitzen. Ich geh dran vorbei und rein in die Küche.

Mister Raleigh Leefolt ist noch zu Haus, was selten passiert. Wenn er mal hier ist, sieht er immer aus, wie wenn er die Minuten zählt, bis er wieder in sein Steuerbüro kann. Sogar samstags. Aber heut schimpft er wegen irgendwas rum.

»Das hier ist mein gottverdammtes Haus, und ich bestimme, was hier gemacht wird, weil ich verdammt noch mal dafür zahle! «, brüllt Mister Leefolt.

Miss Leefolt läuft hinter ihm her, und ihr Lächeln sagt, dass sie gar nicht glücklich ist. Ich versteck mich in der Waschküche. Die Klosache ist jetzt zwei Tage her, und ich hab schon gehofft, es wär wieder vergessen. Mister Leefolt macht die Hintertür auf, guckt auf den Laster, der draußen parkt, und knallt die Tür wieder zu. »Ich sage ja nichts wegen der neuen Kleider und der ganzen verflixten New-Orleans-Trips mit deinen Verbindungsschwestern, aber das schlägt dem Fass den Boden aus.«

»Aber es steigert den Wert des Hauses, meint Hilly!« Ich bin immer noch in der Waschküche, hör aber regelrecht, wie Miss Leefolt sich anstrengt, weiter zu lächeln.

»Wir können es uns nicht leisten! Und von den Holbrooks lassen wir uns gar nichts sagen!«

Einen Augenblick ist es ganz still. Dann hör ich das Tapp-Tapp von kleinen Schlafanzugfüßen.

»Dad-diii?«

Ich schlüpf in die Küche, weil Mae Mobley meine Sache ist.

Mister Leefolt hockt sich schon vor sie hin, mit einem Lächeln wie aus Gummi. »Soll ich dir was verraten, Schätzchen?«

Sie strahlt ihn an. Wartet auf eine schöne Überraschung.

»Du wirst nicht aufs College gehen können, weil Mamas Freundinnen nicht dieselbe Toilette benutzen wollen wie das Dienstmädchen.«

Er stapft davon und knallt die Tür so laut zu, dass die Kleine zusammenfährt.

Miss Leefolt schaut auf sie runter und wedelt mit dem Zeigefinger. »Mae Mobley, du weißt doch, du darfst nicht aus deinem Bett klettern!«

Die Kleine guckt auf die Tür, die ihr Daddy zugeknallt hat, guckt dann ihre strenge Mama an. Und mein Baby Girl schluckt es runter, schluckt ganz fest, wie wenn sie sich alle Mühe gibt, nicht zu weinen.

Ich renn an Miss Leefolt vorbei, nehm die Kleine hoch. Flüster: »Komm, wir zwei gehen ins Wohnzimmer und spielen mit dem Esel, der sprechen kann. Wie sagt der Esel?«

»Sie steht immer wieder auf. Ich habe sie heute Morgen schon dreimal wieder ins Bett gesetzt.«

»Weil da jemand eine frische Windel braucht. Uii-jeee.«

Miss Leefolt macht Tss und sagt: »Mir war nicht klar …«, starrt dabei aber durchs Fenster zu dem Laster raus.

Ich stampf regelrecht nach hinten, so wütend bin ich. Die Kleine war seit acht Uhr abends in diesem Bett, natürlich muss sie gewickelt werden! Miss Leefolt soll mal versuchen, in ihren Geschäften von zwölf Stunden zu sitzen und nicht aufzustehen!

Ich leg die Kleine auf den Wickeltisch, versuch, meine Wut drinnen zu halten. Die Kleine guckt mich an, während ich ihr die Windel abmach. Dann streckt sie ihr Händchen aus. Berührt mich ganz sacht am Mund.

»Mae Mo wa bös«, sagt sie.

»Nein, Baby, du warst nicht bös«, sag ich und streich ihr das Haar zurück. »Du warst brav. Ganz brav.«

 

Ich wohn an der Gessum Avenue, zur Miete, schon seit 1942. Man kann wohl sagen, die Gessum hat Charakter. Die Häuser sind alle klein, aber jeder Vorgarten ist anders. Manche sind voll Gestrüpp, und sonst ist der Boden kahl wie ein alter Glatzkopf, andere haben Azaleen und Rosen und dichtes grünes Gras. Mein Garten ist irgendwo dazwischen, würd ich sagen.

Ich hab ein paar rote Kameliensträucher vorm Haus. Mein Gras ist bisschen räudig, und da ist immer noch ein großer gelber Fleck, wo Treelores Pick-up nach dem Unfall drei Monate lang gestanden hat. Aber der hintere Garten, also der sieht aus wie der Garten Eden. Dort hat meine Nachbarin Ida Peek ihr Gemüsebeet.

Ida hat nämlich in ihrem Garten keinen Platz, wegen dem ganzen Gerümpel von ihrem Mann – Automotoren, alte Kühlschränke und Reifen. Alles Zeug, das er angeblich irgendwann reparieren oder gebrauchen will, aber er tut’s nie. Also hab ich Ida gesagt, sie kann ihre Sachen bei mir hinten pflanzen. Auf die Art muss ich nicht mähen, und ich darf mir nehmen, was ich brauch, das spart mir jede Woche zwei, drei Dollar. Was wir nicht essen, macht sie ein, und ich krieg dann Gläser für den Winter. Leckere Rübenblätter, Eierfrüchte, büschelweis Okra, alle möglichen Kürbisse. Ich weiß nicht, wie sie’s macht, dass kein Ungeziefer an ihre Tomaten geht, aber sie schafft es. Und gut sind die!

An dem Abend regnet es draußen mächtig. Ich nehm ein Glas von Ida Peeks Kohl mit Tomaten raus, ess dazu meine letzte Scheibe Maisbrot. Dann setz ich mich hin, um mir meine Finanzen vorzunehmen, weil nämlich zwei Sachen passiert sind: Der Bus ist pro Fahrt fünfzehn Cent teurer geworden, und meine Miete ist auf neunundzwanzig Dollar im Monat raufgegangen. Ich arbeit bei Miss Leefolt von acht bis vier, sechs Tage die Woche, nur samstags nicht. Ich krieg jeden Freitag dreiundvierzig Dollar, macht im Monat hundertzweiundsiebzig Dollar. Das heißt, wenn ich Strom, Wasser, Gas und Telefon bezahlt hab, bleiben mir noch dreizehn Dollar und fünfzig Cent die Woche für Lebensmittel, Kleidung, Friseur und die Kollekte in der Kirche. Mal ganz davon abgesehen, dass das Porto für die Schecks, mit denen ich die Rechnungen zahl, auf fünf Cent aufgeschlagen hat. Und meine Arbeitsschuh sind schon so dünn, sehen aus, wie wenn sie am Verhungern wären. Ein neues Paar kostet aber sieben Dollar, was heißt, ich werd von Kohl mit Tomaten leben, bis ich zum Karnickel werd. Dem Herrn sei Dank für Ida Peek, sonst hätt ich gar nichts zu essen.

Ich fahr zusammen, weil mein Telefon klingelt. Eh ich auch nur hallo sagen kann, hör ich schon Minny. Sie arbeitet heut länger.

»Miss Hilly steckt Miss Walters ins Altenheim. Ich brauch einen neuen Job. Und weißt du, wann sie ins Heim kommt? Nächste Woche.«

»O nein.«

»Ich hab schon gesucht, zehn Ladys hab ich heut angerufen. Kein Funken Interesse.«

Kann leider nicht sagen, dass mich das wundert. »Ich frag Miss Leefolt gleich morgen früh, ob sie jemand kennt, der jemand sucht.«

»Wart mal kurz«, meint Minny. Ich hör die alte Miss Walters reden, und Minny sagt: »Was glauben Sie, was ich bin? Ihr Chauffeur? Ich fahr Sie bei dem Regen in keinen Country Club.«

Außer Stehlen ist das Schlimmste, was man als Dienstmädchen machen kann, ein vorlautes Mundwerk haben. Andrerseits kocht sie so gut, dass es das manchmal rausreißt.

»Mach dir nichts draus, Minny. Wir finden dir eine, die genauso stocktaub ist wie Miss Walters.«

»Miss Hilly hat durchblicken lassen, ich könnt ja bei ihr arbeiten.«

»Was?« So streng ich kann, sag ich: »Hör mal zu, Minny, eher unterstütz ich dich, wie dass ich dich für diesen Drachen arbeiten lass.«

»Wofür hältst du mich, Aibileen? Für eine dumme Gans? Da könnt ich gleich für den Ku-Klux-Klan arbeiten. Und außerdem weißt du doch, ich würd nie Yule May ihren Job wegnehmen.«

»’tschuldigung.« Ich werd einfach so nervös, wenn’s um Miss Hilly geht. »Ich ruf Miss Caroline in der Honeysuckle an, frag, ob sie jemand weiß. Und Miss Ruth auch, die ist so nett, dass es einem richtig ans Herz geht. Hat jeden Morgen selbst aufgeräumt und geputzt, dass mir nichts mehr zu tun blieb, wie ihr Gesellschaft zu leisten. Ihr Mann ist am Scharlachfieber gestorben, mm-hmmm.«

»Danke, Aibee. Ach, Miss Walters, jetzt essen Sie doch ein grünes Böhnchen – mir zulieb.« Minny sagt Wiedersehen und hängt ein.

 

Am nächsten Morgen steht der alte grüne Laster wieder da. Ich hör schon Gehämmer, aber Mister Leefolt stapft heut nicht im Haus rum. Ich schätz mal, er weiß, dass er verloren hat, noch eh’s richtig losgeht.

Miss Leefolt sitzt in ihrem blauen Steppmorgenrock am Küchentisch und telefoniert. Die Kleine hat das ganze Gesicht voll mit was Rotem, Klebrigem und hängt am Knie von ihrer Mama, versucht sie dazu zu bringen, dass sie sie anguckt.

»Morgen, Baby Girl«, sag ich.

»Mama! Mama!«, ruft sie und versucht, auf Miss Leefolts Schoß zu klettern.

»Nein, Mae Mobley.« Miss Leefolt schubst sie runter. »Mama ist am Telefon. Lass Mama in Ruhe reden.«

»Hoch, Mama«, jammert Mae Mobley und streckt die Ärmchen zu ihrer Mama rauf. »Hoch.«

»Psst«, zischt Miss Leefolt leis.

Ich heb die Kleine schnell hoch und nehm sie mit an die Spüle, aber sie dreht die ganze Zeit den Kopf und jammert: »Mama! Mama!«

»Genauso, wie du mir’s geraten hast.« Miss Leefolt nickt ins Telefon. »Wenn wir eines Tages ausziehen, wird es den Wert des Hauses steigern.«

»Komm schon, Baby Girl. Streck die Hände dahin, unters Wasser.«

Aber die Kleine zappelt und wehrt sich. Ich versuch, ihr die Finger einzuseifen, doch sie windet sich mir aus dem Arm. Sie rennt gradewegs zu ihrer Mama, reckt das Kinn vor und zieht dann, so fest sie kann, an der Telefonschnur. Der Hörer fällt Miss Leefolt aus der Hand und knallt auf den Fußboden.

»Mae Mobley!«, sag ich. Ich renn hin, um sie zu holen, aber Miss Leefolt ist schneller. Sie lächelt, wie wenn sie die Zähne fletscht, und klatscht der Kleinen mit der flachen Hand hinten auf die nackten Schenkel, so fest, dass ich zusammenzuck.

Dann packt Miss Leefolt Mae Mobleys Arm und reißt bei jedem Wort dran. »Du rührst dieses Telefon nie wieder an, Mae Mobley!«, ruft sie. »Aibileen, wie oft muss ich Ihnen sagen, Sie sollen sie von mir fernhalten, wenn ich telefoniere!«

»Entschuldigung«, sag ich, nehm Mae Mobley hoch und versuch sie an mich zu drücken, aber sie brüllt und ist rot im Gesicht und wehrt sich gegen mich.

»Komm, Baby Girl, ist ja gut, ist ja alles …«

Mae Mobley guckt mich grimmig an, beugt sich zurück und Wamm! boxt mich genau aufs Ohr.

Miss Leefolt zeigt auf die Küchentür und schreit: »Aibileen, raus, alle beide!«

Ich trag Mae Mobley in die Küche. Ich bin so wütend auf Miss Leefolt, dass ich mir auf die Zunge beißen muss. Wenn diese dumme Frau ihr Kind mal beachten würd, dann würd so was nicht passieren! Wie wir in Mae Mobleys Zimmer sind, setz ich mich in den Schaukelstuhl. Sie schluchzt an meiner Schulter, und ich streichel ihr den Rücken, froh, dass sie mein zorniges Gesicht nicht sieht. Ich will nicht, dass sie denkt, ich bin wütend auf sie.

»Okay, Baby Girl?«, flüster ich. Mein Ohr tut weh von ihrer kleinen Faust. Ich bin so froh, dass sie mich geschlagen hat statt ihrer Mama, weil ich nicht weiß, was die Frau mit ihr gemacht hätt. Ich guck runter und seh rote Striemen hinten auf ihren Beinen.

»Ich bin ja hier, Baby Girl, Aibee ist hier.« Ich wieg sie und streichel sie und tröst sie.

Aber die Kleine heult und heult.

 

Um die Mittagszeit, wie meine Geschichten im Fernsehen kommen, wird es draußen im Carport still. Mae Mobley sitzt auf meinem Schoß und hilft mir, die Bohnen putzen. Sie ist immer noch durcheinander von heut Morgen. Ich wohl auch, aber ich hab’s weggeschoben, irgendwohin, wo ich mich nicht damit rumplagen muss.

Wir gehen in die Küche, und ich mach ihr ein Wurstsandwich. Draußen sitzen die Arbeiter in ihrem Laster und essen ihren mitgebrachten Lunch. Ich bin dankbar für die Ruh. Ich lächel die Kleine an und geb ihr eine Erdbeere, froh, dass ich bei der Sache mit ihrer Mama hier war. Ich mag gar nicht dran denken, was passiert wär, wenn ich nicht bei ihr gewesen wär. Sie stopft sich die Erdbeere in den Mund und lächelt zurück. Ich glaub, vom Gefühl her weiß sie’s auch.

Miss Leefolt ist nicht da, also überleg ich, ob ich Minny bei Miss Walters anruf, um zu hören, ob sie schon Arbeit gefunden hat. Aber eh ich dazu komm, klopft’s an der Hintertür. Ich mach auf, und da steht einer von den Arbeitern. Ein alter Mann. Er hat einen Overall an, über einem weißen Hemd.

»Tag, Ma’am. Dürft ich um bisschen Wasser bitten?«, fragt er. Ich kenn ihn nicht. Muss irgendwo im Süden der Stadt wohnen.

»Klar«, sag ich.

Ich hol einen Pappbecher aus dem Schrank. Er ist von Mae Mobleys zweitem Geburtstag, mit Luftballons drauf. Ich weiß, Miss Leefolt will nicht, dass ich ihm eins von den Gläsern geb.

Er trinkt das Wasser in einem Zug aus und gibt mir den Becher wieder. Sein Gesicht ist ganz müd. Er hat so was Einsames in den Augen.

»Wie läuft’s?«, frag ich.

»Ist Arbeit«, sagt er. »Ist noch kein Wasseranschluss da. Wir werden wohl ein Rohr von der Straße runterlegen.«

»Möcht der andere auch was trinken?«, frag ich.

»Wär sehr nett.« Er nickt, und ich nehm für seinen Kumpel auch einen lustigen Becher raus und füll ihn an der Spüle.

Er bringt ihn nicht gleich dem anderen.

»Entschuldigung«, sagt er, »aber wo …« Er steht einen Augenblick da und schaut auf seine Schuh. »Wo könnt ich Wasser lassen?«

Er guckt mich an, und ich guck ihn an, und eine Weile stehen wir beide nur da und gucken uns an. Ich mein, das ist doch wirklich komisch. Nicht zum Lachen komisch, sondern auf die Art komisch, dass man denkt: Das gibt’s doch nicht. Da haben wir zwei Klos im Haus und noch eins, das grad gebaut wird, und trotzdem kann der Mann nirgends hin, um sich zu erleichtern.

»Ähmm …« In der Situation war ich noch nie. Der Junge, Robert, der alle zwei Wochen den Garten macht, geht wohl, bevor er herkommt. Aber der hier ist ein alter Mann. Hat ganz runzlige Hände. Und in sein Gesicht haben siebzig Jahre Sorgen so viele Falten gegraben, dass er aussieht wie eine Straßenkarte.

»Sie müssen wohl in die Büsche hinterm Haus gehen«, hör ich mich sagen, aber ich wollt, das wär nicht ich. »Der Hund ist dahinten, aber der tut Ihnen nichts.«

»Okay«, sagt er. »Dank auch.«

Ich seh ihm nach, wie er ganz langsam wieder zurückgeht, mit dem Wasser für seinen Kollegen.

Der Baulärm geht den Nachmittag über weiter.

 

Den ganzen nächsten Tag wird im Vorgarten gehämmert und gegraben. Ich frag Miss Leefolt nicht danach, und sie erklärt mir nichts. Sie guckt nur jede Stunde zur Tür raus, was da passiert.

Um drei hört der Lärm auf, und die Männer klettern in ihren Laster und fahren weg. Miss Leefolt sieht ihnen nach und seufzt erleichtert. Dann steigt sie in ihr Auto und fährt los, tun, was sie so tut, wenn sie nicht gerade nervös ist, weil sich zwei farbige Männer vor ihrem Haus rumtreiben.

Nach einer Weile klingelt das Telefon.

»Bei Miss Lee…«

»Sie erzählt in der ganzen Stadt rum, dass ich stehl! Darum krieg ich keine Arbeit! Diese Hexe stellt mich als das freche diebische Monster von Hinds County hin!«

»Halt, Minny, hol erst mal Luft …«

»Heut Morgen vor der Arbeit geh ich zu den Renfroes drüben in der Sycamore, und Miss Renfroe jagt mich gradezu vom Grundstück. Sagt, Miss Hilly hätt ihr alles über mich erzählt, jeder wüsst, dass ich Miss Walters einen Silberleuchter gestohlen hätt!«

Ich hör, dass sie den Telefonhörer beinah zerquetscht. Und ich hör Kindra irgendwas rufen und frag mich, warum Minny schon zu Haus ist. Normal geht sie nie vor vier.

»Ich hab nichts getan, wie dieser alten Frau gutes Essen zu kochen und mich um sie zu kümmern!«

»Minny, ich weiß, dass du ehrlich bist. Das bist du bei Gott.«

Ihre Stimme schlüpft regelrecht ins Telefon wie eine Biene in eine Honigwabe. »Wie ich zu Miss Walters reinkomm, ist da Miss Hilly und will mir zwanzig Dollar aufdrängen. Sie sagt: ›Nehmen Sie es. Ich weiß, Sie brauchen es‹, und ich hätt ihr ums Haar ins Gesicht gespuckt. Hab ich aber nicht. O nein.« Sie atmet schnell. »Was ich gemacht hab, war schlimmer.«

»Was hast du gemacht?«

»Sag ich nicht. Ich sag keinem was von dem Kuchen. Aber sie hat gekriegt, was sie verdient hat!« Ihre Stimme hat jetzt so was Jammeriges, und ich bekomm’s richtig mit der Angst zu tun. Es ist kein Spiel, sich mit Miss Hilly anzulegen. »Ich krieg nie wieder Arbeit, Leroy bringt mich um …«

Im Hintergrund fängt Kindra an zu weinen. Minny hängt ein, ohne auch nur Wiederhören zu sagen. Ich hab keine Ahnung, was sie mit dem Kuchen meint. Aber, guter Gott, wie ich Minny kenn, kann’s nichts Gutes gewesen sein.

 

An dem Abend pflück ich mir Kermesbeerblätter und eine Tomate aus Idas Garten. Ich brat mir bisschen Schinken, mach mir Soße für mein Maisbrötchen. Mein Haar ist ausgebürstet und aufgedreht, ich hab meine rosa Lockenwickler drin und schon das Good Nuff draufgesprüht. Den ganzen Nachmittag hab ich mir Sorgen um Minny gemacht. Jetzt muss ich das aus meinem Kopf kriegen, wenn ich heut Nacht ein Auge zutun will.

Ich setz mich zum Essen hin, mach das Küchenradio an. Little Stevie Wonder singt grad »Fingertips«. Für den Jungen ist Farbigsein kein großes Ding. Zwölf Jahre alt, blind, und hat einen Hit im Radio. Wie er ausgesungen hat, dreh ich den Knopf über Prediger Green weg und mach bei WBLA Halt. Da kommt Juke Joint Blues.

Ich hab gern so rauchige Kneipenmusik, wenn’s dunkel wird. Da hab ich das Gefühl, mein ganzes Haus ist voll mit Leuten. Ich seh sie regelrecht in meiner Küche zum Blues tanzen. Wenn ich dann das Licht ausmach, stell ich mir vor, wir sind im Raven. Da sind kleine Tische mit roten Lichtern drauf. Es ist Mai oder Juni und warm. Mein Clyde lächelt mich mit seinen weißen Zähnen an und sagt: Was trinken, Honey? Und ich sag: Black Mary ohne Eis, und dann muss ich über mich lachen, weil ich hier in meiner Küche sitz und so vor mich hinträum, denn das Schickste, was ich je trink, ist Nehi-Traubenlimonade.

Jetzt singt Memphis Minny im Radio vom mageren Fleisch, das nicht brutzelt, wo’s drum geht, dass die Liebe nicht hält. Manchmal denk ich, ich find vielleicht nochmal einen Mann, einen aus meiner Kirche. Das Problem ist: Sosehr ich den Herrn lieb, steh ich doch nicht auf Männer, die in die Kirche gehen. Die Männer, die mir gefallen, sind nicht von der Sorte, die dableibt, wenn sie erst mal dein ganzes Geld auf den Kopf gehauen hat. Den Fehler hab ich vor zwanzig Jahren gemacht. Wie mein Clyde mich dann für dieses nichtsnutzige Flittchen aus der Farish Street verlassen hat, diese Cocoa, da hab ich mir gesagt, das Kapitel sollt ich wohl endgültig für beendet erklären.

Draußen schreit eine Katze, und das Geräusch holt mich wieder in meine kalte Küche zurück. Ich mach das Radio aus und das Licht wieder an und kram mein Gebetsheft aus meiner Handtasche. Mein Gebetsheft ist nur ein blaues Schreibheft, das ich im Benjamin-Franklin-Kaufhaus erstanden hab. Ich benutz einen Bleistift, damit ich’s wieder ausradieren kann, bis es richtig ist. Ich schreib meine Gebete auf, seit ich auf der Junior High war. Wie ich in der Siebten meiner Lehrerin gesagt hab, ich kann nicht weiter in die Schule gehen, weil ich meiner Mama helfen muss, da hat Miss Ross fast geweint.

»Du bist die Gescheiteste in der Klasse, Aibileen«, hat sie gesagt. »Und die einzige Möglichkeit, deinen Kopf auf Trab zu halten, ist jeden Tag zu lesen und zu schreiben.«

Also hab ich angefangen, meine Gebete aufzuschreiben, statt sie zu sagen. Aber seither hat mich niemand mehr gescheit genannt.

Ich blätter in meinem Gebetsheft, um zu gucken, wer heut dran ist. Die Woche hab ich paarmal überlegt, Miss Skeeter auf meine Liste zu setzen. Warum weiß ich nicht genau. Sie ist immer nett, wenn sie kommt. Es macht mich nervös, aber ich kann nicht anders, ich denk immer wieder drüber nach, was sie mich da in Miss Leefolts Küche hat fragen wollen, von wegen, ob ich die Dinge ändern will. Und dann noch das mit der Adresse von Constantine, dem Dienstmädchen, das sie aufgezogen hat. Ich weiß, was zwischen Constantine und Miss Skeeters Mama passiert ist, und das werd ich ihr nie und nimmer erzählen.

Das Problem ist, mir ist klar, wenn ich anfang, für Miss Skeeter zu beten, geht das Gespräch weiter, wenn ich sie das nächste Mal seh. Und auch beim übernächsten Mal und beim überübernächsten. Weil’s das ist, was Beten bewirkt. Es ist wie Elektrizität, hält Sachen in Gang. Und die Klosache ist wirklich nichts, wo ich drüber reden will.

Ich überflieg meine Gebetsliste. Meine Mae Mobley steht natürlich ganz oben, dann kommt Fanny Lou aus der Kirche, weil sie so schlimm Rheuma hat. Meine Schwestern Inez und Mable in Port Gibson, die zusammen achtzehn Kinder haben, davon sechs mit Grippe. Wenn sich die Liste ausdünnt, nehm ich diesen stinkenden, alten Weißen mit rein, der hinter der Futtermittelhandlung wohnt und von dem flüssigen Schuhputzzeug, das er trinkt, den Verstand verloren hat. Aber heut Abend ist die Liste ganz schön voll.

Und wen hab ich da noch auf die Liste gesetzt? Bertrina Bessemer, ausgerechnet die! Wo doch jeder weiß, dass Bertrina und ich uns nimmer grün sind, seit sie mich vor weiß der Himmel wie viel Jahren eine Niggeridiotin genannt hat, weil ich damals Clyde geheiratet hab.

»Minny«, hab ich letzten Sonntag gesagt, »warum will Bertrina, dass ich für sie bet?«

Wir sind auf dem Heimweg vom Ein-Uhr-Gottesdienst. Minny sagt: »Es geht das Gerücht rum, du hättst einen besondren Draht beim Beten, würdst mehr bewirken wie normale Gebete.«

»Wieso?«

»Eudora Green. Wie die sich die Hüfte gebrochen hat, hast du sie auf deine Liste gesetzt, und nach einer Woche ist sie wieder gelaufen. Isaiah. Fällt vom Baumwolllaster, kommt noch an dem Abend auf deine Liste und ist am nächsten Tag wieder bei der Arbeit.«

Wie sie das sagt, muss ich dran denken, dass ich bei Treelore gar keine Chance gehabt hab, für ihn zu beten. Vielleicht hat Gott ihn ja darum so schnell zu sich genommen. Wollt sich nicht mit mir rumstreiten müssen.

»Snuff Washington«, sagt Minny. »Lolly Jackson – das reinste Wunder. Lolly kommt auf deine Liste, und zwei Tage drauf hüpft sie aus ihrem Rollstuhl, wie wenn sie Jesus berührt hätt. Jeder in Hinds County hat das gehört.«

»Aber das bin nicht ich«, sag ich. »Das ist einfach nur das Beten.«

»Aber Bertrina …« Minny fängt an zu lachen und sagt: »Du kennst doch Cocoa, die, mit der Clyde auf und davon ist?«

»Pfff. Wie könnt ich die vergessen?«

»Ich hab gehört, eine Woche, nachdem Clyde dich hat sitzen lassen, ist diese Cocoa aufgewacht, und ihre Pussi hat gesuppt wie eine vergammelte Auster. Drei Monate wollt’s nicht besser werden. Bertrina ist gut mit Cocoa befreundet. Sie weiß, dass deine Gebete wirken.«

Mir bleibt der Mund offen stehen. Warum hat sie mir das noch nie erzählt? »Willst du sagen, die Leute glauben, ich mach schwarze Magie?«

»Ich hab gewusst, du regst dich auf, wenn ich’s dir sag. Sie glauben einfach nur, du hast einen besseren Draht wie die meisten. Wir haben ja alle eine Gemeinschaftsleitung zu Gott, aber du, du sitzt direkt in seinem Ohr.«

Mein Teekessel auf dem Herd fängt an zu sirren und holt mich wieder in die Wirklichkeit zurück. Gott, ich glaub, ich werd Miss Skeeter einfach auf meine Liste setzen, aber warum weiß ich nicht. Das erinnert mich an das, wo ich nicht dran denken will: Miss Leefolt, die mir ein Klo baut, weil sie meint, ich hab Krankheiten in mir. Und Miss Skeeter, die mich fragt, ob ich die Dinge ändern will, wie wenn man Jackson, Mississippi, so einfach ändern könnt, als würd man eine Glühbirne auswechseln.

 

Ich putz grad Bohnen in Miss Leefolts Küche, da klingelt das Telefon. Ich hoff, dass es Minny ist, die mir sagen will, dass sie was gefunden hat. Ich hab alle angerufen, wo ich je gearbeitet hab, und alle haben mir dasselbe gesagt: »Wir brauchen keine Haushaltshilfe.« Aber eigentlich meinen sie: »Wir brauchen keine Minny.«

Obwohl Minnys letzter Arbeitstag schon vor drei Tagen war, hat Miss Walters sie gestern Abend heimlich angerufen und gefragt, ob sie nicht heut noch mal kommen könnt, weil sich das Haus so leer anfühlt, wo Miss Hilly ja schon die meisten Möbel weggeschafft hat. Ich weiß immer noch nicht, was zwischen Minny und Miss Hilly vorgefallen ist. Und ich glaub, ich will’s auch gar nicht wissen.

»Bei Leefolt.«

»Äh, hallo. Hier ist …« Die Lady räuspert sich. »Guten Tag, könnte ich … könnte ich bitte Elizabeth Leer-folt sprechen?«

»Miss Leefolt ist grad nicht daheim. Kann ich was ausrichten? «

»Oh«, sagt sie, wie wenn sie wegen nichts ganz aufgedreht wär.

»Darf ich fragen, wer da ist?«

»Hier ist … Celia Foote. Mein Mann hat mir diese Nummer gegeben, und ich kenne Elizabeth nicht, aber … na ja, er sagt, sie weiß Bescheid über den Wohltätigkeitsball für die armen Kinder und die Ladies League.« Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor, aber ich komm nicht drauf. Die Frau redet, wie wenn sie von so weit draußen auf dem Land wär, dass ihr Mais in den Schuhen wächst. Aber ihre Stimme klingt hübsch, so hoch. Trotzdem, wie die Ladys von hier hört sie sich nicht an.

»Ich richt’s ihr aus«, sag ich. »Wie ist Ihre Nummer?«

»Ich bin noch ziemlich neu, na ja, stimmt nicht, ich bin schon eine ganze Weile hier, Gott, über ein Jahr schon. Ich kenne nur so gut wie niemanden. Ich … komme nicht viel unter Leute.«

Sie räuspert sich wieder, und ich frag mich, warum sie mir das alles erzählt. Ich bin das Dienstmädchen. Davon, dass sie mit mir redet, findet sie auch keine Freunde.

»Ich dachte, vielleicht könnte ich ja von zu Hause aus etwas für den Wohltätigkeitsball beitragen«, sagt sie.

Jetzt fällt mir wieder ein, wer sie ist. Sie ist die, über die Miss Hilly und Miss Leefolt immer herziehen, weil sie Miss Hillys Exfreund geheiratet hat.

»Ich bestell’s ihr. Wie war noch mal Ihre Nummer?«

»Oh, aber ich bin gerade auf dem Sprung, eben schnell einkaufen zu fahren. Aber vielleicht sollte ich ja hierbleiben und warten.«

»Wenn sie Sie nicht erreicht, sagt sie Ihrem Dienstmädchen, was es Ihnen ausrichten soll.«

»Ich habe kein Mädchen. Das wollte ich sie eigentlich auch fragen, ob sie mir jemanden empfehlen kann.«

»Sie suchen ein Dienstmädchen?«

»Es ist schwer, eine zu finden, die den ganzen Weg bis Madison County rauskommt.«

Ach ja? »Ich kenn jemand richtig Gutes. Sie ist berühmt dafür, wie lecker sie kocht, und auf Ihre Kinder passt sie auch auf. Sie hat sogar ein eigenes Auto, um zu Ihnen rauszufahren. «

»Ach … ich würde es trotzdem gern mit Elizabeth besprechen. Habe ich Ihnen meine Nummer schon gegeben?«

»Nein, Ma’am.« Ich seufz. »Ich hör.« Miss Leefolt wird Minny nie empfehlen, nicht nach Miss Hillys ganzen Lügen.

Sie sagt: »Der Name ist Missus Johnny Foote, und die Nummer ist Emerson zwo-sechs-sechs-null-neun.«

Nur für den Fall sag ich trotzdem: »Und sie heißt Minny, und ihre Nummer ist Lakewood acht-vier-vier-drei-zwo. Haben Sie’s?«

Die Kleine zupft an meinem Rock, ruft »Bauch aua« und reibt sich mit der Hand darüber.

Mir kommt eine Idee. Ich sag: »Augenblick, was meinen Sie, Miss Leefolt? Okay, ich richt’s ihr aus.« Ich halt den Hörer wieder an den Mund: »Miss Celia, Miss Leefolt ist grad reingekommen und sagt, sie fühlt sich nicht wohl, aber Sie sollen Minny anrufen. Sie sagt, sie meldet sich bei Ihnen, wenn sie wegen dem Wohltätigkeitsball Hilfe braucht.«