Gute Knochen - Margaret Atwood - E-Book

Gute Knochen E-Book

Margaret Atwood

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Beschreibung

Hamlets Mutter, eine reinkarnierte Fledermaus, ein menschenerforschender Falter oder eine männerbastelnde Heimwerkerin – in den 27 kurzen Texten dieses Bandes beweist Margaret Atwood einmal mehr, dass sie in jede beliebige Erzählperspektive schlüpfen kann. Dabei geht es nicht um verborgene Botschaften, sondern darum, die Dinge und ihre Gesetzmäßigkeiten auf den Kopf zu stellen. Denn: Nichts ist so bizarr wie der Mensch selbst!

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Für G., wie immer, und für die beiden Angelas

Übersetzung aus dem kanadischen Englisch von Brigitte WalitzekISBN 978-3-492-97742-5Titel der englischen Originalausgabe: »Good Bones«, Virago Press, London 1993© der deutschen Ausgabe:Piper Verlag GmbH, München 1995Covergestaltung: zero-media.net, MünchenDatenkonvertierung: psb, BerlinSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Wir weisen darauf hin, dass sich der Piper Verlag nicht die Inhalte Dritter zu eigen macht.

SCHLECHTE NACHRICHTEN

Die roten Geranien, die auf der Terrasse fluoreszieren, der Wind, der durch die Maßliebchen streicht, die milchsatten Augen des Babys, die zum ersten Mal bewusst eine doppelte Reihe geliebter Zähne fixieren – was gibt es da schon zu berichten? Blutlosigkeit macht sie schläfrig. Sie hockt auf dem Dach, die bronzenen Flügel gefaltet, den Kopf mit seiner Frisur bestehend aus lesekundigen Schlangen unter den linken gesteckt, dösend wie eine Taube zur Mittagszeit. Nichts zu tun. Sie könnte sich höchstens die Zehennägel lackieren. Die Sonne tröpfelt über den Himmel, die Luft kräuselt über ihre Haut wie warme Seidenstrümpfe, ihr Herz schlägt mit der Systole und Diastole von Wellen am Wellenbrecher, Langeweile kriecht über sie wie eine Kletterpflanze.

Sie weiß, was sie will: ein Ereignis, womit sie ein Ausrutschen des Messers meint, ein fallendes Weinglas, oder auch eine Bombe, etwas Zerbrochenes. Ein bisschen Säure, ein bisschen Tratsch, ein kleines Hi-tech-Megasterben: etwas Scharfes, das sie aufrüttelt. Mit einem Panzer über die Geranien fahren, den Wind auf Hurrikanstärke aufdrehen, dass die Köpfe der Maßliebchen wegfliegen und durch die Luft taumeln wie Pistolenkugeln, das Baby vom Balkon fallen lassen und zusehen, wie die Mutter hinterherspringt, mit ihren wirren Ophelia-Haaren und ihren leeren Schreien.

Das Zerplatzen, wie bei einer Melone, das tomatenfarbene Gespritze – das ist eine Story! Sie ist jetzt wach, sie zieht schnuppernd die Luft durch die Nase, ihre Flügel sind zum Flug ausgebreitet. Sie ist hungrig, sie hat die Spur aufgenommen, sie heult wie eine Sirene, und sie hat deine volle Aufmerksamkeit.

Keine Nachricht ist eine gute Nachricht, wie jeder weiß. Auch du weißt es, und es gefällt dir so. Wenn du dich schlecht fühlst, kratzt sie an deinem Fenster, und du lässt sie ein. Besser sie als du, flüstert sie dir ins Ohr. Du setzt dich wieder in deinen Sessel und faltest die raschelnde Zeitung zusammen.

DIE KLEINE ROTE HENNE PACKT AUS

Alle wollen sie was abhaben. Alle! Nicht nur die Katze, das Schwein und der Hund. Auch das Pferd, die Kuh, das Flusspferd, der Orang-Utan, die Krötenechse, der Wombat, das entenschnäbelige Schnabeltier, einfach alle. Es ist aus mit dem Frieden, und alles nur wegen dieses gottverdammten Brotlaibs.

Es ist nicht leicht, eine Henne zu sein.

Ihr kennt meine Geschichte. Wahrscheinlich habt ihr sie als leuchtendes Beispiel dafür erzählt bekommen, wie ihr selbst euch verhalten sollt. Mäßigkeit und harte Arbeit. Selbst ist wer auch immer. Dann das Kapital investieren. Dann die Profite einstreichen. Ich soll ein Beispiel dafür sein? Dass ich nicht lache.

Also schön, ich hab das Weizenkorn gefunden. Na und? Es gibt eine Menge Weizenkörner, die in der Gegend rumliegen. Wenn ihr die Tretmühle immer schön im Auge behaltet, könnt auch ihr eins finden. Ich sah eins und hob es auf. Nichts dagegen einzuwenden. Wer suchet, der findet. Wer das Weizenkorn nicht ehrt, ist den Keks nicht wert. Gelegenheit ist hinten kahl.

Wer hilft mir, dieses Weizenkorn zu pflanzen?, fragte ich. Wer? Wer? Wer? Ich kam mir schon vor wie eine gottverdammte Gebetsmühle.

Ich nicht, ich nicht, antworteten sie. Dann mache ich es eben selbst, sagte ich wie die Nonne zum Vibrator. Natürlich hörte niemand mir zu. Sie waren alle an den Strand gegangen.

Glaubt bloß nicht, sie hätte mich nicht gekränkt, diese ganze Ablehnung. In meinem Nest aus Stroh vor mich hin brütend, weinte ich kleine rote Hennentränen. Tränen aus Hühnerblut. Ihr wisst, wie Hühnerblut aussieht, ihr habt genug davon gegessen. Ergibt eine gute Soße.

Also, was für Möglichkeiten hatte ich? Ich hätte dieses Weizenkorn einfach aufessen und mir einen ernährungstechnischen Gefallen tun können. Stattdessen pflanzte ich es ein. Goss es. Stand Tag und Nacht davor Wache, mit meinem kleinen gefiederten Körper.

Also wuchs es. Warum auch nicht? Also brachte es weitere Weizenkörner hervor. Also pflanzte ich die ein. Also goss ich sie. Also mahlte ich sie zu Mehl. Also hatte ich endlich genug für einen Laib Brot. Also buk ich ihn. Ihr kennt die Bilder, ich in meiner kleinen roten Hennenschürze, das Brot mit seiner wabernden Duftwolke zwischen meinen Flügelspitzen haltend, leise vor mich hin lächelnd. Ich lächle auf allen Bildern, soweit man eben lächeln kann, wenn man einen Schnabel hat. Wann immer sie Ich nicht sagten, lächelte ich. Ich verlor nie die Beherrschung.

Wer hilft mir, dieses Brot zu essen?, fragte ich. Ich, sagten die Katze, der Hund und das Schwein. Ich, sagte die Antilope. Ich, sagte der Yak. Ich, sagte der fünfstreifige Skunk. Ich, sagte die Filzlaus. Sie meinten es ernst. Sie hielten mir ihre Pfoten, Hufe, Zungen, Krallen, Zangen, Greifschwänze hin. Sie glubschten mich mit ihren Augen an. Sie winselten. Sie steckten Petitionen durch meinen Briefschlitz. Sie bekamen Depressionen. Sie warfen mir vor, egoistisch zu sein. Sie entwickelten Symptome. Sie drohten mit Selbstmord. Sie sagten, alles sei meine Schuld, weil ich einen Laib Brot hatte und sie keinen. Jeder Einzelne von ihnen schien diesen gottverdammten Brotlaib dringender zu brauchen als ich.

Du kannst doch mehr backen, sagten sie.

Und was dann? Ich weiß, was in der Geschichte steht, was ich angeblich gesagt haben soll: Ich esse ihn selbst, also zischt ab. Ihr dürft kein Wort davon glauben. Wie schon gesagt, bin ich ein Huhn, kein Hahn.

Hier, sagte ich. Ich entschuldige mich dafür, überhaupt auf die Idee gekommen zu sein. Ich entschuldige mich dafür, Glück gehabt zu haben. Ich entschuldige mich dafür, Verzicht geübt zu haben. Ich entschuldige mich dafür, eine gute Köchin zu sein. Ich entschuldige mich für die Bemerkung über Nonnen. Ich entschuldige mich für die Bemerkung über Hähne. Ich entschuldige mich dafür, gelächelt zu haben, in meiner selbstgefälligen Hennenschürze, mit meinem selbstgefälligen Hennenschnabel. Ich entschuldige mich dafür, eine Henne zu sein.

Nehmt doch noch.

GERTRUDE WIDERSPRICHT

Ich war schon immer der Meinung, dass es ein Fehler war, dich Hamlet zu nennen. Ich meine, was ist denn das für ein Name für einen kleinen Jungen? Es war natürlich die Idee deines Vaters. Was anderes wäre undenkbar gewesen, du musstest partout nach ihm benannt werden. Egoistisch. Die Kinder in der Schule haben sich natürlich endlos über dich lustig gemacht. Die Spitznamen! Diese grässlichen Witze über Hammelfleisch!

Ich wollte dich George nennen.

Ich ringe nicht die Hände. Ich trockne mir die Fingernägel.

Liebling, hör bitte auf, mit meinem Spiegel herumzuspielen. Es wär der dritte, den du kaputt machst.

Ja, ich hab die Bilder gesehen, vielen Dank.

Ich weiß, dass dein Vater besser aussah als Claudius. Hohe Stirn, Adlernase und so weiter und so weiter, sah in Uniform wirklich blendend aus. Aber Aussehen ist nicht alles, vor allem nicht bei einem Mann, und obwohl es mir fernliegt, schlecht über die Toten zu reden, finde ich, dass es höchste Zeit ist, dich darauf aufmerksam zu machen, dass dein Daddy nicht gerade unterhaltend war. Edel, das ja, zugegeben. Aber Claudius, na ja, er trinkt ganz gerne mal ein Gläschen. Er weiß ein gutes Essen zu schätzen. Er lacht gern, verstehst du, was ich meine? Man muss nicht ständig auf Zehenspitzen durch die Gegend schleichen, wegen irgendeinem ach so hehren Prinzip oder sonst was.

Übrigens wäre ich dir dankbar, Liebling, wenn du deinen Stiefvater nicht immer der aufgeduns’ne König nennen würdest. Er hat nun mal ein paar Pfunde zu viel, und es verletzt seine Gefühle.

Der Schweiß und Brodem eines was? Mein Bett ist ganz und gar nicht gebrüht in Fäulnis, was immer das heißen mag! Ein garst’ges Nest, also wirklich! Nicht, dass es dich etwas angehen würde, aber ich wechsle diese Laken zweimal die Woche, was mehr ist, als du von dir behaupten kannst, nach diesem miefigen Studentenstall in Wittenberg zu urteilen. Jedenfalls werd ich dich auf keinen Fall noch einmal dort besuchen, nicht ohne vorherige Anmeldung! Schließlich seh ich deine Wäsche, wenn du sie nach Hause bringst, und bei Weitem nicht oft genug! Nur wenn dir die schwarzen Socken ausgehen.

Und lass dir von mir gesagt sein, dass jeder zu derartigen Zeiten schwitzt, wie du sehr schnell feststellen würdest, wenn du es nur ein einziges Mal richtig versuchtest. Ein richtiges Mädchen würde dir so was von guttun. Nicht so wie diese käsegesichtige Wie-heißt-sie-gleich-nochmal, zusammengeschnürt wie ein preisgekrönter Truthahn in diesen Rühr-mich-nicht-an-Leibchen, die sie immer trägt. Wenn du mich fragst, ist an diesem Mädchen irgendwas faul. Auf der Kippe. Der kleinste Schock würde sie umhauen.

Warum suchst du dir nicht eine, die ein bisschen mehr mit beiden Beinen auf dem Boden steht. Wälz dich ein bisschen im Heu. Dann kannst du noch mal mit mir über ekle Betten reden.

Nein, Liebling, ich bin nicht außer mir. Aber ich muss dir sagen, dass du manchmal wirklich ein furchtbarer Moralapostel bist. Genau wie dein Dad. Das Fleisch, sagte er immer, dass man hätte denken können, es wäre ein Hundehaufen. Bei einem jungen Menschen könnte man das ja vielleicht noch entschuldigen, sie sind immer so intolerant, aber bei jemand seines Alters wurde es allmählich, nun ja, ein bisschen schwer zu ertragen, und das ist die Untertreibung des Jahres.

Manchmal denk ich, es wär für uns beide besser gewesen, wenn du kein Einzelkind gewesen wärst. Aber dir ist ja wohl klar, bei wem du dich dafür bedanken darfst. Du kannst dir nicht vorstellen, was ich mir alles gefallen lassen musste. Und jedes Mal, wenn mir danach war, ein bisschen, du weißt schon, nur um meine alternden Knochen zu wärmen, war es, als hätte ich ihm einen Mord vorgeschlagen.

Oh! Du denkst was? Du denkst, Claudius hat deinen Dad umgebracht? Kein Wunder, dass du bei Tisch so unhöflich zu ihm warst!

Wenn ich das

ES WAR EINMAL

Es war einmal ein armes Mädchen, ebenso schön, wie es gut war, das mit seiner bösen Stiefmutter in einem Haus im Wald lebte.

 

Wald? Wald ist doch passé, ich mein, allmählich hab ich dieses ganze Zurück-zur-Natur-Getue wirklich satt. Es entspricht einfach nicht unserer heutigen Gesellschaft. Könnten wir zur Abwechslung nicht mal ein bisschen was Urbanes haben?

 

Es war einmal ein armes Mädchen, ebenso schön, wie es gut war, das mit seiner bösen Stiefmutter in einem Haus in einem Vorort lebte.

 

Schon besser. Aber ich muss das Wort arm ernsthaft in Frage stellen.

 

Aber sie war arm!

 

Arm ist relativ. Sie lebte schließlich in einem Haus, oder?