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Gysi vs. Sonneborn E-Book

Gregor Gysi

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Beschreibung

Ein ganz linkes Ding. Ein Zwei-Personen-Stück. Ein Pingpong mit Geistesblitzen. Ein jeder des anderen Sparring-Partner. Der versierte Oppositionspolitiker und der ebenso versierte Clown streitend vereint: im Einsatz gegen politische Routine. Gregor Gysi, der die Politik mit Witz reicher machen möchte; Martin Sonneborn, der mit seinem Witz der Politik ein Armutszeugnis ausstellt – zwei testen im Gespräch, wie weit man gehen muss, um aus dem Rahmen zu fallen. „Die PARTEI und die Linke an der Macht: Martin, da wäre was los in Deutschland!“ „Punk! Es wäre Punk. Purer Punk!“

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Über das Buch

Ein ganz linkes Ding.

Ein Zwei-Personen-Stück. Ein Pingpong mit Geistesblitzen. Ein jeder des anderen Sparring-Partner. Der versierte Oppositionspolitiker und der ebenso versierte Clown streitend vereint: im Einsatz gegen politische Routine. Gregor Gysi, der die Politik mit Witz reicher machen möchte; Martin Sonneborn, der mit seinem Witz der Politik ein Armutszeugnis ausstellt – zwei testen im Gespräch, wie weit man gehen muss, um aus dem Rahmen zu fallen.

»Die PARTEI und die Linke an der Macht: Martin, da wäre was los in Deutschland!«

»Punk! Es wäre Punk. Purer Punk!«

Über Gregor Gysi und Martin Sonneborn

Gregor Gysi, geboren 1948, Rechtsanwalt und Politiker. Vertrat als Rechtsanwalt u. a. Robert Havemann, Rudolf Bahro und andere Regimekritiker. 1989–1993 Parteivorsitzender der PDS. 1990-2002 und 2005 – 2015 Fraktionsvorsitzender der PDS und der Partei die Linke. MdB ist er weiterhin. Von Dezember 2016 – Dezember 2019 Präsident der Partei der Europäischen Linken. Zahlreiche Publikationen. Bei Aufbau erschienen zuletzt die Autobiographie »Ein Leben ist zu wenig« und »Marx & wir«.

Martin Sonneborn, geboren 1965 in Göttingen, Studium der Publizistik, Germanistik und Politikwissenschaften in Münster, Wien und Berlin; Magisterarbeit über die absolute Wirkungslosigkeit moderner Satire. Mitherausgeber von Titanic. Hält es für witzig, trotz seinerzeit schlüssiger wissenschaftlicher Argumentation seit mittlerweile sieben Jahren im EU-Parlament zu sitzen. Zuletzt erschien von ihm das Buch »Herr Sonneborn geht nach Brüssel. Abenteuer im Europaparlament«.

Hans-Dieter Schütt, 1948 in Ohrdruf geboren, Studium der Theaterwissenschaften in Leipzig, war in der DDR Redakteur und Chefredakteur der Tageszeitung »Junge Welt«. 1992 bis 2012 Redakteur der Tageszeitung »neues deutschland«. Veröffentlichte Essays, Biographien und zahlreiche Interviewbücher.

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Gysi vs. Sonneborn

Kanzlerduell der Herzen

Mitarbeit und Nachwort Hans-Dieter Schütt

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Newsletter

Parteipolitisches

Gysi vs. Schäuble

Sonneborn vs. Europa im Zoo

Satirisches

Sonneborn vs. Erdoğan

Gysi vs. Burka-Jäger

Europäisches

Gysi vs. Ost-Politik

Sonneborn vs. Raketen gegen Syrien

Heimatliches

Sonneborn vs. von der Leyen

Gysi vs. Doppelmoral

Ost und West

Gysi vs. Schwarz-Weiss

Sonneborn vs. EU-Kommission

Wahlkampf

Sonneborn vs. Merkel

Gysi vs. Annexion

Machtübernahme

Sonneborn vs. Käfighaltung

Gysi vs. Putschisten

Die Politik der Zukunft

Hans-Dieter Schütt: Zorn und Zwinkersmiley

Impressum

Als der Redner ankündigte

er rede zur Sache,

fragten sich viele:

Warum nicht zu uns?

Kurt Bartsch

Parteipolitisches

»Martin, wenn du zur Linken kommst, ist das für dich rufschädigend.«

»Gregor, wenn du zu uns kommst, verbessert das deinen Ruf.«

G. hat Furcht, von S. veralbert zu werden. Der erinnert sich an abgesägte Ikea-Stuhlbeine in einer Bar – als Voraussetzung, um mit G. auf Augenhöhe ins Gespräch zu kommen. Eine Unterhaltung über politische Kundgebungen von zu Hause aus, einen Bundestag, der unbedingt die Union braucht, und über das, was Linkspartei und DiePARTEI verbindet. Und was sie trennt. Und wie man mit 299 Kanzlerkandidaten Bayern in die Verwirrung stößt.

S  Gregor, sobald wir an der Macht sind …

G  Ja, wir beide. Dann ist aber was los in Deutschland.

S  Wir müssen allerdings noch eine Quote erfüllen. Wir brauchen zwei Frauen. Die müssen Humor haben, ironisch und selbstironisch sein. Nicht einfach zu finden. Ihr habt’s da besser: Ihr habt bestimmt eine Frauenquote von 100 Prozent. Also bei den 87-Jährigen.

G  Es fängt nicht gut an, unser Gespräch.

S  Soll ich noch mal zur Tür reinkommen?

G  Wir fangen am besten noch mal an.

S  Gut, dann noch mal ganz von vorn. In einer Veranstaltung im Kabarett »Die Distel« hast du vor allen Leuten wörtlich über mich gesagt: »Ich wusste, er verarscht mich die ganze Zeit.«

Bist du mir gegenüber misstrauisch, bloß, weil ich Politiker bin?

G  Ja, wirklich. Als wir unser erstes gemeinsames Gespräch führten, war ich sehr misstrauisch. Ich hatte regelrecht Manschetten. Ich dachte, du würdest mich nur veralbern. Und ich wusste nicht, ob ich da immer angemessen reagieren könnte. Du hast aber sehr seriös argumentiert. Also teilweise. Was mich völlig durcheinanderbrachte. Auf deine Seriosität war ich nicht vorbereitet, sie überraschte mich.

S  Da hab ich was falsch gemacht. Lieber wäre mir gewesen, meine Unseriosität hätte dich überrascht.

Wir saßen hier in Berlin mal zusammen in der Manyo Bar, um uns vor der Kamera über Politik zu unterhalten.

G  Das »Kanzlerduell der Herzen«.

S  So hieß es. Ein Kanzlerduell in einer Szene-Bar! Es war demütigend, denn da standen zwei Ikea-Stühle für uns an der Theke, und an meinem waren die vier Stuhlbeine abgesägt – sodass wir uns von Angesicht zu Angesicht unterhalten konnten.

G  Du lügst.

S  Das ist filmisch festgehalten, steht bei YouTube. Wenn du es nachschauen willst, der Link lautet: www.fckaf.de/cjl. FCK AfDe kannst du dir leicht merken, und dann cjl.

G  Immer auf die Kleinen! Peter Altmaier hat mir mal erzählt: Als er noch CDU-Hinterbänkler im Bundestag war und körperlich noch weit weniger raumverdrängend als heute, fuhr er eines Tages im ICE, ging ins Bordbistro, trank einen Kaffee, und neben ihm stand eine Gruppe Damen. Er hörte sie tuscheln, herübersehen, und schließlich schnappte er den entscheidenden Satz ihrer leichten Verstörtheit auf: »Das hätte ich nicht gedacht«, sagte nämlich eine der Frauen, »dass der Gregor Gysi so groß ist!«

S  Was hast du nur für einen Umgang! Das ist dringend reformbedürftig. Wir haben in unserem Programm die Forderung, Peter Altmaier zu fracken. Wir glauben, dass in diesem Koloss irre Energiereserven schlummern. Damit könnten wir unser Land, unsere Heimat auf Jahrzehnte hinaus unabhängig machen vom Russengas. Übrigens: Als ich in der Manyo Bar auf die Toilette ging, hast du schnell einen Schnaps in mein Bier gegossen. Es war Wodka, oder?

G  Ja. Ich wollte, dass du in die richtige Stimmung kommst.

S  Bis auf die Toilette habe ich das Gelächter gehört. Und als ich rauskam, habe ich gesagt: »Egal, was hier passiert ist, ich will ein neues Bier.«

G  Hast du bekommen.

S  Ein alkoholfreies Bier.

G  Schon das Bier vorher war alkoholfrei. Also im Grunde Wasser. Da kann man auch einen Wodka hineinkippen. Ins Wasser ein »Wässerchen«.

Wenn du den Namen deiner Partei aussprichst, wird eigentlich nicht klar, was gemeint ist.

S  Also: Wir sind nicht die Partei, wir sind Die P-A-R-T-E-I, also: Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative. Wir sind die Partei der extremen Mitte. Übrigens gleichzeitig kapitalistisch und kommunistisch. Eine Partei ganz neuen Typs.

G  Kommunistisch?

S  Vernünftige soziale Marktwirtschaft, wie sie im Ahlener Programm der CDU gefordert wurde, gilt heutzutage doch schon als kommunistisches Gedankengut. Also: wahrscheinlich bald verboten.

G  Das T in deiner Partei steht für Tierschutz.

S  Eigentlich haben wir das T nur deswegen so besetzt, weil jede Partei, die den Begriff Tierschutz im Namen hat, bei Wahlen schon aus Prinzip drei, vier Prozent der Stimmen erhält, ohne irgendetwas dafür zu tun. Allerdings müssen wir Tierschutz in Deutschland komplett neu ordnen, das ist klar. Nach der Machtübernahme werden wir Julia Klöckner einsperren und dafür allen Schweinen und Ochsen in der Massentierhaltung die Freiheit schenken.

G  Und wo leben die dann?

S  In Sachsen-Anhalt natürlich. Gregor, wenn wir an der Macht sind …

G  Ich frage mich: Warum hast du es auf deinem politischen Weg nicht bis in unsere Partei geschafft?

S  Ich habe mich mal mit deiner ehemaligen Parteichefin Katja Kipping getroffen. An einer Theke. Gleichhohe Stühle. Aber die Dame ist absolut humorlos. Und als Mann hatte ich in meiner Partei bessere Chancen.

G  Ich habe dich mal angesprochen, ob du nicht zu uns in die Linkspartei kommen willst, du hast später in einem anderen Kreis davon erzählt und gesagt: »Gysi hat mich gefragt, und ich habe ein bisschen abgewunken. Es wäre rufschädigend für mich.«

S  Es wäre für beide rufschädigend. Für die Linke – und für mich. Umgekehrt ist das was anderes. Wenn du zu uns kommst, verbessert das deinen Ruf.

G  Abwerbung?

S  Legen wir die Karten auf den Tisch: Wir arbeiten doch mit diesem Gespräch an nichts anderem als an deinem Übertritt.

G  Würdet ihr mich denn überhaupt nehmen in der PARTEI?

S  Vielleicht war ich doch zu voreilig. Mal sehen. Ein Vorteil ist, du bist kein Konvertit wie Merkel.

G  Und wenn einer von der SPD käme?

S  Er müsste nachweisen können, dass er trotz seiner SPD-Mitgliedschaft Sozialdemokrat war.

Da kommen nicht so viele infrage.

G  Und FDP?

S  Ein paar wirkliche Liberale gibt’s, aber die müsste man exhumieren. Gerhart Baum, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Burkhard Hirsch, den dicken Brüderle.

G  Brüderle?

S  War nur Spaß. Auch fracken, wie Altmaier.

G  Dass ihr mich – selbst bei Vorbehalten – trotzdem nehmen würdet, das verstehe ich, denn ihr habt keinen Kanzlerkandidaten.

S  Stimmt doch gar nicht! Wir haben sogar deutlich mehr als ihr. Nachdem die SPD Olaf Scholz nominiert hat – entweder haben sie jeden Funken sozialdemokratischer Ideen aufgegeben oder Suizid-Absichten – wollen wir ein Zeichen setzen und mit 299 Kanzlerkandidaten antreten. Wir werden versuchen, alle 299 Wahlkreise zu besetzen, und jeder, der kandidiert, darf sich Kanzlerkandidatin oder Kanzlerkandidat der PARTEI nennen. Man stelle sich das in Bayern vor, wo in den ländlichen Bezirken mit Vorliebe die einfacheren Charaktere leben: Von Dorf zu Dorf wechseln die Kanzlerkandidaten.

G  Kennst du Wähler, die von der NPD zu deiner Partei gewechselt sind?

S  Smiley. Nein. Denen würden möglicherweise unsere Wahlplakate mit dem Slogan »Hier könnte ein Nazi hängen« nicht gefallen. Die waren eine Reaktion auf ein Plakat der Rechten, auf denen stand: »Wir hängen nicht nur Plakate.« Die NPD ist wie die SPD: Deren Zeit ist einfach vorbei. Die (verfickte) AfD ist die coolere NPD. Und vielleicht sind die Grünen die coolere SPD.

G  An euren Aktionen finde ich gut, dass sie im besten Sinne des Wortes so un-verschämt sind. Ich würde mich gar nicht trauen …

S  Wir dürfen das. Es ist wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern. Der Kaiser ist nackt. Aber nur das Kind sagt es.

G  Ihr seid das Kind.

S  Wir versuchen, hochprofessionell naiv zu bleiben.

G  Zur letzten Bundestagswahl sind Leute von euch als Sandwich durch Berlin gelaufen.

S  Mit »Merkel ist doof«-Plakaten, ja. Wir können aber auch anders, ich erinnere an unseren Fackelzug durchs Brandenburger Tor, mit dem wir die NPD geärgert haben. Oder unsere iDemo. Als politischer Dienstleister haben wir uns mit 30 iPads und einem Großbildschirm auf dem Pariser Platz aufgebaut und eine solide Demo veranstaltet – ohne eigene Inhalte. Die kamen von Bürgern aus dem ganzen Land. Über eine eigens eingerichtete Homepage konnte man seine Forderungen an Merkel eintippen, die erschienen dann auf allen hochgehaltenen Bildschirmen, und ich habe sie übers Megaphon verlesen, eine Stunde lang. Wir warben damit, dass man praktisch vom Sofa aus demonstrieren konnte: »Kein Risiko! Kein Regen! Keine Bullen!« Es gab insgesamt über 25000 Zuschriften.

G  Waren die Forderungen alle seriös?

S  Gott bewahre! Etwa die Hälfte der Zuschriften war unseriös. Die haben wir weggelassen, also die, in denen es nur um kompletten Blödsinn ging, ums Biertrinken oder die FDP.

G  Du hast dich ja auch schon mal mit Leuten von uns getroffen, so von Partei zu PARTEI.

S  Das war nach der Europa-Wahl. Wir hatten in Berlin 4,8 Prozent der Stimmen und lagen knapp vor der Spaßpartei FDP. Wir müssen also damit rechnen, hier in der Hauptstadt jetzt erstmals die Fünf-Prozent-Hürde zu überschreiten. Wenn wir keine größeren Fehler machen.

G  Die Fehler machen doch immer nur die anderen.

S  Stimmt. Wir haben uns ein wenig ausgetauscht mit Leuten deiner Partei. Von jeder Seite waren etwa zehn Vertreter anwesend. Klaus Lederer war dabei, Dietmar Bartsch kam auch dazu. Lederer hatte die lustige Idee, dass wir bei der nächsten Wahl einmal aussetzen sollten.

G  Befürchtete er Stimmenklau?

S  Ich kenne das Argument, dass wir linken Parteien Stimmen wegnehmen, seit wir an Wahlen teilnehmen. Ich glaube nicht, dass das wirklich stimmt. Wir sind eine Protestpartei für intelligente Wähler, für Leute, die sich im Parteienspektrum nicht mehr repräsentiert fühlen. Deswegen habe ich das Ansinnen auch zurückgewiesen. Vorsichtshalber sehr ernsthaft, man weiß bei euch Berufslinken nie so richtig, wie viel Humor ihr nun wirklich habt.

G  Ja, bei uns trägt man gern das Gesicht geballt zur Faust. Überall Front, immer Kampf, rundum Feinde. Aber Lederer und Bartsch sind nicht so. Viele andere auch nicht.

S  Weiß ich. Ich habe zu Lederer gesagt, wir stellen ihm lieber einen Koalitionspartner, stabiler als die SPD. Wenn wir das Zünglein an der Waage spielen können, zwischen einer sozialeren, wirklich grünen und linken Politik und dem, was FDP und CDU in Berlin veranstalten würden, da wissen wir doch sehr genau, wo unsere Präferenzen liegen. Das weiß ich auch bei Abstimmungen in Brüssel. Aber wir werden in Berlin natürlich die besten Köpfe der Partei aufstellen, fürs Abgeordnetenhaus, junge Frauen und alte Männer. Da muss Lederer durch.

G  Das mit dem Stimmenklau ist ja im Grunde eine abwegige Befürchtung. Diejenigen, die die Linke wählen, wählen nicht Die PARTEI. Wer euch wählt, will bewusst provozieren. Für eure Wähler kommen nicht die Linke, nicht die SPD, nicht die Grünen in Betracht. In der Ablehnung des Angebots von euch gibt es also schon eine rot-rot-grüne Koalition.

S  Nicht zu vergessen auch die Koalition aus Konservativen und noch Konservativeren. Eigentlich sind alle gegen uns. Damit werden wir in der Bundestagswahl werben: Wir sind die einzige Partei, die auch nach der Wahl mit 100-prozentiger Sicherheit in der Opposition sein wird … Die Linke scheint mir übrigens ideologischer zu sein als alle anderen Parteien.

G  Das stimmt. War sie schon immer. Und wenn du ideologisch bist, glaubst du fortwährend, dass die reine Lehre verletzt wird durch alles andere.

S  Bist du da nicht automatisch immer so was wie der Besserwisser, zumindest ein bisschen?

G  Das mag sein, und wenn du ehrlich bist: Ein bisschen hat man ja auch recht damit. Oft weiß man’s als Linker doch auch wirklich besser. Deshalb hat es die Opposition ja so schwer.

S  Wenn wir an der Macht sind, wird’s am besten sein: gar keine Opposition mehr.

G  Es kommt hinzu, dass sich Linke manchmal dagegen wehren, was dazuzulernen. Denn da hast du nun vermeintlich den Gang der Geschichte begriffen, da ist es doch verständlich, dass du nicht wieder durcheinandergebracht werden willst, nur weil die Geschichte ständig Haken schlägt, statt sich auf deiner vorgedachten Linie zu bewegen. Und dann gibt es natürlich, wie in jeder Partei, die Konkurrenz, wer was wird – Posten sind immer knapp, aber eben mit lockenden Privilegien verbunden.

S  Das ist genau das, was wir für Die PARTEI nicht wollen. Wir haben gerade ein ehernes Prinzip begründet: Wir schicken nur noch Leute in Mandate, die das absolut nicht wollen. Also auf Landesebene oder höher. Kommunal ist mir das egal. Für die Berlin-Wahl habe ich die guten Leute teilweise ein halbes Jahr bearbeiten müssen, bis sie bereit waren, zu kandidieren.

G  Das unterscheidet uns von Satirikern. Die Feinfühligkeit. Ich denke, man muss im Umgang miteinander viel vorsichtiger werden.

S  Du meinst im Untergang.

G  Wenn man im Umgang miteinander grob und unnachgiebig ist, dann sagen die Leute: Wer weiß, wie der mit mir dann umgeht, wenn er mal mehr über mich zu entscheiden hat, als es gegenwärtig der Fall ist.

S  Wenn wir an der Macht sind, fragt keiner mehr, verlass dich drauf.

G  Ich bin sehr für die repräsentative Demokratie. Das bedeutet, dass es unterschiedliche Interessen gibt und man sie geltend machen darf. Ja, sogar muss. Denn wenn es unterschiedliche Interessen gibt, dann gehört dazu, dass sie vertreten werden. Die Unterschiedlichkeit der Interessenvertretung ist das Gütezeichen einer Demokratie. Ich bin gegen einen Bundestag ohne Union, weil doch auch konservative Interessen vertreten werden müssen, ich selbst tue es ja nicht. Natürlich sollte die Union mit weniger Stimmen vertreten sein, das will ich einräumen.

S  Eine Stimme reichte. Ich brauche auch keinen Marktextremisten wie Christian Lindner, dessen staatstragende politische Äußerungen angesichts der tatsächlichen Bedeutung seiner Apotheker-Partei fast noch lustiger sind als das, was wir so von uns geben.

G  Einige Konservative wollen noch immer am liebsten, dass es gar keine Linke im Bundestag gibt. Die haben die repräsentative Demokratie nicht begriffen, obwohl sie sich als deren Gralshüter empfinden.

S  Die Linke im Bundestag stellt wichtige Anfragen. Viel Wahnsinn kommt doch erst durch kleine Anfragen ans Licht. Sevim Dağdelen ist eine der wenigen in der deutschen Politik, die sich für Julian Assange einsetzen, an dem die USA gerade menschenrechtswidrig ein Exempel statuieren, um Whistleblower abzuschrecken, und bei dem fast die komplette EU und sämtliche deutschen Medien wegschauen. Fabio De Masi treibt Scheuer und Scholz vor sich her, weil er unbestritten der beste Wirtschaftsexperte ist – und auch noch Humor hat. Sabine Lösing hat im EU-Parlament herausgearbeitet, wie viel Steuergeld verbotenerweise in die Aufrüstung fließt. Und dich habe ich sogar in einem meiner Bücher verewigt. Soll ich es dir mal vorlesen?

G  Musst du nicht. Ist bestimmt eine Frechheit.

S  Es ist eine Eintragung in meinem Brüssel-Buch, vom Februar 2017, eine Szene im Reichstag, es war während der Stimmabgabe bei der letzten Bundespräsidentenwahl, die mein Vater – von uns aufgestellt – gegen den doofen Steinmeier verloren hat, mit 931 zu 10 Stimmen. Gott, was für ein Debakel! »Gregor Gysi steht ein paar Meter weiter, ich sage ihm kurz Guten Tag. Als eine Dame von der Linkspartei uns zusammen fotografieren will, knicke ich leicht ein in den Knien …«

G  Ich wusste es. Eine Variante der abgesägten Ikea-Stühle.

S  »… und mache mich einen halben Meter kleiner. Ich weiß, dass Gysi das hasst. Sofort winkt er energisch ab: ›Nein, nein, bitte hoch!‹ Gut, kann er haben.« Und dann habe ich mich gestreckt. Das gab ein lustiges Bild und …

G  Es reicht.

S  Vergiss nicht, es gilt, was ich dir früher schon mal angeboten habe: Ich mache keine Witze über Kleinwüchsigkeit, wenn du keine Witze über meine Frisur machst.

G  Angesichts meiner Lockenpracht kann ich mir solche Witze leisten. Für eine Zeitschrift beantwortete ich einen Fragebogen, der auch wissen wollte, wie ich einem Blinden mein Äußeres beschriebe. Ich gab an: »Groß, kräftig, dichte blonde Locken.«

S  Behaupte es und steh dazu. Alternatives Faktum. Trump kam jahrelang durch mit so etwas. Jogi Löw auch.

G  Die Redaktion erhielt einige Leserbriefe, von denen einer auch veröffentlicht wurde. Darin stand: »Von einem Linken hätten wir natürlich erwartet, dass sich seine Phantasie in dieser Frage an Karl Marx orientiert: dichter langer Bart und wallendes dunkles Haar.« Stimmt.

S  Besser als an Lenin: lallend und brüllend nach dem zweiten Gehirnschlag.

G  Du beleidigst gern. Wie gehst du selber mit Beleidigungen um?

S  Ich habe das Glück, dass ich relativ wenig angefeindet werde. Aber mir ist das auch egal, weil ich in der »Titanic«-Redaktion den Umgang mit Anfeindungen gelernt habe. Wir waren ja nie auf Konsens oder auf eine Mehrheitsmeinung aus, wir haben den Mainstream nicht bedient. Wir haben gemacht, was uns Spaß machte und haben uns eigentlich über empörte Reaktionen gefreut. Das gehörte zur Wirkung, die wir anstrebten.

G  Eine Zeit lang waren wir als Linkspartei auch erschrocken, wenn es im Bundestag ausnahmsweise mal Applaus für uns gab. Hatten wir etwas falsch gemacht? Weißt du, was der Unterschied zwischen uns ist? Wenn du im politischen Alltag agierst, so, wie ich über die Jahre gerne agiert habe, dann bist du wirklich darauf angewiesen, von einer möglichst wachsenden Zahl von Leuten akzeptiert zu werden. Denn wenn keine Steigerung an Zustimmung kommt, dann fühlst du dich eines Tages wie im völligen Stillstand. Das kann sich sogar bis zu dem Gefühl steigern, völlig sinnlos zu sein, also vergeblich zu arbeiten. Nur auf der Stelle zu treten? Wozu?! Du, Martin, bist auf einer anderen Schiene. Du hast dich für die Provokation entschieden, die das Außenseitertum kultiviert. Satire, der alle zustimmen, ist keine mehr. Das wäre nur noch Comedy. Der satirische, der witzige Geist verbreitet sich wie ein gutes Virus? Witz muss die Ausnahme bleiben, und er wird die Ausnahme bleiben. Die Klügeren lachen, die Dummen schreiben böse Briefe.

S  »Jeder Witz ist eine überrumpelte Katastrophe«, hat George Tabori mal gesagt. Die Katastrophen nehmen zu, die Witze folglich auch.

G  Witz rettet die Welt allerdings auch nicht.

S  Aber den einzelnen Menschen. Ich mache die Witze ja nicht in erster Linie für andere. Sie sind eine Art Notwehr gegen das zunehmend irrer werdende System, in dem wir leben. Und jeder gute Witz stärkt Die PARTEI.

G  Ich habe Interviews von dir gelesen. Einmal wurden dir drei Schlagzeilen zur Auswahl angeboten, unter einer davon sollte das Interview veröffentlicht werden: »Ich habe als Kind meine Oma geschlagen – sie hatte es verdient.« Dann: »Sachsen-Anhalt braucht Atomwaffen.« Und: »Ich habe mit Ingo Zamperoni geknutscht.«

S  Ich erinnere mich, gewählt habe ich dann: »Meine Oma hat mit Ingo Zamperoni geknutscht – er hatte es verdient!« Die Forderung nach Atomwaffen und Aufrüstung wäre ja eher eine für die Unionsparteien. Oder die neuen Grünen.

Gysi vs. Schäuble

Es gibt eine These, die auch die Bild-Zeitung verbreitet: Die deutschen Steuerzahler finanzieren Griechenland. Das ist der größte Quatsch, den ich je gelesen und gehört habe. 90 Prozent der 240 Milliarden Euro für Griechenland gingen an die Banken und die Gläubiger. Dazu gehörte auch die Deutsche Bank. Dazu gehörten auch französische Banken. 90 Prozent dieser Summe gingen also nicht an die Griechinnen und Griechen; sie haben kaum etwas davon gesehen. Wie soll Griechenland bei diesem Abbau überhaupt jemals die Darlehen zurückzahlen können? Darüber scheint sich hier keiner Gedanken zu machen.

Ich sage Ihnen jetzt Folgendes: Die Bundesregierung hat Europas Akzeptanz bei vielen Bürgerinnen und Bürgern im Süden Europas zerstört. Was glauben Sie, was mir die Jugendlichen in Griechenland sagen würden, wenn ich sie nach Europa fragte? Ihre Antwort kann ich mir sehr gut vorstellen. Diese Jugendlichen haben durch Europa vor allem Abbau und Not erlebt. Wir brauchen aber Aufbau. Schulden darf es nur noch für Aufbau, nicht für weiteren Abbau geben. Sonst sind sie nicht bezahlbar.

Ich sage es noch einmal, auch aufgrund unserer eigenen Geschichte: Wir brauchen für den Süden Europas einen Marshallplan. In Griechenland muss investiert werden: in Bildung, in Schiffsindustrie und in Tourismus. Dann kommt das Land auch voran. Es geht nicht, die Löhne, die Renten zu kürzen und alles zu verkaufen, wie Sie es als deutsche Bundesregierung mit vorgeschrieben haben.

Deutscher Bundestag, Februar 2015

Sonneborn vs. Europa im Zoo

Dank, dass Sie alle heute hier erschienen sind. Es soll nicht zu Ihrem Schaden sein: Im Anschluss an diese Parlamentssitzung wird unter allen Anwesenden ein exklusiver Reisegutschein im Wert von 100 Euro verlost.

(Den Gutschein hochhalten)

Und auch ein Wort an die, die nicht hier erschienen sind: Meine knappe Redezeit verbietet es, Sie alle namentlich aufzurufen. Aber: Ihr steht auf meiner Liste, Arschlöcher!

Heute, liebe Mit-Europäer, auf den Tag vor acht Jahren, am 16.Februar 2007, starb Tanja. Tanja war das letzte Walross in einem deutschen Tierpark. Sie starb im Zoo von Hannover, so, wie viele Europäer und Europäerinnen: einsam, im Kreise ihrer Pfleger. Gerade einmal 33 Jahre wurde sie alt.

Das alles wissen Sie natürlich selbst. Warum ich es trotzdem erwähne? Weil mir scheint, dass sich Europa heute in einer ganz ähnlichen Situation befindet wie das Walross Tanja. Wir, liebe Kollegen, spielen dabei die Rolle der Pfleger; das Europäische Parlament ist der Zoo, und Brüssel ist Hannover. Der 16. Februar aber ist und bleibt der 16. Februar.

Daran können wir nichts ändern. Aber: Wir können die Geschichte des 16. Februar ändern. Aus einer Geschichte der Unfreiheit können wir eine Geschichte der Freiheit machen. Hier und heute. Denn ein Walross gehört nicht in den Zoo, schon gar nicht in den von Hannover!

Ich fordere Sie daher auf, mit mir Ihre rechte Hand zu heben, wenn Sie der sofortigen Auflösung des Europäischen Parlaments und der Befreiung Europas zustimmen.

Ich denke, dieses Ergebnis spricht für sich.

(Mit dem Gutschein wedeln)

Europäisches Parlament, Februar 2016

Aus dem Aktenordner »Nicht gehaltene Reden (I)«

Satirisches

»Martin, dir sag ich auf keinen Fall, wo ich im Wahlkampf auftrete.«

»Gregor, du trittst so oft auf, dass ich dich garantiert erwische.«

S. misstraut dem Sinn der Satire auf Kosten von Wüsten und noch unentdeckten Planeten. Er besteht auf Geschmacklosigkeit und den Auftrag der PARTEI: für andere Parteien Wahlkampf zu betreiben. Indem man die Wahrheit über sie öffentlich macht.

G. spricht über die fünfte als vierte Gewalt, er lobt die Selbstironie, und erschrickt über die Idee von S., Angela Merkel in einen Käfig zu sperren. Und: Er möchte auf keinen Fall eine Rechtsanwältin sein.

G  Kurt Tucholsky beantwortete die Frage, was Satire dürfe, ganz knapp: Alles. Ich frage dich: Was darf sie?

S  Wieso fragst du mich? Es war eine von Tucholsky selbst gestellte Frage, und er beantwortet sie sich höflicherweise auch selbst. Ich zitiere ihn: Alles.

G  Nicht zu verwechseln mit gängiger Politik: Die nimmt sich alles heraus. Satire muss inzwischen allerdings mit der Einschränkung klarkommen, dass sie weit mehr als früher mit Klagen rechnen muss. Oder?

S  Hm, in meinen »Titanic«-Jahren konnten wir mit Klagen eigentlich ganz gut umgehen. Wogegen man sich nicht so gut wehren kann, sind Kalaschnikows. Nach den Anschlägen auf »Charlie Hebdo« in Paris mit elf Toten habe ich gegenüber der dpa gesagt: »Das ist nicht komisch. Mit Anzeigen, Abokündigungen oder Kalaschnikow-Geballer auf Satire zu reagieren, gilt in der Szene als unfein. Unser Mitleid gilt den französischen Kollegen. Bei Titanic könnte so etwas nicht passieren, wir haben nur 6 Redakteure.« Zu meiner Zeit hatten wir mal einen internen Wettbewerb in der Redaktion dazu, wer als Erster eine Fatwa auf sich zieht. Ich dachte eigentlich, ich würde gewinnen, als ich 2001 nach den – leicht überzogenen – Anschlägen von New York unter der Überschrift »Nimm dies, Araber!« angebliche Bilder des Propheten Mohammed veröffentlichte – natürlich mit Hinweis auf das Bilderverbot. Unter skurrilen alten 70er-Jahre-Fotos mit so Männern in Schlaghosen hab ich geschrieben: »Mohammed bringt seiner Frau Blumen mit«, »Mohammed mit einem Glas Schweinebraten« oder »Mohammed beim Oktoberfest«. Komischerweise ist niemand zur Heftkritik bei uns in der Redaktion aufgetaucht.

G  Es gibt kein Feld, auf dem man mit Satire niemanden verletzte.

S  Robert Gernhardt hat mal gesagt, Witze könne man eigentlich nur noch über Wüsten und unentdeckte Planeten machen. Denn bei jedem anderen Thema wird sich immer jemand finden, der betroffen ist oder eine Stellvertreterbetroffenheit ins Feld führt. Die Satire von heute ist tatsächlich politisch viel korrekter, und damit natürlich auch langweiliger. Es fehlt das Moment der Überraschung, die leichte, verspielte, unverschämte Komik. Politische Korrektheit schadet jeder Kunst.

G  War denn früher wirklich alles besser? Das ist doch auch so eine zähe Sparte: die Besserwisser, die verklären, was es so nie gab.

S  Das wird besonders im Internet deutlich, in Corona-Zeiten auch noch gepaart mit einer aggressiven Grundhaltung. Nach Jahrzehnten fortschreitender Enttabuisierung und der Dekonstruktion bürgerlicher Wertvorstellungen, die zum Beispiel Fäkalschlachten unter Nackten auf der Bühne zeigte, gibt es heute die Gegenbewegung einer – ausgerechnet von der Jugend forcierten – neuen Bürgerlichkeit, die offensiv ihre Räume absteckt. Und zum Beispiel fragt, ob Lars Eidinger auf der Bühne Richard III. so darstellen darf, wie er es tut. Das gipfelt in der völlig absurden Fragestellung, ob Othello überhaupt von jemandem gespielt werden kann, der nicht Othello ist. Ihr habt doch sicherlich auch viele Dogmatiker in euren Reihen, oder?

G  Die Bemerkung mit der Linkspartei überhöre ich. Magst du Karl Kraus?

S  Sehr, ich habe lange auf eine Ausgabe der »Fackel« gespart. Als ich in Wien Germanistik studierte, sagte der Professor, bei dem ich war, Kraus gelte in Wien nur als zweit- bis drittklassiger Denker. Aber so sind die Österreicher, wenn es um die eigenen Leute geht, Sissi und Hitler ausgenommen … Und Europas führenden Operettenkanzler Kurz natürlich. Der hat in Südeuropa kürzlich »kaputte Systeme« diagnostiziert. Steile These für jemanden, der einen versoffenen Neonazi zum Vizekanzler beförderte, nachdem der den verfilztesten Teil der Alpen an eine falsche russische Oligarchennichte verscherbeln wollte …

G  Geschmacklos.

S  Und ob! Wir als PARTEI sind übrigens der Meinung, dass wir die einzigen sind, die geschmacklose Witze machen dürfen. Wir belästigen die Menschen allerdings, wenn man aufmerksam hinschaut, nur mit jenem Blödsinn, den sie selbst zu verantworten haben. Es geht in vielen Fällen nicht mehr darum, den Irrsinn zu entlarven, denn der entlarvt sich mehr und mehr selbst, sondern: ihn mit einem guten Witz erträglicher zu machen.

G  Ist das nicht zu wenig?

S  Fragt ihr euch das eigentlich auch mal selbst? Wir haben aber noch andere Tricks: Wir bringen wichtige Inhalte in die zunehmend inhaltsleeren Wahlkämpfe ein. Wir haben vor der Bundestagswahl 2017 ein gefaktes CDU-Plakat mit dem toten Flüchtlingsjungen Alan Kurdi in Umlauf gebracht. Das ist wohl das traurigste Bild, das ich in diesem Leben gesehen habe, ein zweijähriges Kind, tot am Strand. Tragisches Symbolbild für die menschenverachtende Politik, die die CDU in der EU betreibt. Das Plakat hat viele Menschen schockiert und die Pressestelle der CDU zum Fluchen gebracht – aber es bringt auch Leute dazu, hinzuschauen, zu fragen, was sich dahinter verbirgt. Wir haben auch Wahlplakate der NPD überklebt. Die Neonazis hatten ein Plakat, auf dem ihr Bundesvorsitzender Udo Voigt auf einem Motorrad zu sehen war, darunter groß der Slogan »Gas geben!«. Dieses Plakat hing hier in Berlin, genau vor dem Jüdischen Museum. Ich bin an der Laterne hochgeklettert und habe es überklebt: mit einem Foto von Jörg Haider in seinem zerschmetterten Autowrack, nach seinem tödlichen Unfall. Mit demselben Slogan, denn Haider hatte ja auch schön erfolgreich Gas gegeben.

G  Eine andere Aktion: Du hast CDU-Funktionäre zu angeblichen Schwarzgeldkonten in die Schweiz gelockt. Wie gelang das?

S  Hahaha, wir hatten bei »Titanic« einen Schweizer Praktikanten, den guten Zeichner Ruedi Widmer. Ich war mit ihm Pizza essen, ich fragte ihn, wie sie schmecke. Es dauerte, bis die Antwort kam: »Joaaaa, ei-gänt-lich gaanz guät«. Tempolosigkeit und Tonlage gefielen mir, ich dachte: Das ist ein Talent, das wir nutzen müssen. Das war, als die CDU-Schwarzgeldaffäre gerade öffentlich wurde: Der ehemalige CDU-Schatzmeister Leisler-Kiep hatte auf seinem Privatkonto eine Million gefunden, die wohl nicht ihm gehörte, sondern der CDU. Smiley! Wir riefen also in der CDU-Zentrale an, und unser Schweizer musste am Telefon sagen: »Grüezi, hier ist der Herr Widmer von der Crédit Suisse, Luzern. Wir haben gerade ein Konto von Ihnen gefunden, das ausläuft, wohin sollen wir die 1,3 Millionen Schweizer Franken denn überweisen?« Man hörte, wie auf der anderen Seite der Leitung jemand vom Stuhl fiel. Sofort schaltete sich ein Merkel-Vertrauter ein, Eckart von Klaeden, damals das kommende Nichts seiner Partei, heute Lobbyist bei Daimler. Er wollte sich möglichst schnell und unauffällig mit uns in Luzern treffen. Über Nacht nahmen wir uns einen Mietwagen und fuhren in die Schweiz. Mitgenommen hatten wir einen Leitz-Ordner und für Fotos fett »CDU-Schwarzgeld« draufgeklebt. Damit wir alles dokumentieren konnten. Dann haben wir in Luzern vor der Bank gewartet – und waren ziemlich überrascht, als neben von Klaeden auch CDU-Bundesgeschäftsführer Willi Hausmann plus Begleitung aufmarschierte. Wir wussten damals nicht, dass Helmut Kohl im Beirat der Crédit Suisse saß, und die Existenz von weiteren Schwarzgeldkonten für die CDU-Spitze zumindest eine sehr reale Möglichkeit war … Wir haben dann ein schönes Foto der CDU-Schwarzgeldaffäre gemacht, das anschließend auch die Leser der »Süddeutschen Zeitung« erfreute.

G  Erstaunlich, was so alles möglich ist. »Verstehen Sie Spaß?« gelingt eben immer und überall.

S  Spaß? In der CDU-Zentrale ging es rund.

G  Mussten Leute bei denen abtreten?

S  Eckart von Klaeden war der Einzige, der in den offiziellen Erklärungen der CDU genannt wurde, den Bundesgeschäftsführer versuchte man aus allem herauszuhalten. Ecki wollte damals gerade durchstarten, und ich denke, es hat seine Karriere schon ein bisschen geknickt.

G  Du sagst, ihr habt mit lustigen Aktionen im Grunde für andere Parteien Wahlkampf gemacht.

S  Ja, wir haben über die Parteien Wahrheiten verkündet, die zu sagen sie selber sich nicht trauten.

G  Habt ihr auch für die CDU Wahlkampf gemacht?

S  Klar. Man hilft, wo man kann. Es waren die Zeiten von Roland Koch, der danach zum Glück in den Bau ging. Bilfinger & Berger hieß der Konzern, wenn ich mich recht erinnere. Koch führte Wahlkampf mit ausländerfeindlichen Parolen und kündigte eine Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft an. Am nächsten Tag standen wir in Frankfurt mit Anzug und Pomade im Haar auf der Zeil, vor uns Plakate wie »Die Ausländer sind da! Schöne Scheiße, Ihre CDU!« und sammelten. Alte Damen kamen auf uns zu und fragten interessiert: »Wo kann man denn hier gegen die Ausländer unterschreiben?« Wir haben die Leute unterschreiben lassen und ihre Unterschriften dann aus dem Verkehr gezogen. Und natürlich alles in »Titanic« dokumentiert. Schade, dass es Koch ein bisschen den Wahlkampf verhagelt hat.

G  Ich verspüre ehrliches Bedauern bei dir.

S  Bedauern empfanden wir auch, als die SPD in Bayern unter zwanzig Prozent zu fallen drohte. Beim Bier konzipierten wir eine Imagekampagne zur Rettung. Wir liehen uns den größten roten Mercedes-Sprinter der Uni Frankfurt aus, und brachten groß »Wir geben auf. SPD« auf der einen Seite des Wagens an und »Mit Anstand verlieren. SPD« auf der anderen. Dann bretterten wir nach Bayern, hupten uns in die Fußgängerzone von Aschaffenburg – und wurden von den Menschen ernst genommen: »Ja, recht so, gebt endlich auf! Ihr habt eh keine Chance!« Auch das wurde sorgfältig im Heft dokumentiert. Na ja, nachdem der Spitzenkandidat der SPD dann sagte, wir sollten den nächsten SPD-Wahlkampf übernehmen, wir könnten das offenbar besser, kam irgendwann der Wunsch auf, nicht immer Wahlkampfhilfe für andere Parteien zu leisten, sondern eine eigene zu gründen. Wir hatten Politik ja von der Pike auf gelernt.

G  Jetzt weiß ich endgültig: Von mir erfährst du nicht, wo ich im Wahlkampf auftrete.

S  Du trittst so oft auf, dass man dich auf jeden Fall erwischt.

G  Mit einem Korb mit Schwarzwälder Schinken und mit einer Kuckucksuhr hast du versucht, die Fußball-WM 2006 nach Deutschland zu bringen.

S  Und es hat geklappt, sie kam nach Deutschland. Die »Bild«-Zeitung brachte nach dieser sogenannten WM-Bestechung mein Foto auf der Titelseite und unsere Telefonnummer und forderte ihre Leserschaft auf, mir die Meinung zu sagen. Wir wurden in der Redaktion neun Stunden lang auf das Schönste beschimpft, da hieß es dann unter anderem: »Im Rechtsstaat gehören Leute wie Sie ins KZ!« Immerhin, ich wurde gesiezt. Die CD, die wir aus den zufällig mitgeschnittenen Anrufen gemacht haben, kann man heut noch gut hören im Netz, sie ist ein lustiger Beweis dafür, dass es Shitstorms und Wutbürger schon länger gibt. Vor allem in Bayern.

G  Gab es denn wirklich einen, der wegen so einer Kuckucksuhr seine Stimme für Deutschland gab? Die meisten wollen bei Bestechung doch ein Milliönchen sehen.

S  Einen gab es. Ein 82-jähriger Neuseeländer war das. Charles Dempsey. Geistig nicht mehr der Beweglichste.

G  Wie habt ihr das praktisch gemacht?

S  Ich habe ein Bestechungs-Fax geschrieben, an die acht Mitglieder des FIFA-Komitees, die auf ihren offiziellen Bildern am Korruptesten aussahen. War nicht einfach, die Auswahl, Smiley. Ein Fax mit der Bitte, für die WM in Deutschland zu stimmen. Es gebe auch einen schönen Geschenkkorb dafür, mit besagter Schwarzwälder Kuckucksuhr, ein paar verdammt guten Würsten und einem Bierkrug. Die Faxe schickte ich zu später Stunde ins Grandhotel Dolder, das teuerste Hotel von Zürich. Dann rief ich an und sagte, sie müssten unbedingt noch nachts weitergeleitet werden, weil am nächsten Tag die Abstimmung sei. Die Rezeptionistin steckte die Faxe in Briefumschläge und schob sie unter den Zimmertüren der FIFA-Komitee-Mitglieder durch. So bekam die ganze Bestechung zusätzlich noch eine etwas unseriöse Note. Charles Dempsey enthielt sich am nächsten Tag in der entscheidenden Abstimmung. Ich sag mal so: Heute wissen wir, dass er eigentlich für Südafrika stimmen sollte, aber von mehreren Seiten unter Druck gesetzt wurde – selbst Kanzler Schröder und Nelson Mandela sollen noch telefonisch versucht haben, Einfluss zu nehmen. Als dann auch noch das Fax kam, gab er auf und sagte später der BBC: »This final fax broke my neck, das hat mir den Rest gegeben. Jetzt schieben sie mir schon Faxe unter der Tür durch!« So hat er mit seiner Enthaltung aus Versehen, denn seine Stimme war schließlich entscheidend, den Weg frei gemacht für das sogenannte Sommermärchen in Deutschland.

G  Es ist nicht zu begreifen, und man darf sich das auch gar nicht weiter ausmalen: Nicht mehr Millionensummen lenken die Weltgeschichte, es genügt Martin Sonneborn. Wo soll das noch hinführen? Franz Beckenbauer müsste bei so etwas doch vor Neid erblassen.

S