Handbuch gegen Vorurteile - Nina Horaczek - E-Book

Handbuch gegen Vorurteile E-Book

Nina Horaczek

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Beschreibung

Ausländerpolitik, Islam, EU und Nationalsozialismus. Zu diesen Themen hat jeder eine Meinung. Zu diesen Themen haben aber auch Vorurteile Konjunktur: Oft ist man sprachlos ob der geäußerten Meinungen, hat aber objektive Daten und Fakten nicht zur Hand. Dem Leser des vorliegenden Handbuchs gegen Vorurteile wird das nicht mehr passieren. Nina Horaczek und Sebastian Wiese untersuchen mehr als 50 gängige Vorurteile und Geschichtsverharmlosungen auf ihren Wahrheitsgehalt. Ergebnis umfangreicher Recherchen ist eine umfassende und objektive Auseinandersetzung mit den unterschiedlichsten Vorurteilen, die zahlreiche Überraschungen bietet.

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Nina Horacek, Sebastian Wiese

HANDBUCH GEGEN VORURTEILE

Von Auschwitzlüge bis Zuwanderungstsunami

Nina Horacek, Sebastian Wiese

HANDBUCH GEGEN VORURTEILE

Von Auschwitzlüge bis Zuwanderungstsunami

Czernin Verlag, Wien

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Buch bei Personen nicht durchgängig die männliche und weibliche Form eingeführt. Gemeint sind selbst- verständlich immer beide Geschlechter.

Horacek, Nina; Wiese, Sebastian: Handbuch gegen Vorurteile. Von Auschwitz- lüge bis Zuwanderungstsunami / Nina Horaczek; Sebastian Wiese Wien: Czernin Verlag 2012 ISBN: 978-3-7076-0393-4

© 2012 Czernin Verlags GmbH, Wien Lektorat: Thomas Unger Umschlaggestaltung: sensomatic Produktion: www.nakadake.at ISBN Epub: 978-3-7076-0393-4 ISBN PDF: 978-3-7076-0394-1 ISBN Print: 978-3-7076-0392-7

Alle Rechte vorbehalten, auch das der auszugsweisen Wiedergabe in Print- oder elektronischen Medien

Vorwort

Vorurteile erleichtern das Leben, heißt es. Aber sicher nicht das Zusammenleben. Gerade was das Miteinander in Österreich betrifft, haben Vorurteile Konjunktur. Viele Probleme entstünden nur durch Ausländer, ohne die es uns viel besser ginge, der Islam sei nicht integrierbar, eine undemokratische EU schröpfe fleißige Österreicher und der Nationalsozialismus habe viele dieser Probleme ohnehin viel besser gelöst.

Oft ist man sprachlos ob derartiger Behauptungen. Genau dann, wenn man es bräuchte, ist das entsprechende faktenbasierende Wissen nicht zur Hand, sind Daten und Quellen nicht abrufbar. Das ärgert. Genau deshalb, weil wir es genau wissen wollten, haben wir uns in diesem Buch auf die Suche nach Antworten begeben.

Dieses Buch beschäftigt sich mit äußerst unterschiedlichen Vorurteilen: gegenüber Ausländern, gegenüber Asylwerbern, gegenüber dem Islam, sowie mit Behauptungen, die das NS-Regime glorifizieren. Manche der von uns überprüften Behauptungen stammen vom ganz rechten Rand der Gesellschaft. Andere sind längst in ihrer Mitte angekommen. Vieles davon wird mittlerweile allgemein viel zu wenig hinterfragt.

Dieses Buch erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Auf jedes von uns überprüfte Vorurteil finden sich zehn neue. Eines haben die von uns ausgewählten Behauptungen aber gemeinsam: Wir haben sie alle schon einmal gehört oder gelesen. Beim Sonntagsausflug im Dorfgasthaus, am Stammtisch beim Wirten ums Eck, auf der Straße, in der U-Bahn, auf Leserbriefseiten von Zeitungen oder in Onlineforen.

Eines kann und will dieses Buch nicht bieten: endgültige Wahrheiten. Wir wollen nur eines zeigen: dass man sich nicht mit Vorurteilen begnügen muss. Dass kritisches Nachfragen lohnt. Weil überprüfbare, auf Fakten basierende Antworten zu finden sind.

Wir haben alle Quellen nach bestem Wissen geprüft und in Fußnoten nachvollziehbar gemacht, woher wir unsere Informationen beziehen. Manches Argument gegen ein Vorurteil haben wir in unsere Texte nicht einfließen lassen, weil es nicht messbar, objektivierbar war. Wir liefern Fakten. Die Schlüsse daraus zu ziehen, das überlassen wir unseren Leserinnen und Lesern.

Nina Horaczek, Sebastian Wiese Wien, im Oktober 2011

Auschwitzlüge

1. Den Holocaust hat es nicht gegeben

Selten, dafür umso vehementer melden sie sich zu Wort: Menschen, die die historische Tatsache des Holocaust abstreiten oder zumindest relativieren wollen. Absichtsvoll versuchen sie Zweifel zu schüren: Die Morde seien nicht so systematisch gewesen wie behauptet, die Opferzahlen überhöht, Beweismittel gefälscht. Ein derartiges Morden, insbesondere industrielle Menschentötungen, sei technisch zur damaligen Zeit gar nicht machbar gewesen. Kann es am Holocaust tatsächlich noch Zweifel geben?

Holocaustleugner zeigen auf den ersten Blick auffallend viel Detailliebe.1 Sie erzählen von einer im KZ Buchenwald angeblich unbenutzt vorgefundenen Gaskammer, die belegen soll, dass auch die Tötungskammern der anderen Lager nie benutzt oder gar erst nachträglich eingebaut wurden. Sie erzählen von Untersuchungen, die ergeben hätten, dass in den Wänden der Gaskammern von Auschwitz-Birkenau kaum Giftgasrückstände gefunden wurden. Das soll beweisen, dass in diese Räume nie Giftgas eingeleitet wurde.

Holocaustleugner operieren mit Halbwahrheiten. Es stimmt, dass sich an den Wänden dieser Gaskammern keine größeren Giftmengen abgelagert haben. Seriöse Untersuchungen haben aber längst nachgewiesen, dass das auch gar nicht möglich war. Die Nazis stopften ihre Opfer in derart großer Zahl in die Gaskammern, dass diese jeweils die gesamte Giftgaskubatur restlos inhalierten. Haarproben aus Auschwitz belegen: Die Blausäurerückstände finden sich nicht in der Gebäudesubstanz, sondern in den wenigen verbliebenen Überresten der Opfer. Aber solche Details verschweigt der geübte Holocaustleugner.

Manche Holocaustleugner legen Grundrisse des Stammlagers Auschwitz im Ausbauzustand des Jahres 1940 vor. Diese sollen belegen, dass die für eine massenhafte Menschenvernichtung erforderliche Raumaufteilung gar nicht vorhanden war. Dass sich die Vernichtung in Auschwitz aber auf mehrere Lager verteilte und deren Zentrale das nahe gelegene Lager Birkenau war, erwähnen sie ebenso wenig wie den Umstand, dass erste »Probevergasungen« im Stammlager Auschwitz erst im September 1941 erfolgten (also in einem Ausbauzustand, der ihren Grundrissen gar nicht mehr entspricht).2

Auf den zweiten Blick ist diese Detailliebe gar nicht so erstaunlich. Denn die Wucht der Fakten ist erdrückend. Wer mit Auschwitzlüge und Holocaustleugnung provozieren oder seine Dummheit unter Beweis stellen will, dem bleibt bloß die Flucht in scheinlogische, manipulierte oder unbedeutende Details.3

Dass der Holocaust stattgefunden hat, dass die Nationalsozialisten Millionen unschuldiger und wehrloser Menschen, zu großen Teilen Frauen, Kinder und Säuglinge, vergast, erschlagen, erschossen oder dem absichtlichen Hungertod ausgeliefert haben, ist sogar von höchstgerichtlicher Stelle »amtlich« bestätigt. So hat der Oberste Gerichtshof in Österreich ausgesprochen, dass »der nationalsozialistische Völkermord und die anderen nationalsozialistischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit […] keiner weiteren beweismäßigen Erörterung bedürfen, woraus folgt, dass dieses Beweisthema der Beweisführung entrückt ist«. Eine Beweisaufnahme über die Frage, ob und in welchem Umfang NS-Verbrechen stattgefunden haben, »kommt mithin nicht in Betracht«.4 Das ist insofern bemerkenswert, als grundsätzlich jeder denkbare Umstand Thema einer Beweisführung vor Gericht sein kann. Die Lügen der Holocaustleugner haben die österreichischen Gerichte inzwischen aber satt. Der Holocaust hat stattgefunden. Leugnen ist zwecklos.

Warum aber sind sich die Historiker und Gerichte in diesem Punkt so sicher? Was macht das Wissen über den Holocaust so unangreifbar? Wer kann beweisen, dass NS-Verbrecher tatsächlich diese unvorstellbar große Menschenmasse ermordet haben, von der es oft weder Gesichter noch Lebensgeschichten, ja in vielen Fällen nicht einmal Namen gibt?

Es ist nicht die »zionistische Weltverschwörung«, wie Nazis und iranische Staatspräsidenten gerne behaupten. Es ist die erdrückende Fülle an Quellen verschiedenster Herkunft, die den Beweis für die systematische Ermordung von unter anderem mehr als sechs Millionen Juden durch die Nationalsozialisten liefert. Historiker konnten schon früh einige Listen mit Namen von Opfern sichern, seit der Öffnung der osteuropäischen Archive werden diese Namen immer mehr. Mehr noch wissen wir aber direkt aus der Hand der Opfer, wie der amerikanische Historiker Timothy Snyder in seinem Buch »Bloodlands« hervorhebt. Wir besitzen »beispielsweise die Erinnerungen einer jungen jüdischen Frau, die sich aus dem Massengrab in Babij Jar in Kiew hervorgrub, und die einer anderen, der dasselbe in Ponary bei Vilnius (Wilna) gelang. Wir besitzen die Memoiren einiger der wenigen Dutzend Überlebenden aus Treblinka. Wir besitzen ein Archiv des Warschauer Ghettos, das sorgfältig gesammelt, vergraben und dann zum größten Teil wiedergefunden wurde. […] Wir besitzen Notizzettel, die von Polen aus den Bussen geworfen wurden, als man sie bei den deutschen Mordaktionen desselben Jahres [1940, Anm.] zu Massengräbern fuhr. Wir besitzen die Wörter, die an die Wand der Synagoge von Kowel geritzt wurden, und die an der Wand des Gestapo-Gefängnisses von Warschau.«5

Im Memorial Center des ehemaligen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau stehen Besucher vor hunderten Porträtfotos Ermordeter, die Angehörige nach dem Krieg zur Erinnerung an ihre ermordeten Familienmitglieder an diese Stätte der Unmenschlichkeit gebracht haben. Sie stehen auch vor einem rostigen Haufen verbogener Messer, Gabeln und Löffel, die an jenem Ort der Ewigkeit entgegenrosten, an dem »Kanada« abgebrannt ist – jenes Warenhaus, in dem die Auschwitzer Lager-SS geplünderte Wertsachen aufbewahrte. In anderen Räumen lagern Berge von Schuhen, paarweise verschieden, die meisten braun oder schwarz, manche seit Jahrzehnten farbenfroh und kirschmundrot. Besucher starren fassungslos auf einen Haufen achtlos übereinandergeworfener Bein- und Armprothesen. Wenig weiter betreten sie einen bis unter die Decke mit Koffern vollgestopften Raum, jeder Koffer fein säuberlich und gut lesbar mit dem Namen und der Adresse eines Menschen versehen, der diese Mordfabrik nie mehr verlassen durfte. Man sieht Berge von Haaren, glatt oder lockig, teilweise seit über 70 Jahren zu kleinen blonden Mädchenzöpfen geflochten. Haare mit einem Kilopreis von 0,50 Reichsmark. In den Räumen des ehemaligen Vernichtungslagers liegen bis heute die Sauger, Beißringe und Kleidungsstücke ermordeter Säuglinge, genauso wie elegante Schnürstiefel vergaster Frauen und alte Gebetsriemen erschlagener Männer. Lagerzäune, Toiletten und Galgen haben die Jahrzehnte ebenso überdauert wie in die Zellenwände des Todesblocks geritzte Nachrichten, Kruzifixe und Jesusbilder verzweifelter Häftlinge. Wir sehen eine komplette Lagerinfrastruktur und die Krematorien.

All das existiert nicht nur in Auschwitz, sondern auf ähnliche Weise auch in Dachau, Mauthausen, Bełżec und anderen Orten des Grauens. Im westukrainischen Winniza und vielen anderen baltischen, weißrussischen und ukrainischen Dörfern kennen Einheimische noch heute jene Wiesen und Hecken, unter denen in wenigen Zentimetern Tiefe tausende und abertausende Knochen und Zähne von Opfern des nationalsozialistischen Blutrauschs modern. Das Memorial Museum in Bełżec ist auf Asche und Knochenstaub hunderttausender Opfer errichtet. Besucher sehen dort einen Berg rostiger Haustürschlüssel, von den hilflosen Opfern kurz vor ihrer Ermordung fortgeworfen und viel später von anderen aus der Asche geborgen, die das Gelände nun bedeckt. Viel mehr hat das gründliche Spurenverwischen der Täter in Bełżec nicht überdauert. Die Wände der Prager Pinkas-Synagoge sind mit kleinen Buchstaben vollgeschrieben, die eng aufeinanderfolgend die Wände des riesigen Raums bedecken. Sie bilden in endlosen Reihen die Namen jener Prager Juden, die den Holocaust nicht überleben durften.

Die Nachwelt besitzt auch den Bericht von Jan Karski, einem polnischen Widerstandskämpfer, der sich als »Trawniki« verkleidet von ukrainischen Hilfswachmannschaften der SS (den sogenannten Trawnikis) in ein Vernichtungslager einschleusen ließ, um noch während des Krieges dem amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt davon berichten zu können.6 Auch existieren Tagebücher junger Mädchen aus Theresienstadt7 und ebenso junger Häftlinge aus kleinen Nebenlagern.8 Wir wissen über Auschwitz aus zahlreichen Büchern ehemaliger Häftlinge9, ebenso über Dachau und andere Konzentrationslager.10 Überlebende haben das Lagersystem detailliert analysiert und beschrieben.11

Das am 16. September 1946 aus der Asche des vernichteten Warschauer Ghettos ausgegrabene Ringelblum-Archiv zeichnet eine beinahe vollständige Geschichte des Warschauer Ghettos in all seinen Lebensaspekten und Grausamkeiten nach. Der jüdische Historiker Emanuel Ringelblum, selbst Gefangener des Ghettos und später von den Nazis ermordet, hatte abertausende Botschaften, Notizbücher, Berichte und Alltagsschilderungen der Warschauer Ghettobewohner zusammengetragen und 1942 bis 1943, in großen Milchkannen geschützt, im Ghetto vergraben.

Aber es sind nicht nur die toten Opfer, denen wir viele Informationen verdanken. Mehr noch haben die Täter erzählt; sosehr sie sich auch gegen Ende des Krieges, als ihre völlige Niederlage erkennbar war, um Vertuschung ihrer Verbrechen bemühten. Die Ankläger des Nürnberger Gerichtshofs waren im Herbst 1945 erleichtert, dass die genauen und umfangreichen Akten der Täter selbst umfangreiches Beweismaterial boten.12 Kiloweise erhalten sind unzählige Schreiben auf dünnem, brüchigem Papier, mit denen deutsche Behörden in zynischem Amtsdeutsch Angehörige über den Tod eines Familienmitglieds in einem Konzentrationslager, in einer Euthanasieanstalt oder aufgrund eines Todesurteils der NS-Militärjustiz in Kenntnis setzen (meist unter Angabe falscher, »unverdächtiger« Todesursachen). Selbst der Patentantrag T 58 240 Kl. 24 vom 4. November 1942 ist noch erhalten, mit dem das Unternehmen J. A. Topf und Söhne die Patentierung seines »kontinuierlich arbeitenden Leichenverbrennungsofens für den Massenbetrieb« verlangte – deutscher Erfindergeist zur Errichtung des Auschwitzer Krematoriums.13

Neben tausenden offiziellen Dienstanweisungen, Befehlen und Dienstberichten zum Holocaust wurden kurz nach Kriegsende auch halboffizielle Dokumente unzweifelhaften Inhalts sichergestellt, zum Beispiel der Dienstkalender Heinrich Himmlers und die Protokolle der »Tischgespräche« Adolf Hitlers. Neben vielen anderen Dokumenten erlauben insbesondere die »Nürnberger Interviews«, die der Gerichtspsychiater Leon Goldensohn mit den Hauptangeklagten in Nürnberg geführt hat, interessante Tiefblicke in die Gedankenwelt der obersten Nazischlächter.14 Manche Informationen fanden über erstaunliche Wege in die Archive, zum Beispiel die »Lebensbeichte« des SS-Generals Jürgen Stroop, der die Liquidierung des Warschauer Ghettos befehligte und dabei den Mord an 17 000 Juden zu verantworten hatte. Der als Kriegsverbrecher inhaftierte Stroop hat sie Kazimierz Moczarski gegenüber abgelegt, einem polnischen Untergrundkämpfer gegen die deutsche Besatzung. Moczarski war im stalinistischen Polen der Kollaboration mit den Deutschen bezichtigt worden. Um seinen Willen zu brechen, hatten ihn die Kommunisten ab 2. März 1949 für 225 Tage mit dem SS-General in eine Zelle gesteckt.15

Außerdem sind Briefe und Berichte deutscher Polizisten und Soldaten erhalten, die in Osteuropa Juden und andere Zivilisten erschossen. Zum Beispiel jener des Wiener Polizeisekretärs und Mitglieds der berüchtigten Einsatzgruppen, Walter Mattner, der seiner Frau schrieb: »Bei den ersten Wagen [die die Opfer brachten, Anm.] hat mir etwas die Hand gezittert, als ich geschossen habe, aber man gewöhnt das. Beim zehnten Wagen zielte ich schon ruhig und schoss sicher auf die vielen Frauen, Kinder und Säuglinge […] Säuglinge flogen in grossen Bogen durch die Luft und wir knallten sie schon im Fliegen ab, bevor sie in die Grube und ins Wasser flogen.«16

Eine wichtige Quelle ist das Protokoll der Wannseekonferenz, bei der die beteiligten Nazigrößen am 20. Jänner 1942 die Vernichtung der europäischen Juden beschlossen und das trocken festhielt, dass dafür weitere elf Millionen Juden zu ermorden seien. Erhalten geblieben ist nicht nur dieses Protokoll, sondern auch zahlreiche Dokumente, Akten und behördliche Schriftstücke, die darauf Bezug nehmen (zum Beispiel ein Schreiben von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, in dem dieser Mitorganisator des Holocaust den endgültigen Entschluss zur Judenvernichtung als »erfreulich« bezeichnet). Auch SS-Oberbannführer Adolf Eichmann, verantwortlich für die Judendeportationen, bestätigte in seinen Vernehmungen noch 20 Jahre später den Inhalt des Protokolls und seine Umsetzung. Außerdem sind die penibel protokollierten Aussagen einer Unzahl deutscher Massenmörder, unter anderem von den Hauptangeklagten in Nürnberg, aber auch von Rudolf Höß, dem Lagerkommandanten von Auschwitz, und vielen anderen Lagerkommandanten, Einsatzgruppenkommandeuren und Gestapo-Folterern bekannt. Die hochrangigen Angeklagten selbst haben die Tatsache des Holocaust übrigens nie in Abrede gestellt, sondern lediglich Art und Umfang sowie den eigenen Beitrag dazu zu relativieren versucht. Das gilt sowohl für die Angeklagten in Nürnberg als auch für in Einzelprozessen Angeklagte (z. B. den Auschwitz-Kommandanten Höß und Adolf Eichmann).

Zu manchen Verbrechen gibt es auch Schilderungen von Nebentätern und unfreiwilligen Helfern, etwa die detaillierte Aussage eines deutschen Lastwagenfahrers zum Massenmord in Babij Jar, bei dem deutsche Einsatzgruppen in nur zwei Tagen 33 771 Juden ermordeten.17 Bekannt sind auch Tagebücher und Berichte einer Handvoll deutscher Soldaten, die inmitten des Schlachtens ihr Mitleid für die russische Zivilbevölkerung zumindest schriftlich festhielten und in ihren Schilderungen auch die Leiden dieser Menschen darstellten.18 Erhalten sind außerdem Berichte schockierter Wehrmachtssoldaten, deren Züge auf dem Weg an die russische Front in Bahnhöfen neben Lastenzügen mit Viehwaggons hielten – Viehwaggons voll mit verhungernden, verdurstenden und sonst wie sterbenden Männern, Frauen und Kindern.19

Wer soll in der Lage sein, eine derartige Fülle an Quellen zu fälschen und zu konstruieren? Das ist unmöglich. Ebenso unmöglich ist übrigens, dass dieses immense Quellenmaterial in sich vollkommen widerspruchsfrei ist. Zu groß ist die Zahl der Quellen, Dokumente, Fragmente, die Anzahl der Sprachen, in denen sie abgefasst sind, zu ungenau die Erinnerungen von Tätern und Opfern, die oft erst Jahrzehnte nach den Geschehnissen hervorgeholt und dokumentiert wurden. Einzelne Widersprüche, Ungenauigkeiten oder – auch das wird es geben – Unwahrheiten in diesem Quellenmaterial beweisen gar nichts. Schon gar nicht, dass es den Holocaust nicht oder nicht in dieser Form gegeben hat.

Wer soll zu guter Letzt 1945 Interesse daran gehabt haben, unermesslich viel Energie und Ressourcen in eine derart titanenhafte Lügenkonstruktion zu stecken, bloß um »die Deutschen« zu diffamieren? Das Deutsche Reich hatte soeben einen Weltkrieg entfesselt und verloren, halb Europa ausgeplündert und zerstört, zehntausende Menschen auch in Westeuropa ermordet, ohne sich um besondere Geheimhaltung zu bemühen. Schon diese bereits unmittelbar bei Kriegsende bekannten Untaten Nazideutschlands genügten, um die deutsche Nation auf Jahrzehnte hinaus mit Schuld zu belasten. Einen Holocaust zu »erfinden« oder zu übertreiben war also gar nicht erst notwendig, um die Stellung des bedingungslos kapitulierenden, in seinen Ballungs- und Industriezentren dem Erdboden gleichgemachten Deutschland in Europa zu schwächen.

Der Holocaust an sich ist also nicht leugbar. Er ist ein millionenfach bewiesenes Faktum und wird das auch immer bleiben.20 Wer anderes behauptet, will entweder bewusst provozieren und lügen oder ist nicht in der Lage, einfachste Zusammenhänge zu begreifen. Einzelne Details, die Abläufe einzelner Morde und auch die eine oder andere Opferzahl werden sich mit Fortschreiten der Holocaust-Forschung wohl noch ändern. Noch sind nicht alle Quellen aufgearbeitet. An der unermesslichen Schuld deutscher und österreichischer Täter jener Zeit werden diese Korrekturen jedoch nichts mehr ändern.

1

Die folgenden revisionistischen Behauptungen sind nicht erfunden, sondern stammen von einschlägigen Holocaustleugner-Webseiten.

2

Weiterführend vgl. Markus Tiedemann: »In Auschwitz wurde niemand vergast.« 60 rechtsradikale Lügen und wie man sie widerlegt, Mülheim an der Ruhr 1996, S. 141.

3

Eine Sammlung der wichtigsten angeblichen Details und ihre Widerlegung enthält Tiedemann, »In Auschwitz wurde niemand vergast.«.

4

OGH 10.12.1993, 15 Os 1 / 93.

5

Timothy Snyder: Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin, 2. Aufl., München 2011, S. 18. Snyder erwähnt an dieser Stelle auch Quellen für das Wüten stalinistischer Mordkommandos. Diese sind hier mangels Themenbezugs ausgespart. Eine Untersuchung nationalsozialistischer und stalinistischer Opferzahlen findet sich in diesem Buch unter dem Stichwort Hitler.

6

Jan Karski: Mein Bericht an die Welt. Geschichte eines Staates im Untergrund, München 2010. Der englische Originaltext erschien 1944 unter dem Titel »Story of a Secret State«.

7

Jana R. Friesová: Festung meiner Jugend. Eine Familie unter den nationalsozialistischen Rassegesetzen, Prag 2004.

8

Drahomír Bárta: Tagebuch aus dem KZ Ebensee, Wien / Berlin 2005.

9

Stellvertretend für viele andere Wieslaw Kielar: Anus Mundi. Fünf Jahre Auschwitz, Frankfurt / Main 1972; Tadeusz Borowski: Bei uns in Auschwitz, Frankfurt am Main 1991.

10

Z. B. Rudolf Kalmar: Zeit ohne Gnade, Wien 1946.

11

Eugen Kogon: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager, München 1974.

12

Zum Nürnberger Prozess vgl. Joe Heydecker / Johannes Leeb: Der Nürnberger Prozess, Köln 2003 mit einer Fülle an Zitaten aus Zeugenaussagen, Tätervernehmungen und als Beweismitteln vorgelegten Dokumenten.

13

Das deutsche Patentamt hat diesem Antrag in markaberer Gedankenlosigkeit übrigens mehrere Jahre nach Kriegsende stattgegeben und eine entsprechende Patentschrift errichtet.

14

Leon Goldensohn: Die Nürnberger Interviews. Gespräche mit Angeklagten und Zeugen, Zürich 2005.

15

Kazimierz Moczarski: Gespräche mit dem Henker. Das Leben des SS-Generals Jürgen Stroop. Aufgezeichnet im Motoków-Gefängnis zu Warschau, Berlin 1978.

16

Zit. n. Snyder, Bloodlands, S. 216.

17

Zit. n. Richard Rhodes: Die deutschen Mörder. Die SS-Einsatzgruppen und der Holocaust, Köln 2002, S. 270.

18

Z. B. Willy Peter Reese: Mir selber seltsam fremd. Die Unmenschlichkeit des Krieges. Russland 1941–44, München 2004.

19

Alfred Pietsch: Es regnete Hakenkreuze. Ein junger Wiener überlebt das Dritte Reich, Wien 2004.

20

Eine leicht lesbare Gesamtschau über den Holocaust enthält Guido Knopp: Holokaust, München 2000. Eine detaillierte Darstellung der Judenvernichtung bietet Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden, Frankfurt am Main 1982. Eine Vielzahl an elektronisch abrufbaren Quellen enthält die Webseite von Yad Vashem, der Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust.

Beschäftigungspolitik (ordentliche)

2. Im Dritten Reich gab es keine Arbeitslosigkeit

Natürlich sei vieles schlecht gewesen im Nationalsozialismus, sagen manche. Aber immerhin habe Adolf Hitler Arbeitsplätze geschaffen und dadurch vielen Menschen neue Hoffnung gegeben. Eine »ordentliche Beschäftigungspolitik«1 nannte der frühere FPÖ-Parteichef Jörg Haider das, was sich in Deutschland ab 1933 und in Österreich zwischen 1938 und 1945 auf dem Arbeitsmarkt tat. Es sei ab dem Moment mit der Wirtschaft rapide bergauf gegangen, an dem Hitler Reichskanzler wurde. Das sei das Geheimnis seines Erfolges gewesen, deshalb hätten die Menschen ihm derart zugejubelt. Schließlich habe Hitler das Deutsche Reich aus der Weltwirtschaftskrise geführt. Hat Hitler tatsächlich die Arbeitslosigkeit besiegt?

Adolf Hitler wurde am 30. Jänner 1933 Reichskanzler. Der Höchststand der Arbeitslosigkeit war in Deutschland mit 6,04 Millionen im Jahr 1932 erreicht, 1933 war die Arbeitslosigkeit bereits auf 6,01 Millionen gesunken.2 Wirtschaftliche Entwicklungen aber passieren nicht binnen kurzer Zeit, sondern brauchen einen gewissen Vorlauf. Der Wendepunkt der Wirtschaftskrise war bereits vor Hitlers Machtübernahme erreicht.

Laut NS-Propaganda wurde die Zahl der Arbeitslosen vom Zeitpunkt der Machtübernahme 1933 bis Ende März 1934 um 3,2 Millionen, also die Hälfte, reduziert.3 Der rapide Abfall der Arbeitslosigkeit wurde aber auch durch einen statistischen Trick erreicht: Ab November 1933 wurden die unregelmäßig Beschäftigten und Hilfsarbeiter in der Agrarwirtschaft nicht mehr als Arbeitslose gezählt, auch Arbeitslose mit einer körperlichen Behinderung wurden aus der Statistik gestrichen.4 Zum Dritten mussten zahlreiche Menschen vor den Nationalsozialisten ins Ausland flüchten oder wurden in Konzentrationslager deportiert. Diese wurden von der Arbeitslosenstatistik nicht mehr erfasst beziehungsweise wurden ihre Arbeitsplätze für andere frei. Auch auf diesem Weg führte das Naziregime zu einer Entlastung des Arbeitsmarkts.

Zwischen 1934 und 1938 stieg die Zahl der Beschäftigten in Deutschland um 1,2 Millionen auf 15,9 Millionen.5 Allerdings profitierten nicht alle gleich davon: Nach August 1934 gab das Arbeitsministerium an die Unternehmer die Parole aus, bevorzugt ältere Arbeitnehmer zu beschäftigen, besonders Familienväter mit vielen Kindern, »wodurch 100 000 junge Menschen bis 1935 ihren Job verloren«6.

Wie sah die NS-Arbeitsmarktpolitik konkret aus? Unter Hitlers Herrschaft vervielfachten sich die Rüstungsausgaben von 7,5 Prozent des Staatshaushalts in den Jahren 1932 / 33 auf 60 Prozent in den Jahren 1938 / 39.7 1938 war die Arbeitslosigkeit vollkommen verschwunden. Die Kriegsvorbereitungen waren also ein wesentliches Element der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Nationalsozialismus. Mitte des Jahres 1936 arbeiteten außerdem 125 000 Menschen an der Errichtung von Autobahnen, ab Sommer 1940 wurden sie verstärkt durch Juden und Kriegsgefangene ersetzt. Das deutsche Arbeitskräftereservoir war bereits zuvor gesunken, da ein Großteil der Männer im arbeitsfähigen Alter an der Front war. Während zahlreiche arbeitsfähige Männer als Soldaten im Sold der Wehrmacht standen, konnte das Regime gleichzeitig durch die von Millionen Zwangsarbeitern geleistete Sklavenarbeit Werte schaffen, ohne dafür Löhne bezahlen zu müssen.

Bereits kurz nach ihrem Machtantritt hatten sich die Nationalsozialisten bemüht, Frauen aus dem Arbeitsmarkt und zurück an den heimischen Herd zu drängen. Dazu wurden in den ersten Jahren des Regimes besondere Maßnahmen und Gesetze erlassen. Ein »Ehestandsdarlehen« etwa wurde nur vergeben, wenn die Frau sich verpflichtete, für die Darlehenszeit nicht arbeiten zu gehen. Da sich aber bereits in den Jahren 1935 / 36 ein Arbeitskräftemangel vor allem in der Produktionsgüterindustrie abzeichnete, wurde das Beschäftigungsverbot für das Ehestandsdarlehen schon 1937 wieder gestrichen.

Was aber bedeutete die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik für den einzelnen Arbeitnehmer? Zu den ersten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Nationalsozialisten zählten die Zerschlagung der Gewerkschaften und die Abschaffung des Streikrechts. Die »Deutsche Arbeitsfront« (DAF), die 1933 als Einheitsvertretung der Arbeitnehmer gegründet wurde, hatte keine Befugnis, Kollektivverträge zu verhandeln, und war so eines wesentlichen Elements gewerkschaftlicher Vertretung beraubt.

Mit der im September 1939 erlassenen »Kriegswirtschaftsverordnung« wurde ein allgemeiner Lohnstopp eingeführt. Von einer Acht-Stunden-Woche, wie wir sie heute kennen, konnten die Arbeiter damals nur träumen. Während die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in der Industrie im Jahr 1929 46,04 Stunden betrug, sank sie bis 1932, dem Jahr vor Hitlers Machtübernahme, auf 41,47 Stunden. Mit durchschnittlich 8,2 Stunden pro Tag lag sie also nahe an den heutigen Arbeitszeiten. Mit Hitlers Machtübernahme stieg die durchschnittliche Arbeitszeit in der Industrie wieder kontinuierlich an und erreichte im Jahr 1937 erneut 46,06 Wochenstunden. 8 1941 lag die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in der Industrie gar bei 50 Stunden, 1944 bei 48,5. Zusätzlich wurden mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs sämtliche Arbeitszeitschutzbestimmungen aufgehoben und für Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit keine Zuschläge mehr gezahlt. 9 In Verbindung mit dem allgemeinen Lohnstopp bedeutete das, dass die deutschen Arbeiter und Angestellten bei gleichbleibendem Lohn mehr arbeiten mussten als zuvor. Nicht nur arbeiten die Österreicher also heute viel weniger als unter den Nationalsozialisten. Dermaßen lange Arbeitszeiten wären heute sogar verboten. Nach Paragraf 9 Absatz 1 des Arbeitszeitgesetzes darf die Wochenarbeitszeit nämlich 50 Stunden nicht überschreiten.

Auch der durchschnittliche Wochenverdienst eines Arbeiters lag im Jahr 1937 weit unter jenem des Jahres 1929.10 Hinzu kommt, dass die Lebenshaltungskosten für den Einzelnen unter den Nazis dramatisch stiegen. Der Index der Lebenshaltungskosten stieg von 115,9 im April 1933 auf 132,4 im April 1941. Eine minimale Senkung von 0,1 Prozentpunkten gab es bei den Mieten, was wohl auch damit zusammenhing, dass zahlreiche Wohnungen »arisiert« und damit »frei« geworden waren. Die Preise für Nahrungsmittel erhöhten sich hingegen von 109,5 auf 128,6 Punkte. Ganz rapide verteuerte sich Bekleidung, die zwischen 1933 und 1941 um ein Drittel teurer wurde.11 Der gleiche Lohn für immer mehr Arbeit wurde so real immer weniger wert.

Zugleich versuchten die Nazis, Arbeitslosigkeit als Krankheit oder Charakterschwäche darzustellen. Ihr Terror richtete sich nicht nur gegen Juden und Oppositionelle, sondern auch gegen all jene, die nicht so »funktionierten«, wie sie sollten. Mit der Aktion »Arbeitsscheu Reich« wurden im Jahr 1938 mehr als 10 000 Männer als »asozial« eingestuft und in Konzentrationslager verschleppt, weil sie zum Beispiel keinen fixen Arbeitsplatz oder Wohnort nachweisen konnten. Die Nationalsozialisten suchten im Rahmen dieser Aktion aktiv nach »arbeitsscheuen« Menschen. Als »Arbeitsverweigerer« stuften sie »Männer im arbeitsfähigen Alter«12 ein, »deren Einsatzfähigkeit in der letzten Zeit durch amtsärztliches Gutachten festgestellt worden war und die nachweisbar in zwei Fällen die ihnen angebotenen Arbeitsplätze ohne berechtigten Grund abgelehnt hatten beziehungsweise zugewiesene Arbeitsstellen wieder aufgegeben hatten«13. Sie mussten Gefängnisstrafen beziehungsweise die Einweisung in »Arbeitserziehungslager«14, die von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) geführt wurden, oder Konzentrationslager befürchten.

1938 wurde auch der »schwarze Winkel« als Erkennungszeichen der »Asozialen« in den Konzentrationslagern eingeführt. Der Historiker Hans Buchheim schrieb 1959 in einem Gutachten, die Aktion »Arbeitsscheu Reich« habe »ihren wahren Grund nicht in besonderen Erfordernissen der Bekämpfung der Asozialität, sondern in dem damals in Deutschland herrschenden katastrophalen Mangel an Arbeitskräften«15 gehabt.

Je näher der Krieg rückte, umso einschränkender wurde die Arbeitsmarktpolitik für den einzelnen Arbeitnehmer. In bestimmten Bereichen brauchte man für die Lösung eines Arbeitsverhältnisses die Zustimmung des Arbeitsamtes. Ab Juni 1938 konnte durch die »Dienstverpflichtung« jeder Deutsche befristet »für Aufgaben besonderer staatspolitischer Bedeutung« wie den Bau des Westwalls herangezogen werden. Ab 1939 konnten die Arbeitseinsatzbehörden bestehende Arbeitsverhältnisse auflösen und die Arbeitnehmer an andere Arbeitsstellen versetzen. Während des Zweiten Weltkriegs wurden schließlich rund 80 »Arbeitserziehungslager« errichtet, in die Personen geschickt wurden, denen man Verstöße gegen die Arbeitsdisziplin vorwarf. Das betraf etwa »Arbeitsverweigerung«, »Bummelei« und unentschuldigtes Fernbleiben. Nach einigen Wochen Haft kehrten die Arbeiter wieder an ihren Arbeitsplatz zurück. Wer hingegen als »unverbesserlich« galt, wurde ins Konzentrationslager überstellt.

Die NS-Kriegswirtschaft beruhte schließlich vor allem auf dem massiven Einsatz von ausländischen Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und KZ-Insassen, die unter menschenunwürdigen und lebensgefährlichen Bedingungen Arbeitsdienst leisten mussten. Im Jahr 1941 arbeiteten alleine in der damaligen »Ostmark« 188 215 Ausländer in der Landwirtschaft, 121 395 in der Industrie und 61 311 im Baugewerbe. 1943 waren bereits 25,3 Prozent aller in der »Ostmark« Beschäftigten Ausländer (566 996 Personen).16 Zwangsarbeit leisten mussten auf österreichischem Gebiet während der Nazizeit unter anderem 169 000 Kriegsgefangene, mindestens 55 000 ungarische Juden sowie die bis zu 200 000 KZ-Häftlinge, die es auf österreichischem Boden gab. »Mit über 60 000 Häftlingen in den Außenlagern des KZ Mauthausen im Herbst 1944 stellten diese etwa einen Anteil von 8 Prozent der Beschäftigten in der Industrie.«17

Wer gerne Kanonen für einen dritten Weltkrieg baut, gerne länger als heutzutage in der Fabrik schuften will, ohne mehr Lohn zu erhalten, und dafür auch gerne mehr Geld als zuvor für Lebensmittel und Bekleidung ausgibt, für den mag die Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik der Nationalsozialisten vorteilhaft erscheinen. Für alle anderen war sie das nicht.

1

Der damalige Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider am 13. Juni 1991 im Kärntner Landtag während einer Debatte über Arbeitslosigkeit. Wegen dieses Ausspruches wurde Haider am 21. Juni 1991 als Landeshauptmann abgewählt.

2

Vgl. Wolfgang Benz: Legenden, Lügen, Vorurteile, München 1992, S. 28.

3

Im Österreich wurde der Höhepunkt der Arbeitslosigkeit 1933 mit 557 000 Arbeitslosen und einer Arbeitslosenrate von 26 Prozent erreicht. Bis 1937 sank dieser Wert auf 464 000 Arbeitslose oder 21,7 Prozent. Vgl. Michael John: Arbeitslosigkeit und Auswanderung in Österreich 1919–1937, in: Traude Horvath / Gerda Neyer (Hg.): Auswanderungen aus Österreich von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Wien 1996, S. 85.

4

Vgl. Rüdiger Hachtmann: Labour Policy in Industry, in: Christoph Buchheim (Hg.): German Industry in the Nazi Period, Stuttgart 2008, S. 70.

5

Vgl. ebenda, S. 71.

6

Vgl. ebenda.

7

Zahlen zit. n. Wolfgang Benz: Legenden, Lügen, Vorurteile, München 1992, S. 27ff.

8

Karl Almhofer: Der Wirtschaftsbetrieb und die Arbeitnehmervertretungen im Nationalsozialismus von 1933 bis 1936, Dipl.-Arb., Linz 1994, S. 96, Schaubild 12.

9

Vgl. Hans Pohl: Wirtschaft, Unternehmen, Kreditwesen, soziale Probleme. Ausgewählte Aufsätze, in: Vierteljahreszeitschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Stuttgart 2005, S. 1339f.

10

Vgl. Almhofer, Der Wirtschaftsbetrieb, S. 96, Schaubild 12.

11

Vgl. Helmut Dubiel / Alfons Söllner (Hg.): Wirtschaft, Recht und Staat im Nationalsozialismus. Analysen des Instituts für Sozialforschung 1939–1942, Frankfurt / Main 1981, S. 228.

12

Aber auch Frauen wurden wegen »Arbeitsverweigerung verurteilt. Siehe dazu etwa den Fall der Arbeiterin Anna Sassor, die 1942 wegen »hartnäckiger Arbeitsverweigerung« zu drei Monaten Gefängnis verurteilt wurde.

13

Zit. n. Wolfgang Ayaß: Die Einweisung der »Asozialen« in Konzentrationslager, in: Dietmar Sedlaczek / Thomas Lutz / Ulrike Puvogel / Ingrid Tomkowiak (Hg.): »Minderwertig« und »asozial«. Stationen der Verfolgung gesellschaftlicher Außenseiter, Zürich 2005, S. 91.

14

Zur Situation in den »Arbeitserziehungslagern« auch auf österreichischem Boden siehe unter anderem Marianne Enigl: Terror und Tod, in: Profil 19 / 2010.

15

Hans Buchheim: Die Aktion »Arbeitsscheu Reich«, in: Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte, Bd. 2, Stuttgart 1966, S. 189ff., zit. n. Ayaß, Die Einweisung der »Asozialen«, S. 97.

16

Vgl. Florian Freund / Bertrand Perz / Mark Spoerer: Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen auf dem Gebiet der Republik Österreich 1939–1945, in: Clemens Jabloner et al.: Veröffentlichungen der österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich, Band 26 / 1, Wien / München 2004, S. 217.

17

Vgl. ebenda, S. 220.

Bildungsmisere

3. Die meisten Ausländer sind ungebildet

Das Problem seien ja nicht die Ausländer an sich. Es kämen bloß die »falschen Ausländer« nach Österreich, nämlich vorwiegend die Ungebildeten. Die ehemalige ÖVP-Innenministerin Maria Fekter meinte beispielsweise, dass man Zuwanderung »im Interesse Österreichs ein bisschen besser steuern« sollte, um nicht »unqualifizierte Analphabeten aus einem Bergdorf« genauso zu behandeln wie einen hoch qualifizierten Diplomingenieur.1 Kommen wirklich vorwiegend hinterwäldlerische Analphabeten nach Österreich?

Tatsächlich sind Migranten, die in Österreich leben, häufiger Magister und Doktoren als Österreicher. Von den 25- bis 64-jährigen Zuwanderern der Ersten Generation, also jenen, die nicht in Österreich geboren wurden, besaßen 2010 16,9 Prozent einen Universitäts- oder Fachhochschulabschluss oder einen Abschluss einer hochschulverwandten Lehranstalt wie einer Sozialakademie. Von den Österreichern ohne Migrationshintergrund waren es nur 10,9 Prozent. Auch der Anteil der Studierenden ohne österreichischen Pass ist in den vergangenen Jahrzehnten rapide gestiegen: Gab es 1970 / 71 erst 8573 ausländische Studenten an österreichischen öffentlichen Universitäten, waren es 30 Jahre später bereits 30 677. Bis 2010 / 11 verdoppelte sich die Zahl der ausländischen Studierenden beinahe noch einmal auf 59 058. Im Universitätsjahr 2009 / 10 hatten 15,1 Prozent aller Studierenden eine fremde Staatsbürgerschaft. Die größte Gruppe davon waren mit 34,7 Prozent Deutsche, gefolgt von elf Prozent Italienern und 4,4 Prozent Türken.

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