Hanna - der Weg ist das Ziel - Ella Winter - E-Book

Hanna - der Weg ist das Ziel E-Book

Ella Winter

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Beschreibung

Hanna – Der Weg ist das Ziel Hanna ist frisch in Rente – und völlig überfordert mit der vielen Freizeit. All die Pläne, die sie mal hatte, klingen plötzlich hohl. Kurse, Garten, Ordnung schaffen? Klingt eher nach Stillstand als nach Leben. Also tut sie das, was sie noch nie gemacht hat: Sie fährt einfach los. Mit dem Rad, einem alten Zelt und der leisen Hoffnung, irgendwo da draußen wieder Sinn zu finden. Unterwegs trifft sie Menschen, die etwas in ihr anstoßen: Mut, Wut, Neugier, Lachen. Mit jedem Kilometer wird Hanna leichter – und lebendiger. Zwischen Flüssen, Schlössern und Sonnenuntergängen findet sie, was sie längst verloren glaubte: ihren eigenen Antrieb. Kunst, Schreiben, Lernen – das ist es, was sie will. Und als sie am Atlantik ankommt, weiß sie: Das Ziel war nie der Ort. Das Ziel war sie selbst.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 404

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ella Winter

Hanna - Der Weg ist das Ziel

Orange-Linie Band 1

Ella Winter

Hanna - Der Weg ist das Ziel

Unterhaltungsroman

Texte: © 2025 Copyright by Ella Winter

Umschlaggestaltung: © 2025 Copyright by Sabine Huber

Verlag: Sabine Huber, sabine.huber63(at)outlook.de

Herstellung: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin

Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung:

produktsicherheit(at)epubli.com

Danke an meinen Sohn und besten Freund Patrick,

der mir während des gesamten Schreib Projektes

mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat.

Freiburg

H anna Hanna stand im Bad und starrte – als würde sie sich selbst zu einem Vorstellungsgespräch begrüßen wollen – in den Spiegel. „Na, du wilde Schönheit. Bereit für ein neues Abenteuer – oder wenigstens für Kaffee?“, murmelte sie und zog eine Augenbraue hoch.

Die Haare? Frisch gewaschen – aber rebellisch. Der Teint? Sagen wir: mit Charakter. Und die Fältchen um die Augen? Künstlerisch. Fast schon dekorativ. Aber hey – wer sagt denn, dass Abenteuer nur draußen stattfinden?

Früher war der Blick in den Spiegel eher ein Boxenstopp: Frisur okay? Prima. Und los. Make-up? Niemals ihr Ding. Heute aber blieb sie hängen. Irgendwas war … anders.

„Hanna, wer zum Kuckuck bist du eigentlich?“, fragte sie sich – halb nachdenklich, halb im Talkshow-Moderatorinnen-Tonfall.

Seit ein paar Monaten war sie offiziell Rentnerin. Die große Freiheit, die in der Werbung immer nach Sonnenuntergangswein klang, fühlte sich eher nach „Montag. Schon wieder.“ an. Und das täglich.

Sie hatte Listen gemacht. Listen voller Energie: Reisen! Französisch auffrischen! Leute besuchen! Salto rückwärts mit Lebensfreude!

Jetzt lagen die Listen irgendwo. In einer Schublade. Unter anderem Kram. Vermutlich hinter dem Ersatzakku vom Akkuschrauber. Stattdessen bestand das Leben aus: „Was esse ich heute?“ und „War ich gestern schon in der Drogerie, oder bilde ich mir das ein?“

Sie fuhr sich durch die Haare, grinste und schüttelte den Kopf. „Hanna, du lebst das Highlife. High-Ruhepuls vielleicht.“

In der Küche röchelte die Kaffeemaschine wie ein Science-Fiction-Bösewicht, und auf dem Sofa schnarchte Lotte – eingerollt wie ein pelziger Knoten. Absolut zuverlässig, wenn auch nicht sonderlich ambitioniert.

Mittwoch. Einfach nur Mittwoch. Aber irgendwie lag da etwas in der Luft.

*

Hanna zog den Bademantel enger, tappte ins Schlafzimmer und riss das Fenster auf. Ein Windstoß – freundlich, frisch und ein bisschen nach Petersilie (oder war’s Minze?) – wehte ihr ins Gesicht. Hallo, Welt.

Vielleicht war das der Duft von Aufbruch. Egal. Es fühlte sich gut an.

Sie schenkte sich Kaffee ein. Der Dampf kringelte sich in die Luft wie ein Gedanke, der noch nicht wusste, ob er ein Plan oder nur ein Hirngespinst sein wollte.

Lotte sprang auf ihren Stammplatz am Fensterbrett – wie eine Sekretärin, die ihren Terminkalender aktualisiert. Hanna kraulte ihr den Kopf. Die Katze schnurrte wie ein Kleinmotor und schielte Richtung Kühlschrank.

Der Blick war eindeutig. Salami. Jetzt. Sofort.

„Du bist wenigstens berechenbar“, sagte Hanna und lachte. Sie öffnete den Kühlschrank, reichte ein Stück rüber, und Lotte nahm es mit der königlichen Gelassenheit einer Katze, die ganz genau weiß, dass sie die wahre Chefin ist.

Der Tag war kaum angelaufen, und trotzdem fühlte sich für Hanna an, als hätte sie Level Eins vom Rentner-Spiel schon durchgespielt. Nur… was kam danach?

Die Vormittage schlichen so langsam dahin, dass selbst ihre Zimmerpflanzen anfingen, sich über das Tempo zu beschweren. Gespräche? Gab’s hauptsächlich mit Marlis aus dem dritten Stock. Und auch nur, wenn Marlis nicht gerade im Treppenhaus mit dem Staubsauger flirtete.

Hanna rührte in ihrem Kaffee. Der war inzwischen kalt. Na toll.

„Da fehlt was“, dachte sie. „So ein bisschen… Kick und Drive.“

Sie fühlte sich nicht traurig, aber so ein kleines bisschen „Standby“. Als hätte ihr innerer Fernseher auf Pause gedrückt. Jeden Tag drück dieses Gefühl sie mehr runter.

Ihr wurde immer mehr klar dass er etwas unternehmen musste. Bloß was? Das war die große Frage!

Marlis… ja, die war das Gegenteil: eine Frau wie ein Überraschungsei! Laut, bunt, unberechenbar – immer mit einem Spruch auf den Lippen und einem Lied auf den Stimmbändern.

Als das Telefon klingelte, wusste Hanna sofort: Marlis.

„Ich hab dem Rosmarin das Leben gerettet – der hing schon wie ein Teenie nach Matheunterricht! Kaffee? Ich hab gerade welchen aufgebrüht!“, trällerte es.

„Ich bin unterwegs! Ich zieh mir nur schnell was über.“ freute sich Hanna. Jetzt gab es wenigstens irgendeine Art von Unterhaltung!

Kurze Zeit später saßen sie in Marlis’ Küche. Wachstischtuch, getrocknete Blumen, Steingutkanne – ein Ort, irgendwo zwischen Retro und Retro-Retro.

Marlis machte Kaffee wie Oma früher – mit Geduld und ohne Technik. Und das Ergebnis war pures „Zuhause“.

Hanna nahm einen Schluck. Schmeckte wie: Früher, als die Welt noch in Ordnung war.

Der Marmorkuchen war ein Gedicht. Locker, saftig, mit Rissen wie eine kleine Landkarte. Und ausnahmsweise aß Hanna ihn nicht sofort. Sie hatte gerade Gedanken im Kopf, die etwas mehr Platz brauchten.

„Was ist los?“, fragte Marlis plötzlich. „Du guckst, als würdest du versuchen, durch den Kuchendampf zu meditieren.“

Hanna zögerte, drehte ihren Kaffeelöffel in der Tasse – als wollte sie darin Antworten finden. Dann platzte es aus ihr heraus: „Ich will einfach mal los. Irgendwohin! Irgendwas machen, was nicht auf der Einkaufsliste steht. Das Leben spüren. Ich komm mir vor wie… wie so ein alter Regionalzug, der immer nur zwischen zwei Haltestellen pendelt. Anwesend, aber völlig nutzlos! Ich muss raus aus dem Trott. Wandern, radeln, irgendwas. Hauptsache, ich bewege was – mich!“

Marlis legte den Löffel ab und sah sie an. Ihre Augen funkelten – dieses spezielle Marlis-Glitzern zwischen Lebensfreude und „Ich weiß genau, wovon du redest“. „Oh, Hanna!“, sagte sie, mit einem Grinsen, das schon nach Abenteuer roch. „Weißt du, dass ich das auch mal gemacht hab?“

Hanna blinzelte. „Du? Du bist doch höchstens bis zum Wochenmarkt und zurück gefahren – und das mit Umweg über den Käseladen.“

„ Ha! Weit gefehlt, Madame! Frankreich, Provence, Alpen – ich hatte mehr Blasen an den Füßen als ein Fußpfleger in der Hochsaison!“ Marlis goss sich noch Kaffee nach, nahm einen tiefen Schluck und fuhr fort. „Kleine Herbergen, große Gefühle, du kennst das. Und dann, in Norditalien, stand plötzlich so ein barfüßiger Junge vor mir – vielleicht zwölf – und fragt: ‚Signora, was suchen Sie?‘ Und weißt du, was ich gesagt hab?“

„Bitte sag nicht: den Weg zum nächsten Weingut.“

„Mich!“, sagte Marlis und grinste breit. „Ich hab mich gesucht. Und ich hab mich gefunden. Mit Sonnenbrand und Espressoflecken, aber glücklich.“

Hanna lachte. „Klingt nach einer soliden Reiseroute: Sinnsuche mit Koffein und Knirschsand.“

„Absolut!“, rief Marlis. „Und weißt du was? Ich hab in Kroatien aufgehört – kurz vor Dubrovnik. Da war dieser Strand… die Adria glitzerte wie frisch poliert, und plötzlich dachte ich: Zack – angekommen! Da drin.“ Sie tippte sich gegen die Brust. „Da, wo’s wichtig ist.“

Hanna nickte langsam, lächelte. „Das klingt… herrlich.“

„War’s auch. Und weißt du, was ich unterwegs gelernt hab?“ Marlis lehnte sich zurück. „Ich musste mich gar nicht neu erfinden. Ich hab mich nur wieder eingesammelt. Stück für Stück. Und das reicht völlig.“

Einen Moment war’s still. Nur der Kaffeelöffel klimperte im Takt des Nachdenkens. Dann legte Marlis ihre Hand auf Hannas Arm. „Wenn du also losziehst – tu’s. Aber vergiss nicht: Ich bin jetzt offiziell deine Gießvertretung. Und Lotte bekommt selbstverständlich täglich ein Stück Wurst. Vertraglich zugesichert. Mit Siegel!“

Hanna prustete los. „Mit Siegel?! Soll ich dir einen Notar bestellen?“

„Pah! Ich bin meine eigene Behörde.“ Marlis stand auf, stemmte die Hände in die Hüften. „Ich gieße, ich füttere, ich rede mit den Pflanzen, wenn’s hilft. Und wenn die Petunie widerspricht, kriegt sie Nachhilfe in Motivationstraining.“

„Oh Gott, meine Blumen werden nach zwei Wochen Persönlichkeitsentwicklung haben.“

„Und du,“ sagte Marlis mit ihrem typischen Zwinkern, „du wirst unterwegs lernen, dass der schönste Ort der ist, wo du wieder lachen kannst – auch über dich selbst.“

Hanna grinste. „Dann hab ich ja schon mal einen Vorsprung.“

Die beiden lachten laut – so, dass sogar Lotte kurz den Kopf hob, gähnte und dann zufrieden wieder einschlief. Und mitten im Duft von Kaffee, Freundschaft und Fernweh spürte Hanna plötzlich dieses vertraute Kribbeln. Vielleicht war ja heute wirklich der Anfang. Der Anfang von allem.

Später, als sie alleine zu Hause ankam, herrschte Totenstille. Abgesehen von Lotte, die an der Tür schnurrte wie ein lebendiger Türsensor mit Kuschelmodus.

Hanna blieb im Flur stehen. Wo früher mal ihre Aktentasche hing, baumelte jetzt nur noch eine Strickjacke, die aussah, als hätte sie die beste Zeit hinter sich.

Sie strich über den Stoff – fast so, als würde sie einen alten Gedanken streicheln.

Im Wohnzimmer zog sie eine Schublade auf, mit dem klaren Gefühl: da liegt was Wichtiges! Zwischen Landkarten, Zettelchaos und einem Bibliotheksausweis aus dem vorletzten Jahrzehnt: ein Foto.

Etwas wellig, leicht angeknabbert an den Rändern – aber emotional topfit.

Drei Kinder am Strand. Zwei Jungs. Und in der Mitte: ein barfüßiges Mädchen mit Zöpfen, rotem Eimer und dem Blick aufs Meer.

Hanna lies sich aufs Sofa fallen. Foto in der Hand, Herz im Galopp. Das war Le Croisic. Bretagne. 1969.

Damals, als Ferien noch rochen wie nasse Badeanzüge und frisch aufgebackene Baguettes.

Der Peugeot ihrer Eltern klang wie ein röchelndes Akkordeon, die Matratze im Kofferraum war tagsüber Hüpfburg, nachts Schlafplatz – Multifunktion deluxe.

Ihre Mutter hatte zum ersten Mal seit Ewigkeiten herzhaft gelacht. Der Vater? Schnitt Baguette wie ein Profi – allerdings auch sich selbst regelmäßig.

Und Hanna? Barfuß. Aus Prinzip.

Sie hatte Jeanne getroffen – ein französisches Mädchen mit Lockenmähne und null Deutschkenntnissen. Aber wer braucht Sprache, wenn man Strand hat?

Und dann war da das Meer. Groß. Offen.

Hanna lächelte. Ja… das hatte was! Das fühlte sich positiv nostalgisch an.

Vielleicht war das Foto kein altes Bild. Vielleicht war’s ein Wink. Oder ein Ruf. Oder die schriftliche Einladung zu Teil zwei ihres Lebens.

Sie griff ihr Tagebuch, klappte es auf und schrieb:

To-do-Liste, Version „Ich hab’s kapiert“:

Nach Le Croisic.

Französisch? Eingeschlafen. Aber hey – Bonjour krieg ich noch hin.

Ich will endlich meine Zeit genießen. Irgendwas machen! Leben! Lachen! Mich großartig fühlen! Und vor allen Dingen… herausfinden wie ich meine Zeit in Zukunft verbringen werde.

Ich will zurücklaufen. Zu mir.

Sie steckte das Foto zwischen die Seiten. Der Nachmittag war immer noch ruhig. Aber plötzlich… freundlich - ruhig.

Lotte sprang aufs Sofa, rollte sich ein wie ein flauschiger Donut und schnurrte, als hätte sie „Endlich!“ verstanden.

„Es wird Zeit“, sagte Hanna leise. Aber mit dieser Klarheit und Entschlossenheit, die Sie jetzt von innen heraus ganz erfüllte.

Am frühen Abend fläzte sie sich wieder aufs Sofa. Lotte kletterte auf ihre Beine, drehte sich dreimal im Kreis wie ein Hund mit Identitätskrise und schlief sofort ein.

Draußen? Grau. Drinnen? Gemütlich. Kerze an. Einfach so. Weil’s schön ist.

Dann kam der Gedanke: Wie sag ich das den Kindern?

Sollte sie es überhaupt schon ihren Kindern sagen? oder noch damit warten bis es spruchreif ist? Ihre Kinder wohnten ja schon lange nicht mehr bei ihr. Die waren erwachsen. Hatten eigene Familien eigene Kinder. Ihre Tochter Julia lebte auch in Freiburg, wie sie. Aber ihre Söhne wohnten weit weg. Und warum ,fragte sie sich, sollte sie jetzt schon darüber reden, es ist jetzt erst einmal eine Idee.

Das Klingeln an der Tür riss Hanna aus ihren Gedanken. Dreimal kurz, zweimal lang – typisch Marlis. Wenn es irgendwo einen Rhythmus-Wettbewerb für Türklingeln gegeben hätte, sie hätte gewonnen.

Vor der Tür stand sie – wie immer leicht außer Atem, mit Turban, Schürze und einem Topf in der Hand, der aussah, als könnte er eine Kleinstadt satt machen. „Ich hab zu viel gekocht!“, rief sie, bevor Hanna überhaupt hallo sagen konnte.

Hanna grinste. „Übersetzung: Du hast Appetit auf Gesellschaft.“

„Na sicher! Was ist Essen ohne Publikum?“ Marlis wuchtete den Topf an ihr vorbei in die Küche. „Und ich dachte, du brauchst mal wieder was Richtiges im Bauch. Nicht nur diesen depressiven Joghurt, den du immer löffelst, wenn du nachdenkst.“

„Der ist probiotisch!“, rief Hanna empört hinterher.

„Na, meinetwegen. Aber mein Eintopf ist philosophisch. Der beantwortet Lebensfragen!“

Hanna lachte und stellte zwei Gläser auf den Tisch. „Dann stell ihn ab, Aristoteles. Wein dazu?“

„Fragst du das wirklich?“ Marlis zog eine Augenbraue hoch. „Ich hab einen Korkenzieher in meiner Handtasche. Immer.“

Lotte kam herein, prüfte den Topf, schnupperte an Marlis’ Beinen und maunzte, als wollte sie sagen: „Qualitätskontrolle bestanden.“

„Selbst die Katze ist deiner Meinung“, sagte Hanna.

„Na also“, triumphierte Marlis. „Ich bin praktisch die kulinarische UNO.“

Sie setzten sich, die Küche war erfüllt vom Duft nach Paprika, Majoran und dem Versprechen auf gute Laune. Marlis schöpfte großzügig ein – kein Teller blieb unterhalb der Fülllinie – und lehnte sich dann zurück.

Sie schob den Eintopfteller beiseite, als wäre jetzt der Moment für etwas Wichtigeres als Kartoffeln und Majoran. „Also, meine Liebe“, sagte sie und musterte Hanna mit einem Blick, der irgendwo zwischen liebevoller Strenge und Vorfreude lag. „Ich sehe dieses Glitzern in deinen Augen. Das ist kein Zufall – das ist der Reisevirus. Ich kenn ihn! Hoch ansteckend!“

Hanna lachte. „Na toll. Gibt’s dagegen einen Impfstoff?“

„Vergiss es. Den gibt’s nicht mal in der Apotheke mit Kundenkarte.“ Marlis zwinkerte. „Aber die Symptome sind harmlos: unruhige Füße, Fernweh, übermäßiger Kaffeekonsum. Und am Ende meistens Glück.“

Hanna pustete auf ihren Löffel, tat so, als würde sie überlegen. „Klingt gefährlich. Und was, wenn’s mich richtig erwischt?“

„Dann pack den Helm ein, Herzchen, und fahr los.“

Hanna sah sie an. „Du meinst das ernst?“

„Natürlich. Ich hab dir doch erzählt, wie ich mich damals unterwegs wieder eingesammelt hab. Stück für Stück. Und du – du bist doch schon halb aufgebrochen, nur dein Körper hängt noch hier zwischen Kaffeemaschine und Katzenfutter.“

„Na danke“, grinste Hanna. „Romantisch klingt anders.“

„Ach was, Romantik ist was für Postkarten. Ich rede von Abenteuer. Vom Wind, der in deinen Haaren singt, und von dieser Freiheit, die riecht wie frisches Baguette. Du willst das – und du kannst das!“

Hanna grinste schief. „Ich? Mit meinem Orientierungssinn? Ich verlaufe mich ja schon im Baumarkt.“

„Umso besser! So findest du neue Wege. Du bist ein Mensch, der einfach mal los muss, bevor der Kopf dichtmacht. Also: Los. Fahr. Radle. Mach Umwege. Lass dich verlaufen. Sammle Geschichten, keine Einkaufszettel!“

Hanna lehnte sich zurück und seufzte – aber diesmal klang das Seufzen nach Aufatmen. „Du bist gefährlich, Marlis. Erst bringst du Eintopf, dann Existenzkrisen.“

„Ich bring Energie, meine Liebe. Eiweiß, Eisen und Erleuchtung!“

Hanna prustete los. „Ich schwör, das kommt alles in mein Reisejournal.“

„ Mach das“, sagte Marlis mit einem zufriedenen Lächeln. Dann wurde sie kurz ernst – auf diese typisch Marlis-Art, die immer nur drei Sekunden anhielt. „Weißt du, Hanna – du brauchst dich nicht zu finden. Du bist längst da. Du willst dich nur mal wieder spüren. Und dafür gibt’s nichts Besseres als Wind im Gesicht und den falschen Weg auf der Landkarte.“

Hanna sah sie lange an, dann grinste sie. „Und du meinst, das ist nicht verrückt?“

„Verrückt?“ Marlis hob ihr Weinglas. „Das ist Lebensfreude mit Navigationsfehler.“

„Na, dann… Prost drauf.“

„Prost auf die Abenteuerjacke!“, sagte Marlis. „Und auf die offizielle Gießvertretung. Ich kümmere mich um alles – Lotte, Blumen, Netflix-Zugang. Nur deine Freiheit bleibt unbewacht.“

„Sehr großzügig.“

„Ich weiß.“ Marlis nickte feierlich. „Und falls du irgendwo in Frankreich sitzt, mit Croissant in der einen und Zweifel in der anderen Hand – denk dran: Ich hab’s dir erlaubt!“

Sie lachten beide, stießen an, und die Gläser klangen wie kleine Versprechen. In der Küche duftete es nach Eintopf und Aufbruch. Draußen rauschte der Regen gegen die Scheibe – und drinnen war plötzlich dieses leise, kribbelnde Gefühl von Anfang.

Sie lag lange wach. Lotte schnurrte als Bonusheizung. Hannas Gedanken drehten sich – langsam, aber stetig. Und dann, ganz leise, sprach sie in die Dunkelheit hinein – zu sich selbst: „Spinn ich? Wirklich… bin ich jetzt eine von denen, die sich plötzlich 'finden' müssen? Mit 63? Und zwar auf zwei Rädern und mit Teebeutel im Gepäck? Was ist, wenn ich das alles anfange – und dann mitten im Nirgendwo sitze, mit plattem Reifen, schlechtem WLAN und der Erkenntnis, dass Selbstfindung überbewertet ist?

Und gleichzeitig… Was ist, wenn ich’s nicht mache? Wenn ich hier bleibe – im sicheren, weichen, warmen Alltag? Mit meiner Kaffeemaschine, mit Marlis, mit dem täglichen „Was essen wir heute?“Ist das dann genug? Oder wird’s irgendwann zu viel vom Gleichen?

Ich glaub, ich will rausfinden, wie sich 'mehr' anfühlt. Nicht mehr leisten. Nicht mehr erreichen . Einfach mehr… leben.

Ich will das Gefühl haben, dass ich noch ein bisschen Wildnis in mir hab. Dass ich lachen kann,

Und vielleicht – nur vielleicht – will ich mir selbst beweisen, dass ich keine Angst habe. Nicht vor dem Alleinsein. Nicht vor neuen Wegen. Und auch nicht vor meinem eigenen Mut.

Ich weiß nicht, wie lang diese Reise wird. Aber ich weiß, dass ich losfahren muss. Weil da draußen irgendwas auf mich wartet. Vielleicht kein Ziel. Aber ein Anfang.“

*

Die nächsten Tage flitzten vorbei, und trotzdem fühlte sich jeder einzelne von Ihnen ein bisschen besonders an. Es fühlte sich so an wie… wie Montag mit guter Laune. Hanna hatte das Dauergrinsen gepachtet.

Planen machte plötzlich Spaß. Je mehr sie an ihrer Reise bastelte, desto breiter wurde das Grinsen.

Sie kritzelte eine Route auf einen Zettel:

Freiburg → über den Doubs → entlang der Loire → Atlantikküste → Le Croisic.

Allein die Namen klangen wie aus einem französischen Soundtrack:

Doubs – wie der charmante Typ, der im Film plötzlich auftaucht und Croissants backen kann.

Loire – eindeutig eine Diva mit Sonnenbrille und rotem Lippenstift. Atlantik – ein Riese mit Meersalz im Haar und offenen Armen.

Le Croisic – klingt wie ein alter Freund, der plötzlich anruft und sagt: „Komm vorbei, !“ Abenteuer ready.

Hanna wühlte sich durch Radreise-Foren. Ihre Lieblingsweisheit:

Weniger ist mehr. Zwei Shirts, zwei Hosen, der Rest ist Ballast.

Na, wenn das kein Aufruf zur Mode-Revolution ist!

Also schrieb sie ihre eigene Packliste:

2 T-Shirts

2 Unterhosen (mehr Optimismus ging nicht)

1 lange Hose, 1 Shorts

Fleecepulli (für alle Eventualitäten, auch für schicke Lagerfeuer)

Regenjacke

Stirnband + Sonnenhut (Outfitwahl: „französischer Almhut trifft praktische Tante“)

Flickzeug

Seife, Zahnbürste, kleiner Kamm

Powerbank, Handy, Ladekabel

Zelt und Schlafsack

Tagebuch, Stift, Tee – und ein Lächeln

Und: ein altes Kinderfoto von ihr in Le Croisic, barfuß, mit Eimer. Nostalgie im Taschenformat.

Sie starrte die Liste an. Minimalistisch, aber nicht freudlos. Eher wie ein gepackter Koffer voller „Jetzt geht’s los!“

Auch ihr Alltag drehte langsam auf Entdeckermodus:

Das Auto stand öfter rum, das Fahrrad durfte wieder raus. Anfangs ihr klappriger Drahtesel, der bei jeder Kurve klang, als würde er gleich einen Schwanengesang anstimmen.

Dann tauchte Marlis auf – mit einem Grinsen und einem Angebot:

„Ich hab da noch ein E-Bike im Keller! Irgendwann gekauft, zweimal gefahren, dann beschlossen: Ich bin lieber dekorativ als sportlich.“

Sie machte eine Pause und zwinkerte ihr zu.

„Wenn du’s willst – schnapp’s dir. Aber nur unter einer Bedingung: Du kommst heil zurück. Mit Vielen wunderbaren Geschichten, neuen Ideen und einer echten Zukunft.“

Hanna testete das E-Bike – und war begeistert. Das Ding war wie eine Rakete auf zwei Rädern. Nur mit Einkaufskorb statt Triebwerk.

Sie fuhr zum Markt, zum Bäcker, zum Bioladen – und tat so, als wär das Training. In Wirklichkeit war’s Vorfreude mit Tacho.

Und sie liebte es.

Wind im Gesicht. Dieses Kribbeln in den Beinen. Und der Gedanke:

„Der Weg ist das Ziel – und mein Hintern sollte dringend mitziehen.“

Eines Morgens stand Hanna vorm Spiegel. Und diesmal nicht mit müdem Blick oder kritischer Miene – nein, heute hatte sie ein Grinsen im Gesicht, das fast schon verboten gut war.

„Ich fang einfach an“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. „Und dann schau ich mal, wer ich unterwegs so werde. Vielleicht Weltmeisterin im Zelt-Aufbauen. Oder die Frau, wegen der Pleiten, Pech und Pannen erfunden wurde.“

Später tippte sie eine Nachricht an Julia:

Ich überlege, eine Reise zu machen. Vielleicht mit dem Rad. Vielleicht ans Meer. Einfach mal los. Nur ich.

Die Antwort kam so schnell, als hätte Julia schon mit erhobenem Zeigefinger gewartet:

Bist du verrückt geworden?! Das ist doch total gefährlich! Allein?! Auf dem Rad?! Ich sag das sofort Tom – der redet dir das aus!

Hanna lachte. Dann tippte sie zurück:

Alles gut, Julia. Ich trainiere täglich. Hab sogar schon Muskelkater gefeiert – mit Wärmflasche und Schokolade.

Julia schrieb:

Mama, ich hab einfach Angst. Ich könnte das nie! Allein! Ich hab nicht so viel Mut wie du.

Hanna hielt kurz inne. Dann antwortete sie:

Mäuschen, du hast mehr Stärke in dir, als du glaubst. Aber das hier ist meine Reise. Und ich weiß, dass ich das packe – inklusive Rad, Rucksack und Rückenwind.

Zwischendurch saß Hanna öfter mit Marlis draußen im Hof. Sie wärmten sich in der Sonne wie zwei Schildkröten mit Reiseplänen. Hanna las ihre Route vor, während Lotte unter dem Gartentisch auf Krümelpirsch ging.

Marlis grinste:

„Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt.“

„Und drittens,“ konterte Hanna, „ist das völlig wurscht.“

Dann zauberte Marlis aus irgendeiner Küchenschublade noch einen alten Französischkurs auf MP3 hervor.

„Den hab ich mal gemacht. Ich klang wie ein sprechender Croissant – aber immerhin.“

„Perfekt“, sagte Hanna. „Dann kann ich auf Französisch fluchen, wenn ich mich verfahre. Merci beaucoup!“

Abends lag Hanna auf dem Sofa, Tee in der einen Hand, Katze auf dem Bauch, das Handy auf dem Bauch der Katze. Es roch nach Fahrradöl, Hoffnung und ein bisschen Frühlingsluft.

Sie dachte:

Es geht los Jetzt.

Tagebuch

Ich bin ein bisschen baff über mich selbst.

Ich, die früher bei der Idee von „Camping“ Rückenweh bekam, schreibe Packlisten, plane Etappen und falte Karten wie eine Profi-Nomadin.

Es kribbelt. So richtig. Wie frisch verknallt – aber diesmal in mein eigenes Leben.

Marlis hat mir ihr E-Bike gegeben. Und ihren Französischkurs. Ich bin offiziell ausgestattet – mental und technisch .

Es läuft einfach gut. Fast zu gut. Also bleib ich skeptisch optimistisch… aber mit freudigem Grinsen.

An einem dieser Nachmittage, an denen der Himmel aussah wie wie hingemalt, saßen Hanna und ihre Enkelin Lena im Wohnzimmer. Lena hatte sich in den Sessel gefaltet wie eine menschliche Brezel – Beine verknotet, Pullover über den Knien, Kopfhörer halb auf, halb ab. Auf ihrem Schoß stand ein Becher Kakao mit so viel Sahne, dass man darauf hätte Ski fahren können.

„Du willst echt mit dem Rad nach Frankreich?“ fragte sie und pustete eine Sahnewolke zur Seite. „So richtig? Ohne Hotelgutscheine?“

„So richtig“, lachte Hanna. „Aber Stück für Stück. Ziel: Le Croisic. …. Aber das mit dem Hotelgutschein…. ich werde vermutlich nicht immer im Zelt schlafen ein bisschen Luxus brauche ich auch“

Lena blinzelte. „Da, wo du als Kind warst, oder? Mit diesem Meer, das glitzert wie Alufolie in der Sonne, und dem alten Auto, das geklungen hat wie ein Schlagzeug in der Waschmaschine?“

Hanna lachte. „Genau das! Und das Meer roch nach Salz, Sonne und Kindheit.“

Lena nickte beeindruckt. „Ich find’s mega. Du bist wie so ’ne geheime Superheldin. Radabenteuer-Oma! Mit Tagebuch, Thermoskanne und… Power-Riegeln in der Lenkertasche!“

„Fehlt nur noch das Cape“, sagte Hanna und nahm einen Schluck Tee.

„Oder Glitzerhelm!“ rief Lena. „Aber so richtig mit Einhorn-Aufklebern. Damit dich die Autofahrer nicht übersehen.“

„Ich will aber seriös wirken“, meinte Hanna. „Vielleicht eher so ein Helm mit dezentem Funkel-Effekt.“

„Klar. Seriös ist wichtig“, sagte Lena trocken. „Vor allem, wenn man mitten in Frankreich ’ne Katze vom Straßenrand adoptiert.“

Hanna grinste. „Das traust du mir zu?“

„Hundert Prozent. Und dann heißt sie Baguette.“

Beide lachten, bis Hannas Lesebrille beschlug.

Dann wurde Lena plötzlich still – so still, wie nur Teenager werden können, wenn sie etwas wirklich sagen wollen, es aber uncool finden, Gefühle zu zeigen. „Ich find das echt stark, Oma“, sagte sie leise. „Dass du das einfach machst. Die meisten Erwachsenen reden nur. Du fährst einfach los. Das ist... irgendwie inspirierend.“

Hanna legte die Hand auf Lenas Bein. „Weißt du, wann man losfährt?“ fragte sie. „Na?“

„Wenn man’s nicht mehr aufschieben will. Wenn man merkt: Das Leben wartet nicht, also sollte man selbst auch nicht warten.“

Lena nickte langsam. „Das klingt wie ein Insta-Zitat. Nur ohne peinlichen Sonnenuntergang im Hintergrund.“

„Ich nehm’s als Kompliment.“

„Mach ’nen Blog draus!“, sagte Lena plötzlich wieder quicklebendig. „Oder TikTok! Du schreibst so... ehrlich. Und witzig. Hanna-mäßig eben. Ich helf dir beim Schneiden!“

„Hm. Vielleicht werd ich Influencerin mit Faltenfilter und Teebeutel-Content“, überlegte Hanna.

„Ich würd’s liken!“ grinste Lena. „Aber nur, wenn du ein Hashtag kriegst.“

„Wie wär’s mit #RückenwindOma?“

„Zu brav. Eindeutig zu brav.“ Lena sprang auf, den Kakao halb leer, das Handy schon wieder in der Hand. „#WomanPower wär besser. Oder #PedalPowerOma. Oder – warte – #HannaOnTour!“

Hanna lachte. „Ich überleg’s mir. Aber du bist mein Marketingteam, klar?“

„Klar“, sagte Lena und drückte sie kurz. „Aber pass auf dich auf, okay? Und wenn du im Fernsehen bist – sag, ich war’s, die dich gemanagt hat!“

„Versprochen“, sagte Hanna.

Dann war Lena auch schon weg, eine kleine Explosion aus Jugend, WLAN und Kakaoduft – und Hanna blieb lächelnd zurück. Im Zimmer roch es nach Sahne, Schokolade und Abenteuerlust.

Am nächsten Tag versuchte Hanna gerade, sich durch einen Wäscheberg zu kämpfen, als ihr Handy vibrierte: Tom.

„Hi Mama! Ich hab genau sieben Minuten, bevor die Nudelsoße überkocht, das Kind schreit und der Geschirrspüler sich selbst deinstalliert – was gibt’s?“

„Du rufst an – und fragst mich, was los ist?“, konterte Hanna und grinste.

„Touché“, nuschelte Tom. Im Hintergrund: Geräusche wie in einer Kindertagesstätte mit Küchenschlacht.

„Ich wollte dir was sagen“, begann Hanna.

„Warte, ich schalte kurz den Staubsauger aus. Okay – jetzt! Leg los.“

„Ich plane eine Radreise. Nach Frankreich. Le Croisic.“

Stille.

Dann: „Was?! Rad? Frankreich? Allein? Hast du einen Sonnenstich oder eine Midlife-Crisis auf Zeitreise?!“

„Ich bin 63, Tom. Das ist kein Alter für Rollator, vielmehr für Abenteuer – powered by E-Bike.“

„Aber… das ist doch kein Kurztrip zum Supermarkt!“

„Eben. Deshalb mach ich’s.“

Tom seufzte. „Ich mein’s ja nur gut…“

„Ich weiß“, sagte Hanna. „Aber diesmal geht’s um mich. Um das, was ich will. Und ich will nicht mehr auf später warten.“

Im Hintergrund wieder Kinderlärm deluxe. Es klang so, als hätte eines der Kinder den Staubsauger wieder eingeschaltet. Dann Tom, leiser:

„Mama… du warst immer da. Für alle. Ohne Aufhebens. Ich hab das nie richtig gesagt… aber ich hab’s gesehen.“

Hanna lächelte. „Na also. Wenigstens einer.“

„Und sag mal… bitte nicht mit dem alten Klapperrad?“

„Ich fahr Marlis’ E-Bike. Top Zustand.“

„Okay“, sagte Tom. „Dann bist du bereit. Und ich bin ein bisschen neidisch. Auf deinen Mut. Und deinen Hintern – ehrlich gesagt.“

Sie lachten beide.

„Pass auf dich auf, Mama. Und schick uns ein paar Heldinnenfotos! Die Kinder feiern dich jetzt schon.“

Gerade als sie ihr Handy weglegen wollte piepte es wieder. Nachricht von Markus, ihrem jüngeren Sohn:

Hut ab, Mutti. Ich hoffe, ich hab deinen Mumm geerbt. Fahr los. Und schick Fotos. Vielleicht mach ich das auch mal. Aber erst nach meinem nächsten Burnout.

Hanna lachte laut auf. Typisch Markus. Immer eine Prise Ironie im Text – aber mit Sahnehäubchen Herz.

Lotte maunzte zustimmend. Hanna kraulte ihr den Kopf. „Du bist ja Team Hanna, was?“

Plötzlich fühlte sich alles einfach... genau richtig an.

Tagebuch

manchmal weiß ich nicht, was gerade schneller ist – mein Herzschlag oder wie Sachen auf meine To-do-Liste kommen.So viel passiert. Und zwar in mir drin. Fast wie Frühjahrsputz im Kopf.

Julia versteht mich – auf ihre typische, leicht besorgte Mama-Art. Lena ist ein kleiner Orkan aus Begeisterung. Sie nennt mich „geheime Heldin“ und verlangt TikTok-Tänze am Atlantik. Markus schreibt: „Hut ab, Mutti.“ Und das ging runter wie Öl.

Und Tom? Nach dem ersten Schreck hat er mir Rückendeckung gegeben – samt Superwoman-Vergleich. Ich nehm’s!

Mitten im ganzen Familienwahnsinn stehe ich und freue mich wie ein kleines Kind!!! Ja es geht wirklich los!

E-Bike im Keller, Vorfreude im Bauch.

Was früher mal „Träumerei“ war, ist jetzt ein Plan. Und sogar ein ziemlich guter, wenn ich ehrlich bin.

Ich fahre los. und einem Rucksack voller Neugier.

Die Reise hat längst begonnen.

Sie fing an, als ich beschlossen hab, aufzuhören zu Warten.Marlis meint:

„Wenn du dir was in den Kopf setzt, bist du nicht mehr zu stoppen.“ Klingt wie aus einem Actionfilm. Fühlt sich aber an wie das echte Leben.

Jetzt kommen die praktischen Dinge: Packen, Routen checken, Technik testen.

Aber selbst das fühlt sich leicht an. Fast spaßig.

Ich bin einfach bereit.

Es kribbelt. Und das Kribbeln fühlt sich gut an.

Und das ist vielleicht das Schönste daran.

Am Abend saß Hanna wieder am Küchentisch – im kreativen Chaos zwischen Listen, Post-its, einer zerknüllten Landkarte und zwei verschieden großen Teetassen, weil die Spülmaschine gerade mit Streik drohte.

Sie hatte angefangen auszumisten:

Was kommt mit? Was bleibt hier?

Und was war eindeutig: „Was-hab-ich-mir-dabei-gedacht“-Ballast?

Lotte hatte sich inzwischen im Karton für den Altpapiercontainer häuslich eingerichtet – königlich thronend zwischen Prospekten und einem alten Kalender. Ein stilles Statement: „Man plant – und die Katze entscheidet.“

Hanna überflog ihre Gepäckliste ein letztes Mal.

Die Schrift sah deutlich entschlossener aus als noch vor ein paar Tagen – kein Zögern, kein Gekritzel, sondern: Zack. So wird’s gemacht. Ihre Handschrift klang fast nach „Abenteuer, ich kommen!“

Der Rucksack stand bereit wie ein braver Hund an der Wand, die Fahrradtaschen waren gepackt – vielleicht nicht wie bei Youtube, aber funktional. Alles hatte einen Platz gefunden. Oder zumindest ein provisorisches Plätzchen mit Option auf Improvisation.

Draußen wurde es langsam gemütlich dämmrig. In den Nachbarwohnungen flackerten Lichter an – ganz so, als würde halb Freiburg gleichzeitig Tee trinken und an heimliche Pläne denken.

Hanna trat ans Fenster. Der Himmel war klar, ein paar harmlose Wolken schoben sich vorbei, als wollten sie noch schnell winken. Die Luft: friedlich. Die Stimmung: aufgeregt wie am Vorabend eines Kindergeburtstags.

Ein Kribbeln ging durch ihren Bauch – aber kein Lampenfieber. Mehr so wie: „Könnte ich heute Nacht bitte schon losfahren, oder ist das zu ungeduldig?“

Fast wie vor einem Theaterauftritt – wenn man weiß: „Okay. Ich hab geprobt. Ich hab den Text. Ich bin sowas von bereit.“

Später, im Bett, Lotte halb auf ihrer Decke, halb auf ihrer Niere, dachte Hanna nicht an Packlisten, Routen oder Höhenmeter. Sie dachte an Jeanne – Das Mädchen von damals in Le Croisic. An das alte Foto im Tagebuch. Und an das, was morgen beginnen würde.

Tagebuch

Morgen geht’s los. Und ja: Ich bin bereit!

Marlis hat gesagt: „Es wird dein Weg.“ Und ich glaub ihr. Der Mut, einfach loszustrampeln. Das macht es aus! Trotz seltsamer Packordnung und eventuell schief hängender Lenkertasche. Ich fahre los, weil ich will. Weil ich kann. Und weil mein Fahrrad schon nervös mit dem Ständer scharrt.

Hanna schloss die Augen.

„Es geht nicht ums Ankommen“, dachte sie. „Es geht ums Losfahren.“

Der Schlaf kam schnell, wie ein müder, freundlicher Mitreisender mit Kuscheldecke.

Abfahrt

Der nächste Morgen war... erstaunlich leise.

5:31 Uhr.

Hanna wachte auf – noch bevor ihr Wecker auch nur husten konnte.

Neben ihr lag Lotte, die mit zuckenden Ohren träumte, vermutlich vom Thunfischregal.

Hanna gähnte, streckte sich und flüsterte ins Halbdunkel:

„Na dann – auf geht’s.“

In der Küche dampfte der Kaffee schon ambitioniert vor sich hin, als wollte er „Bonne Voyage!“ in die Luft schreiben.

Hanna nippte daran, saß am Tisch, umgeben von wohliger Ruhe und einer gewissen „Jetzt-aber-wirklich!“-Energie.

Draußen brummte die Stadt langsam los.

Ein Fahrradklingeln hier, ein Lieferwagen dort.

Normaler Alltag – nur heute klang alles irgendwie wie Soundtrack zu einem Abenteuerfilm mit Rad und Rucksack.

Sie kippte den letzten Schluck Kaffee runter, schnappte sich ihre Jacke – und dann war da: der Rucksack.

Gepackt, bereit, leicht übermotiviert.

Die Fahrradtaschen? Nicht ganz Instagram-reif, aber immerhin sortiert.

Foto aus Le Croisic? Check.

Tagebuch? Doppelt check.

Thermoskanne? Niemals ohne. Kaffee ist schließlich Lebenselixier!

Hanna warf einen letzten Blick durch die Wohnung.

Vertraut. Gemütlich. Jeder Schatten an seinem Platz.

Aber heute war „Zuhause“ kein Ort mehr. Heute war Zuhause: Hanna mit Helm.

Das Fahrrad stand im Eingangsbereich des Treppenhauses wie ein Showpferd vor der Gala: frisch geputzt, geölt, mit „Ich bin sowas von bereit“-Vibes.

Sie schob das Rad hinaus.

Die Luft war frisch und nett – wie ein Kellner, der sagt: „Gleich geht’s los.“

Vögel zwitscherten ein bisschen übermotiviert – wahrscheinlich hatten sie Generalprobe fürs Frühlingskonzert.

Hanna stand auf dem Gehweg, atmete durch, sah kurz hoch zu ihrem Fenster.

Alles still. Außer Lotte, die sich zum Abschied nochmal dezent schnurrend gemeldet hatte.

„Du passt auf“, hatte Hanna ihr zugeflüstert – und der Blick, den Lotte zurückwarf, war irgendwo zwischen: „Klar!“ und „Bring Wurst mit.“

Und Marlis?

Die hatte sie vorher nochmal fest gedrückt.

Turban auf dem Kopf, Grinsen im Gesicht.

„Fahr los, bevor du's dir anders überlegst! Und wenn was schiefläuft – du kennst meine Nummer.“

Marlis – unerschütterlich wie ein Baum. Nur mit mehr Witzen und vermutlich zu viel Rosmarin auf dem Balkon.

Hanna checkte noch einmal ihr Handy.

„Ich bin unterwegs. Drück dich.“

Absenden an Julia. Handy in die Jackentasche – nicht zu weit weg, aber weit genug, um endlich loszufahren.

Sie legte die Hände auf den Lenker. Helm saß. Luft im Reifen: check. Puls: leicht erhöht, aber in freudiger Erwartung.

Dann: Augen zu. Tief einatmen. Und los.

Der erste Tritt – kein Hollywood-Moment, aber echt.

Nur Asphalt, der sagte: „Na endlich!“

Das Rad rollte. Und mit ihm alles, was bisher nur ein Gedanke gewesen war.

Es war nicht die Strecke, die rief – es war sie selbst, die sich endlich antwortete.

Hanna grinste.

Da war dieses Kribbeln, das gute Kribbeln.

Wie beim ersten Date. Oder beim Sprung ins tiefe Becken im Freibad.

Man weiß nicht genau, was kommt – aber man weiß:

Es wird gut. Und ganz sicher anders.

Hanna rollte gemütlich die Straße hinunter.

Der Wind wehte ihr um die Arme wie ein alter Bekannter, der zur Begrüßung erst mal alle Haare durcheinanderbringt.

Dann bog sie auf den kleinen Radweg in Richtung Wald ein. Hier war alles irgendwie wie früher – nur mit weniger Teenagerdrama und mehr Fahrradhelm.

Die Schatten der Bäume huschten über den Asphalt und zwischen den Ästen glitzerte das Sonnenlicht wie eine Discokugel.

Die Luft? Kühl, frisch und so angenehm, dass selbst ihr Fahrrad leise zu seufzen schien.

Feuchte Erde, Tannennadeln, ein Hauch von „Ich-bin-auf-dem-richtigen-Weg“-Aroma.

Kurz: Natur mit eingebautem Wellnessfaktor.

Hanna trat langsamer. Dann blieb sie stehen, weil es einfach zu schön war, um da durchzufahren wie durch eine Einkaufspassage.

Sie stützte sich auf den Lenker, atmete tief durch und schloss die Augen.

„Ich bin wirklich losgefahren“, murmelte sie – ein bisschen ungläubig, ein bisschen stolz, als würde sie sich selbst highfivend zuraunen: „Go, Hanna!“

Nach einem genüsslichen Atemzug griff sie wieder zum Lenker, schwang sich auf den Sattel – und zack: weiter ging’s.

Der Weg lag vor ihr, bereit und freundlich, wie ein guter Gesprächspartner mit offenen Ohren.

Die Bäume rechts und links schienen zuzunicken, ganz still und sehr weise.

Und falls sie hätten sprechen können, hätten sie wohl gesagt:

„Gut so. Weiter so. Und immer schön lächeln.“

Mit jedem Meter ließ Hanna ein bisschen altes Gepäck hinter sich – einfach sanft abgelegt, wie eine Jacke, die man nicht mehr braucht.

Und mit jedem Tritt wurde ihr leichter ums Herz

Der Asphalt unter Hannas Reifen war noch ein bisschen frisch, aber die Sonne hatte schon beschlossen, heute gute Laune zu machen. Hanna trat gleichmäßig in die Pedale.

Das Fahrrad surrte zufrieden vor sich hin – ein bisschen wie ein schnurrender Kater.

Sie fuhr durch eine Allee, die sich wie ein grüner Empfangsteppich für Frühaufsteher anfühlte.

Links und rechts: Felder im Chillmodus.

Alles noch ein bisschen verschlafen, aber bereit, gleich aufzuwachen und „Guten Morgen, Welt“ zu sagen.

In der Ferne kuschelte sich ein kleines Gehöft an einen Hügel.

Irgendwie wirkte das Bild wie aus einem alten Film.

Nur das Hanna diesmal mittendrin war.

Die Luft roch nach nassem Holz, Gras und Abenteuer.

Also, dem gemütlichen Typ Abenteuer. Mit Teepause und Gummibärchen.

Der Weg war nicht bloß Mittel zum Zweck – er war der eigentliche Star. Ein freundlicher Pfad mit Kurven zum Genießen und null Gegenverkehr.

Vögel zogen über ihr hinweg, schmissen ein bisschen Schatten auf den Weg und sahen dabei so mühelos aus, dass Hanna kurz neidisch wurde.

Im Graben am Wegesrand standen ein paar Margeriten rum, als hätten sie ihren ersten Auftritt beim „Frühling 2025“-Festival.

Hanna wäre gerne abgestiegen und hätte sich auf die Wiese gesetzt und einfach genossen, aber das ging nicht! Sie war unterwegs! Sie musste weiterfahren! Sie konnte nicht nach ein paar Metern schon Pause machen. Das lies ihr Stolz nicht zu.

Dann kam ein Anstieg. So ein kleiner Fitnesscheck mit Aussicht. Hanna schnaufte sich hoch – charmant, nicht keuchend – und als sie oben war, tat sich vor ihr eine Landschaft auf, die locker als Panorama-Wallpaper durchgehen konnte.

Unten: Ein Tal. Ein Bach, der sich durch die Wiese schlängelte wie ein Kind mit Zauberstab.

Kühe standen da wie Publikum mit Kaugummi – unbeeindruckt, aber freundlich.

Auf dem Hügel gegenüber thronte eine kleine Kapelle mit einem schiefen Turm – als würde er neugierig in ihre Richtung linsen.

Hanna bremste , rollte ihr Rad ins Gras und steuerte die nächstbeste Bank an.

Jetzt hatte sie das Gefühl, ich habe etwas geschafft! Ich bin diesen Hügel hinaufgekommen! Jetzt habe ich mir eine kleine Pause verdient!, Sie lächelte bei dem Gedanken, wie lange sie wohl brauchen würde, um an ihr Ziel zu kommen, wenn sie jetzt bei jeder Gelegenheit eine Pause verdient hätte.

Sie ließ sich auf die Bank plumpsen, der Rucksack rutschte mit einem Seufzer von ihrer Schulter.

Wasserflasche raus, ein Schluck – aaaah.

Dann: Atmen. Tief. Nur Hanna, eine Bank und das Gefühl, dass sie gerade ziemlich genau da war, wo sie sein wollte.

Sie lehnte sich zurück, spürte, wie ihre Schultern sich entspannten

Und dann kam das: dieses kleine innere Aufleuchten.

So ein inneres „Ahhhh, genau das ist es.“

Sie saß noch einen Moment, schaute ins Tal, dachte an nichts Konkretes – und genau deshalb war’s perfekt.

Dann grinste sie plötzlich.

Ein echtes Grinsen. Eines, das von innen kam – wie ein Witz, den man erst später kapiert, aber dann doppelt lustig findet.

„Ich bin unterwegs“, sagte sie leise.

Einfach… unterwegs. Ich bin wirklich losgefahren! Mit mir. Und Allem, was dazugehört.

Sie streckte sich kurz – ihre Muskeln knackten dezent, als wollten sie sagen: „Du hättest uns ruhig vorwarnen können.“ Dann stieg sie aufs Rad, nahm Schwung – und lachte. Ein echtes,freies„Ich-mach-das-wirklich!“-Lachen.

Ein Vogel flatterte erschrocken aus dem Gebüsch.

„Sorry“, rief Hanna ihm hinterher, grinste.

Es war kein kurzer Moment. Es war ein Zustand.

Und der rollte jetzt fröhlich auf zwei Rädern durchs Leben. Der Fahrtwind wuschelte durch Hannas Haare wie ein besonders enthusiastischer Friseur.

Die Sonne blinzelte durch die Baumwipfel, warf goldene Punkte auf den Weg – fast so, als hätte jemand Glitzerkonfetti verteilt.

Für einen kurzen Moment stimmte einfach alles:

Die Straße, der Tag, das Rad, ihr Mut – und sogar ihre Sockenfarbe.

Der Wald vor ihr war lichter, die Sonne gab nochmal alles – als würde sie sagen: „Go, Hanna, go!“

Doch dann… TADAAA – Nebel.

Nicht so ein „Oh, wie mystisch“-Nebel.

Mehr so: „Ups, wer hat das Sichtfeld geklaut?“

Eben noch gute Laune auf zwei Rädern – jetzt: Nebelsuppe deluxe.

Hanna fuhr langsamer. Dann hielt sie an.

Die Welt war weg. Einfach so.

Alles war plötzlich wattig, grau und etwas… orientierungslos.

„Okay. Kein Grund zur Panik. Es ist nur Nebel. Und kein Labyrinth von Hogwarts“, murmelte sie.

Dann schaute sie aufs Handy – null Empfang.

Der Kompass drehte sich lustlos im Kreis, das GPS hatte sich offenbar zum Mittagsschlaf abgemeldet.

Sie schob das Rad vorsichtig neben sich her, wie eine Spaziergängerin mit viel zu sportlichem Accessoire.

Ein moosiger Baumstamm kam wie gerufen – Pause.

Hanna setzte sich, atmete durch – und fragte sich kurz, ob das jetzt der richtige Moment war, um die Existenz von Orientierungssinn generell zu hinterfragen.

Dann hörte sie’s .Irgendwo tief drin: „Vertrau dir.“

Hm? War das ein Gedanke? Ein Mantra? Eine innere Motivationscoachin?

Egal. Es funktionierte.

Hanna atmete tief ein, dann noch tiefer aus – ungefähr wie bei einer Geburtsvorbereitung, nur ohne Baby. Sie stand auf. Legte die Hände an den Lenker.

Wartete. Schaute. Links.

Da war ein Baum mit einer dicken Narbe. Und ein kleiner Weg, der sanft abwärts führte. Kam ihr irgendwie bekannt vor …. oder? Sie entschloss sich zu warten.

Und siehe da: zehn Minuten später – zack!

Ein Lichtfleck im Grau.

Vögel kreischten aus dem Off, ein Busch winkte farbig, Felder tauchten auf wie ein Level-up in einem Spiel.

Der Nebel verzog sich.Die Sonne grinste vorsichtig durch.

Hanna trat kräftiger, mit einer soliden Portion Zuversicht, in die Pedale.

Nicht alles war klar. Aber klar genug, um weiterzufahren.

Puls? Da. Ruhig. Solide.

„Ich bin nicht eingeknickt.“ murmelte sie. Und musste leise lachen. Einfach so ein "Ha! Hab ich doch gesagt!"-Lachen – an sich selbst gerichtet.

Irgendwo zwischen Frühstück und dieser kleinen Sinnkrise im Nebel hatte Hanna wirklich losgelassen.

Außer de Bremse am Rad, auch ein paar alte Zweifel. Und das fühlte sich gut an. So wie Socken ausziehen nach einem langen Tag – nur innerlich.

Tagebuch – Nebel-Spezial

Kurze Panikpause im Nebel.

Kleines inneres Teufelchen sagte: „Umkehren! Zu alt! Zu doof! Zu allein!“ Ich so: „Äh, nö.“

Fazit: Nebel kommt. Und geht.

Schweinehund knurrt leise im Hintergrund – aber ich fahr weiter. PS: Oberschenkel-Update: Brennen leicht. Fühlen sich aber wie Muskelstolz an.

Frankreich

D ie Sonne stand schon ein bisschen schräg über den Feldern, als Hanna den nächsten Anstieg endlich hinter sich brachte. „ Na bitte“, keuchte sie, „das war doch gar nicht so schlimm. Gut, ich atme wie Darth Vader auf Wellnesskur, aber immerhin lebe ich noch.“

Sie blieb kurz stehen, nahm den Helm ab und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Der Wind roch nach Heu, Sommer und Aufbruch. Und da – nur ein paar Radumdrehungen weiter – das kleine blaue Schild:

„FRANCE“

Hanna stoppte. Ein unscheinbarer Fahrradweg, kein Schlagbaum, kein Zöllner – nur ein Schild, das flüsterte: „Bienvenue, Hanna.“

„Das war’s also“, sagte sie laut und grinste. „Einmal Grenze, bitte. Ohne Stempel, aber mit Gänsehaut.“

Sie stieg ab, stellte das Rad ab, stemmte die Hände in die Hüften und lachte. „Und da sag noch mal jemand, Rentner hätten keinen Kick im Leben!“

Dann zückte sie ihr Handy, suchte den richtigen Winkel – leicht schräg, mit Schild im Hintergrund und Sonnenreflex auf dem Helm – und machte ein Selfie. Nicht perfekt. Aber herrlich echt.

Sie tippte die Nachricht: „Ja, ich bin jetzt in Frankreich “Und schickte das Foto an Julia, an Lena, an Marlis.

Keine Minute später vibrierte das Handy:

Julia: „Oh wow, Mama! Du siehst aus wie ein Travel—

Blogger mit Puls!“

Lena: „#PedalPowerOma!!! Ich mach dir ’n Hashtag-Banner!“

Marlis: „Ich wusste es! Du hast den Reisevirus im

Endstadium. Glückwunsch, Madame!“

Hanna grinste. „Das Internet funktioniert also auch hinter der Grenze. Europa, ich liebe dich.“

Sie radelte noch ein Stück, bis sie einen kleinen Platz mit einer alten Steinbank fand. Daneben ein Busch, der nach Lavendel roch, und ein Baum, der mit den Zweigen leicht Schatten malte.

„ Mon premier déjeuner en France“, sagte sie feierlich, setzte sich und öffnete ihre Tasche. Darin: ein Stück Käse, Baguette vom Morgen, eine Handvoll Trauben und – natürlich – ein Schokoriegel, der schon leicht angeschmolzen war.

Sie biss ab, kaute, schloss die Augen. Der Käse schmeckte irgendwie… französischer. Oder sie wollte es einfach glauben.

„So, Hanna“, murmelte sie und prostete sich mit der Trinkflasche zu. „Ab jetzt gilt: Jeder Kilometer zählt doppelt – für die Beine und fürs Herz.“

Ein Schmetterling flatterte über ihr vorbei, als wolle er sagen: „ Willkommen im Club der Leichtfüßigen.“ Hanna lachte, stopfte den Rest des Baguettes in den Mund und sagte mit vollem Mund: „Oh là là! Das Abenteuer schmeckt verdammt gut.“

Hanna fuhr weiter, langsam. Mit einem Lächeln, das irgendwo zwischen:

„Ich bin ganz schön stolz auf mich“ und

„Vielleicht ess ich gleich noch einen Riegel“

schwebte.

Das war kein normaler Nachmittag.

Das war ein Meilenstein in bequemen Fahrradschuhen.

Der Zeltplatz war idyllisch. Hanna stand da. Mit einer Tasche voller Hoffnung und einem Zelt, das aussah wie ein zusammengeklappter Riesentintenfisch. Sie hatte YouTube-Tutorials gesehen.

Sie hatte Anleitungen gelesen.

Sie hatte sogar die Heringe nummeriert.

Und trotzdem dachte sie nach drei Minuten: „Ich hätte einfach ein Hotel nehmen sollen.“

Hanna wollte dazugehören. Also: Zelt aufbauen.

Wie schwer kann’s sein?

Spoiler: Schwer.

Minute 7: Ein Stab rollte weg und landete zielsicher im Bach.

Minute 10: Die Heringe widersetzten sich sämtlichen Bodenrealitäten.

Minute 13: Das Zelt sah aus wie eine Skulptur von „Kunst gegen Logik“.

Minute 18: Ein netter Mann vom Nachbarplatz bot Hilfe an. Hanna lehnte ab.

„Ich will’s alleine schaffen. Irgendwie. Auch wenn ich mich dabei in eine Plane einrolle.“

Minute 24: Das Zelt stand.

Also… schräg. Und windanfällig. Aber es stand.

Hanna wischte sich die Stirn ab, strahlte voller stolz – und beschloss, nie wieder ein Wort über „Campingromantik“ zu verlieren.Drinnen war es… sagen wir mal: „kompakt“.

Die Isomatte begrüßte sie wie ein Brett, das beleidigt war, überhaupt benutzt zu werden.

Die Taschenlampe hing an einer Zeltschlaufe und leuchtete grundsätzlich dahin, wo sie nicht hinschauen wollte.

Hanna lag auf dem Rücken, starrte das Zeltdach an – das aussah wie ein sehr naher Sternenhimmel in Beige.

Dann begann das Konzert:

Frosch-Beatbox. Käfer-Rap. Ein Vogel mit Schlafproblemen. Und irgendwo, zwei Parzellen weiter, schnarchte ein Mann in Moll-Dur.

Hanna zog den Reißverschluss vom Schlafsack bis zur Nase hoch. „So. Jetzt kann mir nur noch ein Waschbär gefährlich werden.“

Sie schob das Handy beiseite, hörte noch ein bisschen in die Nacht – und plötzlich wurde alles ruhig.

Keine Grillenzirpelei. Kein Rascheln.

Nur ihr Atem. Dann flüsterte sie in die Dunkelheit:

„Okay. Ich hab ein Zelt aufgebaut. Ich bin offiziell… wild.“

Eine Motte knallte gegen die Zeltwand. Hanna schrie leise. Dann lachte sie.

Dieser Tag bestanden. Mit voller Punktzahl in Improvisation und Überleben mit Stil.

Hanna wachte auf. Oder besser: Sie wurde entrollt.

Ihr Schlafsack hatte sich in der Nacht eigenständig verknotet, die Isomatte war zur Seite gerutscht, und ein Teil ihres Arms war eindeutig draußen gewesen.

Kalt. Sehr kalt.

„Bin ich schon wach? Oder nur steif gefroren?“

Der Zeltreißverschluss klemmte kurz (natürlich), aber dann: Frische Luft! Vogelgezwitscher!

Ein Eichhörnchen, das aussah, als hätte es gerade ihre Frisur kritisiert!

Und da war er. Der Moment aller Momente:

Kaffeezeit! Der Gaskocher röchelte los wie ein alter Mopedmotor, während Hanna mit zittrigen Händen versuchte, den Kaffee in den Filter zu fummeln.

Erster Schluck: Nicht perfekt. Aber warm.

Und das reicht.

Sie setzte sich auf die Isomatte vor dem Zelt, in dicken Socken, mit zerzaustem Haar und dem Blick einer Frau, die schon viel erlebt hat – in nur einer Nacht.

Es war noch sehr früh. Also, früh für Reisende – nicht für Bäcker. Der Campingplatz war ruhig, abgesehen von irgendeinem Hahn, der offenbar glaubte, er wäre der DJ eines Hühnerfestivals. Sie gähnte, streckte sich und stellte fest: Der Schlafsack hatte ihr zwar keine Wellnessnacht beschert, aber immerhin keine Rückenkrise ausgelöst.

Dann packte Hanna ihre Sachen, schwang sich auf den Sattel – und ab ging’s Richtung Frankreich.

Grenzübertritt? Kein Trompetenstoß.

Nur ein kleines Schild mit „Bienvenue!“

Hanna grinste. „Na dann – bonjour, Abenteuerland.“

Frankreich begrüßte sie mit einem Radweg, der zwar wunderschön war – aber ein bisschen so beschildert wie ein Labyrinth ohne Ausgang.

Nach drei Umwegen, zwei charmanten Kreisverkehren und einem sehr skeptischen Huhn landete Hanna endlich in einem kleinen Ort mit dem klangvollen Namen Bourg-les-Belles-Ruelles. Klingt fancy. War aber eher… gemütlich-unkoordiniert.

Der Bäcker war offen. Der Bäcker war nett.

Der Bäcker sprach fast so viel Deutsch wie Hanna Französisch – also gaaaanz wenig.

Aber mit Händen, Füßen und einem verlegenen „Une baguette, s’il vous plaît“ bekam Hanna tatsächlich ihr erstes echtes französisches Baguette.

Und ein Croissant. Und, ohne zu wissen wie, noch einen Keks gratis.

„Ich glaub, ich hab mich gerade durch meine erste Essensbestellung gestammelt. Ich bin offiziell international.“

Sie setzte sich auf eine Bank vor der Bäckerei, biss in das Croissant und stöhnte laut: „Oh. Mein. Gott. Das schmeckt wie Urlaub!“

Tagebuch – Croissants und Kompasschaos

Ich bin in Frankreich! Heute war ein Tag voller kleiner Siege: Ich habe ein Baguette erbeutet!

Ich habe nicht einmal umgedreht (nur kurz angehalten, um laut über einen Kreisverkehr zu fluchen)

Ich bin auf dem richtigen Weg.

Auch wenn der manchmal aussieht wie ein Trampelpfad, der sich spontan entschieden hat, ein Radweg zu sein.

Und weißt du was? Es ist gar nicht schlimm, sich zu verfahren. Man sieht mehr. Man redet mit Hühnern.