Hanseaten - Rudolf Herzog - E-Book

Hanseaten E-Book

Rudolf Herzog

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Beschreibung

In Rudolf Herzogs Buch "Hanseaten" taucht der Leser in die Welt der Hanse, einer mächtigen Handelsvereinigung des Mittelalters, ein. Herzog präsentiert eine detaillierte historische Darstellung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen der Hansestädte, gepaart mit einer meisterhaften literarischen Erzählung. Sein Stil ist präzise und fesselnd, und er schafft es, den Leser in die Zeit und Kultur der Hanse einzuführen. Herzog legt besonderen Wert auf historische Genauigkeit und liefert faszinierende Einblicke in die Entwicklungen und Konflikte dieser Zeit. Das Buch ist ein wertvoller Beitrag zur Hanse-Geschichte und bietet einen tiefen Einblick in eine der bedeutendsten Handelsorganisationen des Mittelalters. Das Werk von Rudolf Herzog ist ein Muss für alle Geschichtsliebhaber und bietet eine reichhaltige und faszinierende Lektüre über die Hanse und ihre Bedeutung für Europa.

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Rudolf Herzog

Hanseaten

Historischer Roman - Eine Geschichte aus der Hamburger Kaufmannswelt

Published by

Books

- Advanced Digital Solutions & High-Quality eBook Formatting -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-2395-4

Inhaltsverzeichnis

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XVIII

XIX

I

Inhaltsverzeichnis

Der Tag brach an.

Es war wie ein Auftakt, den nur das Ohr vernahm. Das Auge gewahrte nichts. Es ahnte nur in dem gleichförmigen Grau, das das schwimmende und landfeste Hamburg wie Zwillingsbrüder aneinanderpreßte, eine dunklere unruhige Linie im Hafenviertel. Nun ein Pfiff, gellend an zehn, zwölf Stellen beantwortet, stoßweise durch den Nebel sich ringend und wie ein Gelächter über dem Hafen zerflatternd. Die dunkle Linie teilt sich fächerförmig, gerät in schnellere Bewegung, knäult sich an den Endpunkten zusammen, stockt und fließt jäh auseinander. Als hätte sie das Hafenwasser aufgesogen.

Und es hatte sie aufgesogen, sich mit ihrem Leben durchtränkt. Das Gemurmel von Menschenstimmen mischt sich mit dem leisen Klatschen des Wassers, das plötzlich in kleinen, lustigen Sprüngen die Kaimauer beleckt; hastig, ein wenig atemlos, die Vorsetzen entlang, links und rechts zu den Liegeplätzen der mächtigen Dampfer, der hochbordig geisternden Segelschiffe, durch die Flußschiffhäfen und um die schwerfälligen Oberländerkähne herum, in die Kanäle und Fleete hinein, zu den breitkrempigen Schuten, die mit hungrigen Mäulern zu den Winden und Kranen der fünfstöckigen Speicherhäuser hinaufglotzen. Derselbe Ton hier und dort und überall, dasselbe eilige Flüstern, derselbe kurze Zuruf: »Sie sind da! Sie sind auf dem Wasser! Der Tag hat begonnen.« ...

Noch immer ist nichts vom Tag zu sehen. Wohl frißt sich die junge Herbstsonne wütend in die Nebelmasse hinein, doch die Wand hält phlegmatisch stand und schwitzt nur zuweilen eine träge Feuchtigkeit aus, die vom Kohlenstaub klebrig geschwärzt das Straßenpflaster und die Häuserfronten überzieht. Aber zu hören ist jetzt der Tag, so weit der Hafen sich dehnt und gliedert! Der Auftakt ist in die Melodie übergegangen. Dissonanzen für das Ohr. Harmonien für das Herz. In das Pfeifen der schmucken, grünen Fährdampfer tönt die Flöte der hin und her schießenden Jollen, das Anschlagen der Glocken auf den erwachenden Dampfern, das heulende Getute der Werft- und Fabrikgetriebe auf den Elbinseln. Scharf durchdringen die Lichter der Hafenfahrzeuge den Morgennebel, huschen durch die Schiffsgassen, blitzen auf an den Höften, den Kaiköpfen der langgestreckten Hafenbecken, wo sich die Ladungen schwarzer Arbeitermassen in die Querfähren verteilen, die sie weiter befördern zu den Ankerplätzen der Ozeanriesen, die im Strome löschen.

Und ganz plötzlich eine Pause. Kurz, totenstill. Ein Aufpullen des Atems, aller Kräfte. Ein Beben läuft über das Wasser, durch die Schiffskörper. Und heia! in das beklemmende Schweigen hinein, es auslöschend, in den Grund stampfend, hohnlachend über sein Grab hinweg: der vollbrausende Lärm der Schlacht, rücksichtslos sicher auf der ganzen Linie einsetzend, keinen Punkt vergessend. Kreischend geben die Schiffsplanken den Hammerschlag zurück, der des Hafenliedes Grundmelodie bildet. An den Dukdalben, den Rammpfählen inmitten der Hafenbecken, knirschen die Ketten der festgemachten Schiffe. Die Schiffsmaschinen übernehmen die Oberstimme. Sie rufen die Leichter und Schuten heran. Die Krane packen zu. Und unaufhaltsam steigen aus den Schlünden der Schiffsluken die Güter auf, schwanken über Bordrand und rasseln in die Schuten hinab. Auf und ab, auf und ab; unaufhaltsam. ...

An den Kais der großen Schiffahrtsgesellschaften wird geladen und gelöscht, gelöscht und geladen. Unersättlich scheinen die Bäuche der Kolosse. Gleichzeitig von der Land- und von der Wasserseite erfolgt der Angriff, die Zufuhr. Auf den Rampen arbeiten die Krane fieberhaft, die Gütermassen, die der Schuppen hergibt, an Bord zu heben. Und auf der Wasserseite faucht der Schwimmkran und hebt gewaltige Sperrgüter ein, die das Lager sparten. Ein Eisenbahnzug rollt über das Hafengleis, die Wagen hoch aufgeschichtet mit fettig glänzender Kohle. Die Sputen werden geschlagen, und über die schiefe Bretterebene schleppt rastlos eine geschwärzte Kohorte in Körben die schwarze Nahrung herbei und verstürzt sie in die Seitenluken der Schiffe. Unaufhaltsam! ...

Und nun hat die junge Herbstsonne den dicken Morgennebel hoch oben beim Schopfe gepackt und drückt ihn langsam aber stetig in die Knie, wirft ihn auf den Rücken, wälzt ihn in den Strom und ersäuft ihn. Im Segelschiffhafen scheint's zu beginnen. Mastspitzen flimmern in der Luft, mehr, immer mehr, als ob Funken übersprängen. Dort bildet sich eine Takelage, dort eine zweite. Zehn, zwanzig sind's. Hundert jetzt. Wohin das Auge sieht, rinnt und hüpft das Tageslicht an einem Wald von Masten hinab, springt auf die Schiffsplanken, überflutet das Deck, strömt über und hebt die Eisen- und Holzrümpfe aus Nebel und qualmendem Wasser. Reihenweise tauchen die Dampfer auf, die Atlantikfahrer in ihren straßenlangen Dimensionen. Fluchend spült Janmaat die kohlenstaubgeschwängerten Niederschläge von Deck. »Verdammt,« brummt er, »so'n Hamborger Swienskrom.« Nun können die Maler beginnen. Zwergenklein hocken sie auf den Stellingen, spucken in die Hände und malen das Schiff schön eisengrau, blütenweiß oder giftgrün.

Die Morgensonne hat die Wasserfläche erreicht. Leuchtend liegt sie auf dem Gewimmel der Boote und Barkassen, die bienenemsig die Schiffsriesen umschwirren, leuchtend auf dem goldenen Getreide, das wie ein Strom aus den Elevatoren in die Kahnungetüme braust, leuchtend auf den Kohlenlasten der Leichterschleppzüge, leuchtend selbst auf den Gesichtern der Menschenherde, die ein polternder Raddampfer rasch in die Auswandererhallen entführt. Wohin die Sonne trifft, quillt das Leben auf. Ihr gilt kein Totes. Nur Entwicklung.

Der Zöllner am Hafentor schiebt die Mütze in den Nacken. »Famost,« sagt er. »Allens, was wahr ist. Famost.« Er wendet den Kopf. »Tja, und da käme der erste Gast. Na dann bitte sehr. Zollpflichtiges? Wie?«

Der Mann, der stelzbeinig aus dem Ruderboot gestiegen war und den rudernden Maaten mit ein paar kurzen Worten zurückgeschickt hatte, war vorsichtig auslugend näher gekommen.

»Gu'n Morgen, Herr Assistent. Es is doch nix Verdächtiges in der Näh'? Nich wahr, nein.«

»Ob Sie Zollpflichtiges haben – wie?« »Nee, nee. Ich wollt man, ich hätt'. Is die Luft rein?«

»Ah, Steuermann Heß. Aber die ›Alhambra‹ ist doch schon gestern abend aufgekommen. Und da bleibt der Mann an Bord, während daß Hamburg – verstehen Sie? Hamburg! – nur so auf ihn mit offenen Armen wartet.«

»Waren Sie schon mal in die Malakkastraße? Ssst!«

»Nein.«

»Wenn Sie noch nich in die Malakkastraße waren, dann können Sie auch nich die nüdlichen gelben Deerns von Singapur kennen.«

»Nein, leider nein.«

»Denn sonst würden Sie mich, der gerade von daher kommt, nich nach ›Zollbarem‹ oder sonstwie ›Bare‹ fragen. Nich wahr?«

»Und da haben nun die fixen Malayenmädchens die ganze Heuer?«

»Bis auf den letzten platten Groschen. Tja. Aber Spaß muß doch sein für das Leben, un so alt sind wir doch noch lange nicht. Nich wahr? – Nur das Wiedersehen mit Muttern – is doch begreiflich – wollt' ich man gerne um die erste Nacht rausschieben.«

»Ach Gott, Steuermann, Ihre arme Frau – erschrecken Sie nicht, aber was Ihre arme Frau betrifft ...«

»Himmel un Düwel – wat is mit Muttern? Is wat passiert?«

»Fassung, Steuermann Heß, seien Sie ein Mann.«

»Is se dot? Dat 's ni meugli!«

»Nein,« sagte der Zöllner mitleidsvoll und klopfte ihm ermutigend auf die Schulter. »Tot ist sie nicht. Aber sie war gestern abend, als die ›Alhambra‹ aufgekommen war und im Strome festgemacht hatte – ja, ich lüge nicht, aber siebenmal reicht nicht, daß sie hier war und fragte nach Steuermann Heß, ob er durchpassiert wär' und ob viel Zollpflichtiges ... – Junge, Junge!«

»Verdammichten Uhlenspeigel« Steuermann Heß war auf der Brücke.

»Na denn adjüs. Gruß zu Haus!«

Der Steuermann drehte bei. Mit der Zungenspitze fuhr er hinter den Augenzahn, holte den Priem hervor, wog ihn und pfiff ihn blitzschnell über das Brückengeländer gegen den Mützenschirm des Zollbeamten. »Danke. Nich wahr?«

In den Häuserzeilen den Hafen entlang wurden die Fensterläden geöffnet und die kleinen Gardinen zurückgeschoben. Die alten runzligen Bauten mit den lockenden Firmenschildern spreizten sich in der belebenden Frühsonne wie überfällige Koketten. Die Kellerwirte erschienen, hemdärmelig, die Schiffermütze auf dem Ohr, warfen einen prüfenden Blick über den Hafen, einen zweiten gen Himmel und begannen die Gitter wegzuräumen, die nachts ihre Lokale gegen die Straße und den einsamen, allzu heftig zwischen Backbord und Steuerbord schlingernden Janmaat zu schützen pflegen. Dann begaben sie sich hinter die Tonbank, auf der die in- und ausländischen Branntweinflaschen aufpostiert standen, und sahen träge blinzelnd der stämmigen Deern zu, die die Säuberung des Lokals vollzog und den Staub von dem Deckenschmuck, den Alligatoren, Haien, Schwert- und Sägefischen, aufwirbelte, indem sie die Bestien mit dem Scheuerlappen ein paarmal energisch auf die Schnauze oder unter den Bauch schlug.

Auf der Straße wurde es lebendiger. Schwere Rollwagen polterten über das Pflaster und suchten ihre Ladestellen auf. Seeleute sammelten sich vor den Heuerbureaus, sich für neue Fahrt zu verdingen. Schauerleute zogen in kleinen Trupps von und nach den Arbeitsnachweisstellen. Junge und alte, lachende und stumpfe, Burschen in gutem blauen Düffelanzug, Männer im Arbeiterhemd, und Wracks in zusammengebasteltem Trödlerrock. Der Tag war da, und sie wollten leben.

Und während drinnen in der Stadt, der Stadt der Kontore, und in den Außenstadtteilen und Vororten, den Wohnstätten der besser gestellten Bürger, noch friedliche Stille herrschte, hatte der Tag im Hafengebiet längst alle Register gezogen.

Neben den St. Pauli-Landungsbrücken lag eine kleine, kräftige Dampfbarkasse. Der Bootsführer rekelte sich auf der Bank, der Junge hielt scharf Auslug. »Herr Twersten noch nich in Sicht,« meldete er.

»Kumm mol her un stak mi de Piep an.«

Der Junge riß an der Lederhose ein Schwefelholz an und hielt es in den Pfeifenkopf. Dann kehrte er auf seinen Posten zurück. »Herr Twersten noch nich in Sicht.« Der Bootsführer rauchte im Halbschlaf.

»Dat 's good,« murmelte er, »dann holl mi mol 'n Snaps, 'n richtigen Minschensnaps.«

»Achtung Herr Twersten!«

»Den Düwel« ... Bolzengerade war der Bootsführer aufgefahren und hatte dem Jungen, der hinter ihn gesprungen war, die heiße Tonpfeife in die Hand gedrückt.

»Aua!« »Unerhollung mot sien. Mak fix.«

Vom Johannisbollwerk her kam im scharfen Trab ein Wagen. Dicht bei der Brücke hielt er. Der Kutscher zog die Zügel heran und griff salutierend an den Hut. Zwei Herren stiegen aus.

»Um ein Uhr, Friedrich.«

»Jawohl, Herr Twersten.«

»Na, kommst du, Robert? Da schlägt's neun.«

»Sofort, Papa. Nur dem Fuchs noch ein Stückchen Zucker. Ich freu' mich immer, wie klassisch er gebaut ist.«

Karl Twersten sah aus halbgeschlossenen Augen zu seinem Sohne hin. »Vorwärts, Friedrich,« befahl er dann kurz und wandte sich dem Steg zu. Wenige Sekunden blieb er stehen. Seine Augen öffneten sich weit. Er blickte hinüber nach Steinwärder. Einen tiefen Atemzug tat die breite Brust. Das dichte volle Haupthaar war ergraut. Aber der dunkle Bart zeigte nicht einen grauen Faden. Man sah der starken, elastischen Gestalt an, daß das Blut der Küstenbewohner darin floß, wie einst in den Vätern.

Der Sohn blieb an Körpergröße nicht hinter ihm zurück. Aber seine Glieder waren feiner, sein Mienenspiel lebhafter. In seinen dunklen Augen, über seinem schwarzen, kurzlockigen Haar lag ein südländischer Glanz. Wenn er sein kleines Schnurrbärtchen strich, lachte ein knabenhafter Mund.

»Guten Morgen,« sagte Twersten. Er hatte den strammen Gruß seines Bootsführers bemerkt und ging raschen Schritts über die Brücke, am Anlegeplatz der Fährdampfer vorbei, zu seiner Barkasse. Bootsführer und Junge hielten mit klammernden Fäusten den Bordrand dichter an das Bollwerk gepreßt, und Twersten und Sohn stiegen über.

»Los, zur Werft.«

Der Bootsführer ließ ein paar Sekunden die Maschine spielen, während der Junge das Steuer hielt. Gerade ging der Fährdampfer ab. Sie mußten warten, bis er ihnen das Wasser freigab.

»Los jetzt.«

»Halt. – Da ist Herr Vanheil, Papa. Mit Marga. Sie haben den Fährdampfer nicht mehr gekriegt.«

»Hei,« rief Herr Vanheil und schwenkte den Hut hinter dem grünen Fahrzeug her, »da geht er hin und singt nicht mehr. Guten Morgen, Twersten. Nein, wie wir gelaufen sind. Aber der alte Papa konnte es doch besser, was, Döchting?«

Er lachte, fuhr sich mit dem Taschentuch über den grauen Haarkranz und kam, den Arm in den der Tochter gehakt, heran. »Weißt du, Twersten, eigentlich könntest du uns –«

»Ich muß leider direkt zur Werft.«

»Marga, mach ihm mal ein paar schöne Augen.«

»Vater,« sagte sie und drückte seinen Arm, »nein, so etwas, Vater!«

Vanheil strich ihr scherzend übers Gesicht. »Brauchst nicht rot zu werden, Döchting. Wer's hat, der hat's.«

Twersten sah sie an. Diese klaren sicheren Augen gefielen ihm.

»Bitte, mein Fräulein,« sagte er und bot ihr die Hand. »Steigen Sie ein. Mein alter Freund Vanheil tut ganz recht, mich an meine Ritterpflicht zu mahnen. Verzeihen Sie einem altgewordenen Geschäftsmann.« »Sie haben Eile, Herr Twersten. Es war ja nur ein Scherz meines Vaters.«

»Ganz einerlei. Nun steigen Sie ein. Ich bitte es mir als Gunst aus. So – so ist's recht.« Und er unterstützte sie mit geschicktem Griff beim Sprung ins Boot. Dann half er Vanheil herüber. »Wie geht's, Martin?«

»So eine Frage! Kann's denn einem Menschen überhaupt schlecht gehen? Oder meinst du die Geschäfte?«

»Du bist und bleibst die glückliche Natur, die du schon als Junge warst.«

»Glücklicher, Karl Twersten, glücklicher. Denn damals hatte ich nicht Frau und Kinder.«

Twersten wandte sich nach dem Steuermann um. »Fahren wir nicht? Ach so, wohin? Also wohin, Vanheil?«

»Zum ›Valdemar Atterdag‹, am Dalmannkai.«

»Sapperlot! Ebensogut könntest du Kuxhaven sagen. Dalmannkai! Atterdag!« rief er dem Bootsführer zu. »Geben Sie Dampf, Johannsen.«

Sie saßen auf den bequemen Achtersitzen. Aus der überdachten Deckkajüte, die nur für zwei Mann Platz aufwies, hatte Robert Twersten ein Polster für Marga Vanheil herbeigeholt. »Mein Vater läuft mir sonst den Rang ab,« sagte er, während er ihr den Sitz herrichtete, und wurde rot vor Vergnügen.

»Danke dir, Bob.« Sie nickte ihm zu. »Ja, das ist wahr, verwöhnt hast du uns in der letzten Zeit nicht. Das müssen nun zwei Jahre her sein.«

»Zwei Jahre?« wiederholte er unsicher.

»Du kamst das letztemal zu uns, als du dein Abiturientenexamen bestanden hattest.«

»Weißt du das wirklich so genau?«

»Ganz genau. Wir brauchen gar nicht zu flunkern. Bruder Fritz war in die Ferien gekommen. Wie immer. Er behauptet ja, ohne den Hamburger Hafen gäb's kein Leben. Er hatte sein erstes Hochschulexamen, sein Vorexamen im Schiffbau gemacht. Und da braute Vater die große Ananasbowle.«

»Wie du das alles behalten hast ...«

»Frohe Stunden? Und vergessen? Aber ich will dich gar nicht auszanken. In deinen Jahren muß man sich ordentlich herumtummeln.«

»Hör mal, Marga,« meinte Robert Twersten, »du betonst das so absonderlich: »in deinen Jahren!«, als ob ich noch in kurzen Hosen herumspränge. Und auszanken! Wie tantenhaft!«

»Wie alt bist du denn, Bob?«

»Zwanzig. Und du?«

»Vierzig!«

Er lachte vergnügt vor sich hin. »Schöne Aussichten für die Zukunft. Mit vierzig so schlank und rot und weiß, da mußt du ja mit sechzig geradezu verführerisch sein.«

»Sei nicht so furchtbar frech.«

»Also sag, wie alt; aber ohne Schwindel, bitte.«

»Zweiundzwanzig. Zwei Jahre älter als du! Das ist doch gerade, als ob ich vierzig dir gegenüber wäre. Stimmt's, Bob? Na, dann respektier das mal.«

»Revanche,« flüsterte er, weil die Väter sich zu ihnen hinwandten, um backbord einen Rickmersschen Segler zu verfolgen. Und sie sahen sich hastig in die Augen, als hätten sie miteinander ein ernsthaftes Geheimnis.

»Wem gehört der ›Valdemar Atterdag‹?« fragte Twersten. »Skandinavische Reederei, dem Namen nach dänisches Schiff?«

»Ganz recht. In Kopenhagen beheimatet. Ich bewundere deine Geschichtskenntnis.«

»Das könnte doch ebensogut bloße Schiffskenntnis sein, Vanheil. Im übrigen ist mir der alte König Waldemar ein ganz sympathischer Bursche. Hatte so einen großen staatsmännischen Zug und echt seemännischen Blick. Na. Und du ladest das Schiff?«

»Seit Jahren. Und heute ist Expeditionstag. Um zwölf Uhr ist am Kai und von der Wasserseite Schluß der Güterannahme. Da gibt's noch eine Menge Arbeit mit den Konnossementen.«

»Kann das nicht dein Buchhalter abmachen, oder dein Prokurist?«

»Ich find's nun mal hübsch, den alten Kapitänen bei der Ausreise noch die Hand zu drücken. Darin liegt so 'ne gewisse Poesie, Twersten, und die versöhnt mit der Kaufmannschaft.«

»Versöhnt?« fragte Twersten, und zog ein wenig die Augenbrauen hoch. Wie Spott zuckte es um seinen Mund. »Versöhnt? Eine ›Versöhnung‹ hat der kaufmännische Beruf mit einem Hamburger Kaufmann doch wohl nicht nötig.«

»Keine Mißverständnisse. Wenn ich den Kontorrock ausgezogen habe, will ich Mensch sein,« schmunzelte Vanheil.

»Mensch?« wiederholte Twersten. »Ich meine, das wäre man nur, wenn man den Kontorrock auf dem Leibe hätte. Sag mal,« fügte er sinnend hinzu, »weshalb baust du nicht eigene Schiffe? Eigener Reeder. Das verlohnt sich.«

»Ich denke, die Werft von K. R. Twersten hat Arbeit die Hülle und Fülle?« scherzte Vanheil. »Oder willst du dir die Extrafahrt nach dem Dalmannkai bezahlt machen?«

»Ich scherze nicht. Es ist mein Ernst. Man muß seinen Kräften ein immer größeres Feld geben. Fortschreiten, sich entwickeln. Nur das ist lebenswert!«

»Lieber Freund,« entgegnete Vanheil ruhig und schlicht, »ich habe graue Haare und eine große Familie. Da möchte ich gut schlafen, damit auch die Meinen gut schlafen.«

Der Ton überraschte Twersten. Dann nickte er. »Du hast recht. Und Vergleiche ziehen ist meist vom Übel. Du hast dir eine Welt aufgebaut, die in ihrer Art wirklich eine Welt ist. Geht es allen Bürgern dieser Welt gut?« fragte er lächelnd. Und seine Augen schlossen sich halb.

Martin Vanheil geriet in sein Fahrwasser. Er erzählte von den Seinen. »Der Fritz könnte heute schon sein Examen machen, aber er geniert sich. ›Vor der Würde‹, sagt er. Er möchte sich noch ein paar Semester auf die ›Würde‹ vorbereiten. Der ausgelassenste Schelm. Aber er kann was und hat das Herz auf dem rechten Fleck. Weshalb soll ich ihm seine Jugendseligkeit nicht noch ein Jährchen lassen? Und Erika ist Mutter von zwei Jungens. Zwei- und dreijährigen. Die stellen das Haus auf den Kopf und haben das Kommando. So was von Jungs!« Er lachte in sich hinein. »Alle drei sind sie bei uns. Denn der Mann ist als Oberleutnant auf Akademie. Das ist ein Leben! Und die Kleine da, die Marga« – er streifte mit einem zärtlichen Blick die schlanke Figur der Tochter – »Tja, was denkst du wohl? Hat sich in den Kopf gesetzt, Buchführung zu lernen und ausländische Korrespondenz. Weil sie doch mal alte Jungfer würde, behauptet sie, und für Katzen und fette Hunde partout kein Verständnis hätte. So was, alte Jungfer!« Und wieder streifte sein Blick zärtlich das große, blonde Mädchen.

»Glückliche Familie,« murmelte Karl Twersten.

»Die Hauptsache fehlt noch, die Hauptsache!«

»Noch mehr Glück?«

»Das ist Henriette.« Und er machte eine andächtige Pause. »Henriette – du entsinnst dich wohl kaum noch meiner Frau? Gott, deine und unsere Kreise haben sich so verschiedenartig ausgebildet, daß das nicht wundernehmen kann und auch nicht darf. Also meine Frage sollte durchaus kein Vorwurf sein. Aber wert ist sie es, daß man sie kennen lernt, diese Frau. Sie hat sich ihre ganze Mädchenhaftigkeit herüber gerettet, in ihre fünfzig Jahre hinein. Trotz Kinder und Enkel. Und trotz des nicht wegzuleugnenden Umstandes, daß es der von ihr vergötterte Mann nicht über den Schiffsbefrachter und Spediteur hinausgebracht hat. Ja, ja, die Frauen – – Ihretwegen, wahrhaftig, ihretwegen ist das Leben schön ... Nu segg du mol wat, Kodl.«

»Ich –?« Karl Twersten fuhr auf, als ob er nicht mehr zugehört hätte. Dann blickte er scharf nach dem Kurs.

»Entschuldige, Twersten, daß ich mich jetzt erst nach dem Befinden deiner verehrten Hausfrau erkundige.«

Twersten erhob sich. »Johannsen!« rief er. »Was ist denn los mit Ihnen? Wir kriechen ja wie die Schnecken!«

»Viele Schiffe aufgekommen, Herr Twersten. Löschen all' breitspurig im Strom. Augenblick noch!« »Ja,« begann Vanheil aufs neue, »wie gesagt, Twersten, du mußt entschuldigen. Aber es geht ihr doch gut?«

»Wem?« fragte er kurz.

»Deiner Frau!«

»Angèle? Meine Frau ist im Sommer mit der ›Kuba‹ nach Santiago. Dort ist ihre Heimat, weißt du. Es geht ihr also gut.«

»Ihre Heimat?« Martin Vanheil hatte den ironischen Ton nicht herausgefunden. »Da denke ich nun freilich anders drüber. Na ja, ich hab' ja auch das Haus voll Frauenzimmer.« Und er lächelte vor sich hin.

Robert Twersten kam mit Marga von einer kleinen Deckpromenade zurück. Als Vater Vanheil begonnen hatte, das Lob der Seinen zu singen, hatte die Tochter unauffällig den Platz gewechselt, bis es ihr geglückt war, mit dem Jugendfreunde hinter der Maschine zu verschwinden.

»Ich erzählte Marga von der ›Ingeborg‹. Da fiel mir ein, Papa: gestern fuhr Frau Bramberg an unserem Hause vorüber.«

»So?« sagte Twersten freundlich. »Hat sie dich gesehen?«

»Sie grüßte zum Balkon hinauf.«

»Da hast du Glück gehabt.«

Ein gellender Pfiff von der Maschine setzte ein. Stoßweise folgten ihm kürzere. Der ›Valdemar Atterdag‹ lag in Sicht.

Vanheil rüstete sich zum Abschied. »Wie wär's, Bob, willst du mit auf den Dänen? Marga wird sich freuen. Sie stellt sich das nämlich sehr kurzweilig vor. Aber nachher gibt's dann auch einen schwedischen Punsch, wie nur Käpt'n Jessen ihn führt.«

»Geht leider nicht,« lehnte Twersten für den Sohn ab.

»Es ist höchste Zeit, daß Robert auf die Werft kommt. Punkt elf Uhr soll die ›Ingeborg‹ vom Stapel.«

»Die ›Ingeborg‹? Heißt nicht Frau Bramberg Ingeborg?«

»Der Dampfer ist ja auch im Auftrage der Reederei Bramberg und Co. gebaut.«

»Ja, ja, ja,« meinte der alte Vanheil bewundernd, »Bramberg und Co. Das ist noch eine Firma. Ein Dutzend große Frachtdampfer, und dieser Betrieb an Flußdampfern und Leichterschiffen. Und alles in der Hand von Theodor Bramberg. Einziger Inhaber. Ist der Mann nun eigentlich so tüchtig, wie es der alte war, oder ist die Maschine für alle Zeit so gut geölt?«

Twersten schüttelte den Kopf.

»Die beste Maschine läuft sich heiß, wenn sie nicht immer wieder geölt wird. Also kommt's auf den Mann an.«

»Für ein Genie hätte ich Theodor Bramberg nie gehalten. Aber wenn du meinst?«

»Ein Mann, der solch eine Frau hat!« und Twersten brach das Gespräch ab.

Die Barkasse konnte nicht dicht an den ›Valdemar Atterdag‹ heran. Die beladenen Schuten lagen wie ein Fliegenschwarm um ihn herum, und ohne Unterbrechung rasselten die Ketten der Kräne, seufzten die Taue der Winden. Kaum, daß in dem Lärm die heiseren Kommandorufe sich Geltung verschaffen konnten. Nun lag die Barkasse längsseit einer halbgeleerten Schute, und ihr Körper zitterte wie im Fieber unter der stoppenden Maschine.

»Adjüs, Twersten. Hab vielen Dank. Tja, und da nun der Robert die ›Ingeborg‹ von Stapel lassen muß ...« Twersten lachte schallend auf.

»Hörst du, Robert, was man dir zutraut? Nein, alter Freund, damit hat's gute Wege. Leider. Mit der Technik hat sich mein Herr Sohn noch nicht anfreunden mögen. Er ist mehr für die schwungvolle Korrespondenz.«

»Auch nicht schlecht. Und wenn so ein alter Bootsbauer noch so geringschätzig auf den Federkiel blickt, weil er nun einmal nicht so viel wiegt wie ein grober Niethammer – laß dich nicht verblüffen, Robert. Zuletzt kommt's doch immer auf den Kopf an.«

»Adieu, Herr Twersten,« sagte Marga Vanheils klare Mädchenstimme. »Das war eine schöne Morgenfahrt.«

»Wer zwingt Sie, die Fahrt zu unterbrechen, liebes Fräulein?«

»Ich verstehe nicht, Herr Twersten.« Aber in ihren aufleuchtenden Augen lag eine frohe Hoffnung.

»Nun,« sagte Twersten ritterlich, »der ›Atterdag‹ kommt in wenigen Wochen wieder, aber die ›Ingeborg‹ geht nur einmal von Stapel. Wählen Sie schnell.«

»Darf ich?« fragte sie atemlos.

Der alte Vanheil war schon in die Schute hinübergeklettert. »Aber natürlich, Döchting. Wenn's dir Freude macht? Das Schönste im Leben, siehst du, Twersten, das ist doch – sich freuen!« Er winkte mit der Hand, kletterte in eine zweite Schute und erreichte die Fallreeptreppe. Ein paar Stufen hoch wandte er sich um, die Hand wie ein Sprachrohr am Munde. »Hallo! Marga! Käpt'n Jessen lugt über Bord. Der Mann will auch seine Freude haben!«

Die Barkasse hatte sich schon losgearbeitet und schlängelte sich eilig ins freie Wasser. Marga Vanheil richtete sich auf. Ihr weißes Tüchlein flatterte lustig dem alten Seebären zu, der sich weit über Bordrand lehnte und mit der kalten Pfeife winkte.

»Adieu, Kapitän Jessen!« rief das blonde Mädchen, und die Stimme klang wie eine helle Morgenglocke durch den Lärm. »Gute Fahrt! Wiedersehen!«

Und der Wind trug von der Antwort ein paar Silben herüber, die etwas von »sötem Fröken« enthielten.

»Schade,« sagte Robert Twersten, »daß wir nicht auf den ›Atterdag‹ gingen.«

Die Barkasse sauste wie ein fliegender Fisch. Die jungen Leute mußten sich dicht nebeneinander setzen, um sich einander verständlich zu machen. Ganz vorn am Bug stand Karl Twersten. Mit weitgeöffneten Augen blickte er Steinwärder entgegen.

»Schade?« fragte Marga Vanheil zurück und sah den jungen Freund erstaunt an. »Du bist mir ein Rätsel, Bob.«

»Gar nicht. Die Werft habe ich den ganzen Tag. Mehr als mir lieb ist. Das ist doch täglich dasselbe Gehämmere.«

»Na, sei so gut!«

»Ich möchte in der Welt sein. Mitten drin in ihren tausend bunten Formen. Hierhin, dorthin.«

»Sag mal, du liest in deinem Alter doch keine Seeromane mehr?«

»Laß das,« wehrte er kurz. »Wenn du im Geschäft meines Vaters stecktest, würde dir das Spotten vergehen.«

»Ja, ich würde es sehr ernst auffassen. K. R. Twerstens Werft«

Sie sprach den Namen aus mit einem stillen, heiligen Respekt. Das Hamburger Blut in ihr sprach ihn aus.

Robert Twersten verstummte einen Augenblick. Dann sagte er stockend und mit jugendlicher Bitterkeit: »K. R. Twerstens Werft. K. heißt Karl, und R. heißt Robert. Vom Urgroßvater her gelten nur diese beiden Namen in der Firma. Aber immer nur für einen. Natürlich seh' ich das ein. Aber nicht mal Wünsche dürfen wir anderen haben. Hier gibt's nur Befehle.«

»Dummer Junge,« sagte sie zärtlich. »Es muß eine starke Hand sein. Bewundere das lieber.«

»Ich bekomme ja nicht einmal Gelegenheit dazu. Der jüngste Lehrling gilt ihm so viel wie ich.«

Sie hob den Kopf.

»Das ist es. Zeig ihm, daß du sein Blut bist, sein Lehrling, Robert!«

Er blickte über den Bootsrand in die aufgewühlte Kielspur. Und aus einer inneren Zurückhaltung heraus erwiderte er langsam: »Ich habe doch wohl auch eine Mutter. Meinst du es erging ihr anders?«

Sie faßte ihn beim Arm. »Still!« Und leiser: »Das sind Angelegenheiten deiner Eltern. Nicht deine, nicht meine. Und nun wollen wir von was anderem reden.«

Sie blickte zu Karl Twersten hinüber. Unbeweglich stand er noch immer vom am Bug, den Blick geradeaus. Steinwärder flog näher heran.

»Wenn der ›Valdemar Atterdag‹ wieder nach Hamburg kommt,« begann Robert nach einer Weile, »so holen wir den Besuch bei Kapitän Jessen nach. Willst du es mich wissen lassen? Ich bin gern mit dir zusammen.«

»Komm häufig zu uns, Bob. Wir werden uns immer freuen. Und der Besuch des ›Atterdag‹ ist abgemacht.«

»Ich war im vorigen Jahre in Wisby,« erzählte er, »auf Gotland, das weißt du ja. Und daß Wisby einstmal die reichste Hansastadt war, das wirst du wohl auch noch wissen. Man nannte es ›das nordische Karthago‹!«

Sie nickte.

»Herrgott, muß das schön gewesen sein,« begeisterte er sich. »Selbst die Schweine fraßen aus silbernen Trögen, berichtet die alte Chronik, die ich las. Und die Männer und Frauen gingen wie Fürstengeschlechter in Hermelinen und mit Edelsteinen behangen. Nur Singen und Saitenspiel war. Da kam der König Waldemar Atterdag von Dänemark. Und der gewann die Stadt und den ganzen Reichtum.«

»Eine Goldschmiedstochter hatte ihm dazu verholfen,« sagte Marga Vanheil. »Sie ließ ihn in die Stadt.«

Das Rauschen des Wassers, durch das die Barkasse dahinschoß, wiegte die jungen Menschen in die alten Sagen ein. Kaum vernahmen sie das herrische Pfeifen ihres Bootes, das sich, den Befehlshaber ankündigend, pfeilschnell der Werft näherte. Die Wellen Wisbys, die Wogen der großen hansischen Vergangenheit rauschten in ihrem Ohr.

»Sie ließ ihn in die Stadt,« wiederholte Robert Twersten, »und dann, als ihm die Liebste zu klein schien, warf er sie beiseite. Das war der Waldemar Atterdag. Der kannte nur den Sieg und keine Liebe.«

Das Boot lag still. Mit einer einzigen Schwenkung hart an dem Landungssteg der Werft. Die beiden fuhren auf. Karl Twersten stand neben ihnen.

»Keine Liebe?« Er sprach wie zu sich selbst. »In seiner Größe bestand seine Liebe und – sein Dank. Versteht ihr das?«

II

Inhaltsverzeichnis

In der frischen Nordwestbrise, die vom Meere heraufstrich, flatterten die Fahnentücher. Zwei Mäste flankierten die Werfthafeneinfahrt. Der mächtig hinauslangende Wimpel des einen zeigte die weiße Hamburger Burg in rotem Felde, der nicht weniger stattliche Wimpel des zweiten Mastes seltsamerweise die grün-rot-weißen Farben Helgolands. Auf dem ragenden Dachfirst des Bureaugebäudes rauschte einsam und majestätisch Deutschlands Fahnentuch Schwarz-Weiß und Rot.

Twersten ging seinen Begleitern schnellen Schritts voran. Im Bureaugebäude, vor seinem Privatkontor erst machte er halt.

»Du bist natürlich von der Arbeit dispensiert, Robert. Zeige deinem Gast den Modellsaal. Einem Hamburger Kind, schätze ich, wird das immerhin am meisten Vergnügen machen. Auf Wiedersehen nachher. Ich lasse euch rufen.«

Er saß vor seinem großen Arbeitstisch, der keinerlei Schmuck zeigte als eine volle, purpurne Spätrose in einer hohen Kristallvase. Während die Augen über die aufgehäuften Briefschaften flogen, schrieb die Hand Notizen nieder. Eine Stunde fast arbeitete er, ohne aufzusehen. Die verlorene Zeit wollte wieder eingeholt werden. Dann legte er den Bleistift fest auf das Papier. Fertig für jetzt. Ein Klingelzeichen rief den Bureaudiener herbei.

»Ich lasse Herrn Prokurist Schnürlin und Herrn Oberingenieur Feldermann bitten.«

Der Prokurist erschien sofort. »Guten Morgen,« grüßte er. Und der Chef grüßte ebenso zurück.

»Sie finden schon alles auf den Briefrändern bemerkt, Herr Schnürlin. Heute muß es auf diese Weise erledigt werden. Ich bin aufgehalten worden, und Punkt elf Uhr geht die ›Ingeborg‹ von Stapel.«

»Jawohl, Herr Twersten.«

»Sollte im Laufe des Tages etwas Dringliches vorkommen – ich habe Herrn und Frau Theodor Bramberg als Tischgäste – so telephonieren Sie mir in die Alte Rabenstraße, in die Privatwohnung.«

»Jawohl, Herr Twersten.«

»Übrigens komme ich, bevor ich die Werft verlasse, noch einmal herauf. Ah, da sind Sie. Guten Morgen, Herr Feldermann. Danke, Herr Schnürlin. Also, Herr Feldermann, in zehn Minuten ist es so weit. Alles klar auf der Helling?«

»Alles klar, Herr Twersten.«

»Ich frage nur, weil eine Dame dabei sein wird. Sonst – ist das ja selbstverständlich. Das wäre also die ›Ingeborg‹. Und wie steht's mit dem ›Theodor Bramberg‹? Geht's flott voran mit der Umarbeitung?«

»Die englische Werft, die ihn baute, wird ihn nicht wiederkennen, Herr Twersten. Vierzig Fuß angesetzt. Das sollen sie uns nachmachen. Wenn die ›Ingeborg‹ montiert ist, wird auch der ›Theodor Bramberg‹ hinaus können.«

»Angenehme Botschaft. Ein andermal mehr darüber. Aha« – er stand auf und horchte. Vom Werfthafen tutete ein Signal herüber. »Hamburger Pünktlichkeit.«

Er nahm seinen Hut, nickte dem Oberingenieur, der sich schleunigst zur Helling begab, kurz zu und schlug den Weg zur Anlegebrücke ein. Vorn an der äußersten Spitze nahm er Aufstellung. Wenige Sekunden, und die Barkasse der Reederei Bramberg und Co. legte sich quer vor.

»Bitte um Ihre Hand, Frau Bramberg. Fest. Das ist ein herzhafter Griff. Ein Sprung, und Sie sind auf Twerstenschem Boden. Bravo. Und nun: Willkommen, gnädige Frau.«

Ohne Zieren hatte Ingeborg Bramberg den Kleidersaum gehoben und sich an der unverrückbaren Manneshand auf die Brücke geschwungen. Sie stand vor ihm und lachte ihn an. Ihre schlanke Größe erreichte fast die seine. »Das tut gut,« sagte sie. »Man weiß, wo man ist.«

»Lieber Twersten, hier ist noch jemand. Bitte um freundliche Unterstützung,« meldete sich Theodor Bramberg. Aber schon hatten ihn die Brückenwärter übergeholt. Er nahm den Kneifer ab und schüttelte Twersten die Hand.

»Was? Nun sagen Sie mal was? Auf die Minute, wie? Meine Frau scheint Ihnen gegenüber das Hofzeremoniell einzuführen. Um acht Uhr ließ sie mich schon wecken.«

Ingeborg Bramberg ließ den Blick von den knallenden Wimpeln zu der rauschenden Fahne schweifen.

»Es ist Festtag heute. Davon gebe ich kein Jota her.«

»Du lieber Gott,« meinte Bramberg und wischte sich die immer feuchte Stirn, »Festtag! Ich nenn' es einen neuen Sorgentag. Wieder all das schöne Geld in einen neuen Kasten hineingebaut!« »Sie spaßen,« sagte Twersten nur und reichte der Dame den Arm. »Wenn es Ihnen genehm ist, Frau Bramberg, begeben wir uns sofort zu den Hellingen. Die »Ingeborg« erwartet sehnsüchtig ihre Namensschwester.«

»Keine weiteren Gäste da?« fragte der Reeder, als sie die Werftgasse entlang schritten. »Oder taufen wir auf trockenem Wege?«

»Ich habe mich strikt nach dem Wunsch Ihrer Frau Gemahlin gerichtet, Bramberg, der doch wohl auch der Ihrige war: keine weitere Zeremonie. Doch hatten Sie die Güte, mir für nachher Ihre Gegenwart bei einem kleinen Lunch zuzusagen.«

»Ihr Lunch! Kenne ich. Wird die verschämte Umschreibung für Diner sein.«

»Na, dann hätte ich doch in dieser Beziehung wenigstens Ihren Geschmack getroffen.« Und sie lachten alle drei.

»Ist Ihr Sohn nicht hier?« fragte Frau Bramberg, als sie das Bureaugebäude erreicht hatten.

»Entschuldigung.« Er rief dem Portier ein paar Worte zu. Und er erklärte. »Durch Zufall haben wir gerade heute einen Gast. Ein junges Mädchen. Die Tochter des Schiffsmaklers und Spediteurs Vanheil. Sie werden die Firma kennen, Bramberg. Martin Vanheil.«

»Wie soll ich jeden kleinen Krämer kennen! Bin froh, wenn mich mein eigenes Geschäft zum Luftschnappen kommen läßt.«

»Aber es bekommt Ihnen nicht schlecht, das Luftschnappen.«

»Was versteht Ihr Arbeitswüstlinge vom Leben!« »Da haben Sie recht. Und hier – meinen Sohn kennen Sie ja – Fräulein Vanheil – Herr und Frau Bramberg.«

Die Damen reichten sich die Hände. Robert küßte Frau Bramberg mit tiefer Verbeugung die Hand.

»Bekomme ich nicht auch ein Patschhändchen?« schmunzelte der Reeder. »O, überstürzen Sie sich nicht, Herr Robert. Das Fräulein kann das ja gleich für Sie mit abmachen. So! Das mag ich gerne haben.« Und er bot Fräulein Vanheil galant den Arm.

Twersten schritt mit Frau Bramberg voraus. Als sie die langgestreckte Schiffbauhalle passiert hatten, aus deren weitgeöffneten Toren sinnverwirrendes Lärmen scholl, sahen sie, dem Strome zugekehrt, auf Pfahlrammungen fundamentiert, die vier großen Hellinge der Werft vor sich liegen. Zwischen mächtigen Gerüstbauten wuchsen die Rümpfe der Schiffe. Hier war der Kiel gestreckt, die Grundsteinlegung des Neubaues erfolgt. Dort schon die Spanten, die Rippen des Schiffes, in den Kiel eingefügt. Und drüben – Twersten wies leicht mit der Hand hin – wuchtete im festen Kleid der Wand- und Deckplatten ein hochragender Schiffskörper: Die »Ingeborg«.

»Wollen Sie mir nicht erklären –?«

Twersten sah seine Begleiterin an. Und er sah ihre Augen in heller Bewunderung schimmern. Das gefiel ihm an ihr.

»Wenn es Ihnen recht ist, Frau Bramberg – nachher.«

Sie nickte nur und schritt rasch mit ihm weiter, auf die Gruppe der Ingenieure und Arbeiter zu.

»Herr Oberingenieur Feldermann!« »Hier, Herr Twersten.«

Karl Twersten wandte sich um und wartete das Näherkommen der übrigen Gesellschaft ab.

»Mein Wort darauf, gnädiges Fräulein,« hörte er Bramberg sagen, »so was wie diese Musical-Clowns im Hansatheater –«

»Gestatten Sie, Herr Bramberg, daß ich Ihnen den Oberleiter der Bauten, meinen ersten Ingenieur Herrn Feldermann vorstelle. Ich darf wohl sagen, daß er gerade Ihren Schiffen, den Schiffen der Firma Bramberg und Co., seine ganze Liebe geschenkt hat. Und Liebe heißt bei ihm – ingenium.«

»Daher der Name – Ingenieur,« sagte Bramberg und blickte den Techniker wohlwollend durch den Kneifer an. Twersten machte eine vorstellende Geste gegen Frau Bramberg. »Herr Oberingenieur Feldermann.« Und Ingeborg Bramberg trat auf den Bauleiter zu und schüttelte ihm die Hand. »Wer kann sagen, was wir Ihnen alles zu verdanken haben, Herr Feldermann. Das wächst ja wie durch Zauberei.«

»Ich bin nur die Maschine,« entgegnete der Ingenieur und errötete leicht. »Der belebende Dampf, das ist Herr Twersten.« Und er trat mit einer schwerfälligen Verbeugung zurück.

Twersten führte seine Gäste um das Schiff herum. Kein überflüssiges Wort kam aus seinem Munde. Nur noch Inhaber der Werft, gab er kurze, fachmännische Erläuterungen. In seinen Augen leuchtete es. »Nun wollen wir an Bord. Die Taufe kann geschehen.«

Und er führte Frau Bramberg an die Treppe.

»Sie, lieber Twersten,« sagte Theodor Bramberg und legte dem Voranschreitenden die Hand auf den Arm. »Die Geschichte ist etwas anstrengend. Mit gütiger Erlaubnis sehe ich mir die Sache von unten an, bleibe an Land und nähre mich redlich.« Und er zündete sich eine Zigarre an.

»Ganz nach Belieben.«

Twersten stieg mit seiner Begleiterin die Treppe hinan. Was ging ihn dieser träge, witzelnde, fahlgesichtige Mann an? Was ging ihn seine ganze Umgebung an? Er betrat sein Schiff! Noch war es seines! Und wenn er es jetzt, auf einen Wink seiner Hand, zu Wasser ließ, so setzte er wieder einmal dem Riesen Ozean den Fuß auf den Nacken und zwang ihn, seinem Willen zu gehorchen, Länder und Erdteile zu verbinden, statt sie zu trennen. Und Hamburgs Flagge im Vordertreffen!

Kaum bemerkte er, daß sein Sohn und Marga Vanheil ihnen gefolgt waren, kaum die strammstehende Arbeiterschar an Bord, die Ingenieure und Maaten an den Registrierapparaten und den Ankerspillen. Und sein Stolz sprang auf die Frau an seinem Arm über, daß sie hochaufgerichtet, den Blick weit voraus, an seiner Seite schritt und, ohne sich zu besinnen, am Bug des Schiffes die Schaumweinflasche aus seiner Hand nahm und den kraftvollen Arm hob. Totenstille trat ein. Und Frau Bramberg sagte schnell und laut: »Ingeborg heiße du, wie die, die dich tauft. Sei treu dem, der dir die Seele gab. Dann bleibst du nah, und warst du auf fernster Fahrt. Fahr wohl, Ingeborg!«

Und am Bug splitterte die Flasche und rauschte der edle Taufwein.

Karl Twersten sah sie an. »Germanenblut,« lachte es in ihm. So froh gestimmt war er lange nicht mehr gewesen. Aber kein Wort kam über seine Lippen. Schnellen Schrittes führte er den Gast zum Heck des Schiffes, das zuerst das Wasser traf. Von der festen Brüstung aus, die das Heck umschloß, tönte sein Befehl an den Oberingenieur, der ihn in selber Sekunde weiter gab.

»Stopper los!«

Hell und durchdringend klang das Kommando.

Ein Atemzug der Spannung – und sausend kappte das Fallbeil das Tau der ›Ingeborg‹. Schon aber springen Hunderte von Arbeitern zu. Wie Pionierkompanien gegen eine Schanze anspringen. Und mit mächtigem Schwung treiben die langgestielten Hämmer in Eisenfäusten die schmalen Holzkeile zwischen die Schlitten, auf denen der riesige Rumpf des Schiffes ruht.

Man hört nur das hastige Geklapper der Hämmer, das Stöhnen des Holzes.

Noch rührt sich der Koloß nicht.

Da – Zoll für Zoll – beginnt er anzurücken.

Brausende Hurras schwingen sich vom Werftplatz zum Schiffe empor, brausende Hurras ertönen an Deck. Und plötzlich mit dem Feuer eines edlen Renners jagte die ›Ingeborg‹ die geglättete Holzbahn hin, krachend zersplitterten vor ihren eisernen Planken die letzten Hindernisse, und unter erneutem Hurragebrause tauchte das Schiff ins Wasser, um sich ruhig und majestätisch wie ein Schwan aus den Fluten zu erheben. Die ›Ingeborg‹ war von Stapel. –

Einmal nur hatte Frau Brambergs Hand in Twerstens Arm gezuckt, als die Fahrt ins unbekannte Element begann. Dann lag die Hand ganz still. Sie hatte den starken Druck verspürt, der sie getroffen und ruhig gemacht hatte. Leicht an die Reling gelehnt, standen die beiden hochgewachsenen Menschen Schulter an Schulter und blickten hinaus, als erblickten sie weit dort hinten vor der Mündung des Elbstromes das Meer, das rätselhafte, wilde, das kampfgierig lauernde – das stählende Meer!

»Ich danke Ihnen, Frau Bramberg.«

»Und ich danke Ihnen, Herr Twersten.«

Die Anker rasselten nieder, das Fallreep sank rasch die Bordwand hinab. Drunten legte ein Ruderboot an, um die Gäste zur Werft zurückzubringen. Nun erst gewahrte Twersten die jungen Leute.

»War's schön?« fragte er freundlich die Tochter des alten Freundes.

Marga Vanheil nickte heftig. »Wunderbar war's,« stieß sie hervor und erschrak selbst über den aufgeregten Ton ihrer Summe. Und sie hielt sich ganz zurück.

»Was ist dir?« fragte sie Robert besorgt.

»O du. Nichts. Nichts ist mir. Aber hast du denn was vom Stapellauf bemerkt?«

»Was denn?«

»Ich sah nur deinen Vater. Und die Frau an seiner Seite. Wie ein Wikingerpaar – irgend woher, irgend wohin, dem Siegesbewußtsein folgend. Ich phantasiere, nicht wahr? Wir haben wahrhaftig heute morgen zuviel von alten Märchen geschwatzt, und das sind nun die Folgen. Komm, Bob, werden wir wieder nüchtern.«

»Wie seltsam du bist. Nun zank du mich noch einmal aus wegen romantischer Ideen.«

»Ach, Bob, Mädchen haben immer ein paar romantische Flausen im Kopf. Das gehört zu uns, wie zu euch der Tatendrang. Aber man muß die Wirklichkeit dabei in Rechnung stellen, sonst geraten wir alle miteinander ins Blaue. Steig schnell ein, damit wir einen soliden Eindruck machen.« –

Auf der Werft empfing Bramberg Twersten mit einem gnädigen Händedruck.

»Das ging ja wie geschmiert. Nein, Twersten, es war wirklich hübsch. Und nicht ein bißchen seekrank? Nein? Und weder Hunger noch Durst? Das ist rein verwunderlich.«

Karl Twersten lachte über die Redensarten hinweg. Er war viel zu froh gestimmt, und so wenig er diese seltene Empfindung zu zergliedern gedachte, so wenig wollte er sie sich heute rauben lassen. »Kommen Sie,« sagte er, »Sie werden Sehnsucht nach dem ›Theodor Bramberg‹ haben. Ich will sie erfüllen.«

»Theodor Bramberg? Damit meinen Sie doch mich? Twersten, Sie haben das getroffen. Ich habe langsam – Sehnsucht nach mir.«

»Der Steamer liegt in Dock II,« fuhr Twersten unbeirrt fort. »Es wäre mir lieb, wenn Sie den Fortschritt der Arbeiten sähen. Rechts, wenn ich bitten darf. Nur wenige Schritte.«

Er ging voraus, und Ingeborg Bramberg ging neben ihm, frei und sicher. Der gleiche Rhythmus war in ihrem Schritt. Und sie bemerkten es beide. Und beiden war, als gingen sie noch Arm in Arm.

»Hier kann man aufleben,« sagte sie. »Wie das alles pulst und drängt und aufrüttelt!«

Zum ersten Male sah er an ihr hinab. Und er sah die verhaltene Kraft dieser schlanken, festen Glieder. »Da sind wir, Frau Bramberg. Die anderen konnten schon wieder nicht nach.«

»Nehmen Sie, bitte, meine Freude als das Interesse der Firma Bramberg und Co.«

»Ein alter Geschäftsmann küßt Ihnen dafür in Gedanken die Hand.«

»Alt?« Ihr Auge suchte die Näherkommenden. Und dann sagte sie so einfach, daß keine Erwiderung einen Anhalt gefunden hätte: »Sie sind der Jüngste am Platze. Und Sie wissen es.«

»Was haben Sie denn da mit dem Schiffe vorgenommen?« rief Theodor Bramberg. »Aber nein – sagen Sie einmal – der Bursche hat ja einen nagelneuen Magen? Twersten, die Prozedur könnten Sie auch einmal an mir vornehmen. Das wäre von mir aus kein weggeworfenes Geld.«

»Tja –« sagte Twersten, und dann weidete er seinen Blick an diesem Stückchen deutscher Schiffbaukunst. Der Dampfer lag im Dock. Trockenen Kiels, zeigte der Koloß seinen nackten Riesenleib, an dem die Menschlein wie spannenlange Wichtelmänner arbeiteten, glühten und nieteten. Und doch hatten dieselben Wichtelmänner im Dienste einer starken, gebietenden Idee den Riesenleib mittschiffs, dicht vor der Maschine, wie einen Butterkloß von oben nach unten durchschnitten, die beiden Hälften mit hydraulischer Kraft auseinandergezogen und eine Verlängerung von vierzig laufenden Fuß eingebaut. Der große Kran auf dem Dockhafenkai hob die Tausende von Zentnern schweren Schiffsteile und Dampfmaschinen wie Spielwerk aus dem Schiff auf den Kai, vom Kai in das Schiff, wie es ihm geboten wurde. Es wurde ganz still in dem kleinen Kreis. Selbst Bramberg fühlte, daß er für seine Randglossen keine Zuhörer finden würde.

Dann sprach Karl Twersten. Nur wenige Worte, und auch sie nur, als habe er Ingeborg Bramberg eine Aufklärung zu geben. ... »Das entschädigt. Für schlaflose Nächte. Für frühzeitig grau gewordenes Haar. Für den Verzicht auf so vieles, was die anderen ›Leben‹ nennen. Ich hätte beinah Liebe gesagt.« Und unvermittelt ging er zu einer kurzen, plastischen Schilderung des Umbaues über. »Sie können sich gratulieren, Bramberg. Sie kriegen eines der schönsten Schiffe, das die Hamburger Flagge zeigt. Einen Leviathan der See.«

»Na, wenn Sie es selbst loben, brauch' ich es nicht.«

»Loben? Was sind die paar Worte! Das Schiff lobt sich selbst, und es hat recht! Nur die Lumpe sind bescheiden.«

Er nickte dem Dampfer zu. Und in dem stummen Gruß ruhte die Aufforderung: Halt dich wacker. Mach mir Ehre.

Auf dem Rückwege lag die Schiffbauhalle, und sie bogen durch das Tor und gingen hindurch. Schneeweiß vor Hitze schmorten die kantigen Eisenblöcke in den Glühöfen. Und in die Brutstätte hinein, in der sich Feuer und Eisen zur Zeugung vermählt hatten, packten die Zähne der Dampfzangen und zogen Block um Block hervor. Wie ein Liebhaber erwartete sie der Schürmeister, ein hagerer, von der Hitze ausgedörrter Alter, aber mit Armen wie Gorillaarme, und Händen wie breite Fischflossen. Und in Armen und Händen ruhte der Eisenstab, mit dem er die weißglühenden Eisenbrote auf Weichheit und Schmiegsamkeit prüfte. Dann wandelte sich das knochige Gesicht zu einer liebevollen Grimasse, die Kiefer begannen zu kauen, und die Zunge leckte die Lippen mit dem Behagen des Feinschmeckers. Der Schürmeister wurde zum Koch, alle Sinne in ihm verschmolzen zum Spürsinn, und die ungeheuerlichen Arme und Hände strömten eine mädchenhafte Zärtlichkeit aus. Jetzt lagerte sich unaussprechliche Seligkeit auf seine Züge. Ein Ruf, der Vorsicht heischte, flog auf. Und die langen, glühweißen Eisenblöcke schwangen sich durch die Luft, legten sich unter die Schmiedepresse, die sie wie weichen Ton zusammenpreßte und zum Schiffskiel streckte, oder ließen sich auf den Richtplatten geschmeidig wie Wachs zu Spanten und Planken biegen. Dann stand der Schulmeister, hager und gedrückt, melancholisch auf seinen Stab gestützt, bis aufs neue die Türen zur Ofenhölle aufgerissen wurden, die für ihn die Freuden des Himmels barg.

Weiter gingen sie, durch die Maschinenfabrik, in der die Dampfmaschinen brausend die Transmissionen trieben und flinke Laufkräne über die Galerie rollten, die stahlspleißenden Hobel- und Bohrmaschinen dem Fingerdruck gehorchten und die Schiffsmaschinen zur Überholung an Bord in Reih und Glied montierten. Durch die Kesselschmiede, in der sich bauchige Ungetüme rundeten. Durch die Tischlerei, in der eine Schar von Künstlern allen Arten von Hölzern zu gebieten schien. Und durch die Betriebe der Schlosser, Klempner, Bleiarbeiter und Maler. So oft sich eine neue Halle öffnete, gewahrte das Auge ein neues Bild, und jedes Bild fügte sich unmittelbar den anderen ein und ließ zum Schlusse den Eindruck eines Gesamtgemäldes zurück, das in seinen tausend Farben und Formen weniger verwirrte, als die erregte Seele in hingebungsvolles Staunen versetzte.

Stumm schritten Karl Twersten und Ingeborg Bramberg die Treppe zu den Kontoren hinauf. Der Reeder hatte es abgelehnt, auch hierhin zu folgen. »Dies fragliche Vergnügen genieße ich ja bei mir selber. Höchstens daß bei Ihnen die Herren Schmidt heißen und bei mir Schulze.« Und er bat sich die Gesellschaft der jungen Leute aus.

»Hier also arbeiten Sie,« sagte Ingeborg Bramberg, ging langsam auf den großen Arbeitstisch zu und strich nachdenklich, mit leise zärtlicher Bewegung, über die Tischplatte. ... »Das also ist, was man die Betätigung eines Menschenlebens, eines Mannesdaseins nennt. Fast so hatt' ich es mir gedacht.«

»Hat es Sie nicht müde gemacht?«

»Müde –? Fragen Sie mich lieber, ob es mich nicht neidisch gemacht hat.«

Sie sah die volle purpurne Herbstrose im Kristallglas. Und ihr Blick ging von der Rose zu ihrem Besitzer.

»Ich habe Blumen gern,« antwortete er auf die stumme Frage, »und diese besonders.«

»Diese –?«

»Es ist eine Herbstrose. Und sie sammelt alle ihre Kräfte und gibt die tiefste Farbe, den vollsten Duft her. Frühling und Sommer scheint sie noch einmal in sich zusammenzufassen.«

»Sie ist voll erblüht,« sagte Frau Bramberg, umfaßte die Rose mit weichen Händen und drückte ihr Gesicht in den Kelch. »Nur das Vollerblühte verheimlicht keine Knospenschäden. Das ist bei den Blumen wie bei den Menschen. Man weiß, mit wem man es zu tun hat, und ob es sich lohnt.«

Sie streichelte noch immer liebkosend die purpurnen Blätter, die schwellend rot von Lebensblut schienen.

»Wollen Sie die Rose von mir annehmen, Frau Bramberg? Ich habe Ihnen keine andere zu bieten.«

Sie hob ohne Entgegnung die Blume aus dem Kristallkelch und barg sie an ihrem Kleid. Nun blickte sie ihn an ...

Irgend etwas in ihm drängte ihn, irgend etwas zu tun. Irgend etwas in ihm schrie. Nach einem Trunk Wasser. Nach einem Rosenblatt, nach einem Duft. Dann war er wieder der Chef der Firma K. R. Twersten, und er öffnete die Tür und ließ den Gast vorangehen.

»War's interessant?« fragte drunten Theodor Bramberg und täuschte ein Gähnen vor. »Voller prickelnder Geheimnisse, so eine Schreibstube. Ach du lieber Gott!«

»Nun bin ich zufrieden,« sagte sie und blickte sich in der Sonne um. »Nun können wir von dannen.«

»Sagt' ich's nicht? Die Schreibstube! Und sofort heißt's: von dannen! Für diese Offenbarung nehme ich übrigens seit einer Reihe von Jahren Vaterrecht in Anspruch. Bitte, meine Herrschaften, wo ist das Zimmermannsloch?«

Gerade strömte die Arbeiterschaft aus den Speisehallen zurück. Sie bildete Spalier bis zum Werfthafen und schrie Hurra. »Hoch Herr Theodor Bramberg – hoch!« Überrascht sah Frau Bramberg auf ihren Gatten. Sie hatte einen anderen Namen erwartet.

»Du siehst,« und Bramberg lächelte ironisch, »auf welcher Seite die Popularität ist. Brauche ich mich mit Erfindungen anzustrengen? Ich habe einen Tausendmarkschein zur Verteilung dagelassen.«

Die Barkasse fuhr ab. Hinter ihr drein flatterten vom Steg aus der Hamburger und der Helgoländer Wimpel, und ihre Quasten überschlugen sich in der frischen Nordwestbrise vor Freude. –

Marga Vanheil saß im Heck. Sie hörte kaum auf den Anekdotenkram des Reeders, der in ihr seine dankbarste Zuhörerin gefunden glaubte. Sie dachte beständig an die Veränderung, die mit der schönen, kühlen Frau dort vorn während des Werftganges geschehen war, Schritt für Schritt, bis zu dieser starken, inneren Fröhlichkeit, aus der sie keinen Hehl machte. Ob in dieser reichen, in Hamburg hochgestellten Frau auch dieselbe Mädchensehnsucht lebte? Nach der Bewunderung einer Kraft, eines Willens, und der geheimen Seligkeit, diese Kraft und diesen Willen mit der Fülle ihrer Liebe zu speisen und zu tränken? Und plötzlich wußte sie: »so wie ich, so hat auch diese vornehm gekleidete Frau an diesem Morgen gedacht. Und einen Herzschlag lang hat sie in das Paradies ihrer Träume geblickt.«

Da wandte sich Karl Twersten nach ihr um.

»Liebes Fräulein,« sagte er herzlich, »nun müssen Sie uns auch den Nachmittag schenken. Mitgefangen, mitgehangen. Ich telephoniere gleich von der Wohnung an den Papa, daß Sie bei uns speisen, und er sich nicht zu ängstigen brauche. Gilt es?«

»Das ist nicht möglich,« stammelte sie. »Ich darf nicht stören, nein, das darf ich nicht.«

»O – o!« – wehrte Twersten, »dann ist es also abgemacht.« Und kopfschüttelnd fügte Theodor Bramberg hinzu: »Nein, so etwas! Wie können Sie nur denken, daß Sie stören! Scharmant sind Sie.«

Sie stiegen aus, und sie warf einen hastigen Blick auf Frau Bramberg. Frau Bramberg aber nahm ihren Arm, preßte ihn mit einer jähen, mädchenhaften Bewegung in den ihren und schritt mit ihr der Twerstenschen Equipage zu, neben der das Kabinett Brambergs hielt. Und mit mädchenhaftem Übermut fragte sie die jüngere Begleiterin: »Wen wählen wir zu unserem Ritter?«

»Herrn Twersten.«

»Es sind zwei.«

»Nein, noch ist es nur einer.«

Und die beiden Frauen blickten sich an und erkannten, daß sie sich lieb hatten.

So fuhren sie, Twersten mit den Damen, und Bramberg mit Robert, zu Twerstens Haus.

Als die Gäste aus den Garderoben zurückkehrten, empfing sie der Hausherr im Salon. Der Hauch eines feinen exotischen Parfüms schien in der Luft zu schweben, an den seidenen Überzügen der Empiremöbel haften geblieben zu sein. Aus schweren Rahmen schauten die Gemälde alter Hamburger Maler in das Gemach, verwundert über den Duft, der die neblige Luft ihrer Hafenbilder umspielte.

»Ich bitte Sie,« sagte Twersten, »freundlichst Nachsicht walten zu lassen. Die Hausfrau ist auf längerer Reise begriffen. Sie wird sehr bedauern, daß sie so angenehme Gäste nicht selbst begrüßen durfte.« Und da der Diener meldete, daß serviert sei, bot er Frau Bramberg den Arm und führte sie ins Speisezimmer.

»Ah!« machte sie erstaunt, als sie den Blumenschmuck der Tafel gewahrte, die langen, fremdländischen Rosenranken, die sich zu Kränzen ineinander schlangen. »Daß Sie dafür Sinn haben!«

»Ich habe nur mein Haus und meine Werft.«

»Sie sind glücklich.«

»Ja,« erwiderte er nur, »die Voraussetzungen wären gegeben,« und er schob ihr ritterlich den Stuhl hin. Sie saßen an einem runden Tische, der die Gäste einander näher brachte, auf schweren Stühlen, alte schwere Pokale vor sich. Ein weißgekleidetes Mädchen servierte. Der Diener schenkte Champagner ein. Karl Twersten erhob sich sofort wieder.

»Gestatten Sie mir,« sagte er, »dieses erste Glas der Dame zu weihen, deren Güte ich diese Stunde verdanke.« Er neigte sich gegen Frau Bramberg, leerte das Glas und hielt den Kelch dem Diener hin. »Und nun bitte ich Sie, mit mir gemeinsam zu trinken auf das Wohl des Hamburger Kaufmannes, den heute hier die Firma Bramberg und Co. repräsentiert, auf Hamburgs Handel und Schiffahrt, auf alles das, was uns Fürstenstolz verleiht und das Glücksempfinden, auf diesem Posten zu stehen, und das wir zusammenfassen in dem einen Wort: Hamburg!«

»Donnerwetter,« meinte Theodor Bramberg, »Sie schmeicheln.«

»Nein,« versetzte Twersten und ließ sich wieder nieder, »es ist das Selbstbewußtsein, das aus Hamburger Kaufleuten Feldherrn macht.«

»Feldherrn mit dem Hauptbuch, Twersten. Mit Rechenmaschinen statt Donnerbüchsen.«

»Jeder Krieg hat seine Ökonomie, und jede Zeit hat ihre Formen. Ich gebe Ihnen die Versicherung, Bramberg,« und Twerstens Augen leuchteten heiß auf und seine Schultern dehnten sich zurück, »wenn ich vor etlichen Jahrhunderten auf die Welt gekommen wäre, es wäre mir ein Vergnügen ureigenster Art gewesen, von Bord einer Hamburger Kogge aus den feindlichen Schiffen mit dem Enterhaken auf den Leib zu rücken. Aber den Enterhaken, den fühle ich auch heute noch in der Faust, wenn auch in anderer Gestalt.«

»Seien Sie ehrlich, Twersten. Zum Schlusse kommt's doch nur aufs Geldverdienen heraus.«

»Ja,« sagte Twersten und schloß halb die Augen, »aber es ist zweierlei.«

»Was? Geldverdienen und Geldverdienen? Das ist toute même chose.«

»Auf den Gesichtspunkt kommt es an. Wir können das Geld zusammenraffen, es in Kisten packen, oder unseren Leib damit mästen. Aber wir können es auch erobern, um den Feind zu schwächen, um es unseren eigenen Werken als neue Lebensquellen zuzuführen und sie unaufhaltsam wachsen und wirken zu lassen als deutsche Hochburgen gegen das lauernde Ausland. Es gibt nur noch eine Politik, und das ist die Wirtschaftspolitik. Und hier, in unseren Seestädten, balanciert sie. Denken Sie an die Tage der napoleonischen Kontinentalsperre. Solange ein reiches Hamburg ist, ist ein wohlhabendes Deutschland. Deshalb ist unser Geldverdienen nicht eine Krämerbeschäftigung, sondern eine Mission.«

»Hui, Twersten, das ist ja beinah eine Senatsrede. Na ja, schön. Da wir's haben, können wir so sprechen.«

»Wir verstehen uns scheinbar nicht, Bramberg. Fürstliche Vermögen, die es bei uns gibt, legen fürstliche Pflichten auf. Nur aus dieser Wechselwirkung entspringt das Gedeihen in höherem Sinne, das Gedeihen des Vaterlandes. Sie können meinen, ich als Schiffbauer rede pro domo. Aber ich sage Ihnen trotzdem: laßt euer Geld werben! Dazu verdient es! Und wenn unsere Handelsflotte die mächtigste sein wird, so kann unsere Kriegsflotte nicht dahintenbleiben. Nicht aus Angriffsgelüsten. Aus Erhaltungstrieb. Um fremde, hungrige Enterhaken backbord und steuerbord in Schach zu halten. Wissen Sie, vorgestern, am Sonntag, war ich im Sachsenwald. Da saß mir der Alte gegenüber. Der Alte, der Deutschlands Bewußtsein verkörpert. Und ich sprach mit ihm, und er sprach zu mir. Und als ich ging, wies der Fürst auf seinen Wahlspruch. ›Sehen Sie, lieber Freund Nachbar,‹ sagte er, ›aus diesem Grunde soll Deutschland seine Schiffe bauen:

Dat Wegkraut sollt ihr laten stahn, Hüt di' Jung, sind Nesseln dran.

Denn die Kolonialpolitik wird nicht durch Generäle und Geheime Räte gemacht, sondern durch die Kommis von Handlungshäusern.‹ Und diese Worte des Alten vom Sachsenwalde erzeugten einen Klang in mir, als hätte meine eigene Seele sie geboren.«

Er blickte in sein Glas, drehte den Stengel und trank das Glas langsam aus.

»Bismarck,« sagte er. Als ob ein Sohn vom selben Blute den Vater grüßte.

»Gut, gut,« brummte Bramberg, »das ist Temperamentssache. Ich will meine Ruh' haben.«

»Als Hamburger Kaufmann – Ruh' haben?« »Gott, was wollen Sie nicht alles vom Hamburger Kaufmann! Als ob das ein Geschlecht von Königen sei.«

»Ist es auch.«

»Ich lache mich tot, Twersten. Wenn ich die Firma nicht geerbt hätte, ich hätte mich besonnen. Ich kann mein Geld angenehmer ausgeben, als immer und immer wieder fürs Geschäft. Kaufmann!«

»Es ist eben zweierlei um den Kaufmann, lieber Bramberg. Es gibt Kauf leute und Kauf herren!«

»Ach du lieber Himmel,« warf der Reeder hin, »im Grunde hausieren wir alle mit Hosenträgern.«

Frau Bramberg hatte still zugehört. Eine leise Röte hatte ihre Wangen gefärbt, und das dunkle Blau ihrer Augen hatte einen fast schwarzen Glanz. Sie atmete tief auf, hob den Kopf und lächelte.

»Ja,« sagte sie, »wenn Karl Twersten mit Hosenträgern hausieren würde, er wäre doch – der Kauf herr...«

Eine plötzliche Stille trat ein. Und immer noch schwebte durch die Stille das Lächeln der schönen Frau.

Und dann antwortete Twersten: »Ihr Vertrauen, gnädige Frau, erquickt mehr als der edelste Wein.«

Er war blaß geworden, und seine Blicke wanderten durch das Zimmer und blieben an dem Platze haften, auf dem die Hausfrau fehlte.

»Sie müssen mir noch eine Flaggensprache erklären, Herr Twersten,« bat Frau Bramberg und rührte leise an seine Hand. Da fand er sich wieder.

»Wie kommen die Helgoländer Farben zu dem Ehrenplatz auf Ihrer Werft?«

Der Widerschein einer Freude zog über das ernste Gesicht des Hausherrn. »Die Helgoländer Farben? Das ist eine Familiengeschichte. Mein Großvater Karl Twersten war ein Helgoländer Schiffer. Oder vielmehr: er wollte es nicht mehr sein und arbeitete im Bootsbau. Eines Tages kam er auf einem selbstgefertigten Kahn auf der Unterelbe an. Mit zwanzig Talern in der Tasche. Und er verkaufte den Kahn und baute neue, verkaufte sie und baute Segelschiffe. Das war die Grundlage der Werft. Als er hochbetagt in den Sielen starb, übernahm mein Vater das angewachsene Erbe. Und er übernahm es« – Twerstens Augen öffneten sich weit – »er übernahm es nach dem Goethischen Wort: Erwirb es, um es zu besitzen! Er ging zum Dampfschiffbau über. Und als auch er starb, vom Konstruktionstisch weg, konnte er seinem Vater frohe Meldung bringen. Als ich zum ersten Male als Chef die Werft betrat, ließ ich neben der Hamburger die Helgoländer Fahne hissen. Das sollte mir und den Nachkommen zurufen: Von Helgoland ging's nach Hamburg. Von Hamburg geht es in die Welt! Damit wir uns vor dem Tatendrang der Väter nicht zu schämen brauchen. Mein Feld – ist die Welt! Prost Robert! In diesem Sinne.«

Hastig stieß Marga Vanheil den Freund unterm Tisch an. Er hatte geträumt, von südlichen Küsten und immer heiteren Menschen, von dem Leben der Schönheit und Freude, und von seiner schönen, fröhlichen Mutter, die dies Leben so liebte, daß sie immer wieder Hamburg entfloh ...

»Ja, Papa. Prosit Papa.«

Karl Twerstens Auge ruhte lange auf dem Sohn, und unter seinem Blick rötete sich langsam das Gesicht des Sohnes. Da wandte er den Blick ab und begegnete dem Auge Ingeborg Brambergs.

»So allein?« fragte ihn das Auge. »Still, still, ich bin es auch.«

Und er las weiter.

»Beide – sind wir allein. Du hast es von mir gespürt, wie ich von dir. Und nun wissen wir es voneinander.«

Mehr noch wollte er lesen.

»Laß mich teilhaben an deinem Planen und Vollführen. Und wir sind nicht mehr allein. Soll es Geltung haben?«

»Ja!« sagte er plötzlich laut, hob die Tafel auf und beugte sich über Ingeborg Brambergs Hand, die sich fest und vertrauend um die seine schloß, als seine Lippen sie streiften.

In dieser Stunde waren Karl Twersten und Ingeborg Bramberg Freunde geworden. – –

III

Inhaltsverzeichnis

In der Nähe des Millerntores lag das kleine Haus, das Martin Vanheil zugehörte. Das Erdgeschoß barg die beiden Kontorräume, das erste Stockwerk ein altmodisches Empfangszimmer, ein geräumiges Wohnzimmer und ein Eßzimmer, das durch einen schmalen Gang mit der Küche verbunden war, während das zweite Stockwerk ein größeres und eine Anzahl kleinerer Schlafgemächer enthielt. Es war ein altes, unmodernes Haus, das der Vater des jetzigen Besitzers einst billig erstanden haben mochte. Wer aber ins erste Stockwerk hinaufgestiegen war, empfand nicht mehr die Mängel des Alters, er empfand nur noch den Reiz einer Häuslichkeit, die aus langen Jahren zu erzählen wußte von der liebenden Sorgfalt um jedes Stück, das der Schönheitssinn der Bewohner erworben oder in seinem Werte erhalten hatte. Dort stand auf einer tiefgebräunten Danziger Kredenz das Silber des Brautschatzes und die Patenbecher von den Tauffestlichkeiten. Dort eine nordische Truhe, die ein dankbarer Schiffskapitän aus einem Bauernhause Norwegens herbeigeschafft hatte. Wunderlich steife Stühle mit buntem schwedischen Strohgeflecht. Tische mit eingekerbten Ornamenten und bedeckt mit Handstickereien, die so viel Geduld wie Liebe erfordert hatten. Klöppelspitzen an den Gardinen, und an den Wänden die nachgedunkelten Ölbilder der Großeltern, die Photographien der Familienmitglieder, gerahmte Ansichten von Fjordlandschaften und seinen Städten, und ein Kranz von genrehaften Silhouetten, meisterlich mit der Schere aus Schwarzpapier geschnitten, Jagd- und Soldatenszenen, Bilder aus dem Matrosenleben und humoristische Familienbilder, alle von der Hand des Vaters der Hausfrau, der an seinem Lebensabend ein stiller Künstler und Liebling der staunenden Enkel gewesen war. Im Wohnzimmer stand das Klavier, fast immer aufgeschlagen, Liederhefte auf dem Notenhalter.

Wer durch die Zimmer ging, spürte ein warmes, bezwingendes Heimatsgefühl und besann sich auf ferne Kindheitsbilder, auf das längst verlassene Vaterhaus, auf Stunden, die er vergessen hatte, und die ihm plötzlich wieder und unerreicht schön erschienen. Das tat die Luft in Martin Vanheils Haus, die voll von alter, treuer Liebe und Menschenfröhlichkeit war.

Unten im Kontor, in dem der Prokurist, Herr Rochus, mit dem Buchhalter und zwei Lehrlingen saß, waren die Wände bedeckt mit Landkarten und Schiffstabellen, und im Privatkontor Martin Vanheils hingen die Börsenzettel und die Zeitungen über Handel und Schiffahrt. Hier hing auch, mitten unter den Bündeln kaufmännischer Papiere, das Porträt der Hausfrau, Henriette Vanheil.

Es war ein Herbstabend. Im Privatkontor brannte die Lampe. Am Arbeitstisch saßen sich Vanheil und Kapitän Jessen vom »Valdemar Atterdag« gegenüber, sahen Konossemente durch und lehnten sich endlich zurück.

»Eine frische Zigarre, Kap'tän?«

»Soll mir angenehm sein, Herr Vanheil.«

»Tja. Die Geschäfte könnten besser sein.«

»Tja, das könnten sie wohl. Ohne falsche Bescheidenheit.«

»Seitdem Bramberg und Co. nun auch noch eine nordische Linie eingelegt haben ... Schiffe mit solchen Laderäumen ... Und Maschinen, die von der Luft und der Liebe zu leben scheinen ... Ungeheure Kostenersparnis. Wie sich das auf die Güter kalkuliert! Da läßt sich billig verfrachten, Kap'tän Jessen, und wir wischen uns den Mund. Daß doch diese Leute nie genug kriegen können. Immer anderen den ehrlichen Verdienst nehmen. Mir fiel doch so was im Traum nicht ein.«

»Wir wollen uns nicht ärgern, Herr Vanheil. Wir sind noch nicht gestorben.«

»Gewiß und wahrhaftig nicht, Kap'tän Jessen. Und Ihr Schiff, der ›Valdemar Atterdag‹, sollte uns das übrige lehren. Sie wissen ja, Atterdag, das heißt: Morgen auch noch ein Tag.«

»Sie waren mal so freundlich, mir das zu erklären, Herr Vanheil, und es hat mich immer bannig gefreut.«

»Na also. Das nächste Mal wird's wieder besser. Ich werd' mich bei der Kundschaft gehörig in die Riemen legen.«

»Ihre Courage, Herr Vanheil, die hält einen ordentlich jung. Nee, nee, unsere Rippen und Planken, die kommen noch lange nicht auf Auktion.«

»Was meinen Sie von einem Buddel Rotspon, Kap'tän Jessen? So als Überleitung vom Geschäftlichen zum Familienleben, meine ich.«

»Das ist eine sehr angenehme Meinung, Herr Vanheil.«

Martin Vanheil hatte sein frohes Lächeln schon wieder gefunden. Er legte die Konossemente zusammen, schloß sie in den Stahlschrank und holte aus einem Eckschränkchen eine Flasche und zwei Gläser. »Ich bin kein Trinker,« sagte er, »aber der Wein schmeckt mir.«

»Tja, das ist auch ganz so meine Beschaffenheit. Ich trinke nicht oder nie, aber es schmeckt mir immer.«

»Es ist nur gut, Kap'tän, daß wir alle beide wahrheitsliebende Männer sind.«

»Das ist aber gewiß gut. Schon allein wegen der Bekömmlichkeit. Prost Herr Vanheil!«

»Sie sind doch heute abend mein Gast? Oder haben Sie schon eine andere Absprache?«

»N– –nein. Die Anna in der Westminstertaverne, die zählt wohl nicht, Herr Vanheil.«

»Nein, die zählt nicht. Oller Seeräuber!«

»Das sagen Sie so. Aber wenn der Mensch tagelang Wasser in der Nase und den Wind in den Ohren gehabt hat, so möcht' er doch auch mal eine kleine herzliche Ansprache haben.«

»Wenn Sie vor dreißig Jahren geheiratet hätten, wie ich Ihnen das damals schon gesagt habe, so hätten Sie nun schon seit dreißig Jahren die herzliche Ansprache zu Haus.«

»Zu Haus! Ich bin aber man immer unterwegs, Herr Vanheil, und da kann mich das wenig helfen, wenn ich in Hamburg oder in Bergen oder sonstwo das Frieren kriege. Und alle heiraten, das wäre doch unmoralisch.«

»Schämen Sie sich, Sie Weißbart!«

»Wenn mich die lütten Deerns gar nicht mehr leiden mögen, will ich das gewißlich gerne tun.« Und der alte Kapitän schmunzelte über das ganze Gesicht, weil er diesen Zeitpunkt noch in grauer Ferne wähnte.

Sie hatten die Flasche geleert und schickten sich an, das Privatkontor zu verlassen. An der Tür hielt Vanheil den Gastfreund beim Rockknopf. »Und was die Geschäfte betrifft, ich meine die schlechter gehenden – da oben: Mund halten! Frauensleute sind schreckhafter Natur. Deshalb muß man nur immer Fröhliches die Treppe hinauftragen.«

»Verdammi,« sagte der Kapitän bewundernd und hieb dem Hausherrn kräftig auf die Schulter, »Sie sind doch eine ausnahmsweis-vornehme Natur.«

Dann wünschten sie im vorderen Kontor dem Prokuristen und dem Personal einen guten Abend und stiegen munter plaudernd ins erste Stockwerk hinauf.

»Hallo!« rief Martin Vanheil. »Ist der Tisch gedeckt? Ich bringe einen Gast.«

»Und wir haben bereits einen,« lachte eine Frauenstimme zurück. »Du hast nicht allein Glück.«

»Kucken Sie sich mal erst die Ladung, die Ihr lieber Mann heimbringt, daraufhin an, Frau Vanheil,« rief der Kapitän, »ob Sie sich gerade dazu beglückwünschen können.«