Germaniens Götter – Mit einem ausführlichen Glossar der germanischen Götterwelt - Rudolf Herzog - E-Book

Germaniens Götter – Mit einem ausführlichen Glossar der germanischen Götterwelt E-Book

Rudolf Herzog

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Beschreibung

Rudolf Herzog: Germaniens Götter, illustriert, mit einem ausführlichen Glossar der germanischen Götterwelt | Neu editierte 2022er-Ausgabe, mit über einhundert verlinkten Fußnoten | Die germanische Mythologie war nicht weniger hoch entwickelt als jene des Mittelmeerraumes. Der Unterschied zur römischen und griechischen Götterwelt: Es gibt so gut wie keine originären schriftlichen Aufzeichnungen, sondern nur solche aus zweiter Hand, meist überliefert durch die römischen Besatzer. – Bei den heute bekannten germanischen Sagen dominieren jene aus dem skandinavischen Raum, weniger solche aus den zentralgermanischen Gebieten (z. B. heutiges Deutschland). | Vergleichende Befunde aus unterschiedlichen Wissenschaftsgebieten lassen vermuten, dass der heute bekannteste Sagenkreis der Asen, um die Hauptgottheiten Wodan/Odin (›Göttervater‹), Ziu/Tyr, Donar/Thor und Frija/Frigg ein eher jüngerer ist und auf die Zeit kurz vor Christi Geburt zurück geht. Die erste Erwähnung eines Gottes, den man mit Odin gleichsetzen kann, stammt aus römischen Quellen. Der früheste schriftliche germanische Beleg für den Götternamen Odin stammt dagegen erst aus der Zeit um 725 nach Chr., gefunden auf einem mit Runen beritzten Schädelfragment. © Redaktion ModerneZeiten, 2022

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— INHALT —

Innentitel

Vorbemerkung des Herausgebers

Geleitwort des Autors

GERMANIENS GÖTTER

Der Götter Erscheinen

Der Menschen Werden und Wachsen

Das goldene Zeitalter

Der Wanenkrieg

Die Götter auf schiefer Bahn

In Schuld und Schicksalskampf

Die Götter auf Kundschaft

Im Zeichen des Hammers

Wodans Wunschmädchen

Unter den Einheriern

Um Baldur

Der letzte Kampf

Glossar: Liste germanischer Götter, Sagengestalten und Symbole

Impressum

Fußnoten

Vorbemerkung des Herausgebers

Die germanische Mythologie war nicht weniger hoch entwickelt als jene des Mittelmeerraumes. Der Unterschied zur römischen und griechischen Götterwelt: Es gibt so gut wie keine originären schriftlichen Aufzeichnungen, sondern nur solche aus zweiter Hand, meist überliefert durch die römischen Besatzer. Auf Grund der zunächst rein mündlichen Weitergabe haben sich seit der vor-römischen Eisenzeit (800 v. Chr. bis Christi Geburt) bis ins Mittelalter stets neue Schichten von mythischen Erzählungen, die sich zudem in einzelnen Regionen unterschiedlich entwickelten, übereinander gelegt.

So gibt es zahlreiche Überschneidungen, Neuinterpretationen und sogar Widersprüche und man kann weder zeitlich noch örtlich von einem geschlossenen Sagenkreis sprechen. Die Grundanschauungen aber, und auch die wichtigsten Götter und Göttinnen finden sich, wie Sprachvergleiche beweisen, bei Nord- und Südgermanen übereinstimmend. Und auch zur griechischen und römischen Götterwelt gibt es letztendlich viele Bezugspunkte. – Bei den heute bekannten germanischen Sagen dominieren jene aus dem nordgermanischen (skandinavischen) Raum. Aus den zentralgermanischen Gebieten (z. B. heutiges Deutschland) sind so gut wie keine originären vorchristlichen Texte überliefert.

Vergleichende Befunde aus unterschiedlichen Wissenschaftsgebieten lassen vermuten, dass der heute bekannteste Sagenkreis der Asen, um die Hauptgottheiten Wodan/Odin (›Göttervater‹), Donar/Thor, Ziu/Tyr und Frija/Frigg ein eher jüngerer ist und auf die Zeit kurz vor Christi Geburt zurück geht. Die erste Erwähnung eines Gottes, den man mit Odin gleichsetzen kann, stammt aus einer römischen Quelle. Der früheste schriftliche germanische Beleg für den Götternamen Odin stammt dagegen erst aus der Zeit um 725 nach Chr., gefunden auf einem mit Runen beritzten Schädelfragment.

© Redaktion ModerneZeiten, 2022

Rudolf Herzog (1869–1943) war ein deutscher Journalist und Schriftsteller, dessen zahlreiche Bücher zu Anfang des 20. Jahrhunderts regelmäßig Bestseller-Auflagen erreichten. Stark nationalkonservativ gesinnt, stand er ab 1932 dem Nationalsozialismus nahe; nach dem Krieg geriet sein Werk weitgehend in Vergessenheit. Vorliegendes Buch ›Germaniens Götterwelt‹ entstand 1918, also deutlich vor Herzogs politischen Verirrungen. Ungeachtet der späteren NS-Nähe des Autors, liefert dieses Werk eine weitgehend ideologiefreie, spannende und eingängige Darstellung der germanischen Götterwelt. Ein Rezensent schrieb im Jahr 2022: »Noch nie habe ich ein Buch gelesen, das so spannend die Zusammenhänge der nordisch-germanischen Götterwelt erzählt!«

Geleitwort des Autors

Von den Göttern spricht dies Buch. Von Germaniens Göttern. Immerdar sind eines Volkes Götter das Abbild seiner innersten Art gewesen, seiner Tugenden, seiner Fehler, seiner verlangenden Sehnsucht. Wenn unsere Väter zu den Göttern riefen, riefen sie an, was an Kraft und Zuversicht bewusst oder unbewusst in ihnen selber lebte, sahen sie Wunsch und Willen im Lichte eines überirdisch gesteigerten Mannes- und Heldentums.

Ein Volk, das seiner Götter vergisst, vergisst seines Ursprungs, seiner Ahnen, seiner selbst und seiner Wurzelkraft. Wer sich seiner Herkunft und Vergangenheit schämt, baut seine Zukunft in den Wirbelwind. Aus den rauen Wäldern Germaniens stammen wir, stammen unsere Götter. Nicht aus dem sonnentrunkenen Hellas und dem hochmuttrunkenen Rom. Den Göttern Griechenlands, den Göttern Roms unsern Gruß. Germaniens Götter grüßen euch mit derselben Stimme der Unsterblichkeit!

Rudolf Herzog

Oktober 1919

[gekürzt, red.]

GERMANIENS GÖTTER

Der Götter Erscheinen

Regungslos lag die Weltseele …

Über der Leere lag sie, der ungeheuren, die nicht Wasser noch Erde wies, nicht Feuer noch Luft. Nichts als die leblose Leere. Starr und unendlich. Regungslos lag die Weltseele über der toten Leere. Bis dass sie träumte … Leben träumte sie …

Und als der erste Traum durch die Weltseele rann, war es wie ein erstes, wärmendes Leben, und aus der aufsteigenden Wärme sprang wie ein Funke der Gedanke, der zur Flamme wurde und aufloderte in die Leere.

Das Feuer war in die Welt gekommen und stand, eine Welt für sich, hoch und heiß und sengend am Rande der Leere. Muspelheim1 hieß diese Welt, und Feuergeister waren, was aus der Weltenseele in sie hinübergeglitten war.

Weiter sann die Weltseele. Und sie sann hinter dem feurigen Gedanken her, der Muspelheim entzündet hatte und nun unaufhaltsam war. Nicht Wärme, nicht Kälte hatte die ungeheure Leere gekannt. Nun aber, da an ihrem Südrand Muspels Flammen lohten, ward sich der Nordrand der Kälte bewusst, und die dunklen Nebel brauten, dass es eine Welt voll Nebel war und Niflheim2, Nebelheim geheißen. Die Nebel aber stiegen auf und wurden Luft, und sie stiegen nieder und wurden Wasser. Und die Wasser Niflheims strömten in die ungeheure Leere, die sie zur Eisschicht erstarren ließ, und die Wasser strömten immerzu, und Eisschicht lagerte sich über Eisschicht, bis die Leere ausgefüllt war. Und die Stürme, die aus Niflheims Luft wuchsen, zermürbten die Decke zu Schnee und Reif, und die Glut, die aus Muspelheims Flammen hinüberlangte, mischte Glutasche hinein und schmolz das Wasser hinaus, dass Erde wurde und aus Erde, Wasser, Feuer und Luft die Wildnis der Erdenwelt3. So ward die Erdenwelt geboren und geschwängert von allen Gedanken der Weltseele.

Die irdischen Gedanken aber lagen nahe der Oberfläche und drängten nach Form und Gestalt, hastig und ungeschlacht, während die göttlichen Gedanken noch in der Tiefe lagen und über Vollkommenheit sannen. Und als der Funkenregen, der von Muspelheim herüberstob, kaum erst die oberste Reifschicht durchbrochen und die vorgeschobenen, die irdischen Gedanken der Weltseele mit seinem lebensheischenden Anruf getroffen hatte, rissen die noch unvollkommenen sich los, griffen nach dem rohen Stoff und gedachten wenig des göttlichen Geistes, und als Erstes entstand ein Ungetüm, das alle Erde, die da wurde, in sich fraß, und alle Wasser, die da rauschten, in sich schluckte, das alle Luft aufsog und alle Feuerwärme für sich begehrte – der Riese Ymir4.

Der Riese Ymir wälzte seinen immer hungrigen und durstigen Leib im dampfenden Reif, und wo er ausruhte, drohten seine massigen Gliedmaßen das junge, lebenshegende Erdreich zu ersticken. Und als er sich übernommen hatte an Speise und Trank und ächzend lag, rieb er im Angstschweiß seine Hände, und es sprang ein neues Riesenpaar heraus, das dem Vater beistand im Fressen und Schlucken, und er rieb seine Füße aneinander, da zeugten auch diese ein Riesenpaar, das noch ungefüger war, als das erste. Sie alle aber wussten nichts, als ihren Bauch zu mästen und Kinder zu zeugen, die dasselbe taten, und die Luft mit ihrem Brausen und Brüllen zu erfüllen.

Als der Riese Ymir, unreifer Gedanken voll, sich ins Leben gewälzt hatte, drängte eine Schar unruhiger, flatternder Gedanken ihm nach, fanden aber, bei Ymirs gewaltsamer Ausdehnung, nicht genug des Rohstoffes mehr, um sich einen irdischen Körper zu schaffen, und fuhren in Grimm und Unlust als wütende und boshafte Gespenster durch die Luft und das Land. Schrate und Trolle5 wurden sie und Maren, Truden und schwarze Alben. Steckengeblieben waren sie in ihrem Werden zwischen Irdischem und Göttlichem, überragten das rohe Riesengeschlecht an Witz und Geist, reichten dennoch nicht heran an das Erhabene, das dem Geist erst seine edle Führung gibt. Unstet und zerfahren, ohne Zucht und Ordnung, vermehrten sie den Wirrwarr, den die riesischen Urnaturen verübten, jagten mit ihnen gemeinsam und hockten ihnen auf, krochen zwischen sie und hetzten sie gegeneinander durch Stoßen, Treten und Zerren, und freuten sich aus sicherem Versteck, wenn die Ungeschlachten übereinander herfielen und brüllend die eben erst gewordene Erde zusammenstampften. So wetteiferte das ungezügelte Geisterheer mit den rohen Naturgewalten der Riesen, die junge Erdenwelt nur als Tummelplatz aller wilden Lüste zu nutzen und jede Entwicklung zu einer höheren Welt im Keim zu ersticken.

Der göttliche Gedanke jedoch hatte nicht brach gelegen. Langsamer, als die eilfertig und verwahrlost Schwärmenden, aber unaufhaltsam, forschend, sich klärend, neuschöpfend, drang er aus der stillen Tiefe empor zum Licht. Er nahm nur die wenigen und die edlen Stoffe, die dem stumpfen Blick der Riesen entgangen und der Gier der Gespenster zu gering erschienen waren, und gab dem Geist die Vorherrschaft über den Körper. Schlank und ebenmäßig formten sich die Glieder, ein jedes untertan der Verrichtung, die es erfüllen sollte, und sinngemäß danach erschaffen. Stark wölbte sich die Brust, straff spannten sich die Muskeln, blau blitzten die Augen und goldfarben wehte das Haar. In der Wärme des Tags stand der erste Gott. Und er nannte sich Buri6.

Gewaltig in wilder Naturkraft stand der Riese Ymir. In Schönheit stand Buri, der Gott, und sein Geist war höher als des Riesen Felsenhaupt.

Und als der erste Gott geruhsam erforscht hatte, was der Erdenwelt not tue, schuf er sich lächelnd um in seinen Sohn Bur, der sonach erdgeboren wurde aus göttlichem Geist und sich ein Weib aus der Riesen Geschlecht wählte und sich aus ihr heraus, zum dritten Mal, neu erschuf in drei Söhnen, Wodan7, Wili, We. Damit die erhabenen Götter das gerechte Empfinden behielten für irdische Dinge.

Asen8 nannten sie sich, die ›Göttlichen‹. Ihr Haupt und Held war Wodan. –

Immer noch lag die Erdenwelt wie eine wüste Wildnis. Ymir, der Fresser und Säufer, lastete mit seiner zahllosen Sippe zu schwer auf ihr, als dass sie hätte atmen und gedeihen können. Über ihre ganze Länge und Breite schob sich schon sein Leib. Sein Blick aber ging nicht weiter als bis zu der tückischen Geisterschar, die ihn mit blödem Blendwerk umgaukelte und ihn und seine Sippe billigen Zauber lehrte statt fruchtbringende Arbeit. Dreimal hatten sich die erhabenen Götter umgeschaffen, um immer vollkommener zu werden für die Größe ihrer Sendung und ihrer Aufgabe. Das ungeschlachte Riesengeschlecht hielt sich für vollkommen, wie es roh aus dem Reif stieg, und griff mit tölpelhaften Händen nach den Erzeugungen der Erdenwelt, um sie zu vertilgen, statt zu vermehren und zu veredeln. So verschwand die Erdenwelt im unersättlichen Bauch Ymirs und seiner Sippe, und alles Weiterwerden drohte zu vergehen.

Wodan, der junge, sah es, und er rief Wili und We, seine Brüder, und sie gingen zu Ymir, als er auf dem Rücken lag und verdaute. Das war sein einzig Tagewerk.

»Wozu bist du hier?« fragte ihn Wodan.

»Ich bin hier, um zu leben«, knurrte Ymir böse. »Die Erde sorgt, dass ich wachse.«

»Nein«, sagte der Ase, »du lebst, damit die Erde wachse. Kannst du Weiteres verstehn? Steh auf und schaffe.«

* * * * *

Da drehte sich der Riese wie ein Flegel auf den Bauch und wies die Kehrseite, dass die Männer und Weiber seiner Sippe vor Vergnügen brüllten und sich das Missgunstvolk der Maren und Schrate, der Truden und Alben meckernd in der Luft überschlug.

Wodan lachte über die Welt hin.

»Packt an«, gebot er den Brüdern. Und sie packten den ungefügen Erdenkloß, den Erdaussauger, zu dritt, hoben ihn hoch und zertrümmerten ihn an dem Felseneis.

Krachend schlug Ymirs Riesenleib über die Erde, dass sie fast zerschmettert war und in kreischendem Getöse bebte und schütterte. Brausend und alles mit sich reißend schoss aus dem zerplatzten Riesenleib das Blut, und so gewaltig und ungeheuerlich waren die Blutströme, dass sie die Erdenwelt überschwemmten, die gähnenden Klüfte in schäumende Seen wandelten, bis zu den Gipfeln der Eisberge stiegen und alles Lebende ersäuften. Das Riesengeschlecht watete durch die Fluten. Das brüllende Lachen war ihm vergangen. Das Blutmeer stieg ihm an den Hals. Männer hoben ihre Weiber, Weiber ihre Kinder auf die Schulter, dass sie sich auf die Eisberge retteten. Mit entsetzten Blicken hingen sie an den Höhen. Und eine heulende Blutwoge schlug sie herunter und ertränkte und erstickte sie im Knäul der zappelnden Riesenleiber. Als die Sintflut sich verlief, war Ymirs Geschlecht vertilgt. Nur in ferner Ferne fuhr noch ein einziger Riese mit seinem Weib auf einem Floß dahin, ließ sich von der verlaufenden Flut treiben weithin bis ans Ende der Welt – und entkam.

Auf dem höchsten Grat, hoch über der Sintflut, stand Wodan mit seinen Brüdern.

»Sieghaft auferstehn soll der erhabene Geist über die rohen Stoffgebilde. Beseelen soll er die wilden Naturgewalten, sie zur Ordnung leiten und zu schöpferischer Arbeit. Nur das ist Leben.«

Über die Sintflut hinweg jagte das heulende Heer der Spukgestalten und suchte sich in kreischender Angst vor dem Blick des gewaltigen Gottes zu verbergen.

»Verruchtes Volk der Halbheit«, ergrimmte der Gott. »Von den Göttern holtest du Wissen und wandeltest das Göttliche in gemeine Lüste und billigen Zauberspuk, der die Irdischen gierig macht in die Tiefe und ihre Augen für das Höchste verblödet. Ich fege euch weg!«

Und wie der Sturmwind fuhr Wodan hinaus und würgte zwischen den Händen, was er erfassen konnte von den tausenden von Trug-Gespenstern, und hing die erdrosselten an seinen Gürtel. Und nur wenige waren, die ihm in den Ritzen und Ranken entkamen.

Der wilde Jäger kehrte zurück. »Ich werd’ dich noch jagen manche Sturmnacht, lichtscheues Gesindel«, lachte er in den Bart, warf seine Last ab und strich sich aufatmend über die Brauen. »An die Arbeit jetzt!«

»Du bist Haupt und Held«, sprachen Wili und We, die Brüder, »Allvater bist du, und ein Führer muss sein selbst unter Göttern. Wir ratschlagen mit dir. Dein ist der Befehl!«

Da ratschlagten die Götter in ernstem Wägen, um eine Ordnung zu schaffen, in der ein jedes seinen Platz erhielte und seine Bestimmung. Und sie nahmen den Schädel Ymirs und richteten ihn auf ragenden Säulen als Himmelskuppel auf, und das Gehirn ward zu Wolken, die das Wetter bargen. Aus Ymirs Fleisch schufen sie das gesättigte Erdreich, aus den beinernen Knochen Stein und Fels, aus dem wirren Haar Bäume und Gesträuch, aus dem Blut das brausende Meer. Sie zogen dem Riesen die scharfen Wimperhaare aus und bauten aus ihnen kreisrund um das wirtlichste Land einen mächtigen Wall gegen das ungebärdige Meer und die Tücken der zum Weltende entflohenen Riesen. Und sie nannten das inmitten gelegene Land, das von einem neuen Geschlecht bevölkert werden sollte, Midgard9. Und den Himmel, den sie als Wohnung der Asen bestimmten, nannten sie Asgard10. Die Funken aus Muspelheim fingen sie auf und hingen sie als Leuchten an den Himmel. Die außengelegene Welt aber, in die sich die letzten Riesen und das irrlichternde Volk der Alben und Trolle geflüchtet hatten, nannten sie Utgard, und tief unter die Erde verwiesen sie Niflheim, die Nebelhölle, die Totenwelt.

Und Allvater sprach: »Der göttliche Gedanke hat sich noch nicht erschöpft. Zusammen ruf ich seine ganze Kraft.« Und er hob die Hände an den Mund und stieß einen Ruf aus, der in die Tiefen der Unendlichkeit ging: »Herbei, was göttlich ist in aller Weltenseele seit Urbeginn!«

Da stieg aus der fruchtbar gewordenen Erde Frigg11 hervor, die erste Göttin, und lehnte sich an Wodans Schulter. Und es sammelte sich ein Kreis lichter Gestalten um den obersten Gott, und sie alle suchten ihren Platz und hörten Wodans Gebot. Eine Schar der Lichtgötter aber, die sich Wanen12, die Wissenden, nannten, jauchzten in die junge Welt hinein, fassten sich an den Händen zum Reigen und schwangen sich, des Jubels voll, hoch in die frühlingslauen Lüfte. Von der Stätte der harten Arbeit verloren sie sich im Spiel, und sie beschlossen, singend und klingend, ein milderes Reich im Reich zu gründen unter der Herrschaft der Schönheit und des Glücksgenusses.

Mit den erstgewordenen Göttern, den Göttern seit Urbeginn, stieg Wodan auf gen Asgard, die Schöpfung zu vollenden, zu veredeln, zu leiten.

Die Erdenwelt war lebendig in der Natur. Allvater gedachte, ihr das göttliche Leben zu geben in dem Menschen. –

Unter den Urgöttern aber stand an ragender Stelle der Schwertgott Tuisko, Teut, der den Mannus zeugte, den Mann. Mannus gab drei Söhnen das Leben, Ingo, Isk und Irmin. Sie wurden die Stammväter der Ingävonen, der Iskävonen und der Erminonen, der drei Hauptstämme der Teutmänner, der Deutschen.

Der Menschen Werden und Wachsen

In Asgard saß Wodan, der Götter Haupt und Held. Eine Türschwelle hatte er vor dem Götterheim zu einem Hochsitz geschichtet. Wohl erwählt war der Platz, denn von dem Hochsitz aus überschaute Allvater die ganze Welt und alles Werden und Vergehen. Und er sah mit durchdringendem Auge, dass im Leibe der Erde ein seltsam Leben wimmelte.

Er berief den Götterrat, und sie erforschten, dass des Riesen Ymirs träges Fleisch voller Maden gesteckt habe, die sich, mit der Verwandlung von Ymirs Fleisch in fruchtbaren Erdboden, ebenso zu einer höheren Stufe entwickelt hatten und als absonderliche Zwerge und Wichte zwischen den Rippen der Erde wühlten. In guter Laune formten und feilten die Götter an den drolligen Gestalten, ohne sie um vieles schöner herausputzen zu können, schlossen sie deshalb vom Tageslicht aus und bannten sie ins dunkle Erdinnere zurück, beschenkten sie aber in göttlichem Mitleid mit Verstand und Rück-Erinnern.

Und Allvater sprach:

»Nur der vermag das Sonnenlicht auf Erden zu ertragen, der in der Sonne geboren ist. Das Sonnenlicht hebt die Gedanken stolz und hoch zum Himmel und schafft ihnen höhere Gleichnisse. Darum taugt es nicht, dass die Unterirdischen die Macht auf Erden gewinnen, denn ihre Gedanken steigen in die Dunkelheit und zum wimmelnden Gewürm.«

Und Wodan warf seinen Sturmmantel um und entbot Hönir13, den Gott des Waldes und der Heide, und Loki14, den Heißen und Leuchtenden, dem das Feuer untertan war, und fuhr mit den Ratgesellen zur Erde.

Sie wanderten dahin im Licht der Sonne, die aus Muspelheims Funken am Himmel hing, und das Schweigen der Wälder umgab sie. Prüfend gingen ihre Augen über alles, was war. Und sinnend schritten die drei Götter dahin.

Da bot sich ihnen auf der Lichtung eines Hügels ein wunderbares Bild. Kraftvoll war es und lieblich zugleich. Vom Schatten des Waldes umkränzt, hob sich sonnenübergossen der blumige Hügel, und eine mächtige Esche reckte sich daraus und eine breitausladende Ulme, und beide streckten sie ihre Wipfel sehnsüchtig dem Himmel entgegen, und sehnsüchtig vermählte sich ihr starkes Untergeäst, als wollte ein Baum den anderen stützen und umschlingen, und ihre Wurzeln tranken tief aus der Erde, während ihre Wipfel hoch nach dem Himmel verlangten.

In lächelnder Gewähr blickte Allvater Wodan auf das Bild, segnend stand Hönir, der Wälder Gott, feurig und leidenschaftlich trat Loki heran.

Und Wodan nickte mit dem Haupt und strich mit leisen Händen über die Rinde der Bäume. Und von seinen Händen ging eine Kraft aus, die drang in das Mark der Esche und drang in das Mark der Ulme und erfüllte beide mit der göttlichen Seele.

Da ging ein Raunen und Rauschen durch die Bäume von der Wurzel bis zur Krone.

Und Hönir tat wie Wodan und streichelte liebkosend Stämme und Blätterdach und flüsterte mit ihnen.

›Da standen Esche und Ulme horchend und wurden sehend …‹

Da standen Esche wie Ulme horchend und wurden sehend und regten ihre Äste und standen, mit offenen Sinnen, in freier Bewegung in all der Sonne.

Der feurige Loki aber sprang vor, riss sie an seine Brust, dass sie taumelnd die Glut seines Herzens spürten, ließ einen Blutstropfen in sie überspringen und gab die Menschgewordenen aus seiner brünstigen Umarmung frei.

Auf der Erde standen die ersten Menschen. –

* * * * *

Und die ersten Menschen sahen die Götter und sahen dann sich selbst. Und sie erblickten in ihren Augen die Sonne des Himmels und schritten mit heißen Wangen aufeinander zu und fassten sich bei den Händen.

Ask hieß die Esche. Embla die Ulme. So hießen die ersten Menschen. Und Embla lehnte ihr Haupt an die Schulter des Ask, wie Frigg getan hatte, die erste Göttin, als sie Wodan erblickte.

Da winkte Wodan seinen Gefährten und fuhr mit ihnen gen Asgard zurück.

»Wir gaben ihnen viel«, sprach Wodan, »mehr noch müssen sie sich selber geben.«

Die Gefährten suchten Allvaters sinnenden Blick.

»Die Erkenntnis«, sprach Wodan, »dass sie nur mit den Göttern Edelmenschen und Herren der Erde sind; ohne die Götter – Schlagholz im Walde.«

Loki erwiderte: »Aus dem Schlagholz im Walde springt hell und lustig die Flamme. Das deucht mich kein übles Los.«

»Wehe den Menschen«, sprach Wodan, »die göttliches Feuer mit irdischer Flamme verwechseln. Die irdische Flamme ist die Zerstörung, die göttliche führt zur Ewigkeit.«

Da schwieg Loki. –

* * * * *

Auf dem Hochsitz über der heiligen Türschwelle saß Wodan und blickte über die ganze Welt. Von den Tieren, die er erschaffen hatte, hatte er zwei Raben ausgewählt, die hießen Hugin und Munin15, Denkkraft und Erinnerung, und hockten ihm zur Rechten und zur Linken auf der Schulter. Täglich sandte er sie über die ganze Welt hinaus, und was sie auf ihren Flügen erspäht hatten, flüsterten sie Wodan ins Ohr, wenn sie auf seinen Schultern hockten. An seine Füße schmiegten sich zwei graue Wölfe, Geri und Freki16 geheißen, des Gottes würgende Jagdhunde, wenn er als wilder Jäger durch die Lüfte brauste oder über die Walstatt der Kämpfer.

Von Asgard, der himmlischen Heimburg, blickte mit Wodan die Schar der Götter hinunter nach Midgard, ins Land der Menschen. Und der göttliche Teutsohn Mannus ersah mit Freuden ein kraftvolles Menschenkind mit goldrotem Haar und blaublitzenden Augen, das der Umarmung des Ask und der Embla entsprossen war, und er suchte sie auf in Midgard, und sie verbanden sich in Liebe und Kraft. Da wurden ihre Söhne Ingo, Isk und Irmin nach Ask, dem Urvater, die ersten Männer, die über das Erdreich schritten, und waren die Stammväter der Deutschen.

* * * * *

Unter den Göttern war Heimdall17, der lichte Ase, den Wodan zum Wächter gesetzt hatte über alles Geschehen. Nie kam ihm der Schlaf. Vor der Sonne schon beleuchtete er den Himmel- und Erdenkreis mit goldenem Frührot und horchte aufmerksam auf die Atemzüge der Welt. Heimdall aber sah, wie schnell sich das Menschengeschlecht vermehrte und wie es nicht zum frohen Genusse des Lebens kam, weil ihr Schaffen ungeordnet war und ein Jeder jede Arbeit tat, ohne sie recht zu verstehen. So mühten sie sich ohne Erfolg und bald ohne Freude und brachten es zu nichts. Das bekümmerte den guten Gott, und er beschloss Wandel.

In menschlicher Gestalt betrat er die Erde und spähte in alle Hütten. Und er ersah ein Ehepaar, das war knochig und gedrungen und muskelhart an Armen und Beinen. Es buk sein schwarzes Brot aus den Körnern, wie sie vom Felde kamen, und trank die Milch warm, wie sie die Euter der Kühe spendeten. Zu ihnen trat Heimdall als Gast, und als er mit ihnen gegessen und getrunken hatte, weissagte er ihnen, dass aus der anspruchslosen Kraft die Fülle des Wohlstandes erwachsen würde, und er schlief bei ihnen in der Kammer und schied im Frühlicht.

Die Frau aber gebar nach Kurzem einen Knaben von schwerem Körperbau, und als er aufwuchs, rodete er Äcker, bestellte sie von morgens bis in den Abend und umzäunte sie, bewässerte Wiesen und schuf Weideland für Pferde und Kühe, Ziegen und Schafe und trieb die Schweine zur Mast in den Eichenwald. Er arbeitete im Schweiße seines Angesichts und lehrte wiederum die eigenen Kinder so, denn sein Gemüt war fröhlich bei allem Mühen, und wenn er durch die wogenden Saaten schritt und durch die wachsenden Herden, sprach er stolz zu sich: Dies alles ist das Werk meiner Hände, und es ward, weil ich es verstehen lernte und ihm all meine Liebe schenkte.

So wurde der Bauernstand, und er war göttlich durch Heimdall, den Wächter.

Und Heimdall spähte weiter in alle Hütten der Menschen, und er erschaute ein Ehepaar, das war stattlich und von kluger Stirn, hinter der die Gedanken arbeiteten. Der Mann hatte der Frau einen Spinnrocken geschnitzt und sich selber einen Webestuhl, und sie spannen und webten Linnen und Tuch und schmückten sich mit den schönen Gewändern, auf dass sie eine immer größere Freude aneinander hätten trotz Wind und Wetter. Bei ihnen trat Heimdall ein, und sie luden den Fremdling zu Gast, und die Frau kochte auf dem Herdfeuer ein feines Gericht aus den Kräutern des Gartens und zartem Fleisch. Und als der Gott sich gesättigt hatte, weissagte er ihnen, dass aus der durchdachten Kunst ihrer Handfertigkeit die Fülle des Wohlstandes erwachsen würde, und er schlief bei ihnen in der Kammer und schied im Frühlicht.

Die Frau aber gebar nach Kurzem einen Knaben, der war schlank und gelenkig und von besonderem Verstand. Als er aufwuchs, zimmerte er kunstvoll verzierte Häuser und weitgeschwungene Hallen, baute Schmiedewerkstätten, in denen aus den Erzen der Erde köstlicher Schmuck bereitet wurde und aus dem Eisen Schwerter und Pflugscharen, veredelte Rocken18 und Webstuhl und mit ihnen Gespinst und Tuch und tauschte seine Erzeugnisse mit den Früchten des Bauern und dem Fleiß aller Welt. Sein Tagewerk ging grübelnd und wirkend bis in die Nacht, und er lehrte es wiederum die eigenen Kinder so, denn sein Gemüt war fröhlich bei allem Mühen, und wenn er durch Häuser und Hallen und Werkstätten schritt, und sein Auge Gewebe und Schmuck jeder Art, Waren und Werkzeuge musterte, sprach er stolz zu sich: Dies alles ist das Werk meines Hauptes und meiner Hände, und es ward, weil ich es verstehen lernte und ihm all meine Liebe schenkte.

* * * * *

So wurde der Gewerbestand, und er war göttlich durch Heimdall, den Wächter.

Und zum dritten Mal spähte Heimdall in alle Hausungen der Menschen, und er erblickte ein Ehepaar, das war schlank und muskelhart zugleich, stark und furchtlos wie kein anderes, und wer Rat und Tat suchte, klopfte an seine Tür. Der Mann kam staubbedeckt von der Jagd, warf das Untier des Waldes, den erlegten Bären, vor die Feuerstelle und spannte den Bogen neu und schärfte die Speerspitze nach, bevor er sich erfrischte. Lachend schloss die schöngeschmückte Hausfrau den Wilden in die Arme. Und er saß bei ihr, den Arm um ihren Nacken geschlungen, und besprach mit ihr all sein tapferes Planen gegen das Raubzeug der Tiere, der Menschen und der bösen Geister, und sie gab ihm Rat und rief das Gesinde der Mägde und lehrte sie, das Wildbret zerlegen, zubereiten und die Armen und Hungrigen damit sättigen. Und Heimdall trat zu dem edlen Paar an den gastfreien Tisch, ließ sich den Bärenschinken munden und den schäumenden Met aus dem Auerochsenhorn, freute sich der würzigen Reden und weissagte den Starken zum Dank, dass aus ihrer Kraft und ihrem hochgemuten Sinn die Fülle des Wohlstandes erwachsen würde über das Haus hinaus zum Besten aller, die um das Haus sich scharten. Und er schlief bei ihnen in der Kammer und schied im Frührot.

Die Frau aber gebar nach Kurzem einen Knaben, der hatte die Kraft des Bären, die Schnelligkeit des Hirschen, das Auge des Falken. Stärker aber, rascher und schärfer noch war sein Geist. Und Geist und Körper waren wie Blitz und Schlag. Als er der Wiege entsprang, rannte er in den Wald, erkletterte er die Berge und ließ sein Jauchzen erschallen, dass die Menschen, die ihn hörten, Kopf und Nacken streckten und das Echo jubelten. Auf der Wiese griff er sich die Hengste und ritt mit den Winden um die Wette, ohne zu ermüden. Sein Pfeil holte den Vogel aus der Luft, sein Speer den Wolf auf der Flucht. In der Brandung der See kämpfte er mit den geschmeidigen Robben, als stände er auf festem Land. Und wo es Hilfe galt, war er der erste. Als er heranwuchs, baute er eine feste Burg, und die Nachbarn siedelten sich an im Schutz seiner Mauern und seines Schwertes. Im Kampf mit dem Feind war er allen voran und zeigte den Seinen den Sieg! Im Gericht kannte er nur die Gerechtigkeit, dann erst die Milde. Im Rat aber war er, dass alle Nachbarn ihm ihre Sorgen brachten, und er nahm sie, als wären es die seinen. Sein Leben war Kampf und Sieg, für die andern mehr denn für sich, Tag und Nacht, ohne die Rast des Bauern, ohne die Ruhe des Bürgers, und er lehrte es wiederum die eigenen Kinder so, denn sein Gemüt war fröhlich bei allem Mühen, und wenn er durch die Schanzen seiner Burg, durch die Reihen seiner todesmutigen Mannen, durch die Gehöfte und Siedlungen der glücklichen Bauern und Bürger schritt, sprach er stolz zu sich: Dies alles ist das Werk meines Geistes, der mich und die Scharen lenkt, und es ward, weil ich es verstehen lernte und ihm all meine Liebe schenkte.

So wurde der Stand der Krieger und Heerkönige