Hasenleben - Jens Steiner - E-Book

Hasenleben E-Book

Jens Steiner

4,7

Beschreibung

"Und auspacken und neu anfangen" "Und irgendwo schlüpften eine Hasenmutter und ihre zwei Jungen wieder mal in einen Gully, zogen von unten den schweren Deckel übers Loch. ... Irgendwo würden sie wieder ins Licht steigen. Und auspacken und neu anfangen. Immer wieder." Lili führt ein unstetes Leben, verdingt sich als Kellnerin, zieht mit ihren beiden Kindern durch die Schweiz. Sie träumt von einer guten Ausbildung, einem Familienleben, während sie die Nächte in dunklen Kellern durchtanzt, ihre Kinder sich selbst überlässt. Der kleine Werner streift unablässig durch Hotelflure und spioniert die Gäste aus. Er träumt davon zu sein wie seine ältere Schwester. Emma ist ruhiger, sitzt oft einfach am Fenster und ritzt an ihren Armen. In St. Moritz taucht eines Tages ein Mann auf, dessen Name allen dreien sehr bekannt vorkommt. Und Lili ergreift einmal mehr die Flucht, bis - ja, bis ihr Leben durch ein tragisches Ereignis endgültig aus den Fugen gerät. Auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2011!

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Seitenzahl: 310

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Jens Steiner

Hasenleben

Jens Steiner

Hasenleben

Der Autor dankt der Fachstelle Kultur des Kantons Zürich für den Werkbeitrag. Das Präsidialdepartement der Stadt Zürich unterstützte die Publikation des vorliegenden Romans mit einem Beitrag. Der Verlag dankt hierfür. Alle Rechte vorbehalten © 2011 Dörlemann Verlag AG, Zürich Umschlaggestaltung: Mike Bierwolf unter Verwendung eines Fotos von Mikael Andersen (Foto © Mikael Andersen) Satz und eBook-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde eBook ISBN 978-3-908778-01-1 (epub) ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-908777-64-9 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.www.doerlemann.com

Dies ist Lilis Geschichte. Sie beginnt harmlos. Lilis Leben hatte eine komplizierte Mitte und etwas zerfledderte Ränder. In der Mitte eine Arbeit, die Geld einbringen sollte, immer zu wenig, aber irgendwie kam sie trotzdem über die Runden, zwei Kinder und viele verschwommene Träume von einem anderen Leben. An den Rändern kleine Verzweiflungen und Fluchten. Alles normal.

Lilis Geschichte ist nicht Lilis Geschichte. Nichts in ihr ist, was es ist, die Mitte ist keine Mitte und die Ränder sieht man nicht.

Dies ist keine Geschichte. Wir fangen mit Lili an.

Ganz harmlos.

Ein unfreiwilliges Spiel

Die Hälfte des kaputten Spiegels lehnte an der Wand, sie sah sich nur von den Füßen bis zum Bauch. Ein paar Tanzschritte, eine Pirouette. Laues Flattern, der Rock hob sich. Schön, die Beine, dachte sie. Sie drehte nochmals eine Pirouette und ließ sich zu Boden sinken. Guten Tag, Gesicht, wie geht’s? Ihr Blick folgte den Linien der Nase, der Wimpern, der Brauen. Ruhte auf der Stirnfalte. Das Gesicht im Spiegel streckte ihr die Zunge raus, sie lachte, das Gesicht auch. Im Hintergrund hörte sie ein Scheppern, dann das Bersten von Glas. Barfüßige Schritte auf kalten Küchenfliesen. Stille.

Mein harmloses Leben, dachte Lili, mit einem verächtlichen Lächeln auf den Lippen und dem Wunsch, ein bisschen weinen zu dürfen. Dann wandte sie sich vom Spiegel ab, schaute nach der Stille in der Küche. Sie wischte und tröstete, platzierte einen schmatzenden Kuss auf einen Strubbelkopf. Sie räumte auf und richtete an, sie sang ein fröhliches Lied, um die Gegenwart des Aufräumens und des Anrichtens zu besiegeln, auf dass kein Wunsch nach Weinen und keine freche Zunge mehr hervorkommen mögen. Dies ist die Mitte meines Lebens, sagte sie sich. Ich räume auf und richte an, ich tröste.

Doch am Abend, nach der Kinderstunde im Fernsehen, nach Kartoffelstock mit See und Wurst, nach schmatzendem Kuss auf zwei Strubbelköpfe öffnete sie wieder ihren Kleiderschrank, zog die unverschämten Stücke hervor und wirbelte vor dem Bruchspiegel. Diese Beine, schön! Dann der Blick auf die Uhr. Sie zeigte auf halb zehn. Der Blick schweifte weiter, zum Spalt des Kinderzimmers. Ein Gedanke, ein verstohlenes Lächeln. Leise zog sie die Schuhe an, drückte sie die Türklinke herunter, drehte sie den Schlüssel um.

Sie tanzte in dunklen, überhitzten Kellern, trank, lächelte, jubelte mit der euphorischen Menge im Wettkampf gegen die stampfende Musik, und sie lächelte auch, als sich ein Männergesicht dem ihren näherte, sie lächelte weiter, dachte nicht mehr an die Träume, die nie Form annehmen würden, mit ihrem Lächeln verscheuchte sie die ganze Ungenauigkeit ihres Lebens, nahm die rohe Liebe an, die ihr angeboten wurde, die Nacht verlor sich in Taumel und Bewusstlosigkeit, und Lili für wenige Stunden in Vergessen, dann in Schlaf.

Am Morgen das Aufwachen neben einem aufgequollenen Gesicht und die Flucht auf Zehenspitzen. Der Hass, das Kotzen, die antrainierte Gleichmut. Immer gleich. Immer wieder. Später der banale Morgentee und hinten in der Wohnung die Geräusche der Kinder, die zu ihrem Leben gehörten wie die Träume und die Kleiderhaufen am Boden, die Tag für Tag anwuchsen, bis Lili sich aufraffte und alles zusammenpackte und in die Maschine stopfte. Was wäre aus mir geworden ohne die Kinder?, fragte sie sich. Wären sie und ihr Leben immer kleiner geworden, zusammengeschnurrt auf ein kleines Klümpchen, das sich irgendwann aufgelöst hätte in nichts? Und war das nicht ihr heimlicher Wunsch? Lili schlürfte weiter an ihrem Tee, bis die Geräusche im Hintergrund verstummten, kurz darauf ein schwebendes Gesicht im Türrahmen auftauchte, etwas nur halb Sichtbares an ihr vorbeihuschte, die Kühlschranktür sich öffnete und schloss, das halb Sichtbare sich wieder aus der Küche entfernte. Dann nahm sie den letzten Schluck und suchte die Kinder, schüttelte und rüttelte sie in die Sichtbarkeit zurück, zog an Pyjamaärmeln, sammelte verstreute Socken und Unterhosen ein. Der Taumel und das Vergessen hatten längst wieder ihren anderen Aggregatzustand erreicht, ein Gefrorensein ohne Kälte, in Lilis Körper wartend wie kleine gemeine Steine.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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