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Diese Novelle ist irgendwo zwischen Zeiten und Räumen angesiedelt: Ein stilles leeres Dorf, ein kleiner Trupp Reisender, ein leer stehender Gasthof… Wo sind all die Leute hin, die dort leben oder lebten? Kennt die Antwort nur der Wind oder das ockerhell-gelbfarbene, flirrende Licht, die rosa-rötliche Mittagssonne? In jedem anständigen Kriminalroman würde schnellstmöglich die Aufklärung beginnen: Mord, Vertreibung, Erdbeben, Born-out, Bankrott??? Kriminalromane fragen nach der Vergangenheit, Novellen eher nach Gegenwart und möglicher Zukunft, denn aus den Träumen der Gegenwart ergeben sich die Fakten der Zukunft - vorausgesetzt eine energische, möglichst weibliche Person nimmt diese in die Hand…
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Seitenzahl: 29
Veröffentlichungsjahr: 2022
Haus Gogol
Eine Traumgeschichte
von
Martina Schäfer
Mit Fotografien von Regina Kühne
Motto:
Wenn mich der Wirt zum Essen einlädt, kann mich der Kellner nicht daran hindern.
Das Dorf, oder auch dieser kleine seltsame Ort, nicht breiter als eine Kleinstadt in der Ebene aber auch nicht viel grösser als ein zentraler Hauptort eines, sagen wir Schweizer Kantons; dieser Ort lag hell, in irgendwie ockerfarbene Töne getaucht, ockerhellgelbfarben mit einem leichten, rosarötlichen Stich in der Mittagssonne, dem flirrenden Licht eines späten Vormittages, eines frühen und deshalb heissen Nachmittages.
Lag da weit und leer, rosadunkelgelb unaufgeräumt und staubig, so leer wie ein grösseres Dorf nur sein konnte, an dessen einem Ende ein Jahrmarkt Mensch und Tier aufsog und am anderen Ende nun gerade eine kleine Gruppe eben solcher Menschen, die Köpfe suchend hin und her wendend, die stillen, menschenweiten Strassen in ihrem hellen flirrenden Licht betraten, um jenen Gasthof zu finden, in welchem sie vor einigen Tagen von einem ihrer Domestiken aus ihrer Güterverwaltung angemeldet worden waren.
Ihre kleine Reise, dieser Ausflug ins Unbekannte der naheliegenden Orte, war ein voller Erfolg gewesen, ein veritables Vergnügen, ähnlich einer ermüdenden Spekulation und ihre Ladyschaft seufzte nun vernehmlich, tastend die Hand nach hinten zur eifrigen – auch ein wenig ermatteten, aber nicht so sehr wie ihre Ladyschaft – Kammerzofe, die rasch ein frisch parfümiertes Tüchlein in ihro zarte Hand gleiten liess, denn wie gesagt: heiss war die Luft, weit, staubig und leer.
Der gesuchte Gasthof sollte ein Treffpunkt sein, ein Meeting Point, eine Deponie, in welcher man den Oberst, einen älteren und beleibten Herrn, um dessentwillen man diese ganze Exkursion unternommen hatte, platzieren wollte, unterbringen, austauschen, dienstbaren Geistern übergeben, reitenden oder kutschierenden Boten, die ihn dann wohlbehalten wieder bei sich daheim, auf seinem fürstlichen Gute abzuliefern hatten.
Noch wendete die kleine Gruppe weiters die Köpfe suchend hin und her, vor und zurück: Leer die Strassen, verlassen der Ort im silberroten Mittagslicht, schweigende, weite Wände, Häuser ockerfarben mit einem, ach vielleicht sogar zwei Stockwerken über dem Parterre der dunkel verholzten Haustüren, dann und wann einem grösseren Torbogen, Durchgang in unbekannte Innenhöfe oder Ställe dahinter.
Kein Mensch kam die Strasse herab, aber die Kammerzofe führte das Grüpplein forsch aus den gar nicht so schmalen Seitengassen hinaus auf einen breiten Boulevard, auf dem prächtige, selbstsichere Platanen ein wenig Schatten produzierten, denn dort, so ihre lautstarke Vermutung, sei doch wohl am ehesten so etwas wie ein Gasthof zu finden.
Und tatsächlich: Dort drüben, jenseits der trägen, still daliegenden Promenade, hockte er ja! Versteckte sich hinter den schattigen Platanen, einige hochgeklappte und an runde Gartentische gelehnte Stühle um sich raffend, wie eine müde Kokotte ihre rosaroten Petticoats oder eine fette Henne ihre Küken unter ihre Fittiche stupst. Nur, dass Küken gelb leuchten, während Stühle und Tische ein eher dunkelrottrübes Licht verbreiteten, verklebt von herabgefallenen Blättern, gilblichem Blütenstaub.
»Da ist er ja!« rief das Mädchen vergnügt aber erleichtert und machte sich auf, fröhlich über die nicht allzu protzige Prachtstrasse in den begehrten Schatten zu hüpfen, die Vision einer bald zu geniessenden Limonade vor den inneren Augen, kaum zurückgehalten vom vernunftbestimmten »Aber pass auf! Der Verkehr!« des Oberst, denn so wenig sich Menschen in der lichten Ödnis des weitstillen Ortes sehen liessen, so wenig auch Fahrzeuge jedweder Art, egal, ob von Pferden gezogen, von schwitzenden Knechten gestossen oder dampfgetriebenen Keilriemen bewegt.
Letztere, also Dampfmaschinen, waren vermutlich sowieso noch nicht bis in diese stille Gegend vorgerückt.