Haus im Nebel - Alexandra Scherer - E-Book
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Alexandra Scherer

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Beschreibung

Nach einem schweren Unfall sucht Kathy Heilung im Haus der Großmutter. Der Zeitpunkt ihrer Ankunft ist schlecht gewählt: Etwas stimmt nicht an dem Ort. Wenn Nebel aus dem Fluss aufsteigt, sterben Menschen. Weil das Haus der Großmutter am todbringenden Fluss liegt, beschließt Kathy, dem Geheimnis auf den Grund zu gehen, bevor sie selbst zum Opfer wird. Doch die Grenzen zwischen Verbündeten und Gegnern verwischen sich im Nebel ...

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Alexandra Scherer

Haus im Nebel

ein Kathy O'Banion Mystery

inklusive Bonusmaterial

Inhaltsverzeichnis

Impressum

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

26.

27.

28.

29.

30.

31.

32.

33.

34.

35.

36.

37.

38.

39.

40.

41.

42.

43.

44.

45.

46.

47.

48.

49.

50.

51.

52.

53.

54.

55.

Ende

Das Leniversum

Danke

Über die Autorin

Zum Dialekt

Ansonsten

Newsletter

Links:

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Fehlersuche

Kathys nächstes Abenteuer — »Haus im Schnee«

Leseprobe:

Impressum

Haus im Nebel

Kathy O‘Banion Mystery No. 1

Alexandra Scherer

Impressum

Texte: 2020 © Copyright: Alexandra Scherer Umschlag:2020 © Copyright: Alexandra Scherer

Bild: © Steffen Bergs/Wangen Verlag:A. Scherer

Armin-Winkle-Str. 17 89281 [email protected]

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.dnb.de abrufbar.

Die in diesem Buch dargestellten Figuren und Ereignisse sind fiktiv. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder toten realen Personen ist zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt.

Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

1.

Der Rechtsanwalt war ein Mann der alten Schule. Höflich holte er mich im Vorzimmer ab und schüttelte mir die Hand. Nur kurz erblickte ich etwas wie Schreck oder Überraschung in seinem Gesicht. Als Anwalt entwickelte man wohl ein Pokerface. Nun saß er hinter seinem Schreibtisch und blätterte die Unterlagen vor sich durch. Ab und zu suchte er nach ergänzenden Informationen in seinem Computer.

Es tat gut, meine Beine ausstrecken zu können. Unauffällig versuchte ich, meine Schultern zu lockern und rieb mein Handgelenk.

„Soweit scheint alles in Ordnung. Nach dem Unfall hat einer unserer Angestellten regelmäßig nach dem Rechten gesehen. Wie von Ihnen angewiesen, ist in Ihrem Namen der Auftrag für einen neuen Telefonanschluss gestellt worden. Das kann aber noch eine Weile dauern. Die Telekom ist nicht bekannt für ihre Schnelligkeit. Hier die Schlüssel zum Haus." Er schob einen Schlüsselbund über die Tischplatte. „Wir haben auf Veranlassung Ihres Vaters versucht, das Haus zu verkaufen, aber es kam immer im letzten Augenblick zu Komplikationen."

Ich nickte. Ich hatte so eine Ahnung, welcher Art diese Komplikationen gewesen sein könnten. Vater und Großmutter waren nie besonders gut miteinander ausgekommen und nach dem Tod meiner Mutter hatte Dad jeden Kontakt zu Grandma unterbrochen. Das war vor über fünfzehn Jahren.

„Soll ich Sie begleiten?"

Ich schüttelte den Kopf. „Ich denke, das schaffe ich schon. Es ist nicht weit. Trotzdem vielen Dank."

„Nun." Dr. Mühlgruber schien verlegen. „Sollten Sie Hilfe benötigen, rufen Sie an. Wir sind gerne für Sie da, um Ihnen bei der Eingewöhnung zu helfen. Ich freue mich jedenfalls, dass Sie sich entschieden haben, hierher zu ziehen."

Mühsam kam ich hoch, ließ mir in meine Jacke helfen und steckte die Schlüssel ein.

Meine Krücke und ich machten uns auf den Weg zum alten Haus am Flussufer.

Es ist erstaunlich, wie viele unterschiedliche Arten von Kopfsteinpflaster es gibt. Der Weg vor der Anwaltskanzlei hatte flache glatte Steine. Es ging schnell voran.

Dann kam ich zu dem steilen Hügel, der hinunterführte zur Unterstadt. Dieser war mit kleinen Kopfsteinen ausgelegt. Knubbelig und nach oben gewölbt. Der Gummipfropfen meiner Krücke fand nur ungenügend Halt auf den feuchten Steinen. Mein Handgelenk schrie vor Schmerz. Was, wenn ich ausrutschte? Schritt für Schritt schob ich mich über die Granitsteine. Rechter Arm mit der Krücke vor. Einen festen Platz zwischen den Steinen finden. Krücke aufsetzen. Einen Fuß vor. Krücke vorschieben zum nächsten Halt. Weiter.

Schritt für Schritt bewegte ich mich so auf mein Ziel zu. Meine Schulter protestierte. Unten angekommen, hielt ich vor einer Skulptur. Wenn ich den Anschein erweckte, ich bewunderte diese Skulptur mit Esel und Figuren in Biedermeiertracht, käme sicherlich niemand auf die Idee, mich zu bemitleiden. Den Krüppel, der sich mühsam den Weg entlang kämpfte.

Skulptur? Nein. Brunnen.

Die Stadt meiner Mutter war berühmt für diese Kopfsteinpflaster und Brunnen. Ich zweifelte daran, dass es meine Stadt werden würde.

Der Weg von der Anwaltskanzlei zum Haus meiner Großmutter war kurz. Mir kam er unendlich vor.

Jetzt verließ ich den Vorzeige-Bereich der alten Stadt, mit den sauberen renovierten Häusern und befand mich in einem Bereich, der schäbig wirkte.

Nebel kam auf. Er legte sich auf meine Kleidung und meinen Kopf. Auf dem streichholzlangen Flaum, der mein Kopfhaar war, hingen Wassertropfen.

Kurz musste ich an Jack the Ripper denken. Mörder, die in dunklen Gassen lauerten.

Ich blieb vor einer Torwölbung stehen und las konzentriert die Aufschrift auf der dunklen Metallplatte.

Sie war mir aufgefallen, weil dünne Frösche aus dem Relief hervortraten. Die Sprache war schwer verständlich. Der hiesige Dialekt unterschied sich deutlich von dem Deutsch, das ich in der Schule gelernt hatte. Die Zeit, die ich benötigte, den Sinn zu erfassen, gab meinem Körper Gelegenheit, sich zu erholen. Hinter dem kleinen Torbogen, der die dicke Wand der Stadtmauer durchbrach, war der Nebel dichter. Ich richtete mich so gerade wie möglich auf, holte tief Luft und tauchte darin ein.

Die Straße entlang des Flusses war geteert. Hier fühlte ich mich sicherer. Manchmal konnte ich ein Stück weit am Ufer entlang sehen. Rechts die Häuserwand, links das Geländer zum Fluss, der in ungleichmäßige Abständen von Brücken überspannt wurde. Manchmal versank alles in Unkenntlichkeit. Ich schien ganz allein auf der Welt. Ich hörte jemanden ein Lied pfeifen. Mich fror.

Aus dem Nebel schoss eine fauchende Katze hervor. Erschrocken setzte ich die Krücke falsch und rutschte. Ich belastete mein krankes Bein kurz und knickte weg. Sollte dieser kleine Augenblick der Unachtsamkeit die lange Zeit der Heilung zunichtemachen? Ich hatte Angst. Ich zweifelte, dass ich noch einmal die Kraft finden würde, die Schmerzen und die Schwäche zu ertragen. Alles ging so schnell. Die nutzlose Gehhilfe fiel auf den Asphalt, meine Arme schnellten nach vorne. Ich schloss die Augen. Meine Hände trafen auf etwas Hartes, Kaltes. Mein Sturz war gebremst. Durch den verlängerten Rücken einer Skulptur. Schon wieder ein Brunnen: Eine Frau die einem Mann die Haare wusch über einem Waschzuber. Den Sturz hatte die Frau abgefangen. Vorsichtig richtete ich mich auf, hielt mich dabei an der Figur weiter fest. Meine Hände zitterten, genau wie meine Knie. Ich schluckte. Es war niemand auf der Straße, der meinen Beinahe-Fall mitbekommen hätte.

Gut.

Die Katze war verschwunden. Ob es Geisterkatzen gab? Ich bückte mich und sammelte meine Krücke und meine Würde auf. Ich blickte nach vorne: Auf den nächsten fünfzig Metern gab es fast keinen Nebel. Nur leichte Schwaden. Hinter mir und vor mir eine dicke undurchsichtige Suppe. Aber so weit musste ich nicht mehr. Ich konnte mein Ziel schon sehen.

Grandma stand vor dem Haus und suchte etwas im Blumenkasten, der vor dem Fenster hing. Der Kasten sah trist aus. Struppige längst vertrocknete Stengel gaben Zeugnis ab, dass in dieser Erde einmal etwas gewachsen war.

Sie wirkte klein und zerbrechlich. Dünnes graues Haar hing strähnig und ungekämmt herunter. Sie trug ein Baumwollnachthemd und darüber einen verblassten rosa Morgenmantel, ihre Füße in ausgelatschten Pantoffeln.

Langsam bewegte ich mich auf sie zu. Ich wollte sie nicht erschrecken. Je näher ich kam, desto kälter wurde mir. Als ich fast vor ihr stand, hatte sich Gänsehaut auf meinen Armen gebildet.

„Es ist nicht richtig. Der Nebel. Im Nebel kommt er. Warum tut niemand was dagegen?", murmelte sie vor sich hin. Noch hatte sie mich nicht bemerkt. Ich stand eine Weile da und sah ihr zu, wie sie mit immer größerer Unruhe und Verzweiflung in der Stimme zu sich selbst sprach. Schließlich fasste ich mir ein Herz und räusperte mich, um mich bemerkbar zu machen.

Langsam drehte sie sich zu mir um und sah mich aus blassblauen Augen an.

„Hallo Oma, ich bin's. Kathleen."

Sie musterte mich lange. Ihr Blick verharrte auf meinem kurzem Haar, das die Narben nicht ganz verdecken konnte und wanderte dann weiter zu meiner Krücke.

„Kathi. Ich hab lang auf dich gewartet. Kannst du mir helfen?"

„Deshalb bin ich gekommen. Ich werde hier wohnen.“ Einige Spaziergänger tauchten aus dem sich langsam lichtenden Nebel auf und warfen uns erstaunte Blicke zu. Ich wollte den neugierigen Beobachtern entfliehen.

„Ist es dir recht, wenn wir rein gehen? Mir ist kalt und ich möchte mich gerne hinsetzen."

Grandma nickte.

2.

Von der Straße betrat man über einen dunklen Gang die Wohnküche. Als kleines Mädchen hatte ich in diesem Haus viel Zeit verbracht, aber seit dem Tod meiner Mutter waren viele Jahre vergangen. Ich erinnerte mich nicht mehr allzu deutlich an die Aufteilung des Hauses. Großmutter stand neben der Türe und schien darauf zu warten, dass ihr jemand sagte, was sie tun sollte.

Silver und ich hatten darüber beraten, wie sie wohl reagieren würde, wenn ich auftauchte. „Erwarte nicht zu viel“, hatte er mir geraten. „Sie wird verwirrt sein. Es kann eine Weile dauern, bis sie sich daran gewöhnt hat, regelmäßig Umgang mit dir zu haben. Tu einfach so, als würdest du es nicht bemerken. Mit der Zeit taut sie auf." Silver hatte mich während meiner Rekonvaleszenzphase begleitet. Er war mein Mentor und Führer geworden. Wie nicht anders zu erwarten: ein Freund von Holly.

Im Haus war es eiskalt. Es roch ungelüftet und muffig. Die Möbel sahen schäbig aus und die Wände benötigten dringend frische Farbe.

Inzwischen klapperten mir die Zähne vor Kälte.

„Granny, es ist fürchterlich kalt. „Wo ist die Heizung?“

Sie musterte mich und meinte dann: „So mager wie du bist, wundert mich das nicht.“ Sie drehte sich um und

ich folgte ihr durch eine weitere Tür in das Wohnzimmer. Ein alter, durchgesessener Lehnstuhl war strategisch vor einem uralten Fernseher platziert.

Granny blieb mitten im Raum stehen und deutete stumm auf einen Kachelofen.

„Das ist nicht dein Ernst? Ich habe keine Ahnung, wie man so ein Ding an kriegt und wo ist das Feuerholz?“

Großmutter stand inzwischen vor dem Wohnzimmerfenster, das auf einen Innenhof hinausging. Auf der anderen Seite des Hofes, der voller Gerümpel stand, begrenzte eine haushohe Wand meine Sicht. Dort lag Feuerholz fein säuberlich aufgestapelt.

Es kostete mich große Mühe, so viel Material in den Korb im Flur zu schichten, dass es für die nächsten Stunden reichen würde.

Der Kachelofen wurde vom Flur aus beheizt. Vorsichtig ließ ich mich auf dem Boden vor dem Ofen nieder und schichtete kleinere Holzstückchen und Tannenzapfen, die im Korb gelegen hatten, in den Ofen. Dann zündete ich das Ganze mit Streichhölzern an, die sich ebenfalls im Korb befanden. Grandma stand unbeteiligt daneben und betrachtete die kleinen Flammen, die sich durch das Anfeuerholz fraßen.

„Hoffentlich brennt es richtig an.“ Meine Zähne klapperten so stark, dass es mir schwerfiel, die Worte auszusprechen. „Ich mache uns einen Tee. Zum Aufwärmen. Setz dich doch schon mal.“

Ich füllte den elektrischen Wasserkocher, der neben der Spüle in der Küche stand. Während ich darauf wartete, dass das Wasser kochte, riss ich die Fenster im Wohnzimmer und in der Küche auf, um zu lüften. Die hereinströmende Luft wirkte gegenüber der klammen Kälte im Haus warm. Von draußen klangen Straßengeräusche herein. Sirenen? Wahrscheinlich brannte es irgendwo.

Zurück in der Küche brodelte das Wasser.

„Hast du Tee da? Oder Kaffee? Im Hängeschrank?" Ich ging zu dem von ihr bezeichneten Schrank und inspizierte den Inhalt. Viel war es nicht. Ein paar alte Gewürzgläschen. Zwei Teedosen und eine Dose mit angegrauten Kaffeebohnen. Ich entschied mich für Teebeutel. Vielleicht würden sie noch etwas Geschmack enthalten.

Ich stellte vor Grandma, die inzwischen am Küchentisch Platz genommen hatte, einen Becher mit heißer Flüssigkeit ab und machte es mir auf dem Stuhl ihr gegenüber bequem. Sie sah deutlich besser aus. Die fahle Blässe in ihrem Gesicht hatte sich zurückgebildet. Sie schien nun fast rosig. Auch ihre Augen wirkten nicht mehr so eingefallen und leblos. Grandma betrachtete mich genauer.

„Das hat wirklich lange gedauert."

„Es tut mir leid. Aber du kanntest ja Dad." Ein kalter Luftzug wehte durchs Haus, die Fenstergläser zitterten in ihrem Rahmen.

Mühsam humpelte ich zu den Fenstern und schloss sie wieder. Der Ofen gab noch keine Wärme ab.

„Er war ein Dickkopf. Er gab mir die Schuld für den Tod deiner Mutter. Er hat mich und das was ich gemacht habe immer abgelehnt. Nach dem Tod deiner Mutter ist er mit dir nach Amerika. Er hat nie auf meine Briefe reagiert.“ Granny schüttelte den Kopf. „Wenn nicht diese Holly gewesen wäre, hätte ich von dir nie wieder gehört. Sie hat mir ab und zu Fotos von dir geschickt und mich auf dem Laufenden gehalten."

Ich nickte. „Holly hat ihm ganz schön den Kopf gewaschen, weil er mir den Kontakt mit dir verwehrt hat.“ Holly und ich hatten nach Dads Tod und nachdem ich aus dem Koma erwacht war, lange Gespräche geführt. „Aber das kann warten. Erzähl mal lieber, wie kann ich dir helfen?“

„Du musst noch einkaufen“, war Grannys Antwort.

Sie hatte recht. Morgen war ein Feiertag. Hier im Haus fehlte das Notwendigste. Aber der Gedanke, mich noch einmal durch die Altstadt kämpfen zu müssen und dann den Einkauf hierher zu bekommen, hatte nichts Erfreuliches an sich.

„Drüben auf der anderen Seite des Flusses gibt es ein Einkaufszentrum“, fuhr meine Großmutter fort. „Ich habe mir immer ein Taxi kommen lassen, um die Sachen zum Haus zu bringen. Beim Telefon findest du die Karte von meinem Stammfahrer. Tragen ist in meinem Alter nicht einfach und Autofahren tu ich schon lang nicht mehr. Wenn du einkaufen gehst, kannst du dann was fürs Grab besorgen? Ich habe es nicht mehr geschafft und morgen ist Allerheiligen."

Ich nickte. Die Frage, warum genau sie mich kontaktiert hatte, würde sie mir heute wohl nicht mehr beantworten. Also suchte ich nach einem Stück Papier und machte zusammen mit meiner Großmutter eine Einkaufsliste. Die Idee mit dem Taxi fand ich gut, wenn auch extravagant. Luftlinie waren es zum Shoppingcenter nur knappe fünfhundert Meter. Aber die Strecke würde ich heute wirklich nicht mehr zu Fuß bewältigen.

„Gut, dann geh ich besser gleich. Wenn ich zurück bin, reden wir darüber wie ich dir helfen kann.“

Die alte Frau nickte und verschwand ohne ein weiteres Wort.

3.

Nachdem ich das Taxi bestellt hatte, stand ich eine Weile vor der steilen Treppe im Gang. Grandma hinter mir, während ich auf einen dunklen Fleck auf dem Dielenboden starrte. „Hier ist es also passiert“, sprach ich laut meine Gedanken aus. „Kannst du dich noch an den Unfall erinnern?“ Wie erwartet bekam ich keine Antwort. Die Gänsehaut auf meinen Armen wurde schlimmer. „Mensch Oma, es ist echt verdammt zugig hier drin.“ Ich wusste, dass ich vorwurfsvoll klang, aber wenn ich an einer Lungenentzündung erkrankte, konnte ich ihr nicht helfen. Schweigend drehte Granny sich um und verschwand in die Küche. Nachdem sie sich zurückgezogen hatte, legte ich noch Holz nach, in der Hoffnung, dass das Haus sich aufwärmte, bis ich vom Einkaufen zurück wäre. Gerne hätte ich oben die Räume inspiziert, aber das musste warten. Bis das Taxi kam, schleppte ich noch mehr Holz von draußen herein. „Entschuldigen Sie die Verspätung, aber vorne ist die Hauptstraße gesperrt und ich musste einen Umweg fahren“, erklärte der Taxifahrer wenig später, als er mir in den Wagen half. Mehr aus Höflichkeit, denn aus Interesse fragte ich: „Ist was passiert?“ „Wie es scheint, ist jemand in den Fluss gefallen.“ Ich blickte zum Flussbett hinüber, in dem das Hochwasser dahin schoss. Kurz glaubte ich, eine Person verzweifelt mit den Fluten kämpfen zu sehen, bevor sie unterging. Ich schauderte. Der Taxifahrer betrachtete mich besorgt im Rückspiegel. „Alles in Ordnung? Sie sehen aus, als hätten Sie einen Geist gesehen.“ „Es geht schon. Mir ist nur sehr kalt.“ „Ich drehe die Heizung auf. Wo darf ich Sie hinfahren?“ „Zuerst bitte zum Bahnhof. Ich habe mein Gepäck dort gelassen. Dann in ein Einkaufszentrum. Würden Sie dort auf mich warten? Ich muss Einiges besorgen.“ Mir war klar, dass dies teuer werden würde, aber was blieb mir anderes übrig? Der Fahrer drehte sich im Sitz um und blickte mich an. „Darf ich fragen, ob Sie mit der alten Frau Grabherr verwandt sind?“ „Ich bin ihre Enkelin und werde eine Weile bleiben.“ „Das freut mich. Ich hätte da sozusagen als alter Freund der Familie einen Vorschlag: In einer Stunde ist meine Schicht zu Ende. Ich fahre Sie jetzt zum E-Center. Wenn Sie fertig sind, rufen Sie mich an und ich hole Sie ab und bringe Sie und Ihre Einkäufe heim. Dann kann ich noch ein paar Fuhren dazwischen packen. Wenn es für Sie in Ordnung ist, hol ich auch einfach die Koffer ab. Das kommt Sie billiger, als wenn ich die ganze Zeit auf Sie warte und der Taxameter läuft.“ Froh stimmte ich zu. „Ich heiße übrigens Mike“, stellte er sich vor, als er mir aus dem Auto half und drückte mir eine Visitenkarte in die Hand. „Hier meine Visitenkarte. Einfach anrufen, ich komm dann.“ „Kathleen“, sagte ich. „… und danke.“ „Passt scho!“

Wie sagt Holly immer? „Ein bisschen Vertrauen muss man schon haben.“ Mike, mit dem ich inzwischen per Du war. - „Wir sind altersmäßig nicht soweit auseinander und deine Oma hat mir immer sehr geholfen.“ - fuhr mich knapp zwei Stunden später nach Hause. Diesmal ging es über die Steinbrücke, die ich noch aus Kindertagen als Isnyer-Brücke kannte. „Wie es scheint, haben Sie die Person gefunden“, bemerkte Mike. Er musste langsam fahren, denn die Straße war hier nur einspurig freigegeben und die Polizei regelte den Verkehr. Am Straßenrand stand ein Leichenwagen. Mir fiel eine ältere Frau auf, die neben einem Mann in dunklem Anzug stand und heftig auf ihn einredete. Ich nahm an, es handelte sich um den Fahrer des Leichenwagens. Besonders freundlich war er nicht, denn er ignorierte die Frau in ihrem schäbigen Aufzug komplett. „Nicht sehr nett“, bemerkte ich und deutete mit dem Kopf auf die Szene. Ich saß auf dem Beifahrersitz, da sowohl Kofferraum als auch Rückbank des Taxis mit meinem Gepäck und Einkäufen vollgepackt waren. „Na ja. Ist ja nicht unbedingt ein Beruf, der Freude macht“, meinte Mike und lenkte den Wagen in die Altstadt, um kurz darauf vor meinem Haus zu halten. „Ich helfe dir noch beim Reintragen“, bot er an. „Ich denke, so wie du aussiehst, bist du ziemlich fertig.“ „Danke für das Kompliment“, meinte ich mit einem schiefen Grinsen. „Aber du hast recht. Ich bin ziemlich fertig. Der Flug, die Bahnfahrt und das Alles. Trotzdem … darf ich dich und deine Freundin zum Essen einladen? So in ein paar Tagen, wenn ich etwas besser eingerichtet bin?“ „Da haben wir ein Problem.“ Mike sah ernst auf mich herunter. „Welches?“, fragte ich mit einem sinkenden Gefühl im Magen. Wahrscheinlich war er durch mein Aussehen und den desolaten Zustand meines Heimes abgeschreckt und wollte möglichst schnell Land gewinnen, um nichts mehr mit mir zu tun zu haben. „Ich habe keine Freundin. Darf ich auch ohne kommen?“ Ich grinste ihn an. „Gerne.“ „Gut, dann melde dich, wenn du soweit bist. Meine Nummer hast du ja. Und pass auf dich auf. Geh nicht raus, wenn es nebelig ist. Nicht, dass dir noch was passiert.“

4.

Einige Stunden später lag ich in der Badewanne und ließ die Wärme des Badewassers in meine verkrampften Muskeln eindringen.

Wie erwartet, hatte ich an diesem Tag von meiner Großmutter nichts mehr gesehen. Ich war froh, dass sie mich erkannt hatte. Es wäre schwierig geworden, wenn sie sich geweigert hätte, mich ins Haus zu lassen. Silver hatte zwar gemeint: „Mach dir keine Sorgen. Deine Grandma hat dich um Hilfe gebeten. Also wird sie dich auch erkennen.“ Ich war mir da nicht so sicher gewesen, schließlich kannte sie mich nur als süßes kleines Mädchen mit langen Zöpfen und einer Vorliebe für Rosa. Die Zöpfe gehörten schon lange der Vergangenheit an und Rosa stand mir überhaupt nicht.

Viele Dinge hatten sich verändert, dachte ich, während ich in der Wanne lag. Nicht nur ich. Diese Kleinstadt war so ganz anders, als die Städte in den Staaten.

Das Einkaufszentrum konnte es zwar nicht mit den Shoppingmalls in Kalifornien aufnehmen, aber ich fand alles, was ich benötigte. Auch für morgen. Ich ließ noch etwas heißes Wasser ein. Als ich die Badewanne gesehen hatte, flippte ich vor Freude fast aus. Mit meinem angeschlagenen Bein wäre ich schwerlich in die Wanne und wahrscheinlich gar nicht ohne fremde Hilfe wieder heraus gekommen. Aber meine Grandma hatte ein höchst modernes Badezimmer installieren lassen. Eine große Eckbadewanne mit Tür. Dies ermöglichte den bequemen Ein- und Ausstieg und für mich den Luxus eines langen und ausgedehnten Vollbades.

Um mein Glück vollständig zu machen, gab es einen elektrischen Durchlauferhitzer für heißes Wasser und eine elektrische Heizung.

Ich genoss es, mir eine kreisförmige Massage mit dem seifigen Waschlappen zu geben. Vor einigen Monaten hatte ich nicht einmal ohne fremde Hilfe auf die Toilette gekonnt. Nun wusch ich mich selbstständig und zog mich selbst an. Diese Unabhängigkeit wusste ich durchaus zu schätzen.

Holly hatte mich nie spüren lassen, dass ich eine Belastung war, aber trotzdem … Schließlich hatte ich keinerlei verwandtschaftliche Ansprüche auf sie.

„Kathy, dear. Ich habe deinen Vater geliebt, trotz oder vielleicht wegen seiner Fehler. Du bist ein Teil von ihm und nur, weil er jetzt nicht mehr da ist, heißt das nicht, dass du mir plötzlich gleichgültig bist."

Sie war es auch gewesen, die mich mit Silver bekannt gemacht hatte. Ohne die Zwei wäre ich jetzt nicht hier.

Das Wasser kühlte aus. Es war Zeit, ins Bett zu gehen. Seufzend ließ ich das Wasser ab, trocknete mich und humpelte in mein Schlafzimmer. Es war der Raum, in dem meine Mutter und ich immer wohnten, wenn wir Oma besuchten. Ich hatte mir frische Kopfkissen und Bettdecken sowie Bettwäsche im Einkaufszentrum gekauft. Die Matratze würde noch eine Weile halten müssen. Bis ich mir überlegt hatte, wie ich meine Zukunft gestalten wollte.

Bald lag ich gut zugedeckt und entspannt da und der Tag passierte noch einmal Revue. Die Ankunft am Flughafen bis hin zur Herfahrt, dem Treffen mit dem Anwalt und hier im Haus die Begegnung mit meiner Großmutter. Ich lächelte. Ob ihr morgen auffallen würde, dass ich den Blumenkasten neu bepflanzt hatte? Dort brannten einsam aber stetig ein paar Kerzen, in Gedenken an meine Toten. Die Seelenlichter schickten ihren rötlichen Schein durch die Nacht.

5.

Am späten Morgen erschien meine Großmutter in der Wohnküche. Dort saß ich im verhältnismäßig warmen Raum, neben mir eine dampfende Tasse Kaffee, deren Geruch das gesamte Haus zu durchdringen schien. Der Kachelofen hatte über Nacht seine Aufgabe zumindest teilweise erfüllt.

„Hallo Granny. Schön, dass du da bist. Möchtest du einen Kaffee?", fragte ich leicht abgelenkt durch mein Cellphone, das Probleme hatte, ein Netz aufrecht zu halten. Die Mauern des Hauses waren zu dick.

Großmutter trug heute ein schwarzes Wollkostüm, über ihrem Arm den dazu passenden Mantel. Ihr dünnes Haar war ordentlich frisiert und zu einem Dutt aufgesteckt. Als sie im Raum erschien, begleitete sie eine frische Brise. Sie schüttelte den Kopf. „Es wird Zeit, zum Grab zu gehen. Trödel nicht so. Komm! Hast du die Blumen und die Kerzen besorgt?"

Ich nahm einen Schluck Kaffee, um mich zu wärmen. „Ja. Aber ich kann nicht so weit gehen.“ Ich deutete auf meine Krücke, die neben mir am Tisch lehnte. „Wir müssen ein Taxi nehmen.“

„Dann ruf doch den Mike an“, meinte Großmutter.

„Mein Handy hat keinen Empfang. Hast du kein WLAN?“

„Wozu? Ich benötige so etwas nicht.“

Nachdenklich betrachtete ich meine Oma. „Stimmt. DU kommst ohne aus.“ Ich rappelte mich hoch, griff nach meiner Krücke und humpelte nach draußen auf den Gang, wo das Telefon stand. Es hatte noch eine Wählscheibe.

Wenig später stand ich mit meiner Großmutter draußen und wartete auf Mike. Ich überquerte die Straße, um einen Blick in den Fluss zu werfen, der gestern noch wild dahin geschossen war und einer armen Seele den Tod gebracht hatte.

Wen hatte man da gestern aus dem Wasser gefischt? Wie war die Person ins Wasser gelangt? War sie gesprungen? Ausgerutscht? Aber wo? Die Brücken, die über den Fluss führten, waren durch Geländer gesichert. Wie ich von meinem mühsamen Weg gestern durch den Nebel noch wusste und auch jetzt sehen konnte, war am Ufer des Flusses ein Geländer angebracht, welches verhinderte, dass jemand aus Versehen ins Wasser stürzen konnte. Versonnen blickte ich die Straße entlang, die auf der einen Seite von der alten Stadtmauer und von der anderen Seite vom Flussbett begrenzt wurde. Heute am ersten Tag im November waren viele Spaziergänger unterwegs, denn es war ein sonniger, wenn auch kühler Tag. Die Frau, die ich gestern bemerkt hatte, als sie auf den Fahrer am Leichenwagen eingeredet hatte, fiel mir auf. Langsam schlurfte sie mir auf der Straße entgegen und zog hinter sich eine dieser Einkaufstaschen auf Rädern her, wie sie Rentner oft benutzten. Sie blickte nicht links und nicht rechts und beachtete weder das sonnige Wetter, noch die Spaziergänger. Allerdings kümmerten sich die Passanten auch nicht weiter um sie. Ich überlegte, ob ich sie ansprechen sollte, war aber kurz abgelenkt, weil Grandma sich wunderte, wo das Taxi blieb. Als ich wieder hinguckte, war die Frau verschwunden.

„So sieht man sich wieder“, begrüßte mich Mike, als ich hinten auf der Rückbank Platz nahm.

„Schneller als gedacht“, stimmte ich zu.

„Mike ist nett, du solltest ihn mal zum Essen einladen“, bemerkte meine Großmutter, die neben mir saß. Ich blickte sie empört an.

„Es ist kalt geworden“, meinte Mike. „Ich drehe mal die Heizung hoch.“

Heute an Allerheiligen waren viele Menschen auf dem Friedhof unterwegs. Es war einer dieser goldenen letzten Herbsttage, bevor alles in Nebel und Depression versinken würde.

Großmutter sprach nicht, während wir über den Friedhof gingen. Mike hatte uns mit dem Taxi so nah wie möglich gefahren, trotzdem strengte mich der Weg an.

Mutter lag im Familiengrab auf dem alten Teil des Friedhofes. Ich kannte ihr Grab nicht. Ich war damals erst fünf gewesen. Nach ihrer Beerdigung war Dad mit mir sofort abgereist. Heute war das erste Mal, dass ich bewusst den Friedhof betrat. Ich hatte mir eine Stofftasche umgehängt, in der ich die Blumen und die Kerzen für das Grab meiner Mutter verstaut hatte. Der Stoffbeutel schlug in gleichmäßigem Takt gegen meine Hüfte, als ich mich durch den Gottesacker bewegte. Die Wege waren mit Kies bestreut. Der Schotter fühlte sich unter meinen Schuhsohlen seltsam an und knirschte laut bei jedem Schritt, den ich machte.

Ich ließ mir Zeit. Die hohen Laubbäume hatten schon einen Großteil ihrer Blätter verloren. Die Eiben und einige riesige Tannen und Föhren stachen heraus. Die Gräberreihen glichen kleinen geschmückten Blumenbeeten, liebevoll gepflegt und für diesen Feiertag speziell hergerichtet. Überall standen Kerzen in roten oder weißen Gläsern. Das ewige Licht, das den Seelen leuchtete. Auf dem alten Teil des Friedhofes gab es aber auch einige Gräber, die ungepflegt und vernachlässigt wirkten. Dazu gehörte das Familiengrab, in dem Mutter lag.

Granny stand vor dem Grab und starrte mit einem wütenden Ausdruck auf die Stätte. Keine Blumen. Nur immergrüne Bodendecker. Eine Reihe von Namen stand auf dem Grabstein. Der erste Name war mein Ururgroßvater, der an den Spätfolgen seiner Verletzungen im Ersten Weltkrieg gestorben war. Senfgas.

„Ich kann mich nicht mehr um das Grab kümmern. Was werden die Leute wohl denken? So ganz ohne Schmuck."

„Dafür bin ich ja jetzt da“, beruhigte ich sie. „Schau. Erika und Chrysanthemen und Kerzen. In Nullkommanichts haben wir das Grab schön."

Mühevoll kniete ich mich hin und fand zwischen den Ranken des Bodendeckers Platz für die Blumen, die ich aus meiner Stofftasche zauberte. Danach zündete ich einige Seelenlichter an.

Eine Weile standen wir Schulter an Schulter vor dem Grab.

„Deine Mutter war krank. Das hat sie deinem Vater nicht erzählt.“ Die Stimme von Granny klang brüchig. „Er war nicht gut mit Krankheiten.“

Ich wusste, was sie meinte. Wenn ich als Kind einen Schnupfen hatte, wollte Dad sofort den Notarzt alarmieren.

Oma erzählte weiter: „Weil er häufig für seine Firma unterwegs war, hat das auch geklappt. Offiziell kam sie mit dir, um mich zu besuchen, aber sie ging dann immer zur Behandlung. Nach der letzten Behandlung ist sie im Nebel über eine Brücke gegangen und muss ausgerutscht sein. Irgendwie ist sie in den Fluss gefallen und ertrunken. Dein Vater gab mir die Schuld."

„Dad war in vielen Dingen ein Sturkopf.“ Kurz dachte ich an mein letztes Gespräch mit ihm. Aber das war jetzt nicht das Thema.

„Gran, warum wolltest du, dass ich komme?“, fragte ich meine Großmutter.

Oma schwieg. Vielleicht hätte ich nicht so direkt sein sollen. Aber hier am Familiengrab, hatte ich mir gedacht, wäre sozusagen ein guter Ausgangspunkt.

„Das ist kompliziert“, meinte sie schließlich.

Ich stellte die für mich offensichtliche Frage: „Hat es mit deinem Unfall zu tun?“

„Unfall? Es war kein Unfall.“ Meine Oma sah mich wütend an. „Für wie tatterig hältst du mich eigentlich?“

„Nun, der Bericht, den wir bekommen haben, ging von einem Kreislaufproblem aus und die Treppe ist sehr steil.“ Ich verzog das Gesicht, als ich daran dachte, wie schwierig es für mich war, in den ersten Stock zu kommen und wie viel schwieriger, wieder herunter. Ich hatte mich schließlich auf den Hosenboden gesetzt und war langsam Stufe für Stufe nach unten gerutscht.

„Das hat er gut hingekriegt.“ Oma klang wütend. „Dumme alte Frau, leicht verwirrt und fällt die Treppe runter.“

„Wer?“, fragte ich.

„Deshalb bist du da. Du musst es herausfinden, denn ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern.“

6.

„Da verlangst du eine Menge.“ Ich blies die Backen auf. „Das ist schon eine Weile her.“

„Hab dich nicht so.“ Oma ließ meinen Einwand nicht gelten. „Du bist jung und clever. Lass dir was einfallen.“ Sie wandte sich um und ging den Weg zwischen den Gräbern entlang Richtung Ausgang.

Nachdenklich folgte ich ihr. Der Friedhof war angelegt wie ein großer Park. In der Sonne ähnelte das Ganze einem großen Familientreffen. Was fehlte, war das Picknick und Frisbee spielende Kinder.

„Das sind ja echt tolle Narben, woher hast du die denn?“ Plötzlich lief eine junge Frau neben mir her.

„Du siehst auch nicht besser aus“, schlüpfte mir heraus.

„Ehrlich auch noch. Super. Ich bin Hanna und du?“ Hanna ging langsam neben mir her und grinste mich freundlich an. Sie war sehr mager. In der schwarzen Röhrenjeans und der dazu passenden schwarzen Jacke, wirkte sie noch dünner. Piercings an Nase und Lippen bildeten helle Akzente.

„Kathleen“, antwortete ich, ohne meinen Weg zu unterbrechen.

„Klingt Englisch.“ Hanna hüpfte um mich herum. Mir fiel auf, dass sie rote Turnschuhe trug.

„Coole Schuhe“, meinte ich.

Hanna blieb kurz stehen und hob einen Fuß an, um ihre Sneaker zu betrachten. „Danke. Waren auch nicht ganz billig. Aber ich wollte sie unbedingt haben. Schließlich hab ich sie geschenkt bekommen.“

„Das klingt ja nett.“

„Ja, und das, obwohl ich mal wieder Scheiß gebaut hab. Aber ich hab die Kurve gekriegt. Kathleen, sag, woher hast du diese coolen Narben?“

Ich hatte nicht vor, Hanna hier auf dem Friedhof meine Lebensgeschichte zu erzählen, deshalb antwortete ich ausweichend: „Ist ne lange Geschichte und was ist mit dir? Bist du krank?“

„Weil ich so mager bin? Nicht mehr. Ich muss jetzt weiter. Man sieht sich.“

Hanna verschwand in Richtung Kapelle, während ich weiter Richtung Ausgang strebte, wo Grandma auf mich wartete. Die Unterhaltung mit der jungen Punkerin hatte mich auf eine Idee gebracht.

„Oma, wie heißt dein Hausarzt?“

„Was willst du denn vom jungen Doktor Hammel?“

„Nur so eine Idee. Außerdem brauche ich wohl auch einen Arzt, solange ich hier bin. Schau, da vorne wartet unser Taxi.“

„Ich find den Mike nett.“ Oma strahlte. „Der hat mich oft gefahren. Sehr höflich und zuvorkommend. Ein Student und trotzdem ein ganz guter Handwerker. Aus dem wird mal was.“

„Oma!“, flüsterte ich indigniert. Ich merkte, wie meine Wangen ganz warm wurden.

„Ich mein’ doch nur“, grummelte meine Großmutter, während sie vor mir auf den Rücksitz rutschte.

Mike sah mich komisch an. „Alles in Ordnung? Du bist so rot im Gesicht.“

„Der Besuch hier am Grab hat mich mehr angestrengt, als ich dachte“, redete ich mich heraus.

„So ein Grabbesuch kann einen ganz schön mitnehmen“, meinte Mike, als er das Auto startete.

„Hast du auch Familie auf dem Friedhof?“, versuchte ich mich linkisch an Konversation.

„Bleibt wohl nicht aus. Schließlich wohnt meine Familie hier schon seit ein paar Generationen. Aber meine Großeltern sind schon ewig tot und meine Eltern leben noch. Außerdem hab ich nicht so den Bezug zu.“

„Zu was genau?“, fragte ich neugierig.

„Na, diese Seelensache. Gedenken an die Toten. Grabpflege. Gedenktage… So Zeugs halt.“

„Glaubst du nicht an ein Leben nach dem Tod?“

Ich sah, wie Mikes Schultern sich kurz hoben und senkten. „Kann ich nicht sagen. Werd ich erst wissen, wenn ich selber tot bin. Ist schließlich noch nie jemand zurückgekommen, um davon zu berichten.“ Seine Stimme klang hart, als er fortfuhr. „Deshalb halt ich es mit: Lass die Toten sich um ihre Toten kümmern. Ich hab genug Probleme mit den Lebenden.“

7.

---ENDE DER LESEPROBE---