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Kaum hat sich Magdalena Sonnbichler – von ihren Freunden liebevoll Leni genannt – vom Angriff des Zettelmörders ("Eiskalter Tod – Ein Fall für Magdalena Sonnbichler") erholt, stolpert sie schon ins nächste Galama: Als sich ein schwerer Unfall auf eisglatter Straße ereignet, ist Leni als Erste am Unfallort und rettet mehreren jungen Frauen das Leben. Für den Fahrer kommt jede Hilfe zu spät. Kurz darauf verschwinden die Überlebenden spurlos aus dem Krankenhaus – die Polizei steht vor einem Rätsel. Kommissar Wagner, Lenis ewiger Gegenspieler, verdächtigt sie, selbst in die Sache verstrickt zu sein. Dabei wollte Leni eigentlich nur eine Freundin besuchen, die gerade entbunden hat. Wenig später wird sie Zeugin eines Streits zwischen einem skrupellosen, zwielichtigen Unternehmer und einem Landwirt. Es geht um Geld, Macht – und die Errichtung eines umstrittenen Solarparks, notfalls mit politischen Tricks und schmutzigen Methoden. Der Unternehmer und seine Frau betreiben außerdem einen dubiosen Au-Pair-Service, der ihnen die nötigen Druckmittel liefert, um ihre Interessen durchzusetzen. Als der Unternehmer ermordet aufgefunden wird, stellen sich viele Fragen: Wer hatte ein Motiv? Und was steckt hinter dem Verschwinden der jungen Frauen? Leni ermittelt – unterstützt von ihrem Lebensgefährten und ihren engsten Freunden – gemeinsam mit Kriminalhauptkommissar Maier. Eine Mischung aus alten Sünden, neuen Intrigen und gut gehüteten Geheimnissen kocht hoch. Auch privat steht Leni unter Strom: Die hochschwangere Tochter ihres Partners steckt mitten in den Hochzeitsvorbereitungen – und entwickelt sich zusehends zur Brautzilla. Deren exzentrische Mutter mischt sich ungefragt in jedes Detail ein. Leni befürchtet, dass das Baby noch vor dem Ja-Wort kommt. Und als wäre das nicht genug, leidet ihre Freundin, die frischgebackene Mutter, unter einer postnatalen Depression, die durch ungefragte Ratschläge und ständige Einmischung nur noch schlimmer wird. Ein neuer, fesselnder Fall für Magdalena "Leni" Sonnbichler – zwischen Landidylle, Allgäuer Brauchtum, Korruption und eisigen Geheimnissen. Voller Spannung, Humor und Herz – mit einem Augenzwinkern erzählt und regional verankert.
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Seitenzahl: 520
Veröffentlichungsjahr: 2025
Impressum neobooks
Über die Autorin
Alexandra Scherer ist geboren und aufgewachsen in Wangen im Allgäu. Deshalb sind ihre Texte oft stark von diesem Kulturkreis geprägt.
Die Jahre 1985 bis 1997 verbrachte sie auf einer Insel im Pazifik. Dort verschlief sie die deutsche Wiedervereinigung und das Besserwessi – Jammerossi- Geplänkel. Ihre Schreibkarriere begann 2015 als Herausgeberin der Anthologie „Grenzenlos – Geschichten und Gedichte“.
Seitdem veröffentlichte sie zahlreiche Kurzgeschichten und Romane, mit „Tod im Hexenwasser“ auch den ersten Roman mit Leni Sonnbichler.
Weitere Informationen zur Autorin und ihren Werken auf ihrer Website.
www.Alexandrascherer(.)de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.dnb.de abrufbar.
Disclaimer:
Die in diesem Buch dargestellten Figuren und Ereignisse sind fiktiv. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder toten realen Personen ist zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt.
Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.
Achtung!
Die in diesem Buch dargestellten Szenen des »Kuhflüsterns« sind reine Erfindung meinerseits.
Kühe sind zwar normalerweise friedliche Wesen, aber es ist keinerseits ratsam, sich den Tieren, einfach so zu nähern. Also auf gar keine Fälle nachmachen!
Ein Allgäu - Krimi
1. Auflage. Auflage, veröffentlicht 2025.
© Alexandra Scherer – alle Rechte vorbehalten.
Cover: Jedwill Photoart
Alexandra Scherer
Armin-Winkle-Str. 17
89281 Altenstadt/Iller
Wiesenschänder – Ein Fall für Magdalena Sonnbichler
Ein Allgäu-Krimi von Alexandra Scherer – Band 3
Kaum hat sich Magdalena Sonnbichler – von ihren Freunden Leni genannt – vom Angriff des Zettelmörders (Band 2: Eiskalter Tod) erholt, stolpert sie ins nächste Galama:
Ein schwerer Autounfall im winterlichen Allgäu.
Leni ist als Erste am Unfallort und rettet mehreren jungen Frauen das Leben. Für den Fahrer jedoch kommt jede Hilfe zu spät. Kurz darauf verschwinden die Überlebenden spurlos aus dem Krankenhaus – die Polizei steht vor einem Rätsel. Kriminalkommissar Manfred Wagner, Lenis ewiger Gegenspieler, verdächtigt ausgerechnet sie, ihre Finger im Spiel zu haben.
Dabei wollte Leni eigentlich nur ihre Freundin Käthe Huber besuchen, die dort gerade ihr Kind zur Welt gebracht hat.
Ungewollt wird sie Zeugin eines Streits zwischen dem dubiosen Geschäftsmann Wolfgang Sedlmaier und dem jungen Landwirt Sebastian Witzmann. Wolfgang will auf Sebastians Grund einen Solarpark errichten – notfalls mit Druck, Lügen und politischen Schachzügen. Seine Frau Ludmilla betreibt einen zweifelhaften Au-Pair-Service und versorgt ihren Mann mit brisanten Informationen, die er skrupellos zu seinem Vorteil nutzt.
Mehr und mehr deutet alles darauf hin, dass die Sedlmaiers in das Verschwinden der jungen Frauen verwickelt sein könnten.
Dann wird Wolfgang ermordet aufgefunden – und bald bleibt er nicht das einzige Opfer.
Wer hatte ein Motiv? Hängt der Mord mit seiner Vergangenheit zusammen – oder mit seinen Machenschaften in der Gegenwart?
Leni ermittelt – wie immer tatkräftig unterstützt von ihrem Partner Schorsch und ihrem Freundeskreis – gemeinsam mit Kriminalhauptkommissar Johannes Maier. Sehr zum Missfallen von Kommissar Wagner, zur Freude seiner Kollegin Christine Grabherr.
Auch privat hat Leni alle Hände voll zu tun: Käthe, inzwischen aus dem Krankenhaus entlassen, leidet unter einer postnatalen Depression. Ungefragte Ratschläge und ständige Einmischung machen alles nur schlimmer.
Esme, Schorschs temperamentvolle und schwangere Tochter, steckt mitten in den Hochzeitsvorbereitungen. Ihre Mutter Karin mischt sich in jedes Detail ein, Esme selbst mutiert zur Brautzilla – und Leni fürchtet, dass das Baby noch vor dem Ja-Wort kommt.
Leni versucht, das drohende Hochzeitschaos noch irgendwie zu retten – was fast mehr Nerven kostet als jeder Mordfall.
Zu allem Überfluss hält Karin ausgerechnet Ludmilla Sedlmaier für eine »bemerkenswerte Persönlichkeit«, mit der man »unbedingt in Kontakt bleiben sollte«.
Esme, die Ludmilla schon vor Jahren durchschaut hat, kann darüber nur noch die Augen verdrehen.
Wie schon in den Vorgängerbänden gelingt es Alexandra Scherer, einen Krimi zu erzählen, der weit mehr ist als Regionalkolorit und Spannung: Sie zeichnet ein stimmungs- wie
charakterstarkes Bild des Allgäuer Lebens – mit kauzigen Originalen, dörflichem Zusammenhalt, alten Bräuchen und bitterem Ernst hinter ländlicher Kulisse.
»Ich hatte einen netten Regionalkrimi erwartet – und wurde überaus angenehm überrascht«, schreibt eine Leserin.
»Frau Scherers Allgäu-Krimi war ein großes Vergnügen – das schafft Belletristik heute nur noch selten.«
»Frau Scherer wandelt nicht auf Rosamundes Spuren – sie versteht es, mit Augenzwinkern, Gespür für Sprache und dem ruhigen Atem des Gebirgsmenschen ihre Geschichten zu entwickeln. Und sie hat tatsächlich etwas zu erzählen.«
Ein neuer, fesselnder Fall für Magdalena »Leni« Sonnbichler – zwischen Landidylle, Korruption, alten Bräuchen und Geheimnissen.
Alexandra Scherer
Armin-Winkle-Str. 17
89281 Altenstadt/Iller
1. Schmotziger Freitag
»Eines der besten Mittel gegen das Altwerden ist das Dösen am Steuer eines fahrenden Autos.« Juan Manuel Fangio
Magdalena Sonnbichler schielte besorgt zu ihrer Beifahrerin, während sie die Landstraße im Auge behielt.
—Wenn bei der Käthe jetzt Wehen einsetzen, dann bist du angeschmiert—, meldete sich ihre innere Stimme spöttisch. —In deiner Ausbildung zur Heilpraktikerin wurde nichts über Geburten unterrichtet. Das war eine Schnapsidee, mit ihr in dem Zustand nach Waldsee zu fahren.—
»Danke dir noch einmal, dass du so prompt eingesprungen bist.« Käthe Huber ahnte nichts von Lenis inneren Ängsten. »Es ist echt doof, dass Jadwiga so kurzfristig zurückmusste. Allein trau ich mich nicht mehr zu fahren und Kilian hat mit dem Hof und der Fasnet genug an der Backe. Aber ich wollte das Kinderbettchen unbedingt vor der Niederkunft und die in Waldsee waren die Einzigen, die es vorrätig haben.«
Leni fiel auf, dass Käthe ihre Rs wieder einmal stärker rollte, als sonst.
Ich hab das Gefühl, wenn sie sich aufregt oder ihr etwas besonders wichtig ist, dann kommt der norddeutsche Zungenschlag deutlicher raus.
»Passt scho«, antwortete sie. »Schad. Die Jadwiga war nett. Ich hab sie ja die vier Monate, die sie da war, nicht so oft gesehen, aber sie hat schon dazugehört.«
»Ich vermisse sie und nicht nur als Arbeitskraft. Sie ist mir eine echte Freundin geworden.« Käthe seufzte und strich sich über den kugelrunden Bauch. »Aber da kann man halt nichts machen.«
Leni wusste, die Frage konnte nach hinten losgehen, weil die Jungbäuerin manchmal gereizt reagierte, wenn sie ihre Arbeitsfähigkeit angegriffen fühlte, aber sie wagte es trotzdem: »Und habt ihr jemand Neuen in Aussicht?«
»Wie man’s nimmt«, antwortete Käthe, ohne zu explodieren. »Meine Eltern haben damals, als ich schwanger wurde, gesagt, sie zahlen ein Kindermädchen für die ersten sechs Monate. Die soll am Wochenende kommen. Aber für den Hof bräuchten wir zusätzlich jemanden. Es war geplant, dass die zwei Au-pairs sich gegenseitig abwechseln, mit der Hausarbeit, dem Hof und den Ferienwohnungen. Meine Schwiegermutter ist nicht mehr die Jüngste, und ganz ehrlich frag ich mich manchmal, wie der Josef Weber noch so viel Arbeit schafft.«
—Der alte Sepp spielt wahrscheinlich nur den betagten Knecht. In Wirklichkeit heißt er Methusalem und ist unsterblich—, kicherte Lenis innere Stimme.
Leni sprach laut, um ihren inneren Kommentator zu übertönen. »Vielleicht kommt die Jadwiga ja bald wieder. Ich hatte den Eindruck, dass sie und der Manfred Gerber sich gut verstanden haben.« Leni bezog sich auf einen Bekannten, dessen Bruder eine kleine Kfz-Werkstatt betrieb und ihren Fiat mit Winterreifen ausgestattet hatte.
»Mal sehen. Wir haben ihr versprochen, den Job offen zu halten, für die nächsten Wochen, bis sie weiß, ob sie zu Hause unabkömmlich ist.«, meinte Käthe.
Leni nickte.
—Es ist schwer, zu verstehen, warum die Töchter, egal ob verheiratet oder nicht, immer alles stehen und liegen lassen sollen, wenn die Eltern Unterstützung brauchen, die Söhne aber verschont werden, weil sie ja schließlich Karriere machen—, rebellierte es in Leni.
Sie wechselte das Thema: »Komische Dinger da vorne. Schaut grad so aus, als wären das Solarpaneele. Aber so niedrig am Boden?«
»Wird ein Solarpark sein«, meinte Käthe. »Unter gewissen Bedingungen dürfen sie Gerüste aufstellen und Paneele drauf befestigen. Meist macht man das auf Gelände, das nicht für die Landwirtschaft nutzbar ist. Aufgelassene Kies- oder Lehmgruben.«
»Aber da war mal Wiese«, vermutete Leni. »Echt ne Schande. Unter dem niedrigen Gestänge kann ja kein Vieh grasen. Das macht meiner Meinung nach keinen Sinn.« Beide Frauen schwiegen eine Weile, während jede ihren eigenen Gedanken nachhing. Leni fuhr die Straße Richtung Vogt entlang, als sie vor sich in einer Kurve einen Transporter sah, der ins Schleudern geriet. Sie trat auf die Bremse und ihr Fiat kam abrupt zum Stehen.
»Alles in Ordnung mit dir?« Besorgt sah sie zu Käthe, die abwinkte und meinte: »Ist in Ordnung. Geh du lieber nachschauen, was passiert ist. Ich komm auch gleich.«
»Nichts da. Du steigst aus und holst hinten aus dem Kofferraum das Warndreieck. Zieh aber vorher die Warnweste an, die steckt in der Seitentür. Wart kurz, ichfahr nur schnell rechts ran.« Leni schaltete den Warnblinker an. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass von hinten kein anderer Wagen herangeschossen kam und sie als weiteres Unfallopfer in die Statistik eingehen würde, stieg sie aus.
Da hat sich der Erste Hilfe Kurs vor Weihnachten doch schon mal gelohnt, schoss es ihr durch den Kopf, als sie die Einweghandschuhe überstreifte, die sie vorsorglich zur Warnweste gepackt hatte.
Zügig eilte sie zum Kleinbus, der kopfüber lag. Mehrere Frauen schlugen verzweifelt mit den flachen Händen gegen die Scheiben. Leni fühlte, wie die Panik der Autoinsassen auf sie überspringen wollte. Bewusst trat sie einen Schritt zurück und atmete tief durch, bevor sie mental einen Schutzschild aufbaute. In Gedanken sprach sie ein Gebet. »Heiliger Sankt Michael beschütze mich und die Personen, die dort in Not sind.« Ihr Blick fiel auf einen großen Stein. Leni zog ihre Warnweste und die darunter liegende Jacke aus und begann sofort, in der kalten Märzluft zu frösteln.
»Warndreieck ist aufgestellt. Was kann ich jetzt tun?«, meldete Käthe, die inzwischen dazugekommen war.
»Geh ein bisschen weiter weg und setz den Notruf ab«, befahl Leni, während sie sich ihre Jacke um die Hand wickelte und dann durch den Jackenstoff den großen Stein aufhob. »Erklär den Leuten, wo wir sind, und bleib dran, ich hol die jetzt da raus und dann kannst du der Leitstelle weitere Angaben machen. Aber halt Abstand«, befahl Leni der jüngeren Frau.
Kilian würde mir nie verzeihen, wenn Käthe oder dem Baby was passieren würde – und ich mir auch nicht.
Leni betrachtete den Wagen genauer und überlegte, welches Fenster sie als Erstes einschlagen würde. Sie entschied sich für die lange Seitenscheibe, gegen die die Insassen schlugen. Sie ließ einen Brüller los, um das hysterische Gekreische der im Bus Gefangenen zu übertönen, und deutete an, was sie vorhatte. Dann begann sie, kräftig zuzuschlagen. Nach wenigen Schlägen, bröckelte das Glas. Eine der im Auto eingeschlossenen Frauen half mit Tritten, die Scherben aus dem Rahmen zu lösen. Leni brüllte erneut irgendetwas Unverständliches, als alle gleichzeitig versuchten, aus dem Wagen zu krabbeln. Die Frauen krochen nacheinander aus dem Fahrzeug und wurden von Käthe und zwei weiteren Personen, die ebenfalls angehalten hatten, um zu helfen, in Empfang genommen. Im Hintergrund waren Sirenen zu hören. Zitternd und heulend schlug Leni nun auf das Fenster der Beifahrertür ein, denn sie sah, dass der Fahrer regungslos kopfüber im Sicherheitsgurt hing. Sie wehrte sich, als jemand sie an den Schultern packte. »Lassen Sie, da können Sie nichts machen … Die Feuerwehr ist eh gleich da.«
Leni saß zitternd und weinend am Straßenrand. Alles, was sie denken konnte: »Der Landwirt wird sauer sein, wenn er sieht, wie wir seine Wiese verschandelt haben.«
2. Rosenmontag, abends
»Es ist immer die Tür.« Unbekannt
In Leni brodelte es. Schorsch und Kriminalhauptkommissar Johannes Maier hatten sie gezwungen, mit dem Rettungsdienst zu fahren. Nun saß sie hier im Eingangsbereich des Krankenhauses und wartete auf Schorsch.
—Hab dich nicht so. Kannst ruhig zugeben, dass du Schmerzen hast.—
Leni seufzte und starrte auf ihre dick verbundenen Hände.
Idioten! So kann ich nicht mal alleine aufs Klo.
Leni und die junge Obdachlose Katrin Wilkens hatten eine wichtige Rolle gespielt bei der Festnahme des Zettelmörders. Leni hatte sich dabei im wahrsten Sinne des Wortes die Hände verbrannt.
Wenigstens war ihrer Schutzbefohlenen nichts passiert.
—Wäre ja noch schöner gewesen, da verstecken wir das Mädel die ganze Zeit vor dem Typen und grad, wenn wir denken, alles passt, erreicht er doch noch sein Ziel.—
Leni fühlte ihren Herzschlag bis in den Hals, als ihr Unterbewusstsein die Szenen noch einmal abspielte, die sie ins Krankenhaus gebracht hatten.
Waren wirklich nur wenige Stunden vergangen, seitdem sie in ihrem eigenen Haus um ihr Leben und das von Katti hatte kämpfen müssen? Leni schluckte.
Wie dumm ich war. Hätte ich doch gleich wissen können, dass der Typ der Zettelmörder ist.
—Die Polizei dachte, sie hätte den Täter geschnappt. Schließlich deutete ja alles drauf hin. Will die Frau Sonnbichler behaupten, sie sei allwissend? Krieg dich wieder ein!—
Wenn ich dran denke, wie der Saukerl mich tyrannisiert hat. Leni knirschte mit den Zähnen. Wochenlang hatte ich Angst nach dem, was er mit Sally angestellt hat. Und die arme Katti: Wegen dem Arsch hat sie jahrelang auf der Flucht gelebt. Ich würde ihn am liebsten zu Brei schlagen.
Ihre innere Stimme kicherte. —Hast du ja fast. Wie der Jürgen Wagner dich behandelt hat: wie ein rohes Ei. Allein dafür hat sich das ganze Theater gelohnt. Und was sind schon ein paar Schmerzen? Schau dich doch um: Hier gibt es Leute, die sind deutlicher schlimmer dran, als du.—
Leni tat wie geheißen: Zwei Leute im Rollstuhl, drei Patienten, die Infusionsständer neben sich herzogen, diverse Männer und Frauen mit Verbänden und schmerzverzerrten Mienen. So gesehen, ging es ihr verhältnismäßig gut. Sie durfte wenigstens wieder raus. Wo blieb denn nur Schorsch? Wenn er nicht bald auftauchte, würde sie ihn anrufen und fragen, ob sie besser ein Taxi nehmen sollte. Doof nur, dass sie ihr Handy auf dem Sonnbichlerhof vergessen hatte. Ist ja nicht so, als hätte mich jemand gefragt, was ich mitnehmen will. Die haben mich einfach in den Sanka gestopft und Schorsch hat gemeint, er kümmert sich um alles und kommt dann nach. Leni verzog das Gesicht. Sie hatte nicht einmal Geld für das Münztelefon in der Ecke. Nicht, dass ihr das was genutzt hätte. Auswendig wusste sie Schorschs Handynummer eh nicht.
Sie rutschte unruhig auf ihrem Sitz hin und her und ließ ihren Blick weiter durchs Foyer streifen. Dabei fiel ihr eine Frau auf, die an der Rezeption stand und sich mit dem Portier unterhielt. Zunächst sah Leni nur die Rückansicht der Frau.
—Bei den Stilettos könnte man an eine Domina denken—, spottete Lenis innere Stimme.—
Die Frau nickte dem Portier zum Abschied zu und drehte sich um. Die dunkle Umrandung ihrer Augen wurde betont von einer langen, sich schon blaugelb verfärbenden Schramme, die quer vom linken Augenwinkel über die Wange fast bis zu ihrem Mund verlief.
—Grotesk, dass sie sich bei so einer Verletzung die Wimpern tuscht und Kajal auflegt, das wirkt gespenstisch so mit den knallrot geschminkten Lippen.—
Sie schaut etwas verloren aus.
—Wenn man so dünn ist und so wenig anhat, kein Wunder. Die friert sich ja alles ab.—
Vielleicht hat sie ja eine zehrende Krankheit, versuchte Leni, die boshafte innere Regung abzuschwächen. Was nicht gelang, denn ihre innere Stimme warf ihr ein —Wiesel!— entgegen.
Leni war sich bewusst, dass ihr Unterbewusstsein nicht das reale Tier meinte. Eher erinnerte etwas in der Haltung und im Gesichtsausdruck der Frau an die hinterhältigen boshaften Wiesel aus einer Geschichte, die Leni als Kind gelesen hatte.
Die Frau hatte Leni inzwischen erreicht und blickte zu ihr hinunter.
»Entschuldigen Sie, wissen Sie zufällig, wann der nächste Bus in die Stadt geht? Der Portier meinte, ich hätte ihn gerade verpasst.« Die Stimme der Frau war heiser. Sie sprach mit leichtem Akzent.
—Ganz so jung ist die auch nicht mehr, wie du zuerst gedacht hattest.—
»Tut mir leid. Ich warte auf meinen Freund, der holt das Auto. Wo müssen Sie denn hin?«
»Mein Mann wollte mich abholen, aber er geht nicht ans Telefon. Da wollte ich zum Busbahnhof, um mit dem Bus heimzufahren. Wir wohnen etwas außerhalb.«
»Es ist kalt draußen, wenn Sie mit dem Bus fahren, erkälten Sie sich ohne Jacke.«
»Mein Mann wollte mir einen Mantel mitbringen. Es ging alles so schnell.«
»Was ist denn passiert?«
»Ich bin ausgerutscht und mit dem Gesicht gegen eine Tür gelaufen und hab mir beim Hinfallen auch noch das Handgelenk verstaucht. Mein Mann hat schon recht. Ich bin sehr ungeschickt.« Leni hatte Schwierigkeiten, die Frau zu verstehen, so leise sprach sie.
Spontan aus einem Gefühl des Mitleids heraus meinte Leni: » Ich warte auch darauf, abgeholt zu werden. Wenn Sie möchten, können Sie mit uns in die Stadt fahren, wenn ihr Mann bis dahin noch nicht da ist. Wir können Sie am Busbahnhof absetzen. Wo müssen Sie denn hin?«
Die Frau verzog leicht das Gesicht. Wahrscheinlich hatte sie Schmerzen. »Wir wohnen in einem kleinen Weiler in der Nähe von Wassersried. Etwas abgelegen.«
Bevor Leni vorschlagen konnte, sie nach Wassersried mitzunehmen, das in der Nähe des Sonnbichlerhofes lag, stürmte ein dicker Mann ins Foyer und sah sich hektisch um.
Sein Blick fiel auf die Frau, mit der Leni sich unterhalten hatte, und er steuerte direkt auf sie zu. Grob griff er sie am Arm und drehte sie zu sich herum. »Ludmilla, da bist du! Komm endlich, lass mich nicht warten.«
—Wie kommt so ein hässlicher fetter Kerl zu so einer dürren Frau? Die ist doch mindestens zwanzig Jahre jünger als er.—
Ludmilla zuckte vor seiner Berührung zurück. »Wolfi, du tust mir weh.« Er hatte sie an ihrem verletzten Handgelenk erwischt. Mit schuldbewusstem Gesichtsausdruck ließ der Mann sie los. »Es tut mir leid. Ich wollte das alles nicht. Ludmilla kannst du mir verzeihen?«
Seine Frau vermied den Augenkontakt mit ihm und blickte über seine Schulter Richtung Ausgang. »Es ist in Ordnung. Aber pass das nächste Mal besser auf. Alles erledigt?« Kurz sah sie ihn an. Er nickte bestätigend und sie wandte sich Leni zu. »Vielen Dank für Ihr Angebot, aber wie Sie sehen, ist mein Mann doch gekommen. Doswidanja.«
Das ungleiche Paar verließ das Gebäude. Leni blickte durch die Glasscheiben nach draußen und sah, wie der Mann seiner Frau half, in einen im Parkverbot abgestellten Wagen zu steigen.
Komisch. Ich hätte den Typen für einen Porsche- oder Mercedesfahrer gehalten, aber so einen Kombi und dann noch mit Werbung für Solarstrom? So kann frau sich irren.
Der Wagen fuhr weg.
Leni sah Schorsch auf den Eingangsbereich zulaufen.
»Endlich. Wird aber auch Zeit! Bring mich hier weg, bevor denen noch einfällt, mich dazubehalten.«
3. Damals — 1974
»Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.« R. v. Weizäcker
Die Männer sitzen am Stammtisch beim Feierabendbier. Das Radio plärrt unbeachtet im Hintergrund. Udo Jürgens schwärmt von griechischem Wein. Blauer Qualm liegt träge über dem Raum, wirbelt kurz auf, als ein kalter Luftzug entsteht. Eine Gruppe junger Männer betritt das Wirtshaus.
»He Karle, eine Runde Bier für mich und meine Freunde.« Die Gespräche verstummen kurz, während die vier sich lärmend und lachend an den Tischen vorbeizwängen, setzen sich aber wieder auf dem vorigen Niveau fort, sobald die Neuankömmlinge Platz genommen haben.
»B’halt deine Pfoten bei dir, du Arsch!«
»Ah komm Mädle, du stehst doch drauf.« Der hünenhafte Blonde, der zuvor die Getränke bestellt hat, grinst seine Kumpane verschwörerisch an, während er die Bedienung am Handgelenk festhält. »Komm Süße, einen Kuss musst du mir jetzt aber schon geben.«
Die Kellnerin zerrt, kommt aber nicht frei. »Wolfi, hör auf!«
Stille herrscht im Raum. Die Stammtischler beobachten interessiert das Schauspiel, das sich ihnen bietet.
Im Radio verspricht Chris Roberts: »Ich mach ein glückliches Mädchen aus dir.«
»Hast du nicht gehört? Lass die Inge los.« An einem der Nachbartische erhebt sich ein Mann in Arbeitsklamotten und stellt sich dem deutlich größeren und kräftigeren Wolfi entgegen.
»Schaut euch mal den Witzmann an, wie der Witzmann humpeln kann.« Die Kumpane des Blonden lachen laut und stoßen sich gegenseitig an, ob des Bonmots ihres Anführers.
Der andere nickt mit einer gewissen Befriedigung. »Das kannst du gut. Dumme Sprüche reißen. Dich Frauen aufdrängen, die dich nicht wollen, sich dann hinter der Rechtschaffenheit der Eltern verstecken. Mutig ist er schon, der Herr Sedlmaier.«
Wolfgang Sedlmaiers breites Grinsen verschwindet, als seine betrunkenen Kumpel nicht mit ihm lachen, sondern über ihn. Er lässt die Bedienung los und steht auf. Bedrohlich überragt er mit seinen gut ein Meter neunzig den kleineren Günther Witzmann. »Ich kann jede kriegen, die ich will. Nicht so wie du Krüppel, du.« Er lacht laut und spöttisch und stupft sein schwächeres Gegenüber mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand in die Brust. »He Leut, habt ihr’s schon gehört? Der Günther heiratet das Bachele. Früher hätt’s so was nicht gegeben. Da hätte man dafür gesorgt, dass so was wie du und die depperte Gerstle sich nicht vermehren.«
In die abwartende Stille hinein erwidert Günther: »Wir wissen alle, was aus denen geworden ist, die du da so bewunderst. Da hättest du sicher hingepasst: Groß, blond und blöd. Aber bist dafür ja circa dreißig Jahre zu spät geboren, da kann man gut großmäulig sein, wenn andere die Scherben aufheben, die du zerbrichst. Aber diesmal hast es zu weit getrieben.«
Der Jüngere will Günther angreifen, der ruhig, wenn auch bleich stehen bleibt, wird aber von anderen Gästen daran gehindert.
»Lass meine Eltern aus dem Spiel. Du hast schon genug angerichtet mit deinen Lügen. Das wirst du mir büßen.«
Der Wirt eilt hinter der Theke hervor. »Wolfi, du und deine Freunde haben genug. Zahl jetzt und geh.«
»Ich geh. Das Kaff hier hat mich das letzte Mal gesehen. Ich kann mir was Besseres vorstellen, als hier in der Provinz zu versauern. Ihr könnt mich alle mal.«
4. Aschermittwoch – Polizeidienststelle RV
»Nach der Arbeit ist vor der Arbeit.« Unbekannt
Hauptkommissar Johannes Maier und sein Assistent Jürgen Wagner betrachteten schuldbewusst ihre Schuhe.
»Alle tot. Wie konntet ihr nur?« Kriminalkommissarin Christine Grabherr klang entsetzt. »Da bin ich einmal für zwei Tage außer Gefecht und nicht im Büro und ihr kriegt es nicht fertig, auf meine Pflanzen aufzupassen. Schämt euch!«
»Ach komm, ist doch dämlich, diese Grüne Grenze zwischen unseren Schreibtischen«, versuchte Jürgen seine übliche Taktik. »Wir waren genau wie du die Tage nicht im Büro. Was hätten wir denn machen sollen, wenn die Heizung ausfällt und die Temperaturen so runtergehen?«
Christines Blick durchbohrte Jürgen, der Hilfe suchend seinen Vorgesetzten bat: »Chef, jetzt sag du doch auch mal was!«
Der so Angesprochene räusperte sich und blinzelte über seine randlosen Brillengläser. »Du warst mit uns in Wangen am Rosenmontag. Oder hast du unseren Einsatz vergessen? Die Heizung fiel in der Nacht vom letzten Freitag aus, wir haben es erst gemerkt, als wir gestern ins Büro kamen, da war es schon zu spät.«
Christine schnaubte ungläubig. »Dann solltest du dafür sorgen, dass so was nicht wieder passieren kann. Fünf Tage hintereinander die Heizung ausgefallen. Wo gibt es denn so was? Bruchbude!« Sie ließ sich auf ihren Schreibtischstuhl fallen und starrte auf den Bildschirm. »Und? Was hab ich versäumt, während ihr meine Pflanzen gemeuchelt habt?«
»Nichts Wichtiges«, meinte Jürgen und wippte auf dem Sitz seines Bürostuhls hin und her. »Du hast dich zum richtigen Zeitpunkt verdrückt und mich mit dem Papierkram zurückgelassen.«
»Schadet dir gar nicht. Ich bin schließlich nicht die Tippse vom Dienst hier.«
»Christine, lass gut sein«, ermahnte Hannes Maier. »Wir haben einen neuen Fall.« Der Hauptkommissar wedelte mit einem Blatt Papier, das er gerade aus dem Drucker gezogen und gelesen hatte. »Diebstahl von einer Fotovoltaikanlage bei Kißlegg«
»Muss das sein?«, stöhnte Jürgen Wagner. »Das kriegen die Kollegen wohl selber gebacken. Wir sind gerade erst mit dem alten Fall fertig. Da sollte man uns doch eine kleine Pause gönnen.«
»Wenn du bei unserem obersten Boss den Eindruck erwecken willst, dass du die nächsten Jahre hier im Landkreis glücklich bist, kannst du das gerne dem Dr. Biederle in Stuttgart erklären.« Hannes fixierte seinen Assistenten durch die Brillengläser.
Jürgen schnappte nach dem Köder. »Wollte nur nicht, dass Christine sich überlastet. Schließlich war sie krank, nicht ich.«
»Meinst du echt, die in Stuttgart warten nur auf dich?«, stichelte diese.
»Bevor es mich wegen meiner Frau hier in die Provinz verschlug, hatten sie mir eine Beförderung angeboten.«
»Jaja«, winkte Christine ab. »Und die nehmen dich Superbullen mit Kusshand wieder. Aber dann solltest du an deinem Dresscode arbeiten. Ist dir schon aufgefallen, dass deinem Hemd zwei Knöpfe fehlen?«
»Und was hat das mit meiner Kompetenz zu tun?« Jürgen lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und fixierte seine jüngere Kollegin. »Wenn Kleidung auf berufliche Fähigkeiten schließen lässt, dann frag ich mich, was du hier suchst. Quietschrosa Pulli und Mädchenpferdeschwanz sind doch eher was für Kindergärtnerinnen.«
Hannes klopfte mit der Hand auf den Tisch.
»Schluss jetzt!« Insgeheim gab er Jürgen recht, zumindest, was das Einhorn und den Regenbogen auf dem Pullover von Christine betraf.
Seine beiden Assistenten saßen auf ihren Stühlen, die Arme vor der Brust verschränkt und lieferten sich ein Anstarrduell.
»Wir können uns die Fälle nicht raussuchen. Oder meinst du, es würde was helfen, wenn ich eine Annonce in die Zeitung setze: Landkreis Ravensburg: Kriminalhauptkommissar Johannes Maier und sein Team benötigen eine Pause. Wir bitten deshalb die Damen und Herren Verbrecher, sich für die nächsten zwei Wochen zurückzuhalten.«
5. Aschermittwoch – Gasthof Linde, Wassersried
»Humor basiert immer auch auf einem Fünkchen Wahrheit. Hast du jemals einen Witz über einen Schwiegervater gehört?« Dirk Clark
»Komm schon, wir sind spät dran.« Georg Ansbach stand am Eingang des Wirtshauses und wartete, dass Leni zu ihm aufschloss.
»Wieso müssen wir da überhaupt hin? Ich will zurück auf den Hof. Mir hätte ein Käsbrot gereicht.«
Vom Krankenhaus hatte Schorsch sie zu sich in seine Wangener Wohnung entführt. Ihre Proteste hatte er beiseite gewischt. »Katti wohnt solange auf dem Hof und kümmert sich um den Hund und die Katze. Und wenn das mit deinen Händen sich verschlimmern sollte, sind wir von mir aus deutlich schneller im Krankenhaus, als vom Sonnbichlerhof.«
»Die Küche schaut aus wie Sau, ich sollte mit Saubermachen anfangen.«
Schorsch hatte einen skeptischen Blick auf ihre verbundenen Hände geworfen und nur gemeint: »Genau deshalb bist du bei mir besser aufgehoben.«
Nun, knapp zwei Tage später, durch ihr ständiges Gebrummel mürbe geworden, hatte er sich bereit erklärt, sie wieder auf den Sonnbichlerhof zu fahren – mit Umweg. »Wir machen Station in der Linde in Wassersried. Unsere Freunde wollen uns da zum Aschermittwochsessen treffen und dich feiern, schließlich ist der Zettelmörder gefasst. Frank hat alles organisiert.«
Leni stand wie ein bockiges Kind vor der Wirtschaft, während Schorsch ihr die Tür aufhielt und mit der Hand scheuchende Bewegungen machte.
Was bildet er sich eigentlich ein? Weil er mit mir schläft, hat er die Kontrolle über meinen Terminkalender? Und wenn Frank da ist, dann begleitet ihn natürlich Esme und auf Schorschs Tochter hab ich null Bock.
Leni setzte sich unwillig in Bewegung. Am liebsten hätte sie etwas getreten, aber Schorsch hielt aus weiser Voraussicht Abstand.
Wie am Aschermittwoch nicht anders zu erwarten, war der Gastraum zum Bersten gefüllt. Leni blieb kurz stehen, um sich zu orientieren.
Die Linde war eine typische Dorfwirtschaft: Tische und Sitzgelegenheiten aus heller Eiche, die Wände weiß gestrichen, der Boden gefliest. Zwei Bedienungen eilten mit vollem Tablett emsig hin und her, um die bestellten Speisen und Getränke zu servieren. Angeregte Unterhaltungen ergaben ein Hintergrundgeräusch, das Leni an das Summen in einem Bienenstock denken ließ. Sie schnupperte. Geröstete Zwiebeln und geschmolzener Käse bildeten den Hauptgeruch. Die meisten Gäste bestellten als klassisches Aschermittwochsgericht Kässpatzen, die mit einer dicken Schicht Röstzwiebeln serviert wurden. Dazu eine Salatplatte. – Oder typisch oberschwäbisch mit Kartoffelsalat. – Leni verzog das Gesicht. Warum im Restaurant bestellen, was sie zu Hause selbst zubereiten konnte?
Eine Kellnerin eilte an ihr vorbei mit einem Teller Schnecken. Der würzige Geruch von Knoblauchbutter stieg Leni in die Nase.
Ihr Magen knurrte.
Lecker. Aber die Schnecken schmecken nach nichts. Ist eher wie zäher Kaugummi mit Knoblauchgeschmack. Dafür teures Geld ausgeben?
—Musst du gar nicht. Schorsch hat dich eingeladen.—
Lenis Laune verbesserte sich schlagartig.
Schorsch bahnte sich zielstrebig den Weg durch den vollen Gastraum. »Komm, da vorne sind sie.«
Leni folgte in seinem Fahrwasser. »Griaß Eich«, warf sie in die Runde.
»Hallo Huberin«, begrüßte sie Kilians Mutter separat. »Wo sind denn die Esme und die Käthe? Sind wir zwei die einzigen Weibsleit?«
Frank, der zukünftige Schwiegersohn von Schorsch übernahm das Antworten. »Esme ist mit der Kleinen zu Hause geblieben. Sie hat gemeint, momentan wird ihr allein beim Gedanken an Kässpatzen oder Knoblauchbutter übel.«
—Glück gehabt.—
Leni ignorierte den bissigen Kommentar ihrer inneren Stimme und rutschte auf einen freien Platz auf der Eckbank neben Sepp Weber. »Sepp, ich setz mich zu dir, wenn’s recht ist.«
Josef Weber war steinalt. Er hatte schon als Knecht bei Lenis Eltern gearbeitet. Obwohl offiziel schon lange in Rente, half er vor allem auf dem Huberhof aus und besserte sich sein spärliches Einkommen auf. »Passt scho«, grinste er Leni zahnluckig an. »I hon nix dagega, wenn a jungs Mädle neba mi na sitzt. Wobei mir die Katti no lieber wär. Aber die wollt bei dir aufm Hof bleiba.« Leni strahlte zurück. Es kam nicht oft vor, dass jemand sie als jung bezeichnete.
Kilian tauschte inzwischen mit Frank Erfahrungen zum Thema Schwangerschaft aus. »Bei der Käthe war’s auch so in den ersten paar Monaten. Gott sei dank ist es damit vorbei.«
»Dafür hab ich jetzt andere Probleme. Das Kind drückt ganz schön auf die Blase. Moin moin Leni, Schorsch, super, dass ihr da seid.« Käthe Huber war unbemerkt zur Gruppe gestoßen. »Ich sage euch, ich bin echt froh, wenn das Kleine endlich da ist.« Sie verzog kurz das Gesicht und griff sich ins Kreuz, als sie sich vorsichtig hinsetzte. Kilian war aufgesprungen, um ihr den Stuhl zurechtzurücken. Während er ihr liebevoll einen Kuss auf den Scheitel drückte, meinte sie: »Min Lievsten, das nächste Kind trägst du aus. Ich komm mir inzwischen vor wie ein Nilpferd.« Käthe wandte sich Leni zu: »Was machen deine Hände? Ich wollte dich gestern anrufen, aber du gingst nicht ran.«
Leni warf ihrem Freund einen giftigen Blick zu. »Dafür kannst du Schorsch danken, er hat mich einfach ins Auto gestopft und seit Rosenmontag bei sich festgehalten.«
Schorsch lachte. »Und ihr nur Wasser und Brot zugestanden.«
Leni ignorierte ihn und streckte die Hände aus, damit Käthe und die anderen sie begutachten konnten. »Schon fast wieder gut. Schorsch hat mich gleich am Montagabend dazu gezwungen, ins Krankenhaus zu fahren. Die haben die Erstversorgung vorgenommen. War gar nicht so schlimm, wie zunächst befürchtet. Ich hätte also ohne Weiteres nach Hause gekonnt.«
Maria Huber, Käthes Schwiegermutter, mischte sich ein: »Ich hab glei, als i‘s ghört hob, agfanga zum beta. Scheint jo guat gholfa zum ho.«
Oha ... Die Käthe verzieht das Gesicht. Ich glaube, das mit dem Brand-Wegbeten, damit ist sie überfordert.
Leni selbst war keine Gesundbeterin. Sie wusste aber, dass Maria Huber aus einer Familie stammte, die seit Generationen dafür bekannt war, diese Gabe zu besitzen. Käthe mochte ihre Schwiegermutter sehr, hatte aber ein Problem mit diesen heidnischen Gepflogenheiten.
»Das ist doch unverantwortlich. Wenn die Leute sich auf so einen Blödsinn verlassen, anstatt zum Arzt zu gehen«, kam es jedoch aus einer anderen Ecke. Frank, Esmes Verlobter sah wütend aus. »Das ist ja regelrecht gefährlich, wenn die Leute anstatt zum Arzt zu gehen, eine dieser Gesundbeter anrufen. Das gehört verboten.«
Maria Hubers rundes Gesicht verfärbte sich in fleckiges Rot. Ihre Augen blitzten riesig durch ihre dicken Brillengläser. »Willsch du saga, I sei unverantwortlich? So an Schmarra.«
»Oma, keiner wird behaupten können, dass du unverantwortlich bist«, versuchte Käthe ihre Schwiegermutter zu beruhigen und legte ihre Hand über deren geballte Faust. »Aber du musst zugeben, das ist schon etwas heikel.«
Maria Huber schnaubte laut und abfällig. Leni dachte an ein Schlachtross, das die Trompeten zum Angriff hörte. Sie seufzte.
Genau deshalb versuche ich, nicht aufzufallen. Manchmal verstehe ich Jürgen Wagner schon.
Käthe ließ sich nicht beirren. »Stell dir mal vor, dein Enkelkind verbrüht sich. Was würdest du tun?«
»Isch doch logisch. Beta!« Maria Huber blickte in die Runde.
Während Frank ein: »Das ist doch nicht zu fassen«, ausstieß, fuhr sie unbeirrt im selben Atemzug fort: »Und glei no da Sanka ruafa und neabaher die normale Erste-Hilfe-Massnahma macha.«
»Meine Mutter war bis vor zehn Jahren aktiv beim Roten Kreuz tätig«, erklärte Kilian in die Runde. »Sie ist auch Rettung gefahren.«
Leni blinzelte, um das Bild der Huberoma am Lenkrad eines Rettungswagens im Blaulichtmodus zu verscheuchen.
Maria Huber winkte ab. »Dees isch aber scho arg lang her. Die Feuerwehr wollt mi jo it.«
Leni schloss die Augen: Maria Huber auf der Drehleiter. Diese interpretierte Lenis Geste falsch. »Tuats no arg weh?«
»Nein. Ab und an zwackt es noch. Der Arzt war schon erstaunt, wie gut das abheilt. Ich hab zusätzlich Lavendelöl drauf getan.«
Die Verwendung von Lavendelöl allgemein und im speziellen führte bei den Frauen ganz natürlich zu Babythemen, während Schorsch und sein zukünftiger Schwiegersohn sich mit Kilian und Sepp Weber anderen Angelegenheiten zuwandten, bis eine Bedienung kam und Lenis und Schorschs Bestellungen aufnahm.
Danach fragte Leni »Und habt ihr einen Termin für die Hochzeit festgelegt?«,
Frank rollte theatralisch mit den Augen. »Musst du Salz in die Wunde streuen?« Leni grinste, diese Geste kannte sie von Esme.
—Sie scheint auf Frank abzufärben. Armer Kerl.—
»Wir wollten ja im März standesamtlich heiraten.« Frank nahm einen tiefen Schluck aus seinem Weizenbierglas. »Dann hat Esme ihre Mutter angerufen und ihr von unseren Plänen erzählt.«
—Keine gute Idee—, brummelte Lenis innere Stimme. Leni und Schorschs Ex-Frau verband eine lange und herzhafte Antipathie.
Frank ergriff die vor ihm liegende Gabel und runzelte die Stirn. »Nach der Hochzeit im kleinsten Kreis wollte Esme für die Abschlussprüfung Ende April lernen. Aber ich glaube, das können wir abschreiben. Ihre Mutter hat sich angekündigt.« Frank verzog den Mund, als hätte er in eine Zitrone gebissen. »Karin will für Esme eine Maihochzeit ausrichten. Das sei romantischer und schließlich sei Esme ihr einziges Kind.« Frank hob sein leeres Glas, um einer vorbeieilenden Bedienung anzuzeigen, dass er noch ein Bier benötigte.
»Mai? Ist das nicht zwei Monate vor dem errechneten Geburtstermin?« Leni sah im Geiste Esme im weißen Brautkleid vor dem Altar, ihren hochschwangeren Bauch vor sich herschiebend.
»Stell dir vor, sie kriegt Wehen, wenn sie mir ihr Ja-Wort geben will.« Frank schüttelte den Kopf.
Schorsch, der gerade einen Schluck seines Mineralwassers genommen hatte, bekam einen massiven Hustenanfall. Leni klopfte ihm kräftig auf den Rücken.
—Karin, die sich in die Hochzeitsplanung einmischt. Gott steh uns bei!—
»Schade, ich fand die Idee schön, kleine Feier mit anschließendem Kaffee und Kuchen. Vor allem Käthes Kuchen sind ja echt lecker«, dachte Leni laut, während Schorschs Gesicht wieder normale Farbe annahm.
Käthe verzog kurz schmerzhaft das Gesicht und Frank beeilte sich, sie zu beruhigen. »Es ist noch nichts entschieden.«
Leni sah Frank mitleidig an.
Kerle, du hast so was von keine Ahnung.
6. Aschermittwoch – Polizeidienststelle RV
»Wähle einen Beruf, den du liebst, und du brauchst keinen Tag in deinem Leben mehr zu arbeiten.« Konfuzius
Nachdem Hannes seine Assistenten losgeschickt hatte, bereitete sich der Kriminalhauptkommissar die zweite Tasse Kaffee des Tages. Die moderne Kaffeemaschine stach aus der sonst schäbigen Ausstattung des Büros heraus. Die Ravensburger Polizeistation war in die Jahre gekommen. Aufgrund diverser organisatorischer Fehlentscheidungen auf Landesebene bezüglich Struktur und Lage der Polizei war wenig Geld vorhanden für Renovierung oder Innenausstattung. Hannes hoffte, dass bessere Zeiten für die Polizei in der Zukunft lagen. Nur befürchtete er, dass es vorher zu größeren Problemen kommen müsste.
Irgendwann haben sie die Polizei so klein gespart, dass die Öffentlichkeit nach mehr Sicherheit schreien wird, und dann haben wir den Salat.
Er konnte nur hoffen, dass die zu erwartende Katastrophe sich in Grenzen halten würde. Nicht nur sein Assistent Jürgen Wagner ließ durch ein Verhalten Unzufriedenheit durchblicken ...
Früher hieß es: Die Polizei, dein Freund und Helfer. Heute? – Scheiß Bullen.
Hannes hatte das Gefühl, dass sich immer mehr Kollegen größere Machtbefugnisse wünschten und weniger Regeln. Problematisch daran war, dass dies oft für rechtes Gedankengut anfällig machte. Oft kam dies den Verbrechern zugute, weniger der Gerechtigkeit.
Ist aber auch ein Scheißspiel: Wir halten uns an die Regeln. Die andere Seite nicht. Da kann ich schon verstehen, dass einem die Hutschnur hochgeht.
Kurz spürte er die Wut und Hilflosigkeit, die er als junger Polizist empfunden hatte.
Bei einer Demonstration in Stuttgart war er mit Kollegen bei der Mengenkontrolle eingesetzt, einige der Aktivisten hatten Wasserpistolen dabei und machten sich einen Spaß daraus, sie nasszuspritzen. Mit Urin. Ein Kollege verlor die Beherrschung und stellte die junge Frau zur Rede. Das Ganze wurde gefilmt und landete mit entsprechend negativen Kommentaren in den Nachrichten. Von Urin war nie die Rede, nur von Polizeigewalt.
Er nahm einen Schluck seines Kaffees und verzog das Gesicht: Es fehlte Zucker. Wo hatte Christine den wieder versteckt? Der Kriminaler blickte sich um, aber kam nicht weiter, als bis zum Faxgerät, in dessen Eingangskorb einige Dokumente lagen. Hannes nahm die Seiten auf, setzte sich an seinen Schreibtisch und las die Unterlagen durch. Der eine Bericht, über die Unruhen mit Russlanddeutschen in Bad Waldsee, war nichts Neues, aber Gottseidank musste er sich darum nicht kümmern. Aber die andere Sache ... Während des Lesens brummelte er vor sich hin, anschließend saß er eine Weile da, vergaß den Kaffee und starrte ins Leere.
Er griff zu seinem Smartphone und telefonierte mit seinen zwei Assistenten.
»Wie weit seid ihr mit der Vernehmung wegen der Fotovoltaikanlage? ...
Aus dem Feierabend wird nichts werden. Ich hab grad einen Bericht reingekriegt. Den schick ich euch auf Jürgens Handy, zum Durchlesen.«
Hannes kniff die Augen zusammen und tippte die dementsprechenden Befehle in sein Gerät. »Es gab am Freitag einen Unfall auf der Landstraße zwischen Wolfegg und Vogt. Ein Kleinbus ist von der Straße abgekommen, der Fahrer hat nicht überlebt.«
Eine Weile blieb es still, während seine Assistenten sich durch den Bericht lasen. Hannes grinste, als er Jürgens Beschwerde hörte. Er hatte mit sich gewettet, dass Jürgen ziemlich genau diese Worte wählen würde.
Hannes ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Alle waren mit dem Zettelmörder beschäftigt, da ist einiges liegengeblieben. Jedenfalls: die anderen Insassen, da wird es spannend. Die fünf Passagiere sind alles hübsche junge Mädchen, sprechen kein Deutsch und …«
Hannes verzog das Gesicht, während er sich Christines Ergänzung anhörte und meinte dann: »Was zu beweisen wäre. Die Kollegen haben zwei Kilogramm Kokain gefunden.«
Kurz darauf hörte er Christine kichern und Jürgen stöhnen und sich beschweren. Eine Weile hörte er ihrem Gekabbel zu, dann wurde er ungeduldig. »Jedenfalls sind die Mädchen noch in Wangen im Krankenhaus. Den Mädchen geht es soweit gut, aber sie sollen bis auf weiteres in Gewahrsam genommen werden. Ich möchte, dass ihr ins Krankenhaus fahrt und euch ein Bild vor Ort macht ... Nein, zuerst geht ihr der Fotovoltaiksache nach. Liegt ja eh auf dem Weg. Danach kommt ihr wieder her, wir müssen den Abtransport der Mädchen organisieren ... Ja ich weiß, es ist eine Kugelfuhr, erst nach Wangen, dann nach Rav und dann nochmal nach Wangen. Aber so ist das halt. Bis nachher.«
7. Aschermittwoch – neben der A96
»Löwen bevorzugen Zebrastreifen.« Bellermann
»Dann noch mal vielen Dank, Herr Gruber, für die Informationen.« Jürgen Wagner warf einen Blick auf seine Notizen, ob er alle relevanten Fragen an den Besitzer der Fotovolotaikanlage gestellt hatte. »Ich denke, wir werden die Paneele in Kürze finden. Sind sperrig, die Dinger, und markiert.«
Maximilian Gruber, der Solarparkbesitzer zuckte mit den Schultern. »Glaub i weniger. Des kost mi ganz schee.«
»Ich bin da optimistisch. Sie haben alle Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, da kann sich keine Versicherung 'rauswinden«, versuchte Christine den Mann zu beruhigen.
Gruber verzog das Gesicht, als ob er Zahnweh hätte. »Die Paneele sind weg. Die findet ihr nicht. Logisch, die sind gekennzeichnet. Des wissen die Diebe aber au. Wenn die solch eine Menge klauen, dann haben die 'ne Möglichkeit gefunden, die Paneele an jemanden unter der Hand weiterzuverkaufen. Und auch wenn die Versicherung schnell zahlt. So schnell krieg ich keine neuen Paneele, da sind momentan lange Lieferzeiten und die Preise sind auch gestiegen. Ich krieg wahrscheinlich nur die Hälfte für des Geld von der Versicherung. So an Scheiß. Wenn i die Bandita erwisch, dann kennet die sich glei an Sarg b’stella!«
Jürgen hob die Hand in einer Stopp-Geste. »Ihre Gefühle sind nachvollziehbar, aber glauben Sie, es ist hilfreich, Morddrohungen vor mir und meiner Kollegin auszustoßen?«.
Gruber schnaubte.
Christine zwinkerte ihn lächelnd an. »Wär doch schad, wenn wir auf ihrem Land Löcher buddeln müssten.«
Der Bestohlene lachte. »Du gfallsch ma, Mädle. Hosch Lust, mit mir mol an Kaffee zum trinka?«
»Ich denk drüber nach, aber erstmal gehen mein Kollege und ich auf Verbrecherjagd.«
Jürgen stieg auf der Fahrerseite ein, schnallte sich an und fuhr los. »Sag, bist du irre? Der Mann ist doch deutlich älter als du.«
Christine kicherte und winkte Herrn Gruber freundlich zu, bevor der Wagen das Gehöft verließ. »Ich denke, maximal zehn Jahre, außerdem dürfte er reich sein. Keine schlechte Partie.«
Ihr Kollege schnaufte unflätig. »Typisch Frau, nur aufs Geld aus. Wir fahren zum Tatort. Hast du die Adresse?«
Christine tippte auf ihrem Smartphone herum und runzelte die Stirn. »Schwierig. Ich denke, ich ruf die Kollegen von der Autobahnpolizei an. Die kennen hier alle Schleichwege.« Während sie telefonierte und einen Treffpunkt mit der Streife vereinbarte, steuerte Jürgen den Wagen am Ortsschild von Kißlegg vorbei.
Christine deutete auf einen Parkplatz. »Halt mal an. Da ist 'ne Bäckerei. Was willst, ich lade dich ein.«
»Nach der Giftattacke hier im Advent, weiß ich nicht, ob ich mich traue, in dem Kaff was zu trinken oder zu essen«, brummelte Jürgen.
»Miesmacher.« Die Polizistin boxte ihrem Kollegen spielerisch in den Oberarm. »Der Täter ist gefasst und das war auf dem Adventsmarkt, nicht in einer Bäckerei. Du klingst, wie meine Tante Mathilde, wenn sie Unterzucker hat.«
»Ich hatte mich heute Morgen drauf gefreut, nachher in 'ner Wirtschaft zu Mittag zu essen. Schließlich gibt's heute überall lecker Kässpatzen, aber nein, stattdessen gurken wir in der Gegend 'rum, befragen Zeugen, frieren uns den Arsch ab, und müssen klebriges Zeugs essen. Und zu allem Überfluss dann auch noch wegen ein paar Nutten ins Wangener Krankenhaus. Bis ich heimkomme, ist es wahrscheinlich Mitternacht.«
Christine legte den Kopf schief. »Hast recht, mir wäre heut auch nach was Deftigem. Weißt was, ich schau, ob der Metzger da vorne Schupfnudeln hat. Ist zwar nicht so gut wie die Kässpatzen von der Frau Sonnbichler, aber wär mal was andres.« Bevor Jürgen widersprechen konnte, stieg sie aus und betrat einige Häuser weiter eine Metzgerei.
Jürgen trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad herum und kam dann zu einem Entschluss. Er stieg ebenfalls aus und ging in die Bäckerei. Als Christine zehn Minuten später mit einer gut gefüllten Plastiktüte in den Wagen stieg, hielt er ihr einen Becher mit Kaffee und eine Papiertüte hin. »Hier, zur Überbrückung, bis wir nachher Zeit finden für die Schupfnudeln.«
Seine Kollegin grinste erfreut und meinte: »Dank dir, das ist nett.«
»Meine gute Tat für diesen Monat. Denk nicht, dass das zur Gewohnheit wird. Wo müssen wir hin?«
»Richtung Reichertshofen. Da treffen wir die Kollegen.«
Jürgen konzentrierte sich auf das Fahren. Links und rechts der Straßen türmten sich hohe Schneeberge. Der Winter war heuer extrem schneereich gewesen, und die Temperaturen immer noch deutlich unter dem Gefrierpunkt. Die Sonne schien von einem strahlend blauen Himmel, aber Wärme verstrahlte sie nicht. »Da wird sich der Herr Gruber ärgern. Sonnenschein und keine Solarpaneele.«
Christine, die mit Kaffee und Süßstück fertig war, knüllte die Verpackungstüte in den leeren Becher. »Die haben ja nicht alle Paneele mit genommen, sondern nur einen Teil. A bissi was wird er schon verdienen. Schau, da vorne warten die Kollegen. Gib mal Lichthupe. Hab ich ausgemacht, dass sie nicht aussteigen müssen und gleich losfahren.«
Jürgen tat wie geheißen und bremste ab, damit der Streifenwagen aus der Parkbucht ausfahren konnte, um die Führung zu übernehmen.
8. - Aschermittwoch – Gasthof Linde
»Mamas Bauch ist weg und Papas ist noch da!« Unbekannt
Leni hatte sich gegen die Schnecken und für eine Forelle nach Müllerin Art entschieden. Sie lehnte sich zurück und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen.
Ihr Blick blieb kurz an einem Tisch hängen, an dem zwei ältere Männer mit drei ausnehmend hübschen jungen Frauen saßen.
—In dem Outfit müssen die Mädchen doch 'ne Erkältung kriegen. Anständig ist das nicht, was die da anhaben. Und die Männer sollten sich was schämen. Die könnten ihre Töchter sein. Alte Lüstlinge!—
Erstens kann eine Frau anziehen, was sie will. Zweitens: Wer sagt dir, dass das nicht Töchter sind, die von ihren Vätern ausgeführt werden?
—Mal ehrlich: So wie die Mädchen sich da drüben benehmen, wäre das ödipal. Übertreib es mit der politischen Korrektheit nicht! Wenn ein Mann öffentlich sein Geschlechtsteil zeigt, ist das Belästigung. Wenn eine Frau ihren Busen in durchsichtige Blusen packt und ihren Arsch durch einen größeren Gürtel verdeckt, ist das keine Belästigung und muss akzeptiert werden? Irgendwo gibt es Grenzen!—
Insgeheim gab Leni ihrer inneren Stimme recht. Aber sie wollte vor sich selbst nicht als Spießerin dastehen.
Ödipal wäre es wenn die Frauen älter als die Männer wären. Aber wir sind hier, um lecker Essen zu gehen. Das Thema korrekte oder nicht korrekte Bekleidung ist hier fehl am Platz. Schau mal, die Mädchen sind schon am Nachtisch. Der schaut echt appetitlich aus. Ob ich mir einen bestell, wenn ich mit der Forelle fertig bin?
Leni ließ den Blick weiter durch den Raum streifen, dabei fiel ihr ein junger Mann auf, der im Eingangsbereich des Schankraumes stand und sich suchend umsah.
—Der wirkt wütend. Wie so ein altnordischer Gott, der gleich die Axt schwingt.—
Frank, der mit dem Rücken zum Raum saß, wurde unruhig, als er bemerkte, dass Leni konzentriert an seinem linken Ohr vorbei starrte.
»Was ist los? Hab ich Kartoffelbrei am Ohr?«
»Sorry. Mir ist nur der Mann da drüben aufgefallen.« Leni deutete unauffällig mit dem Kinn. »Der schaut ganz schön grimmig. Der große Blonde. Kurze Haare, rotes kariertes Hemd.«
Natürlich drehten sich alle in die von ihr vorgegebene Richtung.
»Ist das nicht Sebastian?«, fragte Käthe ihren Mann.
»Stimmt.« Kilian legte seine Serviette neben den Teller. »Ich glaub, der sucht mich. Wir wollten uns die Tage zusammensetzen. Es gibt da ein paar Probleme.« Käthes Mann machte Anstalten, aufzustehen, aber der junge Mann bahnte sich, ohne nach links oder rechts zu blicken, einen Weg in die entgegengesetzte Richtung. Dabei nahm er wenig Rücksicht auf andere Leute. Wer ihm nicht rechtzeitig auswich, wurde angerempelt.
Sein Ziel war der Tisch, über den sich Lenis innere Stimme zuvor moniert hatte.
Kilian, der schon stand, fluchte leise. »Mist. Da drüben sitzt der Sedlmaier. Das gibt Ärger.«
Leni kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können.
»Wer ist denn der Sedlmaier?«, fragte sie. »Der Dünne im Anzug?«
»Noi«, kam es von Josef Weber. »Der Wolfgang isch der, der ausschaut, wie a gstopfte Bratwurscht im Trachtaanzug.«
Höre ich da eine gewisse Animosität heraus? Der Sepp ist doch normalerweise nicht so feindselig. Aber den Mann hab ich schon mal irgendwo gesehen.
Maria Huber stieß in dasselbe Horn, wie der alte Knecht. »Hosch scho recht, Sepp. Der Wolfgang hot ganz schea zuglegt über dia Joar. Aber der hot scho als Junger nia gwusst, wanns gnua isch. A Schand isch es, was er do aufm Hof von seine Eltern veranstaltat.« Kilians Mutter verschränkte die Arme vor der üppigen Brust und schickte zornige Blitze durch ihre dicken Brillengläser Richtung Sedlmaier, der davon nichts mitbekam. Er schien sich intensiv mit seinem Tischgenossen zu unterhalten und bemerkte Sebastian, der den Tisch inzwischen erreicht hatte, zunächst nicht.
Mist, die sitzen zu weit weg. Wär schon spannend, zu wissen, um was es da geht.
—Weil die Frau Sonnbichler überhaupt nicht neugierig ist—, spottete es in Leni.
»Kili, am besta gehsch hin, und gucksch, dass der Basti it in zu große Schwierigkeita groatet. Der Sedlmaier isch a beeses Luader«, meinte Kilians Mutter.
Käthe verzog das Gesicht. »Ich glaube nicht, dass mein Mann allein da was ausrichten kann.«
Käthe ist nicht einverstanden, dass ihr Ehemann sozusagen in die Schlacht geschickt wird. Am besten, ich geh mit. Leni machte Anstalten, aus der Bank zu schlüpfen.
—Du suchst doch nur nen Grund, näherzukommen, damit du mithören kannst.—
Inzwischen war der Geräuschpegel im Gastraum stark gesunken. Leni fühlte sich an alte Westernfilme erinnert, speziell an Szenen im Saloon, wenn der Sheriff den Revolverhelden konfrontierte.
»Damit kommst du nicht durch.« Sebastian sprach laut und deutlich. Seine Stimme trug bis in den letzten Winkel des Raumes. »Du kannst nicht einfach die Pacht erhöhen. Du gieriges Schwein willst mich vom Land vertreiben und es dann mit diesem sauberen Herrn verschandeln. Aber ich sag dir, damit kommst du nicht durch. Dafür werde ich sorgen.«
Wolfgang Sedlmaier saß mit aufgestützten Ellbogen am Tisch und stopfte sich einen großen Bissen Fleisch in den Mund. Er schnitt sich ein weiteres Stück ab, spießte es auf und schob einen Teil Knödel auf die Gabel. Das Ganze tunkte er in Soße. Mit dem Messer deutete er auf sein Gegenüber. »Sieh da, der Witzmann. Was willst denn dagegen unternehmen? Ich hab die Vollmacht und erhöhe die Pacht, wie ich es für richtig halte. Sollte dir das nicht passen, such dir eine Alternative. Wenn du das anders siehst, bist du dumm, kommst halt doch nach deiner Mutter.« Sedlmaier unterstrich seine Bemerkung mit dem Messer in der Hand und lachte laut. Die jungen Frauen am Tisch stimmten halbherzig ein.
»Jetzt solltescht aber gucka, dass du dazwischa gehsch«, befahl Maria Huber. Kilian setzte sich in Bewegung ebenso wie der Wirt, den eine der Kellnerinnen alarmiert hatte. Beide kamen zu spät.
Sebastians Gesicht war knallrot angelaufen, sogar aus der Entfernung konnte Leni sehen, dass ein Wangenmuskel zuckte. »Lass meine Eltern aus dem Spiel, du Dreckskerl. Ich spuck dir in deine Machenschaften. Dein feines Süpplein versalz ich dir. Warts nur ab.«
Wolfgang stopfte sich seelenruhig die nächste Portion Essen in den Mund und kaute, legte sein Besteck auf den Teller und nahm seinen Bierkrug auf. »Darauf trink ich. Bastl, du bist ja noch blöder, als ich dachte.«
Er sah sich Beifall heischend um, aber außer seinem Gegenüber, der ihm aufmunternd zuzwinkerte, und den Mädchen, die pflichtbewusst kicherten, verhielt sich der restliche Raum still.
Sebastian Witzmann riss seinem überraschten Gegenüber den Bierkrug aus der Hand.
—Hat der dem Fettsack tatsächlich auf das Essen gespuckt? Eklig! Und jetzt kippt der ihm auch noch das Bier über das Gesicht.—
Wolfgang Sedlmaier sprang auf, Haare und Hemd von Bier durchnässt, griff sich den Bierkrug, den sein jüngerer Gegner wieder auf den Tisch gestellt hatte. Offensichtlich wollte er Sebastian damit schlagen. Aber dieser hatte sich auf dem Absatz umgedreht und war, ehe Sedlmaier oder jemand anders reagieren konnte, schon aus der Wirtschaft verschwunden. Kilian folgte ihm, während der Wirt zu seinen Gästen eilte.
Wolfgang Sedlmaier stand mit dem leeren Bierkrug in der Hand da und stierte wütend um sich. Die anderen Gäste vermieden Blickkontakt, derweil der Besitzer des Lokals beruhigend auf ihn einsprach und dabei ein Auge auf den Bierkrug gerichtet hielt.
»Die Spelunke ist in den Jahren nicht besser geworden«, schrie Wolfgang Sedlmaier. »Das wird ein Nachspiel haben! Ich lass mir das nicht gefallen. Den zeig ich an und dich auch ...« Er deutete mit dem Bierkrug drohend auf den Wirt, der einen Schritt zurücktrat. »... Wenn du solches Gesocks reinlässt, um ehrliche Leute zu belästigen.« Damit stampfte er aus dem Raum. Seine Begleiter eilten Sedlmaier hinterher.
Der Lindenwirt blickte seinen ehemaligen Gästen kurz nach, schüttelte den Kopf und sprach dann laut in den Raum: »Jetzt isch die Vorstellung vorbei. Zenz, räum die Sauerei auf. Leut, auf den Schreck hin spendier i Eich an Schnaps. Die Resi nimmt Eure Wünsch auf.«
»Mein lieber Schieber« Frank klang fast bewundernd. »Wenn ich das daheim Esme erzähle, dann wird sie sauer sein, weil sie das verpasst hat.«
Schorsch nickte »Wäre einen Artikel wert für ne Kolumne zum Thema Wildes Allgäu.«
Leni blinzelte, sie war sich sicher, diesen fetten Grobian schon einmal gesehen zu haben, aber bevor sie den Gedanken weiter verfolgen konnte, fiel ihr Blick auf ihre jüngere Freundin, die blass und still da saß und das Gesicht schmerzhaft verzogen hatte. »Käthe was ist los?«
»Ich glaube, es wäre gut, jetzt ins Krankenhaus zu fahren.«
Schorsch stand hastig auf. »Ich hol den Kili«, sagte er und eilte seinem Freund nach.
Frank saß wie festgenagelt am Tisch und war bleicher als Käthe, der man die Schmerzen anmerkte. Maria Huber drückte Sepp ein Bündel Geld in die Hand. »Sepp, goasch vor zum Wirt und zahlsch. I lad alle ei. So beim ersten Enkele. Kannsch du nachher auf da Hof und überneama? I möcht erst mol mit ins Krankahaus.«
Leni blickte die Huberin an. »Wie kommst denn wieder heim? Und Käthe, brauchst du nicht einen Koffer mit Sachen für dich und das Baby?«
»Ich nehm a Taxi. Des mit dem Koffer, des kriegat ma scho hin«, erklärte Maria Huber.
Schorsch und Kilian waren inzwischen wieder am Tisch. Käthe stand auf und wurde von ihrem Mann und Frank auf dem Weg nach draußen gestützt.
Kilian übernahm das Kommando: »Leni, fährst du die Mutter und den Sepp auf den Hof? Ich bring die Käthe gleich ins Krankenhaus.«
Leni nickte. »Schorsch, ich nehm dein Auto. Du kannst ja mit Frank zurück. Kilian, wenn’s recht ist, dann bring ich deine Mutter mit den Sachen für Käthe nachher zum Krankenhaus und wart auch gern.«
Käthe verzog das Gesicht und wandte sich dann direkt an ihre Schwiegermutter: »Sei nicht bös, Oma, aber mir wär’s lieber, du bleibst auf dem Hof und rufst meine Eltern an. Ich bin ruhiger, wenn ich weiß, dass du auf dem Hof bist und ein Auge auf alles hast.«
»I komm nur kurz zum Hospital und bring den Koffer, dann fahr i wieder hoim. Leni wär des für di in Ordnung?«
»Gern. Also los.«
Die Gruppe war auf dem Parkplatz angekommen.
Sebastian stand neben dem Auto der Hubers und schien zu warten. »Oh Mist«, sagte Kilian und wandte sich an ihn: »Sebe, ich hab dich ganz vergessen. Ruf mich an. Wir finden eine Lösung. Nur jetzt kann ich grad nicht. Käthe bekommt unser Kind.«
9. Aschermittwoch – neben der A96
»Ach, die bleiche Sonne Wintersonne! Sie ist traurig wie eine glückliche Erinnerung.« Flaubert
»Ein ganz schönes Geholpere. Hoffentlich bleiben wir nicht stecken.« Kriminalkommissar Jürgen Wagners Schultern waren leicht hochgezogen, seine Augen stierten konzentriert durch die Windschutzscheibe. »Was machen die denn jetzt?« Vorsichtig bremste er ab, damit er hinter dem Fahrzeug der Kollegen der Autobahnpolizei zu stehen kam.
»Hoffentlich haben die sich nicht verfahren«, sagte Christine halb im Scherz. »Wäre saublöd, die ganze Strecke rückwärts wieder 'rausfahren zu müssen.«
Jürgen brummelte was Unverständliches und ließ das Seitenfenster herunter, damit er hören konnte, was der Kollege sagen würde, der aus dem Streifenwagen gestiegen war und zurück gestapft kam.
»Vorne kommt eine Ausbuchtung, da fahren wir mit unserem Wagen rein. Ihr fahrt dann einfach einen Kilometer weiter, da kommt ein Tor, davor könnt ihr wenden. Dann seid ihr da. Sollen wir auf Euch warten oder findet ihr nachher selber zurück?«
Jürgen winkte ab. »Passt. Danke Kollege, für die Hilfe. Von hier aus schaffen wir das allein. Sollte was sein, rufen wir an.« Er steuerte den Wagen bedächtig und im ersten Gang den holprigen und leicht vereisten Feldweg entlang.
Christine deutete nach draußen. »Da sieht man deutlich, dass ein breites Fahrzeug entlang gefahren ist. Doof, dass die Reifenprofile nicht viel hergeben. Zumindest laut Spusi.«
»Wenigstens wissen wir, dass es zwei Lastwagen waren. Gut, dass es nicht getaut hat, sonst würden wir hier im Schlamm fest stecken.«
Seine Kollegin deutete stumm nach vorne. Ein hoher Maschendrahtzaun kam in Sicht. Er war teilweise unter Schneewehen begraben. Dort wo sich der Zaun verbogen hatte, hingen riesige Eiszapfen herunter und glitzerten in der Mittagssonne. Ein großes, ebenfalls aus Maschendraht gefertigtes doppeltüriges Tor hing schief in den Angeln. Vor dem Zaun war eine größere Fläche Schnee geräumt worden und der gefrorene Erdboden lag brach. »Hier ist der Wendeplatz. Schaut aus, als wäre jemand mit einem Panzer gegen das Tor gefahren und hätte es niedergewalzt.«
Jürgen nickte und meinte »Wenn ich mich recht erinner, vermutet die Spusi, dass die Diebe mit zwei größeren Lastern rein sind, das Tor rammten und dann in kürzester Zeit so viele Solarpanele abmontierten, wie möglich. Dann sind sie abgehauen. Wann das das Ganze passiert ist, weiß man nicht genau, wahrscheinlich am Rosenmontag, als alle Einheiten damit beschäftigt waren, den Zettelmörder zu fassen.«
»Vielleicht haben wir Glück und es taucht ein Laster mit kaputten Scheinwerfern auf«, meinte Christine, die ewige Optimistin. »Lass uns genauer schauen, wie groß der Schaden ist«, schlug Christine vor, als beide ausgestiegen waren. Sie zog sich eine rosa Pudelmütze tief über die Ohren und schlüpfte anschließend in ihre Lederhandschuhe.
»Nicht gerade Polizeistandard, deine Mütze.«
»Dafür schön warm. Los, komm.« Christine stapfte voran.
Die beiden Beamten folgten den gut sichtbaren Reifenspuren im Schnee und sahen sich den von den Räubern verursachten Schaden an. An einem Hang, der Richtung A96 abfiel, standen auf einer Fläche, die gut zwei Fußballfeldern entsprach, leere, teilweise verbogene Metallgerüste. Etwas weiter unten trugen die Gerüste noch Paneele. Rechts oben auf einem Hügel, wachte eine Kapelle.
»Das ist die Autobahnkapelle und wenn man der Kurve der Autobahn Richtung Süden folgt, kommt der Autobahnparkplatz, von dem man Zugang hat zum Gebetshaus«, erklärte Jürgen.
Christine legte den Kopf schief. »In einen Laster passen bequem zwei Leute, vier, wenn sie zusammenrücken. Aber um so eine Menge Panele in kurzer Zeit abzubauen, reicht das doch nicht aus?«
»Kommt drauf an. Mit mehr Leuten geht es schneller«, stimmte Jürgen zu.
»Aber zwei Laster und ein Personentransporter, die hier die enge Straße entlangfahren, wären doch aufgefallen.«