Hausbesuche - Birgit Granzow - E-Book

Hausbesuche E-Book

Birgit Granzow

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Beschreibung

Haben Sie sich auch schon mal gefragt, was sich hinter den Fensterscheiben eines Hochhauses verbirgt? Hinter den Gardinen, Jalousien und Vorhängen? Nehmen wir irgendein fiktives, x-beliebiges Mehrfamilienhaus in der Stadt: Geht da auch die Fantasie mit Ihnen durch, wenn Sie sich vorstellen, welche Geschichten sich in dem Haus abspielen könnten? Uns hat die Idee fasziniert. Acht Autoren aus dem Rheinland, die ihrer Schreibgruppe den Namen ″SatzZeichen″ gaben. Wir haben uns Geschichten ausgedacht, die in einem Düsseldorfer Hochhaus spielen könnten. Geschichten über ganz normale Durchgeknallte, über Draufgänger, Überflieger, Mörder, Zeitreisende, alte und junge Menschen, die alle eins gemeinsam haben: Sie sind unserer Fantasie entsprungen.

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Frank Hönl, Birgit Granzow,

Tilmann Schipper, Geertje Wallasch,

Karl Kreifelts, Angela Meiser,

Michael Schumacher, Karlheinz Wende

Hausbesuche

Etagenweise Kurzgeschichten

© 2018 Frank Hönl, Birgit Granzow, Tilmann Schipper,

Geertje Wallasch, Karl Kreifelts, Angela Meiser,

Michael Schumacher, Karlheinz Wende

Lektorat, Korrektorat: SatzZeichen

Verlag und Druck: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback:

978-3-7469-9995-1

e-Book:

978-3-7469-9997-5

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Der Mietvertrag

von Karlheinz Wende

Abgründe

von Angela Meiser

There is a house

von Karl Kreifelts

Der Auftrag

von Birgit Granzow

Türen I

von Frank Hönl

Das Gespräch

von Tilmann Schipper

Der alte Mann und die Tür

von Karl Kreifelts

Meine Stadt

von Geertje Wallasch

Radio

von Karl Kreifelts

Abendsonne

von Michael Schumacher

Vielleicht kein schlechtes Geschäftsmodell

Von Karlheinz Wende

Türen II

von Frank Hönl

Aussichten

von Tilmann Schipper

Endlich wieder fernsehen

von Karlheinz Wende

Besuch für Ehepaar Julius

von Birgit Granzow

Der Schläfer

von Karl Kreifelts

Wszystko

von Michael Schumacher

Geliebter Töffel, Gesellschaft oder Egotrip

von Geertje Wallasch

Die Polizei dein Freund und Helfer

von Karlheinz Wende

Voice over IP

von Frank Hönl

Schulausflug

von Karlheinz Wende

Die Autoren

Der Mietvertrag

von Karlheinz Wende

Einschreiben per Postniederlegungsurkunde!

Es durchfährt mich wie ein elektrischer Schlag vom Hirn bis in Finger- und Zehenspitzen!

Auf diesem Wege werden Todesurteile verschickt!

Ich spüre, wie mein Unterkiefer leicht vibriert, meine Augenlider zucken, mein Kopf zu glühen beginnt, meine Atmung pumpt. Trotzdem scheint es mir, als ob ich kurz vor dem Ersticken stehe. Meine Knie sind weich wie Kartoffelpüree. Ich habe das Gefühl, in mich zusammenzusacken wie eine Marionette, der man den Haltefaden durchgeschnitten hat. Mit zittrigen Fingern bekomme ich den Umschlag erst nach mehreren Versuchen geöffnet.

"Kündigung wegen Eigenbedarfs" lese ich.

Vor etwa zwei Jahren bin ich erst in diese Wohnung eingezogen, habe einiges investiert, weil sie recht heruntergekommen und verwohnt war. Aber sie entsprach genau meinen Vorstellungen und Bedürfnissen; Parterre mit Terrasse und alleiniger Gartennutzung. Ideal für meinen Hund und mich! Groß genug für einen pensionierten Lehrer, bei dem sich im Laufe seines Lebens vieles angesammelt hat. Nicht so groß, dass man ständig zu Staubtuch und Putzeimer greifen müsste.

Äußerst ärgerlich!

Aber trotz aller Wut, die ich in mir aufkommen fühle, die nun meine Knie stabilisiert, meinen Rücken strafft und meinen Griff fester werden lässt, so fest, dass ich den Umschlag ungewollt in der Hand zerknülle, bin ich doch erleichtert.

Meine gerade noch panische Angst vor etwas Schrecklichem, mir Unbekannten ist durch den Adrenalinschub, der gerade durch meinen Körper schießt, schlagartig in Aggressionsbereitschaft umgewandelt.

Ich bin kampfbereit!

»Isch könnt Ihnen jetz natürlisch erzählen: Kein Prozess sicherer zu jewinnen als dä hier!«, nuschelt der Rechtsanwalt in einer Mischung aus Düsseldorfer Platt und Sprachfehler und sieht mich dabei über den Rand seiner Nickelbrille an, »aber wenn isch ehrlisch sein soll, lassen se de Finger davon! Da hamse kaum ne Schangse. Unn et wird teuer!«

Vierzehn Tage später stehe ich vor der Tür eines mehrstöckigen Hauses. Es ist herbstlich kühl. Natürlich bin ich wieder viel zu dünn angezogen. Der Wind treibt die Blätter in die Nische des Hauseinganges, wo sie sich, unter lautem Rascheln, in einer Spirale drehen.

Der Makler hat sich etwas verspätet, entschuldigt sich wortreich. Er kramt einen dicken Schlüsselbund aus der Aktentasche und schließt die breite Holztür auf. Der Lack blättert an einigen Stellen. Eine der vielen kleinen Drahtglasscheiben hat Sprünge. Das erinnert mich ein wenig an den Geometrieunterricht meiner Schulzeit: Was sagt Ihnen die Kurve auf Rasterdarstellung im Koordinatenkreuz oder so ähnlich?

Beim Öffnen quietscht die Haustür und schleift leicht über den Boden. Sie schließt von allein, wieder die gleichen Geräusche in umgekehrter Reihenfolge, ehe sie mit lautem Scheppern ins Schloss fällt.

»Das wird in Kürze renoviert!«, merkt der Makler an.

Wir gehen vorbei an mehreren übereinandergestellten Briefkastenreihen. Ilsanker, Schmidtbauer, Miär, Markwart, Julius sehe ich im Vorbeigehen. Ehe ich weiterlesen kann, zeigt der Makler auf einen der Kästen in der unteren Reihe. »Das könnte dann demnächst Ihrer sein!«

Links der Aufzug. Ein Lämpchen signalisiert, dass er derzeit unterwegs ist.

»Den brauchen Sie dann ja nicht!«

Wir umkurven den Treppenaufgang, Solnhofener Schiefer, Eisenstangengeländer mit Messinghandlauf. Zwar alles nicht vom Modernsten aber penibel sauber und gepflegt. Einige Wohnungstüren und die Hintereingänge der Geschäfte lassen wir rechts liegen und gehen auf die Tür im Parterre links zu.

»Ja, und wie gesagt, Haustiere sind erlaubt! Der Vermieter ist überhaupt sehr großzügig!«

Der Makler öffnet die Wohnungstür. Eine Wolke abgestandener Luft quillt uns entgegen. Die schon etwas tief stehende Sonne lässt trotz der Filterung durch eine Staubschicht auf den Fensterscheiben den Teppichboden nicht gerade im besten Licht erscheinen.

»Eine sehr ruhige, angenehme Wohnlage hier auf der Rückseite des Hauses. Eigentlich eine ideale Ergänzung! Gute Verkehrsanbindung mit Straßenbahnhaltestelle vor dem Haus und hinten diese Ruhe. Zwölf Quadratmeter Terrasse und sechzig Quadratmeter Garten zu Ihrer alleinigen Nutzung.«

Ich gehe durch die Räume, der Makler an meinen Fersen. In der Küche einige kleine Fliesenschäden, Steckdosen und Schalter wohl aus der Erbauungszeit.

»Das Haus hat eine gute Bauqualität. Die Mieter sind überwiegend, ähh, wie soll ich sagen, gut situierte Familien, alles Leute mit Niveau. Sie werden sich hier wohlfühlen. Ich glaube, Sie passen in dieses Haus.«

In einem solchen Zustand hatte ich meine derzeitige Wohnung auch übernommen. Aber Parterre, Gartennutzung, relativ zentrale Lage, mein Hund kein Problem. Das sind Argumente! Eigentlich alles wie gehabt, außer dass ich noch einmal über "Los" gehe, ohne 4000 Euro einzuziehen.

»Aus dieser Wohnung lässt sich was machen! Selbstverständlich Kabelanschluss! Sie können sich denken, dass man die mit Kusshand vermietet bekommt. In den nächsten Tagen kommen noch fünf weitere Interessenten.«

Wir stehen im Bad. Die Fliesen im Chic der siebziger Jahre. Wenn man sich damit anfreunden kann, ist alles in Ordnung.

»In den letzten Tagen hätte ich die Wohnung schon vermieten können. Aber die Leute passten einfach nicht in dieses Haus. Da muss man ja auch ein Auge drauf haben!«

Meinem Vorsatz, alle wichtigen Entscheidungen mindestens einmal zu überschlafen, bleibe ich auch in diesem Falle treu.

Vier Tage später sitze ich im Büro des Maklers. Ich überfliege den Mietvertrag und setze meine Unterschrift darunter. Dann schaue ich noch einmal auf den Kopf des Formulars. Wenn ich den Kuli nicht schon hingelegt hätte, wäre er mir vermutlich aus der Hand gefallen.

Die Wohnung gehört demselben Kerl, der mich gerade rausgeschmissen hat!

Abgründe

von Angela Meiser

Da sind Sie ja schon! Schön, dass Sie da sind oder wie sage ich da jetzt … Entschuldigung, ich bin ein bisschen aufgeregt. Es ist das erste Mal, dass ich … aber kommen Sie doch bitte erst einmal herein. Hier ist die Garderobe, falls Sie ablegen möchten?

Ich empfange hier selten jemanden, aber es ist aufgeräumt. Eben habe ich sogar noch den Müll hinuntergebracht, das ist nur mit Nervosität oder Gewohnheit zu erklären.

Meine Mutter pflegte zu sagen, Männer und Müll müssen morgens vor die Tür. Aber hier lebt kein Mann mehr, deshalb habe ich Sie ja auch angerufen, letztlich.

Tja, da sind wir also. Hier wohne ich. Ich musste mich erst mal wieder an die Enge gewöhnen. Bis vor kurzem habe ich mit meinem Mann in einem Einfamilienhaus gewohnt, drüben in Oberkassel, auf der anderen Rheinseite. Aber, als ich klein war, habe ich mit meinen Eltern in einer ganz ähnlichen Wohnung gelebt wie jetzt. Zurück zu den Wurzeln, wenn Sie so wollen.

Gleich hier neben der Tür ist das Bad, hinten durch die Küche, hier links das Wohnzimmer und rechterhand das Schlafzimmer.

Wir kommen gleich zur Sache, keine Sorge. Aber erst muss ich Ihnen alles erzählen. Bitte, das ist mir wichtig. Sie sollen wissen, wer ich bin. Sonst verstehen Sie mich nicht und darum geht es doch am Ende bei so einer Angelegenheit. Dass Sie mich verstehen.

Wie? Sie drängen mich nicht? Ich danke Ihnen von Herzen. Wirklich.

Ich habe immer funktioniert wie eine Maschine. Rüdiger konnte sich blind auf mich verlassen. Wann immer er auf Geschäftsreisen ging, und das war oft, zu Hause lief alles reibungslos weiter, das Haus war tipptopp, die Kinder hatten ein gesundes Schulbrot im Toni und alle Stempel im Impfpass. Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen und trotzdem – na, Sie sehen ja, wohin es mich gebracht hat.

Meine Mutter sagte gerne, wenn du hinfällst, steh wieder auf, aber richte dein Krönchen, bevor du weitergehst. Daran habe ich mich viel zu lange gehalten.

Vielleicht hätte ich einfach mal liegenbleiben sollen. Stattdessen bin ich aufgestanden, habe stumm meine Sachen gepackt und Miriam meine Krone überlassen.

Soll ich das Fenster lieber schließen? Die Straßenbahn hält direkt vor der Tür, die quietscht beim Bremsen noch schlimmer als die Haustür unten.

Aber setzen Sie sich doch bitte. Sie müssen da vorne an der Ecke über den Couchtisch hinwegsteigen.

Das Sofa ist leider zu groß für diesen Raum. Rüdiger und ich haben es mal als Wohnlandschaft gekauft, als die Kinder noch klein waren. Wir haben alle auf einmal drauf gepasst, die ganze Familie. Das waren schöne Zeiten.

Die Miriam wollte dann lieber ein Rolf Benz Sofa und die Wohnlandschaft hat sie hierherbringen lassen, als ich ein paar Tage im Saarland war. Da hat sich mein Vater in einem betreuten Wohnheim eingekauft. Mit dem alleine Wohnen war er überfordert, sein Gedächtnis lässt auch etwas nach. Aber handwerklich ist er immer noch ein Ass, das hat er mir vererbt. Wir haben zusammen seinen Wasserkocher repariert, da war ein Kabel durchgeschmort, an so etwas hat er noch richtig Freude.

Ich bin ein paar Tage geblieben. Rüdiger wollte ihn nicht bei uns im Haus haben, sagte er. Er sei froh, dass die Kinder ausgezogen seien und wir endlich mehr Zeit für uns haben. Da habe ich ihm dann zugestimmt, wie ich das meistens getan habe. Allerdings habe ich da auch noch gedacht, dass dieses "wir" mich mit einschloss.

Kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten? Ich habe eine Jura, die macht hervorragenden Latte Macchiato. Rüdiger hat sie mir überlassen, er sagte, Kaffee trinken sei doch mehr oder weniger mein Hobby. Er selbst trinkt nun lieber Matetee mit Miriam.

Miriam hätte Ihnen sicher auch besser gefallen als ich. Ich war nie die Frau, nach der sich alle Männer umgedreht haben, aber als ich jung war, sah ich schon noch etwas besser aus.

Mir ist klar, dass ich meine Redezeit überschreite. Je schöner eine Frau ist, umso ausführlicher darf sie sich gemeinhin äußern. Deshalb rechne ich auch nicht mit einer Sonderbehandlung, allenfalls mit dem Standardprogramm.

Verzeihen Sie, ich rede wie ein Wasserfall, aber das hier liegt mir so auf der Seele und Sie sind ein wirklich guter Zuhörer.

Das ist nett, dass Sie das sagen. Ja, da haben Sie sicher Recht, zuhören gehört in gewisser Weise zu Ihrem Job. Trotzdem reizend, dass Sie mir den Druck nehmen. Ich hatte das Gefühl, ich müsse ganz schnell erzählen, bevor Sie das Interesse verlieren und mich unterbrechen.

Ein bisschen anders habe ich Sie mir allerdings vorgestellt, wenn ich ehrlich bin.

Jedenfalls habe ich keinen Ohrring erwartet, das überrascht mich wirklich. Nicht, dass es mich stört, verstehen Sie mich nicht falsch. Wir sind ja alle so eingefahren in unseren Vorstellungen. Aber ein Ohrring, werden Sie da nicht häufig drauf angesprochen? Nein? Na, ich kenne mich da auch eigentlich gar nicht aus. Wenn Sie mir noch vor einer Woche gesagt hätten, dass ich je bei Ihnen anrufe, hätte ich Sie ausgelacht.

Rüdiger wäre jetzt entsetzt. Er hat immer sehr viel Wert darauf gelegt, dass meine Umgangsformen tadellos sind. Wissen Sie, mein Vater war bloß angestellter Elektriker in einem Zwei-Mann-Betrieb. So gesehen bin ich zwischendurch ganz schön aufgestiegen an Rüdigers Seite. Aber war sein Erfolg nicht auch ein bisschen meiner? Ich als brave Ehefrau und unsere wohlerzogenen Kinder haben ihm das perfekte Image für seine konservative Arbeitsumgebung verpasst. Ein Familienvater übernimmt Verantwortung und ist weniger risikofreudig als ein Single. Der überlegt sich zweimal, ob er seinen Job wechselt oder in eine andere Stadt zieht. Rüdiger hat das alles durchschaut und dementsprechend seine Karriere geplant. Eine Miriam jedenfalls, die am helllichten Tag mit 10-Zentimeter-Absätzen und Leggings herumläuft, hätte ihm da eher geschadet, so gut das bei ihrer Figur auch aussehen mag.

Doch an meiner Seite konnte er erstrahlen, weil Frauen wie ich Licht nicht absorbieren, sondern reflektieren, zurückwerfen auf den, der es zuvor ausgesendet hat.

Männer heiraten nach unten, Frauen nach oben, hat meine Mutter gesagt. Aus irgendeinem Grund hielten die Leute Rüdiger immer für etwas Besseres, dabei war sein Vater auch nur Postbeamter. Aber er hatte diesen ungeheuren Ehrgeiz.

Er hat immer aufgepasst, dass meine einfache Herkunft nicht durchkommt, wie er das nannte. Wenn wir Gäste hatten, saß Rüdiger mir gegenüber und trat mir ans Schienbein, sobald ich etwas sagte, was seiner Meinung nach unpassend war. Ich hatte einiges zu lernen, aber ich stellte mich nicht dumm an.

Und wenn man dann plötzlich gebeten wird, den Platz im eigenen Haus für die Nachfolgerin freizumachen, dann ist das schon ein schwerer Schock.

Wir waren doch ein gutes Team, Rüdiger und ich. Haben uns alles gemeinsam aufgebaut, die Kinder groß bekommen, selbständig, glücklich, wenn auch beide im Ausland leben, aber so ist das heute eben.

Trotzdem sitze ich jetzt hier und ihm gehört unsere Stadtvilla in Oberkassel ganz allein. Ein ganz blöder Zufall war das, dass ausgerechnet damals, als mein Kleinster so schwer krank war, der Notartermin für den Hauskauf angesetzt wurde. Rüdiger hat zu mir gesagt, bleib du mal hier, der Kleine braucht jetzt seine Mutter. Nie hätte ich gedacht, dass sich da gerade meine Zukunft entscheidet, über so etwas denkt man nicht nach, wenn einem ein Kleinkind über die Bettlaken spuckt. Ich hätte auch nie gedacht, dass Rüdiger diesen Umstand je gegen mich verwenden würde.

Jetzt habe ich zwar noch die EC-Karte für unser gemeinsames Konto, aber da herrscht Ebbe, genau wie auf unseren Sparkonten.

Was ich denn glauben würde, wie die Wohnungspreise explodiert seien in den letzten Jahren, hat Rüdiger sich empört, als ich nach meinem Anteil gefragt habe. Und diese Wohnung überließe er mir sogar komplett mit allem Pipapo, da würde ich so viel sparen an Anschaffungskosten für Hausgeräte, da würde er einen ganz schönen Verlust einfahren.

Möchten Sie Zucker? Ein Wasser könnte ich Ihnen auch noch anbieten. Haben Sie auch so eine trockene Kehle wie ich?

Diese Wohnung jedenfalls hatte Rüdiger schon vor längerer Zeit gekauft, wie sich herausstellte, nämlich für Miriam, doch dann fanden die beiden wohl es ganz praktisch, sie mir anzubieten, vielleicht damit ich kein Theater mache, wenn sie mich vor die Tür setzen, dabei war das nie meine Art. Theater zu machen, meine ich.

Sie dachten wohl, wenn ich einen Unterschlupf habe, gehe ich einfach, und so war es dann ja auch.

Als ich von meinem Vater aus dem Saarland zurückkam, saßen die beiden auf dem neuen Rolf Benz Sofa, und meine Tasche war schon gepackt.

Tja, und da bin ich nun. Ich hatte völlig vergessen, was das bedeutet, Tür an Tür mit Wildfremden zu leben.

Vor allem die häufigen Geräusche aus der Wohnung im ersten Stock links finde ich unangenehm. Da wohnt wohl ein frisch verliebtes Pärchen ohne Schamgefühl. Da muss ich immer an Rüdiger und Miriam denken. Ich muss ja dauernd durch das Treppenhaus laufen, wenn ich zum Beispiel den Müll runterbringe oder Wäsche wasche.

Ich kann hier oben nicht waschen. An den Waschmaschinenanschluss in meiner Miniküche hatte die Miriam eine galvanische Biowave-Maschine angeschlossen, die der Haut irgendwie Feuchtigkeit zuführen soll.

Ihre Waschmaschine hat sie dafür neben dem leeren Schwimmbad im Keller aufgestellt, die Erlaubnis hatte sie vom Hausmeister, der mochte wahrscheinlich auch hohe Absätze.

Das Schwimmbad ist ein stillgelegter Luxus aus Tagen, wo man wahrscheinlich noch dachte, dass es im Leben immer nur aufwärts geht. Aber das Becken volllaufen zu lassen, könnte sich hier im Haus wahrscheinlich keiner mehr leisten, das reinste Geldgrab.

Mir war das sogar unheimlich. Ich wollte erst gar nicht so nah an den Beckenrand gehen, so ein leeres Schwimmbad, das saugt den Blick geradezu in die Tiefe, in den Abgrund.

Da sind ziemlich viele Kacheln kaputt und in dem tiefen Teil hinten, da, wo die verrostete Leiter hinunterführt, wohl auch die Bodenbeleuchtung.

Heute jedenfalls war mein Waschtag, und ich habe mich schon am Morgen geärgert, denn meine gute Miele-Waschmaschine, die hat die Miriam nicht herausgerückt.

Also musste ich ihre gebrauchte Zenker übernehmen. Aber die ging mitten im Waschvorgang aus und ich hatte keine Ahnung, wieso. Um wenigstens an meine Wäsche zu kommen, musste ich erst mal das Wasser aus der Trommel lassen, dafür gibt es so einen Schlauch neben dem Flusensieb. Weil ich die Maschine alleine nicht aufbocken konnte, habe ich das Wasser einfach über die Kacheln in Richtung Schwimmbad ablaufen lassen.

Ausgerechnet in dem Moment rief Rüdiger mich auf meinem Handy an und sagte mir, ich sollte ihm den Code für unseren Tresor geben.

Kurz bevor ich ins Saarland gefahren bin, hatte ich noch schnell den Code geändert, weil Rüdiger mir immer Vorträge gehalten hat, dass man Passwörter und Codes aus Sicherheitsgründen ständig ändern sollte.

Normalerweise hätte ich Rüdiger einfach den neuen Code gesagt, in dem Safe lag immer nur sein Pass und unsere Sparbücher, aber ausgerechnet diese Bitte hat mich dann umgehauen. Nach allem, was ich still und leise hingenommen habe, ist mir da der Kragen geplatzt. Der Code nämlich, den habe ich geändert in das Datum unseres Hochzeitstages. Zum ersten Mal im Leben habe ich Rüdiger angeschrien, das gebe ich zu. Wenn er nicht meine Waschmaschine reparieren würde, und zwar sofort, dann könnte er bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auf seinen Code warten. Und dann habe ich noch gesagt, dass ich hoffe, dass er eine wichtige Geschäftsreise verpasst, weil er nicht an seinen Pass kommt.

Und als mir einfiel, dass er ja vielleicht sogar mit der Miriam in den Urlaub fliegen will, musste ich weinen.

Da saß ich dann in dem muffigen, alten Schwimmbad mitten zwischen all der tropfnassen Wäsche und heulte wie ein kleines Mädchen. Es muss ewig gedauert haben, denn plötzlich tauchte Rüdiger neben mir auf und legte mir seine Hand auf die Schulter.