strömungsfern - Birgit Granzow - E-Book

strömungsfern E-Book

Birgit Granzow

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Beschreibung

Gedichte, die spielerisch, klug und poetisch sind - das sind die Texte der Düsseldorfer Autorin Birgit Granzow: Momentaufnahmen, die den Alltag einfangen, wie sprachliche Fotografien. Für alle, die schon lange keine Gedichte mehr gelesen haben und für alle, die Gedichte lieben. Birgit Granzows Texte spielen in Berlin, oder am Rhein, in Seoul, Bangkok oder Irland. Es sind Schnappschüsse von Reisen: Wir begegnen Malern, Jägern und Passagieren, Trinkern, Stewardessen, Unsichtbaren oder Astronauten. In den rund achtzig kurzen Texten werden wir beim Lesen "Reisende ohne Koffer".

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Seitenzahl: 23

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Birgit Granzow

strömungsfern

Gedichte

© 2021 Birgit Granzow

Verlag und Druck:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback:

978-3-347-24632-4

Hardcover:

978-3-347-24633-1

e-Book:

978-3-347-24634-8

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Gedichte 2019/2020

Vineta

Wir haben die versunkene Stadt gesehen.

Die Schaufenster sind voll Wasser gelaufen

und das Riesenrad hatte Schlamm im Getriebe.

Tintenfische klammerten sich an Straßenbahnen,

die unter Wasser kreischten,

und die Frauen trugen Mäntel

aus Grünalgen über den Kiemen.

Vor dem Krieg

Stadtfahrt mit reichen Bäuchen:

Durch Kohle, Teer, Ziegel und Draht

fährt das Auge.

Die Tore sind zugeworfen.

Die Straßen nackt vom Regen.

Bauten gehen durch den Blick

und Stille wirft das Laub

auf entfernte Episoden.

Zum gemütlichen Ausgang

wird es nicht kommen.

Bochum

Die große Glocke am Willy-Brandt-Platz,

angefertigt 1867 für die Weltausstellung,

wiegt fünfzehntausend Kilogramm.

Sie schlägt keine Stunden mehr.

Ihr Schatten fällt schräg Richtung Bürgerbüro,

wo die Agaven hinter den Fenstern

dem Gemurmel der Passanten lauschen.

Eine rote Plastikgießkanne steht daneben.

Die Orangen am Früchtestand frieren.

Farbige Garnrollen im Fenster nebenan,

der Schneider in seiner Werkstatt;

Augen auf und Taschen zugenäht -

Die Rollen laufen.

Bangkok

Er fängt an zu rauchen, mitten im Satz.

Der Reisschnaps ist schuld.

Sein Hemd klebt am Rücken.

Im Film würde man jetzt auf einen

Ventilator an der Decke schwenken.

Ein Tag, an dem man von weitem Gewitter hört.

Vorm Fenster tropft einem Kind Eis aus der Waffel,

auf einer Straße in Bangkok.

Irgendein Kind, irgendein Ort.

Mitten im Satz

reisen wir ab.

Momentaufnahme am Ostwall

Lichtspielhaus

Seidenweber in der Passage.

Davor durchtrennt die Niederflurbahn

zweispurig die Straßennaht.

Das Katzenkopfpflaster liegt rund um die Bäume.

Wurzeln heben die Steine.

In der Bäckerei steht eine Mutter mit Kind.

Das Gesicht der Verkäuferin,

gerötet von der Ofenhitze.

Darf es noch was sein?

Streuseltaler und Puddingbrezeln,

glänzende Rosinenschnecken im Uhrzeigersinn.

Jetzt wieder eine Straßenbahn an den Orangen vorbei.

Ich sehe was, was du nicht siehst.

Die Verkäuferin summt leise,

nimmt Kleingeld aus der Münzschale und nickt.

Die Mutter schiebt ihrem Kind

ein Stück Rosinenschnecke in den Mund -

vorsorglich, damit es nicht schreit.

Änderungsschneider

Er näht Sonnenblumen an den Horizont

und fädelt Zeit in die Uhren.

Ernst und mit gesenktem Blick:

Sieben auf einen Streich.

Wo Nadeln fallen,

näht er die Umlaufbahnen ins System

und teilt und spult

den Tag vom Garn,

damit die Nacht ein Kleid

aus Symmetrie erhält.

Drei Besuche

Guter Heinrich deckt die Halde.

Wo Schildkröte und Drache wachen

über die glücklose Stadt.

Wasserreiche Unterwelt der Grubenpumpen,

im mächtigen Hafen weder Sand noch Korn,

entladener Geisterschiffe Fracht.

Zum Totentanz wird dir das Techno-Fest.

Auch die Delfine bringen kein Glück: