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Jetzt das eBook zum Einführungspreis sichern! Verbotene Magie. Eine Leidenschaft, die in Träumen geboren wird. Und ein Geheimnis, das ihre Welt in Flammen setzt. Dein nächster Book-Boyfriend erwartet dich: Mit »Heart of Night and Fire« startet Bestseller-Autorin Nisha J. Tuli ihre vierbändige Fantasy-Serie »Das Nachtfeuer-Quartett«: actionreiche spicy New Adult Romantasy voller beliebter Tropes: Slow Burn, Enemies to Lovers, Grumpy x Sunshine Freundschaft, Found Family und Forced Proximity Zarya weiß, dass sie gefährlich ist: Seit ihrer Kindheit ist sie eine Gefangene, die zum Kämpfen ausgebildet wird, aber unter keinen Umständen ihre Magie einsetzen darf. Nur warum das so ist, weiß sie nicht. Als ihr endlich die Flucht gelingt, landet sie in einer schillernden Stadt aus Marmor, die dem Untergang geweiht scheint. Nacht für Nacht entbrennt vor den Toren der Kampf gegen grausame Dämonen. Zarya schließt sich den Kämpfern an – auch, um deren geheimnisvollem Kommandanten Vikram nahe zu sein. Doch der bluttrinkende Unsterbliche hat seine eigenen Geheimnisse. Und falls er hinter Zaryas kommt, ist sie in tödlicher Gefahr. Was Zarya schließlich über ihre Gefangenschaft und ihre verbotene Magie herausfindet, stellt sie vor eine unmögliche Wahl: ihre Heimat und ihre neu gewonnene Familie den Dämonen zu überlassen – oder die Macht zu entfesseln, die in ihr schlummert, und sich selbst an eine Dunkelheit zu verlieren, die seit Jahrhunderten auf sie gewartet hat. Fantasy Romance, die süchtig macht – mit dem Love Interest deiner dunkelsten Träume Nisha J. Tulis farbenprächtige, von der indischen Mythologie inspirierte Fantasy-Welt steckt voller düsterer Geheimnisse und tödlicher Herausforderungen. Eine starke, schlagfertige Heldin auf der Suche nach ihrer wahren Identität trifft auf vampir-ähnliche sexy Unsterbliche. Perfekt für die Fans des Fantasy-Bestsellers »Trial of the Sun Queen« und Carissa Broadbents »The Serpent and the Wings of Night« Tauche ein in die romantisch-fantastischen Welten von Nisha J. Tuli: Die Artefakte von Ouranos - »Trial of the Sun Queen« - »Rule of the Aurora King« - »Fate of the Sun King« - »Tale of the Heart Queen« Das Nachtfeuer-Quartett - »Heart of Night and Fire« - »Dance of Stars and Ashes« - »Storm of Ink and Blood« - »Queen of Shadows and Ruin«
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Seitenzahl: 533
Veröffentlichungsjahr: 2025
Nisha J. Tuli
Das Nachtfeuer-Quartett 1
Aus dem Englischen von Paula Telge
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.
Eine magische Stadt. Eine Leidenschaft, die in Träumen geboren wird. Ein Geheimnis, das ihre Welt in Flammen setzt.
Zarya weiß, dass sie gefährlich ist: Seit ihrer Kindheit ist sie eine Gefangene, die zum Kämpfen ausgebildet wird, aber auf keinen Fall ihre Magie einsetzen darf. Nur warum, weiß sie nicht. Als ihr endlich die Flucht gelingt, landet sie in der Juwelenstadt Dharati, die jede Nacht von Dämonen heimgesucht wird. Zarya schließt sich den Verteidigern an – auch, um deren gutaussehenden Kommandanten Vikram nahe zu sein. Doch der Unsterbliche hat seine eigenen Geheimnisse, und falls er hinter Zaryas kommt, ist sie in tödlicher Gefahr. Vielleicht kann ihr der geheimnisvolle Fremde aus ihren Träumen helfen ...
Band 1 der süchtigmachenden romantischen New-Adult-Fantasy voller slowburn Romance, sexy Unsterbliche, Grumpy x Sunshine Freundschaft und geheimnisvoller Traummänner
Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de
Karte des Reiches Rahajhan
Widmung
Vorwort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Glossar
Ein Brief von Nisha
Für jedes braune Mädchen,
das auch die Auserwählte sein wollte.
Willkommen zu Heart of Night and Fire! Zwischen diesen Seiten findet ihr den Anfang einer Romantasy-Reihe mit all den Tropes, die ihr liebt – Enemies to Lovers, Slow Burn, Familiengeheimnisse, Ride-or-Die-Freundschaften – und so viele mehr, alle inspiriert von indischen und südasiatischen Überlieferungen und Kulturen.
Für euer Leseerlebnis ist es wichtig anzumerken, dass es nicht mein Ziel war, eine historisch oder mythologisch akkurate Geschichte zu schreiben. Wenn ich sage inspiriert, dann meine ich inspiriert – heißt, dass ich die Mythologie als Ausgangspunkt genommen und dann meine eigenen Ideen und Wendungen eingebaut habe, ähnlich wie bei den Fantasyromanen, die aus eurozentrischer Perspektive geschrieben wurden.
Ich habe mich auch der Kleidung, der Bräuche, Gerichte und Kulturen aller Zeitperioden und Regionen Indiens sowie anderer Teile Südasiens bedient und diese mit der schillernden Welt verbunden, die meiner Vorstellungskraft entsprungen ist.
Als Autorin der indischen Diaspora wurde ich sowohl von dem Ort beeinflusst, an dem ich aufgewachsen bin, als auch von dem, dem meine Vorfahren entstammen. Was ihr hier in den Händen haltet, ist eine Verknüpfung all der Geschichten, die mein Leben geprägt haben.
Ich hoffe, Zaryas magische Geschichte voller Abenteuer und Romantik wird euch in ihren Bann ziehen.
Viel Spaß beim Lesen!
Nisha
Zarya jagte die Dämonen immer im Zwielicht. In diesem nebulösen Übergang von Tag und Nacht, wenn die Sonne hinter dem Horizont verschwand, waren sie am schwächsten. Seit Jahrzehnten brachten sie Verderben über die Südküste Rahajhans und hinterließen nichts als Verwüstung.
Die Nagas verbrachten ihre Tage damit, in den trüben Untiefen der Sümpfe zu lauern. Und in genau so einem kauerte Zarya gerade. Sie wusste, wie sie die Wesen hervorlocken konnte, sobald die letzten Sonnenstrahlen schwanden. Mit Sternenlicht. Aus Gründen, die sie nie verstanden hatte, lockte ihre Magie die Nagas aus ihren Schlupflöchern an die Oberfläche.
Zarya hob die Hand zu ein paar hellen Sternen empor und zog die Strahlen schimmernden Lichts zu sich herab, ließ sie zwischen ihren Fingern wabern, wo sie sich wie Rauch im Wind wanden. Auf dem Boden hockend ließ sie das verworrene Licht über die ölige Oberfläche des Sumpfes gleiten. Es schimmerte in der zunehmenden Dunkelheit. Ein strahlender Fluss in der Finsternis. In ihrer freien Hand hielt sie den Griff des langen, geschwungenen Talwars und wartete.
Es dauerte nie lang. Die Nagas waren gierige, grausame Wesen.
Die Wasseroberfläche lag still vor ihr. Das einzige Geräusch war das Rascheln der schwarzen Bäume, wenn eine sanfte Brise über die Blätter strich. Die Vögel, Insekten und anderen Tiere, die einst in diesem Wald zu Hause gewesen waren, waren dieser beklemmenden Trostlosigkeit schon vor langer Zeit entflohen.
Zaryas Magen kribbelte, während sie erwartungsvoll das Wasser anstarrte. Selbst der kleinste Fehler könnte sie das Leben kosten. Sie schauderte bei der Vorstellung, auf den Grund des Sumpfes gezogen zu werden und dort, wo niemand sie retten konnte, ein letztes Mal um Luft zu ringen.
Einen Moment später erklang ein Gluckern, Blasen bildeten sich auf der Oberfläche, und ein Kreischen durchbrach die Stille. In einer Schlammfontäne erschien ein augenloser Kopf. Durchscheinende weiße Haut spannte sich über den Schädel des schlangenartigen Monsters, das Maul weit aufgerissen. Es fletschte Reihen messerscharfer Zähne, bevor es sich auf sie stürzte, doch Zarya war bereit.
Sie schwang ihren Talwar in einem eleganten Bogen und durchtrennte gekonnt den Hals des Nagas. Sein Kopf landete mit einem fleischigen Schmatzen vor ihren Füßen, während sein dicker Körper zurück in den Schlamm rutschte. Sie atmete schwer aus, während der kribbelnde Adrenalinstoß in ihrem Blut abklang.
Nachdem sie den Khanjar aus ihrem Stiefel gezogen hatte, machte sie sich daran, das Gift des Nagas in ein kleines Glas abzuzapfen. Die tintenschwarze Flüssigkeit tropfte langsam hinein, während sie den Dolch tiefer in das bereits ergrauende Zahnfleisch stieß.
»Zarya! Was machst du da?«, hallte eine vertraute Stimme zwischen den Bäumen hervor.
Ärger wallte angesichts dieser Unterbrechung in ihr auf, als Aaravs große, schlanke Gestalt zwischen den dunklen Blättern auftauchte. Sie ignorierte ihn, wartete, bis der letzte Gifttropfen in ihrem Glas gelandet war, verstaute ihren Khanjar wieder im Stiefel und steckte das Gefäß in ihre Tasche.
»Nichts«, murmelte sie, schnappte sich ihren Talwar, stapfte auf ihn zu und rempelte ihn im Vorbeigehen mit der Schulter an.
»Warum machst du das überhaupt noch, hm?«, fragte er und folgte ihr wie eine summende Mücke, die sie nur allzu gern mit einem gezielten Schlag zerquetscht hätte. »Es ist niemand mehr da, der das Zeug kaufen könnte.«
Er hatte recht, aber das war überhaupt nicht der Punkt.
Früher hatte sie das Gift in dem nahe gelegenen Fischerdorf Lahar verkauft – die Dorfbewohner hatten es für ihre Fallen genutzt, um bestimmte Raubtiere fernzuhalten. Doch jetzt war auch das Dorf von dem Sumpf eingenommen worden, und die Menschen waren gezwungen gewesen, in den Norden zu fliehen, wo die Seuche noch nicht ausgebrochen war.
Aber die Jagd auf die Nagas gab ihr etwas zu tun, zähmte die Rastlosigkeit, die Zarya plagte. Der Verkauf des Gifts in Lahar war die einzige Gelegenheit gewesen, ihrem Gefängnis zu entfliehen. Doch es war nicht genug gewesen. Es würde nie genugsein.
Zarya lief an der Reihe mit Runen versehener Bäume entlang, die den Sumpf eindämmten und ihr Zuhause schützten. Das Dickicht aus dunklen Ästen und geschwärzten Blättern wich der prächtigen und vielfältigen Flora, die noch vor ein paar Jahren den gesamten Wald ausgemacht hatte.
Sie trat daraus hervor und sah Row, wie er mit verschränkten Armen dastand und auf sie wartete. Er trug eine schwarze Kurta, die sich an seine breite Statur schmiegte, sein dunkles Haar, in das kleine Zöpfe geflochten worden waren, reichte ihm bis zur Mitte seines Rückens.
Row war nicht Zaryas Vater, doch er war der einzige Vormund, den sie je gehabt hatte.
Nein, ein Elternteil war er mit Sicherheit nicht. Vielmehr war er ihr verdammter Wächter. Er hatte sie fast ihr gesamtes Leben hier festgehalten, seine Magie verhinderte ihre Flucht. Selbst nachdem alle anderen die zerstörte Küste verlassen hatten, blieb ihr erbärmliches kleines Trio aus irgendeinem unerklärlichen Grund, den er nicht preisgeben wollte, hier.
Sie fühlte sich wie eine fauchende Kobra, die in einem Korb gefangen war und sich danach sehnte, zu fliehen.
»Wo warst du?«, fragte er grimmig, als sie näher kam.
»Ich habe sie bei der Jagd auf Nagas erwischt«, sagte Aarav, der wie die Nervensäge, die er war, hinter ihr auftauchte.
Zarya warf ihm über ihre Schulter einen bösen Blick zu. »Bei den Göttern, Aarav, wird es denn niemals langweilig, so ein Vollidiot zu sein?« Sie drehte sich wieder zu Row um. »Ja, ich war jagen. Willst du mich auch noch ausschimpfen, als ob ich ein kleines Kind bin?«
Fast einen Kopf größer ragte Row wie ein missbilligender Berg über ihr. Nur wäre ein Berg vermutlich einfühlsamer.
»Du weißt, wie gefährlich das ist.«
Zarya machte eine wegwerfende Geste. »O bitte, du findest alles gefährlich.«
»Wenn jemand gesehen hätte, wie du deine Magie nutzt …«
»Wer soll mich denn sehen, Row? Hier draußen ist doch überhaupt niemand mehr.«
Verärgert presste er die Lippen zusammen. Sie hatten dieses Gespräch schon Hunderte, nein, Tausende Male geführt.
Ohne seine Antwort abzuwarten, wendete sie sich ab und ging.
»Komm zurück. Es ist Zeit für dein Training«, rief Row ihr hinterher.
Sie hielt inne und holte tief Luft, was jedoch nicht dazu beitrug, die Wut zu beruhigen, die wie ein Säurekessel in ihrer Brust brodelte. Es gab Tage, an denen sie sich vorstellte, die beiden im Schlaf umzubringen. Nicht, dass Row sie schlecht behandelte. Nicht wirklich. Er hatte auf seine eigene unbeholfene Art versucht, ihr ein väterlicher Ersatz zu sein, aber seine endlose Geheimnistuerei nagte an ihr. Sie ging auf ihr einundzwanzigstes Lebensjahr zu, sie war kein Kind mehr. Sie musste nicht mehr auf diese Weise beschützt werden.
Wenn sie die beiden umbringen würde, wäre sie allerdings noch einsamer als ohnehin schon. Noch dazu kam die Sorge, dass Rows Magie nicht verschwinden würde, wenn er tot war, und sie dann für immer hier gefangen wäre. Doch sie wollte Freiheit. Sie brauchte Antworten. Vor allem aber wollte sie mehr von der Welt sehen als nur diesen winzigen Teil der Küste, der ihre gesamte Welt ausmachte.
Sie wirbelte herum und starrte ihren Wächter mit zusammengebissenen Zähnen an. »Na schön. Dann lass uns verdammt noch mal trainieren.«
Rows Nasenflügel bebten, als sich Zarya ohne weitere Vorwarnung auf Aarav stürzte, der wiederum blitzschnell die Waffe zog, die an seiner Hüfte hing. Ihren Talwar noch fest in der Hand, schwang sie ihn über ihren Kopf auf Aarav nieder. Er blockte ihren Angriff in letzter Sekunde, ihre Klingen trafen aufeinander, das Klirren durchbrach die Stille des Sumpfes. Sie hatte ihn überrumpelt, die Wucht ihres Hiebs ließ ihn straucheln. Doch sie gab ihm nur eine halbe Sekunde, um sich zu erholen, bevor sie erneut zum Angriff überging.
»Schulter hoch«, befahl Row, als sie herumwirbelte, um sich wieder auf Aarav zu stürzen.
Sie legte es nicht unbedingt darauf an, ihn zu töten, aber wenn es aus Versehen passieren sollte, wäre das sicher kein Beinbruch für sie.
»Deine rechte Seite ist ungedeckt!«, rief Row Aarav zu, der grunzte, als er seine Klinge auf ihre herabschnellen ließ.
Aaravs Gesicht verzog sich konzentriert, als er ihren Angriff abwehrte. Ihre Fähigkeiten entsprachen sich nahezu, für gewöhnlich gewannen sie abwechselnd, doch heute kämpfte Aarav nicht nur gegen die Fähigkeiten, an denen Row ihr ganzes Leben lang gefeilt hatte. Aarav kämpfte auch gegen die aufgestaute, frustrierte Wut und die Verbitterung an, die sich durch Zaryas Geist zogen und in jede ihrer Zellen gesickert waren. Nichts hätte ihn auf den Kampf gegen ihre pure, ungefilterte Wut vorbereiten können.
Ein weiterer Hieb, ein weiteres Blocken, Stahl traf auf Stahl und blitzte im schwindenden Licht auf.
Zarya täuschte an und stürzte sich dann in die entgegengesetzte Richtung, womit sie Aarav überraschte, dann holte sie mit einem Fuß aus und trat ihm die Beine weg. Stöhnend landete er auf dem Rücken, und sie warf sich auf ihn und drückte ihn mit einem Knie auf seinem Brustbein zu Boden. Sie schlug ihm die Klinge aus der Hand, die er mit einem Schrei wegzog. Dann zog sie den kurzen Khanjar aus ihrem Stiefel und hob ihn über den Kopf, bevor sie ihn in einem eleganten Bogen hinabsausen ließ. Nur wenige Zentimeter über Araavs Gesicht hielt sie inne, sodass die Spitze des Dolchs direkt zwischen seinen weit aufgerissenen Augen schwebte.
Sie scheute sich nicht davor, unfair zu kämpfen, wenn es ihrem Zweck diente.
»Genug!«, bellte Row, die Arme fest vor der Brust verschränkt. »Du hast deinen Punkt klargemacht. Lass ihn aufstehen.«
Zarya knurrte, doch ließ von Aarav ab.
Röchelnd kämpfte er sich auf die Knie und zeigte vorwurfsvoll auf sie. »Sie will mich umbringen.«
Sie schnaubte. »Übertreib nicht.«
»Hört auf mit dem Gezanke. Ich bin es leid«, sagte Row mit finsterem Blick.
Aarav rappelte sich auf, funkelte Zarya an und verschwand mit wütend hochgezogenen Schultern im Wald.
»Musste das sein?«, fragte Row an Zarya gewandt.
»Was denn? Du willst, dass ich trainiere, also trainiere ich.« Sie warf sich ihren langen schwarzen Zopf über die Schulter. »Weißt du, was du machen könntest? Mich hier rauslassen. Oder zumindest jemanden in Dharati suchen, der mich herausfordert.«
»Das haben wir doch schon tausendmal besprochen«, erwiderte Row, bevor er sich abwandte und zu dem weiß getünchten Haus stapfte, in dem sie zusammenwohnten.
Immer wenn Zarya das Thema anschnitt, machte Row sich vom Acker und verschwand.
»Ja, und du hast mir immer noch nicht verraten, warum du mich hier festhältst. Ich werde in ein paar Wochen einundzwanzig. Du kannst mich nicht ewig wie ein Kind behandeln!« Sie schleuderte ihm die Worte hinterher, als er gerade die Tür hinter sich zuzog und sie allein draußen stehen ließ. »Ach, ist das Gespräch etwa beendet, Row?!«
Schnaubend spähte sie in den Wald. Wohin Aarav wohl gegangen war? Wie immer war sie neidisch, dass er einfach kommen und gehen durfte, wie es ihm gefiel. Als Rows Lehrling stand er nicht unter dem Einfluss der Magie, die ihr die Luft zum Atmen raubte.
Sie überlegte, Aarav zu folgen, doch sie wusste, dass sie nicht weit kommen würde, bevor Rows Magie sie aufhalten würde, weil sie zu weit vom Haus entfernt war. Mittlerweile wusste sie genau, wie weit sie gehen konnte, bevor das Gewicht seiner Macht zu schwer und sie schließlich bewusstlos wurde, nur um später auf ihrem Rücken zu sich zu kommen, mit Blick auf die Sterne.
Gewöhnlich stand Row dann über ihr, mit einem vorwurfsvollen Ausdruck auf seinem von Narben gezeichneten Gesicht.
Mit einem schicksalsergebenen Seufzen ging sie ins Haus, wo Row gerade in der kleinen Küche das Abendessen zubereitete. Nachdem er einen Topf mit Reis auf den Herd gestellt hatte, begann er mit der für ihn üblichen Geschicklichkeit, Zwiebeln zu schneiden. Er war ein erfahrener Kämpfer, und trotz seiner Größe bewegte er sich mit einer tänzerischen Anmut durchs Leben.
Zarya gesellte sich zu ihm, um zu helfen. Sie nahm eine Schüssel, in der bereits Hühnchenfleisch in einer Mischung aus Kurkuma, Chilis und getrocknetem Koriander marinierte. Dann schob sie die Stücke auf dünne Metallspieße und legte sie in die Pfanne.
Sie arbeiteten schweigend, ihre Bewegungen routiniert und effizient, doch die dicke Luft zwischen ihnen war schwer genug, dass man sie hätte schneiden und zum Abendessen dazu servieren können.
Während das Essen kochte, deckte Zarya den Tisch. Die Tür des Hauses schwang auf, und Aarav stürmte herein, offenbar noch immer sauer, wenn sie seinen finsteren Blick richtig deutete. Wortlos ließ er seinen drahtigen Körper auf den Stuhl an dem kleinen Holztisch fallen und begann, unter der Platte mit dem Knie zu wippen.
Row servierte das Essen, und sie aßen – wie so häufig schweigend.
Streitereien zwischen Zarya und Aarav waren so üblich wie der Sonnenaufgang und machten deutlich, dass sie keine Ahnung hatten, wie sie miteinander kommunizieren sollten.
Doch Zaryas Herz wurde weich, als sie Rows Blick sah, seine schwarzen Augen zuckten zwischen ihr und Aarav hin und her. Er wollte, dass sie miteinander auskamen und so etwas wie Glück fanden. Groll nagte jedoch ständig an ihr und ließ sie ausgelaugt und zerrissen zurück, sodass sie leicht die Fassung verlor.
Zorn und Einsamkeit waren ihre einzigen Freunde.
Die einzigen Konstanten in ihrem Leben.
Sie stocherte nur in ihrem Essen herum, sie war nicht wirklich hungrig. Row und Aarav taten es ihr gleich, es schien, als wäre ihnen der Appetit vergangen.
Sobald er fertig war mit Essen, stürmte Aarav ins Nebenzimmer und schlug ohne ein weiteres Wort die Tür zu. Zarya seufzte. Zumindest musste sie sich für heute nicht mehr mit ihm rumschlagen.
Als das Geschirr abgespült war, schenkte sie sich ein großzügiges Glas Birnenwein ein, schnappte sich ihr Buch und ging in den Garten. Ein Steinweg, gesäumt von bunten Zinnien und Lilien, führte sie zu einer hölzernen Laube, wo sie es sich auf einer der gepolsterten Bänke bequem machte. Unzählige schwebende Lichter erhellten den Garten und tauchten alles in einen warmen, kupferfarbenen Schein.
Zarya nippte an ihrem Wein, der Geschmack frisch und herb, und genoss das wohlige Gefühl, das sich in ihrem Körper ausbreitete.
Das Haus befand sich an der Küste des Dakhani-Meeres, dessen Wasser dunkelblau unter dem Sternenhimmel funkelte. Um sie herum blühten Frangipani, Hibiskus und Jasmin in leuchtenden Farben und vermischten sich mit den grünen Blättern, die wie die edelsten Smaragde schimmerten.
Sie starrte auf das Wasser und lauschte dem beruhigenden Tosen des Meeres.
Es war kein übles Gefängnis, doch ein Glühwürmchen konnte in einem noch so kunstvoll eingerichteten Gefäß gefangen sein, und ohne Luft würde es schließlich sterben.
Gedankenverloren spielte sie mit der dünnen Goldkette um ihren Hals, an der ein klarer Anhänger aus Türkis angebracht war. Er hatte die Größe eines Daumennagels, und seine Form erinnerte an eine Träne. Row behauptete, sie habe einst ihrer Mutter gehört – das Einzige, was ihr von ihren Eltern geblieben war. Zarya hatte nicht einmal Erinnerungen an sie, die ihr hätten Trost spenden können.
Sie stieß einen langen Atemzug aus und schlug in dem Buch auf ihrem Schoß eine Seite auf, die sie schon unzählige Male gelesen hatte. Nichts bereitete ihr mehr Freude, als sich in ihren heiß geliebten Liebesgeschichten zu verlieren. Sie hegte die Hoffnung, eines Tages selbst einmal eine solche Sehnsucht und Leidenschaft zu verspüren und schließlich ihr eigenes Happy End zu finden. Dafür müsste sie sich natürlich mehr als dreißig Schritte von diesem verfluchten Ort entfernen können.
Ein paar Minuten später hörte sie Schritte und sah aus den Augenwinkeln, wie Row sich neben sie setzte. Sie klappte das Buch zu, ließ den Blick aber weiter nach vorne gerichtet, starrte den Horizont an und wünschte, sie könnte die Welten und Menschen sehen, die sich jenseits davon befanden.
»Ich versuche nicht, dich zu quälen«, erklang Rows grollende Stimme, in der ein für ihn untypisches Mitgefühl lag.
Zarya war sich nie ganz sicher gewesen, ob er einfach nicht so stark empfand wie die meisten Menschen oder ob es ihm nur schwerfiel, seine Gefühle in Worte zu fassen. Er musste sich wirklich schuldig fühlen, um diesen seltenen Anflug von Mitgefühl zu zeigen.
Er legte ihr die Hand auf die Schulter, und sie starrte ihn finster an, schüttelte ihn jedoch nicht ab.
»Vergiss es einfach, Row. Ich will nicht darüber reden.«
»Da draußen gibt es nichts für dich, Zarya. Du verpasst nichts.«
Ungläubig funkelte sie ihn an. »Du glaubst jetzt nicht ernsthaft, dass ich dir das abkaufe, oder?«
Er seufzte und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, wobei er die Stirn runzelte. »Ich muss aufhören, dir so viele Bücher mitzubringen.«
Zarya schnaubte. »Na klar, damit ich bloß nicht auf noch dümmere Gedanken komme. Warum nicht auch noch meine Fantasie einsperren? Das würde für dich wahrscheinlich auch keinen Unterschied mehr machen.«
Row atmete angestrengt aus, das Gewicht der vielen Geheimnisse schien schwer auf ihm zu lasten. »Eines Tages wirst du es verstehen.«
»Das sagst du andauernd, und doch ändert sich nichts. Wann ist ›eines Tages‹? Was ist wirklich mit meiner Familie passiert? Warum verrätst du mir nichts?«
»Du weißt, dass ich dich nach dem Tod deiner Eltern aufgenommen habe.« Er knirschte mit den Zähnen, und es war nicht zu übersehen, dass er bereits die Geduld für dieses Gespräch verlor.
So viel zu den fünf Sekunden Mitgefühl.
»Die Geschichte erzählst du andauernd.« Zarya wandte sich ab und kippte den Rest ihres Weines hinunter. »Aber du bist auffallend sparsam, wenn es um Details geht. Wer waren sie? Was ist mit ihnen geschehen? Warum bin ich hier?«
Die Hände auf die Knie gestützt, hielt Row inne, überlegte wohl, was er sagen sollte.
»Mir ist klar, dass es schwer für dich ist. Aber ich habe ein Versprechen gegeben und geschworen, es zu halten, komme, was wolle.«
Damit stand er auf, ging zurück ins Haus und ließ Zarya wieder allein.
»Nur zu, tisch mir noch mehr Geschichten auf, wenn dir das abends beim Einschlafen hilft«, sprach sie in den Wind, während sie sich die Träne wegwischte, die sich langsam einen Weg über ihre Wange bahnte.
Am nächsten Morgen erwachte Zarya mit den ersten Sonnenstrahlen und kleidete sich in einen schwarzen Salwar Kamiz, der mit silbernen Sternen bestickt war. Diese reflektierten das Licht, wenn sie sich bewegte. Sie drehte sich vor dem Spiegel und bewunderte sich aus verschiedenen Blickwinkeln.
Row ging mehrmals im Monat in die Stadt und kam immer mit zahlreichen Geschenken zurück. Am meisten freute sie sich über die Bücher und kostbare handgefertigte Kleidung. Er überreichte sie ihr als eine Art Friedensangebot, als ob materielle Besitztümer diese traurige Existenz ausgleichen könnten. Sie vermutete, dass er auf diese Weise seine Gefühle zeigte, was ihm sonst eindeutig schwerzufallen schien. So oder so war es zumindest eine Abwechslung von ihrem eintönigen Alltag, und danach herrschte für gewöhnlich zumindest vorübergehend eine Art Waffenstillstand zwischen ihnen.
Sie strich sich ihre glänzenden schwarzen Locken aus der Stirn und steckte den oberen Teil mit einer silbernen Spange fest, bevor sie das winzige sternförmige Piercing in ihrem linken Nasenflügel richtete. Dann schlich sie zufrieden den Flur entlang. Nachdem sie die geschlossenen Türen von Rows und Aaravs Schlafzimmern passiert hatte, trat sie in das Wohnzimmer, das von einem großen Steinkamin dominiert wurde. So weit im Süden benutzten sie ihn lediglich ein paarmal im Jahr, in den stürmischsten Nächten. Row hatte ihn vor Jahren in einem seltenen Anflug von Heimweh nach den kühleren Temperaturen seiner nördlichen Heimat eingebaut, und Zarya liebte es, mit einer warmen Tasse Chai in den Händen dem Knistern und Knacken des Holzes zu lauschen.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes befand sich die Küche. Über der Arbeitsplatte gab eine Reihe von Fenstern den Blick auf das Meer frei. Dazwischen stand der kleine Holztisch, umgeben von vier Stühlen – nicht, dass sie jemals einen Besucher gehabt hätten, der auf dem zusätzlichen Stuhl Platz genommen hätte – und ein paar Sofas. Die Holzböden waren mit kunstvoll gewebten Teppichen ausgelegt, die die dringend benötigte Farbe in den Raum brachten.
Während die anderen noch schliefen, begann Zarya mit dem Frühstück, ging zum Kühlschrank und holte einen Teller mit gestapelten Aloo Paratha heraus. Nachdem sie eine Tava zum Erwärmen auf den Herd gestellt hatte, gab sie einen großzügigen Klecks Ghee hinein, bevor sie das mit Kartoffeln gefüllte Fladenbrot anbriet, bis es auf beiden Seiten goldbraun war.
Währenddessen kochte sie eine Kanne Chai und gab eine zusätzliche Zimtstange hinein, so wie sie es am liebsten mochte. Mit der Hüfte gegen die Arbeitsplatte gelehnt, starrte sie aus dem Fenster und beobachtete, wie die Sonne über den wogenden Wellen des Meeres aufging.
Schließlich kam ein verschlafener Aarav aus seinem Zimmer und rieb sich den Kopf, wodurch sein kurzes schwarzes Haar noch verwuschelter aussah.
»Guten Morgen«, flötete sie, wohl wissend, dass es ihn in den Wahnsinn trieb, wenn sie schon vor acht Uhr morgens so munter war.
Er quittierte das nur mit einem Grunzen und schenkte sich eine Tasse Chai ein, die er in einem Zug hinunterkippte. Dann schnappte er sich ein Fladenbrot vom Tisch und verschlang es, wobei er sich mit dem Rücken gegen die Arbeitsplatte lehnte. Er trug eine cremefarbene Kurta, die ihm bis zu den Knien reichte, und einen lockeren Dhoti aus hellerer, beigefarbener Baumwolle.
»Wo ist Row?«, fragte er mit vollem Mund.
»Dir auch einen guten Morgen, Zarya. Ich danke dir für das Frühstück. Ich weiß wirklich zu schätzen, was du alles für mich tust«, antwortete sie übertrieben und mit hoher Stimmlage.
Aarav verengte die Augen, riss ein weiteres Stück Paratha ab und schnitt eine genervte Grimasse. »Vielleicht schläft er noch«, sagte er und ignorierte ihre Stichelei. Dann stieß er sich von der Arbeitsplatte ab und stapfte in Richtung Rows Schlafzimmer.
Zarya folgte ihm stirnrunzelnd. Es war ungewöhnlich, dass Row so spät noch im Bett lag.
»Hey, du Faulpelz, fahren wir heute nach Dharati, oder was?« Aarav riss die Tür auf und stockte.
Zarya trat hinter ihn und ging auf die Zehenspitzen, um über seine Schulter zu spähen. »Was ist los?«
»Er ist nicht hier«, sagte er und schaute sie an.
»Dann muss er im Garten sein.« Zarya eilte nach draußen und suchte die Pflanzen und Bäume nach ihrem Wächter ab.
»Ist er vielleicht schon in die Stadt geritten?«, fragte sie, als Aarav hinter ihr auftauchte.
Doch dieser schüttelte den Kopf. »Ich sollte ihn heute Morgen begleiten.«
Zarya schürzte die Lippen und verkniff sich die Erwiderung, die ihr auf der Zunge lag. Wie schön, dass Aarav heute mit nach Dharati durfte und sie hier allein gelassen wurde.
Mal wieder.
Aarav ging zurück ins Haus. Die Morgenluft war bereits stickig und schwül und strotzte nur so vor Hitze. Sie erhaschte eine kühlende Brise, die über das türkisfarbene Wasser strich, und schloss mit einem tiefen Atemzug die Augen. Vielleicht würde sie später noch schwimmen gehen.
Einen Moment später kehrte Aarav in den Garten zurück. »Sein Schwert ist noch hier.«
Besorgt runzelte Zarya die Stirn. Row verließ selten ohne sein Schwert das Haus.
Aarav hatte jetzt seine eigene Waffe in der Hand. Er schnallte sich seinen Talwar um, bevor er auf die Ställe zusteuerte.
Zarya folgte ihm. »Was machst du da?«
»Ich werde nach ihm suchen. Irgendwas stimmt hier ganz und gar nicht.«
Sie hielten inne, als sie sahen, dass Rows Pferd, Ojas, auch noch da war. Row war zwar in der Lage, sich mithilfe seiner Magie schnell fortzubewegen, doch irgendetwas war seltsam an alldem, und auf einmal wurde ihr so unbehaglich zumute, dass ihr die Luft wegblieb, ähnlich wie nach einem Monsun.
»Ich will nicht allein hierbleiben«, sagte Zarya, den Blick auf Ojas gerichtet, während die Sorge in ihrem Nacken kribbelte.
»Du bleibst doch ständig allein hier.«
Sie knirschte mit den Zähnen. »Ja, aber dieses Mal ist es anders.«
Aarav hievte sich auf sein Pferd und blickte zu ihr hinab. »Du kannst nicht mitkommen. Das weißt du doch.«
»Lös die Fesseln«, bat sie ihn und ballte die Hände im Stoff ihrer Kurta zu Fäusten. »Befrei mich davon. Ich komme mit. Ich kann dir helfen.«
Aarav bedachte sie mit einem feindseligen Blick.
Sowohl Row als auch Aarav waren Aazheri – eine Gruppe von nahezu unsterblichen Magiern, die fünf verschiedene Zweige der Elementarmagie beherrschten: Erde, Luft, Wasser, Feuer und Geist.
Zarya wusste kaum etwas darüber, wie das alles funktionierte, aber was sie wusste, war, dass Row über eine tiefe Quelle der Macht verfügte, wohingegen Aaravs Magie nicht mehr als eine seichte Pfütze war. Er war also gar nicht in der Lage, Rows Zauber zu brechen, und sie hoffte, dass ihre Worte ihm einen Stich versetzten.
Seit sie sich erinnern konnte, hatte Aarav mit seinen Gaben vor ihr angegeben, weswegen sie keinerlei Gewissensbisse hatte, ihn daran zu erinnern, dass er zwar über stärkere Magie als sie verfügte, aber unter seinesgleichen dennoch schwach war.
Vermutlich war das einer der Gründe, warum er so ein Arschloch war.
Er antwortete nicht, stattdessen warf er ihr nur einen weiteren finsteren Blick zu, bevor er sein Pferd zum Trab antrieb und in den verpesteten Wald ritt.
»Wann kommst du zurück?«, rief Zarya ihm hinterher.
Doch Aarav verschwand ohne ein weiteres Wort im Schatten der Bäume.
Sie sah ihm nach und wünschte sich wieder einmal, sie wäre nicht an diesen winzigen Streifen Land gebunden. Bei den Göttern, wie sehr sie es hasste. Mit einem frustrierten Schrei stürmte sie zurück ins Haus und warf sich mit verschränkten Armen auf den gepolsterten Diwan im Wohnzimmer, wo sie im Sumpf ihrer Wut schmorte.
Sie verbrachte den Tag damit, auf und abzugehen und auf Geräusche von Rows oder Aaravs Rückkehr zu lauschen. Doch als die Nacht hereinbrach, beschlich sie ein unbehagliches Gefühl. Wenn Row wirklich tot war, was bedeutete das dann für Zarya? Würde sie für immer hier gefangen sein?
Die Wände des kleinen Hauses wirkten immer bedrückender und schienen auf eine Weise näher zu kommen, die ihr nur allzu vertraut war. Manchmal lastete das erdrückende Gewicht ihrer Gefangenschaft so schwer auf ihrer Brust, dass sie kaum noch Luft bekam.
Sie beschloss, dass sie mehr Sauerstoff brauchte, schnappte sich eine Decke und eine Flasche Pflaumenwein und ging nach draußen. Weißer, kristallklarer Sand säumte das Ufer, wo sie die Decke ausbreitete und sich im Schneidersitz niederließ. Sie entkorkte den Wein, trank ihn direkt aus der Flasche und starrte aufs Meer hinaus.
Die Sonne verschwand gerade hinter dem Horizont und färbte den Himmel in Orange- und Rosatönen. Bald schon funkelten die Sterne über ihr.
Zarya blickte über die Schulter, spähte in die Dunkelheit und lauschte aufmerksam auf die Rückkehr ihres Wächters. Zum Glück hinderte Rows magische Barriere die Kreaturen des Sumpfes daran, ihr zu nahe zu kommen – denn da draußen lauerte weitaus Schlimmeres als nur die Nagas. Für den Moment war sie hier sicher, auch wenn sie furchtbar allein war.
Um ihre Nerven zu beruhigen, zog Zarya die Sterne zu sich heran und hob eine Hand Richtung Himmel. Bänder aus Licht sammelten sich zwischen ihren Fingern, wie Eisenspäne, die von einer magnetischen Kraft angezogen wurden. Sie wusste nicht, woher diese Magie kam, nur, dass sie diese seltsame Fähigkeit zufällig entdeckt hatte, als sie noch ein kleines Kind gewesen war. Doch abgesehen davon, dass sie damit die Nagas rufen konnte, war es ein nutzloser, wenn auch hübscher Trick.
Row hatte jahrelang mit ihr geübt und versucht, ihr mehr zu entlocken, aber diese schwache Gabe war schon der Gipfel ihrer Magie. Nach jedem vergeblichen Versuch seufzte Row mit einer Mischung aus Erleichterung und Frustration. Doch das hinderte ihn nicht daran, ihr unentwegt einzubläuen, dass niemand jemals etwas davon erfahren durfte. Es war nur ein weiteres Rätsel, für das sie keine Lösung hatte, und egal, wie oft sie nachfragte, Row blieb so wortkarg wie ein Spion, der hinter feindlichen Linien geschnappt worden war.
Zarya starrte das Licht an, das zwischen ihren Fingern glühte, und verlor sich in der Zärtlichkeit des sanften Scheins. Dann streckte sie die Hand aus und ließ es davonschweben, bevor es im Nachthimmel verschwand.
Mit einem weiteren schweren Seufzer leerte Zarya die Weinflasche. Langsam drehte sich alles um sie herum. Sie beschloss, dass sie die Enge ihres Schlafzimmers heute Nacht nicht ertragen würde, und legte sich in den Sand. Ihre Wange auf die Decke gedrückt, stellte sie sich den Tag vor, irgendwann in ihrer verworrenen Zukunft, an dem ihr Leben vielleicht endlich beginnen würde.
Schließlich fiel Zarya in einen unruhigen Schlaf und träumte von einem Wald, in dem Nebel und Schatten waberten. Hohe Bäume umgaben sie – die Stämme massiv, mit belaubten Ästen, die in einen violetten Himmel ragten. Über ihr zogen dichte Ströme funkelnder Sterne dahin.
Es fühlte sich nicht wirklich an wie ein Traum. Es war zu real, um nur in ihrem Kopf zu existieren. Das Gras kitzelte ihre Wange, und die sanfte Brise streichelte ihr Haar und ließ die Blätter rascheln. Verwirrt richtete sie sich langsam auf, näherte sich einer kleinen Lichtung und blieb stehen, um ihre Umgebung zu betrachten.
Sie war sich sicher, noch nie zuvor hier gewesen zu sein, und doch kam der Wald ihr irgendwie bekannt vor. Wie der Duft in einer fernen Erinnerung, den man schon fast vergessen hatte.
Die Sterne am Himmel zogen Zarya an – sie hatte noch nie so viele auf einmal gesehen –, und sie hob die Hand, um ihr Licht zwischen den Fingern hin und her wirbeln zu lassen. Sie beobachtete den Schein, der kräftiger und dichter wirkte als sonst.
Gewiss war das nur ein Traum, aber es fühlte sich nach mehr an. Es fühlte sich an wie Magie.
Ein überraschter Atemzug entwich ihr, als sie merkte, dass sie nicht allein war. Am Rande der Lichtung stand eine vermummte Gestalt, umgeben von Nebel und Schatten. Zaryas Verstand befahl ihr, auf der Hut zu sein, doch irgendetwas an der Erscheinung gab ihr ein Gefühl von Sicherheit.
Die Gestalt war groß und breit gebaut, vermutlich ein Mann. Er hob den Kopf, gerade so weit, dass sie funkelnde dunkle Augen und die Konturen markanter Wangenknochen ausmachen konnte; einen dunklen Haaransatz und den Umriss eines vollen Mundes. An den Halbmonden, die sich in seinen Augen spiegelten, erkannte sie, dass er sie beobachtete. Aufmerksam, wie es schien.
Unfähig, den Blick abzuwenden, starrte sie zurück, wobei die Stille nur durch das leise Summen der Libellen und das Zwitschern der Mynas in den Bäumen unterbrochen wurde. Knisternde Energie erfüllte die Luft und breitete sich auf ihrer Haut aus, wie an die Küste schlagende Wellen. Die Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf, und ein Schauer lief ihr über den Rücken.
Doch sie hatte keine Angst.
Plötzlich zuckte Zarya zusammen, als das Sonnenlicht durch ihre Augenlider brannte und ihre Netzhäute versengte.
Sie stöhnte auf, als sie sich umdrehte, sowohl wegen des dumpfen Pochens in ihrer Schläfe als auch wegen des stechenden Schmerzes, der durch ihre Hüfte schoss, weil sie auf dem festen Sand geschlafen hatte. Die leere Weinflasche lag neben ihr – eine Erinnerung daran, warum ihr Magen gerade zu akrobatischen Höchstleistungen auflief.
Es dauerte einen Moment, bis ihr wieder einfiel, warum sie draußen lag, sie blinzelte und schirmte ihre Augen vor der Sonne ab.
Wo war sie in ihrem Traum gewesen? Wer hatte mit ihr auf dieser Lichtung gestanden? Und warum war ihr alles so vertraut vorgekommen?
Dann erinnerte sie sich an Row und Aarav. Waren sie wieder da? Warum hatten sie sie nicht geweckt?
Mit brummendem Kopf kam sie wankend auf die Füße, hielt kurz inne und stützte die Hände auf ihre Knie.
»Scheiße«, murmelte sie, legte sich eine Hand auf den Mund und hielt den Atem an, um eine Welle aufkommender Übelkeit zu unterdrücken.
Als sie vorüber war, stemmte sie sich hoch und stolperte ins Haus.
»Row! Aarav! Seid ihr hier?«, rief sie, während sie das Wohnzimmer durchquerte.
Sie bekam keine Antwort, riss erst Aaravs und dann Rows Schlafzimmertür auf und fand beide Räume leer vor.
Wo waren sie nur?
Sie stützte sich am Türrahmen ab, presste sich eine Hand auf den Bauch und wartete, bis eine weitere Welle der Übelkeit abgeklungen war. Durch die Nase ein- und durch den Mund ausatmend, zwang sie ihren Magen, sich zu beruhigen.
Dann ging sie wieder nach draußen und trabte in die Richtung, in die Aarav gestern gegangen war, in der Hoffnung, ihn und Row auf dem Heimweg abzufangen. Sie schlängelte sich den schmalen, von Büschen überwucherten Pfad entlang, deren schwarze Blätter leise raschelnd an ihren Beinen kitzelten. Doch noch immer gab es keine Spur von den beiden.
Schließlich näherte sie sich der Stelle, an der Rows Magie sich stets bemerkbar machte. Jedes Mal, wenn sie hier ankam, legte sich dieser unverkennbare Druck auf ihre Glieder und machte sie darauf aufmerksam, dass sie sich dem Rand ihres Käfigs näherte.
Doch nun … geschah nichts.
Eine sanfte Brise wirbelte ihr Haar auf, als sie stehen blieb und sich umsah. Träumte sie etwa noch oder war vielleicht einem raffinierten Streich zum Opfer gefallen?
Aber das konnte nicht sein, Row hatte keinen ausgeprägten Sinn für Humor.
Aber genau hier sollte sie seine Magie spüren, mit dieser erdrückenden Kraft, die ihr stets den Atem raubte.
Sie machte einen weiteren vorsichtigen Schritt, als würde sie barfuß über Glasscherben laufen, doch nichts geschah.
Und dann noch einen.
Immer noch nichts.
Gleich würde sie die Stelle erreichen, an der sie für gewöhnlich ohnmächtig wurde.
Mit einer gewissen Vorsicht näherte sie sich dem Punkt, in der Erwartung, dass Rows Magie sie jeden Moment in die Knie zwingen würde. Doch nichts geschah.
Sie blieb stehen, mit gespreizten Beinen und ausgestreckten Armen, und musterte noch einmal ihre Umgebung.
War das auch wirklich die richtige Stelle?
Natürlich war sie das. Sie kannte diesen Ort wie ihren eigenen Herzschlag, jeden Busch, jeden Zweig, jedes Blatt.
Sie ging weiter, setzte einen Fuß vor den anderen und wagte es kaum zu glauben.
Die Magie war verschwunden.
Mutiger geworden, beschleunigte sie, ihre Füße wirbelten die Erde auf, bis sie schließlich durch das Gestrüpp rannte. Sie stieß einen Schrei aus und lief, so schnell ihre Beine sie trugen, wobei sie den schmalen Bäumen auswich, die ihr den Weg versperrten.
Ihre Brust begann zu brennen, und sie kam abrupt zum Stehen. So tief war sie noch nie in den Sumpf vorgedrungen.
In diesem Moment wurden ihre verworrenen Gedanken vollkommen klar.
Das war ihre Chance.
Bevor Zarya ihre Entscheidung hinterfragen konnte, rannte sie zurück zum Haus und platzte durch die Tür. Mit vor Anstrengung und Hoffnung bebender Brust überprüfte sie noch einmal die Schlafzimmer.
Leer.
In ihrem Kopf baute sich ein Druck auf, auf ihrer Zunge brannte der Geschmack von Panik und endlosen Möglichkeiten. Ihr Kater war vergessen, und sie eilte in ihr Zimmer. Mit zitternden Händen packte sie ihre Tasche und versuchte, an alles zu denken, was sie auf ihrer Flucht brauchen könnte.
Flucht.
Das war es, was sie vorhatte. Oder nicht?
Ein nervöser Kloß bildete sich in ihrer Kehle.
Zarya zog den feuchten Salwar Kamiz aus, in dem sie geschlafen hatte, und schlüpfte in ein Paar pflaumenfarbene Leggings und eine ärmellose cremefarbene Kurta, die mit violetten Blumen bestickt war. Sie flocht sich die Haare und wählte ein Paar kurze Lederstiefel, wobei sie sich bereits all die wunderbaren Orte vorstellte, die sie bereisen würde. Die Berge, die sie besteigen würde. Die Ozeane, in denen sie schwimmen würde. Die Fremden, die sie treffen würde.
Sie griff nach den Waffen, mit denen Row sie ihr Leben lang trainiert hatte, bis es ihr in Fleisch und Blut übergegangen war: ihren Talwar, verschiedene Dolche sowie Pfeil und Bogen. Jeden Tag hatte er sie stundenlang üben lassen, hatte Zarya selbst praktisch zu einer Waffe geschmiedet. Seine Beweggründe waren ihr nie ganz klar gewesen. Doch er schien überzeugt, dass jede Person die Kunst des Krieges beherrschen sollte. Zumindest war es ein Zeitvertreib gewesen, und so hatte sie mitgespielt, in dem Wissen, dass es eine nützliche Fähigkeit wäre, sollte sie jemals hier rauskommen.
Sehnsüchtig blickte sie auf ihre durchhängenden Bücherregale. Die abgenutzten Buchrücken zeugten davon, wie sehr sie diese Geschichten geliebt hatte. Aber es wäre dumm und noch dazu ziemlich unpraktisch, die schweren Bände mitzuschleppen. Außerdem war es längst an der Zeit, ihre eigene Geschichte zu schreiben und nicht mehr nur zwischen den Seiten die Abenteuer anderer zu leben.
Eins konnte jedoch nicht schaden, beschloss sie, also stopfte sie ihr Lieblingsbuch – eine sexy Rakshasa-Romance mit Happy End, die sie bestimmt schon hundertmal gelesen hatte – in einen Rucksack und warf ihn sich dann über die Schulter.
Zaryas Puls ging schnell, während sie Rows Satteltaschen aus der Wohnzimmerecke holte und bis oben hin mit Essen füllte. Dann machte sie sich auf den Weg nach draußen zu dem kleinen Stall.
Rows Pferd, Ojas, beäugte sie misstrauisch, gestattete ihr aber, ihn zu satteln und die Taschen zu befestigen. Sie wollte gerade aufsitzen, als sie innehielt und ins Haus zurücklief. Ihr Herz schlug so wild in der Brust, dass sie meinte, es bis in die Zähne zu spüren, als sie Rows Schlafzimmer betrat und schnurstracks auf sein Schwert zulief, das an seinem Bett lehnte. Es war in einem anderen Stil gefertigt worden als der Talwar, den sie trug. Die Stahlklinge war gerade, der Griff schmucklos, abgesehen von ein paar leuchtenden Runen, die in das Leder geprägt waren.
Mit zittriger Hand nahm sie es an sich. Sie war sich nicht sicher, warum, aber sie hatte das Gefühl, dass sie es noch brauchen würde.
Dann durchquerte sie den Raum und ging zu dem Schreibtisch an der Wand. Dort zog Zarya die oberste Schublade auf und fand mehrere Beutel mit Goldmünzen. Sie wählte einen prall gefüllten, prüfte sein Gewicht in ihrer Hand und zögerte dann, plötzlich verunsichert.
Der Plan war albern. Der Zauber würde sie aufhalten, wie er es immer tat. Sie hatte sich das Ganze nur eingebildet. Sie hatte an der falschen Stelle gestanden. Sie hatte gestern Abend zu viel Wein getrunken.
Diese Gedanken im Hinterkopf, das Schwert und den Goldbeutel in den Händen, zwang sich Zarya, zurück nach draußen zu gehen. Sie würde kein Feigling sein. Nicht, wenn ihr endlich so eine Gelegenheit auf dem Silbertablett serviert wurde.
Sie musste es wenigstens versuchen.
Zarya befestigte das Schwert am Sattel, steckte ein paar Münzen in ihre Tasche und verstaute den Rest tief in einer der Satteltaschen. Dann legte sie kurz den Kopf an den Sattel und flüsterte ein stilles Gebet zu den Göttern, wobei sie sich fragte, ob sie überhaupt wussten, dass Zarya existierte.
Tief Luft holend schwang sie sich schließlich auf Rows Pferd und spähte durch die Bäume. Bestimmt würden Row und Aarav jeden Moment auftauchen und sie auf frischer Tat ertappen, da war sich Zarya sicher.
Doch alles blieb ruhig.
Sie war allein. Und sie würde es wirklich versuchen.
Sie nahm die Zügel in die Hand und trieb Ojas zu einem langsamen Schritt an. Es war Jahre her, dass sie irgendwohin geritten war. Es war nicht mehr nötig gewesen, seit Lahar der Seuche erlegen war. Sie war keine geübte Reiterin, aber immerhin gut genug, um nicht herunterzufallen und sich das Genick zu brechen.
Ojas gehorchte ihren sanften Befehlen, und so näherten sie sich wieder der Stelle, die ihr so vertraut war. Sie schloss die Augen und betete zu allen Göttern, die zuhörten, zu den Göttern, die sie so lang allein gelassen hatten, dass es keine Halluzination gewesen war.
Langsam drangen sie weiter in den Wald vor, und Zarya spürte noch immer nichts. Nichts als Leichtigkeit und ein unbändiges Glücksgefühl, das sich in ihr breitmachte. Keine Magie, die sie zurückhielt, als Ojas sich einen Weg zwischen den Bäumen bahnte. Mit jedem Schritt zog sich Zaryas Lunge weiter zusammen, ihr Atem ging stoßweise, und sie klammerte sich mit ihren schwitzenden Händen an die Zügel. Ihr Herz klopfte wie wild.
Sie passierten den Punkt, an dem sie normalerweise ohnmächtig wurde, und wieder geschah nichts. Das war unmöglich.
Es war an der Zeit, die größte Entscheidung ihres Lebens zu treffen.
Sie schluckte den brennenden Knoten in ihrer Kehle hinunter und zögerte. Sie wusste nicht, was sie hinter den Grenzen ihres Gefängnisses erwartete, und Row würde ihr niemals verzeihen, dass sie weggelaufen war.
Doch die Freiheit war zum Greifen nah.
Zarya konnte sie förmlich schmecken, süßer als die reifste Frucht, verlockender als der wertvollste Schatz.
In diesem Augenblick war das alles, was zählte.
Das war alles, was sie je gewollt hatte.
Jetzt war nicht der Moment für Unentschlossenheit.
So eine Chance würde sie vielleicht nie wieder bekommen.
Und mal ehrlich, scheiß auf Row.
Wo auch immer er war, er war ein mächtiger Aazheri, der auf sich selbst aufpassen konnte. Er würde schon zurechtkommen.
Und Aarav? Zarya wäre froh, wenn sie seine hässliche Visage nie wieder sehen müsste.
Mit einem letzten Blick zurück betrachtete Zarya das Haus, das fast einundzwanzig Jahre lang ihre ganze Welt gewesen war. Es stand ruhig am Ufer, seine sauberen, weiß getünchten Wände täuschten über das hinweg, was es beherbergt hatte. Wen es beherbergt hatte.
Ein hübsches Gefängnis am Meer.
Zarya schloss die Augen und hoffte, dass sie auch diesen Ort zum letzten Mal gesehen hatte.
Ohne länger darüber nachzudenken, drängte sie vorwärts, nahm die Zügel auf und rief: »Lauf, Ojas, lauf!«
Das Pferd preschte los, und Zarya streckte ihr Gesicht der Sonne entgegen, der Wind peitschte ihr durch das Haar.
Und in diesem Moment lief sie nicht einfach weg – Zarya begann, endlich zu fliegen.
Der anfängliche Rausch von Zaryas Freiheit wich schnell der nüchternen Realität. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie ungeschützt, verwundbar. Ihrer draufgängerischen Art zum Trotz bot ihre frühere Selbstsicherheit nur wenig Schutz gegen die Außenwelt, ähnelte eher Rauch, der sich in der Luft verflüchtigte.
Zarya verlagerte ihr Gewicht im Sattel, ihr Körper war es nicht gewohnt, so lange zu reiten. Er schmerzte, dort, wo die Haut an dem Leder rieb, wurde sie wund. Die Sonne knallte vom Himmel, auf ihrer Stirn brach Schweiß aus. Sie wischte sie mit ihrem Handrücken fort, bevor sie einen tiefen Schluck aus ihrer Feldflasche nahm.
Sie ritt durch die Bäume Richtung Norden, kehrte dem Ozean den Rücken. Das Königinnenreich von Daragaab war das größte in Rahajhan und nahm die südöstliche Ecke des Kontinents ein, wo sich ihr Zuhause befand. Es grenzte an das Dakhani-Meer im Süden und das Nila-Hara-Meer im Osten. Zaryas Ziel war die Hauptstadt von Dharati, die nordöstlich von ihrem Haus am Meer lag, ungefähr einen eineinhalbtägigen Ritt entfernt.
Einst hatte es zahllose Dörfer und Bauernhöfe in dem südlichen Teil des Landes gegeben, doch auch die waren verlassen worden, als sich die Seuche ausgebreitet hatte. Niemand wusste, woher die Seuche gekommen war, nur, dass sie sich Tag für Tag weiter ausbreitete. Zarya hatte oft Rows Ausführungen darüber gelauscht, welche Gefahren sie mit sich brachte, dass niemand ihren Ursprung kannte, oder noch wichtiger, was man dagegen tun könnte.
Der Boden unter Ojas Hufen war sumpfig, sein Gewicht hinterließ tiefe Spuren in der weichen Erde, wo trübe Pfützen und Matsch sich in alle Richtungen erstreckten.
Während Zarya mit dem Sumpf zu Hause einen unbehaglichen Waffenstillstand aufrecht gehalten hatte, überkam sie so allein hier draußen eine leichte Übelkeit, und die feinen Haare in ihrem Nacken richteten sich auf.
Je weiter sie ritt, desto einschüchternder wurde ihre Umgebung. Sie fürchtete, falsch abgebogen zu sein, und ihre Zuversicht geriet weiter ins Schwanken. Sie ritt bereits seit Stunden und wusste nicht, wie weit sie schon gekommen war oder wie viel noch vor ihr lag. Sie hatte den ganzen Tag Ausschau gehalten nach Hinweisen auf Rows und Aaravs Verbleib und hatte ihrer Route wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Kurz musste sie an ihr Zuhause denken, wo in diesem Augenblick die Lichter über dem kräftigen Grün ihres Gartens schwebten und alles in einem warmen Kupferton erstrahlen ließen, während die Sonne über dem azurblauen Meer langsam unterging. Die Behaglichkeit ihres gemütlichen Bettes, umgeben von all ihren Büchern und Schätzen, rief nach ihr. Der Sumpf hingegen war düster und wenig verlockend, und sie ließ zu, dass Gedanken von der Rückkehr zu ihrem Haus durch die feinen Risse ihrer Überzeugung sickerten.
Sie blickte über ihre Schulter, beobachtete, wie die Bäume im Halbdunkel hin und her schwankten. Sie war sich nicht sicher, ob sie überhaupt den Weg zurückfinden würde.
Sie presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Nein. Sie würde niemals zurückgehen.
Die Wut.
Der Schmerz.
Die Frustration.
Die Einsamkeit ihrer Gefangenschaft.
Das waren nur ihre Nerven – der Sumpf machte sie immer unruhig, und in diesem Augenblick übertraf die Sehnsucht nach Freiheit ihr Bedürfnis nach Sicherheit. Das Letzte, was sie wollte, war, mit diesem flüchtigen Geschmack von Freiheit auf der Zunge zurück in ihr Gefängnis gezerrt zu werden.
In dem schwindenden Tageslicht schärfte sie ihre Sinne, hielt Ausschau nach den Wesen, die in dem Sumpf zu Hause waren. Die Vetalas waren die schlimmsten, die ihr je begegnet waren – menschenähnliche Dämonen, die sich an Menschenfleisch labten und über übernatürliche Kräfte verfügten. Sie hatte seit Jahren keine mehr in der Nähe des Hauses gesehen – Row hatte gesagt, dass sie belebtere Gegenden bevorzugten –, doch das bedeutete noch lange nicht, dass Zarya hier draußen sicher war, so allein, wie sie war.
Erschöpft und wund, machte Zaryas Herz einen Sprung, als in dem schwindenden Licht der Umriss eines Hauses auftauchte, und sie trieb Ojas darauf zu. Als sie sich näherte, erkannte sie, dass es eines von mehreren Häusern war, die ein kleines Dorf umringten. Dunkel und verlassen standen die Gebäude da, ihre Wände und Dächer ahmten die schwarze und triste Leinwand des Waldes nach.
Zarya lief ein Schauder über den Rücken, als sie absaß. Sie band Ojas neben einem Stückchen geschwärztem Gras an, das er umgehend anfing zu fressen. Sie beobachtete ihn einen Augenblick lang und hoffte, dass es nicht giftig war, doch es gab nichts anderes, also ließ sie ihn. In ihrer Eile heute Morgen hatte sie die Bedürfnisse des Pferdes vollkommen vergessen.
Langsam schob sie die Tür des am nächsten liegenden Hauses auf. Es war beinahe vollkommen leer, nur ein paar vereinzelte Habseligkeiten – eine Teekanne, ein fleckiges Kissen und ein kaputter Stuhl – lagen auf dem Boden verstreut. Sie zog Rows Schwert aus dem Sattel, hielt es vor sich und machte sich daran, die anderen Häuser zu durchsuchen. Erleichtert stellte sie fest, dass auch diese leer waren.
Als sie alles abgesucht hatte, kehrte sie zu dem ersten Haus zurück und legte dort ihren Mantel aus, um den harten Boden etwas abzufedern. Dann setzte sie sich hin, lehnte sich an die Wand und zog das Roti und Chana aus ihrer Tasche, die sie heute Morgen eingepackt hatte. Nachdem sie ihren steifen Nacken gedehnt hatte, riss sie ein Stück von dem Fladenbrot ab und schaufelte damit das Kichererbsen-Curry.
Doch gerade als sie es sich an den Mund hielt, zog ihr Magen sich zusammen, so als würde sich eine Faust darum schließen, und ihr verging augenblicklich der Appetit. Sie ließ das Essen wieder in die Dose fallen und entschied, heute auf das Abendessen zu verzichten.
Sie zog ihre Knie an und ließ den Kopf gegen die Wand sinken, während sie an Row und Aarav dachte. Falls sie schon wieder nach Hause gekommen waren, hatten sie einen kalten Ofen und kein Abendessen vorgefunden. Nicht, dass sie erwartet hätten, dass Zarya sie bediente – Row half immer, wenn er da war, und Aarav tat zumindest so –, aber normalerweise war sie für den Haushalt zuständig.
Sie hasste diese Aufgaben. Hasste, wie eintönig und mühsam, wie wenig abenteuerlich sie waren.
Finster blickte sie durch das Fenster und beobachtete, wie das letzte Tageslicht schwand. Es war ein Gefängnis gewesen, zumindest nicht viel besser als eins. Für ein Verbrechen, das sie niemals begangen hatte. Sie hatten sie für fast einundzwanzig Jahre in einem Käfig gehalten und sich geweigert, ihr einen Grund dafür zu nennen. Zarya hatte keine Ahnung, woher sie kam. Keine Familie, keine Freunde, keine wahre Gemeinschaft. Niemanden, mit dem sie ihre Gedanken und Träume teilen konnte. Nie hatte sie die Magie und die Wunder der Welt erlebt. Sie war nicht einmal richtig geküsst worden.
Sicher, in Lahar hatte es diesen einen Jungen gegeben, mit dem sie ein paarmal flüchtig geschlafen hatte, hinter den Booten in dem Schuppen seines Vaters. Doch der Sex war nicht leidenschaftlich gewesen und war, ehe sie sichs versah, schon wieder vorbei gewesen. Es war überhaupt nicht so wie in ihren Geschichten. Entweder die Geschichten waren übertrieben, erzeugt von künstlerischer Freiheit, oder aber er war genauso unerfahren wie sie gewesen. Angesichts ihres ausgeprägten Optimismus hatte sie beschlossen, dass Letzteres der Fall war und sie nur auf die richtige Person warten musste, die mit einem einzigen Blick ihre Knie weich werden ließ.
Was auch immer der Fall war, Zarya hatte genügend solcher Geschichten gelesen, um zu wissen, dass sie sich verzweifelt danach sehnte, auf eine Art geküsst zu werden, die von Bedeutung war. Und sich dann hemmungslos und leidenschaftlich zu verlieben. Sie würde sich niemals mit weniger zufriedengeben.
Sie zog ihr Buch hervor und blätterte zu den Textstellen, die sie unterstrichen hatte, die erotischen Stellen, von denen Row mit Sicherheit nichts gewusst hatte, als er diese Bücher für sie ausgesucht hatte. Doch an diesem Abend konnte nicht einmal das Versprechen von gestohlenen Küssen im Mondschein die Sorge beruhigen, die in ihren Venen pochte. An diesem Abend schien der Sumpf schwerer und erdrückender als sonst, die Luft erfüllt von seiner unnatürlichen Stille.
Rows Schwert lag in Reichweite neben ihr auf dem Boden. Nur für den Fall.
Trotz der Sorgen und der Zweifel, die sie gerade umtrieben, war sie sich sicher, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, abzuhauen.
Wenn Row sie finden sollte, würde sie sich eher das Leben nehmen, als sich von ihm zurück zu dem Haus zerren zu lassen. Sie würde wie ein Dämon kämpfen, um ihm zu entkommen. Zugegebenermaßen fiel es ihr schwer, die Warnungen, die er ihr ihr Leben lang aufgebürdet hatte, gänzlich zu verdrängen, doch sie würde ihr Glück versuchen, mit was auch immer sie hier draußen erwartete – alles war besser als ihr Käfig.
Mit einem Anflug von Groll im Herzen breitete sie den Saum ihres Mantels unter sich aus und versuchte, ihre Gedanken in eine tröstlichere Richtung zu lenken.
Vielleicht war heute der Anfang von etwas Verheißungsvollem. Ein Leben geprägt von Freundschaft und Liebe statt von Geheimnissen und Einsamkeit. Vielleicht würde sie eine Familie finden. Vielleicht eine Freundin. Oder einen gut aussehenden Krieger. Am liebsten mochte sie Geschichten von mutigen Helden und Heldinnen, die sich verliebten.
Während die Nacht ihren Lauf nahm, versuchte sie zu schlafen, doch jedes Knacken eines Astes, jedes Rascheln von Blättern ließ sie nervös zusammenzucken. Ihr Kinn sank gefühlt zum tausendsten Mal auf ihre Brust, bevor die ersten Sonnenstrahlen durch das Fenster fielen. Sie war erschöpft, aber sie musste weiter, damit Row und Aarav sie nicht einholten. Jetzt, da sich das Tageslicht allmählich über den Wald ergoss, fühlte sie sich weniger unwohl dabei, sich wieder zwischen die Bäume zu wagen.
Ihr Magen knurrte protestierend, und Zarya griff nach ihrem verwaisten Abendessen. Doch die Übelkeit von gestern hielt an, und beim Anblick des Essens drehte sich ihr der Magen um. Stattdessen begnügte sie sich mit einem Schluck lauwarmem Wasser aus ihrer Feldflasche und hoffte, dass dieses Unwohlsein bald vorübergehen würde.
Ein Geräusch erregte ihre Aufmerksamkeit, und ihr Blick schoss zur Haustür.
Langsam griff sie nach Rows Schwert und drückte sich mit einer Hand an der Wand ab, um aufzustehen. Schritte platschten im Schlamm und näherten sich ihrem Versteck. Zarya fluchte leise, als ihr klar wurde, dass Ojas’ Anwesenheit dem Eindringling verraten würde, dass jemand hier war. Es gab nur zwei kleine Fenster, keines davon groß genug, um zu entkommen. Sie war hier drinnen gefangen.
Sie schlich näher an die Tür heran und versuchte, um die Ecke zu spähen. Eine Gestalt tauchte auf und blockierte die Tür.
Sie reagierte sofort, rammte dem Eindringling die Schulter in die Brust und versuchte, ihn wegzustoßen, bevor sie losrannte.
»Zarya?«, keuchte eine vertraute Stimme.
Sie blieb stehen und drehte sich um.
»Verdammt! Aarav! Was machst du hier? Warum schleichst du dich an mich heran?«
»Was ich hier mache?« Er rieb sich die Brust, der Körper gekrümmt, sein Blick wütend.
Genauso wie sie hob er seine Klinge.
»Was machst du hier draußen? Und warum ist Ojas bei dir? Einen Moment lang dachte ich, du bist Row.«
Mehrere spannungsgeladene Herzschläge lang standen sie sich gegenüber, keiner von beiden war bereit, nachzugeben. Aber es hatte keinen Sinn, sich jetzt hier draußen zu duellieren. Immer noch schwer atmend senkte Zarya ihr Schwert, und schließlich tat Aarav es ihr nach.
»Also hast du ihn nicht gefunden?«, fragte sie.
»Nein«, sagte Aarav und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Es gibt nirgendwo eine Spur von ihm.« Er kniff die Augen zusammen. »Wie bist du hier rausgekommen? Wie hast du Rows Magie überwunden?«
Sie überlegte, zu lügen. Ihm zu sagen, dass sie es aus eigener Kraft geschafft hatte, aber sie wusste, dass er ihr das nie glauben würde.
»Musste ich gar nicht«, sagte Zarya schließlich und wandte den Blick ab. »Sie war einfach … weg.«
»Weg?« Aarav zog die Augenbrauen zusammen. »Was meinst du mit weg?«
»Genau das. Ich bin einfach rausgegangen.«
Sie warfen sich einen vielsagenden Blick zu, während ihnen die volle Tragweite dieser Erkenntnis bewusst wurde.
Aarav richtete sich auf und steckte sein Schwert in die Scheide. »Das hättest du nicht tun sollen.«
Zarya verdrehte die Augen angesichts seines rechthaberischen Tonfalls. »Und warum nicht?«
»Du weißt, warum.«
Seine Hände hingen locker an den Seiten, doch seine Beine waren gespreizt, als wartete er darauf, dass sie davonlief.
Und tatsächlich hatte sie mit dem Gedanken gespielt, fürchtete sich aber nach dem gestrigen Tag davor, sich im Sumpf zu verirren. Außerdem brauchte sie Ojas, und Aarav würde sie sicher aufhalten, bevor sie ihn losbinden konnte.
»Wir gehen nach Hause und warten dort auf ihn«, erklärte Aarav und packte sie am Arm.
Sie riss sich von ihm los. »Ich gehe nirgendwo mit dir hin.«
Sie würde nie wieder zu dem Haus zurückkehren!
Sie schob sich an ihm vorbei und machte sich daran, Ojas loszubinden.
»Hör auf damit, Zarya. Du hattest deinen Spaß. Wir gehen jetzt zurück.«
»Nein«, widersprach sie, ohne ihn anzusehen, während sie das Pferd beruhigte und den Sattel zurechtrückte.
»Zarya, sei vernünftig. Was wird Row sagen, wenn er dich hier draußen findet? Du weißt, dass es hier nicht sicher ist.«
»Warum ist es nicht sicher, Aarav? Warum bin ich die Einzige, die diesen verdammten Ort nie verlassen darf?« Sie deutete in die Richtung, aus der sie gekommen war.
Er presste die Lippen zusammen, und für den Bruchteil einer Sekunde fragte Zarya sich, ob sie in seinen Augen einen Anflug von Reue aufblitzen sah, doch dieser wurde schnell von einer unnachgiebigen Miene abgelöst.
»Wir können nicht länger hier draußen bleiben. Komm schon.«
Mit diesen Worten ging er zu seinem eigenen Pferd, griff nach den Zügeln und führte es ebenden Weg entlang, den Zarya gestern gekommen war. Sie rührte sich nicht, schaute in die andere Richtung, spürte, wie ihr alles entglitt.
Für den kürzesten Moment hatte sie sie gekostet, die Freiheit, nach der sie sich jeden Tag ihres Lebens gesehnt hatte, und jetzt rann sie durch ihre Finger.
»Zarya«, rief Aarav mit schriller Stimme. »Ich will nicht für Rows Reaktion verantwortlich sein, wenn er dich hier draußen findet.«
Die Worte waren bedeutungsschwer, und Zarya nickte, Tränen brannten in ihren Augen.
Sie ergriff Ojas Zügel und folgte Aarav schweigend, den Kopf gesenkt und den Blick auf ihre Füße gerichtet, während sie spürte, wie sie innerlich langsam zerbrach.
Das war sowieso eine dumme Idee gewesen. Natürlich war sie nicht für die Freiheit bestimmt. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Hatte sie wirklich geglaubt, dass es für sie noch etwas anderes geben würde?
Das Haus war ihr Leben, dort würde sie alt werden und sterben, einsam und verbittert, und das war’s dann.
Eine Weile liefen sie so nebeneinanderher und führten ihre Pferde über den sumpfigen Boden, während Zaryas Stimmung immer düsterer wurde. Gestern Abend hatte sie sich noch geschworen, nie wieder zu dem Haus ihrer Kindheit zurückzukehren. Was wäre, wennsie einfach auf Ojas aufsitzen und fliehen würde?
Sie könnte sich im Sumpf verstecken. Was wäre das Schlimmste, das passieren könnte? Könnte sie Aarav entkommen? Er würde wissen, dass Dharati ihr Ziel war, und sie schließlich finden.
Das leise Gemurmel von Stimmen zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sowohl Aarav als auch Zarya blieben bei dem Geräusch stehen, und ihre Blicke trafen sich in wachsamer Besorgnis. Zarya ließ Ojas Zügel los und schlich leise zum Rand des Pfades, um durch eine Reihe niedriger, dichter Büsche zu spähen.
Auf der anderen Seite stiegen zwei Männer von ihren Pferden ab. Einer hatte schulterlanges silbernes Haar, die vorderen Strähnen waren mit einer kleinen Lederschnur zurückgebunden und etwa ein halbes Dutzend geflochtene Zöpfe verbarg sich darin. Der andere hatte leuchtend smaragdgrüne Augen und kurzes schwarzes Haar, das in Wellen um seine Ohren fiel.
Sie sprachen mit gedämpften Stimmen, und Zarya konnte ihr Gespräch nicht verstehen. Es war selten, dass man Fremde im Sumpf sah, und sie konnte sich nicht von ihnen losreißen.
Der schwarzhaarige Mann setzte sich auf einen Baumstamm und streckte seine langen Beine vor sich aus, bevor er sie an den Knöcheln überkreuzte, während der andere in den schlammigen Tümpel vor ihnen spähte und sich am Kinn kratzte.
Das sind nicht bloß Männer, wurde ihr schlagartig klar.
Die schimmernde braune Haut, die hellen Augen, die leicht verlängerten Eckzähne – sie hatte genug Geschichten gelesen, um sie als das zu erkennen, was sie waren. Rakshasas. Eine fast unsterbliche Art von Elementarwesen, die dafür bekannt war, Blut zu trinken. Viele von ihnen lebten in Daragaab, dem Sitz der Erdmagie in Rahajhan, und die meisten waren von edler Geburt. Zarya versuchte, dieses Märchen, das vor ihren Augen zum Leben erweckt worden war, nicht anzustarren.
Aarav näherte sich ihr von hinten. »Lass uns gehen«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Du darfst nicht gesehen werden.«