Heidegger und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung - Peter Trawny - E-Book

Heidegger und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung E-Book

Peter Trawny

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Beschreibung

Heideggers Überlegungen, die erste Reihe der "Schwarzen Hefte", sind erschienen und haben ein außergewöhnliches Medienecho verursacht. Mit dieser Veröffentlichung wächst Heideggers Schriften eine neue Dimension zu. Doch die philosophische und akademische Auseinandersetzung steht erst noch bevor. Oft wurde bemerkt, mit welcher großen Anteilnahme jüdische Philosophinnen und Philosophen dem Werk Martin Heideggers begegneten. Gab und gibt es hier eine besondere Nähe? Die Überlegungen zeigen, dass in einer bestimmten Phase seines Denkens antisemitische Ideen die "Geschichte des Seins" belagern. Dabei scheinen die "Protokolle der Weisen von Zion", diese erste Quelle des modernen und postmodernen Antisemitismus, die Hauptrolle zu spielen. Peter Trawny geht in seiner Studie der Frage nach, welche Bedeutung dieser geistige Schiffbruch für das gesamte Heideggersche Denken hat. Die 3. Auflage ist erweitert um ein Kapitel Vernichtung und Selbstvernichtung zur apokalyptischen Reduktion der Geschichte in den "Schwarzen Heften" sowie um ein Nachwort zur 3. Auflage. Diese Einführung berücksichtigt erstmals die neuen Perspektiven auf die Philosophie Heideggers, die sich aus der Publikation der 'Schwarzen Hefte' ergeben haben. Peter Trawny versteht seine kritische Einführung deswegen als eine Darstellung auch und gerade des Problematischen von Heideggers Denken. Zugleich versucht sie allerdings, seine außergewöhnliche Bedeutung im Kontext der Philosophie des 20. Jahrhunderts zu erfassen.

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Peter Trawny

Heidegger und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

3., überarbeitete und erweiterte Auflage 2015

2., überarbeitete und erweiterte Auflage 2014

© 2014 · Vittorio Klostermann GmbH · Frankfurt am Main

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die des Nachdrucks und der Übersetzung. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Werk oder Teile in einem photomechanischen oder sonstigen Reproduktionsverfahren oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten, zu vervielfältigen und zu verbreiten.

Satz: Mirjam Loch, Frankfurt am Main

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2016

ISSN 1865-7095

ISBN 978-3-465-24238-3

„Deutsch sein: die innerste Last der Geschichte des Abendlandes vor sich her werfen und auf die Schulter nehmen.“

Martin Heidegger, Überlegungen VII

„Und duldest du, Mutter, wie einst, ach, daheim, den leisen, den deutschen, den schmerzlichen Reim?“

Paul Celan, Nähe der Gräber

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Zitate

Einleitung. Revisionsbedürftigkeit einer These

Seinsgeschichtliche Landschaft

Typen des seinsgeschichtlichen Antisemitismus

Der seinsgeschichtliche Begriff der „Rasse“

Das Fremde und das Fremde

Heidegger und Husserl

Werk und Leben

Vernichtung und Selbstvernichtung

Nach der Shoa

Antwortversuche

Nachwort zur 2. Auflage

Nachwort zur 3. Auflage

Personenregister

Fußnoten

Einleitung. Revisionsbedürftigkeit einer These

Leo Strauss, Hannah Arendt, Karl Löwith, Hans Jonas, Emmanuel Levinas, Werner Brock, Elisabeth Blochmann, Wilhelm Szilasi, Mascha Kaléko, Paul Celan – Juden, denen auf die eine oder andere Weise Martin Heidegger begegnete, für die er ein Lehrer war, ein Verehrer, ein Liebhaber, ein verehrter Denker, ein Förderer. Häufiger schon ist festgestellt worden, dass Heidegger als Philosoph und akademischer Lehrer in den zwanziger Jahren „junge Juden“1 (Hans Jonas) angezogen habe, ja dass es überhaupt eine Nähe gebe zwischen seinem Denken und dem Judentum.2 Wie die mit Celan war die Begegnung mit den jüdischen Schülern nach 1945 schmerzhaft, zerrissen zwischen Bewunderung und Abstoßung.3 Doch es gab unzweifelhaft eine Annäherung. Arendts Rückkehr nach Deutschland Anfang der fünfziger Jahre war auch eine Rückkehr zu Heidegger.

Gewiss gab es Irritationen. Jacques Derrida, auch er jüdischer Herkunft, hat in einem kleinen Text mit dem Titel „Heideggers Schweigen“ von einer „Verwundung des Denkens“ gesprochen, vom „Schweigen nach dem Krieg über Auschwitz“4. Heidegger hat sich öffentlich zur Shoa nicht geäußert. Die Öffentlichkeit war für ihn keine moralische Instanz, sondern das Gegenteil. Oft spricht er von der „Diktatur der Öffentlichkeit“5. Das Schweigen, das Verschweigen, ist für ihn eine philosophische Haltung. Hat er in seinen persönlichen, in den intimen Begegnungen vielleicht über Auschwitz gesprochen? Es gibt kein Zeugnis, das davon erzählte. Immerhin gibt es ein Gedicht für Hannah Arendt, ein einziges Zeugnis, das von einer „Last“ spricht. Dieses Gedicht, was wiegt es?

Die Irritationen führten nicht dazu, dass Heidegger des Antisemitismus bezichtigt wurde. Rüdiger Safranski hatte in seiner einflussreichen Biographie entschieden behauptet, Heidegger sei kein Antisemit gewesen.6 Das ist bisher die vor herrschende Meinung. Es gibt die wichtige apologetische These: Heidegger engagierte sich zwar im Nationalsozialismus, die einen meinen kürzer, die anderen länger, doch ein Antisemit war er nicht. Spricht nicht seine Biographie dagegen? Wer könnte Antisemit sein, der so selbstverständlich mit Juden lebte, ja, sogar mindestens eine „jüdische Geliebte“ hatte?

Antisemitisch – war und ist, was sich aus Gerüchten, Vorurteilen und pseudo-wissenschaftlichen (rassen-theoretischen oder rassistischen) Quellen affektiv und/​oder administrativ gegen Juden richtet und a.) zu Diffamierungen b.) zu einem allgemeinen Feindbild c.) zur Isolierung – Berufsverbot, Getto, Lager, d.) zur Vertreibung – Emigration; e.) zur Vernichtung führt – Pogrome, Massenhinrichtungen, Vernichtungslager. Heute ist zudem als antisemitisch zu bezeichnen, was die Juden als „die Juden“ charakterisieren soll. Faktisch sind die verschiedenen Stufen einerseits nicht leicht zu trennen. Andererseits halte ich die Annahme für problematisch, eine verbale Diffamierung müsse in der Shoa enden.7

Die Sicht auf Heidegger erhält eine neue, bisher unbekannte Facette: auf einem gewissen Abschnitt seines Weges öffnete der Philosoph sein Denken einem Antisemitismus, der genauer als seinsgeschichtlicher Antisemistismus bezeichnet werden kann. Daran scheint es – wie zu sehen sein wird – keinen Zweifel zu geben. Alles hängt jedoch davon ab, zu erörtern, was unter dem Begriff des „seinsgeschichtlichen Antisemitismus“ zu verstehen ist. Eine Sensibilität für diesen Begriff zu entwickeln – das ist die erste Absicht der folgenden Überlegungen.

Die Einführung des Begriffs muss wohlüberlegt sein. Denn es ist evident, dass sie verheerende Folgen zeitigen könnte. Der „Antisemit“ ist moralisch und politisch erledigt – zumal nach der Shoa. Der Verdacht des Antisemitismus könnte die Heideggersche Philosophie mit großer Wucht treffen. Wie kann es sein, dass einer der größten Philosophen des 20. Jahrhunderts nicht nur für den Nationalsozialismus, sondern auch noch für den Antisemitismus gewesen ist? Es wird nicht leicht sein, die Frage zu beantworten. Sie – die Frage – stigmatisiert Heideggers Denken und stellt uns vor ein Rätsel.

Mit ihm drängt sich die weitere Frage auf, ob und inwiefern der Antisemitismus Heideggers Philosophie als ganze kontaminiert. Gibt es eine antisemitische Ideologie, die das Denken Heideggers so sehr besetzt, dass wir von einer „antisemitischen Philosophie“ sprechen müssten? So dass wir dann Abstand von dieser Philosophie nehmen müssten, weil es eine „antisemitische Philosophie“ nicht gibt und nicht geben kann? Dass wir – nach Jahrzehnten – erkennen müssten: bei Heideggers Denken kann es sich in der Tat nicht um „Philosophie“ handeln, auch nicht um ein „Denken“, sondern nur um eine unheimliche Verirrung? Die Fragen müssen verneint werden. Doch es ist kein leichter Weg bis zu dieser Antwort.

Der Begriff der „Kontamination“ ist für das Folgende auf eine spezifische Weise wichtig. Der Antisemitismus, der bestimmte Passagen der „Schwarzen Hefte“ befällt, kon-taminiert, berührt anderes mit. Die Folge ist, dass Gedanken, die bisher als neutrale theoretische Einsichten aufgefasst wurden, in einem anderen Licht erscheinen. Das geschieht, weil die Kontamination die Ränder von Gedanken angreift, sie auflöst, verwischt. Dadurch gerät die Topographie von Heideggers Denken ins Wanken. Die Interpretation muss sich dieser Unsicherheit stellen. Es wird darauf ankommen, die Frage zu beantworten, wie weit die Kontamination reicht und wie sie einzugrenzen ist.

Das Prädikat „antisemitisch“ ist besonders gefährlich, weil es zumeist so verwendet wird, dass es eine ideologische Komplizenschaft mit der Shoa behauptet. Führten alle Wege des Antisemitismus nach Auschwitz? Nein. Die Ätiologie eines Genozids ist stets problematisch, weil vieldeutig. Heideggers Äußerungen über die Juden können nicht mit Auschwitz verknüpft werden. Allerdings – selbst wenn es keinen Hinweis dafür gibt, dass Heidegger den „Verwaltungsmassenmord“ (Hannah Arendt) an den Juden befürwortet hätte, selbst wenn es kein Anzeichen gibt, Heidegger hätte gewusst, was in den Vernichtungslagern geschah, so kann niemals ganz ausgeschlossen werden, er könnte Gewalt gegen Juden für notwendig gehalten haben. Ein Denken jenseits von Gut und Böse folgt seinen eigenen Notwendigkeiten. Dieser Möglichkeitsrest ist das Gift, das in bestimmten Äußerungen Heideggers wirkt.

Die bisher unbekannten Äußerungen befinden sich in den sogenannten „Schwarzen Heften“ – eine von Heidegger selbst erfundene und verwendete Bezeichnung für 34 schwarze Wachstuchhefte8, in denen er ungefähr zwischen 1930 und 1970 seinem Denken eine einzigartige Form gegeben hat. Sie haben zum größten Teil einfache Überschriften wie „Überlegungen“, „Anmerkungen“, „Vier Hefte“, „Winke“ und „Vorläufiges“. Die Titel „Vigiliae“ und „Notturno“ sind ungewöhnlich, nicht nur im Kontext der „Schwarzen Hefte“, sondern im gesamten Heideggerschen Werk. Alle Hefte tragen römische Ziffern. Der Bestand der Hefte hat sich nicht vollständig erhalten. Es fehlen die „Überlegungen I“, das erste Heft überhaupt. Was mit den fehlenden Aufzeichnungen geschah, ist unbekannt.

Die Reihenfolge der römischen Zählung gibt nicht unbedingt die Chronologie der Entstehung wieder. Heidegger hat teilweise gleichzeitig an mehreren Heften geschrieben. Da nur an wenigen Stellen Korrekturen zu finden sind und die Notizen sich keineswegs stets in aphoristischer Form präsentieren, ist nicht anzunehmen, dass sie direkt ins Heft geschrieben worden sind. Vorarbeiten, die existiert haben müssen, haben sich nicht erhalten. Die Texte, um die es geht, sind demnach keine bloß privaten Aufzeichnungen oder gar bloße Notizen. Es handelt sich um ausgearbeitete philosophische Schriften.

Nach Auskunft Hermann Heideggers hatte sein Vater entschieden, dass die „Schwarzen Hefte“ als Abschluss der Gesamtausgabe veröffentlicht werden sollten. Aus guten Gründen ist die Entscheidung modifiziert worden. Das Manuskript ist zu wichtig, als dass sich seine Herausgabe dem Zufall der Dauer anderer Editionsprojekte unterordnen ließe. Martin Heideggers Anweisung scheint die Sonderrolle des Manuskripts zu bestätigen. Sind die „Schwarzen Hefte“ so etwas wie sein philosophisches Vermächtnis?

Der Status dieses einzigartigen Manuskripts im Verhältnis zu den veröffentlichten (wie „Sein und Zeit“) und unveröffentlichten Abhandlungen (wie den „Beiträgen zur Philosophie“), zu den Vorlesungen, den Aufsätzen und Vorträgen hängt von der Beantwortung dieser Frage ab. Wäre es ein philosophisches Vermächtnis, könnte es im Kontext aller anderen Schriften entweder als eine Art von Destillat oder als Grundtext oder als beides gelesen werden. Dafür spricht, dass Heidegger in den unveröffentlichten Abhandlungen permanent auf die „Schwarzen Hefte“ verweist. Dagegen spricht, dass die Hefte selten die philosophische Intensität entfalten, die z. B. die „Beiträge zur Philosophie“ auszeichnet.

Zum Aroma der „Schwarzen Hefte“ gehört ihr einzigartiger Stil. Hat man angenommen, die unveröffentlichten Abhandlungen seien esoterische Texte, dann sind die Hefte noch intimere Spuren des Heideggerschen Denkens. Der Autor, der für gewöhnlich verborgen bleibt, tritt in Form einer Persona in Erscheinung. Aber wie ist eine Personalisierung des Textes überhaupt möglich, wenn das Manuskript sich doch nirgendwo als Tagebuch oder Denktagebuch, sondern überall als die Vergegenwärtigung des eigentlichsten Denkens darstellt? Ist die Persona der „Schwarzen Hefte“ nicht immer noch eine Maske, hinter der sich der Philosoph nicht nur vor der Öffentlichkeit verbirgt? Hat er in den zuweilen peinlichen Parolen, die besonders in den dreißiger Jahren auftauchen, sich nicht auch noch vor sich selbst verborgen?

Vollendet sich Heideggers Philosophie vielleicht öffentlichkeitsfern am Rande des Schweigens und der Stille? In einer Nachkriegsaufzeichnung heißt es, dass eine bestimmte „Bemerkung bereits ihrem Wesen nach nicht mehr in die Öffentlichkeit für Leser gesagt“ sei, „sondern dem Geschick des Seyns selbst und dessen Stille“9 angehöre. Schreiben jenseits der Leser für das „Geschick des Seyns selbst“? Heidegger hat dieser extremen Stilisierung schließlich – wie wir sehen werden – selbst widersprochen.

Das wirft ein Licht auf diejenigen „Schwarzen Hefte“, die im Folgenden berücksichtigt werden müssen. Es handelt sich um jene Hefte, die bis 1948 entstanden sind. In ihnen kommt Heidegger vor allem zwischen 1938 und 1941 mehr oder weniger unvermittelt auf „die Juden“ zu sprechen. Sie werden in eine seinsgeschichtliche Topographie oder Autotopographie (weil jedem Ort ein spezifisches Selbstverhältnis entspricht) versetzt, in der ihnen eine besondere und spezifische Bedeutung zugeschrieben wird, und diese Bedeutung ist antisemitischer Natur.

Heideggers antisemitische Äußerungen – eingeschrieben in einen philosophischen Kontext – finden sich ausschließlich in Manuskripten, die der Philosoph so lange wie möglich der Öffentlichkeit vorenthalten wollte. Er hat seinen Antisemitismus selbst noch vor den Nationalsozialisten verborgen.10 Warum? Weil er der Ansicht war, dass sein Antisemitismus sich von dem der Nationalsozialisten unterschied. Das ist bedingt richtig. Trotzdem – hier empfiehlt sich Behutsamkeit. Heidegger hat nicht nur seinen Antisemitismus vor der Öffentlichkeit verborgen, sondern sein Denken schlechthin: „Das Denken im anderen Anfang ist nicht für die Öffentlichkeit“11, heißt es schon um das Jahr 1935. Den Antisemitismus zu verbergen fügt sich in ein Denken ein, das in der Öffentlichkeit nur ein perfektes Verbrechen an der Philosophie erkennen konnte.

Die folgenden Überlegungen verfolgen eine Interpretation jenseits der Apologie; einer Apologie, deren Heideggers Werk weiterhin bedürfen wird. Sie folgen der schon angesprochenen Bewegung einer Kontamination. Daher könnte die eine oder andere Beurteilung einer Äußerung zu einseitig ausfallen, sie könnte auch irren. Kommende Diskussionen mögen meine Deutungen widerlegen oder korrigieren. Ich wäre der Erste, der sich darüber freute.

Seinsgeschichtliche Landschaft

In den Jahren nach „Sein und Zeit“ befand sich Heidegger in einer philosophischen Krise. Sie machte sich in vielerlei Hinsichten bemerkbar. Es ist nicht nur das Zurückhalten des im § 8 von „Sein und Zeit“ angekündigten zweiten Teils zu nennen. Bereits der dritte Abschnitt des ersten Teils wurde nur in Form einer Vorlesung im Sommer 1927 nachgereicht. Was danach in den Vorlesungen dargestellt wird, sind tastende Versuche. Das Projekt einer „absoluten Wissenschaft vom Sein“1 wird nicht realisiert. Ebenso bleibt das Unternehmen einer „Metontologie“2 eine gerade einmal begonnene Baustelle. Die daran anknüpfende Ausarbeitung einer Metaphysik der Freiheit3 bleibt rudimentär.

Da kommt dem Philosophen ein Narrativ4 entgegen, das sein Denken nachgerade revolutioniert. Die Philosophie schien in unlebendigen Positionen zu erstarren. „Sein und Zeit“ war zwar ein akademischer Erfolg, doch das bedeutete nicht etwa, dass die akademische Philosophie als ganze in Bewegung geraten wäre. Die unaufhörliche Zerstreuung der akademischen Forschung wurde von Heidegger mit wachsender Ungeduld wahrgenommen. Die Zeit selbst war in eine Wirtschaftskrise geraten. So konnte es nicht weitergehen. Politische Veränderungen kündigten sich zunächst zaghaft, dann mit Gewalt an.

Bereits in „Sein und Zeit“ hatte der Philosoph erläutert, was er unter „Geschick“5 verstand. „Geschick“ sei das „Geschehen der Gemeinschaft des Volkes“. Im „Miteinandersein in derselben Welt und in der Entschlossenheit für bestimmte Möglichkeiten“ seien die Lebenswege der Einzelnen „im vorhinein schon geleitet“. „In der Mitteilung und im Kampf“ werde die „Macht des Geschickes erst frei“. Dieses sei die „einzige Autorität, die ein freies Existieren“6 haben könne. Für Heidegger war das „eigentliche Dasein“ stets einem solchen „Geschick“ ausgesetzt. Das Ausbleiben des „Geschicks“ hätte er für eine Verfallsform des „Daseins“ gehalten. Später, nach 1945, musste er im „Nihilismus“ gerade das konstatieren: das „Ungeschichtliche“ des „Amerikanismus“7, die Zerstörung jeglichen „Geschicks“.

Als daher alles auf ein Ende zulief, begann Heidegger den „Anfang“ zu finden. Bereits im Winter 1931/​32 hält er eine Vorlesung, in der es ihm um den „Anfang der abendländischen Philosophie“ und dem darin angelegten Verständnis der „Wahrheit“8 geht. In der ersten Hälfte der Vorlesung interpretiert Heidegger Platons Höhlengleichnis öffentlich zum ersten Mal. Im Verlauf dieser Deutung betont Heidegger, dass „heute zwar Gift und Waffen zum Töten bereit“ seien (Heidegger bezieht sich auf den Tod des Sokrates durch das Schierlingsgift), doch „der Philosoph“ fehle. „Heute“ gebe es „überhaupt nur, wenn es hoch kommt, mehr oder minder gute Sophisten“, „die allenfalls einem Philosophen, der kommen soll, den Weg bahnen“9 können. Ende und Anfang verbinden sich mit dem Kommen eines Philosophen, einer Philosophie jenseits der Sophisterei des akademischen Alltags.