Medium und Revolution - Peter Trawny - E-Book

Medium und Revolution E-Book

Peter Trawny

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Beschreibung

'Medium und Revolution' ist der Versuch, in kreisenden Denkbewegungen einen unmöglichen Standpunkt zu ertasten: den atopischen Punkt, von dem allein aus Revolution gedacht werden kann. An diesen Ort kann ihr auch die Philosophie nicht folgen, denn "so sehr sie das Ereignis begehrt, das ins Andere reißt, so sehr sehnt sie sich nach Empfang. Keine Philosophie, die sich schon in der Revolution befände. Gerade eine revolutionäre Philosophie befindet sich in einer Ordnung, der sie nicht angehören will." Trawny legt die Verfasstheit einer Gesellschaft bloß, in der eine kommende - reale oder irreale - Revolution möglich wäre, und liest deren Vorzeichen. "Ein Zündholz über einem Fass Benzin" Jean-Luc Nancy

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Peter TrawnyMedium und Revolution

Peter Trawny

MEDIUM UND REVOLUTION

»Absolutisirung – Universalisirung – Classification des individuellen Moments, der individuellen Situation etc. ist das eigentliche Wesen des Romantisirens.«

Novalis, »Das Allgemeine Brouillon«

»Ich bin häßlich, aber ich kann mir die schönste Frau kaufen. Also bin ich nicht häßlich, denn die Wirkung der Häßlichkeit, ihre abschreckende Kraft, ist durch Geld vernichtet.«

Karl Marx, »Ökonomisch-philosophische Manuskripte«

»C’est le temps d’une concurrence créatrice, et de la lutte des productions. Mais Moi, ne suis-je pas fatigué de produire?«

Paul Valéry, »La crise de l’ésprit«

»I believe more than ever that this is a great time to be alive.«

Bill Gates, »The Road Ahead«

VORBEMERKUNGZUM ORT DES VERSUCHS

Die folgenden Gedanken sind ein Versuch gegen die Unmöglichkeit, gegen die eigene Unmöglichkeit.

Es gibt eine Sehnsucht nach dem Ereignis. Es wird geschehen, geschah einst. Es wird alles anders sein, alles ist schon anders geworden. Die Revolution sammelt in den Waben der Zeit ihre Kräfte, um eines Tages wieder hervorzubrechen. Dann wird die alltägliche Kontinuität des Lebens für einen Moment kollabieren, und eine seltsame, vergessene Intensität wird die Handelnden erfassen. Der »individuelle Moment« – kündigt er sich schon an?

Jedes Denken des Ereignisses ist ein »Romantisiren«1.

Das »Romantisiren« betrifft die Nachträglichkeit eines Ereignisses, eines Anfangs. Keine Revolution, die nicht bereits geschehen ist und sich daher nach einer Bedeutung sehnte (die Sprache der Revolution auf der Grenze zum Konjunktiv). Diese muss ihr erst gegeben werden. Die Revolution hätte keine Zukunft, würde ihr diese Bedeutung entzogen bleiben. Daher ist jeder Revolutions-Diskurs tendenziell romantisch.

Das Romantische ist nicht das bloß Romantische. Das wäre ein Missverständnis der Romantik überhaupt. Als das Projekt, das Individuelle zu universalisieren, geht sie über die Korruption von allem, was in der Geschichte erscheint, hinaus. Was aber hat das mit der Revolution zu tun? Das Problem der Revolution ist gerade, dass sie nur als etwas erscheinen kann, das keiner Korruption unterworfen ist. Das heißt ein Individuelles zu universalisieren, und das verbindet die Revolution mit der Romantik.

Nicht jedes Ereignis ist eine Revolution. Aber jede Revolution ist ein Ereignis. In diesem Sinne kann eine Philosophie des Ereignisses Aufschlüsse auch über die Revolution liefern. Z.B. ist das In-einem-Ereignis-stehen vergleichbar mit einem In-der-Revolution-sein. Diese »Innigkeit« (Hölderlin) zu verstehen, ist entscheidend.

In einer Revolution wird zerbrochen und gestoßen, was schon fällt. Was bereits fällt, ist zunächst die politische Macht, dann die Zeit, die Kultur, diese Ordnung des Untergangs. In der Revolution geht es also nie nur ums Politische. Sie bezieht sich mehr noch auf seinen Ursprung. Ein Text über die Revolution evoziert demnach eine Kritik an dem, was nicht mehr am Ursprung ist, d.h. der Kultur.

Der Ursprung – ist das Ereignis. Und es geht darum, in ihm zu sein. Das betrifft auch die Revolution. Gewiss ist sie ein Schlag gegen die Unterdrückung und will daher politisch begriffen werden. Doch dieses Begreifen ist nachträglich, kommt schon zu spät. Die Revolution ist etwas Eigenes. Sie selbst zu erfahren geht über ihre stets nachträgliche Interpretation hinaus. Revolution heißt in ihr zu sein, Ursprung also – Gegenwart, Prae-sens.

Die Ordnung oder die Kultur, die sich von einer solchen Gegenwart her versteht, hat sie bereits verlassen. Der Ursprung ist zur Vergangenheit geworden. Die dieser vergangenen Gegenwart entsprungene Gegenwart ist erschöpft. Doch diese Erschöpfung ist zugleich äußerst produktiv.

Die einzige Frage dieses Versuchs: Wie schafft es das Medium, eine Welt zu sein, die nur ein Ziel, einen Wert zu kennen scheint, nämlich den, die wahre Revolution zu verhindern?

Die »wahre Revolution«? Es gibt keinen Begriff, der dieses Versprechen einlösen könnte. Vielleicht ist es auch das, was die Revolution von den zeitgenössischen Diskursen ausschließt oder befreit, ihre quecksilbrige Beweglichkeit. Wir wissen nicht, wie die nächste Revolution aussehen wird: A-topie. Wüssten wir es, wäre es keine Revolution.

Jede Kritik der Kultur ist verloren, die sich nicht selbst ins Kritisierte einbezieht. Es gibt keinen Standpunkt außerhalb der Erschöpfung und des Untergangs.2 Die Gebrochenheit des Blicks und des Urteils ist entscheidend. Nur so kann Kritik glaubwürdig werden. Ich bin das, was ich verurteile – und ich bin es nicht, jedenfalls nicht ganz.

Kulturkritik, die sich dieser Zugehörigkeit zum Erschöpften nicht bewusst ist, sie nicht sogar bezeugt, ist Heuchelei oder Kitsch und damit gänzlich das, was sie suggeriert, nicht zu sein.

Das Folgende kann sich also nicht von dem unterscheiden, was es als die aktuelle Totalität oder Ordnung zu bedenken versucht. Im Gegenteil – es kann sich überhaupt nur zu Gehör bringen, indem es sich diesem Zustand überlässt, ihn sogar liebt. Es braucht geradezu, was es möglicherweise zu zerstören begehrt. Der Ort ist also derjenige all jener Verschiebungen und Vermittlungen, die einen Text und seinen Körper, den Körper hinter, unter, über, vor und in ihm, in die Kanäle ziehen, die er benötigt. Die Kritik appelliert an die Ordnung, sie in sich vorkommen zu lassen.

Kulturkritik ist ordnungsgemäß. Sie macht für gewöhnlich Karriere, indem sie sich übertreibt. Dann kann sie erscheinen. Das ist die Kon-formität nicht nur der Kulturkritik, sondern jeder geistigen Tätigkeit, zu der natürlich auch die Philosophie gehört. So sehr sie das Ereignis begehrt, das ins Andere reißt, so sehr sehnt sie sich nach Empfang. Keine Philosophie, die sich schon in der Revolution befände. Gerade eine revolutionäre Philosophie befindet sich in einer Ordnung, der sie nicht angehören will.

Allerdings ist jeder echten Philosophie auch verwehrt, ganz Aufnahme zu finden. Das liegt an ihren exzentrischen Figuren, die dem »Geist der ewig lebenden ungeschriebenen Wildniß« (Hölderlin) gehören. Sie schreiben jedes Mal die Revolution wie ein Gedicht jenseits des kontinuierlichen Textes. Denn da ist der Riss, der die echte Philosophie von der Konformität »immer schon« trennt. So wäre auch die Philosophie eine Gestalt der Revolution.

Diesem Riss, dieser Wildnis entspringt die Sehnsucht nach einer Gemeinschaft, die dieses Wort verdiente. Es entspringt hier aber auch die Gewalt – oder der Terror, der alle Gemeinschaft zerstört (Gewalt und Terror sind nicht dasselbe). Die Revolution, diese Verwirklichung des Risses, enthält stets diese Gefahr: in der Wildnis zu verschwinden. Und wir – wer »wir«? – kennen dieses wilde Begehren.

VORBEMERKUNGZUR ORT LOSIGKEIT DES VERSUCHS

Über das Ganze hinaus gibt es nichts. Die Totalität ist eine totale Besetzung des Raums. Alle Plätze sind reserviert, alle Orte eingenommen, auch die Orte draußen, die es eben nicht gibt. Das Außerhalb – wie z.B. Platons Jenseits des Seins3 – ist also in Wahrheit eine Art von Ortlosigkeit; eine Ortlosigkeit nicht zufälliger Art, so als könnte, was jetzt ortlos ist, einmal einen Ort ergeben, sondern eine Ortlosigkeit sui generis.

Es geht um den Zusammenhang von Ort und Ordnung. Für gewöhnlich können wir uns keinen Ort außerhalb einer spezifischen Ordnung von Orten vorstellen. Selbst noch der abgelegenste Ort ist er selbst, weil er eben abgelegen und d.h. Teil einer Ordnung ist. In diesem Sinne ist die Ortlosigkeit eines Ereignisses oder Zustandes nicht schon so zu verstehen, als würden es und er gar nicht existieren. Die Ortlosigkeit, um die es hier geht, wäre etwas, das zwischen den Orten geschähe, das in keiner Ordnung unterzubringen wäre. Das aber gibt es in jeder Totalität. Es ist das nie in einer Ordnung unterzubringende, der blinde Fleck, das Exzentrische, unberührt vom Totalen.

Wenn die Totalität diese Ortlosigkeit niemals ordnen kann, weil sie sonst nicht mehr sein könnte, was sie ist, so kann sie es auch nicht ver-nichten. So total kann keine Totalität sein, dass sie noch jenes Zwischen, das sich stets Verschiebende und nie Festzustellende – das Ereignis – in einer Ordnung unterbringen könnte. Dieses A-topische (nicht U-topische) ist so individuell wie mannigfaltig. Es ist das Fremde, das Andere, das Erotische, das Sokratische, das Göttliche etc. Es ist auch die Revolution.

Sie hat die Menschenrechte geboren, anscheinend die Ordnung. Kann das A-topische eine Ordnung begründen? Jedes Mal ist die Ortlosigkeit der Anfang. Alles, was Ort ist, ist bereits jenseits des Anfangs. Das bedeutet aber auch, dass es keinen Ort des Anfangs gibt. Die Ordnung hat eine unzugängliche a-topische Vergangenheit. Das Ereignis bleibt stets im Rücken der Ordnung. Und so steht es immer bevor. Die Menschenrechte verdanken sich einem Ereignis. Vielleicht sind sie nicht ordnungsgemäß und sie gehören zu dem, was sich der Ordnung entzieht. Die Menschenrechte haben revolutionären Charakter.

Die Revolution ist das Außer-Kraft-setzen einer Ordnung, ihre Zerstörung. Daher kann sie von der Ordnung auch nicht eingeordnet werden. Die Zerstörung ist eine Verwandlung, eine »kategorische Umkehr« (Hölderlin), in der nichts so sein wird, wie es einmal war. Insofern gehören alle Verwandlungshoffnungen und -ängste zur Ortlosigkeit der Revolution: Platons Umkehrung der Seele, die christliche metánoia, der Liebestod, der Übermensch, die Verwandlung in ein Insekt, die Genesung, der Selbstmord, der Avatar – Begehren, ortlos zu leben.

Daher ist zu bezweifeln, dass die Revolution primär ein politisches und kein super