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Eine Leiche im Bach, gestohlene Unterwäsche und jede Menge fränkisch-bayerisches Chaos – willkommen bei Detektei Mogglbauer!
Als Detektiv Schorsch Mogglbauer aus seiner Kanzlei gefeuert wird, bestimmt er die Garage seiner Oma kurzerhand als neue Zentrale für Chaos und Gerechtigkeit – und seine eigene Detektei. Anfangs mangelt es ihm an Fällen abgesehen von verschwundenen Haustieren, mit denen er seiner Flamme Ella imponieren könnte.
Dann wird die Mitarbeiterin einer Baufirma tot in einem Bach gefunden. Die Polizei tappt im Dunkeln, aber Schorsch wäre nicht Schorsch, wenn er nicht trotzdem eifrig ermitteln würde. Unterstützung bekommt er von seinem besten Freund Otto, der vor Undercover-Einsätzen nicht zurückschreckt, aber leicht in Liebeleien verstrickt wird.
Über Unterhosendiebstahl im Seniorenheim, einen peinlichen Elvis-Auftritt und einer dramatischen Verfolgungsjagd, Schorsch bleibt dran. Es gilt schließlich, einen Mörder zu finden – und dabei vielleicht auch Ellas Herz zu gewinnen …
“Heiligs Blechla” von Cecilia Lilienthal ist ein bayerischer Lokalkrimi mit Witz, Spannung, Herz und einem Detektiv, der lieber improvisiert als aufgibt. Für Fans von schrägen Amateurdetektiven, Undercover-Ermittlungen und Liebeswirrwarr im Kleinstadtmilieu.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Verlag:
Zeilenfluss
Werinherstr. 3
81541 München
Deutschland
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Texte: Cecilia Lilienthal
Cover: MT-Design
Korrektorat: Dr. Andreas Fischer
Satz: Zeilenfluss Verlag
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Alle Rechte vorbehalten.
Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. _____________________________
ISBN: 978-3-96714-588-5
»Mir reicht‘s endgültig mit Ihnen, Mogglbauer. Für wen halten Sie sich denn? Einen Agenten des FBI, 007 oder so? Die Observation ist nur wegen Ihrer Selbstüberschätzung und Selbstverliebtheit schiefgelaufen. Kruzitürken. Das war ein todsicherer Plan. Nur weil die Diebe Sie bemerkt haben, sind die abgehauen. Sie sind vorgeprescht wie ein brunftiger Hirsch. Und das auch noch allein. Mensch, die hatten Waffen dabei. Oder sind Sie lebensmüde? Wie ein Anfänger haben Sie sich aufgeführt. Wo haben Sie Ihr Gehirn verloren? Oder haben Sie das im letzten Urlaub gelassen? Und nehmen Sie die verdammte Sonnenbrille ab, Sie Detektiv für Armselige.«
Der Haflinger, mein Boss, ließ die Faust auf die Glasplatte seines Schreibtischs sausen und verzog einen Moment das hochrote Gesicht. Ich zuckte ein wenig zusammen, aber nur innerlich. War er nun fertig mit seiner übertriebenen Predigt?
Tief durchatmend fuhr er sich mit einer Hand über den dunklen Schopf. Er trug ihn wie immer ordentlich gescheitelt, als würde er jedes Haar morgens einzeln positionieren.
»Und hören Sie auf, sich rausreden zu wollen«, tönte er.
Hä? Ich hatte doch gar nichts gesagt. Wie auch, bei dem Wasseranfall aus Worten, der seit Minuten ohne Punkt und Komma über seine Lippen donnerte?
»Sie bringen mich noch ins Grab, Mogglbauer.« Er war also doch noch nicht fertig. Ich stand da wie ein Erdmännchen und wartete, dass der Tornado endlich vorbeigezogen war. Es war immer das Gleiche. Der Boss musste sich auskotzen, damit sein Puls runterfahren konnte. Danach war wieder Ruhe. Obwohl … Dieses Mal war der Sturm stärker als sonst. Gar nicht gut. Was für eine Scheiße war denn heute am Dampfen? An mir alleine konnte seine Laune nicht liegen. Ich hätte im Bett bleiben sollen. Nach dem Frühstück bei Oma Lisbeth war ich noch dermaßen motiviert gewesen, den Kunstdiebstahlsfall, an dem das Team und ich dran waren, zu lösen und diese Scheißkerle dingfest zu machen. Ich hatte mich ins Zeug gelegt dafür, halt was riskiert.
»Ich hätte sie fast gehabt«, verteidigte ich mich schließlich.
Mein Boss holte ein wenig japsend Luft und lachte dann. »Sie leiden unter völliger Selbstüberschätzung.«
»Nein. Sie waren doch gar nicht dabei.«
»Ich habe genug gehört und sehe das Resultat«, zischte er, lockerte seine Krawatte und zeigte Richtung Bürotür.
»Und was bedeutet Ihre Predigt jetzt konkret?« Obwohl ich schon so eine dunkle Vorahnung hatte, die ich sofort wegwischte. Der Haflinger würde mich nie …
»Das fragen Sie noch? Sie sind gefeuert.«
Wie bitte? Ich hatte das Gefühl, jemand hätte mir gerade einen Kübel Eiswasser über die Birne geschüttet. Das war jetzt ein blöder Witz, oder?
Ich lachte. »Der erste April ist schon vorbei, Boss.«
»Das ist mein absoluter Scheißernst«, rief der Haflinger und lief knallrot an.
Ich stockte. Moment. »Das können Sie nicht machen. Ich hätte die Typen gekriegt, wenn nicht –«
»Die sind entwischt, weil Sie nicht aufs Team gehört haben.«
Ich hob einen Finger. »Das stimmt nicht. Die wurden gewarnt. Jemand hat uns verraten. Vielleicht sogar aus den eigenen Reihen. Die haben telefoniert, und dann sind sie auf und davon. Kurz vor meinem –«
Haflinger erhob sich halbwegs aus seinem Bürosessel. »Spinnen Sie jetzt komplett?«
»Ich nicht. Lassen Sie mich doch bitte mal ausreden.«
»Meiner Meinung nach sind Sie verrückt. Sie sehen die Realität verzerrt. Holen Sie Ihre Siebensachen aus dem Büro und verschwinden Sie endlich. Ich hab lang genug zwei Augen zugedrückt. Wenn Sie ein wenig besonnener vorgehen würden, könnten Sie sogar ein guter Detektiv sein. Ich hab Sie oft genug abgemahnt. Drei Jahre mach ich das schon mit. Ich sehe schwarz für Ihre Zukunft. Pechschwarz.«
Ach ja? Dann sollte er mal besser öfter die Augen offenhalten. Ich wollte noch einmal protestieren, aber der Haflinger hob abwehrend eine Hand. »Ich bleib dabei, egal was Sie noch sagen. Und wenn die Welt untergeht und der Teufel mit dem Arsch wackelt und mir ewiges Leben in Reichtum mit vielen heißen … Ach egal.«
Ich zwinkerte ihm zu. »Heißen Hühnern, meinen Sie? Das würden Sie ernsthaft …«
Er verdrehte die Augen. »Scheißegal!«
Meine Kopfhaut prickelte. Am liebsten hätte ich dem Fitnesscenter-Muskelheini im Anzug eine reingehauen. Schon allein für all die unbezahlten Überstunden. Hinter ihm an der Wand hingen gerahmte Auszeichnungen, die er als Detektiv und Karatemeister bekommen hatte. Wer war hier selbstverliebt? Verdammt, ich brauchte den Job nicht nur, ich war Detektiv mit und aus Leidenschaft. Darauf war ich sehr stolz. Ich hatte schon als Bub davon geträumt und mein Talent zum Beispiel beim Observieren von Opa Hans gezeigt. Die Assistenten, die mich dabei immer begleitet hatten, waren mein damaliger Fotoapparat und mein schwuler und bester Kumpel Otto. Ich hatte Opa nicht nur einmal bei diebischen Stibitz-Streifzügen im Hintergarten von Bauer Sepp, der am Rand des Industriegebiets Nord unserer Kleinstadt Hollfeld gewohnt hatte, erwischt. Jetzt stand dort ein Supermarkt. Damit ich Opa nicht an den Saubauern verriet, hatte er mir damals immer zwei Mark gegeben. Der Eigenbrötler Sepp hatte das beste Obst weit und breit, es aber lieber verkommen lassen, bevor er etwas abgegeben hätte an jemanden. Opa hatte es für die Oma gestohlen, damit sie daraus leckere Kuchen machte. Verraten hätte ich Opa eh nie. Dazu hatte ich die Kuchen und ihn viel zu gerngehabt. Ich betete für ihn, dass seine größten Wünsche fürs Jenseits in Erfüllung gegangen waren – keine Deppen, ein gemütliches Plätzchen, Bier, gutes Essen und Ruhe.
Mein Magen krampfte. Haflingers Gesichtszüge wirkten wie eingemeißelt. Eins stand bei mir auch so fest wie seine Meinung. Ich würde keinesfalls betteln, hatte auch meinen Stolz.
»Dann geh ich halt. Ihr Problem«, sagte ich.
Der Haflinger stöhnte leise. »Gott sei Dank.«
Ich stapfte in den Flur, schloss die Tür mit einem Ruck und blieb stehen. Moment, etwas musste ich diesem Haflinger noch sagen und riss die Tür wieder auf. Er hob beide Hände und starrte mich entgeistert an, als ich auf ihn zeigte.
»Nicht schießen, Mogglbauer.«
Ich schüttelte den Kopf. »Spinnen Sie? Ich habe nicht mal eine Waffe.«
Er atmete auf.
Ich hob das Kinn ein wenig an, um meinen nächsten Worten mehr Nachdruck zu verleihen. »Sie werden noch von mir hören. Ich werde Ihnen zeigen, was für einen grandiosen Detektiv Sie heute verloren haben und sich dann nicht nur einmal in Ihren verwöhnten Arsch beißen. Schönen Tag noch.«
Haflingers Augen weiteten sich. »Sie sind mehr als verrückt. Eindeutig.«
Ich zeigte auf mich. »Nein, ich bin gut, verdammt gut. Sie machen einen riesigen Fehler.«
»Bestimmt nicht.«
Ich presste die Lippen aufeinander. Alles in mir schien zu brennen vor Wut, Enttäuschung, aber auch Verzweiflung. »Ich werde nie wieder hier arbeiten. Nie wieder. Und wenn Sie mir als Lohn die heißesten Ladys versprechen würden. Tja, Pech gehabt, Haflinger.«
Ich zog die Tür mit einem Rums ins Schloss und schlenderte in das Großraumbüro der Kanzlei. Die Mitarbeiter, die sich dort aufhielten, glotzten mir entgegen. Ihre Blicke schienen mich zu durchlöchern wie Kugeln aus einer Pistole. Ich wusste, dass die meisten Haflingers Meinung teilten und mich loswerden wollten. Klar, ich war die größte Konkurrenz. Jeder von denen wollte vor allem eins: dem Boss gefallen und die beste Schnecke in seiner Gegenwart sein. Im Grunde war das ganze Büro voller unsichtbarer Schleimspuren.
Mensch, Schorschi, hörte ich eine innere Stimme, denk doch an deine Privatermittler-Ausbildung. Augenblicklich wurde es ein wenig heller am Horizont. Mein langgehegter Traum von der Selbstständigkeit rückte unweigerlich wieder näher. Nur die Ersparnisse reichten dafür noch nicht aus. Ich wollte ein schickes Büro, in einem hübschen modernen Gebäude. Am besten in Bayreuth – der Richard-Wagner-Festspielstadt. Nice wäre das und hätte so richtig Stil. Aber vielleicht sollte ich vorerst doch nicht an Größe XXL, sondern S denken. Träumen durfte man ja schon mal. So schnell ich konnte, machte ich mich vom Acker.
Ich parkte meinen schwarzen Manta vor der alten Scheune mit dem klapprigen Tor, zündete mir eine Zigarette an und inhalierte den Rauch. Irgendwie stimmte das schon, dass der Qualm einer Kippe die Nerven beruhigte. Vielleicht, indem er sie zeitweise erstickte. Schmecken tat sie mir nicht. Ich drehte das Fenster auf, und der Rauch wirbelte in den Sommerabend. Langsam verzogen sich die grauen Wolken wieder. Das würde ich von meinem Ärger über den Rausschmiss auch gern behaupten.
Aus der Scheune drangen hämmernde Geräusche und vermischten sich mit dem Quietschen des weißen Schildes neben dem Tor, das vom Wind angetrieben an einer Stange hin und her schaukelte. Ein Nummernschild, auf dem in eingestanzten neonpinken Buchstaben die Worte ›Ottos Tuningparadies‹ prangten. Ich nahm drei tiefe Züge hintereinander und schob mir die Sonnenbrille ins krause dunkelblonde Haar. Das Quietschen des Schildes erinnerte mich an einen Krimi, den ich gestern Nacht im TV gesehen hatte. Der Ermittler der Serie hatte ein Einschussloch in der Tür eines Hauses entdeckt. Dabei gab die Baumschaukel im Garten fast das gleiche Geräusch von sich wie das teils rostige Schild. Der Detektiv war den Fall souverän und cool angegangen. Im Grunde war ich doch auch so und kein Spinner, der zu unüberlegt handelte. Im TV benutzten manche Ermittler oft Wege abseits der Hauptstraße, um ans Ziel zu kommen. Warum, verdammt noch mal, war das nur im Film okay?
Ich starrte auf das Scheunentor, als stünde dort die Antwort auf meine Frage. Ottos alter, getunter, rosaroter Golf parkte davor. Ich saß weiter da wie ein Schluck Wasser in der Kurve und versank in Gedanken. Die Scheune gehörte Ottos Opa Johann, der sie ihm überlassen hatte. Otto und ich kannten uns seit der Grundschule, waren sogar Blutsbrüder. Auch wenn Otto diese Verbindung eine saubere Blutvergiftung eingehandelt hatte. Johann hatte ihn damals zum Arzt gefahren und bis heute gegenüber Ottos Eltern und meiner Oma Lisbeth Stillschweigen über die Sache bewahrt. Die hätten uns sonst wohl gleich entbrüdert. Okay, war nicht das erste Mal gewesen, dass wir Schmarrn gebaut hatten. Johanns Loyalität rechnete ich ihm bis heute hoch an, auch wenn es langsam im Oberstüberl bei ihm spukte, also im Kopf. Ottos Opa war nun schon seit einem halben Jahr im Hollfelder Altenheim. Gefiel ihm ganz gut dort. Otto hatte dennoch ein schlechtes Gewissen, weil er ihn wegen der Arbeit nicht selbst pflegen konnte.
Johann war ein lustiger alter Kauz, mit dem man auch mal Pferde stehlen konnte. Frauen hatte er immer gerne angeschaut, aber die Oma Lisbeth war die erste, in die er sich so richtig verknallt hatte. Allerdings zeigte die ihm die kalte Schulter. Obwohl er ihr nicht egal war. Das merkte ich. Sie war ihrem pflichtbewussten Hans immer treu geblieben, auch nach seinem Tod vor einem Jahr. Ich wusste, dass sie meinem Opa am Sterbebett versprechen musste, nie etwas mit dem Johann anzufangen. ›Nicht mal über meine Leiche, Lisbeth‹, hatte er gesagt. Das Fundament der Freundschaft hatte zu bröckeln begonnen, seit Opa Hans herausgefunden hatte, dass Johann für Lisbeth schwärmte. Außerdem hatte er Opa Hans kritisiert, was der gar nicht haben konnte. Er hatte ihm gesagt, er würde Lisbeth wohl zu wenig körperliche Nähe geben, weil sie manchmal so ausgetrocknet wirke wie eine Pflaume, die vom Baum gefallen war. Das machte er an ihren zunehmenden Falten fest. Oma wusste das gar nicht, und das sollte so bleiben. Sie hätte ihm dafür sicher eine saftige Watschn gegeben.
Ich war jedenfalls froh, dass Hans und Johann es mir nie nachgetragen hatten, dass ich mich nicht auf eine Seite geschlagen hatte. Otto fand seinen Opa vor allem cool, weil er die Hasenjagd genauso mochte wie er. Nur, dass der Otto auf männliche Hasen stand. Zum Glück war ich nicht sein Typ. Das hätte unsere Freundschaft massiv belastet, auch, weil ich eindeutig auf weibliche Hasen stand. Ich wünschte ihm jedenfalls, dass er bald seinen Traummann fand. Bisher waren es leider nur Lufttüten gewesen. Mir erging es mit den Ladys nicht anders, und die, für die ich mich interessierte, schien nur freundschaftliches Interesse an mir zu haben. Ich dachte an Ellas Lächeln, das sie allerdings nicht mir, sondern diesem Deppen von Kleinstadt-Streifenpolizisten zugeworfen hatte. So ein Ich-finde-dich-ganz-süß-Lächeln – das er auch noch erwidert hatte.
Ella war vor zwei Jahren von Bayreuth nach Hollfeld gezogen. Sie war genau der Typ Frau, den ich anziehend fand. Ihr schulterlanges Haar erinnerte mich an die Farbe eines Brownies. Die Figur – sportlich, das Gesicht mit den feinen Zügen – engelhaft. Ich liebte es, in ihre braungrünen Augen zu schauen, ihre Stupsnase, die vollen Lippen und das Grübchen in der rechten Wange, wenn sie lächelte. Auf ihrer Nase wohnten ein paar süße Sommersprossen. ›Hammerbraut‹ hatte ein Bekannter von mir sie genannt, als er und ich sie damals zum ersten Mal auf dem Schützenfest in Hollfeld gesehen hatten. Sie hatte neben uns in der Schiffschaukel gesessen und Schneid genug gehabt, sich wie wir mit ihrer Gondel zu überschlagen.
Ich sah sie genau vor mir. Ihr kurzer getigerter Rock war bei jedem Auftrieb der Schaukel nach oben geflogen, sodass leider nicht nur ich Zeuge ihrer Spitzenunterhose geworden war. Mein Kumpel war von dort gar nicht mehr wegzukriegen gewesen, bis ich ihm ein Steak unter die Nase gehalten hatte. Kurz nachdem Ella die Anlage verlassen hatte, hatte ihr ein schmieriger Typ an den Hintern gefasst. Da war ich sofort dazwischengegangen. Der Glatzenheini hatte mir zwar eine deftige Ohrfeige verpasst, aber dafür bekam ich Ellas Aufmerksamkeit und einen Pluspunkt bei ihr. Sie hatte mir zugelächelt, mit diesem unvergleichlichen Lächeln aus Zucker. Mein Herz seufzte heute noch, wenn ich daran dachte.
Inzwischen hatte sie mir deutlich klargemacht, dass wir nur Freunde waren. Das musste ich eben akzeptieren. Oma sagte, dass eine Freundschaft oft mehr wert sei als eine Liebelei.
»Kruzifix und Heiligs Blechla.« Ein Stück glühende Asche landete auf meiner knielangen Lieblingslederhose und holte mich aus meinen Gedanken. Hastig pustete ich es weg und untersuchte den Tatort. Keine sichtbaren Spuren. Glück gehabt. Das gab es also doch noch an diesem Scheißtag.
Ich stieg aus und warf die Tür des Manta mit voller Wucht ins Schloss. Die Gedanken an das Gespräch mit Haflinger wurden wieder lauter.
»Ruhe im Karton«, brüllte ich ihnen zu. Sie dachten nicht daran. Arschgeigen. Ich ging auf die Scheune zu und trat die Kippe aus. Der Manta ächzte ein wenig hinter mir. Ein Stich durchfuhr mich. Was war los mit meinem Baby? Ich wirbelte herum und hatte das Gefühl, seine Lichter würden mir vorwurfsvoll nachsehen. Mein Herz krampfte. Klar, ich Depp hätte die Tür nicht so derb zuschlagen sollen. Der Kleine konnte ja nichts für all den Kack. Kurzerhand ging ich zurück und tätschelte seine Motorhaube.
»Tut mir leid, Iron Eagle. War nur ein Tag, für den das Wort ›Scheiße‹ noch ein Kompliment ist. Verstehst?« Kein Mucks mehr. Er verstand mich also. So etwas wünschte ich mir auch in einer Beziehung.
Ich versuchte, die Wut auf Haflinger loszuwerden, indem ich die Arme in die Höhe streckte, die Augen schloss, tief in die Brust atmete, die Luft dort ein paar Sekunden gefangen hielt und sie anschließend durch leicht geöffnete Lippen wieder in die Freiheit entließ. Eine Technik, die Bella, also Ella, die ich für mich gerne so nannte, mir gezeigt hatte. Sie bezeichnete das als innere Balance. Damit sollte man ebenjene finden und unangenehme Gedanken vertreiben können. Ihrer Meinung nach stand ich zu oft unter Strom. Sie schwor darauf, dass dieses Yoga einen von dreihundertachtzig auf gemächliche fünfzig runterbringen könne. Beim Autofahren war so was eine Qual, aber für das Herz und Gemüt wäre das eine Wohltat. Ich wollte dran glauben, dass Bellas Tipp wirkte.
»Bubi, da bist ja endlich. Was machst denn da? Hast du schon mal auf die Uhr geschaut? Die Suppen wird kolt. Du hast doch gsagt, dass du heute mal pünktlich zum Essen heimkommst. Auf gor nichts kann man sich bei dir verlassen.«
Ich öffnete ein Auge. Oma Lisbeth stand auf dem Balkon ihres Hauses, nur etwa fünfzig Meter von meinem Standort entfernt, und stemmte die Hände in die Hüften. Ihre bunten Lockenwickler leuchteten ins Grau des Tages. Da war sie hin, die Konzentration auf weiteres besonnenes Atmen. Drei Wiederholungen, hatte Bella gesagt, seien mindestens nötig, um einen Erfolg zu erzielen.
»Na, klasse, Oma. Vielen Dank. So komm ich nie runter.«
»Du sollst auch nicht runterkommen, sondern rüber. Die Suppe wird kalt, hab ich gesagt. Aber ist mir langsam wurscht. Ich halt sie nicht länger warm. Zum Otto kannst später auch noch.«
»Ist ja gut«, rief ich ihr über den hölzernen, teils schiefen Gartenzaun zu. Den musste ich ihr auch noch richten, fiel mir wieder ein.
Die Wäschespinne im Garten quietschte fast so laut wie das Schild an der Scheune, als der Wind sie bewegte. Ich verdrehte die Augen. Warum konnte Oma nicht endlich aufhören, meine Unterhosen öffentlich zur Schau zu stellen? Die hätte sie doch einfach in den Trockner werfen können.
Das Scheunentor wurde aufgeschoben, und Otto kam heraus, das Gesicht ölverschmiert. Genau wie seine Wimperntusche. In dem rosafarbenen Blaumann wirkte sein Bauch, als wäre er im vierten Monat schwanger. Über ebenjenen strich er sich gerade. In der freien Hand hielt er eine Pizzaschachtel. Er war also noch immer nicht über den letzten Liebeskummer mit Alfi aus Bayreuth hinweg, der urplötzlich das Ufer verlassen hatte und hetero geworden war. »Hi Schorschi. Mann, hatte ich einen Kohldampf.«
Ich deutete auf seinen Bauch. »Passt da überhaupt noch was rein? Nach neun Monaten wirst Nudeln, Pizza, Bratwürste und gegrillten Bauch, Speck und Dampfnudeln zur Welt bringen. Hast schon einen Namen für deine Lieblinge?«
Ich schnalzte mit der Zunge und zwinkerte ihm zu.
Otto lachte. »Der ist gut. Aber kann ja nicht jeder so einen Fastflachmann haben wie du. Und Leberkäse und Blutwurscht hast vergessen.«
Schlagfertig war er ja, hin und wieder jedenfalls.
»Und damit steht es eins zu eins«, erwiderte ich.
Wir lachten zusammen, war ja auch alles nicht böse gemeint. Das wussten wir beide. Otto nahm sowieso nichts so richtig ernst, hatte ich oft das Gefühl. Außer, wenn es um Johann, schöne Männer und seine Babys ging – die Autos. Hinter ihm in der Scheune stand ein Golf Cabrio. Das hatte er günstig bekommen, wollte es restaurieren und frisieren. Zu einem Rennwagen. Mit dem wollte er dann an einer fränkischen Rallye teilnehmen, die jedes Jahr um Hollfeld herum stattfand. Ich wusste genau, woher diese neue Leidenschaft kam. Er hatte sich in Ralf verguckt, der dort jedes Jahr mitmachte und kürzlich seinen schwarzen Rennwagen bei Otto hatte durchchecken lassen. Bisher sahen die Fortschritte an Ottos Überflieger, mit dem er bei Ralf Eindruck schinden wollte, allerdings eher mau, genaugenommen düster, aus.
»Hast du das Ersatzteil dabei?«, fragte Otto mich.
Das hätte ich ihm aus Bayreuth mitbringen sollen. Tat mir leid, dass ich ihn enttäuschen musste. »Nein, hatte keine Zeit. Heute war und ist Land unter gewesen in der Kanzlei.«
»Hä?«, machte Otto, fuhr sich mit seinen schmutzverschmierten Fingern durch das schwarze Haar und sah mich aus seinen dunkelbraunen Augen fragend an.
»Erzähl ich dir später. Jetzt muss ich erst mal rüber.« Ich zeigte Richtung Oma Lisbeth, die wie eingefroren an Ort und Stelle weilte, als wartete sie darauf, dass jemand vorbeikommen und ihr einen Preis für Deutschland sucht das genervteste Gesicht geben würde. Also, für mich war sie darin sogar ungekürte und unwissende Weltmeisterin. Ihre Mundwinkel waren dabei übertrieben nach unten und eine Braue nach oben gezogen. Gleichzeitig waren ihre Augen leicht zusammengekniffen.
»Kommst jetzt?«, rief sie.
»Jaaaahaa, Herrgott.«
»Lass den Herrgott aus dem Spiel, Schorschi. Sonst musst beichten gehen«, rief Oma.
Otto winkte ihr. »Hallo Lisbeth.«
Sie hob eine Hand. »Gib dem Schorschi einen Tritt, damit er überfliegt. Und zwar pronto.«
Otto lachte. »Gern. Wenn ich das nächste Mal bei euch wieder mitessen darf.«
»Meinetwegen«, gab Oma zurück.
»He«, rief ich. »Wehe, du machst das mit dem Tritt wahr.«
Otto grinste kurz. »Ich lasse Gnade walten, wenn du mir wenigstens ein Stichwort gibst, was los war in der Kanzlei.«
Nun gut. »Gefeuert.«
Das Wort reichte, um Ottos Gesichtszüge einfrieren zu lassen und im Groben alles, was passiert war, auf den wichtigsten Punkt zu bringen. Seine Sommersprossen schienen ihm aus dem Gesicht zu fallen. »Was? Kack die Wand an. Das ist echt übel, Mann. Vom Haflinger?«
»Von wem sonst?«
»Warum?«
»Undank.«
Otto schüttelte den Kopf. »Da sieht man es mal wieder. Einen knackigen Hintern, ein schönes Gesicht und Charakter, das ist selten. Ich dachte bei dem aber echt, er wäre eine Ausnahme. Wie Ralf. Bei dem täusche ich mich nicht. Ich hatte noch nie so ein verdammt gutes Bauchgefühl bei einem Mann wie bei ihm.«
Ich stutzte und verschluckte mich fast an der eigenen Spucke. »Du findest den Haflinger sexy?«
»Jetzt nicht mehr. Stellt sich der Charakter als Brachland raus, sieht auch der Rest hässlich aus.«
»Sehr poetisch.«
Otto hob das Kinn. »Gell.«
Ich hatte ihm nie gesteckt, dass der Haflinger Otto in seinen oft pinken Klamotten lächerlich fand. Das hatte er mir gegenüber mal durch die Blume gesagt. Dieser Arsch. Ich ging zu Iron Eagle zurück und klopfte mit einer Hand einmal aufs Dach. »Keine Sorge. Bin bald wieder da.«
Dass auch Autos eine Seele hatten, hatte mir Otto eingeredet. Seitdem glaubte ich dran. Oma stand immer noch da wie vorhin. Ich sprang über den Zaun, rannte auf sie zu, drückte ihr einen Kuss auf die Wange, murmelte ein »Sorry« und ging dann auf die braunumrahmte Glastüre des gelben Hauses mit den grünen Fensterläden und dem roten Spitzdach zu, in dem ich groß geworden war.
Oma Lisbeth war die Beste. Das war nicht in allen Fällen positiv gemeint. In der Kategorie an meinen Nerven sägen zum Beispiel. Die waren inzwischen, trotz erneuter Atemtechnik, dermaßen gespannt, dass man ein Lied darauf hätte spielen können. Zwar knurrte in meiner Magenhöhle ein Grizzly, dennoch vertrieb der Stress den Appetit. Und das, obwohl es meine Lieblingssuppe gab: Leberklößchen und Nudeln in einer klaren, würzigen Brühe, verfeinert mit klein gehacktem Schnittlauch aus dem Garten. Dazu ein fettes mit Schmalz bestrichenes Brot mit einer Kruste, die aussah, als wäre sie bei einem Erdbeben entstanden.
Lisbeth beobachtete mich akribisch vom Kochherd aus. »Passt was nicht dran, an der Suppen? Weil du nur pustest, statt zu essen. Die ist doch jetzt fast kalt. Dann schmeckt sie nimmer. Mensch, Bubi.«
Sie band sich die blaue Schürze ab und warf sie über die Holzlehne des Stuhls, auf dem sie sich dann niederließ. Seufzend faltete sie die schrundigen Hände auf der Tischplatte und sah mich aus ihren tiefblauen Augen an, die ich von ihr und Mutter geerbt hatte.
Ich griff nach dem Salz und würzte nach.
Oma gab ein leises Murren von sich. »Die ist würzig genug. Oder bist verliebt?«
Unwillkürlich musste ich kurz an Ella denken.
Ich sagte nichts und probierte. Auch das Nachwürzen der Suppe konnte meine Geschmacksknospen nicht reizen. Vielmehr rebellierte mein Magen, hob und senkte sich. Schließlich schob ich den Teller Richtung Tischmitte. »Tut mir leid. Krieg nix runter, Oma. Liegt nicht an deinem Essen und auch nicht an einer Frau.«
»Jetzt hab ich extra Schnittlauch vom Garten reingeschnitten und alles. Herrschaftszeiten noch einmal. Dann bring wenigstens dem Otto die Suppe mit. Meinetwegen auch das Brot. Der kriegt doch auch nichts Gescheites mehr in den Magen, seit der Johann im Altenheim hockt. Ruiniert sich mit dem Fast-Futter-Zeugs.«
»Fast Food«, korrigierte ich sie.
»Fast-Futter hat’s bei uns damals nicht gegeben. Und wenn der Otto die Suppe nicht mag, soll er sie dem Johann mitbringen. Obwohl … Nein. Hat er nicht verdient.«
Ich horchte auf. »Was? Warum?«
Sie winkte ab, stand auf und ging zurück zum Kochherd. »Ach. Hab den knittrigen Schwerenöter gestern besucht, ihm ein Stück meines Bienenstichs mitgegeben. Dachte, ich will mal nicht so sein. Doch der Depp war mit seiner Aufmerksamkeit meist woanders.«
»Und wo?«
Sie hob das Kinn. »Bei dem jungen weiblichen Gemüse, das dort rumläuft. Tz.«
Meine Gedanken fuhren Achterbahn und weiteten die Ohrwascheln. »Bist etwa eifersüchtig? Oma, Oma. Wenn das der Opa auf seiner Wolke hört …«
Ihre sonst blassen Wangen färbten sich rosa. »Ach was.«
»Beweis gesichert.«
»Spinnst du, Bubi. Welcher Beweis?«
Ich stand auf und gab ihr Wangenküsschen. »Da.«
Sie hielt sich die Hände an die Wangen. »Schmarrn.«
»Ausrede zwecklos. Freilich schwärmst für ihn. Ich bin Detektiv, ich habe einen Röntgenblick. Außerdem kenne ich verliebte Blicke. Vom Otto.«
Oma machte große Augen. »Dir gegenüber?«
»Quark mit Soße. Dem Ralf gegenüber zum Beispiel.«
Oma drehte sich um und rührte mit einem Holzlöffel im Suppentopf. »Mir tut er nur leid, dass Johann jetzt im Gefängnis sitzt.«
»Da gefällt es ihm doch nun besser.«
Sie wandte sich um und zeigte mit dem Holzlöffel auf mich. »Ich jedenfalls will nie in dieses Gefängnis kommen. Hörst? Du wirst mich pflegen, bis ich tot umfalle. Sonst kannst gleich ausziehen, und erben tust das Haus, den Garten und die Garage drüben auch nicht. Und sei dir sicher, dass ich dir auch von dort oben keine Ruhe lassen würde, Bubi.«
»Ich hab dich auch lieb.« Ich spitzte die Lippen zu einem Kuss.
Sie schüttelte den Kopf und wurde nachdenklicher.
»Was ist?«, fragte ich sie.
Langsam setzte sie sich neben mich, legte den Rührlöffel in meinen Suppenteller und seufzte. »Als ich den Johann letzthin im Gefängnis besucht hab, da sagte er, ich wäre seine Priscilla. Ich sollte ihn Elvis nennen. Er hat mich auf sein nächstes Konzert eingeladen.« Sie tippte sich an die Stirn. »Und später will er mit mir nach Graceland ziehen.«
Trotz der Dunkelheit, die sich an meinem Horizont aufgetan hatte, musste ich nun schmunzeln über das, was Oma da erzählte. »Der Spinner.«
Ihre Gesichtszüge wurden ein wenig milder. »Er war immer schon ein großer Elvis-Fan, wollte immer nach Amerika, hat aber nie geklappt. Man darf ja nicht vergessen, dass er eigentlich nichts dafürkann. Also, für das Chaos in seinem Hirnstüberl.« Sie lächelte wehmütig. »Aber der Hüftschwung, den er mir vorgeführt hat … Mein lieber Herr Gesangsverein. Hätte ich nicht gedacht, dass er den mit seiner künstlichen Hüfte so gut hinkriegt. Muss vielleicht auch ein wenig aktiver werden. Also, sportlich meine ich.«
»Damit ihr beide dann Elvis imitieren könnt? Oder spielst du lieber Priscilla?«
Sie stand auf und nahm meinen Teller mit. »Quatschkopf.« Ihr Blick richtete sich auf mein Essgeschirr. »Die gute Suppen. Deine Mutter hätte dir das früher nie gekocht, was ich dir koche. Das verrückte Huhn.«
Über sie wollte ich nun nicht reden oder überhaupt und tat, als hätte ich nichts gehört. Im Grunde kannte ich meine Mutter nicht. Sie war ständig unterwegs gewesen, als sie noch hier war. Zwischen Job und Partys. Wer mein leiblicher Vater war, wusste sie vielleicht selbst nicht. Bei einem Urlaub mit einer Freundin auf Sylt hatte sie dann Hermann kennengelernt. Nach ihrer Rückkehr war sie immer stiller geworden. Wir hatten gedacht, sie wäre krank. Das war sie ihrer Meinung nach auch. Diagnose: Fernweh. Mehrmals hatte sie mich zwischen Tür und Angel gefragt, ob das in Ordnung wäre, wenn sie ihren Flügeln nachgeben und wegziehen würde, und ich hatte Ja gesagt. Das war kurz nach meinem achtzehnten Geburtstag gewesen.
Für mich war meine Mutter schon immer eher eine Tante gewesen als eine Mutter. Als sie mich bekommen hatte, war sie erst siebzehn gewesen. Der einzige Lebenstipp, den ich von ihr bekommen hatte, war, dass ich das Leben jeden Tag genießen und an mich glauben solle. Wirklich großgezogen hatte mich meine Oma. Einen Vater hatte ich nie vermisst, denke ich. Mamas Freund Hermann war wie sie ein Hippie. Beide lebten im Wohnwagen und/oder im Zelt und hielten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Wenn es sie glücklich machte, dann bitte. Oma Lisbeth und Opa Hans hatten sich jedoch oft gefragt, was sie versäumt hatten, und wünschten sich von mir mehr, wie sie sagten, Stabilität im Leben.
»Deine Mutter hat übrigens eine Karte geschrieben.«
»Mit lieben Grüßen?«, fragte ich wie nebenbei.
»Ja.«
»Okay. Legst sie halt zu den anderen.«
Oma verzog einen Mundwinkel und seufzte. »Hab ich.«
Sie hatte extra eine Schublade mit den Liebe-Grüße-Postkarten im Wohnzimmerschrank.
Mutter wurde langsam zu einer Art Fata Morgana, die mit der Zeit mehr und mehr verblasste. Ich brauchte sie auch nicht, war mit meinen sechsundzwanzig ja wohl alt genug. Lisbeth und Opa waren jederzeit ein prima Elternersatz gewesen. Die Leute hatten sich früher das Maul über Mutter zerrissen, manche taten es immer noch. Auch über mich. Es gab wilde Spekulationen, wer mein Vater sei. Manche Tratschtanten hatten sogar schon mal den früheren katholischen Pfarrer aus der Nachbargemeinde in Verdacht gehabt. Ich stellte mir meinen Vater eher als FBI-Agenten vor. Das war spannender.
»Ach, Schorschi. Fast hätte ich es vergessen. Diese Ella, die war da vorhin. Hat sich deine Unterhosen genau angeschaut. Gesagt hat sie nix, aber ich denke, gewundert hat sie sich scho über die Flicken. Kauf dir halt mal neue. Manche hab ich fast schon totgestopft«, erzählte Oma.
Bella war da? Mein Herz ging auf.
Oma zog die Brauen ein wenig zusammen. »Du lächelst ja wie ein Honigpferd.«
»Honigkuchenpferd heißt das.«
»Mein ich doch. Ist eh ein blödes Wort. So was gibt’s doch gar nicht.«
»Die Bella«, murmelte ich.
»Bist sehr verliebt in diese junge Frau, gell. Aber mit den Unterhosen sehe ich schwarz. Das ist so eine Schicke.«
Womöglich hatte sie recht.
»Not good«, sagte ich.
»Not good?«
»Es ist nicht gut, dass du die rausgehängt hast. Mensch, Oma, ich sagte doch, mach das nicht mehr und dass ich die Wäsche allein aufhänge, wenn ich komm.«
»In der Hinsicht bist du vergesslicher als der Johann. Die wäre wie die letzten drei Mal fast so lange in der Waschmaschine geblieben, bis sie dort verschimmelt wäre.«
»Gar nicht. Und die mit den rosa Herzchen wollte ich eh wegwerfen.«
»Die war ein Geschenk von Tilli, von Herzen.«
Tilli war Omas Cousine.
»Trotzdem.«
Oma kam zu mir und zupfte mir ein paar Fusseln von der Schulter. »Jetzt stell dich mal nicht so an, Bubi. Wenn eine von deinen geliebten Lederhosen draußen hängt, machst auch nicht so einen Terz.«
Ich strich mir über die Hose. In der Kanzlei waren schwarze Hosen, weißes Hemd, Sakko, manchmal auch Krawatte Vorschrift. Kurz vor Amtsan- und -austritt hatte ich mich jedes Mal umgezogen. So auch heute. Nicht selten hatte sich Haflinger über mein knittriges Outfit beschwert. Im Sommer bevorzugte ich privat kurze Lederhosen und beiges Hemd oder Shirt, im Winter lange und dazu eine fesche Strickjacke.
»Das ist was anderes. Meine Lederhosen sind cool. Und bitte nenn mich nicht Bubi, Oma. Vor allem nicht draußen. Auch nicht vor Otto. Wie oft noch?«
Auch meine Mutter hatte mich früher gerne so angesprochen.
»Dann nenn du mich nicht Oma. Das hab ich auch schon oft gesagt. Auch das hast vergessen. Ich fühl mich sonst immer so alt.«
»Des bist doch …«
Sie verengte die Augen und starrte mich an, was mich innehalten ließ.
»… Man ist immer so alt, wie man sich fühlt. Versteh schon«, erwiderte ich dann nach ein paar Sekunden.
»Eben. Und die Unterhosen bleiben, bis sie durchgetrocknet sind, an der Leine hängen. Verstanden? Sonst kümmerst dich das nächste Mal alleine drum.«
Die Waschmaschine und ich standen auf Kriegsfuß. Das letzte Mal, als ich selbst gewaschen hatte, hatte sie das Spucken angefangen wie ein Kamel. Und davor war sie sogar übergelaufen. Bei Oma war das noch nie passiert.
Oma sah mich an. »Warum sagst nix mehr?«
Mit Oma Lisbeth zu diskutieren, war wie Karussellfahren. Ich gab auf. »Okay. Sie bleiben hängen. Bin dir ja auch echt dankbar für alles, was du machst.«
Beim Aufstehen drückte ich ihr einen Schmatzer auf die faltige weiche Stirn. Sie lächelte wieder.
»Was wollte Bella denn?«, fragte ich sie dann. Ich hoffte, dass sie es sich noch mal überlegt hatte und mit mir einen Ausflug an den See machen wollte, um dort um Mitternacht splitterfasernackt zu schwimmen und … Ich schloss die Augen, um wieder in meine Tagträume zu versinken. Das war das beste TV-Programm ever. Ich sah ihren gebräunten, von mir zuvor eingecremten Körper auf dem imaginären Bildschirm ins Wasser waten. Das blonde Lockenhaar wehte ihr um die Schultern, ihre Haut schimmerte wie Perlmutt. Ich rannte ihr nach …
»Heißt die nun Ella oder Bella?«, unterbrach Oma meine Traumshow mit ihrer warmen Reibeisenstimme.
»Mensch. O… Lisbeth. Sie heißt Bella und Ella. Also eigentlich Ella. Für mich ist sie aber eine Bella. Wir sind nur Freunde, aber vielleicht wird ja mehr draus.«
»Mei, Schorschi. Hoffentlich verbrennst dich nicht bei ihr.«
»Gefällt sie dir nicht?«
»Den Kaugummi hätte sie schon rausnehmen sollen, als sie mit mir geredet hat. Zu meiner Zeit hätte es das nicht gegeben. Da hättest von den Eltern ein paar auf die Finger bekommen.«
»Und vom Pfarrer eine Predigt. Du, die Bella ist völlig in Ordnung. Fleißig ist sie auch. Sie arbeitet jeden Tag als Verkäuferin in einer Drogerie, und ansonsten liebt sie halt das Leben und kostet es gern aus. Also, halt normal. An den Feierabenden, Wochenenden. Sie hatte es früher auch nicht immer so leicht.«
»Hm. Das tut mir leid für sie.«
Ihre kleine Mietwohnung mitten in der Stadt war bescheiden. ›Hat man nichts vorzuweisen, ist man schnell gefressen auf dieser Welt. Nicht von jedem, aber viele sind so. Das ist traurig‹, hatte sie mal gesagt. Der Satz hatte sich tief in mir eingebrannt. Wenn sie lächelte, wurde mir so warm innen drin, und die Sonne ging auf. Egal, wie dunkel es draußen war.
»Und jetzt erzähl mal, Bubi. Wer hat dem Wurm, der in dir wühlt, die Tür geöffnet?«, fragte Oma.
»Oma! Sag bitte Schorsch oder Schorschi. Wie oft noch?«
Sie straffte die Schultern. »Das gebe ich gerne zurück! Wie oft noch?«
Ich pustete geräuschvoll Luft aus. Sie hatte ja recht, ich hatte sie wieder Oma genannt.
Sie drehte den Hahn am Waschbecken auf, bis das Wasser dampfte. Nur mit richtig heißem konnte man alle Bakterien töten, sagte sie immer. Sich aber auch schnell verbrühen. Aber da war Oma wie in vielerlei Hinsicht hart im Nehmen.
»Was macht deine Arbeit?«, wollte sie wissen, stellte den Teller zum Abtropfen auf die Ablage und schnappte sich den nächsten. Ich stand auf und half ihr beim Abtrocknen, was sie sichtlich wunderte.
»Das mit der Arbeit ist erst mal hinfällig«, stammelte ich.
»Was?« Sie drehte sich zu mir.
»Na gut. Wegen dem Wurm. Der Grund für meine miese Laune ist: Ich bin gegangen worden«, rückte ich mit der Sprache heraus. Früher oder später erfuhr sie es eh.
Lisbeth schaltete das Wasser ab. »Gegangen worden? Was ist das für ein Blödsinn? Was heißt denn das?«
Was wohl? »Na, gefeuert hat der Haflinger mich, einen Arschtritt verpasst, zum Himalaya geschickt, in die Wüste, zum Mond geschossen halt, rausgekickt. Dieser eingebildete Arsch.«
Sie machte große Augen. »Der hat dich rausgeworfen?«
Ich atmete tief durch und nickte. »Genau das.«
Oma schlug eine Hand vor den Mund. »Heiligs Blechla.«
»Da sagst was!«
Sie ließ die Hand langsam sinken. »Ja und jetzt? Red doch noch mal mit dem. Du brauchst doch die Arbeit. Oder soll ich?«
Ich stand auf. »Lieb von dir, aber nein. Außerdem bringen mich keine zehn Pferde dorthin zurück. Zu diesem Schnösel.«
Oma legte mir eine Hand auf die Wange und tätschelte sie. »Manchmal muss man über seinen Schatten springen, auch wenn man dabei kotzen muss.«
Ich hielt ihre Hand fest. »Ich spring über keinen Schatten, weiß was viel Besseres.«
Oma schaute skeptisch drein. »Und was?«
»Ich werde es diesen Bayreuther Detektiven aus dieser Kanzlei schon noch zeigen. Ich brauch die nicht.«
»Aber das Geld. Mensch, sei froh, dass du hier ohne Miete wohnen kannst und ich dir später das Haus vererbe. Trotzdem …«
Ich straffte die Schultern.
»Ich bin dir und Opa mehr als dankbar für alles, Oma. Aber wer weiß. Vielleicht hat das Schicksal es so gewollt. Denk positiv«, kam mir in den Sinn. Wollte mir endlich den Anstoß geben, den richtigen Weg einzuschlagen. Allein, ohne Haflinger und Co.
Oma pustete geräuschvoll Luft aus. »Was war denn der Grund, dass der dich vor die Tür gesetzt hat?«
Ich erzählte es ihr. Währenddessen ließ sie sich auf den Stuhl von vorhin sinken. »Da sind die leider nicht die Ersten, die das sagen. Bei deinen Praktikums damals war‘s ja auch so, Schorschi. Und deine Privatermittlerurkunde hast ja auch nur mit Ach und Krach gekriegt. Vielleicht solltest mal genauer drüber nachdenken.«
Ich stützte mich an der Tischkante ab. »Papperlapapp. Der eine Prüfer dort hat mir gesagt, dass er mich top findet. Weil ich über den Tellerrand schau und mich nicht so schnell von anderen Meinungen leiten lasse.«
Ich nahm ihre Hand, ging vor ihr in die Hocke und sah sie an. »Die Schule, die Fortbildungen, das ist doch langweiliges Gefasel. Die FBI-Serien zeigen dir, wie‘s wirklich geht. Die in Bayreuth sind feige Hasenfüße. Die haben auch nicht mein Fingerspitzengefühl und meinen Mumm.«
Euphorie erfüllte mich. Ich zog Lisbeth hoch und tanzte mit ihr durch die Küche.
»Huch, Bubi.«
»Schorschi, Oma.«
»Lisbeth, Schorschi.«
Wir lachten.
»Ich sag dir was, Lisbeth.« Ich blieb stehen und hob sie hoch.
»Meine Güte, manchmal vergesse ich echt, dass aus dir ein Mannsbild geworden ist«, meinte Oma. Sie schaute auf mich herab. Für mich wog sie gefühlt nicht mehr als eine Feder. Na ja, dünn war sie ja schon immer und mindestens zwei Köpfe kleiner als ich mit meinen eins vierundachtzig. »Ich bekomme Angst, wenn du so bist. Runterlassen. Sofort«, jammerte sie.
»Musst du nicht, Lisbeth. Ich werde mich selbstständig machen. Ein eigenes Detektivbüro. Jawohl!«
Lisbeth wich die Farbe aus dem Gesicht. »Und da meinst, wirst mehr Erfolg haben? Ist das nicht zu waghalsig?«
Ich setzte sie ab. »Traust du mir das nicht zu?«
»Doch. Mit dem nötigen Kleingeld …«
»Um groß zu werden, muss man klein anfangen. Du wirst staunen. Ihr alle.«
»Aber riskiere nicht zu viel. Du bist manchmal schon ein wenig holterdiepolter.«
»Keine Sorge, O… Lisbeth. Weswegen war Bella denn nun hier?«
»Ach so, ja.« Sie blinzelte und biss sich auf die Lippe. »Hab ich doch glatt vergessen. Tut mir leid.«
»Vergessen?« Das konnte jetzt nicht ihr Ernst sein.
Sie zuckte mit den Schultern.
»Du machst mir Sorgen. Du wirst doch nicht vergesslich wie der Johann langsam?« Das war nicht böse gemeint.
Sie tippte mir mit einem Finger gegen die Stirn. »Rotzlöffel. Ich bin da drin frisch wie das Gemüse im Garten. Sag mir lieber, wo dein zukünftiges Büro sein soll? Hier im Haus etwa?«
Eine Vision entstand in meinem Kopf, die mir sofort gefiel. Ich lächelte. »Ich bau die alte Garage neben dem Haus aus.«
»Im Winter wird’s dort aber ganz schön kalt.«
»Da fällt mir schon was ein.« Ich kam ins Schwärmen. Ein elektrisches Tor musste her. Die Wände wollte ich schwarz tünchen, Neonlichter an den Decken und Wänden, Regale für den Schreibkram, einen Schreibtisch natürlich und ein ultracooles Firmenschild. Eins, das nicht quietschte, wenn der Wind pfiff. Klein, aber fein sollte die Detektei werden und bald zum Geheimtipp für alle werden, die eine Schnüffelnase brauchten. Ich konnte nicht abwarten, meine Vorstellungen in die Tat umzusetzen, wollte aber erst mal mit Otto darüber reden.
»Hilfe. Verdammte Kacke«, schimpfte Otto und stob aus der Scheune, schwang sich über den Gartenzaun und rannte fast in mich hinein.
»Was ist denn?«, wollte ich wissen.
Er klammerte sich an mich und hielt einen Daumen hoch. Dabei drehte er den Kopf weg. »Ich verblute. Tu was.«
Im Blutsehen war ich kein Held, aber das wusste niemand außer Oma. Ich biss die Zähne zusammen und warf einen Blick auf den Finger. Wollte Otto mich veräppeln? »Hast du Halluzinationen? Da ist doch nix.«
»Entschuldige. Ist der andere Daumen.« Den er mir auch sogleich unter die Nase hielt. Ich entdeckte eine klitzekleine Schnittwunde an der Fingerkuppe. Otto konnte echt eine Diva sein.
»Entwarnung«, sagte ich ihm.
Er sah mich mit großen ängstlichen Augen an. »Echt? Aber es brennt wie Feuer.«
»Du wirst überleben. Da braucht es nur Desinfektion und ein kleines Pflaster. Glaub mir.«
»Nur ein kleines? Mist, ich hab kein Desinfektionsspray mehr und Pflaster auch nicht. Was, wenn es eine Blutvergiftung wird? Du weißt, da bin ich anfällig.«
Ich verdrehte die Augen. Es passierte nicht selten, dass Otto sich bei einer seiner Tüfteleien verletzte. Keine Ahnung, wie oft er seiner Meinung nach schon danach gestorben war. »Geh rein zu Oma. Ich meine, Lisbeth. Die wird dich versorgen. Danach kommst mal mit in die Garage.«
»In die Garage? Hast du dort etwa ein Ersatzteil für mein Cabrio?«
»Was Besseres.«
»Neben dem Oldtimer deines Opas? Glaub ich nicht.«
»Jetzt geh schon, bevor du doch verblutest.«
Otto riss die Augen auf. Manchmal war er echt ein riesen Kindskopf. »Ich beeil mich.«
Ich ging zur Garage hinüber, ein grauer rechteckiger Betonklotz mit Wellblechtor, das quälend quietschte, als ich es öffnete. Dahinter kam der alte Ford von Opa Hans zum Vorschein. Der Staub der Zeit hatte sich darauf niedergelassen und erinnerte mich, wie lange ich schon nicht mehr in der Garage gewesen war. Ich hatte Otto mal versprochen, dass er den Ford zu gegebener Zeit herrichten dürfte, aber Oma wollte, dass er so blieb, wie er war. Der Erinnerung wegen. Das verstand ich schon. Sie und Opa hatten darin gern Spritztouren unternommen. Meist an Sonntagen. Am liebsten hätte Otto den Oldtimer gekauft, aber dazu war er nicht flüssig genug, und Oma konnte sich nicht davon trennen. Bis vorhin. Bevor ich gegangen war, hatte sie mir noch gesagt, dass ich ihren und Opas Rudi doch haben und den Gewinn in den Ausbau der Kanzlei stecken könne. Das würde ich ihr nie vergessen.
Otto, beschloss ich, sollte ihn für den Verkauf herrichten. Dafür würde ich ihm einen Teil des Gewinns aus dem Verkauf geben. Die Auftragsarbeiten brachten ihm jeden Monat ein wenig Zusatzgeld zu seinem KFZ-Mechaniker-Job in der Stadt bei einem Autohändler ein, aber große Sprünge neben den monatlichen Standardausgaben waren bisher nicht drin. Dabei träumte auch er von Selbstständigkeit. Mit eigener KFZ-Tuning-Werkstatt.
Es dauerte nicht lange, und Otto kam wieder angetrabt. Sofort erzählte ich ihm von Rudi, meinem Plan und dem Rausschmiss. Am meisten interessierte ihn der Wagen.
Er ging in die Garage und tanzte um ihn herum.
Seine Augen glänzten wie letztes Weihnachten, als ich ihm einen pinken Werkzeuggürtel geschenkt hatte. Otto blieb bei mir stehen und umarmte mich so stürmisch wie ich Oma vorhin. Einen Schmatz hatte ich ihr aber nicht auf die Wange gedrückt, so wie er mir gerade. Igitt. Ich schob Otto von mir. »Passt scho, Otto. Aber lass das Knutschen. Wenn uns jemand sieht … Weißt doch. Die Leute dichten oft viel dazu.«
Unsere Nachbarn zum Beispiel, das Ehepaar Hacher. Die wohnten auf der anderen Straßenseite, saßen, wie heute, oft mit ihren Ferngläsern auf der Terrasse ihres Hauses und reckten die Hälse wie Gänse. Sie dachten wohl, wir sähen das nie, nur weil sie ein paar Farne in Pflanztöpfen am Rand der Terrasse aufgestellt hatten.
Fast schon armselig, dass sie uns offensichtlich als Abwechslungsprogramm in ihrem Alltag brauchten. Ich winkte ihnen, woraufhin sie die Köpfe einzogen. »Für die sind wir nun sicher ein Paar. Vielen Dank auch.«
Otto erwiderte dazu nichts, legte den Kopf leicht schief und flüsterte: »So schön. Und du wirst noch schöner, Baby. Allein deinen Hintern werde …«
Er hörte mir offensichtlich gar nicht zu und redete mit Rudi, dem er schmachtende Blicke zuwarf.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Und dass ich rausgeworfen wurde, interessiert nicht?«
Das war bedenklich für einen sogenannten besten Freund. Otto starrte mich an, pustete die Wangen auf, sodass sie noch ein wenig mehr Hamsterbacken ähnelten, und entließ die Luft mit einem Mal. »Was? Dein Ernst? Diese Arschgeigen haben dich einfach rausgeworfen?«
Ich seufzte. »So hörst du mir also zu. Habe ich vorhin schon gesagt.«
Otto spitzte die Lippen, hauchte Rudi seinen Atem aufs Dach und polierte die Stelle mit einem Baumwolltuch.
»Das ist schäbig«, murmelte er dann.
»So ist es. Because new way, new possibilities. Also neuer Weg, neue Möglichkeiten.«
Otto richtete sich auf. »Hättest jetzt nicht übersetzen brauchen, Schorschi. Ich hatte auch Englisch in der Schule.«
»Ich mein ja nur. Jedenfalls, so sieht ein erfolgreicher Geschäftsmann das«, erwiderte ich.
Wir schauten beide zur Garage. Otto stemmte die Hände in die Hüften. »Und die Garage wird deine neue Kanzlei. Nicht schlecht.«
»Sag ich doch.« Ich legte einen Arm um seine Schultern. »Du bekommst fünfzehn Prozent vom Verkaufspreis. Deal?«
Otto sah mich von der Seite an und drehte eine Strähne seines schulterlangen Haars, das er oft im Nacken zu einem Zopf gebunden trug, um einen Finger. Das tat er oft, wenn er nachdenklich war.
»Zwanzig.«
»Siebzehn.«
Otto atmete tief ein und durch die Nase wieder aus. Dabei schob er seinen Brustkorb und gleichzeitig seine kleine Bauchkugel heraus. Schließlich streckte er mir eine Hand hin. »Wenn ich das schriftlich bekomme, dann Deal.«
Dass er das sagte, enttäuschte mich. »Du traust mir nicht.«
»Deine Entscheidung, Schorschi.«
Langsam wurde er zu einem echten Geschäftsmann. Ich wollte keine Zeit verlieren und schlug ein. Danach schaute ich auf mein Handy, ob Bella schon auf meine WhatsApp, warum sie hier gewesen war, reagiert hatte. Die zwei Haken waren zwar blau, aber geantwortet hatte sie nicht. Na sauber. Schnell steckte ich das Handy weg und beschloss, mich lieber der ersten Umsetzung meiner Zukunftspläne bezüglich eigener Kanzlei zu widmen.