Wild Hearts – Unter dem Himmel von Montana - Cecilia Lilienthal - E-Book

Wild Hearts – Unter dem Himmel von Montana E-Book

Cecilia Lilienthal

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Beschreibung

Eine Liebe, die leise beginnt und laut für sich kämpft.
Adeline liebt die raue Schönheit Montanas – die weiten Prärien, den endlosen Himmel, das einfache Leben auf ihrer Ranch. Was einst Heimat war, fühlt sich allerdings zunehmend wie ein Gefängnis an, denn ihre Ehe mit John ist immer mehr von Kontrolle und Kälte geprägt.
Als der geheimnisvolle Wildpferde-Trainer Ethan auf der Ranch auftaucht, gerät Adelines Herz ins Wanken. Zwischen ungezähmten Mustangs und brennender Sehnsucht entsteht eine leise, aber kraftvolle Verbindung. Doch John ist kein Mann, der tatenlos zusieht, wenn ihm etwas entgleitet – und er ist bereit, alles zu tun, um die Zügel wieder in die Hand zu bekommen.
Gefangen zwischen Schuld und Freiheit muss Adeline den Mut finden, für sich selbst einzustehen. Auch wenn sie dabei alles zu verlieren droht …
“Wild Hearts – Unter dem Himmel von Montana” von Cecilia Lilienthal ist eine Second-Chance-at-Love, Slow-Burn Liebesgeschichte unter dem endlosen Himmel Montanas. Dies ist die überarbeitete Neuauflage von “Mein Herz in Montana” (2022 erschienen) von Lilian Dean.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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WILD HEARTS

UNTER DEM HIMMEL VON MONTANA

CECILIA LILIENTHAL

Verlag:

Zeilenfluss

Werinherstr. 3

81541 München

Deutschland

_____________________________

Texte: Cecilia Lilienthal

Cover: MT-Design

Korrektorat: Dr. Andreas Fischer

Satz: Zeilenfluss Verlag

_____________________________

Alle Rechte vorbehalten.

Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. _____________________________

ISBN: 978-3-96714-587-8

I will survive and be the one who’s stronger,

I will not beg you to stay,

I will move on and you should know,

I mean it Wild horses run in me.

 – Birdy –

1

ETHAN

John und ich lebten auf einer kleinen Farm in Montana, irgendwo zwischen den Pryor und Beartooth Mountains. Das Land schien endlos, als würde es nie aufhören, sich auszudehnen. Ich liebte diese Weite, den Himmel, der sich wie ein unendliches Meer über uns legte, den Duft von Gras und Staub, der in jeder Brise lag.

Montana war nicht nur meine Heimat, es war ein Teil von mir. Ich hatte nie woanders gelebt, aber ich wusste, dass kein Ort jemals so vollkommen sein könnte wie dieser.

Wenn der Wind über die Ebenen fegte, hörte es sich manchmal an, als würde er singen. Ein Lied, das nur für mich bestimmt war.

Aber in letzter Zeit klang es anders.

Die Tage fühlten sich schwerer an, grauer, und ich wusste, dass es nichts mit dem Wetter zu tun hatte.

Ich atmete leise tief durch. Das Sonnenlicht, das durch das Fenster unseres Schlafzimmers fiel, wärmte meine nackte Haut. Eine zarte Berührung, die mir guttat. Für einen Moment schloss ich die Augen. Wie lange war es her, dass mein Mann John mich sanft berührt hatte, zärtlich zu mir gewesen war?

Als wir uns vor etwa vier Jahren kennengelernt hatten, waren wir uns mit großem Respekt begegnet, und auch nach unserer Hochzeit hatte sich daran nichts geändert. Doch seit ein paar Monaten schwand die Liebe zu ihm wie das Licht des Tages am Abend. Wir befanden uns im Zwielicht, und John schien es nicht einmal zu bemerken. Er wurde mir zunehmend fremder.

Ich zog die Bettdecke bis zum Kinn, wollte das Gefühl der Einsamkeit, die ich zunehmend empfand, wenn ich mit ihm zusammen war, abschütteln, nicht wahrhaben. Es holte mich immer wieder ein, wie ein Bumerang.

Nach wie vor konnte ich John zwischen meinen Schenkeln spüren, obwohl er schon von mir abgelassen hatte. Wild im Bett war er seit jeher gewesen, jedoch auf eine sanfte Art. Inzwischen achtete er nur noch auf seine Bedürfnisse und schien mich dabei völlig zu vergessen. Ich blinzelte aufsteigende Tränen fort und suchte krampfhaft nach den Sonnenstrahlen hinter den Gewitterwolken unserer Ehe, die immer dunkler und dichter wurden. Wo war der Mann, der mich einst so fasziniert hatte? Manchmal, wenn ich den Horizont betrachtete, kam es mir vor, als wäre er dahinter verschwunden.

Langsam setzte ich mich im Bett auf und stierte ins Leere, meine Gedanken verschwammen. John schlug die Augen auf und die Decke zurück. Wortlos stand er auf und trat ans Fenster. Dabei kratzte er sich seinen leicht behaarten Hintern, spähte hinaus auf den Hof. Mit einem Knurren zog er sich dabei sein eierschalenfarbenes Hemd und die staubigen Jeans vom Vortag über, schlüpfte in seine klobigen Schuhe und öffnete das Fenster, das in den Angeln quietschte.

»Seid ihr Weicheier oder Männer? Das muss schneller gehen, sonst mach ich euch Beine. Wofür bezahle ich euch eigentlich?«, brüllte er.

Ich schrak zusammen, als er das Fenster mit einem Knall schloss und mit polternden Schritten durch das Zimmer lief.

»Muss das sein?«, fragte ich ihn.

Er gab keine Antwort. An der Tür drehte er sich noch einmal zu mir um. »Ich bin für eine Weile in Billings, habe dort Termine. Du weißt schon, wegen der Vermittlung der Mustangs. Ich will die Geschäftsidee schneller vorantreiben. Also geh du zu den Männern raus und sag ihnen, dass sie das Heu für die Pferde einholen sollen. Nein. Sag es besser nur diesem Pferdeflüsterer, Ethan Wellington. Bin gespannt, wie der sich macht. Vor allem, ob was an seiner angeblichen Fähigkeit, auch schwierige Wildpferde zügig zu zähmen, dran ist. Wehe ihm, wenn nicht. Dann fliegt er schneller von der Farm, als er die Klappe aufmachen kann.«

Ich war ehrlich gesagt froh, als John weg war und ich ein paar Stunden meine Ruhe hatte. Sicher würde er in dem fünfundzwanzig Meilen entfernten Billings auch wieder in eine der Kneipen einkehren. Früher hatte er kaum Alkohol angerührt, nun trank er ihn immer öfter. Meine Finger glitten über meine Oberarme, über die Stellen, an denen Johns Fingerkuppen sich vorhin im Bett tief in meine Haut gegraben hatten. Die Abdrücke waren verschwunden, aber das Gefühl blieb. Ich holte tief Luft, ließ sie in meiner Lunge brennen, als könnte ich all das damit einsperren – die Erinnerung, die Empfindungen, den bitteren Nachgeschmack. Doch als ich sie langsam wieder ausstieß, blieb alles genau dort, wo es war. Seine Geräusche hallten noch in meinem Kopf nach. Rau. Hastig.

Nicht wie das Stöhnen eines Liebenden. Sondern wie das Knurren eines Tieres, das sich nahm, was es wollte.

Um die stickige Luft in unserem Schlafzimmer zu vertreiben, öffnete ich das Fenster wieder, schnappte mir ein ärmelloses beiges Sommerleinenkleid und machte mich damit auf den Weg ins Bad. Ich blieb vor dem Spiegel stehen, band mir die langen, roten Naturlocken zu einem Zopf, steckte ihn hoch und stieg unter die Dusche. Das Wasser wusch Johns ruppige Berührungen von meiner Haut. Zumindest redete ich mir das ein.

Ich beeilte mich, um den Männern Johns Auftrag mitzuteilen. Bereits zwei Minuten nach der Dusche hatte ich wieder einen Schweißfilm auf der Haut. Die Klimaanlage war mal wieder defekt. John wollte sich selbst darum kümmern. Der Sommer in Montana war dieses Jahr besonders heiß, seit Tagen hatte es nicht geregnet. Es kam mir vor, als würden die Farben der Umgebung zunehmend ihren Glanz verlieren, und die Luft schien mit jedem Tag dünner zu werden.

Mein Blick fiel, begleitet von einem Seufzen, auf den letzten Schwangerschaftstest, der negativ ausgefallen war. Ich hatte ganz vergessen, dass er noch hier lag. Hastig griff ich danach und feuerte ihn in den kleinen Mülleimer, der unter dem Waschbecken stand. Dann befühlte ich meinen nackten flachen Bauch mit den Händen. Ich hatte John kürzlich gefragt, ob er sauer war, weil es mit dem Schwangerwerden noch nicht geklappt hatte, aber er wollte nicht darüber reden. Vielleicht war er deswegen so, gab mir insgeheim die Schuld dafür.

John war altmodisch erzogen worden. Er wollte mit einem Sohn vor allem die Nachfolge der Farm sichern, so wie es seine Eltern getan hatten. Außerdem wurden wir nicht jünger. Ich war bereits fünfundzwanzig, John fast vierzig. Mit keiner der Frauen, mit denen er vor mir zusammen gewesen war, hatte es je lange gehalten. Warum, wusste ich nicht. John sprach nie darüber.

Die Ärzte hatten bestätigt, dass mit uns beiden alles in Ordnung war. Dass es keinen Grund gab, warum es nicht klappen sollte. Ich kippte das Fenster. Draußen hörte ich einen der Männer reden, verstand jedoch nicht, was er sagte.

Vor etwas mehr als zwei Wochen waren sie auf der Ranch eingetroffen, um uns zu entlasten. Lange hatte John sich gewehrt, sich Hilfe auf die Farm zu holen. Seine großen Ziele im Leben waren Macht und Erfolg. Er war davon überzeugt, bald groß in den weltweiten Handel mit Wildpferden, sogenannten Mustangs, einsteigen zu können. Er selbst hatte schon ein paar dieser Pferde trainiert, war aber meiner Meinung nach viel zu streng mit ihnen. Er trieb sie durch den Longierring, bis sie müde wurden, und machte ihnen mit der Peitsche Angst. ›Sie müssen von Anfang an lernen, wer ihr Herr ist‹, hatte er mich angeschrien, als ich mich eingemischt hatte. Schlagen aber würde er kein Tier, davon war ich überzeugt.

Als er sich vor rund zwei Monaten den Rücken bei einem Training verrissen hatte und seitdem immer wieder über Schmerzen klagte, wurde er, was zusätzliche Hilfe auf der Farm anging, zum Umdenken gezwungen. In der Klinik hatte man Verschleißerscheinungen festgestellt, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu schonen.

Also hatte er drei Arbeiter eingestellt, die seinen Stundenlohn akzeptierten. Allen voran Ethan Wellington. Er war ein ruhiger Mann mit einer geheimnisvollen Aura und Johns große Hoffnung, auch wenn ein dunkler Schatten Ethans Vergangenheit durchzog. John hatte wie nebenbei erwähnt, dass er früher jemanden niedergeschlagen hatte und dafür angezeigt worden war. ›Hauptsache, er ist gut und billig‹, hatte John gesagt. Die anderen zwei waren gute Reiter und fleißig. John allerdings war nicht so leicht zufriedenzustellen.

Ich zog mir das Kleid über, ging ins Schlafzimmer zurück und rubbelte mein Haar mit einem Handtuch trocken. Dabei warf ich einen Blick aus dem Fenster. Ethan schleppte einen Kübel voll Wasser über den Hof. Aufgeregt flatterten ein paar Hühner durcheinander, deren Weg er kreuzte. Als hätte er bemerkt, dass ich ihn beobachtete, wandte er sich um und schaute herauf. Ich stockte. Er nickte mir zu. Ein Lächeln überzog seine vollen Lippen. Er sah verdammt gut aus in der engen Jeans und dem offenen Hemd. Ich nickte zurück, und er ging weiter. Ethan Wellington war ganz sicher ein Mann, der vielen Frauen den Kopf verdrehte. Ich biss mir auf die Unterlippe. Ein bisschen zu fest, als mir Johns Anweisung wieder in den Sinn kam. Schnell schloss ich das Fenster und lief hinunter, um Ethan den Auftrag mitzuteilen.

Die Stufen der Treppe, die ins Erdgeschoss führte, knarzten bei nahezu jedem Tritt. Ich trug es ihnen nicht nach. Das Haus war immerhin knapp einhundert Jahre alt. Johns Urgroßvater väterlicherseits hatte es gebaut. Es ächzte an vielen Stellen, und es gab ständig etwas auszubessern. Seit dem Tod von Johns Eltern wirkte es einsam, als wäre seine Seele mit ihnen gezogen. Vor eineinhalb Jahren waren sie kurz nacheinander an Krebs gestorben. Die harte Arbeit auf der Farm hatte ihnen nach und nach die Kraft aus den Knochen gezogen. Auch sie hatten, wie John, Hilfskräfte abgelehnt. Beide waren zu geizig gewesen, hatten lieber alles gespart und es ihrem einzigen Sohn vermacht, der auf der Farm mitgeholfen hatte, seit er klein war.

Der Wind wirbelte Staub auf, als ich nach draußen auf die Terrasse trat, und wehte den Geruch des Rapsfeldes herbei, das an die Farm angrenzte. Direkt daneben befanden sich der Longierring für die Pferde und eine Koppel. Ich ließ unser Farmhaus mit den braunen, alten Fensterläden hinter mir und lief auf die gegenüberliegende Scheune zu, in der unter anderem die landwirtschaftlichen Geräte aufbewahrt wurden. Gleich daneben befand sich ein Stall mit ein paar Schweinen und Kühen.

Mit den neuen Arbeitern hatte ich noch nicht viel zu tun gehabt. Ethan Wellingtons Kollegen hießen Malcolm Harrison und Will Banks. Ethan war, wie ich von John erfahren hatte, mit sechsundzwanzig Jahren der Jüngste unter ihnen. Die anderen beiden waren nicht wesentlich älter. Malcolm, der aus Richtung der Koppel kam, grüßte mich im Vorbeigehen. Ich grüßte zurück. Doch wo war Ethan hin?

Die fünf Pferde auf der Koppel wieherten. John hatte die Mustangs aus einer Auffangstation geholt und alle auf seine Art trainiert. Das letzte Pferd, das er hatte zähmen wollen, war eine wunderschöne Stute, die ich Cassy taufte. Ich hatte mich sofort in ihre sanften Augen verliebt. Mir blutete das Herz, weil John sie seit dem letzten Training vor ein paar Tagen im Stall ausharren ließ. Sie war seiner Meinung nach bockig gewesen, hatte mehrfach ausgeschlagen. Ihr Wiehern waberte zu mir. Aber Moment … Ich drehte mich um und entdeckte sie auf der Koppel. Hatte John doch auf mich gehört und sie wieder rausgelassen?

Sie graste zwischen den anderen Pferden und wirkte friedlich und glücklich. Mir wurde kurz wärmer ums Herz, bis ich erneut an Johns Worte denken musste. Er nannte Cassy bissig und unbelehrbar. Nicht nur das. Er gab ihr die Schuld daran, dass er sich beim Training mit ihr den Rücken gezerrt hatte. Auch sie hatte er aus der Auffangstation in der Nähe von Billings geholt, wo es kaum tierärztliche Versorgung und Schmiedebesuche gab.

Die Vermittlung der gezähmten Pferde an interessierte Käufer lief über eine Stelle, die sich Sky Country Mustangs Org. nannte. Ihr Hauptsitz war in Billings. Ich fand die Idee gut, zumal die Tiere eine Chance auf ein neues und hoffentlich besseres Zuhause bekamen. Viele waren ausgemergelt und schwach, wenn sie eingefangen und zur Station gebracht wurden.

Zu gerne hätte ich mich intensiver um unsere Pferde gekümmert, doch seit einem Reitunfall als Kind hatte ich Angst vor diesen Tieren und mich seitdem nie wieder auf den Rücken eines Pferdes gewagt. Auch bei der Versorgung konnte ich daher nur bedingt mithelfen. John fand das allmählich lächerlich. Zumindest hatte er das letzte Woche gesagt.

Cassy kam an den Koppelzaun und stierte zu mir herüber, als wollte sie mir etwas mitteilen. Ihre Augen sahen traurig aus. Vielleicht wie meine. Cassy war so hübsch wie wild. Eine stolze Stute mit edler Braunfärbung und von gutem Wuchs. Auf der Brust trug sie einen weißen Fleck. Ich war überzeugt, Johns Mom würde sich im Grab umdrehen, könnte sie sehen, wie ihr Sohn mit den Pferden umging. Sie hatte jedes Tier stets mit Respekt behandelt. So auch Johns Vater.

»Es tut mir leid, Cassy. Ich hoffe, er wird dich zukünftig besser behandeln«, sagte ich, und mir kam es vor, als würde der Wind ihr meine Worte zuflüstern. Erneut wieherte sie, als hätte sie verstanden.

Als Malcolm ein weiteres Mal meinen Weg kreuzte, grüßte er mich mit einem freundlichen »Guten Tag, Mrs London.«

Er blieb bei mir stehen.

»Guten Tag, Malcolm.« John hatte gesagt, dass ich die Männer mit Vornamen anreden sollte, so wie er es auch tat.

»Haben Sie eine neue Aufgabe für mich?«, fragte er, während er mich offen mit seinen braunen Augen ansah. Sein ebenso braunes Haar, das mit Staub benetzt war, hatte er im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden. Das blaue Hemd trug er wie Ethan offen, was einen Blick auf seine Bauchmuskeln freigab.

Für einen kurzen Moment wurde ich verlegen, also antwortete ich rasch: »Für dich nicht, aber für Ethan.«

»Der mistet den Schweinestall aus«, teilte Malcolm mir mit.

»Okay, danke.«

Er erwiderte mein Lächeln und eilte weiter.

Auf meinem Weg zum Stall, aus dem das Quieken unserer Schweine drang, die vor Kurzem Zuwachs bekommen hatten, begegnete ich Will, der eine ähnliche muskulöse Statur besaß wie Malcolm und Ethan, wenngleich er ein wenig beleibter war. Ich grüßte ihn, und er nickte mir zu, das Gesicht starr. In Händen trug er ein Bündel frisch gehacktes Geäst, das er in die Scheune brachte. Die Tür zum Schweinestall stand halb offen. Der beißende Geruch, der mir drin entgegenschwebte, machte mir nichts aus. Kurz dachte ich zurück an damals. Anfangs war mir die Farmarbeit alles andere als leicht gefallen, doch die Liebe zu John und die Tiere hatten mir viel gegeben und mich schnell eingewöhnen lassen.

»Ethan?«, rief ich, als ich ihn nirgends entdecken konnte.

»Mrs London? Ich bin hier«, hörte ich seine Stimme. Sie besaß einen angenehmen Klang – nicht zu tief, aber auch nicht zu weich. Zwei Sekunden später tauchte er hinter den Schweinekoben auf.

Bildete ich es mir ein oder war er ein wenig verlegen? Eilig klopfte er sich Dreck und Staub von der Hose und legte die Mistgabel zur Seite. Ein paar Strähnen seines kurzen, schwarzen, leicht lockigen Haars hingen ihm in die Stirn. Die Schweine quiekten lauter, als sie mich sahen, so als wollten sie mich begrüßen.

Ethan lachte. »Die sind ganz aufgeregt über Ihren Besuch, glaube ich.«

Ich stimmte in sein Lachen ein und schaute nach den Ferkeln, die abgetrennt von den anderen bei ihrer Mutter lagen und an deren Zitzen saugten. Ein zauberhafter Anblick.

»Es ist ein Wunder. Nicht wahr?«, erwiderte ich, obwohl John mir verboten hatte, zu viel nebensächliche Worte mit den Arbeitern zu wechseln. Aber er war ja nicht hier.

Ethan kam näher. Er schwitzte, roch aber dennoch angenehm – nach Sonnenschein und Tannen. Mir wurde noch wärmer, und mein Herz schlug schneller. Das war doch lächerlich.

»Was kann ich für Sie tun?«, fragte er.

Ich dachte nach, die Gedanken schwirrten wie hypnotisiert durcheinander. Seine strahlenden azurblauen Augen unter den sichelmondförmigen dichten Brauen hielten meine Blicke gefangen.

»Was war das gleich?«, murmelte ich.

Er strich sich mit einer Hand durchs Haar. Sein kantiges Gesicht besaß weiche Züge, und Schweißperlen saßen auf seiner Stirn.

»Es ist verdammt heiß hier drin«, sagte er.

»Ja ist es«, erwiderte ich, fast flüsternd, als dürfte mich niemand außer Ethan hören. Das war ebenso lächerlich. Ich riss mich von seinen Augen los und atmete tief durch. Dann fiel es mir wieder ein: »John, also mein Mann, sagte, du sollst noch heute das Heu für die Pferde einfahren.«

Ethan nahm die Mistgabel wieder zur Hand. »Natürlich, wird gemacht. Ich soll heute auch das Holz fertig schichten, aber das kann ich später machen. Außerdem will ich noch einmal nach der neuen Mustang-Lady schauen.«

»Nach Cassy?«

Er nickte.

»Ich habe Ihren Mann überreden können, sie wieder rauszulassen. Sie war tieftraurig.«

Dann hatte John also doch nicht auf mich gehört. Ich wischte den Gedanken beiseite. Hauptsache, Cassy war wieder glücklich.

»Finde ich sehr gut, dass du das auch so gesehen hast.«

»Es ist sehr wichtig für Cassy, bei den anderen zu sein. Sonst wird sie nur noch sturer. Was nicht daran liegt, dass sie böse ist«, sagte Ethan.

»Sehe ich auch so.«

Sein Lächeln erreichte seine Augen und zauberte ein Glänzen hinein. Ich senkte den Blick. »Ähm, ja. Also … Wenn es zu viel Arbeit auf einmal für dich ist, dann kann ich auch Malcolm oder Will beauftragen, einen Teil deiner Aufgaben zu übernehmen. Okay?«

»Das schaffe ich schon. Ihr Wunsch und der Ihres Mannes ist mir Befehl, Mrs London. Aber ich finde es äußerst großzügig, dass Sie den Vorschlag gemacht haben. Danke.« Er sprach wie ein Gentleman.

»Nichts zu danken, Ethan.«

Ich drehte mich um und ging.

»Warten Sie kurz! Bitte«, bat Ethan mich.

Mein Herz machte einen Satz. Ich blieb auf der Schwelle stehen.

Irgendwie hatte ich gehofft, dass er mich aufhalten würde. Ich warf einen Blick über die Schulter.

Ethan kam auf mich zu und hob eine Hand. »Da ist etwas.« Er schmunzelte. »Ein kleiner Irrläufer in Ihrem Haar. Darf ich?«

»Ja«, hörte ich mich flüstern.

Unsere Blicke begegneten sich wieder und lösten ein kleines Sommergewitter in mir aus.

Für einen Wimpernschlag wurde mir schummrig. Es musste an dem schwülen Wetter liegen. Sicher würde es bald Regen geben, sagte ich mir, und versuchte, die anderen seltsam schönen, aber zugleich beängstigenden Gedanken zum Schweigen zu bringen.

Ethans Finger berührten flüchtig mein Haar – ein Moment, der mir eine Gänsehaut auf die Arme zauberte. Erschrocken wich ich zurück, als hätte ich mich verbrannt, und schaute zur Seite.

»Keine Angst. Er ist ungefährlich.« Ethan lachte und zeigte mir seine Fingerkuppe, auf der ein kleiner Käfer saß, der grünlich schimmerte.

Ich lachte mit ihm, irgendwie erleichtert und …

»Danke«, murmelte ich.

»Ich schenke ihm die Freiheit.«

John hätte ihn vermutlich zertreten. Das tat er gerne mit Spinnen und Insekten, wenn sie ihm zu nahe kamen.

»Freiheit ist das größte Gut, das man haben kann«, erwiderte ich. Erneut trafen sich unsere Blicke, und ich hatte das Gefühl, in einen tiefen See zu tauchen, in dem es vieles zu entdecken gab.

»Das stimmt allerdings«, bekundete er, und ich hörte Wehmut und Nachdenklichkeit zwischen seinen Worten. Als ich zurück ins Haus ging, begleiteten mich seine Blicke. Sie waren aufregend schön, machten mir aber auch Angst.

* * *

»Ich glaube, heute Nacht kommt endlich mal ein Gewitter. Wird auch Zeit«, sagte John und lutschte das restliche Fleisch von seinem Hühnerknochen. Wir aßen auf der Terrasse.

Ich ertappte mich dabei, dass ich noch immer an Ethans letzte Worte und seine Augen dachte.

»Hast du gut gemacht, Adi.« Wenn es ihm schmeckte, war er meist guter Laune.

»Danke«, erwiderte ich, stand auf und ging ins Haus, um kurz allein zu sein. Ich trank ein Glas kalte Milch, um die innere Hitze zu löschen, die Ethan in mir ausgelöst hatte. Einerseits schämte ich mich ein wenig dafür, andererseits genoss ich die sehnsüchtigen Gedanken. Mit einem leisen Seufzen stellte ich das Glas in die Spüle, atmete ein paarmal tief durch und ging dann zurück nach draußen. Es war etwas frischer geworden. Die Sonne war bereits am Horizont verschwunden, und von Westen her zogen dichte Wolkenbänke auf. Ich rieb mir die Oberarme.

»Willst du nichts mehr essen?«, fragte John und öffnete sich ein Bier. Als er zurückgekommen war und mir einen Kuss zur Begrüßung aufgedrückt hatte, hatte er nach Schnaps gerochen.

Ich verneinte. Das Gemüse hatte mir gereicht.

»Warum isst du nicht auch von dem Hühnchen? Du wirst immer dünner. Bald ist gar nichts mehr an dir dran. Willst du mit den Models aus den Magazinen und dem TV mithalten, hm? Diese Selleriestangen.« Sein Tonfall besaß diese Schärfe, die ich nicht mochte und die immer dann ihren Weg in seine Stimme fand, wenn er Alkohol im Blut hatte. Seine Augen sahen glasig aus und waren rot unterlaufen.

»Irrsinn. Ich mag kein Fleisch. Das weißt du doch«, erwiderte ich und nahm seinen leeren Teller.

Plötzlich schoss er hoch und beugte sich in meine Richtung. Ich zuckte. John fixierte mich mit seinem Blick. »So ist das also.«

Ich schluckte trocken. »So ist das.«

Er ließ sich zurück auf den Stuhl plumpsen, der fast seitlich weggerutscht wäre. John lachte. »Setz dich auf meinen Schoß, Adi.«

Ich legte meinen Teller auf seinen. »Jetzt nicht, John.«

Seine Miene verfinsterte sich zunehmend. So wie der Himmel.

»Komm schon her!« Er war nun drauf und dran, erneut aus seinem Stuhl hochzufahren, und ich hielt in meiner Bewegung inne.

»Ich bin nicht einer deiner Arbeiter, die du herumkommandieren kannst, John.«

Er wurde ernst und stampfte mit einem Fuß auf den Boden. »Aber du bist meine Frau. Und ich will dich jetzt hier bei mir haben.«

»Nur weil ich deine Frau bin, muss ich nicht gehorchen wie ein Hund. Was ist nur los mit dir? Du wirst immer unzufriedener.«

Er schüttelte den Kopf und trank den Rest seines Bieres auf ex.

Seufzend brachte ich das Geschirr in die Küche und stellte es in die Spüle. Hinter mir hörte ich Schritte. Im nächsten Augenblick umarmte mich John und küsste meinen Nacken, saugte sich daran fest. Seine Arme schnürten sich regelrecht um mich. Der Geruch des Alkohols und seine Art ekelten mich an.

»Ich will dich. Vielleicht klappt es dieses Mal auch mit Nachwuchs«, hauchte er mir in ein Ohr.

»John! Bitte. Und lass mich los.« Ich wand mich, was John zum Lachen brachte. Was war daran witzig? Ich ließ Wasser für den Abwasch in die Spüle laufen und wiederholte energischer: »Lass mich los!«

Endlich ließ er ab. Mein Brustkorb schmerzte, und ich atmete tief durch. »Du hast mir wehgetan. Glaubst du, das erregt mich? Dann liegst du falsch.«

Er schnaubte leise. »Quatsch. Entschuldige. Manchmal merke ich gar nicht, wenn ich zu fest zupacke. Außerdem machst du mich eben verrückt.« Er drehte mich zu sich um. Wir sahen uns an. »Du bist so jung, so schön, Adi.«

Trotz seiner Entschuldigung blieb ein fader Nachgeschmack. Schnell schob er mich Richtung Küchentisch, drängte mich auf einen Stuhl, schnappte sich ein Stück Hähnchen, das übriggeblieben war, und hielt es mir vor den Mund.

»Nur zunehmen musst du wirklich wieder. Ich will was Weiches in Händen halten, keine Knochen, die nur mit Haut überzogen sind.« Die Züge seines schmalen Gesichts wirkten wieder härter, als wären sie mit einer Säge herausgearbeitet worden. »Komm. Ein Bissen wenigstens.« Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel.

»Du bist offenbar betrunken«, zischte ich.

Ich drehte den Kopf zur Seite, doch John gab nicht auf. Seine Finger zitterten.

»Nur einmal reinbeißen. Das ist lecker. Glaub mir. Los, Adi! Ich meine es nur gut mit dir.« Er rieb das Hähnchen an meinen Lippen.

Wut und Verzweiflung kochten in mir hoch. Also gut. Ein Bissen. Das konnte er haben. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass ich auch seine Finger mitnehmen würde. Ich biss nicht richtig zu, aber fest genug, damit er es spürte, und saugte das Hähnchenfleisch dabei ein. John taumelte rückwärts und fing sich an der Standuhr an der gegenüberliegenden Wand ab, die ein Erbstück seines Großvaters war und kurz ins Wanken geriet. Ich wirbelte herum, ein unangenehmes Kribbeln in Armen und Beinen, das mir sagte, ich war zu weit gegangen.

»Du hast mich gebissen, Adi!« Johns Augen weiteten sich. »Deine Frechheiten muss ich mir nicht länger bieten lassen!«

»Ich wollte das nicht. Aber du hast mich dermaßen provoziert. Was ist nur los? Wenn es so weitergeht –«, stieß ich hervor.

»Sei still«, unterbrach er mich und rannte hinaus, als wäre der Teufel hinter ihm her.

Ich ging ans Fenster und schaute nach draußen. Blitze zuckten am Himmel, der Wind wurde intensiver. Tränen stiegen mir in die Augen. Wenn das zwischen John und mir so weiterging, würden wir uns endgültig verlieren. Nur, was sollte ich tun, wenn er so ein Sturkopf war und nicht richtig mit sich reden ließ?

John eilte zu dem gehackten Holzstapel hinüber und trat mit voller Wucht dagegen, dass er auseinanderfiel. Danach trommelte er die Männer zusammen. Will, Ethan und zuletzt Malcom kamen aus dem Nebenhaus, in dem sie in kleinen getrennten, spartanisch eingerichteten Zimmern schliefen. Manchmal übernachtete Ethan auch im Stall bei den Pferden, wo er sich einen Schlafplatz in einer leeren Box eingerichtet hatte. Früher hatte sie einer jungen Stute gehört, die leider letzten Herbst an Koliken gestorben war. John musste sie einschläfern lassen. Das hatte mir fast das Herz gebrochen. Nie würde ich den traurigen Blick des Pferdes vergessen.

Ich hatte vorhin beobachtet, dass Ethan, nachdem er das Heu eingefahren hatte, das Holz eilig geschichtet hatte. Nun war all die Arbeit umsonst gewesen. Das musste ihn genauso ärgern wie mich gerade.

John nickte Richtung Holzscheite und tippte sich mehrfach an die Stirn. Dann stieß er Ethan heftig zurück. Er taumelte und stürzte beinahe. Mit Zornesröte im Gesicht zeigte John auf die umherliegenden Holzscheite und brüllte herum, dass ich seine Stimme bis zum Haus hören konnte. Ethan schichtete den Stapel neu. Unterdessen deutete John auf Malcom und Will und trieb sie an, woraufhin sie Ethan halfen.

Erste Regentropfen plätscherten gegen das Fenster, als John zurückkam und sich im Wohnzimmer schnaubend in seinen Sessel sinken ließ. Vor sich hinbrabbelnd zündete er sich eine Zigarette an. Ich blieb in der Tür stehen.

»Der Stapel war perfekt aufgerichtet, John«, sagte ich.

»Dann mach das nächste Mal besser die Augen auf, Adi!« Er pustete Rauch aus.

Ich atmete tief durch. »Das habe ich.« Mir entfuhr ein genervtes Stöhnen. »Gute Nacht.«

»Warte. Du gehst schon ins Bett?«

»Ich bin müde.«

»Weil du wieder einmal zu wenig gegessen hast.«

»Nein, von dir. Du warst ungerecht. Die Männer haben gute Arbeit geleistet. Sie sind fleißig.«

Seine Wangenmuskeln zuckten, und er blies Rauch durch die Nase aus. »Ich entscheide, was gute Arbeit ist und was nicht.«

Es war sinnlos. Manchmal benahm er sich wie ein trotziger Rotzlöffel. Ich schüttelte den Kopf und verließ das Zimmer, um noch einmal an die frische Luft zu gehen. Von der Veranda aus beobachtete ich, wie Will Ethan energisch zur Seite drängte, als dieser weitere Holzscheite auf den neuen Stapel legte. Ethan ließ sich nicht beirren und beachtete Will nicht. Ich hätte es auch so gemacht. Will schien nur provozieren zu wollen. Unwillkürlich musste ich wieder an Ethans warmes Lächeln denken und das Strahlen in seinen blauen Augen. Da wurde mir klar, dass ich mir wünschte, es bald wiedersehen zu dürfen.

2

VERSTOHLENE BLICKE

»Sind sie das? Eure neuen Arbeiter?«, fragte Missy Stone und lehnte sich gegen das Gatter der Pferdekoppel. Missy war eine gute Bekannte von uns. Ihr Mann Heathcliff, ein benachbarter Farmer, und sie hatten zwei kleine Töchter und bewirtschafteten einige Hektar Land. In ein paar Monaten erwartete Missy ihr drittes Kind, das, dem sehnlichsten Wunsch Heathcliffs nach, ein Junge werden sollte. Mit einem stolzen Lächeln strich sich Missy über ihren gewölbten Bauch und schürzte die Lippen. Ein paar Strähnen stahlen sich aus ihrem zu einem Zopf gebundenen blonden Haar. Sie neigte den Kopf zur Seite und beobachtete Ethan dabei, wie er den Zaun an einer Stelle reparierte. Will und Malcolm werkelten derweilen an Johns Pick-up, der einen Platten hatte.

»Der dort am Zaun gefällt mir. Sexy. Wie heißt er?«, fragte Missy und verengte die Augen, während sie das Kinn anhob.

»Missy?«, entfuhr es mir überrascht.

Sie lachte und sah mich an. »Was denn? Schauen und schwärmen darf Frau. Unsere Männer hören es ja nicht, oder? Sag nicht, dass du das nicht machst. Glaub mir, Männer gucken auch, wenn sich ihnen eine attraktive Gelegenheit bietet.«

Sie stupste mich an. Besser, ich sagte gar nichts dazu.

Missy Stone war eine Plaudertasche. Ich kannte sie so lange wie John, wusste jedoch immer noch nicht so recht, ob ich ihr trauen konnte. Sie knöpfte ihre weiße Bluse bis zum oberen Rand ihres weißen BHs auf und nickte Ethan zu, der kurz zu uns herüberblickte. Was sollte denn das werden?

»Jetzt erzähl mir schon was über ihn«, drängte sie mich.

»Schon gut, bevor du vor Neugierde zerfließt. Er kommt wie die anderen beiden aus Wyoming«, gab ich rasch zurück und wollte das Thema wechseln, aber sie war schneller.

»Name?«

»Ethan Wellington«, antwortete ich kühl. Ein Stich durchfuhr mich.

Irgendwie gefiel mir die Art nicht, wie sie fragte und dass sie es überhaupt tat.

Missy hob die rechte Braue.

»Ethan also. Süßer Name«, murmelte sie, biss sich auf die dünne Unterlippe. Sie winkte ihn zu uns.

»Was hast du vor?«, fragte ich stirnrunzelnd.

Sie gab mir keine Antwort und hob ihr rundliches Kinn noch ein Stück mehr, als Ethan zu uns trat. Das Hemd trug er wieder offen, das Haar war leicht feucht vom Schweiß. John hatte ihn den ganzen Tag über den Hof gehetzt und mit Arbeit überschüttet. Seine Laune war noch immer am Nullpunkt. Wenigstens hatte ich ihn nachts von mir fernhalten können, indem ich Magenschmerzen vorgetäuscht hatte.

Ethans Blick blieb länger als nötig an mir hängen. Es fiel mir schwer, ihn nicht direkt anzusehen. Allerdings hatte ich ein wenig Sorge, dass Missy mir am Ende meine Faszination anmerken könnte, die vor allem seine Augen auf mich ausübten.

»Hallo«, begrüßte er uns, so freundlich wie ich ihn bisher kennengelernt hatte.

Missy schob sich sogleich dicht vor ihn. »Du bist also aus Wyoming. Dort war ich noch nie. Woher genau, Ethan Wellington?«

Die Züge ihres Gesichts mit der hohen Stirn wurden weicher, und sie formte ihren breiten Mund zu einem Lächeln.

»Aus Buffalo«, antwortete er knapp.

»Oh. Ist es schön da?«, säuselte Missy.

»Ganz okay. Ich bin dort aufgewachsen.«

»Aha. Und wie gefällt dir Montana?«

»Ich wollte schon immer mal nach Montana. Ich liebe die Weite des Landes hier«, erwiderte er und verzog die vollen Lippen zu einem Lächeln. Ein unvergleichliches Lächeln. Ich sah in seine Augen, die so sanft und weich wie das Gras der Weiden wirkten.

Es schien mir, als würden Missy ähnliche Gedanken durch den Kopf fliegen. Ihrem Blick nach allerdings schmutzige. Am liebsten hätte ich sie weggeschickt.

»Lass uns einen Tee trinken, Missy«, schlug ich vor.

»Und hier zu arbeiten ist ein Traum von dir?«, fragte Missy weiter und ignorierte meine Idee.

»Ich möchte irgendwann eine eigene Pferdefarm haben. Am liebsten hier in Montana. Nach dem Unfalltod meiner Eltern hielt mich nichts mehr in Buffalo.« Er tauschte einen weiteren Blick mit mir.

Dass er seine Eltern verloren hatte, dazu auf tragische Weise, das hörte ich zum ersten Mal. Mein Herz krampfte.

»Das mit deinen Eltern tut mir leid, Ethan«, sagte ich deshalb. Nicht auszudenken, wenn meinen Derartiges passieren würde.

Ein flüchtiges Lächeln streifte seine Lippen. »Danke, Mrs London.«

»Schön, dass du ein Ziel hast. Der Weg dorthin ist sicher steinig und lang. Aber du bist ja noch jung. Wie wir.« Missy hauchte die letzten beiden Worte nahezu.

Er nickte. »Aber erst muss ich mir für diesen Traum ein bisschen Geld dazuverdienen.«

»Dann viel Glück. Ich bin übrigens Missy Stone. Aber nenn mich gerne Missy.« Sie spitzte die Lippen. »Hast du eine Freundin in Buffalo, Ethan?«

In Gedanken versetzte ich ihr einen Tritt gegen das Schienbein. Ethan schmunzelte. »Vielleicht.«

Im ersten Moment schaute Missy Stone verdutzt, dann lachte sie.

»Du sollst arbeiten, nicht quatschen, verdammt noch mal«, raunzte John hinter uns. Ich drehte mich um. Mit großen Schritten stapfte er auf uns zu, und sofort machte sich Ethan wieder an die Arbeit.

»Gut gemacht, Missy. Deinetwegen hat er nun Ärger«, flüsterte ich.

Mit einer Unschuldsmiene lief Missy John entgegen und blieb dicht vor ihm stehen.

»Wenn du unzufrieden mit ihm bist, dann kündige ihm und schick ihn zu uns, John. Ich finde immer Verwendung für einen kräftigen Burschen wie ihn«, bemerkte sie salopp und neigte den Kopf zur Seite.

Das würde ihr so passen. Ethan sollte bei uns bleiben, dafür würde ich sorgen. Heathcliff, Missys Mann, hätte ihren Vorschlag am Ende in die Tat umgesetzt. Ich war sicher, dass er ihr in allem, was sie tat und sagte, vertraute und bereit war, Missy jeden Wunsch zu erfüllen. Seit Jahren versuchte ich hinter ihr Geheimnis zu kommen. Lag es vielleicht daran, dass sie ziemlich kratzbürstig werden konnte, mitunter sogar hysterisch, wenn sie genervt war oder sich ungerecht behandelt fühlte, und im Gegensatz dazu zuckersüß, wenn sie bekam, was sie wollte?

»Wellington hat nichts bei euch zu suchen. Ich habe viel mit ihm vor. Aber ich bezahle ihn nicht für Tratschereien«, donnerte John.

»Es war nicht seine Schuld. Missy war nur neugierig, wer er ist«, sagte ich.

»Ja, das gebe ich zu. Kennst mich doch, John Boy«, gab Missy zurück, was auch das Mindeste war, wie ich fand.

John hielt inne, sah sie entgeistert an. »Warum? Hat Heathcliff dir gesagt, du sollst ihn uns abspenstig machen? Weil er angeblich so gut mit Pferden kann?«

Missy blieb ganz ruhig, schürzte nur kurz die Lippen. »Ach, kann er? Wusste ich nicht. Nein, ich bin eben neugierig. Und das hier ist ein freies Land, nicht wahr?«

Sie lächelte spitz.

John räusperte sich und war offensichtlich zufrieden mit ihrer Antwort. »Natürlich, Missy. War nur so ein Gedanke. Nicht böse gemeint.«

»Dann ist es ja gut, John London. Wenn du es genau wissen willst, habe ich ihn gefragt, warum es ihn ausgerechnet nach Montana verschlagen hat. Er meinte, er will irgendwann selbst Farmer werden.«

In ihrer Stimme schwang unüberhörbar ein Stachel mit. Zumindest für mich.

John dagegen brachten ihre Worte zum Lachen. »Wie bitte? Dieser Grünschnabel? Nun, das kann mir egal sein. Der soll für mein gutes Geld arbeiten, mehr interessiert mich nicht.«

Missy wurde wieder lockerer. »Sagt Cliff auch immer über unsere Arbeiter. Ihr zwei könntet Brüder sein.«

»Wo ist der alte Knabe? Normalerweise trifft man euch doch immer im Doppelpack an?«, fragte John.

»Mit den Arbeitern auf dem Feld. Er kann nie stillsitzen. Weißt du doch. Übrigens – wie geht es denn deinem Rücken? Besser? Ich wünsche es dir.«

John streckte sich und verzog dabei schmerzhaft das Gesicht. »Danke der Nachfrage. Leider noch nicht so gut.«

Sie blinzelte. »Oh, tut mir leid. Adi sollte dich besser massieren.«

John warf mir einen eindringlichen Blick zu. »Allerdings.«

Ich verdrehte innerlich die Augen und wagte verstohlen einen Blick in Ethans Richtung, während sich John und Missy weiter unterhielten. Ihre Worte vermischten sich zu einem Brei. Ich bekam nur mit, dass John sich darüber aufregte, dass Heathcliff immer noch genauso ordentlich zupackte wie zu seiner Anfangszeit als Farmer. Und das, obwohl er nun wahrlich genug Arbeiter auf der Farm hatte. Ich wusste, dass John ihn beneidete. Sein Grundbesitz war um einige Hektar größer als unserer. Zudem lebten seine Eltern noch und waren gesund und munter.

Ethan arbeitete genau und flink. Ich war sicher, dass er ein guter Farmer werden würde, und wünschte ihm von Herzen, dass sich sein Traum eines Tages erfüllen möge. Er streifte die Ärmel seines Hemdes zurück. Die Muskeln seiner Arme spannten sich, als er eines der Bretter gegen die Holzpfeiler drückte, um es daran festzunageln.

»Bekomme ich nun einen Eistee mit Pfefferminzblättern oder nicht?«, fragte Missy und riss mich aus meinen Gedanken.

»Was? … Natürlich.«

Auffordernd streckte sie mir einen Arm entgegen, und ich hakte mich bei ihr unter. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass John genervt aussah.

»Missy, erkläre ihr mal, dass man auch Fleisch essen sollte. Ich muss jetzt zu den Arbeitern, neue Aufgaben verteilen. Und bitte, Missy, vergiss es nicht«, bat er sie, bevor er sich auf zu Ethan, Malcolm und Will machte.

»Er hat dir davon erzählt?«, fragte ich erstaunt.

Missy runzelte die Stirn. »Hast du nicht zugehört?«

»Doch, doch.« Ich lachte gespielt, weil ich mich ertappt fühlte.

»Ach, lass ihn reden.«

Dankbar für diese Meinung nickte ich und machte uns in der Küche Tee. Danach setzten wir uns auf die Terrasse. Zeit für eine Teestunde hatte ich zwar nicht, aber die musste ich mir wohl oder übel nehmen, denn Missy war schnell beleidigt. Und wenn sie jemanden auf dem Kieker hatte, konnte sie sehr ungemütlich werden.

Sie roch an ihrem Tee, bevor sie daran nippte. »Hast du die Geschichte von Stella gehört? Die Frau von Caleb Green. Die zwei sind aus Laurel.«

Ich schüttelte den Kopf, während ich mich dabei erwischte, dass ich schon wieder nach Ethan Ausschau hielt. Beim Zaun war er nicht mehr.

»Meine Güte, ein Skandal. Selbst in der heutigen Zeit und besonders in Laurel. Du weißt doch, wie die Leute hier sind. Die tratschen gleich alle, und Ehebruch ist ein Verbrechen.« Missy verdrehte die Augen. Ich schluckte schwer und trank von meinem Tee. »Stella hat sich in einen seiner Arbeiter verguckt. Ihr Mann hat es herausgefunden und den Typ gefeuert. Die Leute sagen, Green habe ihn mit der Mistgabel von der Farm gejagt. Er war nackt«, berichtete Missy weiter und lachte grell. »Jetzt folgt Stella ihrem Ehemann reumütig auf Schritt und Tritt. Er hat ihr verziehen, wie es scheint. Ich als ihr Mann hätte sie gleich hinterhergejagt, und zwar ebenfalls nackt.«

Missy lachte abermals, dieses Mal kreischend. Sie labte sich gern an dem Schicksal anderer, eine Eigenschaft, die ich widerlich fand. Ich verschluckte mich an meinem Tee, und Missy klopfte mir beherzt auf den Rücken, bis sich mein Husten gelegt hatte. Danach rückte sie näher und flüsterte, als könnte uns jemand hören: »Also, ich würde mich nie ernsthaft auf so einen armen Schlucker einlassen, auch wenn der ein oder andere wirklich zum Anbeißen ist. So wie Ethan. Findest du nicht?«

Nie ernsthaft? Das klang nicht gerade so, als würde sie es nicht doch in Erwägung ziehen, würde sich eine Gelegenheit bieten.

»Nein, finde ich nicht«, entgegnete ich scharf.

Stirnrunzelnd lehnte sie sich in den Stuhl zurück. »Halleluja, das war nur ein Witz, Adi. Ich dachte, du wärst ein wenig lockerer und würdest ihn verstehen. Dieser Kinderwunsch verbittert euch noch, wenn ihr nicht aufpasst.«

»Tut mir leid. Das liegt wohl eher an dem schwülen Wetter und dem Berg Arbeit, der noch auf mich wartet.« Ich konnte nur hoffen, dass sie die Zweideutigkeit meiner Worte verstanden hatte.

Missy stellte ihre Tasse ab. »Ich merke schon, ich störe. Wenn dir Arbeit wichtiger ist als ein paar Minuten mit einer guten Freundin, dann gehe ich lieber.«

Sie rümpfte die Nase. Zeitgleich mit ihr stand ich auf.

»So war es nicht gemeint, Missy.« Die Lüge kam mir leicht über die Lippen, aber ich hasste es. Und das, obwohl Missy für mich keine Freundin war, dafür stichelte sie zu oft. Ihre Äußerungen über Stella Green hatten dieses Gefühl nur noch untermauert. Zudem wusste ich nie, wie ich bei ihr dran war. Auf Dauer war das ermüdend.

Die einzige wahre Freundin, die ich je gehabt hatte, war vor einem Jahr gestorben. Ich vermisste sie jeden Tag. Anne Wilkins hatte mit ihrem Mann in Billings gewohnt. Sie hatte den kurzen Kampf gegen den Unterleibskrebs verloren. Anne und John waren nie Freunde geworden. Auch jetzt konnte ich sie aus der Erinnerung sagen hören: ›Ich hoffe nur, er raubt dir nicht irgendwann den Atem, und du lässt es zu. Er hat etwas Kaltes an sich, das ich nicht mag. Pass auf dich auf.‹

Ihr Mann Richard war ein herzensguter Mensch, der nach ihrem Tod die Farm mit seinen Geschwistern weiter bewirtschaftete, aber keine neue Frau wollte. Für ihn gab es keine zweite große Liebe.

Missy stapfte davon und machte noch einen Abstecher bei John. Ich sah, dass die beiden miteinander lachten und sich mit Wangenküsschen verabschiedeten. Bevor Missy Stone den Hof verließ, warf sie mir noch einen ernsten Blick zu und hob dabei die Nase in die Luft. Ich winkte ihr dennoch, atmete geräuschvoll aus und ging zurück ins Haus, um die Wäsche zu machen. Das Gewitter war vorüber. Fürs Erste jedenfalls.

* * *

John kam eine halbe Stunde später ins Haus und umarmte mich von hinten. Sein beißender Schweißgeruch war mehr als unangenehm. Er ließ mich los.

»Es ist verdammt schwül heute«, sagte er und zog sich hastig das Hemd aus. Zwei Knöpfe sprangen zu Boden.

»John, pass doch besser auf«, bat ich ihn und drehte mich zu ihm um.

»Was denn? Die sind doch schnell wieder angenäht.«

Ich wollte sie aufheben, aber er hielt mich an den Handgelenken fest. »Lass die dummen Knöpfe. Ich habe jetzt Lust auf dich.«

»Ich habe Kopfschmerzen«, sagte ich. Das war nicht gelogen. Außerdem hatte ich keine Lust auf ihn.

Er fixierte mich mit einem gierigen Blick. Ich wollte ausweichen, doch schon packte er mich am Haar und zog meinen Kopf in den Nacken. Nicht fest, aber fest genug, dass ich mich unwohl fühlte.

»Lass das und nicht hier. Einer der Arbeiter könnte hereinkommen«, bat ich ihn hastig.

John schüttelte den Kopf. »Die betreten das Haus nicht einfach so. Keine Sorge. Und wenn sie uns beobachten würden, wäre das auch nicht so schlimm. Die sollen ruhig mitbekommen, wie gut wir uns verstehen.«

»John, hör auf«, flehte ich inständig.

Er küsste mich und sah mich danach stirnrunzelnd an. »Was ist denn schon wieder?«

»Ich … ich habe meine Tage bekommen. Vorhin. Daher wohl auch die Kopfschmerzen.«

John ließ mich los. Er konnte kein Blut sehen und riechen. Zwar hatten sie noch nicht eingesetzt, aber das würden sie bald.

»Schade«, grummelte er. Eilig zog er sich sein Hemd über. »Dann geh ich mal wieder an die Arbeit.« Er zeigte auf mich. »Und heute Abend gibt es nichts anderes außer Fleisch. Ich bringe ein fettes Huhn mit. Verstanden?«

Sein Blick deutete an, dass er keine Widerrede duldete.

Meinetwegen. Hauptsache, ich hatte nun erst einmal Ruhe. »Ich will nachher nach Laurel zu Mom und Dad fahren«, teilte ich John mit. »Das heißt, wenn der Pick-up wieder okay ist. Ich hab Mom versprochen, mit ihr in die Kirche zu gehen.«

»Der ist wie neu. Grüß Lilith und deinen alten Herrn von mir.« Im Vorbeigehen drückte John mir einen Kuss auf die Stirn.

»Mach ich«, antwortete ich und sah ihm nach, wie er nach draußen stapfte.