Plötzlich Bachelorette - Cecilia Lilienthal - E-Book
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Cecilia Lilienthal

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Beschreibung

Zehn Männer, eine Villa und die Suche nach der großen Liebe.
Das Leben der jungen Lehrerin Anna Nash steht von einem Tag auf den anderen Kopf: Ihre Großmutter Rose vermacht ihr ein Erbe, das es in sich hat. Nicht nur eine gigantische Villa wartet auf sie, sondern auch die Aufgabe, dort mit zehn äußerst attraktiven Männern zu wohnen. Erst, wenn Anna ihren Traummann gefunden hat, soll das Erbe voll und ganz ihr gehören.
Doch Anna ist gar nicht auf Millionen aus und von Männern hat sie eigentlich auch die Nase voll. Aber das Schicksal zwingt sie praktisch dazu, das Wagnis doch noch einzugehen. Ihr Ex-Mann setzt derweilen alles daran, Anna zu schikanieren. Zudem kreuzt ihr Kollege George permanent ihren Weg.
Die schrägste, verrückteste und leidenschaftlichste Zeit ihres Lebens beginnt. Und Anna muss sich entscheiden, wem ihr Herz gehört...
 
„Plötzlich Bachelorette“ von Cecilia Lilienthal ist ein humorvoller Liebesroman, der mit einer Prise Romantik, einem Hauch Dramatik und jeder Menge überraschender Wendungen überzeugt. Dies ist die komplett überarbeitete Neuauflage von "Ein Erbe zum Verlieben" (2019 erschienen) von Nadine Stenglein.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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PLÖTZLICH BACHELORETTE

CECILIA LILIENTHAL

Verlag:

Zeilenfluss

Werinherstr. 3

81541 München

Deutschland

_____________________________

Texte: Cecilia Lilienthal

Cover: Giusy Ame/Magcicalcover.de

Korrektorat: TE Language Services – Tanja Eggerth

Satz: Zeilenfluss Verlag

_____________________________

ISBN: 978-3-96714-525-0

_____________________________

Alle Rechte vorbehalten.

Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

1

CHAOTISCHE VERHÄLTNISSE

Der Morgen hatte bereits heimtückisch begonnen. Nicht nur, dass ich mit dem sprichwörtlich linken Fuß aus dem Bett gestiegen war, stolperte ich mit selbigem auf dem Weg ins Bad auch noch über eines von Roberts selbst gebastelten Buddelschiffen und verknackste mir dabei den Knöchel. Autsch.

Robert war mein Ex, genauer gesagt Ex-Mann, mit dem ich sieben lange Jahre verheiratet gewesen war, bis er mich wegen einer Jüngeren verlassen und die Scheidung eingereicht hatte. Vor Gericht hatte er felsenfest behauptet, er habe es vor allem psychisch nicht mehr mit mir ausgehalten, ich hätte ihn völlig im Stich gelassen. So ein Quatsch.

Es ärgerte mich, dass ich ihm in puncto Scheidung nicht zuvorgekommen war. Ich hatte den Mistkerl mal geliebt. Nun war das Licht der Hoffnung erloschen, genau wie der letzte Funke meiner Liebe für ihn. Meine Eltern hielten ihm trotzdem nach wie vor die Stange und hofften auf ein Comeback des ehemaligen Teams Robert und Anna. Das würde es nicht mehr geben. Robert wusste zu gut, wie man den Saubermann nach außen kehrte.

Wie dem auch sei, diese Flaschen, in denen seine Schiffchen vor Anker lagen, mussten aus dem Haus verschwinden. An die fünfzig lagen neben einigen anderen von Roberts Sachen verstreut in den Zimmern herum, weil er noch immer keinen Platz dafür gefunden hatte. Jedes einzelne Exemplar erinnerte mich an einsame Zeiten. Robert musste unsere Ehe schon lange sattgehabt haben, wenn ich daran dachte, wie viele Stunden seiner sowieso knapp bemessenen Freizeit er im Keller unseres damaligen Hauses im nur wenige Meilen entfernten Wallingford verbracht hatte. Inzwischen bewohnte er dort eine Mietwohnung.

Ich band mir das lange kastanienbraune Haar zu einem Knoten am Hinterkopf zusammen, zog mich schnell an – braune Jeans, grüne Bluse, weiße Sneakers – und rief Robert an. Er selbst war nicht da. Ich hinterließ ihm in ruhigem Ton eine Nachricht auf seiner Mobilbox: »Hole endlich deine Buddelschiffe ab. Heute Abend. Danke.«

Oh nein. Am Ende der Aufzeichnung streikte der Handyakku. Ich eilte weiter. Kaum hatte ich die Haustür zugezogen und trat nach draußen, öffneten sich die grauen Wolken und Regen prasselte auf mich und meine Heimatstadt Wantage in der englischen Grafschaft Oxfordshire herab. Ich warf eine Kusshand Richtung Himmel. Vielen Dank auch. Meine Pechsträhne verfolgte mich wie ein roter Faden, der sich um mich gewickelt hatte.

Mein kleiner roter Käfer gab unterwegs den Geist auf, und ich musste einen Sprint durch die Stadt einlegen. Durch den Wind, der aufzog, nützte mir der Regenschirm nur wenig. Meinem Auto konnte ich keine Schuld geben.

»Wie konntest du nur vergessen, zu tanken, du Schussel?«, zischte ich mir selbst zu.

Durchnässt bis auf die Knochen erreichte ich die Schule eine Minute vor acht und rubbelte mich einigermaßen in einer der Schultoiletten trocken. Das Läuten der Schulglocke ließ mich zusammenzucken.

Roberts Hohn wegen meiner Vergessenheit wäre mir sicher. Typisch Anna, hätte er gesagt. Mit Sicherheit. Ich verdrehte die Augen. Was dachte ich überhaupt darüber nach? Konnte und sollte mir vor allem egal sein, was er dachte oder denken würde. Hektisch strich ich mir die Strähnen, die sich aus dem Haarknoten gelöst hatten, aus der Stirn, rannte zum Klassenzimmer, atmete davor einmal tief durch und öffnete dann die Tür. Als wäre nichts passiert betrat ich die Höhle der Löwen. Einige Schüler beobachteten mich schmunzelnd, manche steckten tuschelnd die Köpfe zusammen. Moment. Jenny fehlte. Gerade in meinen Stunden kam sie oft zu spät, meist weil sie mit Freundinnen rauchte, quatschte oder mit einem Jungen abhing. Ich musste mir eingestehen, dass ich wirklich oft zu lasch mit den jungen Leuten war. Granny Rose würde sich in ihrem frischen Grab umdrehen und mir eine Predigt halten. Ich hatte ihr versprochen, mich mehr durchzusetzen. Nicht nur bei meinen Schülern, sondern allgemein. Insbesondere bei Männern. Von denen hatte ich allerdings die Nase erst einmal gestrichen voll. Meine Kolleginnen und Kollegen waren deutlich strenger als ich. Was sie mir auch gern unter die Nase rieben. Auch, dass ich mir nicht längst wieder ein Exemplar Gattung Mann gesucht hatte.

Ich liebte meinen Beruf als Kunst-, Geschichts- und Deutschlehrerin, wollte mich ganz darauf konzentrieren. Das war wichtiger. Ich seufzte, rückte meine Brille zurecht und atmete tief durch. Nicht verzagen, sagte ich mir, was allerdings leichter gesagt als getan war. Erst jetzt nach der Scheidung lichtete sich der Schleier vor meinen Augen, den mir Robert über all die Jahre unserer Ehe verpasst hatte. In dieser Ehe hatte ich irgendwann gar nicht mehr gewusst, wer ich wirklich war und was ich wollte. Das wurde mir immer mehr klar. Das Schlimmste daran war, dass ich das selbst kaum bemerkt hatte. Dauernd war es nur um ihn gegangen, seine Wünsche, sein Leben. Ich hatte gar keine richtige Zeit mehr gehabt, darüber nachzudenken. Er hatte mich sozusagen hypnotisiert. Früher war ich völlig anders gewesen, hatte auf mich geachtet, meine Ziele immer genau im Auge behalten. Meine beste Freundin Ruby hatte recht. Ich musste die selbstbewusste, flippige Anna von damals wiederfinden. Leichter gesagt als getan.

Der durchdringende Aufschrei von Nancy Lee Johnson riss mich aus meiner Gedankenschleife, in der ich mich zu verheddern drohte. Ein Kaugummi klebte in ihren krausen blonden Locken.

»Das wirst du mir büßen, Spargel«, keifte sie mit zusammengekniffenen Augen in Richtung Tom, der unschuldig dreinblickte.

Ging’s noch? »He, das macht man nicht, das ist fies und kindisch. Und wo ist Jenny? Ist sie krank?«, fragte ich und legte meine hellbraune Ledertasche auf das Pult.

»Die ist noch auf dem Campus, flirtet mal wieder«, sagte der rothaarige, sommersprossige Freddie, der den Spitznamen Pumuckl hatte.

»Petze«, rief eines der Mädchen und warf einen Stift in seine Richtung, der ihn am Kopf traf.

»Aua, spinnst du?«, protestierte Freddie und schnitt ihr eine Grimasse.

»Hört schon auf. Wir schreiben in der zweiten Stunde eine Deutscharbeit. Darauf solltet ihr euch konzentrieren«, bemerkte ich. Schnell half ich Nancy, den Kaugummi zu entfernen, auch weil diese hysterisch kreischte. Ihre Haare waren ihr heilig. Ich pustete Luft aus und ging zu einem der großen Fenster, von wo aus man einen guten Blick aus dem u-förmigen Backsteingebäude auf den teils grünen, teils gepflasterten großflächigen Schulhof hatte. Zwischen zwei Bäumen entdeckte ich Jenny in ihrer knappen marineblauen Schuluniform, die mindestens eine Nummer zu klein war. Meine Schülerin war in männlicher Begleitung. Ich legte die Stirn in Falten, sah ihn nur von hinten. Von der Statur her hätte er mein Ex sein können. Irrsinn. Ich klopfte gegen die Scheibe, doch die beiden rührten sich nicht. Anscheinend hatten sie es nicht gehört, also öffnete ich das Fenster, räusperte mich und rief: »Jenny, kommst du bitte in die Klasse?« Die Schülerin reagierte sogar sofort, winkte lächelnd zu mir herauf, gab aber keine Antwort. Kurz wandte sich der Mann um. Unsere Blicke trafen sich. Ich stockte. Vor Schreck verschluckte ich mich und rang hustend nach Luft. Elisabeth, eine meiner Schülerinnen, kam neben mich. »Ist das nicht Ihr Ex? Doch, doch … das ist er. Roooobert, nicht wahr?«, rief sie. Es war kein Geheimnis, dass Robert und ich seit einer Weile geschieden waren. Die Neuigkeit hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Binnen weniger Sekunden war ich umstellt von neugierig dreinblickenden Jugendlichen, die sich gegen den Fensterrahmen drückten. Robert steckte Jenny einen Zettel zu, sagte etwas zu ihr und verschwand dann. Jenny schaute ihm nach und winkte mir, als er weg war, zu. »Ich komme schon.«

Irritiert und mit tausend wirren Gedanken im Kopf wartete ich auf sie. Die anderen redeten wild durcheinander und gingen zurück auf ihre Plätze. Alle Blicke flogen zur Tür. Ich beschloss, allein mit Jenny zu reden.

»Bin gleich zurück. Seid bitte ruhig so lange«, bat ich.

Ein Seufzen ging durch die Reihen. Manche der Schülerinnen und Schüler folgten mir bis zur Tür. Weiter trauten sie sich nicht. Der Direktor, Mr. Greenhorn, lief stetig Streife. Das wusste jeder hier. Ein Mann, den jeder fürchtete und respektierte. Seine Art war oft so rau wie das Meer bei Sturm. Zudem glaubte ich, dass er mich nicht besonders leiden konnte. Er ignorierte mich meistens. Im Grunde sollte es mir nichts ausmachen, war es doch von Vorteil, denn so hatte ich meine Ruhe vor ihm. Daran, dass ich für manche unsichtbar war, hatte ich mich bereits gewöhnt. Ich betrat den Flur und schloss die Tür hinter mir. Jenny bog um die Ecke. Sie band ihr langes blondes Haar mit einem Gummi im Nacken zusammen und kam mir lächelnd in ihrer Schuluniform – marineblaues Jackett, eindeutig zu kurzer, gleichfarbiger Rock, weißes Hemd, schwarze Krawatte und dunkle Schuhe – entgegen. Sie schien meinen fragenden Blick bezüglich des Rocks zu bemerken und nuschelte: »Das Material ist der größte Schund. Er ist beim Waschen eingelaufen.« Na klar. Zwischen ihren Lippen steckte der Zettel, den Robert ihr gegeben hatte. »Mmh. Für Sie.« Für mich? Ich zog ihr den Zettel aus dem Mund.

Jenny blinzelte. »Ich konnte Robert, ich meine Mister Voss, nicht widerstehen. Ein toller Mann, Ihr Ex. Kein Wunder, dass Sie auf den reingefallen sind. Robbie ist voll der Charmebolzen und sieht dazu noch aus wie Hugh Grant. Traumhaft.«

Ihre Worte trafen mich wie ein Fausthieb. Sie ging an mir vorbei und verschwand ins Klassenzimmer. Ich schluckte trocken. Es ärgerte mich, dass mir keine spontane Antwort eingefallen war und ich stattdessen auf den Zettel starrte. Was sollte das Ganze? Warum hatte Robert mir den Brief nicht selbst gegeben oder so?

Eilig faltete ich ihn auseinander. Vom Zimmer aus hörte ich das Kreischen der Schüler. Auf dem Zettel, einem karierten Blatt, das an den Seiten eingerissen war, hatte Robert in seiner üblichen kleinen Krakelschrift ein paar Wünsche vermerkt, die ich bis zum Abend erledigen sollte. Ein Ritual, das er auch früher hin und wieder angewandt hatte.

Na danke schön, dachte ich und las:

Buddelschiffe in große Kiste packen und in deiner Garage unterstellen. Kann sie noch nicht abholen, da, wie du ja weißt, meine Wohnung in Wallingford zu klein dafür ist.

Ganz wichtig, wenn du nicht willst, dass ich wegen dir verhungere und noch mehr psychisch absacke: Ich brauche einen Unterhaltsvorschuss.

Den letzten Satz hatte er sogar doppelt unterstrichen.

Der ehemals große Makler kam zu mir, um zu betteln. Wahnsinn. Niemals hätte ich gedacht, dass sich das Blatt einmal so wenden würde. Mir wurde klar, warum er mir seine Wünsche nicht persönlich mitteilen wollte. Es musste ihm so schon genug Überwindung abverlangt haben. Typisch Robert. Sein Stolz und falscher Ehrgeiz waren ihm immer noch heilig, selbst mir gegenüber. Und sie waren es auch, die uns beiden am Ende den Ruin bringen würden, davon war ich überzeugt.

Vielleicht hätte er damals hin und wieder auf mich hören sollen, als er sich als Immobilienmakler selbstständig gemacht hatte. Ich erinnerte mich, dass ihm meine Ratschläge in Sachen Geschäftsführung immer zu banal, oberflächlich und zu zaghaft gewesen waren. Dass ich für die Firma mitbürgte, war das Einzige, was er wollte. Letztendlich ließ ich mich dazu überreden. Wir hatten im selben Boot gesessen, bis es gekentert war.

Nun musste ich nicht nur meinen Kopf über Wasser halten, sondern auch seinen. Das Gericht hatte mich dazu verdonnert, mit ihm den Rettungsring zu teilen. Grund: Ich hatte Grundbesitz und einen mehr oder weniger sicheren Job. Große Sprünge konnte ich mit meinem Lehrerinnengehalt nicht machen, zudem musste ich das geliebte Haus meiner Eltern in Wantage unterhalten. Teilweise konnte ich es bereits neu renovieren und modernisieren. Den Garten hatte ich fast fertig hergerichtet und war stolz auf meinen grünen Daumen, den Robert mir immer abgesprochen hatte. Besonders liebte ich meine Rosen und Lilien, die einen bezaubernden Duft verströmten. Selbst die Maulwurfshügel hatte ich, ohne zum Mörder zu werden, endlich unter Kontrolle bekommen.

Meine Eltern waren vor zwei Jahren nach Mallorca ausgewandert, um dort ihren Lebensabend zu verbringen. Da sie ab und an wieder in die Heimat zurückkehrten, passte es ihnen gut, dass ich auf ihr Schmuckstück aufpasste. Meine Probleme hingegen interessierten Mum und Dad weniger, zudem gaben sie vor allem mir die Schuld für die gescheiterte Ehe. Ihrer Meinung nach hatte ich mich zu sehr gehen lassen, meinen Mann zu wenig unterstützt. Robert war für sie wie ein lieber Sohn. In ihren Augen hätte ich viel mehr um ihn kämpfen müssen.

Nachdenklich steckte ich den Zettel ein und ging in das Klassenzimmer zurück. Jenny schwärmte von Robbie. Bei seinem Frauenverschleiß hätte es mich nicht gewundert, wenn er mit der Schülerin geflirtet hätte. Seine neue Freundin Evie Soundso war nur ein paar Jahre älter als Jenny.

Mechanisch zog ich den Unterricht durch, den ich sonst so bunt wie möglich zu gestalten versuchte. Großen Anklang fand das leider nicht. Meine beste Freundin Ruby wartete auf dem Schulcampus auf mich. Ihr Atelier war nicht weit von der Schule entfernt. Ruby McAllister war Malerin für moderne Kunst und Erotik. Nachdem sie Roberts Zettel gelesen hatte, zerriss sie ihn in kleine Fetzen, die sie in den nächsten Mülleimer rieseln ließ wie Schnee.

»Das hättest du machen sollen«, teilte Ruby mir mit.

»Aber vielleicht hätte ich wenigstens manches doch erledigen sollen. Sonst nervt er ewig damit. Ich kenne Robert, wenn der sich erst mal was in den Kopf gesetzt hat. Ich will meine Ruhe.«

»Die hättest du höchstens bis zum nächsten Zettel. Wetten? Er würde doch immer so weitermachen. Der war selbst zu feige, dir seine Liste persönlich zu geben. Lass ihn schmoren. Oder willst du ihm wie früher alles hinterherräumen? Früher hat er dir auch Listen gemacht, meist mündlich. Alles, was in deiner Macht stand, hast du ihm erfüllt.«

»Ich wollte halt, dass wir eine gute Ehe haben.«

»Und was hat es gebracht? Du hast immer weniger auf dich geachtet und die Anna, die du einst warst, tief begraben. Hey, du bist jetzt zweiunddreißig. Wie ich. Wir stehen in der Blüte unseres Lebens. Vergeude es keine weitere Sekunde mit Gedanken an Robert Voss.«

Sie zog die gezupften Brauen nach oben und spitzte die Lippen.

»Stimmt«, sagte ich leise.

»Also. Wann ist eigentlich die Testamentseröffnung von Rose?«

Ich zuckte mit den Achseln und senkte traurig den Blick. Ruby hängte sich bei mir ein, zog einen Schokoriegel aus ihrem roten Ledertäschchen und biss herzhaft hinein. »Willst du auch einen? Der ist tierisch lecker.«

»Damit ich noch runder werde? Nein, danke.«

Ruby seufzte. Sie hatte gut reden, wenn ich sie so betrachtete. Die wichtigsten Punkte auf ihrem Steckbrief, um sie zu beschreiben, lauteten: schlank, groß, braun gebrannt, grüne Katzenaugen, langes rotes Haar, der Vollständigkeit halber mit Extensions, von denen ich nicht viel hielt, modern, sportlich, künstlerisch begabt, liebevoll verrückt, selbstbewusst und gern hell und bunt gekleidet. Sie wusste, wie man sich präsentierte, damit es eine Wow-Wirkung hinterließ. Früher, vor Robert, hatte ich dafür auch vielmehr ein Händchen gehabt. Mit der Zeit war das dann eingeschlafen.

Als Kind hatten meine Mutter Sophie oder Grandma Rose mich gern in den Schlaf gewiegt, zu Roberts Zeiten waren es Chips, Rotwein oder Heulattacken gewesen.

Ruby stupste mich an. »Du bist nur ein wenig pummlig. Nicht schlimm. Die Betonung liegt auf ein wenig. Außerdem – Schokolade ist gut für die Nerven. Deine sind, entschuldige, so angeknackst, dass sie die paar Kalorien in Nullkommanichts verbrennen. Die haben gar keine Chance, woanders hinzuwandern.«

»Schön wäre es. Danke übrigens.«

»Gefällt mir, wenn du ein wenig frech bist. Hau es raus, Baby. Nun bist du Robert los, jetzt versuche auch endlich, dieser Anna einen Kick zu geben, die er dir übergestülpt hat, und suche dir einen charmanten und attraktiven Typ.«

Ich verdrehte die Augen. Ruby klopfte mir auf die Schulter und zeigte ihre strahlend weißen Zähne. »Rose wäre stolz auf dich. Schritt-für-Schritt-Therapie. Das kriegen wir schon hin.«

Ach Granny. Ich vermisste sie jeden Tag. »Ich wünschte, sie wäre noch hier.«

»Ich glaube, sie hätte Robert irgendwann den Hals umgedreht.«

Auch wenn die Vorstellung mehr als grotesk war, musste ich in Rubys Lachen einstimmen. In Wahrheit aber wünschte ich Robert nichts Schlechtes, also nicht wirklich. Auch wenn er mich am Ende wie einen abgenagten Knochen weggeworfen hatte. Das würde ich ihm weder verzeihen, noch vergessen. Ich wollte nur Ruhe vor ihm, am besten vor allen männlichen Wesen. Mit denen hatte ich leider noch nie Glück gehabt. Meine Gedanken wanderten wieder zu Rose, der besten Grandma der Welt. Sie war immer für mich da und ein Mensch, der einem ungeschminkt die Meinung ins Gesicht sagte. Robert hatte Granny wie die Pest gehasst, umgekehrt war es nicht anders gewesen. Ruby überredete mich dazu, noch ein Glas Wein zusammen zu trinken.

»Hast du vielleicht auch Hunger? Ich koche etwas«, schlug ich vor und putzte die Gläser meiner Brille, die beschlugen, als ich ins Tiefkühlfach blickte.

»Mit Kochen meinst du Tiefkühlpizza, oder?«

Ich presste die Lippen aufeinander. »Jap. Für mich gibt es natürlich nur Salat. Sorry, dass ich dir nicht mehr bieten kann. Ich könnte es aber versuchen. Also –«

Ruby hob eine Hand. »Stopp, stopp. Ich nehme dein Angebot sehr gern an, Süße. Lass dich nicht ärgern von mir.«

Ich biss mir auf die Unterlippe. Laut Robert war Tiefkühlpizza aufbacken das Einzige, was ich richtig konnte, wenn es um die Zubereitung von Essen ging. Alles andere war meist ungenießbar für ihn gewesen und reine Zeitverschwendung. Allerdings vermutete ich inzwischen, dass er das manchmal auch nur als Ausrede benutzte, um sich in ein Restaurant zu verdrücken, das in Wirklichkeit, wie ich im Nachhinein herausfand, Natalie, Anastasia, Lilian oder Betty hieß. Wenn wir zusammen ausgingen, was selten vorgekommen war, hatte er ständig etwas an meinem Gang, meiner Kleidung oder meinem Essensstil zu bemängeln gehabt. Je länger wir zusammen waren, desto mehr liefen alle Bemühungen, ihn zufriedenzustellen, ins Leere. Zunehmend wurde mir egal, was ich anzog. Hauptsache, es war bequem. Keine Ahnung, wann genau es völlig zur Gewohnheit geworden war. Robert schaute mich sowieso nur selten richtig an. Nun, da ich endgültig aufgewacht war, erschreckten mich diese Erkenntnisse und machten mich gleichzeitig nicht nur wütend auf Robert, sondern vor allem auf mich selbst. Wie ich es hasste, dieses Selbstmitleid. Schluss jetzt, sagte ich mir und schob es beiseite. Es brachte mich kein Stück weiter – im Gegenteil.

2

LETZTER WILLE

EINE WOCHE SPÄTER

Ich saß bei einem Notar im noblen Stadtteil Mayfair und wartete. Ruby begleitete mich. Die Kanzlei befand sich in einer schneeweißen Villa. Sie war umgeben von einer gepflegten kleinen Grünanlage mit einem elektrischen, schmiedeeisernen Gartentor. Wie mir mitgeteilt wurde, wollte Grandma Rose, dass Ruby und ich gemeinsam zur Testamentseröffnung kamen. Rose kannte Ruby gut; die beiden hatten oft stundenlang gequatscht und Schach gespielt. Ruby, die sonst nie lange still sitzen konnte, machte für Rose jedes Mal eine Ausnahme.

Was Robert betraf: Er war in den vergangenen Tagen ein paarmal wie eine Katze um das Haus meiner Eltern geschlichen, hatte sogar dreimal Sturm geklingelt und mir mehrere Forderungszettel vor die Tür gelegt, die ich mit gemischten Gefühlen ignorierte. Es musste ihm wirklich nicht gut gehen, durchfuhr es mich hin und wieder. Ruby pochte darauf, dass ich nicht reagierte. Sie war sicher, dass er so irgendwann aufgeben würde.

»Dein Wort in Gottes Gehörgang«, hatte ich daraufhin zu ihr gesagt.

»Wenn er nicht schwerhörig ist, und davon gehe ich aus, wird er es vernehmen und dir ein Engelchen schicken. Hör bloß auf, dir Sorgen um deinen Ex zu machen.«

»Ich mache mir keine Sorgen.«

Nach dieser Äußerung warf Ruby mir einen skeptischen Seitenblick zu und schwieg.

Der Notar, Dr. Maximilian Eugene, ein älterer Herr mit Brille in grauem Anzug, weißem Hemd und dunkelblauer Seidenkrawatte, begrüßte uns mit einem offenen Lächeln. Mir kam es vor, als würde er sich wirklich freuen, uns zu sehen. Seine grauen, buschigen Augenbrauen hatten die gleiche Farbe wie sein lichtes Haar und erinnerten mich an eine Eule aus einem meiner Kindheitsbücher. Er wies uns zu seinem massiven Eichenschreibtisch und bat uns, auf den Ledersesseln davor Platz zu nehmen. In den Räumen mit den hohen Stuckdecken roch es leicht modrig. Das Inventar bestand größtenteils aus Biedermeiermobiliar. Gemächlich ließ er sich uns gegenüber nieder und kramte in einigen Unterlagen. Seine gepflegten Hände zitterten ein wenig, als er einen neongrünen Umschlag aus einem Papierstapel zog und ihn öffnete. Währenddessen betrat eine schwarzhaarige, schlanke Dame in rotem Businesskostüm, bewaffnet mit Block und Stift, den Raum. Sie begrüßte uns kurz und stellte sich als Dr. Eugenes persönliche Sekretärin vor.

»Marie wird das Protokoll der Testamentseröffnung führen«, erklärte der Notar und spähte über den Rand seiner Brille zu uns herüber. Ruby und ich nickten artig. Ein bisschen kam ich mir vor, als würde ich vor Greenhorn sitzen, wenn er zur Lehrerkonferenz erschien, um seine Schäfchen, wie er uns Kollegen zu gern höhnisch nannte, unter die Lupe zu nehmen. Mit meinem Kollegen George William Lancaster schien er sich jedenfalls prächtig zu verstehen. So wie jeder andere auch. Besonders die Frauen schmachteten den Kollegen an, als wäre er ein Pop- oder Filmstar. Ich fragte mich, warum ich gerade jetzt an diesen offensichtlich selbstverliebten Snob dachte.

»Nun, dann wollen wir mal, meine Damen.«

Grandma Rose war die Mum meines Dads Michael gewesen und hatte bescheiden in ihrer kleinen Wohnung gelebt. Zuletzt war sie, wenn auch schweren Herzens, in eine betreute Wohngruppe gezogen, obwohl ich ihr damals anbot, sie zu mir nach Hause zu nehmen. Etwas, das Rose genauso strikt ablehnte wie das ihr verhasste Krankenhaus.

Sie wollte niemandem aus der Familie zur Last fallen, sagte sie, dabei hatte ich sie sehr gern um mich gehabt und so oft besucht, wie ich konnte. Ruby ähnelte Rose in so manchen Dingen – stark, ein wenig verrückt und schillernd. Selbst zum Zeitpunkt ihres Todes trug Rose eine bunte Federboa um den Hals, ein pinkfarbenes Nachtkleid und silberne lange Ohrringe. Mit ihrer Kurzhaarperücke aus braunem Echthaar und Make-up hatte sie versucht, ihre Krebserkrankung zu vertuschen. Die anderen Familienmitglieder, auch meine Eltern, fanden Rose eher seltsam und mieden sie. Sie hatte den Tod ihres Mannes Louis, den ich ebenso geliebt hatte wie meine Granny, nie verwunden. Ich war sicher, dass dieser der Auslöser der schweren Krankheit war, die Rose heimgesucht hatte. Ich vermisste meine Großmutter von ganzem Herzen und musste schlucken, sobald Dr. Eugene deren letzten Brief aus dem Kuvert nahm. Es fiel mir schwer, die Tränen zurückzuhalten, während Ruby meine linke Hand drückte. Dr. Eugene räusperte sich und trug Roses letzte Worte vor.

»Mein letzter Wille. Ich, Rose Nash, bin trotz meiner fünfundachtzig Jahre, gefühlt höchstens fünfundzwanzig, völlig bei Verstand. Auch wenn die Ärzte nach wie vor behaupten, dass mein Gehirn langsam verkalkt wie meine alte verdammte Waschmaschine. Entschuldigung fürs Fluchen. Aber ich kann es jetzt nicht mehr ändern. Rausstreichen sieht nicht schön aus und einen Tintenkiller habe ich gerade nicht zur Hand. Außerdem ist dies das vorletzte vorrätige Briefpapier. Den letzten Bogen brauche ich noch für einen anderen Brief. Und zum Einkaufen habe ich keine Lust mehr.«

Ich machte große Augen. Der Ton war unverkennbar. So war Rose. Immer geradeheraus. Ruby musste leise lachen, während der Notar und ich uns einen verdutzten Blick zuwarfen. Erneut räusperte er sich und las weiter.

»Ich verfasse dieses Testament mit höchster Erwartung und Freude. Ich bin so gespannt, was du, meine geliebte Anna, dazu sagen wirst. Ich glaube, ich werde es hören. Wo auch immer ich dann sein werde. Um es kürzer zu machen: Ich bin reicher, als du denkst. Grandpa Louis hat mir mehr hinterlassen, als ihr alle wisst. Er hat kurz vor seinem Tod im Lotto gewonnen. Du weißt, er starb an einem Herzinfarkt. In seinem Lieblingssessel vor dem Fernseher bei der Ziehung der Zahlen der National Lottery. Was du aber nicht weißt und auch kein anderer aus der Familie – er starb, als ihm klar wurde, dass er sechs Richtige mit Zusatzzahl hatte. Ich bin sicher, sein Herz hat die Aufregung nicht verkraftet. Ehrlich gesagt hasse ich das Lottogeld dafür. Er wäre vielleicht noch bei mir, wenn dieser Gewinn nicht gewesen wäre. Aber kürzlich träumte ich von ihm. Er saß auf einer Wolke und flüsterte mir diese Idee für dich ins Ohr. Außerdem riet er mir davon ab, den anderen aus der Familie etwas von dem Geld abzugeben, da sie sich nie wirklich für uns interessiert haben und nur auf sich bedacht sind. Es ist also gut, dass ich den Gewinn vor ihnen verheimlicht habe. Sie wären sonst mit Sicherheit wie die Aasgeier um mich herumgeschwirrt. Also, Grandpa und ich möchten, dass das ganze Geld an dich geht, liebe Anna. Aber nicht nur das Geld. Dein Grandpa und ich machen uns auch Sorgen um Princess. Die alte Bernhardinerdame und du habt euch immer so gut verstanden. Sie gehört mit zum Erbe. Sie darfst du auf jeden Fall behalten. Ich hoffe, du freust dich.«

Mein Mund öffnete sich. Dr. Eugene lugte erneut über seine Brillengläser und fuhr Sekunden später fort.

»Mir tun die Finger weh vom Schreiben. Aber es war noch nicht alles. Hier im Haus gibt es einen knackigen jungen Mann, Landen, der mir helfen wird, ein Video zu drehen. Das ist einfacher. Also sieh es dir an. Ich hoffe, du wirst die richtige Entscheidung treffen. Ruby wird dir helfen. Nicht wahr, meine Liebe? Ich danke dir von Herzen, du verrücktes Huhn. Küsschen, eure Rose.«

Der Notar faltete den Brief langsam zusammen und gab seiner Sekretärin ein Zeichen, woraufhin sie im Nebenraum verschwand.

»Ist das nicht toll?«, jubelte Ruby und umarmte mich. Ich drückte sie eine Armlänge von mir weg und starrte sie an. Ruby schien mehr zu wissen als ich.

»Träume ich? Aber die Obhut für Princess nehme ich liebend gern an, auch wenn sie sabbert wie zehn Kamele«, sagte ich mehr als erstaunt.

In diesem Moment kam Dr. Eugenes Sekretärin zurück und schob einen Fernseher mit DVD-Player neben den Schreibtisch. Sie schaltete ihn an und eilte auf ihren Platz zurück, um sich weiter um das Protokoll zu kümmern. Auf dem Film war Rose zu sehen. Sie saß in ihrem grünen Lieblingssessel, auf dem Schoß eine Packung Trüffelpralinen, für die sie wohl sogar getötet hätte. Das Laster musste ich von ihr geerbt haben. Rose war süchtig danach gewesen. Taff winkte sie in die Kamera und rückte ihre Perücke zurecht.

»Wenn du mich hier siehst, dann weile ich hoffentlich schon bei den Engeln und deinem Grandpa Louis. Mein Schätzchen, ich werde dich nie vergessen. Es tut mir nur weh, dass ich dich so zurücklassen muss.«

Ich schlug die Hände vor den Mund. Rose zu sehen, zu hören, war wie ein Geschenk für mich. Ich beugte mich auf den Bildschirm zu.

»Du musst etwas ändern, Anna. Kämpfe. Erinnere dich an dich selbst. Deine Eltern waren früher immer stolz auf ihr wortgewandtes, kluges Mädchen. Ich bin es noch. Sie hätten immer hinter dir stehen müssen, nicht nur, als du ihnen Freude bereitet hast. Wirklich traurig, dass sie das nicht mehr tun. Keine Sorge, auch sie werden ein Video bekommen. Oder doch nur einen Brief? Ich weiß es noch nicht genau. Und Robert – dieser elende Schweinebraten hat dir dein Selbst gestohlen, dein wahres Selbst. Du hast vergessen, zu leben, wirklich zu leben. Und daran ist größtenteils er schuld. Basta. Ich will, dass du aufwachst, wieder Spaß hast, Liebe findest und den Mut, darum zu kämpfen. Riskiere etwas. Deshalb habe ich diese Überraschung für dich. Mein Erbe.«

Sie hustete, woraufhin ein junger Mann erschien, der ihr ein Glas Wasser reichte und dann wieder aus dem Bild verschwand. Wahrscheinlich war es dieser Landen, den sie in ihrem Brief erwähnt hatte.

»Was hat sie bloß vor?«, stammelte ich ungläubig. In mir tobte ein Orkan aus Fragezeichen.

Im Gegensatz zu mir schien Ruby die Ruhe selbst. »Hör weiter zu.«

»Wenn du auf meinen Vorschlag eingehst, folgendes Spiel durchhältst und glücklich daraus hervorgehst, dann, meine Liebe, bekommst du Louis’ und mein ganzes Vermögen. Ich bin sicher, dass du das schaffen wirst und es dich vorrangig wachrütteln sowie zu deinen Wurzeln zurückbringen wird.« Nach diesem Satz holte sie tief Luft.

Ich stockte. Bisher hatte ich tatsächlich gedacht, Rose hätte nicht mehr als einige tausend Pfund zurückgelegt.

Grandma kramte in ihrer Tasche nach einem Foto und hielt es in die Kamera. Darauf zu sehen war eine schneeweiße Villa mit Veranda, seitlichem Balkon und einem parkähnlichen Garten.

»Die habe ich wenige Monate vor meinem Tod gekauft. Sie gehört zum Spiel. Wenn du es schaffst und sie dir gefällt, darfst du sie neben dem restlichen Vermögen behalten. Nun zu den Spielregeln, mein Schatz. Ruby kann dir im Nachhinein gern noch mehr dazu erklären.«

Ich tauschte einen Blick mit Ruby. Meine beste Freundin steckte mit meiner Grandma also wirklich unter einer Decke. Ich wollte etwas sagen, aber konnte nicht. Meine Kehle war wie ausgetrocknet. Rose erzählte weiter. »Ich vererbe dir, sozusagen auch im Namen von Louis, neben der Villa zehn interessante, sexy Traummänner. Guck nicht so. Du hast richtig gehört.«

Ihre Worte überschlugen sich in meinen Ohren.

»Was?«, stieß ich heiser aus und konnte förmlich spüren, wie ich bleicher wurde.

»Nachdem du in die Villa gezogen bist, wirst du sie kennenlernen. Sieh sie dir genau an, unternehmt etwas, habt Spaß, redet offen. Und am Ende ist hoffentlich ein Mann dabei, der deiner würdig ist, der dein Herz erreicht hat, mit dem du glücklich wirst. Das wünsche ich dir. Ruby hat mir übrigens bei der Auswahl geholfen. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn keines von diesen Schmuckstücken ein Diamant ist, der auch dich wieder zum Strahlen bringt.«

»Du hast was?«, fragte ich Ruby, die nur abwinkte.

»Wir haben ausgewählten Teilnehmern ein Foto von dir und eine kleine Summe zukommen lassen. Alles Weitere wird dir Ruby erklären. Jedenfalls sind sie gespannt darauf, dich kennenzulernen.« Granny warf mir eine Kusshand zu. Ich erwiderte ihre Geste wie in Trance.

»Das war im Grunde schon alles. Das Ganze wird von Ruby und Dr. Eugene überwacht. Habe nur Mut. Sie stehen dir bei. Außerdem haben Louis und ich ein Auge auf dich. Ich bin sicher, dass uns ab und zu ein Blick nach unten gewährt wird. Keine Angst – bei den Du-weißt-schon-Szenen sehen wir weg. Versprochen. Und kein Wort zu deinen Eltern.«

Sie lächelte. Mir wurde schwindlig.

»So, meine liebe Anna. Nun muss ich mich verabschieden. Ich umarme dich in Gedanken und wäre so stolz auf dich, wenn du mir meinen letzten Willen erfüllen würdest und das Spiel mitmachst, aus dem am Ende hoffentlich etwas Wundervolles hervorgeht. Ich liebe dich.«

Rose zwinkerte und flüsterte dem jungen Mann hinter der Kamera etwas zu, das ich nicht verstand. Kurz darauf endete die Aufnahme.

Kalter Schweiß kroch aus sämtlichen Poren und legte sich wie ein feuchtes Tuch auf meine Haut. »Moment … das muss ich erst sacken lassen.«

»Wollen Sie das Erbe oder sagen wir besser die Herausforderung annehmen?«, fragte Dr. Eugene. Seine Stimme klang wie aus weiter Ferne, während Grandma Roses Worte in meinem Kopf hämmerten: zehn Männer. Eine Villa. Princess und ich mittendrin. Die Bernhardinerhündin war bereits zwölf Jahre alt. Grandma und Grandpa hatten sie über alles geliebt. Sie waren Princess’ Hofstaat und Familie gewesen, was ich nun übernehmen sollte und auch wollte, wenngleich Princess die allermeiste Zeit nur herumlag, gekrault und gefüttert werden wollte.

»Wann kann ich Princess haben?«, fragte ich und wischte mir mit dem Handrücken über die feuchte Stirn. Ruby rückte näher an mich heran und suchte meinen Blick, dem ich auswich.

»Sie wohnt bereits in der Villa.«

»Wie bitte?«

Ruby nahm mein Gesicht sanft, aber bestimmt zwischen ihre Hände und hob meinen Kopf an, bis wir auf Augenhöhe waren.

»Was denkt ihr euch nur dabei? Zehn Männer … Das kann ich nicht«, stieß ich aus.

»Das hast du doch gehört. Sie hat es dir gesagt.«

»Das ist verrückt, Ruby. Außerdem habt ihr sie mit Geld gelockt? Über wie viel sprechen wir denn eigentlich bei dieser kleinen Summe, die jeder von denen bekommt?«

Ruby schien ausweichen zu wollen. »Diese Männer ziehen für dich in eine Villa. Außerdem weißt du, wie großzügig Rose immer war.«

»Es ist auch schrecklich, dass zehn angebliche Traummänner vorübergehend in eine Villa ziehen müssen. Und dann auch noch wegen mir. Nur, um mich kennenzulernen. Gut, ihr habt recht. Dafür muss man ihnen schon eine Entschädigung zahlen.« Ich konnte mir den spitzen Ton nicht verkneifen.

Ruby winkte ab. »Nein, nein. Du verstehst das völlig falsch. Sie lassen größtenteils ihren Alltag zurück für dich …«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Wie viel?«

»Es sind nur dreitausend Pfund.«

»Nur? Das kann nicht euer Ernst sein. Wegen mir braucht niemand seinen Alltag aufgeben. Weder größtenteils noch ganz.«

Ruby senkte den Blick und atmete tief durch. »Wir meinen es nur gut. Es gab sogar welche unter den Männern, die das Geld abgelehnt haben. Lerne sie erst einmal kennen und …«

Seufzend legte ich mir eine Hand auf die glühende Stirn. »Was soll ich denn mit zehn wildfremden Männern anfangen?«

Ruby blickte auf. »Also da brauche ich nicht lange zu überlegen.«

Ich wich zurück und hörte, wie Dr. Eugene sich räusperte. »Dann nehmen Sie das Erbe also nicht an? Sie haben noch Zeit, um sich zu entscheiden.«

»Nein«, erwiderte ich prompt.

Energisch, als ginge es um Leben und Tod, trat Ruby neben mich. »Doch, das wird sie.«

In mir tobte noch immer ein Krieg der Gedanken. Das Ganze wirkte zu surreal, einfach komplett irre.

»Das kannst du nicht entscheiden. Wie viel hat sie denn bekommen … ich meine, wie viel hat Grandpa gewonnen?«, fragte ich, stand auf und ging im Zimmer auf und ab.

»Sechseinhalb Millionen«, antwortete der Notar seelenruhig, als wäre es das Normalste auf der Welt. Ich stoppte.

Das … »Wa… was?« Ich bekam den Mund nur schwer wieder zu.

»Sie meint es nur gut mit dir«, sagte Ruby. »Und ich auch. Du wirst hin und weg sein von den Männern. Glaube mir. Ich … wir haben die Crème de la Crème für dich ausgesucht.«

Ungläubig starrte ich sie an. »Und die Crème de la Crème soll gerade auf mich stehen?«

»Aber klar. Jetzt gib dir mal einen Ruck. Mensch, freu dich. Denk allein an Roberts blödes Gesicht.«

3

SPIEGELBILD

Ruby weigerte sich vehement, mir zu verraten, wer die zehn angeblichen Traummänner waren. Nicht einmal ihre Vornamen wollte sie nennen. Um es ihr zu entlocken, ging ich auf das Angebot ein, an einer Weinprobe in ihrem Atelier teilzunehmen. Mein Plan war, dass Ruby vielleicht in angeheitertem Zustand ein wenig redseliger werden würde. Offenbar platzte sie schon jetzt beinahe vor Aufregung. Ich dachte an Grandma Rose, meine verrückte, geliebte Rose. Die hatte sich das Ganze definitiv gut durch den Kopf gehen lassen.

Mit zusammengezogenen Brauen betrachtete ich mich im Spiegel. Das konnte niemals gutgehen. Außerdem, welches Foto hatten Rose und Ruby diesen Männern bloß gezeigt? Zudem gefiel mir diese Sache mit der Bezahlung noch immer nicht, auch wenn Granny es mit Sicherheit gut gemeint hatte.

Ruby empfing mich mit einem verschmitzten Lächeln. »Ich weiß, was du gleich fragen wirst, Ruby. Die Antwort lautet nein, ich habe mich noch nicht entschieden.« Ich ging an ihr vorbei ins Atelier, das verändert aussah. Die Vorhänge vor der großen Fensterfront waren verschwunden. Das Licht der Stadt schien in den großen, mit hellem Marmorboden ausgelegten Ausstellungsraum. Zuvor hatten Neonlichter Rubys Bilder und die einiger Kollegen, die mit ihr hier gelegentlich ausstellten, angestrahlt. In den Ecken und vor zwei Marmorsäulen, in die kleine Brunnen eingelassen waren, gediehen Palmen und Orchideen in weißen Töpfen. Erstaunt sah ich meine Freundin an.

»Das war einst deine Idee. Erinnerst du dich? Du hast mir von Anfang an gesagt, ich sollte auf Natürlichkeit setzen. Das würde dem Ganzen einen besonderen Zauber verleihen.«

»Ich erinnere mich. Meine Güte, das ist Jahre her.«

Ruby breitete die Arme aus und drehte sich einmal im Kreis. »Du hattest recht. Du weißt, was es braucht, um etwas zum Leuchten zu bringen. Natürliches Licht, angenehme Geräusche wie das Plätschern des Wassers, und Leben – die Blumen.«

Ich rührte mich nicht, und auch Ruby hielt inne. »Ich will dieses Leuchten auch wieder an dir selbst sehen, Anna. Vor allem in deinen Augen. Du willst das doch auch.«

Ruby ging um mich herum und schob mich vor den großen ovalen Wandspiegel, der am anderen Ende des Raumes hing.

»Sieh dich an. Deine Augen sind matt, du bist … entschuldige, zu einem Schwarz-Weiß-Gemälde geworden. Hol dir die Farben zurück, den Glanz. Ich weiß, dass da drunter eine Schicht voller Farben liegt, die jeden Betrachter in den Bann ziehen wird. Du musst sie nur rauslassen, es wirklich wollen. Öffne deinen Mantel, lass sie explodieren, Anna.«

»Im Moment gibt es Wichtigeres«, murmelte ich und wollte einen Schritt zur Seite gehen. Ruby ließ nicht locker und hielt mich weiter fest.

»Oder willst du die alte Anna gar nicht wiederfinden, daran anknüpfen?«

Ich pustete leise Luft aus. »Sie wurde in den Jahren mit Robert immer tiefer begraben«, erwiderte ich. Das hörte sich irgendwie schwachsinnig an, war aber im Grunde wahr. Ein einziger Mensch hatte es geschafft, mich sozusagen lebendig in mir selbst zu begraben. Sollten nun zehn fremde Männer mir dabei helfen, mich wieder auszubuddeln? Absurd.

»Ich glaube an Wunder und du bist eins, verdammt. Du bist nicht tot, nur dein Kopf ist es. Wach auf, tu was. Du hast dich so lange vernachlässigt, bis du dich selbst vergessen hast. Lass uns dir helfen«, protestierte Ruby.

Kurz darauf hörte ich das Klacken der Eingangstür, dann eine männliche Stimme, die mich von der ersten Silbe an anzog wie ein Magnet. Sie klang weich und zeitgleich so tief wie ein Ozean. Ruby und ich drehten uns um. Vor uns stand ein junger Mann, der wie ein Rockstar gekleidet war. Sonnenbrille, lässiges rotes Jackett, weißes Hemd, dunkelblaue Jeans und weiße Sneakers. Er zog eine Braue hoch, strich sich durch sein braunes, leicht lockiges Haar und nahm die Brille ab.

»Da bist du ja«, begrüßte ihn Ruby. Der Fremde und sie umarmten sich kurz.

Er lächelte. »Aber klar. Für dich immer, Süße.«

Sie zeigte auf mich. »Das ist sie – Anna Nash, vorher Voss. Aber das vergessen wir wieder ganz schnell.«

Der Mann scannte mich. »Christian Blake … interessant.«

Ich konnte nicht verhehlen, dass sein Blick mich faszinierte. Es war, als würde er durch seine marineblauen Augen tief in meine Seele sehen und dort etwas Bestimmtes suchen. Er kam ganz nahe, als wollte er mich hypnotisieren und bat mich mit einer Geste, ihn weiter anzusehen.

»Sogar sehr interessant«, murmelte er.

»Was?«, fragte ich ihn leise.

»Hör ihm einfach zu«, bat Ruby.

War das der Typ, der uns die Weine vorführen wollte? Oder gar einer der zehn versprochenen Traummänner? Meine Gedanken überschlugen sich.

»Es ist da. Ja, ich sehe es, ich kann es deutlich spüren«, sagte er und entließ mich. Ruby kannte seltsame Typen, das war keine Neuigkeit, aber der hier war mehr als seltsam, wenngleich auch verdammt anziehend.

»Das habe ich doch gesagt. Zeig es ihr«, erwiderte Ruby.

Ich riss mich aus meiner kleinen Trance, in die ich gefallen war. »Moment. Was zeigen?«

»Er sieht dich, wie du wirklich bist. Christian ist ein Meister darin. Er kehrt die innere Schönheit nach außen. Er kann dir zeigen, was du aus dir machen könntest, wenn du nur wieder den Mut dazu finden würdest«, erklärte Ruby und warf ihm eindeutige Blicke zu. Ich war sicher, dass meine Freundin sich in den Maler verguckt hatte.

Das, was Ruby über seine Arbeit sagte, klang durchaus interessant und wiederum verrückt. Dennoch wollte ich nicht sein neues Projekt werden. Ich schaute auf meine Armbanduhr. Noch fünf Stunden, bis ich unter die Decke schlüpfen und dieser Welt für eine Weile entfliehen konnte. Vielleicht würde ich was Schönes träumen. Der Unterricht würde für den Rest der Woche zum Glück erst um neun beginnen.

»Denk nicht einmal dran, jetzt zu gehen«, sagte Ruby, nahm mich an der Hand und führte mich in eines ihrer Arbeitszimmer. In einer Ecke war ein Tisch mit Gläsern und verschiedenen Rotweinflaschen gedeckt. Mitten im von Kerzenschein erfüllten Raum stand eine grüne Couch, über deren Lehne ein weißes Seidentuch hing. Mein Magen grummelte.

»Bist du bereit?«, fragte Christian und stellte sich dicht neben mich. Sein Parfum duftete würzig, herb und dennoch süßlich nach Erdbeeren und Schokolade. Das gefiel mir.

»Er malt dich, wie Gott dich geschaffen hat«, erklärte Ruby und zwinkerte mir zu. Dieses Zwinkern gefiel mir ganz und gar nicht.

»Du meinst … nackt?«

Christian zog von dannen, wahrscheinlich, um seine Malutensilien zu holen.

Ich zeigte Ruby einen Vogel.

»Was denn?«, fragte sie.

»Das geht nicht. Bist du verrückt?«

Ruby bugsierte mich Richtung Couch. »Es wird dir gefallen. Außerdem wird Robert es sehen und glaube mir, er wird blass werden vor Staunen.«

Ich mochte es nicht, wenn Ruby in Rätseln sprach. »Robert? Wie meinst du das, er wird es sehen?«

»Ich habe morgen eine Ausstellung und ihm eine Einladung geschickt. Der Champagner ist umsonst, die Häppchen auch. Du weißt, dass er bei so etwas nie widerstehen kann.«

Meine Kopfhaut prickelte unangenehm. »Vor allem konnte er deinen Kolleginnen nie widerstehen. Wenn ich da an diese Sue denke. Die hat er buchstäblich ausgezogen mit seinen Blicken. Ich wollte es nur nicht sehen, wie so vieles nicht.«

»Du bohrst schon wieder in der falschen Vergangenheit und drohst in einer Endlosschleife stecken zu bleiben, die dich nach unten zieht. Erinnere dich lieber an die Zeit vor Robert, hol einen Teil davon ins Jetzt und kreiere damit eine neue Zukunft, eine neue Anna. Na komm schon. Hab Mut.«

Ruby zerrte mich geradezu in eine Umkleidekabine, die sich in einem angrenzenden Raum befand. Sie warf mir ein Badetuch und ein weißes Spitzennachthemd zu, in das, wie ich fand, wohl nicht einmal Barbie gepasst hätte, und zog den Vorhang zu.

»Vergiss es. Außerdem passe ich da nicht hinein. Es wird aus allen Nähten platzen.«

»Dann halt die Luft an, bis du auf der Couch liegst.«

Ha, ha. Aber sie meinte es offenbar ernst. Christian kam zurück. Ich hörte, wie er seine Sachen auspackte, bereit zum Angriff.

»Wo ist die Leinwand, Ruby?«, fragte er.

»Momentchen noch.«

Blitzschnell schob Ruby den roten Vorhang der Umkleide zur Seite, in der sich sonst ihre Aktmodelle um- beziehungsweise auszogen, und reichte mir eine geöffnete Flasche Wein sowie ein Glas. Ich dachte noch einmal nach. Nun gut, vielleicht würde das Bild wirklich gut werden, so gut, dass Robert aufwachen und sehen würde, dass ich keine Nullachtfünfzehn-Frau war – oder gar weniger. Vielleicht konnte Christian wirklich Wunder vollbringen. Ich stellte das Glas zur Seite und trank aus der Flasche. Beim Überziehen des Kleides knackste es verdächtig an ein paar Stellen.

»Bist du so weit?«, fragte Ruby.

Der Alkohol benebelte sofort meinen Kopf, in mir stieg eine wohlige Wärme auf. Mit jedem weiteren Schluck sank zudem meine Hemmschwelle, und ich trat direkt auf die Couch zu. Als ich mich darauf niederließ, riss eine Seitennaht des Kleides. Den Rotwein hielt ich fest mit den Händen umklammert.

»Ups«, sagte ich, musste sogar lachen.

Ruby lächelte und Christian zückte eine seiner schwarzen Kreiden.

»Du liegst zu unbequem. Lass dich fallen«, bat er mich.

Bedeutete das, dass ich selbst angetrunken noch zu steif wirkte? Ruby half mir, massierte meine Schultern. Ich sank tiefer in die Couch und konzentrierte mich auf Rubys Worte.

»Gleichmäßig atmen, Anna. Ein und aus … ein und aus … ein und aus … denk an etwas Schönes.«

Ich brauchte noch einen Schluck und merkte kaum, wie Ruby mir die Brille von der Nase zog. Die Umgebung verschwamm vor meinen Augen, die Zeit schien stehen zu bleiben. Ich spürte die Enge des Kleides nicht mehr, genauso wenig wie meine Scham. Von Minute zu Minute fühlte ich mich freier.

»Genau so, genau so«, hörte ich Christians Stimme wie von weit her.

Er streichelte meinen Körper und meine Seele mit seinen Worten.

»Deine Augen leuchten wie mystische Nordlichter über einem glitzernden Wintersee, der langsam auftaut. Du bist schön, Anna Nash. Ich sehe dein Leuchten. Deine Haut ist so weich und frisch wie das Gras einer Sommerwiese. Deine Grübchen, wenn du lachst, wirken betörend. Ich sehe jede Kleinigkeit, auch die unter der Oberfläche. Ich tauche in dich ein, immer tiefer, ich habe dich gefunden, da bist du, nur du, ungeschminkt …«

Wow. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich so dalag und mich fühlte, als befände ich mich an einem wunderschönen Strand unter Palmen, völlig frei von mir selbst und allem, was meine alte Welt ausmachte. Irgendwann nickte ich sogar ein und träumte davon, wie ich mit den zehn Traummännern im Meer schwamm. Sie trugen mich auf Händen, lachten mit mir und nicht über mich, während wir uns von den Wellen tragen ließen. Der Traum verschwamm zum Albtraum, als ich erkannte, dass jeder von ihnen Roberts Gesicht besaß. Schreiend schreckte ich auf. Ruby und Christian befanden sich in der Nähe. Meine Schläfen pochten. Robert war noch zu sehr in meinem Leben verankert. Wie ich das hasste. Fakt war – der schöne Trip war vorbei.

Christian kam auf mich zu, beugte sich über mich, streckte mir verwirrt dreinblickend eine Hand entgegen und zog mich hoch.

»Alles in Ordnung?«

»Ich bin eingenickt und habe geträumt.«

»Komm, ich zeige dir dein Bild. Dein wahres Spiegelbild.«

Seine Augen glänzten voller Erwartung, auch in mir stieg Neugierde hoch. Ruby schob die Leinwand näher. Ich hielt die Luft an. Die Frau darauf war tatsächlich ich – und doch so anders. Meine Züge wirkten weicher, ich trug ein Funkeln in den Augen, hatte die Lippen sinnlich geöffnet, der Körper sah anziehend weich aus und lag in perfekter Position. Ein Kribbeln erfüllte mich.

Langsam stand ich auf und ging auf die Leinwand zu. Meine Schritte waren ein wenig unsicher, es kam mir vor, als würde ich auf Wolken gehen.

»Sie ist wunderschön«, flüsterte Ruby.

Ich staunte. »Das soll wirklich ich sein?«

Christian nickte. Die Ernsthaftigkeit in seinem Blick verriet mir, dass er es wirklich so meinte, wirklich so sah. Mir stiegen Tränen in die Augen. »Danke.«

»Gern geschehen – sehr gern«, sagte Christian, sichtlich gerührt. Ich fühlte mich wie auf einer Zeitreise, ein Stück weit wie früher – schön, begehrenswert, frei. Das fühlte sich nicht nur gut, sondern fantastisch an.

4

DIE ENTSCHEIDUNG

Wieder zu Hause brachte mich mein eigenes Spiegelbild allerdings wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Nicht nur dieses. Auch Robert. Der folgte Rubys Einladung am nächsten Abend tatsächlich. Ich wollte ihn nicht sehen und verschwand in den Raum, in dem ich auf Leinwand verewigt worden war. Vorsichtig lugte ich durch den Türspalt. Auch Christian war anwesend und wie ich und Ruby gespannt auf Roberts Gesicht. Er war gekleidet wie so oft – cremefarbener Anzug, die zwei obersten Knöpfe des roten Hemdes leger geöffnet, dazu braune Lederschuhe. Lächelnd plauderte er mit den anderen Gästen. Besonders für die Damen nahm er sich Zeit. Mir fiel auf, dass er dünner und bleicher geworden war. Was Ruby in Wirklichkeit von ihm hielt, schien ihm egal zu sein.

Wenigstens kam er ohne Begleitung und ohne weitere Zettel. Dafür hatte er mir gestern eine WhatsApp geschickt, obwohl er wusste, dass ich das Handy nur selten nutzte. Nun, wo ich ihn sah, kribbelte es mir in den Fingern, ihm doch zu antworten und den Vorschuss zu gewähren. Vielleicht war seine neue Liebschaft bereits in die Brüche gegangen und er sah deshalb so bleich aus. Ich biss mir auf die Unterlippe, als er näher kam, ohne mich zu bemerken. Ich zog die Tür ein bisschen weiter auf. Robert blieb einen Meter davon stehen. Der Geruch seines Aftershaves waberte zu mir – eine Mischung aus Hölzer und Zitronen. Erinnerungen wurden wach. Nein, verdammt, nicht sentimental werden, ermahnte ich mich und war dankbar, dass er weiterging und die Gemälde an den mit warmem Licht bestrahlten Wänden betrachtete. Mit klopfendem Herzen beobachtete ich, wie er sich meinem näherte. Zwei Bilder davor stoppte er und starrte auf eine Leinwand, auf der eine barbusige Schönheit ihren in Rot- und Goldtönen gemalten Körper lasziv räkelte. Langsam fuhr er sich mit der Zunge über die Oberlippe und nippte anschließend genüsslich an seinem Champagner. Ich seufzte, halb wehmütig, halb wütend. Vor unserer Hochzeit und danach in unseren Flitterwochen auf den Fidschi-Inseln hatte er mich auch so angesehen. Als alles neu war, voller Leidenschaft und Fantasie. Da war ich noch frisch und unverbraucht für ihn gewesen.

Wir hatten uns in einer Bar in London kennengelernt. Ich dachte daran, wie er mich mit seinen Blicken und Worten gestreichelt und es merklich genossen hatte, dass ich nicht gleich auf ihn angesprungen war. Natürlich wollte er das verheimlichen, aber ich hatte ihn durchschaut und das Spiel weitergetrieben, so lange ich konnte. Es hatte ihn schier wahnsinnig gemacht. Ich musste kurz schmunzeln. Zwei Monate vergingen, bis ich ihm meine Liebe gestand. Danach ging alles unwirklich schnell, wir heirateten nur drei Wochen später. Sein Antrag im London Eye war wortwörtlich himmlisch gewesen. »Du hast mich ganz schön hingehalten. Aber nun will ich dich fest an mich binden, damit du mir nicht mehr entkommst. Ich fühle mich endlich angekommen.«

Ich schüttelte den Kopf über mich selbst. Robert liebte das Jagen und Erlegen. Am Ende war ich ihm in die Falle gegangen. Ich hatte es romantisch sehen wollen, in der Hoffnung, er würde genau wie ich fühlen, wäre tatsächlich angekommen und brauchte keine Spielchen mehr. Nach den Flitterwochen war er sich immer sicherer geworden und sein Interesse schwand mit jedem Tag.

Ruby löste sich von einer Traube junger Gäste und stellte sich demonstrativ vor Christians Gemälde. Robert zögerte sichtlich, zu ihr zu gehen, überwand sich dann jedoch. Meine Freundin lächelte verkrampft und er tat es ihr gleich. Oberflächliche Freundlichkeiten wurden ausgetauscht. Ich bemerkte, dass sein Blick an Christians Gemälde hängen blieb. Eine tiefe Falte bildete sich zwischen seinen Augen, als Ruby etwas sagte.

Ihre Worte gingen in den Stimmen der übrigen Anwesenden unter, sodass ich nichts verstehen konnte. Robert schmunzelte erst, dann lachte er. Ruby verzog den Mund. Er trank sein Glas aus, stellte es weg, sagte etwas und ging. Für einen Moment glaubte ich, mein Herzschlag würde aussetzen.

Mir wurde heiß und kalt zugleich, als stünde ich mitten in einer Gewitterfront. Ruby kam in ihren bunten High Heels zu mir und schloss die Tür hinter sich.

»Dieser Mistkerl«, schimpfte sie.

»Was hat er gesagt?«

Ruby tippte sich an den Kopf. »Dass der Maler wohl eine Brille bräuchte.«

Nun war auch mir nach etwas zu trinken zumute. Ich fühlte mich so nackt wie auf dem Gemälde und ärgerte mich über mich selbst, weil der Stachel seiner Reaktion immer noch mitten ins Ziel traf – mein Herz. Verdammt, es sollte mir egal sein.

»Komm mit raus«, sagte Ruby und schob mich Richtung Tür.

Niemals. »Ganz sicher nicht. Ich habe gleich gewusst, dass das ein Reinfall wird. Ich werde ihm nun nicht auch noch unter die Augen treten. Außerdem … sieh mich an.«

Ich blickte an mir hinunter. Das grüne knöchellange Abendkleid, das ich weit hinten im Schrank gefunden hatte, klebte an mir wie eine zweite Haut und setzte mein Hüftgold, wie ich nun fand, perfekt in Szene.

Ruby überlegte nicht lang, kramte nach einer Schere und stellte mich vor den Spiegel. »Dir gefällt es so also nicht. Richtig?«

»Absolut richtig.«

Ruby kniete sich neben mich. »Gut. Dann vertrau meiner genialen Kreativität.«

Ich vertraute ihr. »Was wird das?«

»Ein sexy Schnitt. Das Ding ist sowieso schon so alt, als stammte es aus einem anderen Leben.«

»Stopp. Meine Beine sind –«, protestierte ich.

»Toll. Verdammt, Anna. Jetzt halt still.«

Ach egal. Ich gab auf und ließ es einfach über mich ergehen. Ruby setzte die Schere zwei Zentimeter über meinen Knien an und trennte den Stoff ab. Okay, nicht egal.

»Ich werde ihm nicht gefallen und er sich nur lustig machen. Das will ich mir nicht geben«, sagte ich und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Im Grunde ist Robert völlig nebensächlich. Aber es tut ihm gut, wenn er ein bisschen gereizt wird. Also tritt nun Plan B in Kraft. Der wird dir zudem vielleicht den Schubs für die richtige Entscheidung geben.«

»Ich will keinen Plan B. Macht es dir eigentlich Spaß, in Rätseln zu sprechen?«

Ruby gab keine Antwort, richtete sich auf und warf einen Blick in den Spiegel. Dann spitzte sie ihre Lippen und eilte in die Umkleide. Ich legte den Kopf schief. Okay. Eins musste ich zugeben. So sah das Kleid mit mir oder ich mit dem Kleid wirklich besser aus, und die Beine wirkten, wenn sie auch bleich waren, eigentlich sogar elegant. Ich war erstaunt. Ruby kam mit einem fließenden weißen Stoff zurück, den sie mir gekonnt über die Schultern legte, sodass er meinen Oberkörper bis zu den Hüften umspielte.

»Jetzt noch die Brille«, bemerkte sie wie nebenbei.

»Dann bin ich blind wie die Blindschleichen in meinem Garten.«

»Aber du wirst nicht blind sein und auch nicht kriechen. Du wirst aufrecht gehen und ihm in die Augen blicken, lächeln und Anna Nash sein. Die Anna Nash. Ruby hat an alles gedacht – tada, Kontaktlinsen.«

»Was? Nein. Ich hasse die Dinger. Die drücken elendig.«

Ruby verdrehte die Augen, ging zur Tür und schielte hinaus. »Ich glaube es nicht. Langsam benimmst du dich wie eine Diva«, murmelte sie.

Ich mochte keine Diven. »Wirklich? Entschuldige.«

Ruby winkte mich zu sich. Ich rückte meine Brille zurecht und schaute ihr über die Schulter. Ein lasziv dreinblickender Hungerhaken schmiegte sich an Roberts Seite. Galle schwappte mir in den Hals. Der Schuft hatte wirklich keinerlei Taktgefühl. Er hatte seine Freundin also doch herbestellt. Mit ihren schwarzen zwanzig Zentimeter hohen High Heels reichte Evie ihm gerade mal bis zur Schulter. Sie tänzelte um ihn herum. Ich wettete, dass er die letzten Scheine zusammengekratzt hatte, um Evie dieses schwarze und mit Glitzersteinchen besetzte Nichts zu kaufen. Die blonden Haare hatte sie gekonnt hochgesteckt. Sie schwang ihre Hüften. Das Licht der Scheinwerfer verfing sich in der silbernen Kette, die sie um ihren Hals trug. Evie lächelte wie ein Model für Zahnpasta, als Robert sanft und merklich stolz einen Arm um ihre Schultern legte. Sicher gaukelte er ihr eine tolle Zukunft vor. Oder aber sie liebte ihn wirklich. Ich schluckte. Der säuerliche und bittere Geschmack der Galle breitete sich in meiner Kehle aus. Es war vergeblich. Ich war zu wütend, immer noch verletzt, verzweifelt – alles zugleich. Innerlich explodierte ich beinahe, als er auf mein Bild deutete und Evie etwas zuflüsterte, woraufhin diese kichern musste.

Ruby zückte ihr Handy und wählte eine Nummer. »Wo bist du denn? Es ist schon eine halbe Stunde über der Zeit, mein Lieber. Ja, dann beeil dich. Pronto.«

Ich konnte den Blick nicht von Robert und Evie abwenden. Ich hörte, wie Ruby sich entfernte. Kurz darauf drückte sie mir eine Champagnerflasche in die Hand.

»Wir sind gleich bei dir. Trink das.«

»Bei dir werde ich noch zur Alkoholikerin«, erwiderte ich.