Heimat-Roman Treueband 6 - Sissi Merz - E-Book

Heimat-Roman Treueband 6 E-Book

Sissi Merz

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Beschreibung

Lesen, was glücklich macht. Und das zum Sparpreis!

Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.

Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.

Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Alpengold 164: Sein Edelweiß - ein letzter Gruß
Bergkristall 245: Und Amor lacht dazu
Der Bergdoktor 1685: Allein auf ihrem schönen Hof
Der Bergdoktor 1686: Das Flehen einer Mutter
Das Berghotel 101: Ein Kuss sagt mehr als tausend Worte

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 621

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2013/2014/2015 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv von © Bastei Verlag/Michael Wolf ISBN 978-3-7325-8230-3

Sissi Merz, Ursula Von Esch, Andreas Kufsteiner, Verena Kufsteiner

Heimat-Roman Treueband 6 - Sammelband

Inhalt

Sissi MerzAlpengold - Folge 164Gibt es keine Liebe mehr für Valerie? Vogelgezwitscher erfüllt die Luft, und die Natur erwacht endlich zu neuem Leben. Obwohl alles um sie herum grünt und blüht, ist Valeries Herz an diesem klaren Frühlingsmorgen schwer, und wie von selbst tastet ihre Hand nach dem Anhänger an der dünnen Kette um ihren Hals. Ein Edelweiß ist in die kleine Glaskugel eingeschmolzen - der letzte Gruß ihres Liebsten! Ein gutes Jahr ist's nun her, seit der junge Burgmüller-Simon oberhalb der Geierklamm aufgestiegen ist, um Valerie ein Edelweiß zu bringen. Und bei diesem Liebesdienst hat er den Tod gefunden! Nie mehr, so glaubt Valerie, glücklich werden zu können. Doch die Dinge sind ganz anders, als sie scheinen. Und gerade, als Valeries Tränen trocknen und sie ihr Herz wieder einem Burschen zu öffnen wagt, da kommt es auf dem Hof ihrer Eltern zu einem schockierenden Wiedersehen, das alles infrage stellt, an das Valerie je geglaubt hat ...Jetzt lesen
Ursula von EschBergkristall - Folge 245Ach, was für ein wunderbarer Tag! Hat je die Sonne so schön vom Himmel gelacht? Haben je die Vögel so fröhlich gesungen? Oder ist das alles nur der Widerschein des großen Glücks, das die Herzen von Lorenz und seiner Marie erfüllt? Sie haben nämlich gerade beschlossen zu heiraten, so bald wie nur möglich, weil sie es vor lauter Liebe schon gar nicht mehr aushalten. Noch an diesem Abend wollen sie es den Eltern sagen ... Doch wenn sie freudige Zustimmung erwartet haben, weil man sich ja mag und kennt und gute Nachbarschaft pflegt, so werden die verliebten jungen Leute bitter enttäuscht. Empörung, Entsetzen, Tränen bei den Müttern, ein beinhartes Nein von den Vätern - eine einzige Katastrophe. Marie und Lorenz verstehen die Welt nicht mehr. Was ist bloß in die Eltern gefahren?Jetzt lesen
Andreas KufsteinerDer Bergdoktor - Folge 1685Der ungewöhnliche Wunsch einer enttäuschten Frau. Es ist ein prächtiges Anwesen, gewachsen in Generationen, vergrößert und verschönert von jedem Bauern, der hier gelebt hat. Auch Georg Anhauser, der letzte Besitzer, hat seinen Reichtum stetig vermehrt und seiner jungen schönen Frau ein stattliches Vermögen hinterlassen. "Jetzt hat sie also ihr Ziel erreicht und bekommen, was sie von Anfang wollte. Wetten, dass schon bald die Freier bei ihr Schlange stehen", tuscheln die Leute im Dorf und machen einen großen Bogen um den Anhauser-Hof. Dass Marianne aufrichtig um ihren Mann trauert und dringend Trost braucht, sieht niemand...Jetzt lesen
Der Bergdoktor - Folge 1686Der Bergdoktor ist ihre letzte Hoffnung. Nie - niemals wieder wollte Valerie Reinhardt nach St. Christoph kommen, denn hier hat sie die schlimmste Demütigung ihres Lebens erfahren. Damals, kurz nach dem Tod ihres Mannes, hat sie Trost und Hilfe bei seiner Familie gesucht und ist auf eine eisige Mauer aus Ablehnung gestoßen. Trotzdem ist Valerie jetzt wieder auf dem Weg in das abgelegene Bergdorf im Zillertal. An ihrer zitternden Hand hält sie Sophie - ihre kleine todkranke Tochter. Wenn es noch eine winzige Chance gibt, einen passenden Knochenmarkspender für die Vierjährige zu finden, dann nur hier...Jetzt lesen
Verena KufsteinerDas Berghotel - Folge 101Tagsüber betreibt die junge Franziska in München eine erfolgreiche Schneiderei, doch an den Abenden fühlt sie sich oft einsam. Schon seit einiger Zeit ist sie heimlich in ihren gut aussehenden Nachbarn Alexander verliebt. Der scheint sie jedoch gar nicht wahrzunehmen, und Franziska ist viel zu schüchtern, um ihn anzusprechen. Da hat ihre quirlige Freundin Gisela die Idee, im Zillertal an einem Flirtseminar teilzunehmen. Anfangs ist Franziska von dieser Idee gar nicht begeistert, doch schließlich lässt sie sich umstimmen. Sie kann es kaum fassen, als in St. Christoph dann plötzlich ausgerechnet Alexander vor ihr steht! Wie sich herausstellt, hat auch er sich für das Flirtseminar angemeldet. Ist das Franziskas Chance, ihm endlich näherzukommen? Aber Alexander reagiert unerwartet schroff auf sie. Er macht ihr deutlich klar, dass er von Beziehungen nichts hält. Und doch scheinen seine sehnsüchtigen Augen ihr etwas ganz anderes zu sagen. Was ist nur los mit ihm, weshalb ist er so abweisend? Franziska tut alles, um das Eis zwischen ihnen zu brechen. Doch Alexander verbirgt ein Geheimnis vor ihr. Da verirrt sich die verzweifelte Franziska in den Wäldern und gerät in einen Schneesturm ...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Sein Edelweiß — ein letzter Gruß

Vorschau

Sein Edelweiß – ein letzter Gruß

Gibt es keine Liebe mehr für Valerie?

Von Sissi Merz

Vogelgezwitscher erfüllt die Luft, und die Natur erwacht endlich zu neuem Leben. Obwohl alles um sie herum grünt und blüht, ist Valeries Herz an diesem klaren Frühlingsmorgen schwer, und wie von selbst tastet ihre Hand nach dem Anhänger an der dünnen Kette um ihren Hals. Ein Edelweiß ist in die kleine Glaskugel eingeschmolzen – der letzte Gruß ihres Liebsten!

Ein gutes Jahr ist’s nun her, seit der junge Burgmüller-Simon oberhalb der Geierklamm aufgestiegen ist, um Valerie ein Edelweiß zu bringen. Und bei diesem Liebesdienst hat er den Tod gefunden! Nie mehr, so glaubt Valerie, glücklich werden zu können …

Doch die Dinge sind ganz anders, als sie scheinen. Und gerade, als Valeries Tränen trocknen und sie ihr Herz wieder einem Burschen zu öffnen wagt, da kommt es auf dem Hof ihrer Eltern zu einem schockierenden Wiedersehen, das alles infrage stellt, an das Valerie je geglaubt hat …

Es war ein typischer Aprilmorgen. Der eben noch klare, blaue Himmel bezog sich rasch mit dicken Wolken. Grau und regenschwer trieb der frische Westwind sie über die Wamspitze, den Hausberg von St. Marien. Sie brachten einen kurzen Schauer, doch schon bald blinzelte die Sonne wieder durch die ersten Wolkenlücken und ließ das Dorf im Tal wie frisch gewaschen aussehen.

Valerie Kreindl war damit beschäftigt, ihr langes, braunes Haar zu einem kunstvollen Weizenzopf im Nacken zu flechten. Die bildhübsche Hoftochter, die heuer im vierundzwanzigsten Jahr stand, lebte auf einem prächtigen Berghof oberhalb von St. Marien.

Die Familie Kreindl bewohnte den Hof nun bereits in der fünften Generation. Es war ein imposantes Gebäude, erbaut im Ländlerstil mit ausladendem Schindeldach, umlaufenden Holzbalkonen und kunstvoller Lüftlmalerei. Auch die Nische für die Muttergottes neben der Haustür fehlte nicht. Im Sommer quollen die Blumenkästen von roten und weißen Geranienwolken nahezu über.

Das Haus war gut in Schuss, denn Sepp Kreindl, Valeries Vater, gab viel auf den ererbten Besitz.

In den Stallungen stand das Milchvieh, das nun bald wieder auf die saftigen Almen getrieben wurde, um besonders gute Milch zu geben. Der Kreindl hielt auch Mastschweine und Ochsen. Auf dem Hof gab es außerdem Hühner, Enten, mehrere Hauskatzen und einen etwas betagten Hofhund, der seine Hütte aber schon vor einer ganzen Weile mit dem gemütlicheren Platz am Kachelofen vertauscht hatte.

Neben der Viehzucht wurde auf dem Erbhof Feldwirtschaft betrieben, Getreide und Viehfutter angebaut, und im Sommer kam der alte Gobler-Hias aus dem Tal herauf, um die Sennhütte oberhalb des Hofes zu bewirtschaften. Der betagte Senn machte den besten Käse im ganzen Werdenfelser Land. Die Feinkostläden und besseren Restaurants in halb Bayern standen dafür Schlange. Und weil der Alte nur eine begrenzte Menge seiner Spezialitäten herstellte, waren sie begehrt und rar wie Gold.

Jetzt im April wartete auf den Feldern im Tal wieder die Arbeit, und bald stand der Almauftrieb an. Die etwas ruhigere kalte Jahreszeit war nach einem langen Winter endlich vorbei.

Valerie lächelte wehmütig bei diesem Gedanken. Früher hatte sie den Frühling geliebt. Wenn die Tage länger wurden, der Himmel blau war und die Vögel lustig zwitscherten, hatte sie gern lange Bergwanderungen unternommen. Das tat sie zwar auch heute noch, aber nicht mehr mit unbeschwertem Herzen. Dafür hatte das Schicksal ihr zu hart mitgespielt.

Unbewusst griff das Madel an die feine Goldkette, die immer um seinen schlanken Hals lag. Sie enthielt einen besonderen Anhänger, eine Glaskapsel, in der eine kleine, graue Blüte eingelegt war, ein Edelweiß.

Valeries Blick verschleierte sich. In ihren klaren, sonst fast himmelblauen Augen zeigte sich eine tiefe Traurigkeit. Nun sahen sie ganz dunkel aus, und so war es der Hoftochter auch ums Herz. Wenn die Erinnerung sie überkam, dann trat die Wirklichkeit für eine Weile in den Hintergrund. Dann war es ihr, als erlebte sie den schlimmen Moment noch einmal, der vor etwas mehr als einem Jahr ihr Leben so grundlegend verändert hatte.

Mit einem schweren Seufzer ließ Valerie den Anhänger los und zwang sich, nicht mehr daran zu denken. Zu oft hatte sie geweint, zu oft hinüber zur Wamspitze geblickt und sich leise immer wieder die Frage gestellt »Warum?«, ohne je eine Antwort zu erhalten.

Es hatte keinen Sinn, sich in den quälenden Erinnerungen zu verlieren, auch wenn der Schmerz sie immer wieder anfiel, beinah noch ebenso schlimm wie am ersten Tag. Sie musste versuchen, damit umzugehen, obwohl sie auch heute noch nicht recht wusste, wie sie das schaffen sollte.

Die schöne Hoftochter wischte sich tapfer über die Augen und verließ ihre Kammer. Das Leben ging weiter. Sie hatte Pflichten, die sie erfüllen musste und wollte. Und irgendwann würde sie dies vielleicht auch wieder mit frohem Herzen tun …

Valerie lief leichtfüßig die Stiege hinunter und betrat gleich darauf die Küche. Hier war ihre Mutter damit beschäftigt, das Frühstück zu richten. Eine der Küchenmägde ging Ursula Kreindl dabei zur Hand. Aber sie stellte sich dabei so ungeschickt an, dass die Bäuerin sie ständig ermahnen musste. Als sie Valerie gewahrte, zeigte sich ein erleichtertes Lächeln auf ihrem noch immer schönen Gesicht.

Mutter und Tochter sahen einander sehr ähnlich. Valerie hatte die strahlenden Augen und das glänzende Haar von Ursula geerbt. Und auch die gut gewachsene, schlanke Figur. So war es nicht verwunderlich, dass sie zu den besten Partien im Dorf zählte.

»Guten Morgen«, grüßte das Madel freundlich. »Geh und deck den Tisch, Milli, ich helfe der Mama jetzt!«

Die Magd nickte gleichmütig und verschwand dann recht behäbig.

Ursula drückte ihrer Tochter ein Busserl auf die Wange, schaute sie kurz prüfend an und wollte dabei wissen: »Hast du geweint?«

»Nur ein bisserl«, murmelte Valerie und schlug Eier für die morgendlichen Pfannkuchen auf. Sie hatte die Haushaltsschule in Garmisch erfolgreich besucht, war eine gute Köchin, stand gern am Herd und zauberte die feinsten Nachspeisen. Ihre knusprigen Frühstücksküchlein fanden täglich reißenden Absatz.

»Valerie, ich sorg mich um dich«, gab die Mutter da zu. »Über ein Jahr ist es jetzt her. Du musst endlich vergessen.«

»Wenn ich das nur könnte …« Das Madel lächelte freudlos. »Ich geb mir ja wirklich Mühe, darüber hinwegzukommen. Und manchmal mein ich, dass ich es geschafft habe. Aber dann muss ich wieder daran denken und hab das Gefühl, dass alles um mich herum schwarz und trostlos wird. Trotzdem gebe ich net auf. Ich muss das allein schaffen, dabei kann mir keiner helfen.«

Obwohl Ursula anderer Ansicht war, schwieg sie, denn sie wusste, dass sie ihrer Tochter tatsächlich nicht helfen konnte. Schließlich hatte sie es oft genug versucht. Aber reden allein konnte da nicht viel ausrichten. Und auch wenn ihr liebendes Mutterherz Valerie gern den Kummer abgenommen hätte, so musste sie doch einsehen, dass dies unmöglich war. Die Berghofbäuerin hoffte aber von Herzen, dass die Zeit auch bei Valerie alle Wunden heilen würde.

»Hm, das duftet wieder!« Ursula lachte, als Valerie ihr ein Stückerl frischen Pfannkuchen in den Mund schob. »Fein!«

»Der Vater hat gestern gesagt, dass an mir eine Zuckerbäckerin verloren gegangen ist. Ich glaub, es liegt aber in der Hauptsache an den Rezepten von der Tante Christa. Ich will nachher noch zu ihr, sie hat wieder was Neues ausprobiert.«

»Du steigst ins Tal ab?«

»Ja, ich muss doch zur Krämerin. Und auf dem Rückweg schau ich dann später auch bei den Gerbers vorbei, wenn es dir recht ist. Oder brauchst du mich im Haus?«

»Nein, geh nur! Bei dem schönen Wetter mag man net drinnen bleiben, gelt? Und grüß die Christa von mir! Ich hab sie schon eine Weile nimmer gesehen.«

»Ihr trefft euch gewiss bald wieder im Kirchenchor. Sie hat ihre Erkältung überwunden und kann wieder an den Proben teilnehmen«, wusste Valerie.

Die Bäuerin maß ihre Tochter so nachdenklich, dass diese wissen wollte, ob etwas nicht stimme.

»Ich weiß net, ob es recht ist, dass du so oft zu den Burgmüllers gehst. Freilich verstehst du dich gut mit der Christa, das war ja schon immer so. Aber deine Besuche dort erinnern dich auch an früher, an das, was du verloren hast. Und das kann doch auf die Dauer net gut sein.«

»Ich kann doch meine Freundschaft mit der Tante Christa net einfach aufgeben. Dass sie fast meine Schwiegermutter geworden wäre, daran denke ich jetzt kaum noch.«

»Wirklich?« Ursula nahm Valeries Hände in ihre und schaute ihre Tochter ernst an. »Gewiss gehst du auch zum Gedenkstein, gelt?« Sie merkte, dass Valerie etwas einwenden wollte, und fuhr entschieden fort: »Das ist schon in Ordnung. Du musst schließlich auf deine Weise damit fertig werden. Aber du solltest trotzdem versuchen, dein Leben zu leben, ohne ständig an die Vergangenheit zu denken.« Sie griff nach dem Anhänger, der um Valeries Hals hing, und nickte dabei langsam und verständnisvoll. »Ich weiß, es ist schwer. Es tut immer noch weh. Aber kein Mensch kann in der Vergangenheit leben. Dann vergisst man darüber irgendwann die Gegenwart.«

Das Madel lächelte tapfer. »Ich dank dir für deine Anteilnahme, Mama. Du musst keine Angst haben, ich vergesse die Gegenwart net. Aber ich kann auch die Vergangenheit net einfach ausblenden. So schnell sterben Gefühle nun mal net …«

***

Nach dem gemeinsamen Frühstück mit dem Gesinde räumte Valerie den Tisch ab und verstaute die Gedecke im Geschirrspüler. Dann nahm sie den Einkaufszettel und ihren Korb und verließ das Haus. Bevor sie sich auf den Weg ins Tal von St. Marien machte, schnitt sie im großen Bauerngarten hinter dem Haus noch einen bunten Tulpenstrauß, den sie geschickt band und in ihren Korb legte.

Die Sonne lachte gerade von einem tiefblauen Himmel, kein Regenwölkchen war mehr zu sehen. Warm war es, Bienen summten durch die klare, würzige Bergluft, Meisen und Buchfinken zwitscherten um die Wette, und aus großer Höhe klang der Schrei eines Bergadlers.

Der Blick ging weit über das Tal von St. Marien bis hinüber zu Dreitorspitze und Zugspitze im Norden, jenen mächtigen Gipfeln, die das ganze Jahr über schneebedeckt waren. Östlich schimmerte das klare, grünliche Wasser des Eibsees, und dahinter erkannte das Madel die ersten Häuser von Grainau. Im Westen schließlich war die Wamspitze zu finden, der Hausberg von St. Marien, der im Leben der jungen Hoftochter eine so schicksalhafte Rolle spielte, hatte er ihr doch das Liebste genommen …

Während Valerie nun dem schmalen Steig folgte, der ins Tal führte, dachte sie noch einmal über das Gespräch mit ihrer Mutter nach. Sie wusste, dass diese es gut meinte, dass sie sich ehrlich sorgte und nur das Beste für ihre Tochter wollte. Und es stimmte wohl auch, was sie sagte.

Valerie musste vergessen, ein neues Kapital in ihrem Lebensbuch aufschlagen, eines, das nichts mehr mit Tod, Trauer und tiefem Kummer zu tun hatte. Aber es stimmte eben auch, was sie selbst gesagt hatte: dass Gefühle nicht so schnell starben. Und ihr Herz, das gehörte noch immer Simon Burgmüller, ihrem Liebsten, der am Tag vor ihrer Verlobung in den Tod gestürzt war, weil er ihr das erste Edelweiß hatte bringen wollen …

Valerie hatte St. Marien bald erreicht und verscheuchte ihre trüben Gedanken endgültig. Sie grüßte jeden freundlich, der ihr begegnete, und hielt einen kurzen Schwatz mit der Krämerin.

Als sie dann aber den Friedhof betrat, übermannten sie die schmerzlichen Erinnerungen erneut. Sie musste wieder an die zurückliegenden Monate voller Trauer und Einsamkeit denken. Sie hatte jede Nacht geweint und war so verzweifelt gewesen, dass sie manchmal gemeint hatte, nicht weiterleben zu können. Es hatte lange gedauert, bis sie sich wieder halbwegs gefangen hatte.

Für die Familie Burgmüller war der Verlust ebenso schwer. Philip, Simons jüngerer Bruder, hatte den Hof übernommen. Die Eltern waren lange nicht über den Tod ihres Älteren hinweggekommen. Vor allem, weil man den Verunglückten nie gefunden hatte. Er war oberhalb der Geierklamm zu einer geschützten Stelle gekraxelt, an der das Edelweiß schon sehr früh im Jahr blühte.

Die Bergwacht hatte nach langer Suche nur seinen Rucksack mit den gebrochenen Blüten gefunden. In dem unzugänglichen Gebiet unterhalb der Wand war es unmöglich, die Suche fortzusetzen. Deshalb hatte Johann Burgmüller sich schließlich entschieden, einen Gedenkstein auf dem Friedhof setzen zu lassen. Auch wenn Simon kein Grab hatte, so gab es nun doch zumindest einen Ort, an den seine Hinterbliebenen gehen und trauern konnten.

Valerie war dafür dankbar. Fast jeden Tag kam sie seit dem Unglück her, sommers wie winters. Sie brachte stets frische Blumen mit und hatte dabei das Gefühl, Simon zumindest ein klein wenig nah zu sein. Auf die Dauer war das tröstlich für sie.

Als sie nun vor dem schlichten Stein mit dem Namen und den Lebensdaten stand, verdüsterte sich der Himmel, und ein kurzer Aprilschauer ging nieder. Valerie merkte es kaum. Sie war in Gedanken versunken, sah noch einmal Bilder aus einer glücklichen Vergangenheit, aus der kurzen Zeit, als sie und Simon an eine gemeinsame Zukunft geglaubt hatten. Aus, vorbei. Durch eine leichtsinnige Dummheit einfach so zerstört.

»Oh, Simon, warum hast du das nur getan?«, sagte sie leise und konnte nicht verhindern, dass eine Träne auf ihren Tulpenstrauß fiel. »So was Narrisches! Für ein Edelweiß sein Leben zu geben, mei, ich müsste dir wirklich böse sein. Wenn ich’s nur könnte, dann wäre alles vielleicht ein bisserl einfacher …«

Ein schweres Seufzen noch, Valerie steckte den Blumenstrauß in die dafür vorgesehene Vase am Fuß des Steins und machte sich wieder auf den Weg.

***

Der Burgmüller-Hof lag am Dorfrand. Während Valerie der Hauptstraße folgte, brach die Sonne durch die Wolken, die feuchten Wiesen leuchteten saftig grün, und die Regentropfen glitzerten wie Diamanten. Eine Amsel sang auf der Spitze einer Föhre ihr melodiöses Lied. Das Madel atmete die würzige Bergluft tief ein und schüttelte die trüben Gedanken ab.

Auf dem Burgmüller-Hof kam ihr Marie entgegen, Philips Frau. Sie hatten erst kürzlich geheiratet und waren sehr verliebt. Die Jungbäuerin hatte eben Eier aus dem Hühnerstall geholt.

Sie begrüßte Valerie herzlich und meinte: »Die Mama hat schon auf dich gewartet. Gewiss wollt ihr wieder Rezepte austauschen, net wahr? Ich beneide dich um deine Koch- und Backkünste, Valerie. Ich krieg auf dem Gebiet net viel zustande.«

»Du musst halt üben, dann geht es irgendwann. Und wenn was gelingt, dann macht es auch Spaß«, meinte das Madel.

»Na, ich weiß net …« Marie begleitete Valerie ins Haus. Christa Burgmüller war damit beschäftigt, das Mittagsmahl zu kochen. Ihre Rezeptesammlung lag bereits auf dem Tisch. Marie kümmerte sich nun um die Speisen, die auf dem Herd vor sich hin köchelten, damit ihre Schwiegermutter etwas Zeit für die Besucherin hatte.

»Schön, dass du kommst, Valerie! Ich hab das alte Rezept für Kletzenbrot von meiner Großmutter gefunden. Aber wenn du dir all die vielen Zutaten anschaust, nimmst du schon vom Lesen allein ein Kilo zu.« Die Bäuerin seufzte. »Dir kann es ja net schaden, rank und schlank wie du bist. Aber ich muss doch aufpassen. In meinem Alter legt man schnell zu.«

»Geh, Tante Christa, du bist doch in den besten Jahren«, hielt Valerie ihr entgegen. Ihr Blick richtete sich kurz auf den Herrgottswinkel, wo vor einem Bild von Simon ein ewiges Licht brannte.

Die Bäuerin merkte es und fragte: »Warst du am Gedenkstein?«

»Sieht man mir das an?«, scherzte das Madel ein wenig lau.

»Ich hab’s mir nur gedacht. Ich geh schließlich auch oft hin, immer wenn ich ins Dorf muss.« Die Bäuerin drückte Valeries Rechte herzlich. »Es tut gut, wenn man das Gefühl hat, ihm dort ein bisserl näher zu sein, net wahr?«

Das Madel nickte. »Zuerst hab ich den Stein gar net besuchen wollen«, gab Valerie leise zu. »Er hatte für mich so was … Endgültiges. Aber jetzt weiß ich, dass der Onkel Johann das Richtige getan hat. Es wird leichter, je mehr Zeit vergeht.« Sie lächelte schmal. »Ich hoff, dass ich irgendwann hingehen und nur an die schönen Zeiten mit dem Simon denken kann.«

»Ich wünsche es dir«, versicherte die Bäuerin aufrichtig.

»Hast du mir das neue Rezept schon aufgeschrieben?«, wechselte Valerie nun das Thema. »Das vom Früchtebrot, meine ich.«

»Ja, ich denk schon. Warte einen Moment.« Christa Burgmüller wühlte eine Weile in ihrer Sammlung, dann seufzte sie und bekannte: »Ich muss es woanders hingelegt haben. Wahrscheinlich in der guten Stube. Da hab ich es gestern nämlich extra noch fein säuberlich für dich abgeschrieben. Einen Moment mal!« Sie verließ die Küche, Marie deckte die Töpfe ab und gesellte sich zu Valerie.

»Ich hab gehört, was du eben gesagt hast. Und da ist was, das mir schon eine Weile durch den Kopf geht«, gab die Jungbäuerin zu. »Der Simon und du, ihr habt euch doch schon von Kindesbeinen an gekannt, oder?«

»Freilich. Wir sind zusammen in den Kindergarten und später in die Schule gegangen. Der Simon war ja zwei Jahre älter als ich. Er hat gerne den Kavalier gespielt und mich gegen freche Buben verteidigt.« Valerie lächelte versonnen. »Das waren noch Zeiten! In dem Alter denkt man, dass das Leben ewig dauert.«

»Und dann später? Ich mein, als ihr älter geworden seid. Immerhin habt ihr euch doch erst kurz vor seinem Tod verloben wollen. Wenn man sich aber schon so lange kennt und sich auch gut ist, dann sollte das doch eigentlich schneller gehen, oder?«

»Du hast den Simon nimmer kennengelernt, deshalb weißt du das net. Aber ich will es dir gerne erzählen.«

»Nur wenn ich keine Wunden aufreiße. Das will ich wirklich net. Du trauerst ja immer noch um ihn.«

»Schon, aber ich kann darüber reden. Also hör zu: Als ich fünfzehn war, da wollte ich vom Simon nix mehr wissen. Er hatte sich ein Mofa zugelegt und war hinter allen Madeln her. Er hatte sich ganz verändert. Unsere alte Freundschaft schien ihm nichts mehr zu bedeuten. Das hat mich wirklich enttäuscht. Dass er sich zu einem solchen Hallodri und Schürzenjäger entwickelt hat, fand ich schrecklich.

Ein paar Jahre lang ging das so. Dann hatte er wohl genug Dummheiten gemacht. Als er die Landwirtschaftsschule besuchte, wurde er ein bisserl erwachsener. Ich bin dann zur Haushaltsschule gegangen, da ist es net ausgeblieben, dass wir uns öfter im Bus nach Garmisch getroffen haben.«

»Ist er denn nimmer mit seinem Mofa unterwegs gewesen?«, wollte Marie interessiert wissen. In der Familie Burgmüller wurde kaum noch über den verstorbenen älteren Sohn gesprochen. Wenn sie Philip mal nach ihm fragte, reagierte der abweisend. Deshalb hörte sie nun aufmerksam zu, was Valerie ihr anvertraute.

»Das hatte er längst gegen einen Baum gesetzt. Geschrottet, wie er das nannte.«

Die Jungbäuerin schüttelte den Kopf. »Klingt so, als wäre der Simon ein arger Hallodri gewesen.«

»Er hatte eine Menge narrische Ideen im Kopf, das stimmt schon. Aber während seiner Ausbildung wurde er ruhiger und besonnener. Da hab ich ihn fast wieder so kennengelernt wie früher.«

»Dann hatte er seine Sturm- und Drangzeit wohl hinter sich.«

»Net ganz. Mit den Madeln hat er immer noch gern geflirtet. Das ist auch der Grund gewesen, weshalb er für mich nie mehr sein sollte als mein alter Spezl aus Kindertagen. Ich hatte keine Lust, nur eine Nummer auf seiner Liste zu sein.«

»Trotzdem habt ihr heiraten wollen. Wie passt denn das beisammen?«, wunderte Marie sich.

»Der Simon hat sich geändert. Das klingt vielleicht komisch, aber so war es. Wir sind jahrelang befreundet gewesen. Ich bin mit ein paar Burschen ausgegangen, es gab aber keinen, der mir wichtig gewesen wäre. Der Simon hat dann wohl begriffen, dass das net ewig so bleiben würde. Er hatte mich lieb. Aber er wusste net, wie er mir das begreiflich machen sollte. Er war sicher, dass ich ihm net trauen konnte. Sein Ruf stand einfach dagegen. Das hat er mir später erzählt. Da hat er sich einfach vorgenommen, mich zu überzeugen.«

»Und wie?«

»Zuerst hat er auf Kirchweih nur mit mir getanzt. Er war ganz anders, ernst und aufrichtig. Hat mir eine Liebeserklärung gemacht. Ich war ziemlich überrascht. Dann hat er mir vorgeschlagen, dass wir uns Zeit lassen. Er wollte sich erst mit mir verloben, wenn ich ihm vertraue.«

»Hast du ihn denn auch lieb gehabt?«

»Schon eine ganze Weile. Ich wollte mir das net eingestehen. Und wenn der Simon sich net geändert hätte, wären wir nie zusammengekommen.«

»Und wie ging es dann weiter?«

»Der Simon war immer für mich da. Wir haben unsere Freizeit zusammen verbracht. Er hat keine andere mehr angesehen, ist nimmer ausgegangen, net einmal mehr in die Wirtschaft. Er war ganz verändert. Und ich hab gespürt, dass er das nur für mich tut. Weil es ihm so viel bedeutet, dass es mit uns klappt. So hat er schließlich mein Herz erobert.«

Marie seufzte. »Mei, ist das romantisch! Beim Philip und mir war es ganz anders. Wir haben uns ineinander verliebt und geheiratet. Wenn ich so darüber nachdenke, gab es gar keine Hindernisse zu überwinden, nix. Es war alles ganz einfach.«

»Sei froh, das ist was Schönes!«

»Aber so eine Liebe, um die man kämpfen muss, ist doch viel romantischer. Etwas ganz Besonderes, meine ich.«

»Der Simon hat sich große Mühe gegeben, so zu sein, wie ich ihn haben wollte. Das ging so weit, dass er mir immer und immer wieder seine Liebe beweisen musste. Bis zuletzt …« Sie verstummte und fuhr sich kurz über die Augen. »Manchmal denke ich, es wäre alles einfacher gewesen, wenn wir net beide unter einem solchen Druck gestanden hätten. Der Simon wollte mir alles recht machen. Und ich hatte ständig Angst, doch einen Fehler zu begehen, wenn ich ihm vertraute. Hallodri bleibt Hallodri.«

»Aber Vertrauen ist wichtig, wenn man sich lieb hat.«

»Freilich, es ist das Wichtigste.« Valerie lächelte traurig. »Der Simon hätte wissen müssen, dass ich ihm vertraue. Dieser Einfall, mir das erste Edelweiß von der Wamspitze zu holen, das war doch total narrisch!«

»Er wollte dir halt beweisen, wie lieb er dich hat.«

»Aber das musste er net! Und ich hab ihn auch gebeten, ach was, angefleht, es net zu tun. Er war zwar ein guter Kraxler, aber die Steilwand über der Geierklamm ist mörderisch. Nein, Marie, das hier …« Sie hielt ihren Anhänger hoch. »Das ist es net wert gewesen. Und das kann ich ihm auch net verzeihen.«

»So, da hab ich es endlich. Es war zwischen die Zeitungen gerutscht.« Christa Burgmüller betrat die Küche und reichte Valerie das Rezept. Während ihre Schwiegertochter sich wieder ums Mittagsmahl kümmerte, setzte sie sich zu ihrem Gast und ging ein paar Rezepte mit Valerie durch. Sie merkte, dass das Madel nicht ganz bei der Sache war, und fragte schließlich: »Stimmt was net? Hast du was auf dem Herzen?«

»Das Gleiche wie immer.« Valerie erhob sich. »Ich dank dir für die Rezepte, Tante Christa. Die werde ich in den nächsten Tagen ausprobieren. Aber jetzt muss ich heim. Ich hab euch schon lange genug von der Arbeit abgehalten.«

Der Abschied fiel etwas überhastet aus. Nachdem Valerie gegangen war, fragte Christa Burgmüller ihre Schwiegertochter: »Was hat die Valerie denn? Sie war eben so komisch.«

»Das war wohl meine Schuld«, vermutete die Jungbäuerin. »Ich hab sie gebeten, mir ein bisserl was von ihr und Simon zu erzählen. Die Erinnerung hat sie wohl ziemlich mitgenommen.«

Die Altbäuerin machte ein bekümmertes Gesicht. »Wen net?«

***

Valerie hatte sich im Tal länger aufgehalten, als sie vorgehabt hatte. Nach dem Mittagsmahl half sie der Mutter mit der großen Wäsche und kam deshalb, anders als geplant, erst gegen Abend dazu, bei den neuen Nachbarn vorbeizuschauen.

Niklas Gerber, ein Herrgottsschnitzer vom Chiemsee, lebte seit einer Weile zusammen mit seiner Schwester Barbara und seiner kleinen Nichte Eva im Nachbarhaus.

Es waren eher zurückhaltende Leute, die sich hier droben oberhalb des Dorfes angesiedelt hatten. Zum Einstand hatten sie sich freilich bei der Familie Kreindl vorgestellt, aber sonst hatte es bisher nicht sehr viele Berührungspunkte gegeben. Niklas saß fast den ganzen Tag in seiner Werkstatt und arbeitete an seinen Heiligenfiguren. Und seine Schwester versorgte nicht nur den Haushalt und kümmerte sich um ihre fünfjährige Tochter, sondern bestellte auch den großen Nutzgarten hinter dem Haus.

Barbara war zwei Jahre älter als Valerie. Die beiden hatten sich ein wenig angefreundet.

Valerie bewunderte die fleißige junge Frau, die ihr Leben offenbar ganz problemlos im Griff hatte. Mittlerweile wusste sie, dass das nur der äußere Eindruck war. Barbara war hübsch mit dem langen, dunklen Haar und den blauen Augen. Sie war klug und patent. Aber auch sie hatte Träume und Sehnsüchte, die sich nicht erfüllt hatten. Über den Vater ihres Kindes sprach sie nie. Nur einmal hatte sie angedeutet, dass Eva das »Produkt« einer Dummheit sei, die sie lange bereut habe.

»Net weil ich von dem Kerl in die Hoffnung gekommen bin. Mutter zu sein, das ist was Großes. Das genieße ich jeden Tag«, hatte sie klargestellt. »Aber auf so einen Windhund hereinzufallen, mei, das ist wirklich deppert.«

Valerie hatte nicht weiter nachgefragt, und Barbara hatte das Thema nie wieder angesprochen. Die Hoftochter wusste nur, dass ihre neue Freundin seinerzeit in Garmisch im Spital gearbeitet hatte. Barbara war nämlich ausgebildete Krankenschwester.

Damals hatte sie öfter Ausflüge in die Umgebung gemacht und so manch schönen Flecken im Werdenfelser Land entdeckt. Als ihr Bruder sich dann entschlossen hatte, einen Hof zu kaufen, und ihr angeboten hatte, mit ihm zusammenzuziehen, war es ihre Idee gewesen, sich hier niederzulassen. Und sie hatten es bislang nicht bereut; sie fühlten sich beide wohl auf ihrem Hof.

Niklas unternahm gern Bergwanderungen, wenn er sich nicht gerade seiner Kunst widmete. So hatte es sich wie selbstverständlich ergeben, dass die Geschwister sich Valerie anschlossen, die sich in der Umgebung bestens auskannte. An diesem Abend wollte sie sich mit Niklas fürs Wochenende verabreden. Barbara war nun nur noch selten mit von der Partie, denn für die kleine Eva waren die Touren noch zu anstrengend. Und Valerie verstand sich mit Niklas ebenso gut wie mit seiner Schwester.

Als das Madel nun bei den Nachbarn am Klingelstrang zog, bewunderte es einmal mehr die überbordenden Blumenbeete zu beiden Seiten des Weges. Barbara hatte im Herbst unzählige Zwiebeln in die Erde gebracht, und nun blühten botanische Tulpen neben Narzissen, Perlhyazinthen, Kaiserkronen und Schachbrettblumen. Dicke Hummeln summten und brummten zwischen den Blüten hin und her, dass es eine wahre Pracht war.

Barbara öffnete. Sie hatte ihr langes Haar hochgesteckt und trug eine Schürze.

»Hallo, Valerie, schön, dich zu sehen! Komm nur rein! Ich bin eben mit Backen beschäftigt. Du kannst mir helfen.«

»Gern. Deine Blumenbeete sind toll. Mei, ich muss schon sagen, du hast wirklich den grünen Daumen.« Valerie folgte der Freundin durch den schmalen Gang und musste ein wenig Slalom laufen, denn Eva hatte ihre Spielsachen malerisch auf dem Boden verteilt.

Barbara seufzte. »Entschuldige die Unordnung! Ich versuche momentan gerade vergebens, Eva das Aufräumen schmackhaft zu machen.«

Valerie lachte und ließ sich auf der Eckbank nieder.

»Die Kleine kommt nach ihrem Onkel. Kreative Leut haben es net so mit der Ordnung, hab ich mir sagen lassen.«

Die Freundin bedachte sie mit einem schrägen Blick.

»Das lasse ich als Ausrede net gelten. Wenn sie mal fünfzehn ist, kann sie ihre Kreativität von mir aus entdecken. Aber zuerst muss sie lernen, Ordnung zu halten. Der Niklas ist gestern über eine Babypuppe gefallen und hat sich das Knie aufgeschlagen. Eines Tages wird sich hier noch einer den Hals brechen.«

»So arg wird’s es net werden. Hat er Schmerzen?«

»Ich glaube net. Aber wenn, würde er es auch net zugeben. Du kennst doch die Mannsbilder …« Barbara deutete auf eine Schüssel mit Teig. »Zeig mir mal, wie man Strudelteig schlägt. Ich habe es schon so oft versucht und bin immer wieder daran gescheitert.«

Valerie wusch sich die Hände und meinte: »Das ist gar net schwer. Nur eine Sache der Übung.«

Während sie den Teig bearbeitete, tauchte die kleine Eva auf. Sie war ein hübsches Kind mit glänzenden, braunen Löckchen und so blauen Augen wie der Frühlingshimmel. Wenn die Kleine lachte, erinnerte Valerie das an etwas. Bislang war sie noch nicht dahintergekommen, was es war. Aber die kleine Eva war ihr auf eine unerklärliche Weise sehr vertraut.

Das Kind kletterte nun auf die Eckbank, stibitzte ein wenig Teig und schaute aufmerksam zu, was Valerie da tat.

»Du musst noch aufräumen, Spatzerl«, mahnte die Mutter sie. »In einer Stund essen wir zu Abend. Und wenn dann immer noch überall dein Spielzeug herumliegt, musst du mit leerem Magen ins Bett.«

»Dann ess ich besser noch ein bisserl Teig«, meinte die Kleine naseweis.

Valerie musste lachen, auch wenn ihr klar war, dass sie dadurch Barbaras Erziehungsversuch untergrub.

Sie hatte den Teig fertig und schlug vor: »Wir könnten doch zusammen aufräumen, Mauserl. Was hältst du davon? Ich zeig dir, wie man das ganz schnell und ordentlich hinkriegt.«

»Fein!«, freute Eva sich. »Du zeigst mir das, und ich schau ganz genau zu.«

»Ja mei, das kann heiter werden!«, seufzte Barbara. Sie füllte den Strudel mit eingelegten Herzkirschen vom letzten Jahr und schüttelte dabei den Kopf. »Woher hat dieses Kind nur seine Unverfrorenheit? Also, von mir ganz sicher net.«

***

Dank Valeries Hilfe gelang der Kirschstrudel, und sein Duft erfüllte bald das ganze Haus.

Barbara lud die Freundin zum Abendessen ein, was diese gern annahm. Als der Tisch gedeckt war, erschien auch Niklas. Er trug noch die alte, ausgebeulte Cordhose und das grobe Leinenhemd, in dem er arbeitete. Die Holzspäne hatte er zwar von den Hosenbeinen geklopft, aber ganz sauber war sein Aufzug trotzdem nicht. Als er Valerie gewahrte, verzog er sich rasch und kehrte wenig später ordentlich angezogen zurück.

»Ich wusste ja net, dass wir Besuch haben«, rechtfertigte er sich und streckte Valerie die Hand hin. »Ich freu mich, dich zu sehen, Valerie.«

»Ich freu mich auch«, erwiderte sie und legte ihre schmale Hand kurz in seine. Dabei schauten sie sich wortlos a, und es schien ihnen beiden schwerzufallen, den Blick abzuwenden.

Niklas Gerber war Ende zwanzig, schlank und sportlich mit dunklem Haar und tiefblauen Augen. Er war ein verschlossener Mensch, und am Anfang hatte Valerie kaum Kontakt zu ihm gehabt. Erst über die gemeinsamen Bergwanderungen waren sie sich ein wenig nähergekommen.

Zwischen ihnen herrschte nun eine tiefe Sympathie. Valerie mochte Niklas sehr. Wie weit dieses Gefühl ging, fragte sie sich aber nie. Schließlich herrschte in ihrem Herzen noch die Trauer. Und an eine neue Liebe wollte sie nicht denken.

Die Freundschaft zu den Gerbers war dem Madel wichtig. Aber Valerie machte keinen Unterschied zwischen Barbara und Niklas. Auch wenn sie sich damit vielleicht selbst etwas vormachte …

»Die Tante Valerie und ich, wir haben heut zusammen aufgeräumt«, erzählte die kleine Eva beim Nachtmahl. »Das war toll! Gelt, Tante Valerie, das machen wir jetzt jeden Tag.«

»Dann musst du der Valerie aber einen Lohn zahlen«, scherzte Niklas. »Ich mein, wenn sie allerweil deine Sachen wegräumt. Oder hast du auch was weggestellt?«

»Ich hab zugeschaut!«, kam es vorwitzig von der Kleinen.

»Dann kannst du es ja jetzt selbst, und ab morgen brauchst du die Valerie nimmer dazu«, merkte Barbara an.

Aber davon wollte Eva nichts wissen. »Ich hab ja nur einmal zugeschaut. Wie soll ich mir denn da alles merken? Ich glaub, das muss ich noch ganz oft machen, bevor ich es richtig kann!« Dabei schaute das kleine Madel so treuherzig drein, dass alle Erwachsenen lachen mussten.

Nach dem Essen brachte Barbara ihre Tochter ins Bett. Alles Betteln und Quengeln nutzte nichts, Eva schaffte es diesmal nicht, ihr keckes Köpfchen durchzusetzen.

Als Barbara in die gute Stube zurückkehrte, hatte ihr Bruder bereits eine Flasche Wein geöffnet. Sie holte noch ein paar Knabbereien aus der Küche und gesellte sich dann zu Valerie und Niklas, die über einer Wanderkarte brüteten.

»Ich denk, wir sollten mal diesen Steig nehmen und bis zum Aussichtspunkt an der Geierklamm wandern. Von dort aus soll man einen wunderbaren Rundblick über das Tal haben«, schlug der junge Schnitzer gerade arglos vor.

Als er den Blick hob und Valerie anschaute, erschrak er. Sie war ganz blass geworden und hatte Mühe, ruhig zu bleiben. Es sah so aus, als ringe sie um ihre Fassung. Da erst fiel Niklas auf, dass er sich gerade eben nicht sehr taktvoll benommen hatte. Barbara schüttelte strafend den Kopf.

»Ihr wolltet doch zum Märchenwald«, erinnerte sie ihren Bruder. »Der liegt oberhalb des Eibsees. Das ist eine Halbtagestour. Wenn das Wetter mitspielt, schafft ihr das am Samstag leicht.«

»Eine gute Idee«, stimmte Valerie zu und lächelte tapfer.

»Magst du net mitkommen, Schwesterherz? Die Eva können wir doch bestimmt mal für ein paar Stunden bei den Kreindls lassen.«

»Ich hab keine Zeit, im Moment ist so viel im Garten zu tun. Außerdem werdet ihr zwei mich ganz gewiss net vermissen, oder?«

Niklas senkte den Blick und schwieg, während Valerie versicherte: »Ich würde mich freuen, wenn du mitkommen könntest. Es muss ja net am Samstag sein. Aber sobald du ein bisserl Zeit hast, unternehmen wir mal wieder zu dritt eine Wanderung, einverstanden?«

Barbara hatte nichts dagegen. So saßen die drei jungen Leute noch eine Weile beisammen, bis Valerie die Augen zufielen und auch Barbara des Öfteren ein Gähnen unterdrücken musste. Niklas erbot sich, die Hoftochter heimzubringen.

Als sie das Haus verließen, stand der zunehmende Mond über der Wamspitze. Der Himmel war samtig schwarz und mit ungezählten Sternen bestickt. Frisch war die abendliche Frühlingsluft und voller süßer Düfte. Valerie atmete tief durch.

»Ein schöner Abend, gelt?«, merkte Niklas an.

»Ja, sehr schön. Endlich ist der Frühling da.«

Sie gingen den schmalen Weg zum Kreindl-Hof nebeneinander her. Als das Madel über einen Stein stolperte, war Niklas gleich zur Stelle und legte fürsorglich einen Arm um Valeries schmale Taille. Sie schaute ihn fragend an.

Im silbernen Mondlicht versponnen sich ihre Blicke für eine kleine Ewigkeit ineinander. Sie merkten beide nicht, dass sie nur so da standen und sich ansahen. Erst als ganz in der Nähe ein Käuzchen schrie, setzten sie ihren Weg fort und waren beide ein wenig befangen.

Beim Abschied an der Haustür gab Niklas sich dann wieder so freundlich wie immer, aber doch auch ein wenig distanziert. Valerie schaute ihn nachdenklich hinterher.

Als der junge Herrgottsschnitzer heimkam, räumte Barbara gerade die Weingläser in den Geschirrspüler. Sie warf ihrem Bruder einen vielsagenden Blick zu und fragte: »Romantischer Mondschein in einer Frühlingsnacht, ist denn das net gefährlich?«

»Geh, Babsi, hör auf damit! Ich mag es net, wenn du mich auf den Arm nimmst«, beschwerte Niklas sich und nahm noch kurz auf der Eckbank Platz. »Du weißt genau, dass ich von der Liebe nix mehr wissen will. Dieses Kapitel meines Lebens ist abgeschlossen.«

»Ja, ich weiß, ist schon recht.« Sie stellte eine Tasse Kaffee vor ihn hin und setzte sich zu ihm. »Deshalb bist du ja auch in die Berge geflüchtet, hast diesen Hof gekauft und der Welt Lebewohl gesagt.«

»Ganz so war es net. Ich hab schon immer in den Bergen leben wollen. Hier hab ich viel mehr Ruhe zum Arbeiten. Und auch bessere Ideen.«

»Ich weiß. Trotzdem frag ich mich …«

»Was? Nur raus mit der Sprache!«

»Aber net, dass du nachher beleidigt bist. Unser gutes Einvernehmen ist mir wichtig.«

»Keine Sorge. Wenn du es ernst meinst, dann sag es nur!«

»Ich glaub, die Valerie mag dich. Und so, wie du sie ansiehst, kann sie dir auch net ganz gleichgültig sein. Vielleicht wird ja noch was aus euch beiden. Gemeinsamkeiten verbinden.«

Niklas hob die breiten Schultern. »Ich mag die Valerie schon. Aber Liebe? Nein, das net. Die hat mich einmal fast am Leben verzweifeln lassen. So was will ich nie wieder mitmachen.«

***

Der Samstag war ein richtiger Schönwettertag. Von einem klaren, blauen Himmel lachte die Frühlingssonne, und kein einziges Wölkchen zeigte sich. Es war schon angenehm warm, aber nicht so, dass man schwitzen musste. Also das ideale Wanderwetter.

Valerie war bester Laune wie stets, wenn es hinaus in die Natur ging.

Ihr Vater vermutete aber noch andere Gründe hinter ihrer guten Stimmung. Beim gemeinsamen Frühstück fragte Sepp Kreindl seine Tochter: »Kann es sein, dass da ein kleines Vogerl den Frühling begrüßt? Ich mein, ich hätt eben in der Küche jemanden wie ein Zeiserl singen gehört.«

Ursula bedachte ihren Mann mit einem strengen Blick. Sie war zwar auch der Meinung, dass sich zwischen ihrer Tochter und dem feschen Herrgottsschnitzer von nebenan etwas anzubahnen schien. Aber sie wollte dieses allzu zarte Pflänzchen unter gar keinen Umständen durch vorschnelles Erkunden zertreten. Ihr Mann meinte es gut, doch er war eben manchmal alles andere als feinfühlig. Auch jetzt verstand er die Rüge in ihrem Blick nicht und hob nur irritiert die Augenbrauen.

»Ich hab kein Zeiserl gehört«, meinte Valerie lapidar. »Aber dass ich gute Laune hab, will ich gar net abstreiten. Nachher geht’s zum Märchenwald. Dort blühen jetzt die Himmelsschlüssel und die Buschwindröschen. Darauf freu ich mich halt.«

»Nur darauf?«, bohrte der Bauer unverdrossen weiter.

»Sepp, es reicht!« Die Bäuerin schnaufte. »Willst du der Valerie vielleicht die Laune verderben?«

»Nur net, Bauer!«, bat der Großknecht Bimberl. »Nachher werden ihre Kücherln nimmer so fein. Das wäre eine echte Sünde.«

Sepp Kreindl verzog den Mund und knurrte: »Schweig, du! Was hast dich in unsere Unterhaltung einzumischen? Wenn du fertig bist mit deinem Frühstück, geh lieber an die Arbeit!«

Bimberl hob die breiten Schultern, lächelte Valerie zu und griff sich im Gehen noch den letzten Pfannkuchen. Ehe jemand etwas einwenden konnte, hatte er das Esszimmer schon verlassen.

»Dann räum ich rasch den Tisch ab und zieh mich um. Der Niklas kommt mich abholen«, erklärte die Hoftochter und erhob sich.

Ursula hielt ihrem Mann kurzerhand den Mund zu, was dieser mit einem verständnislosen Blick kommentierte. Er nahm ihre Hand, hauchte ein Busserl darauf und neckte sie: »Wenn du schmusen magst, Ursel, sag es nur! Musst net gleich handgreiflich werden.«

Er wollte ihr noch ein Busserl stehlen, aber sie verdrehte die Augen und wandte sich ab.

»Also, Sepp, manchmal bist du wirklich das, was sich auf deinen Namen reimt. Du weißt doch ganz genau, dass die Valerie noch um den Simon trauert. Sie ist noch net so weit, an eine neue Liebe zu denken. Und wenn du sie jetzt mit der Nase daraufstößt, dass was sein könnte zwischen ihr und dem Niklas, ja mei, dann wird sie höchstens flüchten und ihn nimmer sehen wollen.«

»Aber warum denn? Wenn er ihr helfen kann, ihre Trauer endlich zu überwinden?«

»So kann nur ein Mannsbild fragen. Deshalb hab ich dich ja auch gebeten, dich herauszuhalten. Die Sensibilität hast du nämlich net gerade mit Löffeln gefressen.« Damit erhob sie sich und verließ das Esszimmer.

Der Bauer seufzte leise und steckte seine Pfeife in Brand. Während sich der aromatische, blaue Dunst zur getäfelten Decke kräuselte, seufzte Sepp Kreindl: »Weibersachen! Hat denn jemals ein Mannsbild die verstanden?«

Ursula betrat die Küche und sagte zu ihrer Tochter: »Geh nur und zieh dich um, das hier mache ich!«

»Danke, Mama.« Valerie zögerte kurz, dann fragte sie: »Meinst du, es ist falsch, wenn ich mit dem Niklas wandern gehe? Wir sind doch nur Freunde.«

»Du musst dich net rechtfertigen, Madel. Du bist erwachsen und es ist deine Entscheidung, mit wem du deine Zeit verbringst. Wobei ich zugeben muss, dass der Niklas uns beiden, deinem Vater und mir, sehr sympathisch ist.« Sie lächelte ihrer Tochter liebevoll zu. »Und davon ganz abgesehen geht es uns ja nur um eines: dass du glücklich bist. Schwer genug hast du es schließlich gehabt im vergangenen Jahr.«

»Ich dank dir, Mama.« Valerie drückte der Mutter ein Busserl auf die Wange und eilte dann aus der Küche.

Wenig später zog Niklas Gerber am Klingelstrang. Valerie war bereits fertig und dirigierte ihn rasch vom Hof, was er verdutzt registrierte.

»Warum hast du es denn so eilig? Ich hätte gern noch deine Eltern begrüßt«, erklärte er, als sie den Hof bereits hinter sich gelassen hatten.

»Ich möchte net zu spät los. Vielleicht hält ja das Wetter heut net«, behauptete das Madel.

Niklas warf einen Blick zum wolkenlosen Himmel und lächelte schmal. »Ja, wer weiß! Es sollen schon seltsamere Dinge passiert sein.« Er schaute Valerie an, die seinem Blick aber auswich.

Die beiden Wanderer nahmen den Steig, der ins Tal führte, folgten ihm aber nicht bis St. Marien, sondern bogen auf halber Höhe in östlicher Richtung ab. Der schmale Weg, der an Weiden und Almen vorbeilief, beschrieb einen weiten Bogen und gabelte sich nach mehreren Kilometern. Valerie und Niklas bogen auf den unteren Abzweig ab und hatten nach einer guten Stunde den Eibsee erreicht. Hier legten sie eine Rast ein.

Das schöne Wetter hatte noch andere Menschen ins Freie und an den See gelockt. Das Wasser war zwar noch zu kalt zum Baden, aber es gab hier neben den befestigten Wanderwegen auch die Möglichkeit zu walken, Fahrrad zu fahren oder zu joggen. Und Freizeitsportler all dieser Kategorien waren unterwegs. Hinzu kamen Paare und Familien, die Picknick machten. Entweder auf den hölzernen Bänken und Tischen am Rastplatz oder einfach im Gras, das nun schon üppig grün spross. Ein junges Pärchen spielte Federball, jemand hörte Musik.

Valerie störte es nicht, dass sie hier nicht ganz allein waren. Niklas hingegen verzog widerwillig den Mund und beschwerte sich: »Das ist ja hier wie auf einem Volksfest! So habe ich mir unsere Wanderung aber net vorgestellt.«

Ein großer schwarzer Hund lief zwischen den Leuten herum und sorgte für Entsetzensschreie.

Valerie musste schmunzeln. Als sie Niklas’ unwilligem Blick begegnete, schlug sie vor: »Brechen wir auf! Im Märchenwald haben wir gewiss wieder unsere Ruhe.«

Der junge Herrgottsschnitzer war gleich einverstanden. Er atmete hörbar auf, als sie die lebhafte Umgebung des Sees hinter sich ließen und in den dichten Föhrenwald traten.

Der Märchenwald war eine sehr alte Schonung, die schon an die hundert Jahre nicht mehr forstlich genutzt worden war. Es gab hier verwunschene Flecken, Lichtungen, die von halb umgestürzten, moosbewachsenen Bäumen umgeben waren, Flechten, die so lang gewachsen waren, dass sie aussahen wie Tang im Meer.

Mitten im Wald, an einer Stelle, die nicht jeder kannte, stand eine uralte, bereits abgestorbene Eiche. Die Einheimischen nannten sie den »Wunschbaum«. Und es gab eine Legende, die besagte, dass Liebende, die sich zusammen unter die kahlen Äste des Baumes stellten und ein Busserl tauschten, ein Leben lang glücklich miteinander sein würden.

Valerie führte Niklas zu dem Wunschbaum. Eigentlich hatte sie es nicht vorgehabt. Sie war selbst ein wenig überrascht, als sie plötzlich vor dem Baumriesen standen. Vermutlich hatte ihr Gefühl es ihr eingegeben, diesen Platz aufzusuchen. Denn da gab es in ihrem Herzen doch so einiges, was sie nicht sehen wollte. Noch nicht jedenfalls.

Niklas schaute sich den Baum eine Weile schweigend an. Schließlich wandte er sich Valerie zu und fragte: »Was ist das hier für ein Platz? Ich fühle mich ganz seltsam. Es ist schön hier, verwunschen und auch ein bisserl mystisch. Aber zugleich scheint es mir, dass es da ein Geheimnis gibt.«

»Du bist ein sehr sensibler Mensch, Niklas. Ja, es gibt hier tatsächlich etwas Besonderes. Das da ist der Wunschbaum. Er ist zwar schon vor langer Zeit abgestorben, aber seine besondere Zauberkraft soll er trotzdem net eingebüßt haben.«

»Zauberkraft?«, wiederholte der junge Mann irritiert. »Und was hat dieser Baum für Fähigkeiten? Verwandelt er vielleicht harmlose Wanderer in Eichkatzerln?«

Das Madel musste lachen. »Net ganz.« Valerie wurde wieder ernst, schaute Niklas aufmerksam an und ließ ihn wissen: »Der Baum gibt wahrhaft Liebenden sozusagen seinen Segen. Wenn zwei sich von Herzen gern haben und sich unter seinen Ästen ein Busserl geben, dann werden sie ein Leben lang glücklich sein.«

»So. Aha.« Niklas wich ihrem Blick aus, er schien sich recht unwohl zu fühlen, denn er schlug vor: »Dann machen wir uns wohl besser wieder auf den Weg. Bevor der Baum uns noch verwechselt.« Er lächelte schmal. »Mit einem Liebespaar, meine ich …«

***

»Hast du was auf dem Herzen, Valerie? Du schaust schon die ganze Zeit so bedrückt aus.« Barbara Gerber füllte zwei Haferln mit Kaffee und setzte sich zu der Hoftochter auf die Eckbank.

Nach ihrer gemeinsamen Wanderung waren Valerie und Niklas von Barbara bereits erwartet worden. Sie hatte Kaiserschmarren zubereitet, die Leibspeise ihres Bruders. Natürlich wurde Valerie dazu eingeladen. Nach dem Essen hatte der junge Schnitzer sich dann in seine Werkstatt verzogen.

Barbara und Valerie saßen noch bei einem Kaffee zusammen. Die kleine Eva hatte das schöne Wetter hinaus ins Freie gelockt, wo das Kind nun lachend und juchzend schaukelte.

»Ach, ich weiß auch net …« Valerie seufzte. »Es ist vielleicht ganz dumm von mir gewesen. Aber der Niklas und ich, wir verstehen uns doch so gut. Da hatte ich heut die Idee, mit ihm zum Wunschbaum zu gehen. Ich hab dir doch davon erzählt.«

»Die alte Eiche, unter der man ein Busserl tauschen soll?«

Die Hoftochter nickte, trank einen Schluck Kaffee und fuhr fort: »Ich dachte, ich teste mal, wie er reagiert. Net, dass ich erwartet hätte, dass er mich gleich busserln will. Obwohl … unangenehm wäre es mir gewiss net gewesen. Aber er war so abweisend, hat sich sogar darüber lustig gemacht. Ich hoffe nur, er hat das net falsch verstanden. Ich möchte nämlich unsere Freundschaft net kaputtmachen. Und ich will auch vermeiden, dass er einen falschen Eindruck von mir kriegt.«

»Magst du meinen Bruder denn? Ich möchte net neugierig sein, aber ich hab auch schon bemerkt, dass da was zwischen euch ist. Allerdings dachte ich mir, dass du noch um den Simon trauerst und deshalb von der Liebe nix wissen willst.«

»Das klingt, als wüsstest du darüber Bescheid«, wunderte Valerie sich.

»Na ja, net aus eigener Erfahrung. Was ich dir jetzt erzähle, das behalt bitt schön für dich, Valerie! Der Niklas wäre gewiss net damit einverstanden, dass du es erfährst. Aber es ist wichtig, damit du ihn besser verstehen kannst und auch begreifst, warum er so zurückhaltend ist.«

»Das klingt ja fast ein bisserl geheimnisvoll. Soll das heißen, dass dein Bruder was zu verbergen hat?«

»Net direkt. Der Niklas hat sich vor ein paar Jahren verlobt. Er hatte das Madel sehr lieb, die beiden waren wirklich füreinander gemacht. Aber dann ist sie mit dem Auto verunglückt. Ihr Tod hat meinen Bruder in eine tiefe Krise gestürzt. Niklas war völlig am Boden zerstört. Er konnte nicht mehr arbeiten, nicht mehr schlafen, nichts mehr essen. Es kam so weit mit ihm, dass er ins Spital musste.

In der Zeit habe ich mich sehr um ihn gekümmert. Verstanden haben wir uns ja immer schon gut. Aber diese Monate haben uns richtig zusammengeschweißt. Es hat lange gedauert, bis Niklas wieder Boden unter den Füßen hatte.«

Valerie hatte atemlos zugehört, nun murmelte sie betroffen: »Aber dann hat er ja etwas ganz Ähnliches durchmachen müssen wie ich. Mei, ich kann ihn so gut verstehen!«

»Deshalb solltest du es auch erfahren. Ihr zwei seid euch sehr ähnlich. Und ich denk mir, dass ihr glücklich miteinander werden könntet. Aber das braucht gewiss mehr Zeit als normalerweise.«

»Ich verstehe. Ist das auch der Grund gewesen, warum dein Bruder in die Berge gezogen ist? Um zu vergessen?«

»Zum Teil sicher. Der Niklas wollte aber schon immer lieber auf dem Land leben. Wir stammen ja aus einem kleinen Dorf. Er hat sich allerweil in die Ruhe und Beschaulichkeit zurück gesehnt. Hier hat er Muße zum Arbeiten und fühlt sich wohl. Ja mei, als ich dann in der Hoffnung stand, da hat er mir angeboten, mit mir zusammenzuziehen. Er wollte mir helfen, sich ein bisserl revanchieren. Und ich war ihm dafür dankbar. Hier kann ich nach Herzenslust werkeln, meiner geliebten Gartenarbeit frönen und mich um Eva kümmern. Wäre ich in der Stadt geblieben und hätte weiter als Krankenschwester im Spital gearbeitet, wäre alles viel schwieriger gewesen. Und ich hätte so viel verpasst. Hast du eine Ahnung, wie schnell Kinder wachsen?«

»Kommt mir gar net so vor.« Valerie lächelte und drückte Barbaras Rechte. »Ich danke dir für deine Offenheit. Jetzt verstehe ich den Niklas noch besser als vorher. Und er ist meinem Herzen ein großes Stückerl näher gerückt.«

»Das ist schön. Ich tät mich freuen, wenn aus euch beiden ein Paar werden würde. Und falls ihr dann eine Hauserin sucht, bewerbe ich mich als Erste um die Stelle.«

Das Madel schüttelte lachend den Kopf. »Mei, Barbara, ich bitte dich! Du hast doch hier wirklich genug zu tun. Der Niklas müsste sich dann allerdings mit dem Gedanken vertraut machen, bei uns drüben als Jungbauer anzufangen. Das wäre eine Gaudi!«

»Oje, mein Beileid. So schön er schnitzen kann, mein Bruder, so ungeschickt ist er im Alltag. Und wenn er eine Maschine bedienen soll, auweh! Da werden eure Milchkühe einiges aushalten müssen …«

So scherzten die Freundinnen noch eine Weile und amüsierten sich köstlich. Valerie war froh, dass Barbara auf ihren lustigen Ton einging, denn dahinter steckten doch sehr ernste Gefühle.

Erst als das Madel am Abend in seiner Kammer im Bett lag, dachte es einmal objektiv über das nach, was Barbara erzählt hatte. Und Valerie horchte auch in ihr Herz. Da war noch immer die Trauer um Simon und dieses kalte Gefühl des Verlusts. Aber da regte sich auch die Sympathie für Niklas, die vielleicht schon viel mehr war.

Valerie lächelte bei diesem Gedanken. Ja, sie mochte Niklas. Und es war gut, dass sie sich Zeit lassen konnten. So würden ihre Gefühle allmählich wachsen und sich vertiefen können, bis sie beide spürten, dass der rechte Zeitpunkt gekommen war.

Vielleicht werde ich irgendwann wieder richtig glücklich sein, dachte Valerie. Überrascht stellte sie fest, dass sie sich dabei nicht wie eine Verräterin fühlte. Sie würde Simon nie vergessen, er hatte immer einen Platz in ihrem Herzen. Aber ihr Leben ging nun einmal ohne ihn weiter. Und ganz ohne Liebe zu sein, wer konnte das schon auf die Dauer aushalten?

***

Marie Burgmüller war am Montagmorgen mit der großen Wäsche beschäftigt, als jemand am Klingelstrang zog. Die Jungbäuerin seufzte. Gerade wenn man so gar keine Zeit hatte, musste Besuch kommen!

Sie verließ die Waschküche und stieg die Treppe hinauf, um zu öffnen. Dass aber auch Milli, die Küchenmagd, nicht zur Tür gegangen war! Sie hütete das Essen und hatte im Moment sonst nicht viel zu tun, im Gegensatz zu Marie.

Christa und Johann waren zusammen nach Garmisch gefahren. Die Bäuerin musste zum Optiker, ihre neue Lesebrille abholen. Außerdem wollten die Burgmüllers noch einkaufen. Zu Mittag würden sie dann wieder daheim sein. Philip arbeitete im Stall.

Als Marie die Diele betrat, prallte sie dort mit Milli zusammen.

Die Magd war leichenblass. Sie starrte die Jungbäuerin aus unnatürlich geweiteten Augen an und murmelte wirr: »Er ist aus der Klamm gestiegen! Jesus, Maria und Josef, das ist gewiss das Jüngste Gericht!«

Marie packte die Magd bei den runden Schultern und fragte streng: »Was ist denn in dich gefahren? Warst du vielleicht am Enzian vom Bauern?«

Milli lachte hysterisch auf. Jetzt erst bemerkte Marie, dass sie eine Bibel und einen Rosenkranz fest an die Brust gedrückt hielt. »Das Jüngste Gericht, denk an meine Worte, Bäuerin!«, rief sie, warf sich auf dem Absatz herum und rannte einfach davon.

Marie wusste nicht, was sie davon halten sollte.

Als erneut geklingelt wurde, beschloss sie, sich später mit Millis seltsamem Zustand zu befassen. Zuerst wollte sie nachsehen, wer an der Tür war. Sie öffnete und sah sich einem Burschen gegenüber, den sie nicht kannte. Er war groß und sportlich, hatte braunes Haar und klare, blaue Augen. Irgendwie erinnerte er sie entfernt an …

»Grüß Gott, ich bin der Simon Burgmüller«, stellte er sich da auch schon vor. »Darf ich fragen, wer du bist?«

»Ich bin die Marie, aber …« Sie schluckte. Nun begriff sie allmählich Millis Reaktion. Der Besucher sah nicht nur aus wie der Simon auf den Fotos, er gab auch vor, dieser zu sein. Aber das war doch ganz unmöglich, denn Simon war …

»Simon!« Philips Stimme hallte über den Wirtschaftshof. Mit langen Schritten eilte er herbei, blieb dann aber doch etwas auf Abstand. Er starrte den Burschen an wie einen Geist. Und in gewisser Weise war Simon das ja auch. »Bist du es wirklich?«

»Freilich, gesund und munter. Ich nehme an, dieses hübsche Geschöpf da ist meine Schwägerin, oder? Mei, alter Schwede, da hab ich wohl einiges verpasst, net wahr?« Er breitete die Arme aus, und Philip fiel richtiggehend hinein. Die Brüder drückten sich herzhaft.

Dann rieb sich der Jungbauer über die Augen und fragte, noch immer fassungslos: »Aber wie ist es möglich, dass du lebst? Wir dachten alle, du wärst in die Geierklamm gestürzt. Die Valerie … Und dann der Gedenkstein, das alles …« Er schüttelte leicht den Kopf, war nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. »Ich kann das gar net glauben. Komm herein und erzähl uns, was passiert ist! Und warum du dich nie gemeldet hast …«

Wenig später saßen die Brüder beisammen in der guten Stube. Marie war es gelungen, Milli zu beruhigen. Diese kümmerte sich nun wieder um das Mittagessen. Als die Jungbäuerin die Stube betrat, hörte sie Simon gerade sagen: »Ich weiß, es war net gerade die feine Art, euch so einen Schock zu versetzen. Du kannst dir gar net vorstellen, wie oft ich das Telefon in der Hand hatte. Aber dann hab ich es net über mich gebracht, euch anzurufen. Ich wollte doch neu anfangen …«

Als die Haustür aufgeschlossen wurde, horchte Simon auf.

»Das sind die Eltern, sie waren in der Stadt«, erklärte Philip und erhob sich rasch. »Ich will sie lieber vorbereiten. Der Vater hat in letzter Zeit leichte Herzprobleme. Und dein unerwartetes Auftauchen hat ja mich schon umgehauen.«

»Ja, geh nur!«, meinte Simon und betrachtete dabei seine Schwägerin aufmerksam. Wie hübsch sie war! Eigentlich viel zu schade für den faden Philip …

Es dauerte nicht lange, dann wurde die Stubentüre aufgerissen, und Christa Burgmüller stolperte herein. Sie war tränenblind und warf sich mit einem schmerzlichen Aufschrei in Simons Arme. Nun bekam er allmählich eine Vorstellung davon, was er seiner Familie mit seinem Verschwinden angetan hatte. Das schlechte Gewissen regte sich, doch der Hallodri schob es rasch beiseite. Er hatte schließlich seine Gründe gehabt zu verschwinden. Ebenso wie jetzt, wieder aufzutauchen. Aber das ging nun wirklich niemanden etwas an.

»Simon, ich kann’s net fassen. Ich glaub es einfach net! Du lebst! Mei, das ist der schönste Tag in meinem Leben.«

Johann Burgmüller maß seinen Sohn streng. Sein Blick war nicht ganz trocken und flackerte verdächtig, denn auch sein Herz blieb nicht unberührt. Doch der Verstand hatte bei dem ruhigen Charakter schon das ganze Leben lang die erste Geige vor dem Gefühl gespielt. Und er fragte sich, wie so etwas möglich war.

Wie konnte ein Mensch, der offenbar beim Kraxeln tödlich abgestürzt war, nach über einem Jahr gesund und munter wieder auftauchen? Wie ging das zusammen, wenn dieser Mensch kein Hundling war, der sehr viel zu verbergen hatte?

»Vater, verzeih mir!«, bat Simon und reichte dem Bauern die Hand, die dieser knapp drückte.

»Du hast uns einiges zu erklären. Und net nur uns, auch deiner Verlobten. Die Valerie trauert seit über einem Jahr um dich. Das Madel hat schwere Monate hinter sich. Und du kommst einfach so daher, als wär nix geschehen? Das will mir net in den Schädel.«

»Geh, Johann, das ist doch ganz einerlei!«, ergriff Christa sogleich die Partei ihres Sohnes, wie sie es schon früher immer getan hatte. »Hauptsache, der Simon lebt! Mei, das ist, als wärst du uns vom Himmel noch einmal geschenkt worden, Bub.« Sie hielt seine Hände ganz fest und setzte sich mit ihm zusammen aufs Sofa. Keinen Blick konnte sie von ihm wenden. Und das glückliche Strahlen in ihren Augen rührte das Herz ihres Mannes. Trotzdem bestand er auf einer Erklärung.

Simon gab sich zerknirscht. »Ihr wisst, dass ich die Valerie lieb hatte. Was heißt ’hatte‘? Ich hab sie noch lieb. Aber an dem Tag vor der Verlobung, da hat mich mit einem Mal eine solche Panik gepackt, dass ich nimmer hab atmen können. Ich hatte nur noch einen Gedanken: Flucht!«

»So ein Schmarren«, brummte der Bauer. »Warum denn?«

»Mei, Vater, das kann nur einer fragen, der net die Freiheit im Blut hat. Ihr wisst doch, wie ich bin. Der Valerie zuliebe hab ich mich ändern wollen. Ich hab’s auch durchgehalten. Doch nur bis zu einem gewissen Punkt. Dann konnte ich nimmer. Ich musste weg, fort von all dem Zwang, raus aus der Enge. Ich hab keine andere Möglichkeit gesehen, als zu verschwinden.«

Johann Burgmüller schüttelte leicht den Kopf. »Wieso hast du net mit deinem Madel geredet? Warum dieser dramatische Abgang?«