Heimat-Roman Treueband 33 - Sissi Merz - E-Book

Heimat-Roman Treueband 33 E-Book

Sissi Merz

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Beschreibung

Lesen, was glücklich macht. Und das zum Sparpreis!

Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.
Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.

Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Alpengold 191: Was seine Frau ihm nicht verzieh
Bergkristall 272: Ein Engel schenkt ihm Glück und Liebe
Der Bergdoktor 1739: Herbstjagd in St. Christoph
Der Bergdoktor 1740: Der Wind erzählt ein Liebesmärchen
Das Berghotel 128: Ein verzweifelter Gast im Berghotel

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 595

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Impressum

BASTEI LÜBBE AG Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Für die Originalausgaben: Copyright © 2014/2015/2016 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv von © RStollner / shutterstock ISBN 978-3-7517-2459-3 www.bastei.de www.luebbe.de www.lesejury.de

Charlotte Vary, Tanja Steinberg, Andreas Kufsteiner, Verena Kufsteiner

Heimat-Roman Treueband 33

Autorenbiographie

Charlotte VaryAlpengold - Folge 191Evis Gesicht ist von der Anstrengung erhitzt, als sie den steilen Bergpfad emporsteigt, um ihrem Mann ein Mittagessen zu bringen. Heute Morgen hat sie sich mit Thomas gestritten, bloß, weil er am Abend zuvor nach der Chorprobe noch auf ein Bier im Wirtshaus war. Jetzt tun Evi ihre Vorwürfe leid, und sie will ihren Mann mit seinem Lieblingsgericht um Verzeihung bitten. Endlich hat die schwangere Frau den Forst erreicht, wo Thomas im Holzschlag mitarbeitet. Suchend schaut sie sich um, aber sie kann ihn nirgends entdecken. Da, vielleicht verbringt er seine Mittagspause dort drüben in dem kleinen Heuschober. Lächelnd eilt Evi darauf zu - doch plötzlich stockt sie, und ihr Herzschlag setzt sekundenlang aus. Aus der Hütte dringt eindeutig lustvolles Stöhnen ...Jetzt lesen
Tanja SteinbergBergkristall - Folge 272Lange sieht Christl auf das Bild nieder, das gerahmt auf dem Schreibtisch ihres neuen Brotherrn steht. Wunderschön ist die Frau auf dem Foto! Kein Wunder, dass der Klausner-Bauer nach Julias frühem Tod keine andere mehr betrachtet. Auch für Christl, seine neue Magd, hat er keinen Blick. Dabei hat sie sich von der ersten Sekunde an in Robert Klausner verliebt - und auch seinen kleinen Buben ins Herz geschlossen. Am besten, sie tut ihre Arbeit und begräbt alle Träume, die sich doch nie erfüllen werden. Aber dieser Entschluss gerät ins Wanken, als der Klausner-Hof von einem schweren Unglück getroffen wird - und Christl dabei eine erstaunliche Entdeckung macht ...Jetzt lesen
Andreas KufsteinerDer Bergdoktor - Folge 1739Was für ein tragisches Ende der traditionellen Herbstjagd, zu der Baron von Brauneck eingeladen hat! Florian von Stetten, ein angesehener Anwalt, ist angeschossen worden. Hätte Johann Werlberger ihn nicht gerade noch rechtzeitig gefunden, wäre er wohl verblutet. Zunächst feiern die anderen Jäger Johann als mutigen Lebensretter, doch dann äußert plötzlich jemand leise den Verdacht, dass ausgerechnet Johann als Einziger ein Motiv hätte, auf den Anwalt zu schießen. Schließlich haben die beiden Männer sich noch kurz vor der Jagd heftig um die schöne Carolin gestritten ...Jetzt lesen
Der Bergdoktor - Folge 1740Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Neuigkeit in St. Christoph: Britta Schönberg, die gefeierte Sängerin, hat im Berghotel Quartier genommen! Sie tritt unter dem Mädchennamen ihrer Mutter auf, aber davon lassen sich die Dorfbewohner nicht täuschen. Gerüchte machen die Runde. Die Sängerin sei ausgebrannt, suche eine Auszeit und habe eine Enttäuschung in der Liebe hinter sich. Niemand ahnt, warum Britta wirklich im Zillertal ist, und sie will ihr quälendes Geheimnis auch um jeden Preis bewahren. Doch die Abstände zwischen den gefürchteten "Anfällen" werden immer kürzer ...Jetzt lesen
Verena KufsteinerDas Berghotel - Folge 128Hedi Kastler klopft das Herz bis zum Hals. Im Nebel kann sie nicht viel erkennen, aber wenn sie sich nicht täuscht, dann liegt dort ein verunglückter Wagen im Mühlbach. Himmel, ist bei dem Unfall etwa jemand verletzt worden? Doch im Inneren des Wagens ist keine Spur von irgendwelchen Insassen zu erkennen. Nur die gespenstisch aufleuchtenden Warnlichter beweisen, dass hier vor Kurzem noch jemand gewesen sein muss. Wenig später ist die Fahrerin des Wagens gefunden, ein Gast bringt die leicht verletzte Frau ins Berghotel. Die Unbekannte spricht nicht, doch die Hotelchefin erkennt in den Augen der jungen Frau, dass sie einen großen Kummer mit sich herumträgt ...Jetzt lesen

Was seine Frau ihm nicht verzieh

In den Armen der Verführerin vergaß er seinen Treueschwur

Von Charlotte Vary

Evis Gesicht ist von der Anstrengung erhitzt, als sie den steilen Bergpfad emporsteigt, um ihrem Mann ein Mittagessen zu bringen. Heute Morgen hat sie sich mit Thomas gestritten, bloß, weil er am Abend zuvor nach der Chorprobe noch auf ein Bier im Wirtshaus war. Jetzt tun Evi ihre Vorwürfe leid, und sie will ihren Mann mit seinem Lieblingsgericht um Verzeihung bitten.

Endlich hat die schwangere Frau den Forst erreicht, wo Thomas im Holzschlag mitarbeitet. Suchend schaut sie sich um, aber sie kann ihn nirgends entdecken. Da, vielleicht verbringt er seine Mittagspause dort drüben in dem kleinen Heuschober.

Lächelnd eilt Evi darauf zu – doch plötzlich stockt sie, und ihr Herzschlag setzt sekundenlang aus. Aus der Hütte dringt eindeutig lustvolles Stöhnen …

Evi Holzner atmete schwer, als sie an diesem windigen Vorfrühlingstag den steilen Weg zum Hinterleitner-Hof hinaufstieg. Daran war nicht nur der gewichtige Korb mit Lebensmitteln schuld, die sie unten beim Osterfelder Kramer gekauft hatte. Ihre zweite Schwangerschaft bereitete der zarten sechsundzwanzigjährigen Frau allerhand Beschwerden.

Beim Feldkreuz blieb sie einen Augenblick stehen, um zu verschnaufen. Nur noch fünf Minuten, dachte sie. Ich glaub, ich hör schon unseren Fido bellen.

Ihr Blick schweifte über die blaugrüne Kette des Mangfall-Gebirges, das sich im Hintergrund erhob. Rotwand und Miesing trugen noch Schneekappen, aber der Föhn würde sie bald weggeleckt haben. Er orgelte rauschend durch den Bergwald und bog die Tannen, bis sie ächzten. Es wurde bald Frühling im Leitzachtal. Droben auf der hinteren Leiten kam er immer ein wenig später als unten in Osterfeld.

Der Bergbauernhof, den man »Beim Hinterleitner« nannte, thronte einsam da oben, mit einer königlichen Aussicht über das weite Land, aber mit spärlichen Erträgen. Man kämpfte sich halt so durch. Wenigstens hatte Thomas Holzner, Evis Mann, ein großes Stück Bergwald von seinen verstorbenen Eltern geerbt. Sonst hätte es böse ausgesehen mit den Finanzen.

Evi, die sich kurz auf dem Kniebrett des Feldkreuzes ausgeruht hatte, rappelte sich eben wieder hoch. Da näherte sich ihr mit flottem Schritt ein junger Mann, der das Sträßlein abwärtsging.

»Evi«, rief er freundlich und lüpfte den Hut. »Warst drunten in Osterfeld? Kann ich dir helfen? Mein Gott, den schweren Korb sollst aber net schleppen in deinem Zustand. Bei euch hat sich ja wieder was Kleines angemeldet, hab ich vernommen.« Er lächelte.

»Grüß dich, Hans!«, erwiderte sie seine Anrede. »Ja, hast schon recht gehört. Aber es ist ja erst im September so weit. Kommst vom Schloss, gelt?«

Der hochgewachsene blonde Bursche mit dem sympathischen, offenen Gesicht nickte.

»Freilich. Beim Herrn Baron bin ich gewesen in einer geschäftlichen Angelegenheit. Aber jetzt gib deinen Korb her! Ich begleite dich bis zu eurem Hof. Auf die paar Minuten kommt’s mir net an.«

»Bist halt ein Kavalier, Hans«, lobte die junge Frau.

Hans Reiser betrachtete sie wohlgefällig. Die zierliche, wohlgeformte Evi mit der nussbraunen Haarkrone, den enzianblauen Augen und dem lieben, herzförmigen Gesicht hatte ihm schon immer gefallen. Aber sie hatte den Holzner-Thomas geheiratet, und Hans hatte sich in die Steingruber-Lisa verliebt. Wie es halt so geht im Leben.

Fido, der Hofhund vom Hinterleitner, sprang ihnen schon freudig bellend entgegen, als sie um die letzte Wegkehre bogen.

»Danke schön, Hans. Magst schnell ein Bier trinken?«, fragte Evi, als der Mann seine Last auf der Hausbank abstellte.

»Lieber net, Evi«, antwortete er. »Ich hab drunten zu tun. Und dein Thomas tät vielleicht eifersüchtig werden, wenn ich zu dir komme in seiner Abwesenheit. Er ist wohl bei der Waldarbeit?«

Evi nickte. »Ja, der Winter hat viel Schaden angerichtet«, sagte sie. »Nochmals vielen Dank für deine Mühe. Grüß deine Eltern von mir und auch die Lisa!«

»Werde es ausrichten«, gab Hans Reiser zurück. »Pfüat di, Evi! Und sag dem Thomas, er soll sich mal wieder bei der Kirchenchorprobe blicken lassen. Wir bräuchten seinen schönen Bariton.«

***

Rüstig eilte der junge Bauer dann talabwärts. Sein Gespräch mit dem Baron Perfall auf Schloss Krottenstein spukte ihm noch im Kopf herum.

Baron Rainer von Perfall war ein Mann, der für die hart um ihre Existenz ringenden Bergbauern der Umgebung von großer Bedeutung war. Der tüchtige, überaus beliebte Adelsherr hatte nämlich am Ortsrand von Osterfeld eine Fleischwarenfabrik eröffnet, die immerhin vierzig Arbeitsplätze bot. Fast aus jedem Hof arbeitete ein Familienmitglied dort, als Metzger, Packerin oder in der Verwaltung. Vorwiegend wurde dort Putenfleisch zu allerlei Spezialitäten verarbeitet.

Das dafür nötige Geflügel wurde auf den Höfen im Auftrag des Barons gezüchtet und von ihm abgenommen. So hatten die Bauern noch ein Standbein, falls die landwirtschaftlichen Erträge nicht zum Leben ausreichten. Die Zusammenarbeit klappte vorzüglich, und die Bauern waren recht froh um ihren Herrn Baron, der erst vor zwanzig Jahren in die Gegend gezogen war.

Rainer von Perfall hatte damals das düstere, baufällig wirkende Schloss Krottenstein erworben und mit großem Aufwand an Geld und Liebe zur Sache restaurieren lassen.

Krottenstein war ursprünglich eine Ritterburg im romanischen Stil gewesen, die später mit gotischem Zierrat versehen worden war. Heute wirkte sie von außen immer noch finster und drohend. Innen aber waren die Räume stilvoll und behaglich eingerichtet, und jeder moderne Komfort war vorhanden.

Baron Rainer war vor zehn Jahren Witwer geworden und hatte bis jetzt nicht wieder geheiratet. Eine den Perfalls blind ergebene Hausdame, Frau von Müritz, leitete den Haushalt, zu dem auch noch die beiden Kinder des Barons gehörten. Baron Felix war siebenundzwanzig und ein Künstler. Er malte, wenn auch mit sehr umstrittenem Talent. Außerdem handelte er gelegentlich mit Antiquitäten.

Baroness Simone war dreiundzwanzig und genoss ihre Jugend in vollen Zügen: Tagsüber durchstöberte sie die Boutiquen, nachts feierte sie Partys.

Ihr strebsamer, tätiger Vater war mit dem ziellosen Leben seiner Kinder gar nicht einverstanden. Aber auf diesem einzigen Gebiet war er schwach wie viele Väter. Er fühlte sich schuldig, weil er den beiden in den schwierigen Teenagerjahren nicht wieder eine Mutter gegeben hatte.

Also sollten sie noch eine Weile ihre Neigungen leben. Geld war ja zum Glück vorhanden dank seiner einträglichen Geschäfte. Die mageren, bekömmlichen Putenfleischprodukte verkauften sich bestens. Viele Menschen achteten auf ihre Gesundheit und Figur.

Auch auf dem Geflügelhof des Hinterleitner-Hofes liefen die Perfall’schen Puten herum und wurden von Evi gewissenhaft versorgt. Nun stand sie am Herd und kochte das Abendessen. Wenn Thomas von der Waldarbeit nach Hause kam, dann war er hungrig.

Der dreijährige Maxl, Holzners Erstgeborener, spielte auf dem Stubenboden mit der Hauskatze. Er mühte sich damit ab, die sich unwillig Sträubende vor sein hölzernes Pferdewägelchen zu spannen. Miezi fand das zwar äußerst unangenehm, aber aus Loyalität zur Familie kratzte sie den kleinen Buben nicht. Schließlich rettete sie sich durch einen kühnen Sprung aufs Fensterbrett.

»Maxl, lass doch die Miezi in Frieden!«, mahnte Evi sanft. »Schau, da kommt der Papa.«

Maxl stürmte auf den Eintretenden zu und umklammerte seine Hosenbeine.

»Papa, machst du mir eine Peitsche? Bitte, bitte!«, bettelte er.

»Später, Maxi«, vertröstete Thomas seinen Sohn. »Jetzt muss ich mich erst waschen, und dann gibt’s was zu essen. Mhm! Riecht das gut, was die Mami gekocht hat!«

Er nahm seine Frau herzlich in die Arme und küsste sie so zärtlich wie ein junger Liebhaber. Die Holzners leben allweil noch in den Flitterwochen, pflegte man unten in Osterfeld halb spöttisch, halb neidisch zu sagen. Wie die Turteltauben. Hört das denn nie auf bei denen?

Thomas Holzner hatte sich vor Jahren seine Frau aus einer wenig begüterten Familie geholt. Er hatte damals einen guten Griff getan. Die Evi war bescheiden und hatte das Arbeiten gelernt. Außerdem war sie ein ehrliches Persönchen mit sehr soliden Ansichten. Treue und Zuverlässigkeit gingen ihr über alles. Ihrem Thomas war sie eine zärtliche, fleißige und in echter Liebe ergebene Ehefrau.

Doch Aufrichtigkeit und Treue erwartete sie auch von ihm. Als bildhübsches junges Madel hatte sie in Osterfeld viele Verehrer gehabt, aber geliebt hatte sie stets nur einen: ihren Thomas.

Wie er so dastand, groß, schlank und dabei kräftig, konnte er einem Madel ja auch gefallen. Um das markante, braun gebrannte Gesicht mit den blitzenden nachtdunklen Augen ringelte sich dichtes schwarzes Haar. Er hatte etwas von einem Südländer, und auch sein Temperament war zuweilen hitzig. Aber Evi gelang es immer, ihn zu besänftigen, wenn der Zorn in ihm brodelte. Ein Blick ihrer sanften enzianblauen Augen genügte.

Ihre zierliche Gestalt reichte ihm nur bis zur Schulter. Aber sie zähmte ihn, dass er willig wurde wie ein Lamm. Niemandem sonst gelang das. Sie waren wirklich ein schönes Paar, die zwei.

***

Hans Reiser war inzwischen längst in Osterfeld angekommen. Man konnte das Örtchen nicht einmal ein Dorf nennen. Es war nur ein Weiler mit neun, zehn Bauernhöfen, einem Kramladen und einer Kirche. Es gehörte verwaltungstechnisch zur nächsten größeren Gemeinde Bayrisch-Bronn.

Hans betrat einen der stattlichsten der paar Höfe, den man den Rambold-Hof nannte. Dort lebten die wohlhabenden Steingrubers mit ihrer einzigen Tochter Lisa, die Hans’ Verlobte war.

Der junge Mann ging in die Küche, wo Anna Steingruber am Herd stand und Küchel aus dem schwimmenden Schmalz fischte. Lachend blickte sie sich nach ihrem künftigen Schwiegersohn um und rief: »Ja, der Hans! Kommst gerade recht zu den frischen Hasenöhrln. Magst ein paar? Aus der Pfanne schmecken sie am besten.«

»Da sag ich net Nein, Steingruberin«, antwortete Hans und setzte sich auf die Bank, die rund um den großen Esstisch lief. »Wo ist denn die Lisa?«

Die Miene der Bäuerin zeigte Unwillen und etwas Besorgnis, als sie antwortete: »Ach, die ist schon wieder bei ihrer Freundin, der Zauner-Lena. Allweil steckt sie jetzt mit der beieinander. Es wird ihr leidtun, dass du sie net angetroffen hast. Na ja, sie näht sich ein neues Kleid, und die Lena hilft ihr. Die hat doch die Trachtenschneiderei gelernt.«

Hans verzehrte seine Hasenöhrl und verabschiedete sich dann: »Dank schön, Bäuerin. Gut hat’s geschmeckt. Schad, dass die Lisa net da ist. Sag ihr doch bitt schön, sie soll einmal wieder bei uns vorbeischauen, gelt? Pfüat Gott!«

Auf dem Weg zum Haus seiner Eltern, dem Wegscheid-Hof, überfiel ihn dann eine rechte Enttäuschung. Die Lisa hatte sich verändert in letzter Zeit. Ein halbes Jahr waren sie nun verlobt. Anfangs hatten sie sich nicht oft genug treffen können, so verliebt war die Lisa gewesen. Zu Pfingsten hatten sie heiraten wollen. Doch jetzt sah er sie kaum noch. Immer war sie auswärts, immer hatte sie etwas anderes zu tun.

Sie war ein auffallend schönes Mädchen, die zweiundzwanzigjährige Lisa Steingruber. Sehr groß war sie, sehr blond, mit sprühenden grünen Augen und einem Körper voll Grazie und Geschmeidigkeit. Dazu war sie die Einzige der reichen Steingruber-Eheleute. Kein Wunder, dass sie stolz war und selbstbewusst.

Lisa hatte in der Stadt eine mehrjährige Hauswirtschaftsschule besucht. Sie hätte jederzeit als Hausdame in einem Hotel, Seniorenheim oder Sanatorium arbeiten können. Aber ihre Eltern hielten das nicht für nötig. Sie sollte daheim etwas mithelfen und bald den Hans Reiser heiraten, einen rechtschaffenen jungen Bauern, der sie sehr liebte. Die beiden kannten sich von Kindesbeinen an und waren immer schon gute Freunde gewesen.

In letzter Zeit hatte Lisa sich ein recht aushäusiges Leben angewöhnt, immer war sie irgendwo eingeladen, immer auf Achse mit dem Auto. Ihren Eltern gefiel das nicht, aber Lisa hatte ihren eigenen Kopf.

***

Droben im Miesinger Forst taten die Holzknechte ihre harte und nicht ungefährliche Arbeit. Kranke Tannen und Fichten wurden gefällt, entastet und entrindet und dann von Pferden hinunter zum Waldparkplatz geschleift, wo man sie auf Schlepper oder Laster laden konnte. Thomas Holzner schaffte als Waldbesitzer mit ihnen, um die Kosten zu verringern.

Der Schweiß lief ihm von der Stirn, als er kurz innehielt und sich mit dem Taschentuch abwischte.

»Schau, der Wagen von der Baroness!«, rief ein Arbeitskamerad und stieß ihn an. »Ja, weiß die denn net, dass sie auf dem steilen Weg da heroben net weiterkommt? Es ist doch auf dem Parkplatz angeschrieben. Wenn sie irgendwo runterfallt mit ihrem Karren, dann haben wir die Müh.«

»Ach, die schert sich doch um keine Vorschriften«, mischte sich ein anderer missbilligend ein. »Die tut, was ihr beliebt. Jetzt ist sie ausgestiegen und kommt zu uns herauf. Wem will denn die einen Besuch machen? Ein blitzsauberes Frauenzimmer ist sie schon.«

Sie grinsten und beobachteten die junge Dame, die da den Hang heraufkletterte. Ja, ein reizvolles Äußeres konnte man Baroness Simone von Perfall nicht absprechen. Ihr kühn geschnittenes Gesicht mit den geschickt geschminkten grauen Augen und den vollen, verlockenden Lippen wurde umwogt von einer wilden rotblonden Lockenmähne. Und die Figur in dem hautengen Lederanzug, o là là! Voller Busen, Wespentaille, lange Beine, es war alles da, was Männer berücken konnte.

»Grüß euch Gott«, redete sie die Waldarbeiter lässig an. »Ist der Thomas Holzner bei euch? Er soll aufs Schloss kommen. Mein Vater hat etwas mit ihm zu besprechen.«

Thomas trat vor und zog den Hut. »Grüß Gott, Baroness«, grüßte er ruhig. »Ist’s recht, wenn ich morgen Vormittag komm? Da hätt ich grad Zeit.«

Das Glitzern in Simones Augen verstärkte sich beim Anblick des braun gebrannten hünenhaften Mannes, dem die ungebärdigen schwarzen Locken schweißnass an der Stirn klebten. Ihr voller Mund kräuselte sich in kokettem Spott, als sie entgegnete: »Na, na, Thomas. Nur net so steif! Wir sind doch alte Freunde. Weißt nicht mehr, wie du mich damals aus der Leitzach gezogen hast? Fünf Jahre war ich da, glaub ich, und du warst ein Schulbub. Danach hast du mich immer beschützt wie ein Bernhardiner ein kleines Katzerl. Kommst morgen, und wenn mein Vater mit dir fertig ist, dann trinken wir ein Glas Wein miteinander, ja? Pfüat euch, Holzknechte. Passt auf, dass euch kein Baum erschlägt. Wär doch schad um so stramme Mannsbilder.«

Die Waldarbeiter grinsten breit. Das war schon eine, die Baroness Perfall. Die redete, wie ihr der Schnabel gewachsen war, und Stolz kannte die keinen. Bei der zählte nur, ob einer jung und gut anzuschauen war.

Sie blickten ihr nach, wie sie in langen Sätzen den Hang hinuntersprang zu ihrem feuerroten Cabrio, das schief und verwegen auf dem steilen Bergpfad hing. Sie winkte lachend zurück, kletterte hinein und rangierte es geschickt in die Fahrtrichtung. Dann glitt es Tal abwärts.

»Donnerwetter, Hinterleitner!«, spottete Thomas’ Arbeitskamerad Leo Mang gutmütig. »Da nimm dich nur zusammen, wenn du bei der eingeladen bist. Die ist ein heißes Eisen.«

Thomas’ Stirn furchte sich ärgerlich.

»Blödsinn«, grollte er. »Ich bin schließlich ein verheirateter Mann. Und die Baroness meint es auch net so ernst. Lass jetzt deine Späße und schaff! Wir haben noch viel zu tun.«

Er nahm sein Sapie, das Gerät zum Entrinden der Bäume, und handhabte es mit doppeltem Eifer, dass die Rindenfetzen nur so flogen. Die Baroness, was ging ihn die schon an! Die war eine Dame mit zu viel freier Zeit und sprunghaften Launen. Ihre Welt war nicht die seinige. So eine konnte ihm doch nicht gefährlich werden.

***

Das Gespräch mit dem Baron erwies sich dann als belanglos. Es drehte sich lediglich um schlachtreife Puten, die demnächst zu liefern waren. Ein Telefonat hätte es genauso getan.

Baroness Simone erwartete Thomas nachher im kleinen Salon. Man trank ein Glas Wein, aber die Unterhaltung blieb steif und nichtssagend.

Thomas drehte verlegen seinen Hut in den Händen und war froh, als er sich mit Anstand wieder verabschieden konnte. In die feine Umgebung mit Samt und Seide passte er nicht.

***

Mit dem fortschreitenden Frühling erschien Simone von Perfall dann immer wieder einmal im Miesinger Forst und störte Thomas Holzner bei der Arbeit. Die Holzknechte fingen schon an, ihn damit aufzuziehen. Noch reagierte er gutmütig darauf.

»Sie hat halt nichts zu tun, die Baroness. Wenn sie eine rechte Aufgabe in ihrem Leben hätt, dann käm sie nicht herauf und hielt uns von der Arbeit ab.«

»Sie hat ein Auge auf dich geworfen, Thomas glaub es mir«, beharrte Leo Mang und grinste anzüglich. »Und was die sich in den Kopf setzt, das kriegt sie auch.«

»Aber net von mir«, brummte Thomas unwillig. »Und jetzt lass mir endlich meinen Frieden, Leo. Du kannst ihr ja nächstes Mal Gesellschaft leisten, wenn du magst. Aber erst, wenn wir mit unserem Tagwerk fertig sind.«

Mang zuckte die Schultern und entgegnete: »Mich will die ja net. Wirst schon sehen, die gibt keine Ruh.«

Thomas Holzner ließ sich auf keine Erläuterungen über dieses Thema mehr ein.

***

An einem Hang des Seebergs besaß der Baron von Perfall eine Jagdhütte, einsam gelegen, aber nicht zu hoch oben. Eine schmale, gepflegte Forststraße führte an ihr vorbei. Perfall nahm sich selten die Zeit, dem Jagdvergnügen zu frönen. An den Wochenenden ruhte er sich lieber in dem kleinen, aber schönen Schlosspark von Krottenstein aus oder lud dorthin Freunde und Bekannte ein. So war die ganz komfortable Hütte die meiste Zeit im Jahr unbenutzt gewesen.

Das hatte sich aber in der letzten Zeit geändert. Auch heute parkte Baron Felix’ auffälliger schwarzer Alfa Romeo hinter dem Haus. Es gab da eine Art Garage, einen offenen Unterstand, der jedoch zur Straße hin nicht einsehbar war. Darauf legte Baron Felix einen gewissen Wert.

In der Hütte waren die Gardinen zugezogen. In dem offenen Kamin prasselte ein Holzfeuer, denn die Frühlingsabende waren noch recht kühl.

Auf der breiten, bequemen Couch mit den vielen bunten Kissen rekelte sich Lisa Steingruber in einem weißen Bademantel. Felix stand vor einer Staffelei und wischte sich eben die Hände an einem Tuch ab.

»Schluss für heute, Lisa«, sagte er und prüfte sein Werk auf der Leinwand.

Die schöne Lisa saß ihm Modell, Akt natürlich. Es war der passende Vorwand gewesen, sie ins Jagdhaus zu bekommen. Felix hatte sich anfangs ein wenig gewundert über den Freimut, mit dem dieses Bauernmädchen sich bereit erklärt hatte, sich auszuziehen. Lisa war in ihn verliebt, freilich. Aber trotzdem …

Lisa selber fand nichts dabei, sich nackt zu zeigen. Sie war stolz auf ihren Körper, von dem sie wusste, dass er makellos war. Und sie tat es ja für ihren geliebten Felix, der vielleicht mit ihrem Bild den Durchbruch zum anerkannten Künstler schaffte. Sie konnte sich dann mit Recht etwas darauf einbilden, sein Modell gewesen zu sein.

Seine Geliebte zu werden hatte sie dann schon mehr Überwindung gekostet. Schließlich war sie mit einem anderen verlobt. Aber sie hätte Felix auf die Dauer nichts verweigern können, denn sie war vernarrt in diesen Mann, der so völlig anders war als die Dorfburschen. Eben von Adel!

Lisa vergötterte seine hoch aufgeschossene, überschlanke Gestalt, sein schmales Gesicht mit den feinen, etwas weichlichen Zügen, die immer müde und gelangweilt wirkten, das lange, leicht gelockte blonde Haar, das auf den Kragen seines Hemdes fiel. Eben all das Kultivierte, Überfeinerte, das ihrem Verlobten fehlte, sie aber magisch anzog.

Und dann der Traum, als gnädige Frau Baronin in einem Schloss zu leben … Lisa seufzte glücklich und verschränkte die Arme im Nacken unter der Flut ihrer gelösten goldblonden Haarmähne. Sie wusste, wie gut ihr diese Pose stand, und sie wollte Felix gefallen, um jeden Preis.

Der Baron stürzte hastig ein Glas Sekt hinunter und blickte dann auf die goldene Armbanduhr.

»Du musst dich anziehen, Liebling«, mahnte er Lisa.

Die richtete sich schmollend auf dem Diwan um. »Ach, schon?«, entgegnete sie enttäuscht. »Es ist doch noch nicht spät.«

»Aber deine Eltern werden sonst misstrauisch«, warf er lässig hin. »Und auch dein biederer Herr Verlobter.«

»Ach, der!« Lisa verzog verächtlich die Lippen. »Einmal muss er es ja doch erfahren. Spätestens, wenn …«

»Vorläufig jedenfalls nicht«, schnitt Felix ihr das Wort ab. »Weißt du, ich habe nicht die geringste Lust, mich mit einem wütenden Bauernburschen zu prügeln. Es wäre auch für deinen Ruf im Ort nicht vorteilhaft.«

Lisa lächelte geringschätzig. Ihr Ruf war ihr momentan völlig egal. Sie war wie berauscht von dieser heimlichen Affäre, die ihr Blut erhitzte und jede Faser ihres Körpers vibrieren ließ. Aber sie fand es rührend, dass Felix sich um ihr Ansehen in Osterfeld sorgte. Vielleicht legte er auch großen Wert auf eine unbescholtene Braut, wenn sie einmal heirateten.

Also stand sie mit träger Grazie auf und näherte sich ihm. Der weiße Bademantel fiel vorne auseinander und ließ ihren herrlich gewachsenen Körper sehen.

»Einen Abschiedskuss, Felix«, bat sie schmeichelnd.

Er lachte kurz auf. »Lisa, führe mich nicht in Versuchung! Ich sollte schon seit zehn Minuten im Schloss sein.«

Er zog sie kurz an sich und küsste sie. Dann schlüpfte sie hastig in ihre Kleider. Sie durfte Felix jetzt nicht aufhalten.

Der junge Baron brachte sie in seinem Auto bis zum Ortsrand von Osterfeld. Dort stieg sie aus und schlich sich auf Nebenwegen zu ihrem Elternhaus, das sie durch die Hintertür betrat. Sie ging in die geräumige Küche, wo ihre Eltern am Esstisch beisammensaßen.

»Da bin ich wieder!«, rief sie munter. »Die Zauner-Lena lässt euch grüßen.«

»Danke schön«, brummte Josef Steingruber, ihr Vater. Ihre Mutter erwiderte kein Wort. Sie maß ihre Tochter nur mit einem langen eindringlichen Blick, der Lisa unbehaglich berührte.

»Ich geh schlafen«, warf sie unsicher hin. »Müd bin ich. Gute Nacht.«

***

Auf dem Hinterleitner-Hof hing der Haussegen schief, was äußerst selten vorkam. Evi schmollte, weil Thomas diesen Abend noch zur Chorprobe nach Osterfeld hinunter wollte.

»Grad heut, wo ich so schlecht beisammen bin«, warf sie ihrem Mann vor. »Das Kreuz tut mir weh, und den ganzen Tag ist mir schon übel. Da lässt du mich auch noch allein hocken den ganzen Abend.«

»Aber Everl«, wandte Thomas ein. »Einmal in vier Wochen geh ich zum Singen. Da kannst dich doch wirklich net beschweren. Andere Mannsbilder hocken jede Nacht im Wirtshaus. Sie brauchen meinen Bariton, hat der Reiser-Hans gesagt. Es ist ja bald das Frühjahrskonzert in Bayrisch-Bronn drüben.«

»Du und dein Bariton«, seufzte Evi. »Als ob es ohne den net ginge. Das Wichtigste für euch ist ja doch nachher das Einkehren beim Wirt. Da kommst du wieder die halbe Nacht net heim, und ich kann net einschlafen.«

»Aber Schatz, du musst doch net auf mich warten«, wollte Thomas einlenken. Aber seine Frau war heute grantig und für keine Übereinkunft zu gewinnen. »Du bleibst da«, entschied sie zornig. »Wirst wohl verzichten können, bis das Baby da ist.«

Der Befehlston stieß Thomas sauer auf.

»So net, Evi«, entgegnete er eisig. »Herr im Haus bin alleweil noch ich. Herr, net Hofhund an der Kette. Du kannst bei Gott net behaupten, dass ich ein Wirtshausbruder bin. Aber wenn ich schon mal ausgehen will, dann lass ich es mir von dir net verbieten, gelt? Pfüat di! Schlaf recht gut!«

Er warf die Tür hart ins Schloss, und sie hörte, wie draußen sein Auto ansprang. Blitzschnell riss sie ein Fenster auf und schrie ihm nach: »Brauchst meinetwegen gar nimmer heimzukommen, Hallodri, du!« Dann knallte das Fenster wieder zu, und Evi sank weinend am Küchentisch zusammen.

Kopfschüttelnd fuhr Thomas das steile Sträßlein nach Osterfeld hinunter. Was war bloß in seine Evi gefahren? So kannte er sie gar nicht. Es musste die Schwangerschaft sein, die ihr zusetzte und sie launisch und ungerecht machte. Aber sie hatten sich ja beide noch was Kleines gewünscht. Denn wie sagt man auf dem Land? Ein Kind und ein Ferkelchen zieht man nicht auf. Dem Maxl würde ein Geschwisterchen guttun. Er musste lernen, zu teilen und sich anzupassen.

Evi ging mit rot geweinten Augen zu Bett und wälzte sich schlaflos in den Kissen. In ihr nagte und bohrte ein ungewohnter Groll, den sie sich selber nicht erklären konnte.

Kurz nach Mitternacht kam Thomas nach Hause. Auf Socken schlich er sich in die Schlafstube. Evi stellte sich schlafend. Als sich ihr Mann über sie beugte und sie küssen wollte, drehte sie sich weg und murmelte böse: »Geh weg, du stinkst nach Bier.«

»Na, dann halt net, du Zuwiderwurzen«, grummelte er und zog sich die Decke über den Kopf.

Am Morgen beim Frühstück zeigte Thomas eine steinerne Miene. Evi spielte die Beleidigte und sprach kein Sterbenswort.

Eine kalte, ungemütliche Atmosphäre erfüllte die Stube. Milch, Kaffee und Butterbrot schmeckten keinem.

Thomas machte sich rascher als sonst für die Waldarbeit zurecht, sein Abschiedsgruß war kaum zu hören. Mit weit ausholenden Schritten rannte er den Bergwald hinauf und war so voll brennenden Zorns wie nie zuvor in seiner Ehe.

Was hatte die Evi bloß vor? Wollte sie sich zu einer keifenden Giftnudel entwickeln?

Daheim versorgte Evi das Vieh, während der kleine Maxl im Vorgarten spielte. Als sie das Milchgeschirr am Brunnen spülte, schepperten die Kübel und Kannen viel lauter als sonst. Dann guckte der Maxl sie ernsthaft, fast besorgt an und fragte: »Hat der Papa Bauchweh? Er hat so bös dreingeschaut.«

Da kam Evi allmählich die Erkenntnis: Ich habe überreagiert! Ein ganz dummes Theater hab ich aufgeführt wegen der blöden Chorprobe. Der Thomas muss mich ja für ein zänkisches Hauskreuz halten. Und alles wegen der Übelkeit und Kreuzschmerzen. Ich könnte mich wahrhaftig besser beherrschen.

Reuig beschloss sie, ihm heute ein warmes, schmackhaftes Essen im Henkeltopf in den Forst hinaus zu bringen. Er hatte sich nur ein Bier und etwas Wurst und Brot mitgenommen.

Es war ein wunderschöner Frühlingstag, mit blauem Himmel und schneeweißen Föhnwolken wie gemalt. Da musste man ja gute Laune haben.

***

Ein schöner Frühlingstag, das fand auch Baroness Simone von Perfall. Da sie sich auf Schloss Krottenstein langweilte, warf sie sich in ihren knallroten Sportwagen und brauste los, irgendwohin, wo sich etwas rührte. Zu den Bartensteins, die auf ihrem Adelssitz bei Garmisch lebten? Nein, da war es genauso öde wie daheim. Auch in den Schickimicki-Lokalen der Gegend spielte sich um diese Tageszeit rein gar nichts ab.

Also hinauf in den Miesinger Forst, wo die Holzknechte arbeiteten. Stramme Burschen, mit denen man seinen Spaß haben konnte. Und der Attraktivste war dieser Thomas Holzner. Augen hatte der Kerl, die reinsten Pechkohlen, und einen Körper wie ein Athlet. Der versprach einiges.

Dass Thomas verheiratet war und seine Ehefrau liebte, das störte Simone nicht. Sie wollte ihn ja schließlich nur für eine Affäre.

***

»Bist heut grantig, Hinterleitner?«, erkundigte sich Leo Mang, Thomas’ Arbeitskollege. »Weil du gar nix redest.«

»Bin net zum Ratschen aufgelegt«, antwortete Thomas kurz und abweisend und versank wieder in düstere Gedanken.

Weggedreht hatte sie sich, als er ihr in der Nacht ein Busserl hatte geben wollen. Das wurmte ihn am meisten. Sollte das jetzt vielleicht so weitergehen? Nette Aussichten! Er war schließlich ein gesunder junger Mann, der seine Frau von Herzen liebte und begehrte und ihre Zuneigung brauchte. Während ihrer ersten Schwangerschaft war Evi doch auch nicht so abweisend gewesen. Er hatte auf ihren Zustand Rücksicht genommen, aber das Kuscheln und Küssen hatte sie ihm nie vorenthalten, im Gegenteil.

Als das Zwölf-Uhr-Läuten vom Tal heraufklang und die Zeit der Mittagspause da war, sonderte Thomas sich von den anderen Waldarbeitern ab und stieg den Hang hinauf bis zu einer Lichtung. Er wollte allein sein mit seinen Grübeleien. Es gab da einen Heuschober, an dessen Südwand die Aprilsonne warm anlag.

Baroness Simone stieg aus ihrem Sportwagen, als die Holzknechte gerade Brotzeit machten. Den Holzner-Thomas konnte sie unter ihnen nicht erspähen. Als sie sich den Männern näherte, grüßten sie und musterten sie wohlgefällig. Simones Figur in der knappen dunkelroten Lederjacke, die offen stand und ein tief ausgeschnittenes weißes Shirt sehen ließ, war schon einen Blick wert.

Die Holzarbeiter grinsten. Ob sie den Hinterleitner suchte?

»Wenn Sie zum Thomas wollen, Baroness, der ist da oben beim Heuschober«, versicherte Leo Mang beflissen.

»Danke«, entgegnete Simone Perfall ein wenig von oben herab. Es passte ihr nicht, dass dieser Mensch sich einmischte. Sie hätte den Thomas auch ohne seine Auskunft gefunden.

Aber dass sie ihn bei dem Schober allein antreffen würde, das war ihr sehr recht. Eilig kletterte sie den Hang hinauf. Da sah sie Thomas an der Bretterwand des Heuschobers lehnen. Er döste in der Sonne. Sein Gesicht unter dem schwarzen Haar war tiefbraun, die Brauen schmerzlich zusammengezogen. Unter seinem karierten Hemd zeichneten sich seine breiten Schultern und muskulösen Oberarme ab. Er war so recht ein Mannsbild nach Simones Geschmack. Sie wollte ihn haben! Und das, was sie wollte, hatte sie noch immer gekriegt.

»Au!«

Sie war über eine kleine Wurzel gestolpert und spürte einen kurzen, scharfen Schmerz im Knöchel. Er verflog rasch wieder, aber er verhalf Simone zu einer Idee: Die Situation ließ sich ausbauen.

Sie verstärkte also ihre Jammerlaute, bis Thomas aufblickte und sie sah. Sie hatte sich auf einen Wurzelstock sinken lassen und hielt wimmernd ihren Fuß.

»Baroness, Sie? Ist Ihnen etwas passiert?« Thomas sprang auf und kam näher.

»Ach, über eine Wurzel bin ich gefallen«, antwortete sie halb klagend, halb ärgerlich. »Ich fürchte, ich kann nicht allein aufstehen. Der Fuß ist wohl verstaucht oder verrenkt.«

»Ich bring Sie in den Heustadel und schau nach, Baroness«, erwiderte Thomas. »Ich versteh ein bisserl was von solchen Verletzungen.«

»Ja, bitte, Thomas«, hauchte sie dicht an seiner Wange, als er sie hochhob. »Außerdem sind wir zwei doch per du, nicht?«

»Aber das geht doch net, Baroness«, wehrte er verlegen ab. »Ein gnädiges Fräulein und ein Bauer.«

»Unsinn!«, versetzte sie rasch. »Unter Kindheitsgespielen duzt man sich, verstanden? Und solche Standesunterschiede sind schon längst unmodern geworden.«

Er trug sie die paar Schritte bis zum Schober und legte sie dort vorsichtig auf einen Haufen von vorjährigem Heu. Sein Atem ging schwerer, als ihr geringes Gewicht es rechtfertigte.

Ihre unergründlichen grüngrauen Augen waren so nah, und der Duft ihres schweren Parfüms betäubte ihn fast. Sie roch nach Jasmin und Sandelholz, vermischt mit dem Geruch ihres gesunden, wohlgepflegten Körpers.

Thomas zog behutsam die Stiefel von ihren schönen Beinen, elegante Stiefel aus weichem beigefarbenem Saffianleder.

Simone zuckte zusammen. »Tut’s recht weh?«, fragte er mitleidig, und sie lächelte.

»Nur ein bisschen. Du bist sehr geschickt, Thomas.«

Er lief rot an bei dem Lob. »Vielleicht noch die Strümpfe?«, schlug er schüchtern vor.

»Aber ja.« Sie schob völlig ungeniert ihren Lederrock hoch bis zu den Schenkeln. Halterlose schwarze Seidenstrümpfe trug sie, mit einem Rand aus Spitze.

Thomas stieg das Blut zu Kopf. Diese Frau war eine einzige leibhaftige Verführung. Er musste sehen, dass er aus diesem Stadl herauskam mit seinem Duft nach Heu, nach Parfüm und nach junger Frau. Was war denn nur los mit ihm?

Simone streckte ihm ihren zierlichen Fuß entgegen.

»Da sitzt der Schmerz«, sagte sie und zeigte auf eine Stelle unterhalb des Knöchels.

Er beugte sich darüber, und vor seinen Augen flimmerte es. Sein ganzer Körper war in Aufruhr.

Er tastete zart den Fuß ab, konnte aber keine Verletzung feststellen.

»Geschwollen ist nichts«, stieß er hervor. »Auch sieht man keinen Bluterguss. Vielleicht wenn man den Fuß kühlt …? Ich hole Wasser für einen kalten Umschlag.«

Er rannte förmlich aus dem Heuschober zu einem nahen kleinen Bach.

Simone blieb lächelnd zurück und dehnte die Arme. Der hatte Feuer gefangen. Das hätte auch eine Frau mit weniger Erfahrung als sie feststellen können. Aber auch sie war gierig auf ein Abenteuer. Er war so unglaublich männlich und zart und naiv zugleich. Eine betörende Mischung, fand sie.

Am Bach kühlte Thomas sich erst sein glühendes Gesicht. Aber das kalte Wasser schien machtlos bei dem Feuer, das in seinen Adern wütete. Er tauchte sein Taschentuch ein und eilte dann zurück. Er musste schleunigst sehen, die Baroness zu ihrem Wagen zu bringen, sonst …

Simone empfing ihn hingestreckt auf dem würzig duftenden Heu.

»Ach, wie gut das tut!«, murmelte sie verzückt mit geschlossenen Augen, als er das feuchte Tuch um ihren Fuß legte. »Wie du das kannst, Thomas. Weißt du, dass du überhaupt ein ganz Lieber bist? Danke, mein Herr Doktor, danke.«

Sie zog seinen Kopf zu sich nieder und küsste ihn schmachtend mitten auf den Mund. Seine warme Hand, eben noch auf ihrem Fuß, glitt höher bis zu ihrem weißen Schenkel. Seufzend wand sie sich unter seinem Griff.

Was dann weiter geschah, war für Thomas wie ein Traum, etwas ganz Unwirkliches. Er kam erst wieder zu sich, als er gewahr wurde, dass Evi in der offenen Tür des Heuschobers stand und, fassungslos vor Entsetzen, auf die Szene blickte, die sich ihren Augen bot.

Sie hatte zu Hause Leberknödel gekocht und eine frische Rindssuppe, weil sie wusste, dass das Thomas’ Leibspeise war. Sonst gab es etwas so Gutes nur am Wochenende. Aber es sollte ja als Versöhnungsessen gedacht sein. Sie hatte es in den Henkeltopf aus Emaille gefüllt und war damit zum Holzplatz hinaufgestiegen, angefüllt mit guten Vorsätzen und zärtlichen Gedanken.

Was sie nun in der Heuhütte sah, das überstieg alles, was sie sich in ihren schlimmsten Träumen hätte vorstellen können. Thomas, ihr Thomas, in den Armen eines Frauenzimmers, ertappt in flagranti.

Erst hatte sie nur ihren Mann gesehen, der die Gefährtin seines Ehebruchs mit seiner breiten Gestalt verdeckt hatte. Aber da hatten ein Paar Damenstiefel auf dem Heu gelegen, teure, elegante Stiefel, ein Lederrock und schwarze Seidenstrümpfe mit frivolen Spitzen am oberen Rand. Das alles konnte nur einer gehören: der Baroness von Perfall.

Man munkelte ja in der Umgegend, sie sei »eine Scharfe«. Aber dass ihr Thomas …

Evi rannte, wie von tausend Teufeln verfolgt, den Hang hinunter. Der blecherne Topf klapperte an seinem Henkel. Brennend heiße Tränen überfluteten ihr Gesicht und machten sie fast blind. Erst beim Hinterleitner-Hof blieb sie keuchend stehen und presste die linke Hand auf ihr hoch klopfendes Herz. Warum war sie nicht tot umgefallen bei diesem Anblick?

Maxl kam aus der Küche, schmiegte sich an seine Mutter und fragte: »Warum weinst denn, Mami? Hast du Bauchweh?«

Sie strich dem Kind mechanisch über das Haar und entgegnete: »Aber ich wein ja gar net, du dummer Bub. Zu schnell gelaufen bin ich halt, und jetzt klopft mir das Herz so stark. Geh spielen.«

Der Kleine trollte sich, und Evi sank erschöpft auf die Bank, die rund um den Kachelofen lief.

»Thomas, Thomas«, murmelte sie tonlos, »was hast du mir angetan? Jetzt ist alles aus, alles aus!«

Thomas war zutiefst erschrocken aufgesprungen, als er Evi erkannt hatte. Sekundenlang hatte er dann dagestanden wie gelähmt und nur gestammelt: »Meine Frau, meine Evi! Um Gottes willen! Ich muss ihr nach!«

Simone hatte sich träge aufgerichtet und lässig hingeworfen: »Etwas peinlich, allerdings. Aber du musst das nicht dramatisieren. Die Evi wird schon wissen, dass sie keinen Klosterbruder geheiratet hat, sondern ein Mannsbild aus Fleisch und Blut. Reg dich doch nicht auf.«

Doch Thomas hatte keines ihrer Worte gehört. Er war blindlings davongestürzt.

Ein wenig beleidigt hatte Simone sich angezogen und war zu ihrem Auto hinuntergegangen. Er war von der Begegnung schockiert, na ja. Aber trotzdem, er war das Abenteuer wert gewesen. Und er trug sie jetzt unter der Haut, darauf verstand sie sich. Es war nicht ihr letztes Rendezvous gewesen. Nächstes Mal würden sie vorsichtiger sein. Die Evi würde schweigen. Eine Klatschbase war sie nicht. Und wenn sie auch weitererzählte, was sie im Miesinger Forst beobachtet hatte, ihr, Simone von Perfall, machte das wenig aus. Spießige Rücksichtnahme auf ihren guten Ruf und Namen hatte sie längst hinter sich gelassen.

Seelenruhig lenkte sie ihren schicken Wagen in Richtung Krottenstein, mit dem satten Behagen einer Katze, die eben eine Maus verzehrt hat.

***

Thomas rannte, bis er auf seinem Hof ankam. So von der Arbeit wegzustürzen, das war ihm bis jetzt noch nie eingefallen, aber er musste mit Evi reden, sofort, ehe ein Unglück geschah, das seiner Ehe schadete. Keinen Gedanken verschwendete er mehr an die Baroness, die er doch mit einem verletzten Fuß oben in der Hütte zurückgelassen hatte.

Er fand Evi im Schlafzimmer, wo sie weinend neben dem Bett zusammengesunken war.

»Everl, bitt schön, lass dir erklären …«, begann er, sanft zu reden. Aber wie eine Feder schnellte sie empor und schrie ihn mit blitzenden Augen an: »Still bist! Deine Lügen will ich net hören. Hab selber zwei Augen, und die haben genug gesehen, übergenug. Wir zwei sind fertig miteinander, du Ehebrecher!«

Ihr liebes herzförmiges Gesicht mit dem süßen Lächeln war nun hart, wie versteinert, als die herben Worte aus ihr herausbrachen.

»Aber Evi, du musst mich doch wenigstens anhören«, rief Thomas flehentlich. »Jeder Verbrecher darf sich rechtfertigen. Und ein Krimineller bin ich dann doch net.«

»Für mich schon«, versetzte sie bitter und wandte sich ab. »Und es ist ausgeredet zwischen uns. Geh weg aus meiner Stube! Schlafen kannst in der Knechtskammer. In mein Bett kommst mir nimmer.«

Für den Rest des Tages verließ Evi die eheliche Schlafstube nur mehr, um dem Kind etwas zu essen zu geben und es schlafen zu legen. Ihrem Mann warf sie Kissen und Decken auf die Ofenbank und verriegelte dann die Tür.

Thomas war wie vor den Kopf geschlagen. Er wusste mit dieser ungewohnten Situation nicht umzugehen.

In dieser Stunde verließ das Glück den Hinterleitner-Hof, und Leid und Kummer zogen ein. Was ein einziger Schritt vom Wege doch alles bewirken konnte! Thomas verlebte eine schlaflose Nacht in der kalten Knechtskammer, die längst nicht mehr benutzt wurde. Die Holzners konnten sich ja einen Knecht nicht leisten, selbst wenn einer zu haben gewesen wäre.

Wie konnte ich mich nur so gehen lassen?, dachte der Mann immer wieder verzweifelt und schlug sich mit den flachen Händen gegen die Stirn. Wie ein blinder Bär bin ich in die Falle mit dem vergifteten Honig getappt. Und prompt muss mich die Evi erwischen. Die Baroness, das mannstolle Frauenzimmer, hat es darauf angelegt. Der Leo hat schon recht gehabt damals. Aber trotzdem, es hätte nicht passieren dürfen. Die Evi und ich, wir haben uns Treue geschworen vor Gott. Traurig, wenn man sich in der Ehe nicht mehr aufeinander verlassen kann. Und ich hab sie ja so gern, mein Everl.

Unter Selbstvorwürfen vertropften zäh die Stunden der Nacht. Vielleicht hat sich ihre Empörung gelegt und sie lässt mit sich reden, sinnierte Thomas, als das Morgenrot durchs Fenster leuchtete. Ja, wir werden uns aussprechen, und alles ist wieder gut. Herrgott, es war das erste und einzige Mal, dass mich eine herumgekriegt hat. Probiert hatten es schon manche. Zornig war ich halt auf die Evi, weil sie so ungut zu mir gewesen ist. Und die Baroness ist eine verflixt rassige Person, die es versteht, einem Mann den Verstand zu rauben. Aber ein zweites Mal gelingt ihr das nicht. Beim Frühstück werden wir uns wieder vertragen, die Evi und ich, bestimmt.

Doch wie sehr er sich täuschte!

Am Morgen fand er auf dem Esstisch einen Zettel mit den Worten:

Lieber Thomas, was du mir angetan hast, das kann ich weder verzeihen noch vergessen. Treue und Ehrlichkeit sind mir immer heilig gewesen, und ich selber habe sie nie verletzt. Ich gehe mit dem Maxl zu meiner Tante Mathilde nach Osterfeld. Was weiter aus uns werden soll, das weiß ich noch nicht. Bitte besuch mich nicht. Ich würde nicht mit dir reden.

Evi

Thomas las die Zeilen, und er glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Sie konnte doch nicht fort sein. Das Auto stand draußen vor dem Haus. Er rannte nach oben zur Schlafstube und hämmerte mit den Fäusten gegen die Tür.

»Evi, mach auf! Komm heraus, ich bitt dich.«

Endlich öffnete sich die Tür. Seine Frau trat heraus, das Kind an der Hand. Ihr Gesicht war totenbleich und zeigte Tränenspuren, als sie ihn einfach aus dem Weg schob. Sie stellte zwei schwere Koffer vor die Tür und sagte tonlos: »Das Gepäck lass ich abholen. Maxl, komm jetzt.«

Sie ging auf die steile Stiege zu, die ins Erdgeschoss hinunterführte. Thomas Arme umklammerten sie von hinten.

»Evi, bleib! So kannst du mich doch net verlassen mit dem Kind. Evi …«

Sie riss sich los, und dann hörte man ein dumpfes Gepolter und einen schrillen Aufschrei. Evi war gestrauchelt und die schmale Treppe hinuntergestürzt. Wie ein Häufchen Elend lag sie zusammengekrümmt unten auf dem Steinboden.

Der kleine Bub weinte laut auf.

Thomas schob ihn in die Schlafstube zurück und lief die Stiege hinunter. Er hob seine ohnmächtige Frau auf, trug sie hinaus und legte sie auf den Rücksitz des Autos. Maxl musste er auch mitnehmen. Er hatte ja niemanden, der auf das Kind achten konnte.

Tränen zogen silbrige Spuren über Thomas’ braune Wangen, als er den Wagen eilig, aber doch mit Vorsicht dem Ort Bayrisch-Bronn zu lenkte. Dort gab es ein Krankenhaus. Mein Gott, lass meine Evi nicht sterben!, betete er lautlos.

Der Untersuchungsbericht war dann wenig erfreulich. Evi selber war zwar glimpflich davongekommen, aber das Baby hatte sie verloren.

Oh nein! Thomas stöhnte. So ein Unglück! Wie sehr hatten sie sich beide auf das Baby gefreut! Und nun war es verloren. Eine Versöhnung wurde da durch unwahrscheinlicher. Seine Frau wollte ihn nicht sehen. An ihrem Bett saß wie ein grimmiger Wachhund ihre Tante Mathilde und ließ niemanden zu ihr.

***

Das bescheidene Häuschen der Mathilde Böckler stand am Ortsrand von Osterfeld. Mathilde war Witwe. Früher war sie eine sehr gesuchte Trachten- und Damenschneiderin gewesen. Heute nahm sie nur noch Änderungen und Flickarbeiten an, um sich zu ihrer kleinen Rente ein Zubrot zu verdienen. Kinder hatte Frau Böckler keine. Deshalb hing sie sehr an ihren Neffen und Nichten. Die freundliche, anmutige Evi war schon immer ihr besonderer Liebling gewesen. Sie war auch ihre Tauf- und Firmpatin.

Als Evi aus dem Krankenhaus entlassen wurde, nahm Mathilde sie gerne bei sich auf. Sie freute sich auf Gesellschaft in ihrem einsamen Haus. Den Maxl hatte sie schon seit dem Sturz der Mutter in ihrer Obhut.

Der Kleine jammerte oft nach seinem Papa. Er konnte ja nicht begreifen, warum die glückliche Familie so jäh auseinandergerissen worden war. Evi war gesundheitlich geschwächt. Deshalb fielen Tante Mathildes Ratschläge auf fruchtbaren Boden.

»Evi«, sagte sie, »was dein Mann dir angetan hat, das darfst du dir net gefallen lassen. Natürlich hat er schon längst was gehabt mit der Baroness. Dass du die zwei gleich beim ersten Mal erwischt hast, so einen Zufall gibt’s ja gar net. Sie ist ein Luder. Das ist bekannt. Aber dennoch, ein Ehemann und Vater müsst sich beherrschen können. Und dass du wegen dieser Geschichte auch noch dein Kind verloren hast, ist der Gipfel. Nein, das kann der Thomas nie mehr gut machen.«

»Aber Tante. Dafür, dass ich gestürzt bin, kann er doch nun wirklich nichts«, wandte Evi schüchtern ein.

Aber Mathilde blieb fest auf ihrer Ansicht bestehen.

»Du kannst ihm nie wieder trauen«, behauptete sie. »Lass dich scheiden. Jetzt bist du noch jung und hübsch und kriegst einen Besseren als den notigen Bergbauern. Der Reiser-Hans, zum Beispiel, hat dich immer gern gesehen.«

»Aber der hat doch die Lisa Steingruber«, wehrte Evi ab. »Und überhaupt …«

Mathilde Böckler lächelte unergründlich. »Hm, die Lisa«, erwiderte sie. »Von der hab ich so allerhand gehört. Tät mich net wundern, wenn das Verlöbnis mit dem Hans auseinanderginge. Aber sei es, wie es will. Vorerst bleibst du einmal hier mit dem Buben. Der Thomas muss einsehen, dass er nicht so mit dir umgehen kann. Ich glaub, er ist net der Richtige für so ein braves, solides Madel, wie du eins bist. Er hat ein hitziges Blut. Bei solchen Mannsbildern ist Vorsicht am Platz.«

»Aber ich hab ihn halt lieb, Tante«, flüsterte Evi verzagt. »Und bis dahin hat er sich ja nix zuschulden kommen lassen.«

»Was weißt denn du, Dirndl?«, widersprach die Tante. »Du bist eine viel zu gute Haut und glaubst alles. Der Thomas arbeitet viel außer Haus. Da kann gar manches passieren.«

»Aber er ist doch der Vater vom Maxl«, meint Evi. »Das Kind braucht seinen Papa.«

»Net, wenn der ein Hallodri ist und nix taugt«, schimpfte Mathilde energisch. »Wegen dem Buberl kriegst du leicht noch einen anderen Mann, Evi. Der Kleine versteht ja noch nix und vergisst schnell. Der gewöhnt sich leicht an einen Stiefvater, wenn es ihm nur gut geht.«

»Aber der Thomas hängt doch so am Maxl«, wandte Evi ein. »Der wird mir den Buben net überlassen.«

»Das wird er schon müssen«, urteilte die Tante unerbittlich.

Evi schwieg. Es hatte keinen Zweck, Mathilde Böckler umzustimmen. Und tief verletzt war Evi ja tatsächlich. Das Bild ihres Mannes und der halb nackten Frau, die sich im Heu wälzten, hatte sich schmerzhaft in ihre Seele gebrannt. Sobald sie die Augen schloss, war es da. Es raubte ihr Appetit und Lebensfreude und ließ sie nicht schlafen.

Ein Seitensprung, was bedeutet das schon?, so sagen heute viele. Er gibt müden Ehen Pfeffer und möbelt sie auf. Aber Evi dachte anders. Ihre Ehe war intakt gewesen. Sie hatte Thomas geliebt wie am ersten Tag und hatte ihm voll vertraut. Der Treuebruch hatte sie getroffen wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

Außerdem wusste sie nicht, ob es nur ein einmaliger Schritt vom Wege gewesen war. Vielleicht hatte ihr Mann wirklich längst ein Verhältnis mit der Baroness gehabt, wenn sie sich so etwas auch nicht vorstellen konnte. Aber allein der Gedanke daran brannte wie Salz in einer offenen Wunde.

***

Thomas raste inzwischen vor Verzweiflung und hilfloser Wut. Sooft er im Böckler-Haus anrief, war Mathilde am Apparat und fertigte ihn kaltschnäuzig ab.

»Der Evi und dem Buben geht es gut. Sehen will deine Frau dich nicht. Find dich damit ab! Du weißt ja, warum. B’hüt dich Gott!«

Was Thomas dann noch erregt erwidern wollte, verklang ungehört. Frau Böckler hatte den Hörer aufgelegt.

Thomas’ Schmerz und Sehnsucht wichen allmählich einem dumpfen Trotz. Er versuchte noch, Evi mit einem Brief umzustimmen. Doch er war nicht sehr gewandt darin, überzeugende Worte aufs Papier zu bringen.

Dann lauerte er stundenlang vor Mathildes Haus. Einmal musste Evi doch herauskommen. Aber sie kam nicht, und auf Thomas’ Klopfen ließen sie ihn nicht ein. Er musste schließlich aufgeben, denn die Nachbarn wurden bereits aufmerksam.

Endlich zog sich Thomas verbittert auf seinen Hof zurück und wartete auf ein Wunder. Er hatte viel zu schaffen, denn er musste Evis Arbeit mit erledigen. Der Haushalt verkam allmählich, von Evis musterhafter Ordnung war nichts mehr zu sehen. Beim Putzen, Waschen und Kochen stellte Thomas sich nämlich ungeschickt an. Er hatte sich ja bisher nicht darum kümmern müssen.

Er sah auch äußerlich nicht mehr so sauber und stattlich aus wie früher. Er magerte ab, und sein attraktives Gesicht nahm Züge tiefen Grams an. Er ließ sich einen Bart stehen, der ihm etwas Wildes, Unzulängliches verlieh. Die Hemden, die er trug, waren zerrissen und nicht immer von vorbildlicher Sauberkeit. Tag und Nacht grübelte er darüber nach, wie sehr eine einzige Untreue sein Leben zum Schlimmen verändert hatte.

Er war schuldig, ganz gewiss. Er wollte es ja gar nicht leugnen. Aber war das gerecht und christlich von Evi, so unversöhnlich zu sein? Er war ein unvollkommener Mensch, der straucheln konnte. Durfte sie sich da so aufs hohe Ross ihrer Tugendhaftigkeit setzen? So wie seine Frau sich jetzt benahm, brachte sie eine pharisäerhafte Selbstgerechtigkeit zum Ausdruck. Und dass sie ihm seinen Sohn vorenthielt, das war schlicht ungesetzlich.

Thomas arbeitete sich immer tiefer in seinen Groll hinein – und litt wie ein Tier …

***

Simone von Perfall erfuhr durch den Dorfklatsch, dass Holzners Ehefrau das Haus ihres Mannes verlassen hatte und bei ihrer Tante in Osterfeld wohnte. Man bedauerte sie, weil sie ihr Baby verloren hatte. Aber die tieferen Hintergründe über das Scheitern ihrer Ehe kannte man nicht so genau. Der Thomas war doch ein fleißiger Mensch und hatte mit Evi gelebt wie ein Turteltaubenpaar. Was war da bloß geschehen?

Einzig die Baroness kannte die Wahrheit. Nun, so eingeschnappt hätte diese Bauerntrine auch nicht reagieren müssen?, dachte Simone. Hat man einen so attraktiven Mann, dann muss man ab und zu durch die Finger sehen. Aber ihr war es recht. So war die Bahn frei für sie. Denn sie hatte große Lust, diese Affäre mit dem starken Thomas fortzusetzen.

Als sie ihn dann sah, erschrak sie ein wenig. Unrasiert, abgerissen und ungepflegt schaute er aus! Aber all das betonte noch das Wilde, Verwegene seiner Erscheinung, und pingelig war sie nie gewesen, wenn ihr ein Mann gefiel.

»Na, Waldschrat?«, begrüßte sie ihn scherzend, als sie den Hinterleitner-Hof betrat. »Willst du dem Ötzi Konkurrenz machen mit deiner Gesichtsbehaarung? Lass mal probieren, wie ein Kuss schmeckt mit dieser Drahtmatratze.«

Er drehte sich abrupt nach ihr um. Seine schwarzen Augen glitzerten gefährlich.

»Sie, Baroness?«, stieß er wütend hervor. »Sie haben mir gerade noch gefehlt.«

»Dann passt es ja gut«, versetzte Simone, die nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen war. »Übrigens waren wir per du beim letzten Mal. Sag bloß, du hättest das vergessen. Igitt, wie sieht es denn hier aus?«

Sie wischte mit dem Taschentuch eine Stuhlfläche ab, ehe sie sich daraufsetzte.

»Wie es halt ausschaut in einem Haus, das die Frau verlassen hat«, brummte er unfreundlich. »Ich hab dich net eingeladen herzukommen. Geh halt, wenn es dir zu dreckig ist.«

Simones graugrüne Augen wurden schmal. Sie war nicht empfindlich, aber so viel Grobheit vertrug sie nicht.

»Was soll das, Thomas?«, fuhr sie ihn scharf an. »Willst du deine schlechte Laune an mir auslassen? Trage ich vielleicht die Schuld daran, dass dein liebendes Eheweib dir abgehauen ist?«

»Wer sonst?«, knurrte Thomas böse. »Bist du nicht immer wieder im Miesinger Forst aufgekreuzt und hast mich so lange gereizt, bis ich schwach geworden bin? Schließlich weißt du, dass ich verheiratet bin. Jetzt muss ich büßen für die dumme Geschicht.«

»Dumme Geschichte?« Wild fuhr ihr Kopf herum, dass das rotblonde Haar flog. »So nennst du das? Sehr schmeichelhaft für mich.«

Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht und gab sich den Anschein, als weinte sie.

Tränen bei einer Frau? Das konnte Thomas nicht ertragen. Sein Ton wurde weicher, als er sagte: »Aber es ist doch wahr, Simone. Es war dumm und falsch, was wir getan haben. Meine Ehe, meine glückliche Ehe, ist kaputt, und mir geht’s so schlecht wie nie zuvor. Am liebsten würde ich alles hinwerfen und Schluss machen.«

Ihr Lächeln war verächtlich, als sie schneidend erwiderte: »So ein Schwächling und ein Spießer bist du, Thomas Holzner? So groß und stark und doch so ein Jammerlappen? Lass doch deine Evi laufen und genieße deine Freiheit. Sie würde sich wahrscheinlich schieflachen, wenn sie dich so sähe. Sicher hat sie längst einen anderen.«

Kopfschüttelnd starrte Thomas die Frau an. »Du verstehst nichts, Simone, gar nichts«, stieß er hervor. »Hast du überhaupt eine Ahnung davon, was Liebe bedeutet?«

Sie lächelte kokett und schmiegte sich an ihn. »Ich denke schon«, konterte sie. »Willst du es ausprobieren?«

Er schob sie von sich und zischte: »Nie wieder, Baroness! Einmal war schon zu viel.

Sie kicherte spitz. »Feigling. Du kannst ja doch meine Nähe nicht ertragen, ohne dass deine Hände anfangen zu zittern. Du begehrst mich, und wenn du es hundert Mal leugnest. Na schön, spiel den Asketen, kasteie dich. Aber wenn deine Einsamkeit dich verrückt macht, dann brauchst du mich nicht zu rufen. Ich würde nicht kommen.«

»Denk doch, was du willst«, erwiderte er leise. »Ich bitte dich nur noch um eine einzige Sache: Geh zu meiner Frau und sage ihr, dass wir nur ein einziges Mal zusammen waren. Dir wird sie glauben. Wenn du das tust, dann habe ich sogar Respekt vor dir.«

Simone starrte ihn lange und schweigend an. Dann lachte sie grell auf. »Ich bin doch nicht verrückt«, versetzte sie hart. »Was geht mich deine Frau an?«

Thomas öffnete weit die Türe. »Dann geh bitte«, antwortete er. »Geh und komm nicht wieder.«

***

In seinem Arbeitszimmer auf Krottenstein saß Baron Perfall am Schreibtisch und schloss die Bankauszüge weg, die er eben studiert hatte. Spöttisch musterte er seinen Sohn, der eben im Tennisdress hereingeschlendert kam.

»Du willst mich sprechen, Papa? Da bin ich.«

»Hast du dich gut amüsiert?«, fragte sein Vater, und seine Stimme triefte vor Ironie. »Wie floriert das Antiquitätengeschäft?«

Baron Felix warf sein Racket auf einen Sessel und antwortete lässig: »Scheußlich flau, Papa. Man treibt ja kaum noch gute Stücke auf, und die Konkurrenz ist zu groß. Jedes dreckige kleine Nest hat schon seinen Antiquitätenladen. Bauern, die mir früher einen bemalten Tölzer Schrank von 1650 fast kostenlos nachgeworfen haben, wollen mich jetzt mit Plunder von vor dem Zweiten Weltkrieg hereinlegen. Da macht es einfach keinen Spaß mehr.«

Baron Rainer nickte. »Kurz und gut, du verdienst so viel wie nichts«, stellte er trocken fest. »Aber das berührt dich nicht, da ja dein rühriger Erzeuger emsig arbeitet und für Geldnachschub sorgt.«

Felix zeigte eine gekränkte Miene.

»So darfst du nicht reden, Papa«, beschwerte er sich schmollend. »Die Konjunktur ist eben schlecht. Ich tue wirklich, was ich kann.«

»Und das ist blutwenig«, brummte der Baron. »Ich weiß, ich weiß«, setzte er hinzu, da sein Sohn protestierend beide Hände hob. »Du bist ja ein großer Künstler. Es hat bis jetzt nur außer dir keiner gemerkt, und deine Malerei hat dir noch keinen roten Heller eingetragen.«

Felix reckte seine überschlanke Gestalt. »Oh, wenn ich mein neuestes Bild nach München zur Ausstellung einreiche, dann wirst du schon sehen, Papa«, meinte er. »Ich setze die größten Hoffnungen in dieses Werk. Es wird für meinen Durchbruch sorgen, ganz bestimmt.«

Baron Rainers Mund zuckte. »Mag sein, mag sein«, sprach er wenig überzeugt. »Ich jedenfalls finde, du solltest deine Begabung anderweitig einsetzen, wo mehr Erfolg zu erwarten ist.«

Felix zuckte erschrocken zusammen. Sein Vater hatte ihm einmal angedroht, ihn in die Verwaltung seiner Fleischfabrik zu stecken, und diese Aussicht hatte ihn mit Grausen erfüllt.

»Wie … wie meinst du das, Papa?«, stotterte er unsicher.

Sein Vater klatschte in die Hände und rief: »Heiraten solltest du, mein Junge. Du bist von altem Adel, siehst gut aus, bist elegant und hast gesellschaftliche Talente. Du bist wie geschaffen für eine reiche Erbin. Einige betuchte Kandidatinnen für dich habe ich bereits an der Hand. Nun liegt es nur noch an dir.«

»Aber Papa«, stammelte Felix verblüfft. »Das … passt mir momentan aber gar nicht. Ich … ich habe nicht vor, mich jetzt schon zu binden.«

Der Baron antwortete mit einer Grimasse des Unwillens. »Ob dir das passt oder nicht, mein Sohn, das interessiert nicht«, entgegnete er in schneidendem Ton. »Ich habe es satt, für dich und deine Schwester den Goldesel zu spielen ohne eine Gegenleistung eurerseits. Ihr seid beide alt genug, etwas zum Unterhalt des Hauses Perfall beizutragen. Da es leider an praktischen Talenten fehlt, muss es eben auf andere Art geschehen.

Ich habe für den September den Hamburger Senator Petersen samt Tochter zur Jagd eingeladen. Petersen ist sehr begütert, einer der ersten Hamburger Namen. Du wirst Nathalie Petersen die Zeit bei uns so angenehm gestalten, wie es nur möglich ist, und ihr kräftig den Hof machen. Ich hoffe nur, dass sie dich nimmt. So, nun kannst du dich seelisch auf diese Aufgabe vorbereiten.«

Baron Rainer erhob sich und stampfte aus dem Zimmer, während sein Sohn in der unbehaglichsten Stimmung zurückblieb.

***

Auch Evi Holzner fühlte sich im Häuschen der Mathilde Böckler zusehends unbehaglicher. Das gewohnte Leben auf dem Bauernhof ging ihr ab, die Tiere, die sie gern versorgt hatte, ihre tägliche Arbeit. Maxl vermisste seine Spielgefährten, den Hund Fido und das ungebundene Leben in der freien Natur. Hier durfte er Tante Mathildes winziges Gärtchen nicht verlassen, denn eine vielbefahrene Autostraße führte ganz in der Nähe vorbei.

Er fragte täglich nach seinem Papa und dem Pferd Schecke, auf dem Thomas ihn oft hatte reiten lassen.

Die erzwungene Untätigkeit machte Evi gereizt und nervös. Das bisschen Hausarbeit war gleich getan. Sie sorgte sich, wie wohl Thomas allein auf dem Hof fertig wurde. Überhaupt sorgte sie sich um ihn. Wer kochte ihm Essen, wusch seine Hemden, säuberte das Haus? Ob er sich noch mit der Baroness Simone traf?

Der Gedanke daran war zu schmerzlich. Um sich davon abzulenken, half Evi der Tante bei deren Näharbeiten. Aber es machte ihr wenig Spaß. Sie tummelte sich lieber im Stall, bei ihrem Federvieh und im Gemüsegarten. Am liebsten hätte sie ihr Bündel gepackt und wäre schnurstracks auf den Hinterleitner-Hof zurückgekehrt.

Abends, wenn sie schlafen ging, weinte sie vor Sehnsucht nach Thomas. Aber Mathilde redete von Rechtsanwalt und Scheidung.

»Die Baroness war wieder bei deinem Thomas«, hetzte sie. »Die Kramer-Balbina hat mir’s erzählt. Die hat ihr Auto auf eurem Hof stehen sehen. Er lässt net von ihr, der Ehebrecher. Du musst jetzt endlich nach Bayrisch-Bronn hinüberfahren, Evi. Da gibt’s eine tüchtige Anwältin. Mit der gewinnst du jeden Prozess, und der Kerl muss zahlen.«

Da flammte Evis Groll wieder auf wie ein Feuer, das ein frischer Luftzug anfachte. Nein, sie würde nicht zu ihrem untreuen Mann zurückkehren. Sie konnte ihm nicht verzeihen!

***

Eines Tages traf sie Hans Reiser auf der Straße. Er grüßte sie freundlich, aber ein wenig verlegen. Man wusste in Osterfeld inzwischen, dass Evi ihren Mann verlassen hatte.

»Geht’s dir gesundheitlich wieder besser, Evi?«, erkundigte sich Hans, und sie nickte.

»Ja, ich bin wieder in Ordnung. Was macht die Lisa?«, fügte sie eilig hinzu, um weitere Fragen nach ihrem Befinden und ihren Absichten zu verhindern. »Heiratet ihr bald?«

Reiser nickte lächelnd. »Wahrscheinlich noch vor dem Advent. Wenn es dem Steingruber besser gegangen wäre, wären wir schon Eheleut. Aber man hat ihn halt am Knie operieren müssen. Da wollte die Lisa abwarten, bis er wieder gesund ist. Doch es geht ihm schon ganz erträglich.«

»So?« Evi nickte. »Dann wünsch ich euch beiden alles Gute. Ich muss weiter.«

Hastig lief sie davon, denn Hans Reisers glückstrahlendes Gesicht weckte nur schmerzliche Erinnerungen in ihr.