Heimat-Roman Treueband 55 - Sissi Merz - E-Book

Heimat-Roman Treueband 55 E-Book

Sissi Merz

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Beschreibung

Lesen, was glücklich macht. Und das zum Sparpreis!

Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.
Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.

Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Alpengold 213: Ich darf dich nicht lieben
Bergkristall 294: Wer ist der Bursch an deiner Seite?
Der Bergdoktor 1783: Böse Frucht der Eifersucht
Der Bergdoktor 1784: Entdeckung im Herbstwald
Das Berghotel 150: Einmal Weinkönigin sein

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 592

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Sissi Merz Christian Seiler Andreas Kufsteiner Verena Kufsteiner
Heimat-Roman Treueband 55

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2015/2016/2017 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2023 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Iryna Shepetko / shutterstock

ISBN: 978-3-7517-4698-4

https://www.bastei.de

https://www.sinclair.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Heimat-Roman Treueband 55

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Alpengold 213

Ich darf dich nicht lieben

Bergkristall - Folge 294

Wer ist der Bursch an deiner Seite?

Der Bergdoktor 1783

Böse Frucht der Eifersucht

Der Bergdoktor 1784

Entdeckung im Herbstwald

Das Berghotel 150

Einmal Weinkönigin sein

Guide

Start Reading

Contents

Ich darf dich nicht lieben

Die blutjunge Frau des Vaters wird ihm zum Schicksal

Von Sissi Merz

»Lass mich net zu lange warten, mein Blumenkavalier«, ruft Sabine ihrem Mann übermütig hinterher. Rudolf Angermaier will heute seinen Forst inspizieren und verspricht seiner blutjungen Frau, ihr einen blühenden Almrausch mitzubringen. Die beiden haben erst vor wenigen Wochen geheiratet und sind bis über beide Ohren ineinander verliebt. Es war Liebe auf den ersten Blick!

Aber an diesem Tag schlägt das Schicksal grausam zu, denn Rudolf kehrt nicht auf den Schlehenhof zurück. Auf dem Rückweg vom Forst erleidet er einen tödlichen Autounfall. Sabine ist untröstlich und fällt in eine schwere Depression.

Einzige Stütze ist ihr in dieser Zeit der Trauer Michael, der ältere Sohn des Hofbauern. Sie ahnt nichts von den verbotenen Gefühlen, die der junge Mann für sie hegt – bis er eines Tages verhaftet wird. Er soll den Wagen seines Vaters manipuliert haben …

Klar und hell stieg die Märzsonne an diesem frühen Morgen über die Spitze des Kramers, des Hausbergs von Audorf, nahe Garmisch-Partenkirchen im Werdenfelser Land.

Die kleine, kaum hundert Einwohner zählende Gemeinde lag idyllisch in einem langgezogenen Tal, dessen mildes Klima die Landwirtschaft begünstigte. Im Norden erhoben sich so markante Gipfel wie Alpspitze, Waxenstein und die bekannte Zugspitze auf einer Höhe von weit über zweitausend Metern. Diese steinerne Wand brach die kalten Winde aus Nord, verhinderte im Frühjahr Spätfröste und zum Ende des Herbstes hin allzu zeitige Wintereinbrüche.

Folgte man der schmalen, kurvigen Landstraße Richtung Süden, gelangte man innerhalb einer guten halben Stunde nach Garmisch. Es gab hier viele landwirtschaftliche Flächen wie Wiesen, Weiden und Äcker sowie Almen auf der Höhe über dem Tal.

Das Tal von Audorf war waldreich. Dichte Mischwälder und himmelhohe Föhrenforste bildeten eine beinahe undurchdringliche Wildnis. Inmitten des Waldes lag westlich des Dorfes der Walchensee, ein klares, vom Gebirgswasser des Kramers gespeistes Gewässer voller Forellen und Barben.

Das Tal von Audorf zeichnete sich durch seine ursprüngliche Natur aus, in der noch seltene Pflanzen und Tierarten zu finden waren. Die Menschen hier waren fest verwurzelt auf der Scholle ihrer Vorfahren. Sie lebten von und mit dem Land, der Begriff des freien Bauerntums hatte noch eine Bedeutung. Man nutzte die natürlichen Ressourcen, ohne sie zu zerstören.

Jeder Bauer betrieb Landschaftspflege und entnahm den Forsten nur so viel Holz, wie er für den eigenen Bedarf benötigte. Der pflegliche Umgang mit der Natur war Tradition und Selbstverständlichkeit.

So hielten es auch die Bewohner des Schlehenhofes seit vielen Generationen. Die Familie Angermaier bewohnte und bewirtschaftete den stattlichen Besitz am Rand von Audorf. Der jetzige Bauer, Rudolf Angermaier, hatte den Hof seinerzeit von seinem Vater übernommen und dieser wiederum von seinem Vater. Und so konnte man die Linie der Bauernfamilie zurückverfolgen bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts.

Alle Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle waren in dem dicken Familienbuch eingetragen, das jeder Bauer mit dem Hof übernahm und gewissenhaft führte.

Das Anwesen, zu dem eine von Ulmen gesäumte Allee führte, war im traditionellen Gebirglerstil errichtet worden. Ein breites, tiefgezogenes Schindeldach, eine weiß gekalkte Fassade, Fenster und Haustür aus schwerem Eichenholz sowie ein umlaufender Holzbalkon. Die freien Balken oberhalb des Eingangs verrieten das Baujahr des Gebäudes: 1811. Dazu ein Psalm aus der Bibel, der das Haus und seine Bewohner segnen und schützen sollte. Ebenso wie der Heilige Florian in der Nische neben der Haustür und die Lüftlmalerei auf der Fassade, die gleich ein ganzes Heer von Engeln und Heiligen zeigte und von der bodenständigen Frömmigkeit der Hausbewohner sprach.

Zu beiden Seiten schlossen sich Remise, Stall, Scheune und Gesindehaus an das Gebäude an, wodurch ein großer Wirtschaftshof entstand. In dessen Mitte erhob sich die mehr als zweihundertjährige Kastanie, die im Sommer mit ihrem ausladenden Blätterdach den kunstvoll gepflasterten Wirtschaftshof beschattete.

Der alte Schlehenbusch, der dem Hof seinen Namen gegeben hatte, wuchs hinter dem Haus im Bauerngarten. Knorrig und von Wind und Wetter gezeichnet war er. Im Laufe der Jahrzehnte hatte er viele Äste eingebüßt, und manche Krankheit hatte ihm zugesetzt. Doch noch immer steckte Leben in dem alten Stamm. Und in jedem Frühjahr überzog ein duftiger Schleier süßer Blütensterne den Busch, die im Herbst zu tiefschwarzen Früchten reiften und den Grundstock für den kräftigen, fruchtigen Schlehenbrand bildeten, den der Bauer noch selbst brannte.

Nun, Mitte März, trug die Schlehe schon dicke Knospen, die nur darauf warteten, sich zu öffnen. Noch waren die Nächte aber zu kalt und oft auch frostig. In den Beeten fanden sich Reste des Wintergemüses, Lauch, Grünkohl und einige Stiele Mangold sowie die letzten Strünke mit Rosenkohl. Bald aber wurden die Beete geräumt und neu bestellt, denn das Frühjahr war nicht mehr weit.

In diesem Jahr würde Irmgard Angermaier, die Jungbäuerin, diese Arbeit übernehmen. Seit zwei Jahren war sie mit dem jüngeren Hofsohn Tobias verheiratet. Bislang hatte die schon recht betagte Hauserin Rosa den Garten bestellt. Nun aber musste sie kürzertreten, denn das Rheuma plagte sie gar zu sehr.

Irmgard war das nur recht. Wäre es nach ihr gegangen, dann hätte sie am liebsten alles auf dem Schlehenhof bestimmt. Doch Tobias’ älterer Bruder Michael war der Jungbauer, und wie es aussah, würde er schon bald der Bauer sein.

Der Hof trug leicht mehrere Familien, trotzdem schmeckte es der ehrgeizigen Irmgard nicht, dass sie nur die zweite Geige spielen sollte. Und seit der Altbauer im Spital lag, versuchte sie ständig, ihren Mann aufzustacheln, sich gegen seinen älteren Bruder durchzusetzen.

Tobias war ein eher leichtlebiger Mensch, der sich nicht viele Gedanken machte und sich lieber dem fügte, was Irmgard wollte, um Streit zu vermeiden. Doch auf seinen Bruder ließ er nichts kommen. Und der war für ihn nun mal der rechtmäßige Nachfolger des Vaters. Irmgard wurmte diese Einstellung, aber so sehr sie Tobias auch antrieb, in dem Punkt blieb er stur.

Rudolf Angermaier war vor zwei Wochen am Rücken operiert worden und lag noch im Spital in Garmisch.

Der Bauer stand heuer im neunundfünfzigsten Jahr und war schon seit zwanzig Jahren Witwer. Damals, als seine Frau Christel völlig unerwartet an einem Hirnschlag starb, stand er plötzlich mit zwei kleinen Buben hilflos da.

Der Verlust seiner warmherzigen, lieben Frau traf ihn schwer. Obwohl Rudolf ebenso wie sein Sohn Tobias das Leben eher von seiner leichten Seite nahm und die Madeln früher mit seinem luftigen Charme reihenweise betört hatte, war der Tod seiner Frau für ihn kaum zu ertragen gewesen. Eine ganze Weile gab er sich dem Alkohol hin, ließ den Hof verlottern und kümmerte sich nicht um die mahnenden Briefe des Jugendamts, das drohte, ihm die Kinder wegzunehmen.

Dann kam Rosa als Hauserin auf den Schlehenhof und brachte alles wieder auf Vordermann. Die damals knapp Sechzigjährige wurde für die verwaisten Buben eine liebevolle Ersatzmutter und half dem Bauern, seine Krise zu überwinden. Sie war eine lebenserfahrene Frau, hatte zwei Männer begraben und schon mehrere Haushalte geführt, bevor sie auf den Schlehenhof kam, der ihr zur Heimat wurde.

Bei Rosa konnte Rudolf sich aussprechen. Die fleißige Frau mit dem spröden Charme gab ihm wieder Halt und neuen Lebensmut. Und nun, da Rosa in die Jahre gekommen war und eigentlich längst ihren Ruhestand hätte genießen können, war sie noch immer die Seele des Schlehenhofes.

Sie war es auch gewesen, die den Bauern überredet hatte, sich endlich operieren zu lassen. Der Landarzt hatte seinen Patienten jahrelang umsonst gemahnt, dass er irgendwann im Rollstuhl sitzen würde, wenn er sich nicht endlich dem nötigen Eingriff unterzog.

Rudolf hatte davon nichts wissen wollen. Er war sein Lebtag ein Mann wie ein Baum gewesen, groß und stark, den nichts umhauen konnte. Dass sein Rücken nicht mehr mitspielte, hatte er lange ignoriert. Viel zu lange. Die Schmerzen wurden immer schlimmer. Hinzu kamen Einschränkungen in der Bewegung, Taubheitsgefühle und allerlei weitere Beschwerden bis hin zu zeitweiligen Lähmungen, die sich mit jedem Jahr verschlimmerten.

Eines Morgens fand Rosa den Bauern auf der Steige. Er kniete dort und konnte sich nicht mehr rühren. Das nahm die Hauserin zum Anlass, ihm noch einmal eine ihrer berüchtigten »Predigten« zu halten und ihm ordentlich ins Gewissen zu fahren. Und tatsächlich gelang es ihr, ihm endlich klarzumachen, dass er um einen Aufenthalt im Spital nicht mehr herumkam.

Der Eingriff war nach Wunsch verlaufen, und der Bauer erholte sich zügig. Bald würde er das Spital verlassen können, musste danach aber noch ein paar Wochen in einer Rehaklinik verbringen.

Das schmeckte Rudolf gar nicht, denn er war der Meinung, dass er schon wieder wie ein junger Kerl herumspringen konnte. Und es war nun die Aufgabe seiner Familie, ihn zur Vernunft zu bringen, denn auf den Doktor mochte er wieder einmal nicht hören.

Beim gemeinsamen Frühstück war deshalb der an diesem Tag anstehende Besuch im Spital das Thema.

Wie es seit jeher Sitte war auf dem Schlehenhof, hatten Bauersleute und Gesinde sich im Esszimmer um den großen Tisch versammelt, wo alle Mahlzeiten gemeinsam eingenommen wurden.

Der Platz an der Stirnseite der Tafel war dem Altbauern vorbehalten und blieb deshalb leer. Zu seiner Rechten saß Michael Angermaier, der Jungbauer. Ein fescher Bursche von Mitte zwanzig, mit einem gut geschnittenen Gesicht, klugen, rehbraunen Augen und einem dichten, dunkelblonden Haarschopf, der stets ein wenig widerspenstig war und ihm etwas Jungenhaftes verlieh, das den Madeln sehr gefiel. Michael war groß und beinahe athletisch gebaut, ein richtiger Prachtbursche, der, wenn er es nur gewollt hätte, an jedem Finger zehn Madeln hätte haben können. Doch das war nicht seine Art.

Während Tobias bis zu seiner Heirat nichts hatte anbrennen lassen, waren dem ernsten, verschlossenen Jungbauern mit dem reichen Seelenleben oberflächliche Flirts oder gar Gspusis zuwider. Er wusste tief im Herzen, dass ihm irgendwann die Rechte begegnen würde. Bis dahin ließ er sich durch nichts von seinen Pflichten auf dem Schlehenhof ablenken. Seine Freizeit verbrachte der sportliche Bursche, der auch Mitglied der Bergwacht war, gern beim Kraxeln.

Michael gegenüber am Tisch saß sein Bruder Tobias, der ihm recht ähnlich sah. Sie hatten die gleichen Gesichtszüge, doch das Haar des Jüngeren war heller und seine Augen von einem tiefen, klaren Blau. Obwohl Tobias charakterlich nach dem Vater schlug, sah er doch mehr der früh verstorbenen Mutter ähnlich.

Neben dem Hofsohn hatte dessen Frau Irmgard ihren Platz. Sie war eine rassige Schönheit mit tiefschwarzem Haar und grünen Augen. Doch bereits in ihren jungen Jahren hatte sich ein harter Zug um ihren Mund eingegraben, der von einem ebensolchen Charakter sprach.

Michael mochte seine Schwägerin nicht besonders. Von sich aus hätte er aber nie ein Wort gegen sie gesagt, wäre er nicht ständig von ihr angefeindet worden. Man spürte, dass es ihr sehr viel lieber gewesen wäre, wenn es auf dem Schlehenhof nur einen Jungbauern gegeben hätte. Was immer sie zu ihm sagte, klang wie ein Vorwurf. So auch jetzt.

»Ich nehme an, du wirst es wieder einmal uns überlassen, den Vater zur Vernunft zu bringen. Oder gibst du uns die Ehre und fährst mit ins Spital?«, wollte sie wissen und fügte noch ironisch hinzu: »Falls der Schlehenhof net zusammenbricht, wenn du mal eine Stunde lang nicht da bist.«

»Der Hof wird auch net zusammenbrechen, wenn du mal eine Stunde lang net hier bist, Irmgard«, versetzte Rosa ruhig, noch ehe Michael ihr antworten konnte. »Allerdings kann ich mir nicht denken, dass der Bauer auf dich hören wird. Er weiß schon, auf wen er sich verlassen kann und auf wen eher net.«

»Was …«, fuhr Irmgard auf, wurde aber von Tobias gebremst, der sie bat: »Sei halt friedlich. Die Rosa hat recht.« Er wandte sich an die alte Hauserin und bat sie freundlich: »Komm du doch auch mit, Rosa, auf dich wird der Vater eher hören.«

»Gewiss, das hatte ich vor«, erklärte sie würdevoll.

»Dann braucht ihr mich ja nicht«, stellte Michael fest. »Nachher kommt der Viehdoktor, da muss ich daheim sein.«

»Ist schon recht, Bub«, versetzte Rosa und lächelte ihm wohlwollend zu. »Ich grüß den Vater von dir.«

Irmgard senkte mit verkniffener Miene den Blick und schwieg.

***

Rudolf Angermaier verdrehte die Augen, als sein Besuch eintraf.

»Hab ihr’s net eine Nummer kleiner?«, wollte er unwillig wissen. »Bloß wegen der Sache am Rücken werde ich doch net gleich zum Pflegefall oder gar Schlimmeres. Ihr müsst mich fei net ständig besuchen. Das ist übertrieben.«

»Wir machen uns halt Sorgen um dich«, versicherte Irmgard schnell. »Jedenfalls die, die jetzt hier sind.«

Der Bauer ging nicht auf ihre Worte ein und fragte Tobias, ob auf dem Schlehenhof alles in Ordnung sei, und ließ sich dann berichten, was es Neues gab.

Der Jungbauer erzählte ausführlich. Rosa, die sich gesetzt hatte, hörte geduldig zu, während Irmgard nervös hin und her lief. Sie betrachtete diese »Appelle« als völlig überflüssig.

Schließlich würde der Altbauer nach seiner Rückkehr auf den Schlehenhof kürzertreten müssen und in absehbarer Zeit in den Austrag wechseln. Was ging es ihn noch an, wie seine Söhne nun wirtschafteten? Viel wichtiger war doch, dass man ihn endlich von der Notwendigkeit der Reha überzeugte!

Aber Tobias tat ja immer nur, was der Alte von ihm verlangte. Von eigenem Antrieb keine Spur. Also würde sie das wieder einmal in die Hand nehmen müssen.

Endlich hatte der Jungbauer seinen Bericht beendet. Irmgard holte tief Luft und wollte mit ihrer Überzeugungsarbeit loslegen, als Rosa ihr zuvorkam.

»Hast du dir die Sache mit der Reha mal durch den Kopf gehen lassen, Bauer?«, fragte die alte Hauserin bedächtig. Und weil sie merkte, dass Irmgard fast erstickte an allem, was sie nun nicht sagen konnte, fügte sie noch in ernstem Ton hinzu: »Der Doktor sagt, es muss sein. Die Reha ist ebenso wichtig wie der Eingriff, damit du wieder Muskeln aufbauen und deine Beweglichkeit zurückgewinnen kannst. Und die paar Wochen gehen rasch vorbei, was meinst du?«

»Ich habe darüber nachgedacht«, gestand Rudolf ihr zu.

Er sah seinen Söhnen recht ähnlich, wirkte ein wenig wie deren ältere Ausgabe. Das graue Haar war noch dicht, der kecke Schnauz verlieh seinem markanten Gesicht etwas Verwegenes. Und die stahlblauen Augen hatten noch immer jenen Glanz, der ein Frauenherz mit einem Blick aus dem Takt bringen konnte.

»Du gehst also? Sehr vernünftig!«, platzte Irmgard heraus.

Sie konnte nicht länger an sich halten, musste sich nun dringend in den Vordergrund spielen, auch wenn sie wusste, dass ihr Schwiegervater das nicht leiden konnte. Er mochte sie sowieso nicht sonderlich. Es war nicht seine Art, seinen Söhnen Vorschriften zu machen, deshalb hatte er die Wahl seines Jüngeren akzeptiert. Sympathisch war Irmgard ihm aber vom ersten Moment an nicht gewesen. Im Stillen nannte er sie die »schwarze Widerwurzen«. Und so dachte er auch über sie.

»Das hab ich noch net gesagt«, stellte er kühl klar. »Und ich wäre dir dankbar, Tobias, wenn du ein bisserl auf deine vorlaute Frau einwirken könntest. Ich kann es nämlich net leiden, wenn mir einer das Wort abschneidet.«

»Aber ich …« Die Jungbäuerin klappte den Mund zu, als sie alle Blicke auf sich gerichtet sah, und schwieg widerwillig.

Rudolf wandte sich wieder an seinen Sohn.

»Die Reha würde vier Wochen dauern, vielleicht etwas länger. Schließlich bin ich ja nimmer der Jüngste. Könnt ihr denn daheim noch so lang auf mich verzichten?«

»Das muss gehen. Es ist wichtig, dass du ganz gesund wirst, Vater. Und wenn der Doktor sagt, dass du die Reha brauchst, dann solltest du sie auch machen, finde ich.«

Der Bauer rieb sich nachdenklich das Kinn.

»Ja, da hast du wohl recht. Ich weiß, dass der Hof bei dir und Michael in guten Händen ist. Trotzdem gefällt mir die Vorstellung, dass ich noch so lang von daheim fort sein werde, net.«

»Spann dich halt mal so richtig aus, Bauer«, riet Rosa ihm. »Das kann net schaden. Wann warst du das letzte Mal in Urlaub? Du wirst sehen, so eine Erholung, die tut jedem gut.«

Rudolf musste schmunzeln. »Magst du mich vielleicht begleiten, Rosa? Ein kleiner Erholungsurlaub könnte gewiss auch dir net schaden, oder?«

»Ich komm gerne mit, aber die werden mich da net wollen. An meinen alten, morschen Knochen gibt’s fei nix mehr zu verbessern, die werden nur jeden Tag ein bisserl schlechter«, scherzte die alte Hauserin mit dem für sie so typischen spröden Humor. »Und was willst du auch mit einem alten Weiberl wie mir in der Reha? Gewiss gibt’s dort viele hübsche junge Frauen …« Damit hatte sie bei Rudolf Angermaier den richtigen Knopf gedrückt, denn mit einem Mal schien auf seiner markanten Miene die Sonne aufzugehen.

»Das klingt net schlecht, du hast mich überredet, Rosa!«

Tobias lachte. »Recht so, Vater, lass dich mal richtig verwöhnen. Aber dass du nicht gleich allen Madeln dort den Kopf verdrehst! Das könnte Ärger geben.«

Der Bauer stimmte in sein Lachen ein.

»So ein junger Hirsch bin ich fei nimmer«, versicherte er ihm. »Aber einem Flirt werde ich mich net verschließen, wenn sich einer bietet …«

Wenig später war die Besuchszeit vorbei. Rosa und Tobias verabschiedeten sich herzlich vom Bauern, Irmgard nickte ihm nur knapp zu, und ihre Augen blitzten dabei giftig. Er nahm es gelassen hin. Immerhin hatte er nun ein paar entspannte Wochen vor sich, in denen er die spitzen Blicke und Bemerkungen seiner Schwiegertochter gewiss nicht vermissen würde.

Auf der Heimfahrt nach Audorf machte Irmgard ihrem Ärger Luft.

»Du hättest mich ruhig mal gegen deinen Vater in Schutz nehmen können. Er behandelt mich wie einen unerwünschten Eindringling und scheint dabei ganz zu vergessen, dass ich jetzt die Bäuerin auf dem Schlehenhof bin. Ich lass mich net einfach übersehen!«

»Na, das gewiss net«, seufzte Tobias. Er hatte sich bereits damit abgefunden, dass seine Frau und sein Vater nicht miteinander auskamen. »Lass halt gut sein, Irmgard.«

»Darauf kannst du lange warten«, merkte Rosa aus dem Fond an.

»Ein jeder kann auf mir herumtrampeln!«, beklagte Irmgard sich und bedachte sie mit einem giftigen Blick. »Und das alles nur, weil mein Mann net zu mir steht.«

»Du weißt genau, dass das nicht stimmt«, widersprach er ihr langmütig. »Vielleicht bist du einfach zu empfindlich.«

»Ich – empfindlich?« Sie lachte gekünstelt auf.

»Wenn es um andere geht, gewiss net, da ist deine Frau hart im Nehmen«, war Rosa überzeugt. »Aber bei sich selbst wird sie zum Mimoserl. Ein falsches Wort, und sie ist eingeschnappt.«

»Vielleicht versuchst du es dann mal mit dem richtigen Wort«, versetzte Irmgard aufgebracht. »Beim Bauern schlägst du ja auch allerweil die sanften Töne an.«

»Bei dir wär das gewiss vergebene Liebesmüh«, kam es gelassen von Rosa. »Da gibt’s nämlich kein richtiges Wort. Jedenfalls keins, das dir schmecken tät.«

»Hast du das gehört, Tobias?«, regte Irmgard sich auf. »Sag halt was dazu! Oder willst du wieder nur schweigen?«

Er seufzte. »Gut, ich sag was: Ruhe! Und das meine ich auch so. Ich mag nämlich keine sinnlosen Streitereien mehr hören.«

Die Jungbäuerin verschränkte daraufhin die Arme vor der Brust und schwieg verbissen, während Rosa sich ebenfalls still verhielt. Kaum hatten sie den Schlehenhof erreicht, sprang Irmgard aus dem Auto und fegte ins Haus.

Tobias half Rosa beim Aussteigen.

»Sei ihr net bös, sie regt sich halt schnell auf. Aber das vergeht«, meinte er begütigend.

Die alte Hauserin bedachte ihn mit einem schrägen Blick.

»Du bist zu gutmütig, Bub, lass dir das gesagt sein. Eines Tages wirst du das noch bereuen. Auf einen groben Klotz gehört nun einmal ein grober Keil …«

Ein wenig mühsam legte Rosa den Weg zum Haus zurück. Tobias schaute ihr nachdenklich hinterher und grübelte über ihre Worte nach. Da trat Michael aus dem Stall.

»Komm mal her, ich möchte dir was zeigen«, bat der Bruder ihn.

Er folgte ihm. Sie schauten nach einer Kuh, die sich verletzt hatte und vom Tierarzt genäht worden war. Tobias fand an der Arbeit des Veterinärs nichts zu beanstanden und war wieder einmal, wie beinahe immer, der Meinung seines Bruders. Sie besprachen noch ein paar andere Dinge, und als Tobias Michael erzählte, dass der Vater sich nun doch entschlossen hatte, in die Reha zu gehen, atmete dieser erleichtert auf.

»Dann wird es ihm gewiss wieder gut gehen, wenn er heimkommt. Ein Glück, dass die Rosa ihn zu dem Eingriff hat überreden können. Wie ich sie kenne, hat sie das bestimmt auch bei der Reha hingekriegt, oder?«

Der Hofsohn hob die breiten Schultern.

»Schon. Ich glaub aber, den Ausschlag haben wohl eher die Madeln gegeben.«

»Welche Madeln denn?«, wunderte Michael sich.

»Na, die, mit denen der Vater flirten will.«

»Er wird’s schon richtig machen«, meinte Michael und lächelte verhalten.

Und auch in dem Punkt war Tobias seiner Meinung.

***

Die Rehaklinik lag im Norden von Garmisch, zwischen Riessersee und Partnachklamm an einem landschaftlich mehr als reizvollen Flecken. Von seinem Zimmer aus hatte Rudolf Angermaier einen weiten Blick über das klare, tiefblaue Wasser des Sees bis hinüber zum Wamberg, an dessen Nordseite die Klamm zu finden war.

So schön die Umgebung auch war, ein wenig wehmütig wurde es dem Bauern doch ums Herz, als er sich von seinen Söhnen verabschiedete, die ihn zur Klinik begleitet hatten. Er drückte beiden herzhaft die Hand und scherzte, um seine wahren Gefühle zu verbergen.

»Wenn ich das hier auch noch überstanden hab, könnt ihr euch aber vorsehen. Dann mach ich euch beiden beim Schaffen wieder was vor!«

»Nur net übertreiben, Herr Angermaier«, mahnte ihn da eine melodiöse Frauenstimme von der Tür her.

Er schaute überrascht auf die junge Krankenschwester, die ihm nun freundlich zulächelte und die Besucher bat, sich zu verabschieden. Tobias musterte sie interessiert, und Michael versprach seinem Vater, in Kontakt zu bleiben.

»Wir telefonieren. Und am Wochenende kommen wir dich besuchen. Keine Sorge, du wirst net vergessen.«

Rudolf nickte nur flüchtig, denn nun war es ihm mit einem Mal ganz recht, dass seine Söhne gingen. Seine Aufmerksamkeit richtete sich nämlich auf die Pflegerin, Michael und Tobias würdigte er keines Blickes mehr.

»Na siehst du«, meinte der Hofsohn, als sie gemeinsam die Rehaklinik verließen. »Da war schon das erste hübsche Madel.«

Michael winkte ab. »Die Schwestern haben gewiss was anderes zu tun, als mit ihren Patienten zu flirten. Da wird der Vater auf Granit beißen, wenn er seinen Charme spielen lässt.«

»Meinst du?« Tobias grinste. »Na, ich weiß net, du kennst doch den Vater. Wenn der sich was in den Kopf setzt, macht er es auch. Und dieses Madel da eben, das war wirklich net ohne.«

»So?« Michael hob die breiten Schultern. »Ich hab gar nicht richtig hingeschaut. War sie denn fesch?«

»Und wie!« Tobias verdrehte genießerisch die Augen.

»Lass das lieber net die Irmgard hören, sonst gibt’s Ärger.«

Während die Brüder sich auf den Heimweg machten, zeigte Schwester Sabine dem neuen Patienten alles, was wichtig war, und besprach auch gleich die ersten Behandlungstermine mit ihm.

Rudolf Angermaier konnte keinen Blick von ihr wenden. So ein Prachtmadel! Sie erinnerte ihn an seine Christel in jungen Jahren. Das schöne, ebenmäßige Gesicht mit den klaren, haselnussbraunen Augen, die dunklen Locken, die schlanke, aber gut gewachsene Figur – all das zog ihn magisch an.

Es war gewiss nicht das erste Mal, dass dem Bauern ein Madel gut gefiel. In den vergangenen Jahren hatte er oft und gerne geflirtet, und manche gestandene Witwe hatte seinem Charme nicht widerstehen können. All dies waren aber nur oberflächliche Geschichten gewesen, ein wenig Abwechslung zum Alltag.

Während er sich nun mit Schwester Sabine unterhielt, regte sich allerdings ein viel tieferes, ernsteres Empfinden in seinem Herzen. Er verspürte den Wunsch, dieses Madel näher kennenzulernen, er wollte Teil seines Lebens werden. Und er dachte bereits vom ersten Moment an etwas Dauerhaftes. So hatte er seit seiner Ehe nicht mehr empfunden …

Schwester Sabine war es gewohnt, dass sie den Burschen und Mannsbildern gefiel. Und es war auch nichts Neues für sie, dass der eine oder andere ein etwas intensiveres Interesse zeigte. Bei Rudolf Angermaier aber war das anders. Sie spürte, dass sie ihm gefiel. Und sie fühlte sich geschmeichelt. Aber sie spürte auch eine fast magische Anziehungskraft, die zwischen ihr und dem viel älteren Mannsbild bestand. Sie war gehemmt, was sonst nie vorkam. Sie musste sich zwingen, sachlich zu bleiben, und zudem ein wenig auf Distanz gehen, um nicht den Kopf zu verlieren. So etwas war ihr wirklich noch nie passiert!

»In einer Stunde gibt’s das Nachtmahl«, erklärte sie am Ende ihrer Ausführungen. »Sie können noch in Ruhe auspacken, Herr Angermaier. Ich hol Sie dann ab und zeige Ihnen den Weg zum Speisesaal. Und hernach machen wir noch einen Rundgang durchs Gebäude, damit Sie morgen rechtzeitig zur ersten Behandlung kommen und sich net verlaufen.«

»Werden Sie die Behandlung vornehmen, Schwester Sabine?«

»Nein, dafür sind die Physiotherapeuten zuständig.« Sie lächelte. »Ich kann ja hier net alles machen.«

»Schade. Mir wäre das recht. Ich mag mich auch jetzt gar net von Ihnen trennen«, gab Rudolf offen zu. »Sie machen einem die Eingewöhnung wirklich leicht.«

»Nett, dass Sie das sagen.« Sie wich seinen stahlblauen Augen aus, die ihr Herz ständig aus dem Takt brachten. »Dann bis nachher.« Beinahe fluchtartig verließ sie das Zimmer des neuen Patienten und fragte sich zugleich, was wohl in sie gefahren war. Denn im Stillen freute sie sich bereits auf das Wiedersehen mit dem feschen Rudolf Angermaier …

Dem Bauern ging es nicht anders. Er packte seine Sachen aus und war in Gedanken ständig bei Schwester Sabine. Immer wieder wanderte sein Blick auf die Uhr, und er ertappte sich bei dem Wunsch, dass es endlich Zeit fürs Nachtmahl werden sollte, damit das schöne Madel ihn abholen kam.

Als Schwester Sabine dann erschien, machte sein Herz einen freudigen Hupfer. Später konnte Rudolf nicht mehr sagen, wie der Speisesaal ausschaute oder was er gegessen hatte. Seine volle Aufmerksamkeit galt einzig und allein der bildhübschen Schwester, deren Gesellschaft er so sehr genoss.

Der Rundgang durch die Rehaklinik endete dann für seinen Geschmack viel zu schnell. Charmant plauderte Rudolf noch ein wenig, und es fiel ihm nicht schwer, etwas mehr über Schwester Sabine herauszufinden. Sie stammte aus einem kleinen Dorf ganz in der Nähe, sie liebte ihren Beruf und hatte wegen der unregelmäßigen Arbeitszeiten nur wenig Freizeit. Einen jungen Mann schien es in ihrem Leben nicht zu geben, was Rudolf mit einer gewissen Erleichterung feststellte.

»Jetzt muss ich aber wirklich gehen. Ich hab noch ein paar Dinge zu erledigen und eigentlich schon Feierabend«, merkte sie schließlich zögernd an, denn im Grunde trennte sie sich nur ungern von dem charmanten Patienten, der ihr auf Anhieb weitaus mehr als sympathisch war.

»Es tut mir leid, dass ich Sie so lang aufgehalten hab. Seien Sie mir net bös, Sabine. Vielleicht kann ich es ja wiedergutmachen? Wie wär’s mit einem gemeinsamen Abendessen außerhalb dieser Klinik? Hätten Sie Lust?«

»Na ja, schon, nur … eigentlich ist das net erlaubt.«

»Ich bitt Sie! Wen geht das was an, was Sie in Ihrer Freizeit machen? Und ich bin ja da auch net eingekerkert, gelt?«

Sie musste schmunzeln. »Stimmt schon. Also gut, ich überlege es mir. Wir sehen uns dann morgen!«

»Schlafen Sie gut, und träumen Sie was Schönes.« Er küsste ihr galant die Hand. »Ich freu mich auf morgen.«

Sie lächelte verschämt, dann eilte sie davon. Der Bauer blickte ihr versonnen nach. Nur gut, dass Rosa ihn zu dieser Reha überredet hatte. Er wurde den Eindruck nicht los, dass sie sein ganzes Leben verändern würde …

***

»Geh, Milli, mach die Haustür auf. Ich kann jetzt da net weg. Aber gib acht, wenn es ein Vertreter ist, dann weißt du Bescheid!«

Die Jungmagd wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und nickte.

»Dem knall ich die Tür vor der Nase zu, Bäuerin!«, versprach sie kichernd.

Irmgard blies eine Locke ihres dunklen Haars aus der Stirn und stöhnte verhalten. An diesem Morgen kam mal wieder alles zusammen. Rosa, die sich in der Küche sonst noch recht nützlich machte, hatte einen Termin beim Doktor wegen ihres Rheumas. Tobias hatte es sich nicht nehmen lassen, die alte Hauserin zu begleiten. Die Jungbäuerin schnaubte verächtlich. Es war wirklich lächerlich, wie er an Rosa hing! Bloß weil sie sich ein bisserl um ihn gekümmert hatte, als er noch ein Bub war. Gefühlsduselei!

Bei ihr daheim hatte es so etwas nicht gegeben. Die Mutter war streng gewesen und hatte sie und die Geschwister kaum je in den Arm genommen. Und wer dem Vater zu nah gekommen war, der hatte sich bestenfalls eine Watschen eingefangen. Das war ein strenges, aber gerechtes Regiment gewesen. Und es hatte sie aufs Leben vorbereitet. Irmgard lächelte schmal. Nie und nimmer wäre sie so pragmatisch geworden und hätte gelernt, immer auf ihren Vorteil zu achten, wenn sie »weicher« erzogen worden wäre.

Sobald sich bei ihr und Tobias Kinder einstellten, würde sie es ebenso halten. Sentimentalität war etwas für Verlierer. Wer es zu etwas bringen wollte, der musste hart zu sich und anderen sein!

Die Jungbäuerin wandte sich vom Herd ab und lauschte. Wo nur Milli so lange blieb? Als sie helles Lachen hörte, war ihr klar, was da gespielt wurde.

Von wegen Tür vor der Nase zuknallen! Das dumme Ding poussierte offenbar mit einem Dahergelaufenen und vertrödelte Zeit, anstatt zu arbeiten. Aber das kam bei ihr nicht infrage!

Die Jungbäuerin vom Schlehenhof warf einen prüfenden Blick auf die Kochtöpfe und stellte fest, dass diese für ein paar Minuten sich selbst überlassen werden konnten. Dann band sie ihre Schürze ab und rauschte in die Diele, um Milli den Marsch zu blasen.

Ohne Rosas Hilfe war das Kochen Arbeit genug. Die zweite Küchenmagd kümmerte sich um die große Wäsche, und jeder musste sich ranhalten, damit das Essen pünktlich auf dem Tisch stand. Nicht nur Michael und Tobias waren das so gewohnt, sondern auch das Gesinde. Rosa würde eine Verspätung nutzen, um Irmgard wieder auf jene mitleidig abschätzige Art und Weise anzuschauen, die der Jungbäuerin die Galle überlaufen ließ. Das wollte sie unter allen Umständen vermeiden.

»Milli, Sackerl Zement, wo bleibst du denn?«, schrie sie wütend. »Scher dich in die Kuchel und mach deine Arbeit!«

»Entschuldige, Bäuerin«, murmelte das Madel, das erschrocken zusammenzuckte und herumfuhr. »Aber da ist ein …«

Irmgards Blick fiel auf einen feschen Burschen, dem man bereits von Weitem den Hallodri ansah. Er war braungebrannt, hatte dunkles Haar und strahlend blaue Augen. Dazu einen Körperbau, der selbst Irmgards strenge Miene für einen Moment ins Träumerische abgleiten ließ. Doch sie fasste sich schnell wieder und schob die Magd in Richtung Küche.

»Was immer du willst, schleich di. Wir haben keinen Bedarf«, schnauzte sie den jungen Mann an.

»Bist du da so sicher, Bäuerin?« Sein Lächeln war ebenso anzüglich wie unverschämt. Irmgard konnte nicht verhindern, dass ihr Herz aus dem Takt geriet. Dieser Bursche war gefährlich attraktiv. Sie musste ihn so rasch wie möglich wieder loswerden, bevor er Unfrieden und Streit auf dem Schlehenhof stiften konnte.

»Ja, das bin ich. Und ich hab keine Zeit zum Plaudern.«

»Mein Name ist Max Gruber, ich suche eine Anstellung als Saisonkraft«, erklärte er ganz sachlich. »Ich bin fleißig, ehrlich und zuverlässig, und ein jeder Bauer, bei dem ich bislang eingestanden bin, war mit mir zufrieden. Entschuldige, Bäuerin, wenn ich mich ungehörig benommen hab. Soll nimmer vorkommen.«

Irmgard verzog den Mund. »Na schön, komm rein. Klopf an die zweite Tür rechts, das ist das Arbeitszimmer. Da hockt mein Schwager, der ist hier der Jungbauer. Wenn du arbeiten magst, musst du ihn überzeugen.«

»Kein Problem.« Max warf sich lässig in die Brust und zögerte nicht, Irmgard zu folgen. Sie meinte, seine Blicke auf ihrem Rücken zu spüren, und verschwand rasch in der Küche. Dort machte sie zunächst einmal Milli zur Schnecke, bis diese anfing zu weinen, dann kümmerte sie sich wieder ums Mittagsmahl.

Michael Angermaier war mit den Zeugnissen, die Max Gruber vorweisen konnte, zufrieden, wunderte sich aber, dass der Knecht keine dauerhafte Anstellung suchte.

»Du scheinst was zu können, hast du keinen Ehrgeiz? Willst du net mehr aus deinem Leben machen?«

»Im Moment bin ich ganz zufrieden. Ich mag net irgendwo festkleben, verstehst du, Bauer? Ich will unabhängig bleiben und jederzeit hingehen können, wo es mir gefällt.«

»Aber mit deinen Fähigkeiten könntest du in ein paar Jahren Großknecht werden, vielleicht sogar Verwalter. Reizt dich das net? Willst du noch ein Wanderleben führen, wenn du fünfzig bist?«

Max lachte unbekümmert.

»Das wohl eher net. Aber bis dahin wird noch viel Zeit vergehen. Und wer weiß, wohin der Wind mich weht? Ich lass mich gern überraschen.«

»Also schön, das ist deine Sache. Ich stelle aber nur Kräfte für die ganze Saison ein. Wenn du bleiben magst, dann bis zum Herbst. Ist dir das recht, schlag ein.«

Max zögerte nicht, die dargebotene Hand herzhaft zu drücken.

»Gut, dann sind wir uns einig. Geh rüber in die Remise, da ist der Andi Roth, unser Großknecht. Er wird dir deine Kammer im Gesindehaus zuweisen und dir alles zeigen, was du wissen musst.«

»Ist recht.« Max packte seine Empfehlungen wieder ein und grinste zufrieden. »Auf eine gute Saison, Bauer …«

Als Tobias wenig später mit Rosa vom Doktor kam, ließ Michael ihn wissen, dass er eine neue Saisonkraft eingestellt hatte. Sein Bruder nickte nur und berichtete von Rosas Arztbesuch.

»Der Doktor ist gar net zufrieden mit der Rosa. Er sagt, sie braucht einen Klimawechsel, damit ihre Beschwerden sich bessern. Aber sie mag net verreisen.«

»Das ist doch nix Neues. Du kennst ja unsere Rosa. Sie will den Schlehenhof um nichts in der Welt verlassen.« Michael lächelte ein wenig. »Sie ist ja auch die Seele vom Hof.«

»Aber sie quält sich mit ihrem Rheuma, das ist net recht.«

»Ja, das stimmt. Ich werde nachher mal in Ruhe mit ihr reden. Jetzt müssen wir aber noch diese Rechnungen durchgehen und schauen, ob wir da net den einen oder anderen Rabatt herausschlagen können …«

Die Brüder vertieften sich in die Arbeit.

»Was hat der Vater eigentlich gestern Abend am Telefon gesagt?«, fragte Tobias nach kurzer Zeit. »Du wolltest es mir doch noch erzählen.«

Michael hob den Blick und musterte seinen Bruder vielsagend.

»Du hattest recht, der Vater ist wirklich wegen der Madeln in die Reha gegangen. Er hat mir die ganze Zeit von einer gewissen Sabine vorgeschwärmt. Ich hab den Verdacht, es hat ihn erwischt. Das klang net nur nach einem Flirt, sondern nach mehr.«

Tobias stutzte. »Du meinst …«

»Der Vater ist verliebt, darauf wette ich. Es ist diese Krankenschwester, die dir ebenfalls so gut gefallen hat. Jetzt bereu ich es, dass ich net so genau hingeschaut habe. Denn dieses Madel, das muss ja etwas ganz Besonderes sein.«

»Der Vater – verliebt?« Tobias schüttelte leicht den Kopf und machte dabei ein Gesicht, als ob er nicht recht wüsste, was er davon halten sollte.

»Wäre das denn so schlimm? Er ist schon über zwanzig Jahre Witwer. Wenn es ihn noch mal ernsthaft erwischt, würde ich mich darüber sogar freuen. Er hat ein neues Glück verdient.«

»Na ja, aber doch net mit einem so jungen Madel«, gab Tobias zu bedenken. »Das würde nie und nimmer gutgehen.«

»Sei doch nicht so ein Spießer. Vielleicht ist’s ja nur ein Gspusi, davon hatte der Vater schon mehrere, wie wir wissen. Aber es könnte auch ernst sein. So, wie er geschwärmt hat …«

»Der Vater schafft es allerweil wieder, einen zu überraschen.« Tobias seufzte. »Jetzt hast du mich wirklich neugierig gemacht. Was ist, wollen wir ihn mal in der Reha besuchen, vielleicht am Wochenende? Ich möchte mir dieses besondere Madel gerne noch mal genauer ansehen.«

»Ohne mich. Wir sollten dem Vater seine Privatsphäre lassen. Er kann schließlich tun, was er will.« Michael lachte. »Alt genug ist er ja, oder?«

Sein Bruder hob die breiten Schultern. »Hast recht, lassen wir ihm einfach den Spaß …«

***

»Und dann haben die beiden mich im hohen Bogen in den Pool geworfen. Ich kann Ihnen sagen, mit denen hab ich nie wieder im Leben ein Wort gewechselt!«

»Das kann ich gut verstehen«, versicherte Rudolf ihr und lachte aus voller Kehle. »Solche frechen Kerle, die hätten eine Abreibung verdient! Wäre ich dabei gewesen, dann hätten die zwei sich aber warm anziehen können.«

»Im Sommer in Spanien?« Sabine kicherte. »Das wäre dann aber schon Strafe genug gewesen …«

Der Bauer wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln und seufzte wohlig.

»Mei, Sabine, ich bin wirklich froh, dass Sie meine Einladung zum Essen angenommen haben. So gelacht hab ich schon lange nimmer.« Er beugte sich ein wenig vor, legte seine Rechte behutsam auf ihre und fügte dann innig hinzu: »Und so wohlgefühlt hab ich mich auch schon lange nimmer. Ich dank Ihnen von Herzen.«

Sie senkte verlegen den Blick.

»Ich muss mich bedanken, Sie haben mich doch eingeladen.« Sie drückte seine Hand kurz, entzog sich ihm dann aber. »Es war wirklich ein schöner Abend.«

»Hoffentlich wollen Sie net gleich heimgehen. Es ist noch nicht spät. Und ich muss ehrlich zugeben, dass ich Sie nur sehr ungern gehen lass.«

Das Madel schaute seinen Begleiter fragend an.

»Ich bleib noch ein bisserl hier«, sagte Sabine dann. »Sie sollten das jetzt net falsch verstehen, aber ich bin wirklich gern mit Ihnen beisammen, Herr Angermaier.«

Es blitzte erfreut in Rudolfs Augen auf.

»Sagen wir halt du zueinander«, bat er sie spontan. »So förmlich zu sein, das passt zwischen uns doch eigentlich net, finde ich.«

»Ich weiß nicht, ob das recht wäre.«

»In der Klinik sagen wir weiter Sie. Wir dürfen nur net durcheinanderkommen.« Er zwinkerte ihr aufmunternd zu und hob sein Weinglas. »Na, was ist? Du wirst doch wohl kein Frosch sein!«

»Eigentlich net.« Sie stieß mit ihm an und trank einen Schluck. Als er ihr dann ein zartes Busserl auf die Wange drückte, hielt Sabine kurz den Atem an. Da war er wieder, dieser besondere Zauber, der vom ersten Moment an zwischen ihnen geherrscht hatte. Sie musste dem Wunsch widerstehen, sich in seine Arme zu schmiegen. Eine tiefe Sehnsucht erfüllte ihr Herz und ließ ihre Knie ganz weich werden. So hatte sie noch nie empfunden. Sie musste sich gewaltsam zwingen, nach außen hin zumindest halbwegs ruhig und gelassen zu bleiben. Ihr Lächeln fiel allerdings ziemlich nervös aus.

»Sabine, ich will dich net bedrängen«, hörte sie Rudolf da mit ruhiger, ernster Stimme sagen. »Aber ich mein, dass es was Besonderes ist mit uns beiden. Mir ist klar, dass ich kein Madel an mich binden kann, das kaum halb so alt ist wie ich. Und das ich erst ein paar Tage lang kenne. Aber ich muss dir gestehen, dass ich mich auf den ersten Blick in dich verliebt habe.«

»Rudolf, ich …«

»Na, sag jetzt nichts.« Er lächelte ihr warm und liebevoll zu. »Ich wollte aus meinem Herzen keine Mördergrube machen. Weißt du, es ist halt net meine Art, mit meinen Gefühlen lange hinterm Berg zu halten. So bin ich nun mal. Ich wollte, dass du Bescheid weißt. Und es würde mich arg glücklich machen, wenn wir zwei uns noch öfter sehen und Zeit miteinander verbringen könnten. Freilich nur, wenn du das auch willst.«

»Das wünsch ich mir sogar sehr«, gab sie zu und schaute ihn offen an. »Mir geht’s nämlich ganz ähnlich wie dir. Ich mag dich sehr. Aber ich finde, wir sollten uns Zeit lassen. Dein Alter ist mir einerlei oder das, was die Leute vielleicht sagen würden. Ich will mir nur sicher sein, dass wir das Rechte tun.«

»Sabine, mein süßer Engel, du machst mich mehr als glücklich. Und jetzt komm. Es ist ein milder Frühlingsabend. Wir wollen noch ein bisserl durch die Luft gehen und das genießen.«

»Gern!«, sagte sie mit einem liebevollen Lächeln.

So kam es, dass die beiden den Rückweg zur Rehaklinik ziemlich lange hinauszögerten. Hand in Hand spazierten sie durch die Straßen von Garmisch und hatten ein wenig das Gefühl, ganz allein auf der Welt zu sein. Sie waren einander genug, denn ihre Herzen, die wussten längst voneinander …

Als Rudolf dann später allein in seinem Zimmer war, stand er hinter dem Fenster und blickte versonnen in den samtdunklen Abendhimmel. Seine Gedanken gingen auf Wanderschaft, weit zurück in die Vergangenheit. Die Zeit der ersten Verliebtheit wurde wieder wach, viele Erinnerungen an das erste Jahr seiner Ehe, an die Geburt seiner Söhne stiegen in ihm auf. Und dann die langen Jahre, die vergangen waren, seit seine Christel nicht mehr bei ihm war.

Ein leiser Seufzer kam über seine Lippen, und in seinen stahlblauen Augen schien es zu irrlichtern. Bislang hatte der Bauer sich nur wenige Gedanken über solche Gefühlsdinge gemacht. Er hatte das Leben genommen, wie es war, hatte das Schlechte ertragen und das Gute genossen. Selten ließ er ein hübsches Madel an sich vorbeigehen, ohne hinterherzuschauen. Und wenn sich ihm eine Gelegenheit geboten hatte, war Zaudern nicht seine Art gewesen.

Doch nun schien es ihm, als habe er die letzten Jahre vergeudet. Da waren keine tieferen Gefühle, keine wirklichen Empfindungen im Spiel gewesen. Er dachte an die große Liebe, die ihn mit seiner Frau verbunden hatte. Wäre es nicht schön, wieder so zu empfinden, noch einmal wirklich glücklich zu sein? Rudolf lächelte versonnen. Oh ja, das wäre sehr schön. Aber mit Sabine? Sie war noch so jung. In zwanzig Jahren würde er ein sehr alter Mann sein, sie aber noch immer jung und schön. Durfte er sich auch nur auf solch einen Gedanken einlassen? Er war unsicher, denn sein Herz sagte ja, der Verstand aber warnte ihn vor einem solchen Fehler.

Und wie würde seine Familie reagieren? Würde man ihn in Audorf nicht auslachen, ihn einen alten Deppen heißen, der dem Johannistrieb auf den Leim gegangen war und sich mit seiner blutjungen Frau nur lächerlich machte? Wie würde all das auf Sabine wirken? Konnte eine Liebe Bestand haben zwischen zwei so verschiedenen Menschen?

Ein leiser, bekümmerter Seufzer entrang sich seiner Brust. Denn auf all diese Fragen und Unwägbarkeiten fand Rudolf in dieser Nacht keine Antwort. Er wusste nur eins: Sabine hatte sein Herz berührt. Sie hatte viele Wünsche und Sehnsüchte in ihm geweckt, deren Verwirklichung allerdings mehr als ungewiss war.

Vielleicht sollte er es einfach so wie bisher halten; den Dingen ihren Lauf lassen und schauen, wohin der Weg ihn führte. Mit dieser Haltung war er immer gut gefahren. Aber diesmal war eben alles anders.

***

»Was redest du denn da?« Irmgard musterte Tobias streng. »Ich versteh kein Wort. So einen Schmarrn hab ich fei noch nie gehört. Dein Vater macht eine Reha, der ist net auf Brautschau!«

»Denkst du!« Der Hofsohn lächelte vielsagend. »Er hat dem Michael am Telefon erzählt, dass er ein Auge auf eine der Schwestern geworfen hat. Und dass die ihn auch mag.«

»Und was soll das für eine sein? Hat er da was verlauten lassen? Ich nehme an, es ist die Oberschwester. Sie sollte ja wohl in seinem Alter sein, net wahr?«

Tobias lachte. »Da kennst du den Vater aber schlecht. Ein blutjunges, bildsauberes Madel hat er sich ausgesucht! Ja, da schaust. Wenn der Vater was macht, dann macht er es richtig. Sollte mich gar net wundern, falls wir bald eine junge Stiefmutter auf dem Schlehenhof begrüßen können.«

»Du spinnst wohl«, entfuhr es Irmgard. Sie war ganz blass geworden vor Schreck.

Tobias hob die breiten Schultern und vertiefte sich wieder in die Zeitung. Wie jeden Abend las er diese auf der Eckbank in der Küche, während seine Frau dort die letzten Arbeiten des Tages verrichtete. Er schaute ihr gern dabei zu, an diesem Abend verzog er sich bald in die gute Stube, denn Irmgard hatte offenbar schlechte Laune. Dass sie dem Vater ein wenig Spaß und Freude missgönnte, konnte Tobias nicht verstehen. Was war schon dabei, wenn dieser es sich gutgehen ließ? Und selbst wenn er daran dachte, sich wieder zu verheiraten, war das doch nicht schlimm. Eine junge Frau brachte frischen Wind auf den Schlehenhof und war was fürs Auge, fand Tobias.

Irmgard hingegen überlegte fieberhaft, was sie davon halten sollte. Eines war ihr allerdings vom ersten Moment an klar: Wenn diese Krankenschwester sich tatsächlich ernsthaft für Rudolf interessierte, dann nur aus unlauteren Motiven heraus. Nie und nimmer verliebte sich ein junges Madel in einen alten Mann, das war unnatürlich und krank!

Die Jungbäuerin vom Schlehenhof war felsenfest davon überzeugt, dass diese Fremde es nur darauf anlegte, den armen Altbauern auszunehmen. Sie würde sein Geld ausgeben und vielleicht sogar dafür sorgen, dass er Schulden machte. Ein wenig leichtsinnig war Rudolf ja schon immer gewesen. Und am Ende würde womöglich sogar der Schlehenhof unter den Hammer kommen! Irmgard stöhnte bei dieser Vorstellung gequält auf. Nein, das durfte nicht geschehen, das musste sie verhindern!

Die Bäuerin hatte nicht bemerkt, dass sie nicht mehr allein in der Küche war. Erst als sich eine Hand auf ihre Schulter legte, zuckte sie zusammen und fuhr herum. Vor ihr stand Max Gruber und lächelte ihr entwaffnend zu. Jäh schoss Röte in ihr Gesicht, dann aber wurde sie blass und blaffte ihn an.

»Was hast du da zu suchen? Ist das vielleicht eine Art, sich an mich heranzuschleichen? Verschwind, aber schnell!«

»Reg dich net auf, Bäuerin, ich wollte mir nur ein Haferl Kaffee holen. Ist noch welcher da?«

»Für dich net!«, schnaubte sie. »Raus hier!«

Doch der Knecht hatte nicht vor, gleich wieder zu gehen. Er verschränkte die Arme vor der breiten Brust.

»Was hast du gegen mich, Bäuerin?«, fragte er ruhig und gelassen. »Ich hab mir fei, nix zuschulden kommen lassen. Warum behandelst du mich allerweil wie einen Schwerverbrecher?«

»Das bildest du dir ein. Ich hab gar kein Interesse an dir«, behauptete sie gespielt gleichgültig, nahm eine Tasse aus dem Bord und füllte sie mit Kaffee. »Da, und jetzt schleich di.«

»Ich dank dir schön.« Er schaute ihr tief in die Augen und strich ihr sacht eine Locke aus der Stirn. Irmgard zuckte leicht zusammen, in ihren Augen schien ein seltsames Licht zu schimmern. Max lächelte vielsagend, dann drehte er sich um und verließ die Küche.

Als die Bäuerin wieder allein war, atmete sie schwer. Sie fühlte sich im Innersten ganz weich, und eine kaum zu bezähmende Sehnsucht erfüllte sie. Was hatte dieser Hallodri nur an sich, dass er ihr so sehr zusetzte? Sie wusste es nicht und ärgerte sich über sich selbst.

Hätte ich ihn doch gleich fortgeschickt, dachte sie wütend. Ich hab ja gewusst, dass er nur Ärger bringt …

Max Gruber traf sich derweil mit der hübschen Milli. Das Haferl Kaffee war nur ein Vorwand gewesen, um der Bäuerin ein wenig näherzukommen und die Lage zu peilen. Sie schien nicht abgeneigt zu sein, wie der Bursche zufrieden festgestellt hatte.

Hübsche Madeln waren Max Grubers wunder Punkt. Sie gefielen ihm alle, und er konnte keiner widerstehen. Das war auch der Grund, weshalb er nie länger in einer Anstellung blieb. Meist haute er in letzter Sekunde ab, bevor wütende Burschen und gehörnte Ehemänner ihn am nächsten Baum aufknüpfen oder in der Jauchegrube versenken konnten.

Bei Milli hatte er leichtes Spiel. Die einfache Küchenmagd war lieb und anschmiegsam, und bei ihr kam er keinem in die Quere. Er verbrachte die Nacht mit ihr und versprach ihr das Blaue vom Himmel, wie das so seine Art war.

Zugleich dachte er bereits an seine nächste Eroberung, denn der Schlehenhof hatte ihm bis zum Herbst noch vieles zu bieten. Vielleicht sogar die rassige Jungbäuerin, auch wenn sie eine wahre Wildkatze zu sein schien. Doch das schreckte Max nicht. Er war überzeugt, dass sie in seinen Armen zum schnurrenden Kätzchen werden würde. Dass alles etwas anders kommen sollte, ahnte der Casanova noch nicht.

***

Rudolf Angermaier stellte mit wachsendem Unbehagen fest, dass sein Aufenthalt in der Rehaklinik sich langsam, aber sicher dem Ende zuneigte. Die Physiotherapie zeigte bereits gute Ergebnisse, der Bauer war praktisch beschwerdefrei. Freuen konnte er sich darüber aber nicht – im Gegenteil. Als er sich bei dem Wunsch ertappte, lieber wieder Rückenschmerzen zu ertragen, statt Garmisch und damit Sabine verlassen zu müssen, wurde ihm bewusst, dass er etwas unternehmen musste.

An diesem Wochenende besuchte Michael seinen Vater in der Klinik. Er freute sich, als er sah, dass dieser wieder aufrecht und geschmeidig gehen konnte und sich so gerade hielt wie lange nicht mehr.

»Die Rosa und der Tobias lassen dich grüßen«, sagte der Jungbauer beim Wiedersehen. »Sie hoffen, dass du bald heimkommst. Das tu ich freilich auch. Wir vermissen dich alle, Vater. Was sagen denn die Ärzte? Wann darfst du heim?«

»Nächste Woche«, kam es düster vom Bauern.

Michael stutzte. »Das klingt aber net begeistert. Hast du denn noch Schmerzen, Beschwerden?«

»Schmerzen hab ich schon, aber am Herzen.« Er schaute seinen Sohn mit ernster Miene an. »Ich weiß net, was ich tun soll, Bub. Die Sache mit der Sabine, ich glaub, die ist ernst.«

»Du meinst … ihr seid euch einig?«

»Ich wünschte, es wär so.« Rudolf lachte unbehaglich auf. »Ganz ehrlich, ich hab das Madel lieb und würde es vom Fleck weg heiraten. Die Sache ist nur die, ich trau mich net, sie zu fragen.«

»Du traust dich net?« Michael musste lachen. »So was höre ich zum ersten Mal von dir, Vater.«

»Ja, Sackerl Zement, diesmal ist auch alles anders«, gab der da verschämt zu. »Ich fühl mich zu alt für die Sabine. Ich hab Angst, dass ich mich lächerlich mache.«

»Wenn das so ist, solltest du das Madel vergessen.«

»Na, du verstehst mich falsch. Sie hat mich auch gern, das hat sie mir gesagt, und das merkt man. Es ist ihr einerlei, dass es einen großen Altersunterschied zwischen uns gibt. Das Gerede der Leute, das wär ihr auch egal. Wenn wir beisammen sind, sind wir einfach nur glücklich.«

»Und wo liegt das Problem? Ich fürchte, ich begreif’s net.«

»Du weißt doch, wie die Leute sind. Auch wenn’s der Sabine am Anfang vielleicht einerlei ist, irgendwann wird das dumme Gerede ihr zusetzen. Ich will einfach net, dass sie unglücklich wird. Sie ist ein solches Prachtmadel. Lieber verzichte ich auf sie, als sie der Häme und den Gemeinheiten ihrer Mitmenschen auszusetzen. Ich denk dabei auch an die Irmgard. Ihr wird es gewiss net schmecken, wenn da noch eine Bäuerin auf dem Schlehenhof wäre. Sie würde der Sabine das Leben sicherlich schwer machen …«

»Vater, jetzt mach aber mal halblang«, bat Michael ihn da begütigend. »Du sorgst dich um Dinge, die vielleicht irgendwann sein könnten, vielleicht aber auch nie sein werden.« Der Bursche lächelte vielsagend. »Dieses Madel scheint dir wirklich eine Menge zu bedeuten.«

»Das tut es auch. Zum ersten Mal, seit eure Mutter selig nimmer ist, denke ich wieder ans Glück, an echte, tiefe Gefühle. Und ich glaub, die Sabine und ich, wir könnten es packen. Aber gewisse Zweifel bleiben doch …«

»Das ist normal. Hundertprozentige Sicherheit gibt’s im Leben net, das hast du mir mal gesagt. Jetzt muss ich dich wohl daran erinnern. Wenn es bei euch beiden passt, dann solltest du einfach auf das Glück vertrauen und ins kalte Wasser springen.«

»Mei, Michael, ich fühl mich wie ein Pennäler, der zum ersten Mal verliebt ist …«

»Wo ist denn dieses Wundermadel? Ich möchte es gern mal kennenlernen.«

»Sabine hat frei. Aber wenn alles so klappt, wie ich es mir wünsche, dann könntest du am Montag herkommen und als unser Trauzeuge fungieren. Was meinst du, wäre dir das recht?«

»Du wirst es schon richtig machen«, gestand er seinem Vater zu, auch wenn er überrascht wirkte. »Ruf mich nur an, dann komme ich her, wenn es so weit ist.«

»Und sag daheim keinem was, noch net …«

Der Bursche versprach es. Als er sich eine Weile später von seinem Vater verabschiedete, tat er dies mit eher gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite freute er sich natürlich, dass Rudolf ein neues Lebensglück gefunden hatte und fest entschlossen war, dieses festzuhalten. Andererseits war das Madel, das der Grund für all die Aufregungen war, noch eine unbekannte Größe für ihn. Ob es tatsächlich die Rechte für den Vater war? Und dann die Frage, wie Irmgard auf das neue Familienmitglied reagieren würde. Michael war überzeugt, dass sein Vater sich nicht umsonst darüber sorgte. Ganz gewiss würde Irmgard es ihr nicht leicht machen.

Der Jungbauer vom Schlehenhof beschloss, die junge Frau seines Vaters mit offenen Armen zu empfangen. Er wollte ihr die Eingewöhnung leicht machen und dafür sorgen, dass Irmgard sie in Ruhe ließ, wenn nötig, würde er seiner Schwägerin selbst ins Gewissen fahren. Dass alles ganz anders kommen sollte, ahnte Michael Angermaier in diesem Moment noch nicht …

***

Sabine war es nicht besser ergangen als Rudolf. Auch sie fürchtete sich vor dem Abschied von dem Mann, der ihr mittlerweile sehr viel bedeutete. Sie ahnte nicht, dass dieser vorhatte, um ihre Hand anzuhalten. So kam der Antrag, den Rudolf ihr am Montagmorgen machte, für sie aus heiterem Himmel. Sabine starrte abwechselnd von den tiefroten Rosen, die er ihr in den Arm gelegt hatte, auf den Ring, den er an ihren Finger stecken wollte, und dann zu dem Mann, der sie so innig und liebevoll ansah, dass ihre Knie weich wurden und drohten, nachzugeben.

»Nun, Liebes, was sagst du?«, fragte er schließlich, als ihm das Schweigen einfach zu lange dauerte. »Magst du mit mir nach Audorf auf den Schlehenhof kommen und …«

»Ich glaub schon«, stotterte sie perplex, lachte nervös und fiel ihm um den Hals. »Rudi, ich hätte niemals gedacht, dass du es so ernst meinst. Ich … bin ja so glücklich!«

Er hielt sie fest, lächelte selig und schenkte ihr ein Busserl, wie es zärtlicher nicht hätte sein können. Dann schob er ihr behutsam den Verlobungsring auf den Finger.

»Jetzt fahr heim, zieh dir was Schönes an und pack das Wichtigste«, bat er sie. »Wir gehen nachher aufs Standesamt, und dann fahren wir heim.«

»Einfach so?« Sie starrte ihn fassungslos an.

»Einfach so«, bestätigte er und zwinkerte ihr lustig zu. »So einfach ist das, wenn man das Richtige tut!«

Tatsächlich hatte Rudolf Angermaier bereits fleißig Vorarbeit geleistet, damit an diesem ganz besonderen Montag alles glattging. Er hatte einen Termin auf dem Standesamt gemacht, mit Sabines Chef gesprochen und auch Michael angerufen und ihn wissen lassen, wann er in die Stadt kommen solle.

Als Sabine dann im besten Dirndl vor ihm stand, konnte er keinen Blick von ihr wenden.

»Wunderschön bist du«, stellte er überwältigt fest. »Viel zu schön für einen alten Deppen wie mich. Womit hab ich das nur verdient?«

»So einen Schmarrn will ich nie wieder von dir hören«, forderte sie da energisch. »Ich bin schließlich die Goldmarie, denn ich hab den besten Mann auf der ganzen Welt erwischt, und er gehört jetzt mir allein!« Sie lachte, als er ihr ein übermütiges Busserl stahl.

Dann machten sie sich schleunigst auf den Weg zum Standesamt, wo Michael bereits auf das Brautpaar wartete. Rudolf stellte seinem Älteren Sabine kurz vor, sie schüttelten sich knapp die Hände, dann war es auch schon so weit. Als der Standesbeamte Sabine Pelzer und Rudolf Angermaier fürs Leben verband, strahlte ihnen beiden das Glück aus den Augen.

Michael beobachtete die kurze Zeremonie schweigend. Seine markante Miene war verschlossen, was er dachte oder fühlte, ließ er sich nicht anmerken. Doch die Begegnung mit der jungen Braut seines Vaters hatte sein Gefühlsleben gehörig durcheinandergewirbelt. Ein Blick in Sabines Augen, und es war um ihn geschehen. Tief im Herzen regte sich die Erkenntnis, dass er genau auf dieses Madel unbewusst immer gewartet hatte und dass es nun innerhalb weniger Minuten für ihn unerreichbar geworden war. Sein Vater hatte Sabine soeben zur Frau genommen.

Der Jungbauer vom Schlehenhof war froh, als es vorbei war. Nachdem das frisch gebackene Ehepaar das Standesamt verlassen hatte, gratulierte Michael den beiden herzlich und drängte dann zur Heimfahrt.

»Oder habt ihr andere Pläne?« Er lächelte. »Eigentlich solltet ihr jetzt in die Flitterwochen starten, net wahr?«

»Darauf verzichten wir«, entschied Sabine, als sie dem fragenden Blick ihres Mannes begegnete. »Ich möchte heim zum Schlehenhof und dort alle kennenlernen.«

Das hörte Rudolf natürlich gern. Während der Heimfahrt fragte er seinen Sohn nach allem aus, was in der Zwischenzeit auf dem Hof passiert war. Michael gab geduldig Auskunft, den Blick starr auf die Straße gerichtet. Einmal schaute er in den Rückspiegel und begegnete dabei den schönen Augen seiner Stiefmutter. Rasch schaute er weg. Zugleich fragte er sich aber, was nun werden sollte. Freilich musste er seine Gefühle für Sabine tief im Herzen verbergen. Sie war die Frau seines Vaters, das hieß, sie durfte niemals erfahren, wie er zu ihr stand. Aber würde er das schaffen?

Auf dem Schlehenhof war alles für die Heimkehr des Bauern gerichtet. Sogar ein Schild mit der Aufschrift »Herzlich Willkommen!«, prangte über der Haustür. Als der Wagen in den Wirtschaftshof rollte, öffnete sich die Haustür, und Rosa, Tobias und Irmgard traten heraus. Knechte und Mägde warteten bereits vor dem Gesindehaus. Der Altbauer musste viele Hände schütteln und hörte noch mehr gute Wünsche. Er war ganz gerührt, legte einen Arm um Sabine und trat auf die Haustreppe.

»Ich bring euch hier meine neue Frau, die Sabine«, erklärte er, wobei er Rosa fest in die Augen schaute. »Wir haben heute geheiratet. Ich hoffe, ihr werdet sie ebenso warm und liebevoll willkommen heißen wie mich. Sabine, das ist die Rosa, unsere Hauserin, von der ich dir schon so viel erzählt hab.«

Sabine drückte der Alten die Hand und lächelte ihr lieb zu. Rosa mochte sie auf Anhieb, sie sah gleich, dass an diesem Madel kein Falsch war. Der Bauer hatte gut gewählt.

»Das ist mein jüngerer Sohn Tobias, ihr habt euch ja schon in der Klinik kurz gesehen. Und seine Frau Irmgard.«

Sabine schüttelte Tobias die Hand und wandte sich dann an Irmgard. Doch die Jungbäuerin verschränkte demonstrativ die Hände vor der Brust.

»Das sind ja schöne Neuigkeiten, na, prost Mahlzeit!«, sagte sie spitz und verschwand im Haus.

Sabine schaute ihren Mann fragend an, und der lächelte ihr aufmunternd zu.

»Lass der Irmgard Zeit«, riet er ihr. »Sie braucht ein bisserl, um mit anderen warm zu werden. Komm, ich zeig dir das Haus und die Umgebung.«

»Zuerst wird gegessen«, bestimmte Rosa da energisch. »Wir haben ein richtiges Festmahl gekocht. Es gibt Tafelspitz, Spargel und neue Kartoffeln, dazu ein feines Dessert und das Beste, was der Weinkeller zu bieten hat.« Sie zwinkerte der jungen Frau herzlich zu. »Schließlich haben wir heut so allerhand zu feiern, net wahr?«

»Kann ich mich ein bisserl nützlich machen? Ich koch und back für mein Leben gern«, meinte Sabine.

»Komm mit und schau dir unsere Kuchel erst mal an«, schlug Rosa vor und hakte sich bei ihr ein. »Aber vorsichtig, unser Rottweiler ist heut net gut gelaunt.«

»Rosa …« Rudolf schüttelte leicht den Kopf, die Hauserin hob aber nur die Schultern und gab zu bedenken: »Je eher für deine Frau alles klar ist, desto besser. Vom Beschönigen hat fei noch keiner was gehabt.«

Tobias legte dem Vater eine Hand auf die Schulter.

»Wie hast du das nur geschafft?«, fragte er ihn. »Die Sabine schaut rundherum glücklich und zufrieden aus. Ich mein fast, du bist ein rechter Hans im Glück, oder?«

Der Altbauer lächelte zufrieden.

»Glück allein reicht net aus. Man muss auch selbst was dazu tun. Und wenn der rechte Moment gekommen ist, zupacken.«

»Mei, Vater, du bist schon ein Schlawiner …« Tobias lachte.

Während des gemeinsamen Essens herrschte eine muntere, entspannte Atmosphäre. Keiner achtete auf Irmgards bleiche, verkniffene Miene, denn dieser Anblick war ja nicht neu. Das allgemeine Interesse galt der jungen Frau des Altbauern, und die Reaktionen des Gesindes reichten dabei von unverhohlener Bewunderung bis zu offensichtlicher Skepsis. Freilich sagte keiner direkt etwas gegen Sabine.

Max Gruber, der ein guter Beobachter war, witterte allerdings Zündstoff zwischen den beiden jungen Frauen auf dem Schlehenhof. Und er war überzeugt, dass die explosive Mischung von Wildkatze Irmgard und der madonnenhaft schönen Sabine, unter deren stiller Oberfläche gewiss ein rechter Vulkan brodelte, auch ihn zu seinem Recht würde kommen lassen. Er musste nur wachsam sein und den rechten Moment nicht verpassen …

Sabine spürte eine gewisse Feindseligkeit, die ihr von der Jungbäuerin entgegenschlug. Doch sie hatte sich fest vorgenommen, sich auf dem Schlehenhof problemlos einzuleben, und wollte alles tun, was dazu nötig war. Denn ihr Glück mit Rudolf sollte durch nichts getrübt werden.

Die alte Rosa und Tobias kamen ihr freundlich entgegen. Irmgard hoffte sie, durch Fleiß und Freundlichkeit für sich einzunehmen. Nur der Jungbauer war recht verschlossen und ablehnend zu ihr. Sabine meinte, die Gründe dafür zu kennen. Nach dem Essen folgte sie Michael zum Stall und sprach ihn an.

»Warte einen Moment, ich möchte dir etwas sagen«, bat sie ihn.