Heimatkinder 14 – Heimatroman - Cornelia Waller - E-Book

Heimatkinder 14 – Heimatroman E-Book

Cornelia Waller

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Beschreibung

Die Heimatkinder verkörpern einen neuen Romantypus, der seinesgleichen sucht. Zugleich Liebesroman, Heimatroman, Familienroman – geschildert auf eine bezaubernde, herzerfrischende Weise, wie wir alle sie schon immer ersehnt haben. "Jens, ich bitte dich, was für eine verrückte Idee von dir, mit dem Kind auf einem Bauernhof Urlaub zu machen", sagte Vera Sandtner kopfschüttelnd. Die elegante, immer noch gutaussehende Mittfünfzigerin fand das wieder typisch für ihren Schwiegersohn. Jens Lundberg verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln. "Für dich wäre das nichts, liebe Vera, ich weiß. Aber Sandra ist begeistert und freut sich schon riesig. Du weißt doch, wie sehr sie Tiere liebt, und überhaupt kann ein Kind sich auf einem Bauernhof einmal richtig austoben."

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Heimatkinder –14–

So glücklich ist ein Kinderherz

Findet die kleine Sandra eine liebevolle Mutti?

Roman von Cornelia Waller

»Jens, ich bitte dich, was für eine verrückte Idee von dir, mit dem Kind auf einem Bauernhof Urlaub zu machen«, sagte Vera Sandtner kopfschüttelnd. Die elegante, immer noch gutaussehende Mittfünfzigerin fand das wieder typisch für ihren Schwiegersohn.

Jens Lundberg verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln.

»Für dich wäre das nichts, liebe Vera, ich weiß. Aber Sandra ist begeistert und freut sich schon riesig. Du weißt doch, wie sehr sie Tiere liebt, und überhaupt kann ein Kind sich auf einem Bauernhof einmal richtig austoben.«

»Ja, und ich darf ihre Kleider hinterher wochenlang an die Luft hängen, weil sie so angenehm nach Kuhstall und Mist duften, nicht?« Vera rümpfte die Nase.

»Wir nehmen sowieso nur ihre ältesten Sachen mit«, beruhigte sie Jens belustigt. »Für dich wäre das also nichts?«

»Richtig, ich käme gar nicht auf so einen Gedanken! Im Urlaub möchte man schließlich besonders verwöhnt werden, sich nett anziehen und …«

»Ja, ja, ich weiß wie du deine Ferien gern verlebst!«, fiel Jens ihr etwas kurzangebunden ins Wort. »Aber es bleibt dabei, denn ich habe bereits alles festgemacht.«

Jens ärgerte es, dass seine Schwiegermutter sich immer wieder in seine Angelegenheiten zu mischen versuchte. Leider war er auf sie angewiesen, denn nach dem Tod seiner Frau Judith vor zwei Jahren hatte sie die Betreuung ihrer Enkelin übernommen. Er, Jens, hatte schließlich einen Beruf und noch dazu einen, der ihn ständig von einem Kontinent zum anderen führte, denn er war Pilot. So hätte er die vierjährige Sandra wahrscheinlich in ein Heim geben müssen, wenn seine Schwiegermutter sich seinerzeit nicht erboten hätte, die Kleine zu sich zu nehmen.

Ganz glücklich war Jens mit dem jetzigen Zustand zwar auch nicht, aber Sandra in einem Heim zu wissen, wäre noch schlimmer gewesen. Vera Sandtner – er hatte es nie fertiggebracht, sie mit Mutter anzureden, war nicht gerade das, was man sich unter einer liebenden Großmutter im allgemeinen vorzustellen pflegte. Es mochte auch daran liegen, dass sie zu ihrem Schwiegersohn nie ein besonders gutes Verhältnis gehabt hatte.

Die Ehe ihrer einzigen Tochter mit dem Piloten hatte ihr von Anfang an nicht gepasst, denn sie hatte für Judith bereits den Sohn eines wohlhabenden Fabrikanten im Auge gehabt. Judiths Vater war ein bekannter Architekt gewesen, lebte aber schon nicht mehr, als Jens sie kennengelernt hatte.

Doch Judith hatte sich, als es um ihre Liebe ging, nicht von der Mutter beeinflussen lassen. So hatte Vera sich wohl oder übel mit Jens abfinden müssen.

In dem großen Haus, dass Herbert Sandtner seiner Frau hinterlassen hatte, lebte Vera nun mit einer Haushälterin. Sie lebte ganz ihre eigenen, vorwiegend gesellschaftlichen Interessen und war viel auf Reisen. Im Grunde war es die Haushälterin, die sich um Sandra kümmerte, auch wenn Vera vor den Leuten gern die liebende Großmutter spielte. Aber sie war nicht imstande, dem kleinen Mädchen die Mutter ein wenig zu ersetzen.

So tat Jens alles, um Sandra Vater und Mutter zugleich zu sein, und Sandra hing auch in zärtlicher Liebe an ihrem Vater. Sie war schon immer außer sich vor Freude, wenn er wieder einige freie Tage hatte und sie dann bei ihm sein durfte. Jens lebte noch in der Mietwohnung, in der er und Judith seit einigen Jahren gewohnt hatten.

»Nun, du musst es ja wissen«, entgegnete Vera nun spitz, und damit war dieses Thema für sie erledigt. Im Grunde war sie ja froh, wieder für einige Wochen unabhängig zu sein und selbst auf Reisen gehen zu können. An die Riviera, nach Teneriffa, oder wohin es sie sonst zog, wenn es nur recht mondäne Orte waren und entsprechend komfortable Hotels.

Freunde rieten Jens, wieder zu heiraten, um Sandra wieder eine Mutter zu geben. In der ersten Zeit nach dem plötzlichen Tod von Judith hatte Jens nicht einmal daran denken mögen.

Erst im Laufe der Zeit hatte er gemerkt, dass es für einen jungen Vater nicht leicht war, wieder die richtige Frau zu finden. Es hätte einige gegeben, die bereit gewesen wären, das Kind in Kauf zu nehmen, aber das wollte Jens seinem Töchterchen nicht antun. Wenn seine zukünftige Frau Sandra keine Liebe geben konnte, kam sie für ihn nicht infrage!

Sandras Köfferchen war gepackt, und so verabschiedeten sie sich am nächsten Morgen, um nach Södersiel zu fahren, wie der kleinen Ort an der friesischen Küste hieß. Wieder fiel Jens auf, wie leicht Sandra sich von der Großmutter trennte.

»Fahren wir gleich los, Papi?«, fragte Sandra, während sie neben dem Vater fröhlich hüpfend das Haus verließ.

»Sofort, Maus!«, versicherte Jens lächelnd.

»Ich freu’ mich so! Gibt es auf dem Bauernhof eigentlich auch einen Hund?«, wollte Sandra wissen.

Wie süß sie wieder aussah heute! Blond wie ihr Vater trug sie das schulterlange Haar an beiden Seiten mit zwei lustigen Spangen zurückgesteckt. Die großen dunkelbraunen Kulleraugen hatte sie von der Mutter, die ein dunkler Typ gewesen war, auf dem niedlichen Stupsnäschen prangten ein paar Sommersprossen und gaben ihr etwas Kesses. Die blauweiß gestreiften Jeans, die sie bei der Großmutter selten tragen durfte, und das T-Shirt mit der Mickymaus darauf standen ihr viel besser als all die feinen Kleidchen, die Vera für sie zu kaufen pflegte.

»Ich bin sicher, dass es auf einem Bauernhof auch einen Hofhund gibt.« Jens zog eine schuldbewusste Miene. »Allerdings habe ich total vergessen, danach zu fragen, Maus. Aber Schweine, Hühner, Enten, Gänse, Schafe und …« Er stockte, weil ihm nichts weiter einfiel.

»Und Miezekatzen und Ziegen und Kühe«, fuhr Sandra fort, denn sie besaß ein Bilderbuch über einen Bauernhof.

»Richtig, ich sehe, du weißt Bescheid.« Jens fuhr ihr liebevoll über das seidenweiche Haar.

Drei Wochen zusammen mit Sandra, nicht immer schon nach wenigen Tagen wieder fort müssen und in ihre traurigen Äuglein schauen müssen!

*

»Heute morgen haben sich wieder neue Gäste angemeldet, Heinrich«, berichtete die junge Bäuerin, als sie und ihr Mann beim Mittagessen saßen.

Heinrich Petersen, ein etwas vierschrötiger Mann von Ende vierzig, verzog keine Miene.

»So«, brummte er mit mäßigem Interesse. »Und was sind das für Leute?«

»Ein Vater mit seiner kleinen Tochter, mehr weiß ich auch noch nicht. Aber er scheint sehr nett zu sein«, sagte Antje.

»Wie willst du das denn wissen?« Heinrich verzog den Mund. »Und was ist mit seiner Frau? Warum kommt er mit seinem Kind denn allein?«

»Er ist Witwer, wie er erwähnte.«

»Aha. Na, wenn der sich man bloß nicht einbildet, dass du womöglich noch Kindermädchen bei der Deern spielst«, grunzte Heinrich mit vollem Mund. »Hast schließlich Arbeit genug.«

»Ich finde, du hast keinen Grund zum Klagen, bis jetzt habe ich keine meiner Arbeiten vernachlässigt, bloß weil ich mich ein bisschen um die Gäste gekümmert habe«, verteidigte sich die jüngere Frau ärgerlich.

»Na, das hätte auch noch gefehlt. Du weißt ja, was ausgemacht worden ist, bevor ich dir die Vermieterei erlaubt habe.« Heinrich warf ihr einen schiefen Blick zu.

»Eben. Und daran halte ich mich ja auch, wie du weißt«, sagte Antje mit erzwungener Ruhe.

»Was das üppige Frühstück betrifft, das du den Herrschaften vorsetzt, so tust du jedenfalls zu viel des Guten«, räsonierte Heinrich weiter, weil er einfach nicht aufhören konnte, wenn er bei diesem Thema angekommen war.

»Sei doch nicht so kleinlich, Heinrich! Die Leute zahlen doch schließlich gut, da muss man ihnen auch was bieten. Ich möchte nicht wissen, wie viele von ihnen lange auf ihren Urlaub sparen. Die Leute, die zu uns kommen, denen fällt doch auch nichts in den Schoß.«

»Aber bestimmt schuften sie nicht vom frühen Morgen bis zum späten Abend wie unsereiner«, brummte Heinrich.

Antje lag eine heftige Erwiderung auf den Lippen, doch sie unterdrückte sie. Es war sinnlos, darüber mit Heinrich zu debattieren! Er hatte wie in vielen anderen Dingen auch, seinen eigenen Standpunkt, von dem er sich sowieso nicht abbringen lassen würde!

»Statt sich um fremde Leute zu kümmern, wäre es besser, du hättest andere Pflichten«, sagte er nun finster.

Antje wusste sofort, worauf er anspielte. Wenn sie ein Kind hätten, hätte sie keine Zeit, Zimmer zu vermieten! Sie sagte nichts, denn das war das traurigste Kapitel ihrer Ehe.

Vor fünf Jahren hatte sie den um fast zwanzig Jahre älteren Mann geheiratet, und damit hatte Heinrich die Erwartung verknüpft, endlich noch Vater zu werden. Schon seine erste Frau, die verstorben war, hatte ihm den ersehnten Hoferben nicht schenken können. Nur eine Tochter hatten sie gehabt, die jetzt zweiundzwanzigjährige Dorte, die seit zwei Jahren verheiratet war. Eine so junge Frau wie Antje würde ihm seinen Wunsch noch erfüllen, einen Sohn in den Armen zu halten, so hatte Heinrich gehofft.

Antje hatte Heinrich nicht aus Liebe geheiratet. Sie stammte von einem kleinen Hof, zu dem auch gepachtetes Land gehörte. Vor vielen Jahren hatte es ihr Vater noch von Heinrichs Vater gepachtet. Der Vertrag war ausgelaufen gewesen, und Heinrich hatte durchblicken lassen, dass er ihn nur erneuern würde, wenn Antje ihn heiratete. Ohne dieses Land hätte die Familie nicht existieren können, zumal Antje noch drei Geschwister hatte. Ihre Eltern hatten sie zwar nicht unter Druck gesetzt, Heinrich zu heiraten, aber Antje hatte ja selbst gut genug gewusst, wie die Dinge nun einmal lagen.

So hatte sie eingewilligt, Heinrich zu heiraten, damals ein junges Ding von gerade zweiundzwanzig. Sie war frei und ungebunden aber ein leichter Entschluss war es nicht gewesen, einen so viel älteren Mann zu heiraten, der noch dazu so gar nicht zu dem Bild passte, das sie sich von ihrem künftigen Ehemann gemalt hatte.

Heinrich Petersen, schon äußerlich ein derber Typ, war auch vom Wesen und Charakter kein besonders umgänglicher Mann. Er war verschlossen und wortkarg, hatte wenig Verständnis für seine junge Frau, auch wenn er andererseits schon auch ein wenig stolz auf sie war. Denn Antje war ausgesprochen hübsch mit ihren hellblonden Haaren und den tiefblauen Augen, und sie war schlank und gutgewachsen.

Doch inzwischen, nach fünf Jahren, fühlte Heinrich sich regelrecht betrogen, und das äußerte sich auch in seinem Verhalten.

Was hatte Antje nicht alles unternommen, zumal sie sich selber sehnsüchtig ein Kind gewünscht hatte! Von Arzt zu Arzt war sie gelaufen, hatte nicht immer angenehme Untersuchungen über sich ergehen lassen. Doch die einhellige Diagnose lautete übereinstimmend, dass keinerlei medizinische Gründe zu finden waren, die gegen eine Schwangerschaft sprachen. Man hatte ihr immer wieder Geduld gepredigt, bis sie es schon nicht mehr hatte hören können. Geduld wie lange denn noch, nachdem sie schon so viele Jahre gewartet hatte?

Einer der Ärzte hatte sich viel Zeit genommen und in einem längeren Gespräch ihr Umfeld erforscht. Nachdem Antje ihm zögernd die Umstände geschildert hatte, die zu ihrer Heirat geführt hatten, hatte er von einer psychologischen Sperre gesprochen und ihr dringend geraten, sich nicht selbst unter Druck zu setzen. Ja, sie sollte versuchen, gar nicht mehr daran zu denken, dass sie ein Kind wollte. Aber das war leicht gesagt, wenn man ständig zu hören bekam, was für eine Niete man war!

Andererseits verstand Antje Heinrich auch. Er war schließlich nicht mehr jung und wollte es noch erleben, sein Kind heranwachsen zu sehen, um ihm einmal den Hof übergeben zu können. Dorte hatte einen Fischer geheiratet und konnte und wollte den Hof nicht übernehmen, die Vorstellung, das schöne Anwesen, zu dem nicht wenig gutes Land gehörte, könnte eines Tages in fremde Hände übergehen, machte Heinrich große Sorgen.

So hatte Antje ständig ein schlechtes Gewissen und vermochte sich immer weniger gegen Heinrich zu wehren, wenn er immer ruppiger und mürrischer wurde. Vor einigen Jahren hatte sie ihm die Erlaubnis abgerungen, zwei Kammern vermieten zu dürfen, wie das inzwischen einige Bauern in Södersiel taten. Es lief gut an, und Antje freute sich schon immer auf den Sommer, wenn die Gäste kamen. Das verschaffte ihr in dem tristen Einerlei ihres Lebens etwas Abwechslung.

*

Jens war angenehm überrascht, als Södersiel nun vor ihnen auftauchte. Das kleine Dorf mit der Backsteinkirche lag inmitten grüner Wiesen, Weiden und Felder, und hinter dem Deich sah man die Nordsee, die am Horizont mit dem blauen Himmel eins wurde. Einige der reetgedeckten Gehöfte lagen etwas außerhalb des Dorfes. Es war noch richtig ländlich, hier gab es noch keine hässlichen Hotelklötze, die vielerorts schon die Landschaft verschandelten!

Was für ein schönes Haus! Das war sein erster Eindruck, als sie vor dem Anwesen hielten. Mit den Blumenkästen voller blühender Geranien vor allen Fenstern wirkte es noch anhei­melnder als auf dem Foto des Prospektes. Im Vorgärtchen blühten Sonnenblumen, Reseda und Phlox, eine mächtige Linde erhob sich neben dem Haus.

Als Vater und Tochter ausgestiegen waren, entdeckte Sandra eine Gänseschar, die angewatschelt kam.

»Guck mal, Papi, Enten!«, rief das kleine Stadtmädchen, doch als der Gänserich fauchend auf sie zukam, flüchtete sie sich eiligst in die Geborgenheit der väterlichen Arme.

»Keine Angst, kleine Deern, der faucht bloß, aber er tut dir nichts!«, hörten sie eine weibliche Stimme sagen und sahen sich um.

Aus dem Haus war eine junge Frau getreten. Sie war schlank und gutgewachsen, trug einen buntkarierten Baumwollrock und eine blütenweiße Bluse. Mit ihren klaren Zügen, den tiefblauen Augen und den schönen weißen Zähnen, die sie beim Lächeln zeigte, war sie eine ausgesprochen hübsche Person.

Jetzt strich sie sich ein paar vorwitzige Löckchen aus der Stirn, die sich aus ihrem aufgesteckten blonden Haar gelöst hatten, und kam näher.

»Ich vermute, Sie sind Herr Lundberg nebst Töchterchen?«

Es durchfuhr Jens, als sie ihn so warm anlächelte. Was für ein reizendes Mädchen! Wahrscheinlich war sie die Tochter des Hauses.

Er ergriff die ihm entgegengestreckte Hand und drückte sie fest.

»Ja, wir sind Jens und Sandra Lundberg. Und Sie sind wohl Fräulein Petersen?«

Antje lachte. »Frau Petersen, und ich heiße Sie herzlich willkommen!«, sie beugte sich zu Sandra hinunter und strich ihr über das Haar. »Du heißt also Sandra? Was für ein hübscher Name!«

Und was für ein süßes Kind, dachte sie, aber ist ja kein Wunder bei diesem gut aussehenden Vater. Dieser blonde Riese, der sie, die sie keineswegs klein war, fast um eine Haupteslänge überragte, war ihr sofort sympathisch. Sie schätzte ihn auf Anfang dreißig.

»Guten Tag«, lispelte Sandra, der die junge Frau auch gleich gefiel.

»Hatten Sie eine gute Fahrt?«, erkundigte sich Antje nun.

»Danke, alles ging glatt, keine Staus oder dergleichen. Aber Sandra ging es trotzdem nicht schnell genug. Sie konnte es gar nicht erwarten, unser Feriendomizil zu sehen. Und schon jetzt kann ich sagen, dass wir aufs Angenehmste überrascht sind, Frau Petersen«, erwiderte Jens lächelnd.

»Das freut mich. Dann wollen wir wünschen, dass Sie das am letzten Urlaubstag auch noch finden. Aber nun kommen Sie doch bitte herein. Sollen wir Ihr Gepäck gleich mitnehmen?«

»Gern. Die Schrankkoffer haben wir allerdings zu Hause gelassen«, scherzte Jens. »Sie erwarten doch hoffentlich nicht, dass man sich bei Ihnen dreimal täglich umkleidet?« Er öffnete den Kofferraum.

Antje lachte. »Seien Sie beruhigt, Herr Lundberg, bei uns nimmt man es noch nicht so genau. Darf ich Ihnen die Tasche abnehmen?«

»Nicht nötig.« Jens drückte Sandra ihren Teddybären in den Arm. »So, den trägst du. Ohne ihren Teddy kann die kleine Dame nämlich nicht schlafen, müssen Sie wissen.«

»Magst du mir die Hand geben, Sandra?«, fragte Antje die Kleine, die ohne zu zögern ihr Händchen ausstreckte und der jungen Frau ins Haus folgte.

Das wunderte Jens, denn Fremden gegenüber war Sandra sonst nicht gleich so zutraulich.

»Zuerst zeige ich euch euer Zimmer.« Antje ging auf die Treppe zu. »Sicher möchtest du doch erst einmal wissen, wo du heute Abend schlafen kannst, nicht? Nachher bekommst du etwas zum Essen, denn sicher bist du hungrig und durstig nach der langen Fahrt?«

»Ich habe bloß Durst«, bekannte Sandra. »Papi hat ganz viel zum Essen dabeigehabt.«

Jens war wiederum angenehm überrascht, als sie das Zimmer betraten. Es war mit wenigen, aber schönen alten Bauernmöbeln eingerichtet, man sah, dass die Vermieterin sich bemüht hatte, den nicht zu großen Raum behaglich auszustatten. Vor dem Fenster standen ein Tischchen und zwei Korbstühle, auf den glänzenden Holzdielen lag ein Schafwollteppich. In einer Ecke stand eine prächtige große Grünpflanze, und an den Wänden hingen geschmackvoll gerahmte Federzeichnungen.

»Sehr hübsch«, lobte Jens befriedigt und setzte den Koffer auf das dafür bestimmte Bänkchen. »Hier kann man sich wohlfühlen, auch wenn die Sonne mal nicht scheint.«

»Es freut mich, dass es Ihnen gefällt, auch wenn es nicht gerade wie ein Zimmer in einem Luxushotel ist.«

»Das haben wir ja auch nicht erwartet.« Jens trat ans Fenster. »Und was für einen schönen Seeblick man von hier oben hat.«

»Und man hat fast den ganzen Tag Sonne«, fügte Antje lächelnd hinzu und wies zum Doppelbett hin. »Hoffentlich fällt uns die kleine Deern nicht heraus? Wenn es nicht geht, müsste man vielleicht ein Kinderbett besorgen.«

»Nicht nötig«, beruhigte sie Jens.

Draußen bellte ein Hund, und Sandra spitzte die Ohren.

»Ist das eurer?«, erkundigte sie sich bei der jungen Wirtin.

»Ja, das ist Fiete«, antwortete Antje. »Magst du Hunde?«

»Sie mag alles, was da kreucht und fleucht«, sagte Jens lächelnd. »Und nun ist sie beruhigt, dass es auch einen Hund gibt, nicht, Maus?«

Sandra nickte mit glänzenden Augen und wollte wissen, ob man Fiete streicheln dürfe.

»Aber ja, der ist ganz friedlich und mag Kinder sehr. Er ist auf dem Hof meiner Eltern aufgewachsen und an Kinder auch gewöhnt«, erklärte Antje.

»Na, fein, dann kannst du dich ja mit ihm anfreunden, Maus.« Jens lächelte, und Sandra nickte strahlend.

»Kann ich Ihnen beim Auspacken behilflich sein?«, fragte Antje.

»Danke, als alleinstehender Vater lernt man so was«, erklärte Jens, und es klang ein bisschen wehmütig.

Mitfühlend blickte Antje ihn an. »Aber sagen Sie es bitte, wenn ich Ihnen in irgendeiner Weise behilflich sein kann«, bat sie.

»Hast du auch Kinder?«, erkundigte sich Sandra.

»Nein, Kleines, noch nicht.« Antjes Gesicht verdunkelte sich, ohne dass es ihr bewusst wurde. »Aber auf dem Nachbarhof gibt es gleich drei, auch eine kleine Deern in deinem Alter. Ich hole sie demnächst mal herüber, wenn du möchtest.«

»Au ja!«, freute sich Sandra. »Zeigst du mir jetzt Fiete?« Wie selbstverständlich ergriff sie die Hand der jungen Frau.

»Aber gern, wenn es dein Papa erlaubt.«

Wie lieb diese junge Frau Sandra anlächelte! Jens wurde es ganz warm ums Herz.